Roemische Geschichte, Von Theodor Mommsen—Volume 8

Mommsen, Theodor, 1817-1903

Theodor Mommsen Roemische Geschichte Achtes Buch Laender und Leute von Caesar bis Diocletian Der Wunsch, dass die ’Roemische Geschichte’ fortgesetzt werden moege, ist mir oefter geaeussert worden, und er trifft mit meinem eigenen zusammen, so schwer es auch ist, nach dreissig Jahren den Faden da wieder aufzunehmen, wo ich ihn fallen lassen musste. Wenn er nicht unmittelbar anknuepft, so ist daran wenig gelegen; ein Fragment wuerde der vierte Band ohne den fuenften ebenso sein, wie es der fuenfte jetzt ist ohne den vierten. Ueberdies meine ich, dass die beiden zwischen diesem und den frueheren fehlenden Buecher fuer das gebildete Publikum, dessen Verstaendnis des roemischen Altertums zu foerdern diese Geschichte bestimmt ist, eher durch andere Werke vertreten werden koennen als das vorliegende. Der Kampf der Republikaner gegen die durch Caesar errichtete Monarchie und deren definitive Feststellung, welche in dem Sechsten Buch erzaehlt werden sollen, sind so gut aus dem Altertum ueberliefert, dass jede Darstellung wesentlich auf eine Nacherzaehlung hinauslaeuft. Das monarchische Regiment in seiner Eigenart und die Fluktuationen der Monarchie sowie die durch die Persoenlichkeit der einzelnen Herrscher bedingten allgemeinen Regierungsverhaeltnisse, denen das Siebente Buch bestimmt ist, sind wenigstens oftmals zum Gegenstand der Darstellung gemacht worden. Was hier gegeben wird, die Geschichte der einzelnen Landesteile von Caesar bis auf Diocletian, liegt, wenn ich nicht irre, dem Publikum, an das dieses Werk sich wendet, in zugaenglicher Zusammenfassung nirgends vor, und dass dies nicht der Fall ist, scheint mir die Ursache zu sein, weshalb dasselbe die roemische Kaiserzeit haeufig unrichtig und unbillig beurteilt. Freilich kann diese meines Erachtens fuer das richtige Verstaendnis der Geschichte der roemischen Kaiserzeit vorbedingende Trennung dieser Spezialgeschichten von der allgemeinen des Reiches fuer manche Abschnitte, insbesondere fuer die Epoche von Gallienus bis auf Diocletian, wieder nicht vollstaendig durchgefuehrt werden und hat hier die noch ausstehende allgemeine Darstellung ergaenzend einzutreten. Wenn ueberhaupt ein Geschichtswerk in den meisten Faellen nur mit und durch die Landkarte anschaulich wird, so gilt dies von dieser Darstellung des Reiches der drei Erdteile nach seinen Provinzen in besonderem Grade, waehrend hierfuer genuegende Karten nur in den Haenden weniger Leser sein koennen. Dieselben werden also mit mir meinem Freunde Kiepert es danken, dass er, in der Weise und in der Begrenzung, wie der Inhalt dieses Bandes es an die Hand gab, demselben zunaechst ein allgemeines Uebersichtsblatt, das ausserdem mehrfach fuer die Spezialkarten ergaenzend eintritt, und weiter Spezialkarten der einzelnen Reichsteile hinzugefuegt hat ... Berlin, im Februar 1885 Einige Versehen, auf die ich aufmerksam gemacht worden bin und die in den Platten sich beseitigen liessen, sind bei dem dritten Abzuge verbessert worden, der vierte ist ein unveraenderter Abdruck des vorigen. Februar 1886; September 1894 Achtes Buch Laender und Leute von Caesar bis Diocletian Gehe durch die Welt und sprich mit jedem. Firdusi Einleitung Die Geschichte der roemischen Kaiserzeit stellt aehnliche Probleme wie diejenige der frueheren Republik. Was aus der literarischen Ueberlieferung unmittelbar entnommen werden kann, ist nicht bloss ohne Farbe und Gestalt, sondern in der Tat meistens ohne Inhalt. Das Verzeichnis der roemischen Monarchen ist ungefaehr ebenso glaubwuerdig wie das der Konsuln der Republik und ungefaehr ebenso instruktiv. Die den ganzen Staat erschuetternden grossen Krisen sind in ihren Umrissen erkennbar; viel besser aber als ueber