Erstes Kapitel

Wer der Kaeufer des Agathon gewesen

Der Mann, der sich fuer zwei Talente das Recht erworben hatte, den Agathon als seinen Leibeignen zu behandeln, war einer von den merkwuerdigen Leuten, die unter dem Namen der Sophisten in den griechischen Staedten umherzogen, sich der edelsten und reichsten Juenglinge bemaechtigten, und durch die Annehmlichkeiten ihres Umgangs und die praechtigen Versprechungen, ihre Freunde zu vollkommnen Rednern, Staatsmaennern und Feldherren zu machen, das Geheimnis gefunden hatten, welches die Alchymisten bis auf den heutigen Tag vergeblich gesucht haben. Sie wurden von aller Welt mit dem ehrenvollen Namen der Sophisten oder Weisen benennt; allein die Weisheit, von der sie Profession machten, war von der Socratischen, die durch einige Verehrer dieses Atheniensischen Buergers so beruehmt worden ist, so wohl in ihrer Beschaffenheit, als in ihren Wuerkungen unendlich unterschieden; oder besser zu sagen, sie war die vollkommne Antipode derselbigen. Die Sophisten lehrten die Kunst, die Leidenschaften andrer Menschen zu erregen; Socrates die Kunst, seine eigene zu daempfen. Jene lehrten, wie man es machen muesse, um weise und tugendhaft zu scheinen; dieser lehrte, wie man es sei. Jene munterten die Juenglinge von Athen auf, sich der Regierung des Staats anzumassen; Socrates, dass sie vorher die Haelfte ihres Lebens anwenden sollten, sich selbst regieren zu lernen. Jene spotteten der Socratischen Weisheit, die nur in einem schlechten Mantel aufzog, und sich mit einer Mahlzeit fuer sechs Pfenninge begnuegte, da die ihrige in Purpur schimmerte, und offne Tafel hielt. Die Socratische Weisheit war stolz darauf, den Reichtum entbehren zu koennen; die ihrige wusste, ihn zu erwerben. Sie war gefaellig, einschmeichelnd, und wusste alle Gestalten anzunehmen; sie vergoetterte die Grossen, kroch vor ihren Dienern, taendelte mit den Damen, und schmeichelte allen, welche es bezahlten. Sie war allenthalben an ihrem rechten Platz; beliebt bei Hofe, beliebt an der Toilette, beliebt beim Spiel-Tisch, beliebt beim Adel, beliebt bei den Finanz-Pachtern, beliebt bei den Theater-Goettinnen, beliebt so gar bei der Priesterschaft. Die Socratische war weit entfernt, so liebenswuerdig zu sein; sie war trocken und langweilig; sie wusste nicht zu leben; sie war unertraeglich, weil sie alles tadelte, und immer Recht hatte; sie wurde von dem geschaeftigen Teil der Welt fuer unnuetzlich, von dem muessigen fuer abgeschmackt, und von dem andaechtigen gar fuer gefaehrlich erklaert. Wir wuerden nicht fertig werden, wenn wir diese Gegensaetze so weit treiben wollten, als wir koennten. Genug, dass die Weisheit der Sophisten einen Vorzug hatte, den ihr die Socratische nicht streitig machen konnte; sie verschaffte ihren Besitzern Reichtum, Ansehen, Ruhm, und ein Leben, das von allem, was die Welt gluecklich nennet, ueberfloss.