die Samnitenkriege sind wir auch nicht unterrichtet ueber die germanischen unter den Kaisern Augustus und Marcus. Der republikanische Anekdotenschatz ist sehr viel ehrbarer als der gleiche der Kaiserzeit; aber die Erzaehlungen von Fabricius und die vom Kaiser Gaius sind ziemlich gleich flach und gleich verlogen. Die innerliche Entwicklung des Gemeinwesens liegt vielleicht fuer die fruehere Republik in der Ueberlieferung vollstaendiger vor als fuer die Kaiserzeit; dort bewahrt sie eine, wenn auch getruebte und verfaelschte Schilderung der schliesslich wenigstens auf dem Markte Roms endigenden Wandlungen der staatlichen Ordnung; hier vollzieht sich diese im kaiserlichen Kabinett und gelangt in der Regel nur mit ihren Gleichgueltigkeiten in die Oeffentlichkeit. Dazu kommt die ungeheure Ausdehnung des Kreises und die Verschiebung der lebendigen Entwicklung vom Zentrum in die Peripherie. Die Geschichte der Stadt Rom hat sich zu der des Landes Italien, diese zu der der Welt des Mittelmeers erweitert, und worauf es am meisten ankommt, davon erfahren wir am wenigsten. Der roemische Staat dieser Epoche gleicht einem gewaltigen Baum, um dessen im Absterben begriffenen Hauptstamm maechtige Nebentriebe rings emporstreben. Der roemische Senat und die roemischen Herrscher entstammen bald jedem anderen Reichsland ebensosehr wie Italien; die Quiriten dieser Epoche, welche die nominellen Erben der weltbezwingenden Legionaere geworden sind, haben zu den grossen Erinnerungen der Vorzeit ungefaehr dasselbe Verhaeltnis wie unsere Johanniter zu Rhodos und Malta und betrachten ihre Erbschaft als ein nutzbares Recht, als stiftungsmaessige Versorgung arbeitsscheuer Armer. Wer an die sogenannten Quellen dieser Epoche, auch die besseren, geht, bemeistert schwer den Unwillen ueber das Sagen dessen, was verschwiegen zu werden verdiente, und das Verschweigen dessen, was notwendig war zu sagen. Denn gross Gedachtes und weithin Wirkendes ist auch in dieser Epoche geschaffen worden; die Fuehrung des Weltregiments ist selten so lange in geordneter Folge verblieben, und die festen Verwaltungsnormen, wie sie Caesar und Augustus ihren Nachfolgern vorzeichneten, haben sich im ganzen mit merkwuerdiger Festigkeit behauptet, trotz allem Wechsel der Dynastien und der Dynasten, welcher in der nur darauf blickenden und bald zu Kaiserbiographien zusammenschwindenden Ueberlieferung mehr als billig im Vordergrunde steht. Die scharfen Abschnitte, welche in der landlaeufigen, durch jene Oberflaechlichkeit der Grundlage geirrten Auffassung die Regierungswechsel machen, gehoeren weit mehr dem Hoftreiben an als der Reichsgeschichte. Das eben ist das Grossartige dieser Jahrhunderte, dass das einmal angelegte Werk, die Durchfuehrung der lateinisch-griechischen Zivilisierung in der Form der Ausbildung der staedtischen Gemeindeverfassung, die allmaehliche Einziehung der barbarischen oder doch fremdartigen Elemente in diesen Kreis, eine Arbeit, welche ihrem Wesen nach Jahrhunderte stetiger Taetigkeit und ruhiger Selbstentwicklung erforderte, diese lange Frist und diesen Frieden zu Lande und zur See gefunden hat. Das Greisenalter vermag nicht neue Gedanken und schoepferische Taetigkeit zu entwickeln, und das hat auch das roemische Kaiserregiment nicht getan; aber es hat in seinem Kreise, den die, welche ihm angehoerten, nicht mit Unrecht als die Welt empfanden, den Frieden und das Gedeihen der vielen vereinigten Nationen laenger und vollstaendiger gehegt, als es irgendeiner anderen Vormacht je gelungen ist. In den Ackerstaedten Afrikas, in den Winzerheimstaetten an der Mosel, in den bluehenden Ortschaften der lykischen Gebirge und des syrischen Wuestenrandes ist die Arbeit der Kaiserzeit zu suchen und auch zu finden. Noch heute gibt es manche Landschaft des Orients wie des Okzidents, fuer welche die Kaiserzeit den an sich sehr bescheidenen, aber doch vorher wie nachher nie erreichten Hoehepunkt des guten Regiments bezeichnet; und wenn einmal ein Engel des Herrn die Bilanz aufmachen sollte, ob das von Severus Antoninus beherrschte Gebiet damals oder heute mit groesserem Verstande und mit groesserer Humanitaet regiert worden ist, ob Gesittung und Voelkerglueck im allgemeinen seitdem vorwaertsoder zurueckgegangen sind, so ist es sehr zweifelhaft, ob der Spruch zu Gunsten der Gegenwart ausfallen wuerde. Aber wenn wir finden, dass dieses also war, so fragen wir die Buecher, die uns geblieben sind, meistens umsonst, wie dieses also geworden ist. Sie geben darauf sowenig eine Antwort, wie die Ueberlieferung der frueheren Republik die gewaltige Erscheinung des Rom erklaert, welches in Alexanders Spuren die Welt unterwarf und zivilisierte. Ausfuellen laesst sich die eine Luecke sowenig wie die andere. Aber es schien des Versuches wert, einmal abzusehen sowohl von den Regentenschilderungen mit ihren bald grellen, bald blassen und nur zu oft gefaelschten Farben wie auch von dem scheinhaft chronologischen Aneinanderreihen nicht zusammenpassender Fragmente, und dafuer zu sammeln und zu ordnen, was fuer die Darstellung des roemischen Provinzialregiments die Ueberlieferung und die Denkmaeler bieten, der Muehe wert, durch diese oder durch jene zufaellig erhaltene Nachrichten, in dem Gewordenen aufbewahrte Spuren des Werdens, allgemeine Institutionen in ihrer Beziehung auf die einzelnen Landesteile, mit den fuer jeder. derselben, durch die Natur des Bodens und der Bewohner gegebenen Bedingungen, durch die Phantasie, welche wie aller Poesie so auch aller Historie Mutter ist, nicht zu einem Ganzen, aber zu dem Surrogat eines solchen zusammenzufassen. Aber die Epoche Diocletians habe ich dabei nicht hinausgehen wollen, weil das neue Regiment, welches damals geschaffen wurde, hoechstens im zusammenfassenden Ausblick den Schlussstein dieser Erzaehlung bilden kann; seine volle Wuerdigung verlangt eine besondere Erzaehlung und einen anderen Weltrahmen, ein bei schaerferem Verstaendnis des Einzelnen in dem grossen Sinn und mit dem weiten Blick Gibbons durchgefuehrtes selbstaendiges Geschichtswerk. Italien und seine Inseln sind ausgeschlossen worden, da diese Darstellung von der des allgemeinen Reichsregiments nicht getrennt werden kann. Die sogenannte aeussere Geschichte der Kaiserzeit ist aufgenommen als integrierender Teil der Provinzialverwaltung; was wir Reichskriege nennen wuerden, sind gegen das Ausland unter der Kaiserzeit nicht gefuehrt worden, wenngleich die durch die Arrondierung oder Verteidigung der Grenzen hervorgerufenen Kaempfe einige Male Verhaeltnisse annahmen, dass sie als Kriege zwischen zwei gleichartigen Maechten erscheinen, und der Zusammensturz der roemischen Herrschaft in der Mitte des dritten Jahrhunderts, welcher einige Dezennien hindurch ihr definitives Ende werden zu sollen schien, aus der an mehreren Stellen gleichzeitig ungluecklich gefuehrten Grenzverteidigung sich entwickelte. Die grosse Vorschiebung und Regulierung der Nordgrenze, wie sie unter Augustus teilweise ausgefuehrt ward, teilweise misslang, leitet die Erzaehlung ein. Auch sonst sind die Ereignisse auf einem jeden der drei hauptsaechlichsten Schauplaetze der Grenzverteidigung, des Rheins, der Donau, des Euphrat, zusammengefasst worden. Im uebrigen ist die Darstellung nach den Landschaften geordnet. Im einzelnen fesselndes Detail, Stimmungsschilderungen und Charakterkoepfe hat sie nicht zu bieten; es ist dem Kuenstler, aber nicht dem Geschichtschreiber erlaubt, das Antlitz des Arminius zu erfinden. Mit Entsagung ist dies Buch geschrieben und mit Entsagung moechte es gelesen sein. 1. Kapitel