Hippias (so hiess der neue Herr unsers Agathon) war einer von diesen Gluecklichen, dem die Kunst, sich die Torheiten andrer Leute zinsbar zu machen, ein Vermoegen erworben hatte; wodurch er sich im Stande sah, sich der Ausuebung derselben zu begeben, und die andre Haelfte seines Lebens in den Ergoetzungen eines begueterten Muessiggangs zu zubringen; zu deren angenehmsten Genuss das zunehmende Alter viel geschickter scheint, als die ungestueme Jugend. Er hatte sich zu diesem Ende Smyrna zu seinem Wohn-Ort ausersehen, weil die Annehmlichkeiten des jonischen Klima, die schoene Lage dieser Stadt, der ueberfluss, der ihr durch die Handlung aus allen Teilen des Erdbodens zustroemte, und die Verbindung des griechischen Geschmacks mit der wolluestigen ueppigkeit der Morgenlaender ihm diesen Aufenthalt vor allen andern, die er kannte, vorzueglich machte. Hippias hatte den Ruhm, dass ihm in den Talenten seiner Profession wenige den Vorzug streitig machen koennten. Ob er gleich ueber fuenfzig Jahre hatte, so war ihm doch von der Gabe zu gefallen, die ihm in seiner Jugend so nuetzlich gewesen war, noch genug uebrig geblieben, dass sein Umgang von den artigsten Personen des einen und andern Geschlechts gesucht wurde. Er hatte alles, was die Art von Weisheit, die er ausuebte, verfuehrisch machen konnte; eine edle Gestalt, eine einnehmende Gesichts-Bildung, einen angenehmen Ton der Stimme, einen behenden und geschmeidigen Witz, und eine Beredsamkeit, die desto mehr gefiel, weil sie mehr ein Geschenk der Natur, als eine durch Fleiss erworbene Kunst zu sein schien. Diese Beredsamkeit, oder vielmehr diese Gabe angenehm zu schwatzen, mit einer Tinktur von allen Wissenschaften, einem feinen Geschmack in dem Schoenen und Angenehmen, und eine vollstaendige Kenntnis der Welt, war mehr als er noetig hatte, um in den Augen aller derjenigen, mit denen er umging, (denn er ging mit keinen Socraten um) fuer einen Genie vom ersten Rang, fuer einen Mann zu gelten, welcher alles wisse; welchem schon zugelaechelt wurde, eh man wusste, was er sagen wollte, und wider dessen Aussprueche nicht erlaubt war, etwas einzuwenden. Indessen war doch dasjenige, dem er sein Glueck vornehmlich zu danken hatte, die besondere Gabe, die er besass, sich der schoenern Haelfte der Gesellschaft gefaellig zu machen. Er war so klug, fruehzeitig zu entdecken, wie viel an der Gunst dieser reizenden Geschoepfe gelegen ist, welche in den policierten Teilen des Erdbodens die Macht wuerklich ausueben, die in den Maerchen den Feen beigelegt wird; die mit einem einzigen Blick, oder durch eine kleine Verschiebung des Halstuchs staerker ueberzeugen, als Demosthenes und Lysias durch lange Reden; die mit einer einzigen Traene den Gebieter ueber Legionen entwaffnen, und durch den blossen Vorteil, den sie von ihrer Gestalt und einem gewissen Beduerfnis des staerkern Geschlechts zu ziehen wissen, sich zu unumschraenkten Beherrscherinnen derjenigen machen, in deren Haenden das Schicksal ganzer Voelker liegt. Hippias hatte diese Entdeckung von so grossem Nutzen gefunden, dass er keine Muehe gesparet hatte, es in der Anwendung derselben zu dem hoechsten Grade der Vollkommenheit zu bringen; und dasjenige, was er in seinem Alter noch davon hatte, bewies, was er in seinen schoenen Jahren gewesen sein muesse. Seine Eitelkeit ging so weit, dass er sich nicht enthalten konnte, die Kunst, die Zauberinnen zu bezaubern, in die Form eines Lehr-Begriffs zu bringen, und seine Erfahrungen und Beobachtungen hierueber der Welt in einer sehr gelehrten Abhandlung mitzuteilen, deren Verlust nicht wenig zu bedauern ist, und schwerlich von einem heutigen Schriftsteller unsrer Nation zu ersetzen sein moechte.

Nach allem, was wir bereits von diesem weisen Manne gesagt haben, waer es ueberfluessig, eine Abschilderung von seinen Sitten zu machen. Sein Lehr-Begriff, von der Kunst zu leben, wird uns in kurzem umstaendlich vorgelegt werden; und er besass eine Tugend, welche nicht die Tugend der Moralisten zu sein pflegt; er lebte nach seinen Grundsaetzen.