Die Nordgrenze Italiens Die roemische Republik hat ihr Gebiet hauptsaechlich auf den Seewegen gegen Westen, Sueden und Osten erweitert; nach derjenigen Richtung hin, in welcher Italien und die von ihm abhaengigen beiden Halbinseln im Westen und im Osten mit dem grossen Kontinent Europas zusammenhaengen, war dies wenig geschehen. Das Hinterland Makedoniens gehorchte den Roemern nicht und nicht einmal der noerdliche Abhang der Alpen; nur das Hinterland der gallischen Suedkueste war durch Caesar zum Reiche gekommen. Bei der Stellung, die das Reich im allgemeinen einnahm, durfte dies so nicht bleiben; die Beseitigung des traegen und unsicheren Regiments der Aristokratie musste vor allem an dieser Stelle sich geltend machen. Nicht so geradezu wie die Eroberung Britanniens hatte Caesar die Ausdehnung des roemischen Gebiets am Nordabhang der Alpen und am rechten Ufer des Rheins den Erben seiner Machtstellung aufgetragen; aber der Sache nach war die letztere Grenzerweiterung bei weitem naeher gelegt und notwendiger als die Unterwerfung der ueberseeischen Kelten, und man versteht es, dass Augustus diese unterliess und jene aufnahm. Dieselbe zerfiel in drei grosse Abschnitte: die Operationen an der Nordgrenze der griechisch-makedonischen Halbinsel im Gebiet der mittleren und unteren Donau, in Illyricum; die an der Nordgrenze Italiens selbst, im oberen Donaugebiet, in Raetien und Noricum; endlich die am rechten Rheinufer, in Germanien. Meistens selbstaendig gefuehrt, haengen die militaerisch-politischen Vornahmen in diesen Gebieten doch innerlich zusammen, und wie sie saemtlich aus der freien Initiative der roemischen Regierung hervorgegangen sind, koennen sie auch in ihrem Gelingen wie in ihrem teilweisen Misslingen nur in ihrer Gesamtheit militaerisch und politisch verstanden werden. Sie werden darum auch mehr im oertlichen als wie zeitlichen Zusammenhang dargelegt werden; das Gebaeude, von dem sie doch nur Teile sind, wird besser in seiner inneren Geschlossenheit als in der Zeitfolge der Bauten betrachtet. Das Vorspiel zu dieser grossen Gesamtaktion machen die Einrichtungen, welche Caesar der Sohn, so wie er in Italien und Sizilien freie Hand gewonnen hatte, an den oberen Kuesten des Adriatischen Meeres und im angrenzenden Binnenland vornahm. In den hundertundfuenfzig Jahren, die seit der Gruendung Aquileias verflossen waren, hatte wohl der roemische Kaufmann von dort aus sich des Verkehrs mehr und mehr bemaechtigt, aber der Staat unmittelbar nur geringe Fortschritte gemacht. An den Haupthaefen der dalmatinischen Kueste, ebenso auf der von Aquileia in das Savetal fuehrenden Strasse bei Nauportus (Ober-Laibach) hatten sich ansehnliche Handelsniederlassungen gebildet; Dalmatien, Bosnien, Istrien und die Krain galten als roemisches Gebiet und wenigstens das Kuestenland war in der Tat botmaessig; aber die rechtliche Staedtegruendung stand noch ebenso aus wie die Baendigung des unwirtlichen Binnenlandes. Hier aber kam noch ein anderes Moment hinzu. In dem Kriege zwischen Caesar und Pompeius hatten die einheimischen Dalmater ebenso entschieden fuer den letzteren Partei ergriffen wie die dort ansaessigen Roemer fuer Caesar; auch nach der Niederlage des Pompeius bei Pharsalos und nach der Verdraengung der Pompeianischen Flotte aus den illyrischen Gewaessern setzten die Eingeborenen den Widerstand energisch und erfolgreich fort. Der tapfere und faehige Publius Vatinius, der frueher in diese Kaempfe mit grossem Erfolg eingegriffen hatte, wurde mit einem starken Heere nach Illyricum gesandt, wie es scheint in dem Jahre vor Caesars Tode und nur als Vorhut des Hauptheeres, mit welchem der Diktator selbst nachfolgend die eben damals maechtig emporstrebenden Daker niederzuwerfen und die Verhaeltnisse im ganzen Donaugebiet zu ordnen beabsichtigte. Diesen Plan schnitten die Dolche der Moerder ab; man musste sich gluecklich schaetzen, dass die Daker nicht ihrerseits in Makedonien eindrangen, und Vatinius selbst focht gegen die Dalmater ungluecklich und mit starken Verlusten. Als dann die Republikaner im Osten ruesteten, ging das illyrische Heer in das des Brutus ueber und die Dalmatiner blieben laengere Zeit unangefochten. Nach der Niederwerfung der Republikaner liess Antonius, dem bei der Teilung des Reiches Makedonien zugefallen war, im Jahre 715 (39) die unbotmaessigen Dardaner im Nordwesten und die Parthiner an der Kueste (oestlich von Durazzo) zu Paaren treiben, wobei der beruehmte Redner Gaius Asinius Pollio die Ehren des Triumphes gewann. In Illyricum, welches unter Caesar stand, konnte nichts geschehen, solange dieser seine ganze Macht auf den sizilischen Krieg gegen Sextus Pompeius wenden musste; aber nach dessen gluecklicher Beendigung warf Caesar selbst sich mit aller Kraft auf diese Aufgabe. Die kleinen Voelkerschaften von Doclea (Cernagora) bis zu den Japuden (bei Fiume) wurden in dem ersten Feldzug (719 35) zur Botmaessigkeit zurueckgebracht oder jetzt zuerst gebaendigt. Es war kein grosser Krieg mit namhaften Feldschlachten, aber die Gebirgskaempfe gegen die tapferen und verzweifelnden Staemme und das Brechen der festen, zum Teil mit roemischen Maschinen ausgeruesteten Burgen waren keine leichte Aufgabe; in keinem seiner Kriege hat Caesar in gleichem Grade eigene Energie und persoenliche Tapferkeit entwickelt. Nach der muehsamen Unterwerfung des Japudengebiets marschierte er noch in demselben Jahre im Tal der Kulpa aufwaerts zu deren Muendung in die Save; die dort gelegene feste Ortschaft Siscia (Sziszek), der Hauptwaffenplatz der Pannonier, gegen den bisher die Roemer noch nie mit Erfolg vorgegangen waren, ward jetzt besetzt und zum Stuetzpunkt bestimmt fuer den Krieg gegen die Daker, den Caesar demnaechst aufzunehmen gedachte. In den beiden folgenden Jahren (720, 721 34, 33) wurden die Dalmater, die seit einer Reihe von Jahren gegen die Roemer in Waffen standen, nach dem Fall ihrer Feste Promona (Promina bei Dernis, oberhalb Sebenico) zur Unterwerfung gezwungen. Wichtiger aber als diese Kriegserfolge war das Friedenswerk, das zugleich sich vollzog und zu dessen Sicherung sie dienen sollten. Ohne Zweifel in diesen Jahren erhielten die Hafenplaetze an der istrischen und dalmatinischen Kueste, soweit sie in dem Machtbereich Caesars lagen, Tergeste (Triest), Pola, Iader (Zara), Salome (bei Spalato), Narona (an der Narentamuendung), nicht minder jenseits der Alpen, auf der Strasse von Aquileia ueber die Julische Alpe zur Save, Emona (Laibach), durch den zweiten Julier zum Teil staedtische Mauern, saemtlich staedtisches Recht. Die Plaetze selbst bestanden wohl alle schon laengst als roemische Flecken; aber es war immer von wesentlicher Bedeutung, dass sie jetzt unter die italischen Gemeinden gleichberechtigt eingereiht wurden. Der Dakerkrieg sollte folgen; aber der Buergerkrieg ging zum zweitenmal ihm vor. Statt nach Illyricum rief er den Herrscher in den Osten; und der grosse Entscheidungskampf zwischen Caesar und Antonius warf seine Wellen bis in das ferne Donaugebiet. Das durch den Koenig Burebista geeinigte und gereinigte Volk der Daker, jetzt unter dem Koenig Cotiso, sah sich von beiden Gegnern umworben - Caesar wurde sogar beschuldigt, des Koenigs Tochter zur Ehe begehrt und ihm dagegen die Hand seiner fuenfjaehrigen Tochter Julia angetragen zu haben. Dass der Daker im Hinblick auf die von dem Vater geplante, von dem Sohn durch die Befestigung Siscias eingeleitete Invasion sich auf Antonius’ Seite schlug, ist begreiflich; und haette er ausgefuehrt, was man in Rom besorgte, waere er, waehrend Caesar im Osten focht, vom Norden her in das wehrlose Italien eingedrungen, oder haette Antonius nach dem Vorschlag der Daker die Entscheidung statt in Epirus vielmehr in Makedonien gesucht und dort die dakischen Scharen an sich gezogen, so waeren die Wuerfel des Kriegsgluecks vielleicht anders gefallen. Aber weder das eine noch das andere geschah; zudem brach eben damals der durch Burebistas kraeftige Hand geschaffene Dakerstaat wieder auseinander; die inneren Unruhen, vielleicht auch von Norden her die Angriffe der germanischen Bastarner und der spaeterhin Dakien nach allen Richtungen umklammernden sarmatischen Staemme, verhinderten die Daker, in den auch ueber ihre Zukunft entscheidenden roemischen Buergerkrieg einzugreifen. Unmittelbar nachdem die Entscheidung in diesem gefallen war, wandte sich Caesar zu der Regulierung der Verhaeltnisse an der unteren Donau. Indes da teils die Daker selbst nicht mehr so wie frueher zu fuerchten waren, teils Caesar jetzt nicht mehr bloss ueber Illyricum, sondern ueber die ganze griechischmakedonische Halbinsel gebot, wurde zunaechst diese die Basis der roemischen Operationen. Vergegenwaertigen wir uns die Voelker und die Herrschaftsverhaeltnisse; die Augustus dort vorfand. Makedonien war seit Jahrhunderten roemische Provinz. Als solche reichte es nicht hinaus noerdlich ueber Stobi und oestlich ueber das Rhodopegebirge; aber der Machtbereich Roms erstreckte sich weit ueber die eigentliche Landesgrenze, obwohl in schwankendem Umfang und ohne feste Form. Ungefaehr scheinen die Roemer damals bis zum Haemus (Balkan) die Vormacht gehabt zu haben, waehrend das Gebiet jenseits des Balkan bis zur Donau wohl einmal von roemischen Truppen betreten, aber keineswegs von Rom abhaengig war ^1. Jenseits des Rhodopegebirges waren die Makedonien benachbarten thrakischen Dynasten, namentlich die der Odrysen, denen der groesste Teil der Suedkueste und ein Teil der Kueste des Schwarzen Meeres botmaessig war, durch die Expedition des Lucullus unter roemische Schutzherrschaft gekommen, waehrend die Bewohner der mehr binnenlaendischen Gebiete, namentlich die Besser an der oberen Mariza Untertanen wohl hiessen, aber nicht waren und ihre Einfaelle in das befriedete Gebiet sowie die Vergeltungszuege in das ihrige stetig fortgingen. So hatte um das Jahr 694 (60) der leibliche Vater des Augustus, Gaius Octavius, und im Jahre 711 (43) waehrend der Vorbereitungen zu dem Kriege gegen die Triumvirn Marcus Brutus gegen sie gestritten. Eine andere thrakische Voelkerschaft, die Dentheleten (in der Gegend von Sofia), hatten noch in Ciceros Zeit bei einem Einfall in Makedonien Miene gemacht, dessen Hauptstadt Thessalonike zu belagern. Mit den Dardanern, den westlichen Nachbarn der Thraker, einem Zweig der illyrischen Voelkerfamilie, welche das suedliche Serbien und den Distrikt Prisrend bewohnten, hatte der Amtsvorgaenger des Lucullus, Curio, mit Erfolg und ein Dezennium spaeter Ciceros Kollege im Konsulat, Gaius Antonius, im Jahre 692 (62) ungluecklich gefochten. Unterhalb des dardanischen Gebiets, unmittelbar an der Donau, sassen wieder thrakische Staemme, die einstmals maechtigen, jetzt herabgekommenen Triballer im Tal des Oescus (in der Gegend von Plewna), weiterhin an beiden Ufern der Donau bis zur Muendung Daker, oder wie sie am rechten Donauufer mit dem alten, auch den asiatischen Stammgenossen gebliebenen Volksnamen gewoehnlich genannt wurden, Myser oder Moeser, wahrscheinlich zu Burebistas Zeit ein Teil seines Reiches, jetzt wieder in verschiedene Fuerstentuemer zersplittert. Die maechtigste Voelkerschaft aber zwischen Balkan und Donau waren damals die Bastarner. Wir sind diesem tapferen und zahlreichen Stamm, dem oestlichsten Zweig der grossen germanischen Sippe, schon mehrfach begegnet. Eigentlich ansaessig hinter den transdanuvianischen Dakern jenseits der Gebirge, die Siebenbuergen von der Moldau scheiden, an den Donaumuendungen und in dem weiten Gebiet von da zum Dnjestr, befanden sie sich selber ausserhalb des roemischen Bereichs; aber vorzugsweise aus ihnen hatte sowohl Koenig Philipp von Makedonien wie Koenig Mithradates von Pontus seine Heere gebildet und in dieser Weise hatten die Roemer schon frueher oft mit ihnen gestritten. Jetzt hatten sie in grossen Massen die Donau ueberschritten und sich noerdlich vom Haemus festgesetzt; insofern der dakische Krieg, wie ihn Caesar der Vater und dann der Sohn geplant hatten, ohne Zweifel der Gewinnung des rechten Ufers der unteren Donau galt, war er nicht minder gegen sie gerichtet wie gegen die rechtsufrigen dakischen Moeser. Die griechischen Kuestenstaedte in dem Barbarenland Odessos (bei Varna), Tomis, Istropolis, schwer bedraengt durch dies Voelkergewoge, waren hier wie ueberall die geborenen Klienten der Roemer. ----------------------------------------------------- ^1 Dies sagt ausdruecklich Dio (51, 23) zum Jahre 725 (29): teos men o?n ta?t epoioyn (d. h. solange die Bastarner nur die Triballer - bei Oescus in Niedermoesien - und die Dardaner in Obermoesien angriffen), oyden sphisi pragma pros to?s R/o/maioys /e/n. Epei de ton te Aimon yperebesan kai t/e/n THrak/e/n t/e/n Denthel/e/t/o/n enspondon aytois o?san katedramon k. t. l. Die Bundesgenossen in Moesien, von denen Dio 38, 10 spricht, sind die Kuestenstaedte. ----------------------------------------------------- Zur Zeit der Diktatur Caesars, als Burebista auf der Hoehe seiner Macht stand, hatten die Daker an der Kueste bis hinab nach Apollonia jenen fuerchterlichen Verheerungszug ausgefuehrt, dessen Spuren noch nach anderthalb Jahrhunderten nicht verwischt waren. Es mag wohl zunaechst dieser Einfall gewesen sein, welcher Caesar den Vater bestimmte, den Dakerkrieg zu unternehmen; und nachdem der Sohn jetzt auch ueber Makedonien gebot, musste er allerdings sich verpflichtet fuehlen, eben hier sofort und energisch einzugreifen. Die Niederlage, die Ciceros Kollege Antonius bei Istropolis durch die Bastarner erlitten hatte, darf als ein Beweis dafuer genommen werden, dass diese Griechen wieder einmal der Hilfe der Roemer bedurften. In der Tat wurde bald nach der Schlacht bei Actium (725 29) Marcus Licinius Crassus, der Enkel des bei Karrhae gefallenen, von Caesar als Statthalter nach Makedonien gesandt und beauftragt, den zweimal verhinderten Feldzug nun auszufuehren. Die Bastarner, welche eben damals in Thrakien eingefallen waren, fuegten sich ohne Widerstand, als Crassus sie auffordern liess, das roemische Gebiet zu verlassen; aber ihr Rueckzug genuegte dem Roemer nicht. Er ueberschritt seinerseits den Haemus ^2, schlug am Einfluss des Cibrus (Tzibritza) in die Donau die Feinde, deren Koenig Deldo auf der Wahlstatt blieb, und nahm, was aus der Schlacht in eine nahe Festung entkommen war, mit Hilfe eines zu den Roemern haltenden Dakerfuersten gefangen. Ohne weiteren Widerstand zu leisten, unterwarf sich dem Ueberwinder der Bastarner das gesamte moesische Gebiet. Diese kamen im naechsten Jahr wieder, um die erlittene Niederlage wettzumachen; aber sie unterlagen abermals und mit ihnen, was von den moesischen Staemmen wieder zu den Waffen gegriffen hatte. Damit waren diese Feinde von dem rechten Donauufer ein fuer allemal ausgewiesen und dieses vollstaendig der roemischen Herrschaft unterworfen. Zugleich wurden die noch nicht botmaessigen Thraker gebaendigt, den Bessern das nationale Heiligtum des Dionysos genommen und die Verwaltung desselben den Fuersten der Odrysen uebertragen, welche ueberhaupt seitdem unter dem Schutz der roemischen Obergewalt die Oberherrlichkeit ueber die thrakischen Voelkerschaften suedlich vom Haemus fuehrten oder doch fuehren sollten. Unter seinen Schutz wurden ferner die griechischen Kuestenstaedte am Schwarzen Meere gestellt und auch das uebrige eroberte Gebiet verschiedenen Lehnsfuersten zugeteilt, auf die somit zunaechst der Schutz der Reichsgrenze ueberging ^3; eigene Legionen hatte Rom fuer diese fernen Landschaften nicht uebrig. Makedonien wurde dadurch zur Binnenprovinz, die der militaerischen Verwaltung nicht ferner bedurfte. Das Ziel, das bei jenen dakischen Kriegsplaenen ins Auge gefasst worden war, war erreicht. -------------------------------------------------------- ^2 Wenn Dio sagt (51, 23): t/e/n Segetik/e/n kakoymen/e/n prosepoi/e/sato kai es t/e/n Mysida enebale, so kann jene Stadt wohl nur Serdica sein, das heutige Sofia, am oberen Oescus, der Schluessel fuer das moesische Land. ^3 Nach dem Feldzug des Crassus ist das eroberte Land wahrscheinlich in der Weise organisiert worden, dass die Kueste zum Thrakischen Reich kam, wie dies G. Zippel (Die roemische Herrschaft in Illyricum bis auf Augustus. Leipzig 1877, S. 243) dargetan hat, der westliche Teil aber, aehnlich wie Thrakien den einheimischen Fuersten zu Lehen gegeben ward, an deren eines Stelle der noch unter Tiberius fungierende praefectus civitatium Moesiae et Triballiae (CIL V, 1838) getreten sein muss. Die uebliche Annahme, dass Moesien anfaenglich mit Illyricum verbunden gewesen sei, ruht nur darauf, dass dasselbe bei der Aufzaehlung der im Jahre 727 (27) zwischen Kaiser und Senat geteilten Provinzen bei Dio 53, 12 nicht genannt werde und also in "Dalmatien" enthalten sei. Aber auf die Lehnsstaaten und die prokuratorischen Provinzen erstreckt sich diese Aufzaehlung ueberhaupt nicht und insofern ist bei jener Annahme alles in Ordnung. Dagegen sprechen gegen die gewoehnliche Auffassung schwerwiegende Argumente. Waere Moesien urspruenglich ein Teil der Provinz Illyricum gewesen, so haette es diesen Namen behalten; denn bei Teilung der Provinz pflegt der Name zu bleiben und nur ein Determinativ hinzuzutreten. Die Benennung Illyricum aber, die Dio ohne Zweifel a. a. O. wiedergibt, hat sich in dieser Verbindung immer beschraenkt auf das obere (Dalmatien) und das untere (Pannonien). Ferner bleibt, wenn Moesien ein Teil von Illyricum war, fuer jenen Praefekten von Moesien und Triballien, resp. seinen koeniglichen Vorgaenger kein Raum. Endlich ist es wenig wahrscheinlich, dass im Jahre 727 (27) einem einzigen senatorischen Statthalter ein Kommando von dieser Ausdehnung und Wichtigkeit anvertraut worden ist. Dagegen erklaert sich alles einfach, wenn nach dem Kriege des Crassus in Moesien kleine Klientelstaaten entstanden; diese standen als solche von Haus aus unter dem Kaiser, und da bei deren sukzessiver Einziehung und Umwandlung in eine Statthalterschaft der Senat nicht mitwirkte, konnte sie leicht in den Annalen ausfallen. Vollzogen hat sie sich in oder vor dem Jahre 743 (11), da der damals den Krieg gegen die Thraker fuehrende Statthalter L. Calpurnius Piso, dem Dio 54, 34 irrig die Provinz Pamphylien beilegt, als Provinz nur Pannonien oder Moesien gehabt haben kann und da in Pannonien damals Tiberius als Legat fungierte, fuer ihn nur Moesien uebrig bleibt. Im Jahre 6 n. Chr. erscheint sicher ein kaiserlicher Statthalter von Moesien. -------------------------------------------------------- Allerdings war dieses Ziel nur ein vorlaeufiges. Aber bevor Augustus die definitive Regulierung der Nordgrenze in die Hand nahm, wandte er sich zu der Reorganisation der schon zum Reiche gehoerigen Landschaften; ueber ein Dezennium verging mit der Ordnung der Dinge in Spanien, Gallien, Asien, Syrien. Wie er dann, als dort das Noetige geschehen war, das umfassende Werk angriff, soll nun erzaehlt werden. Italien, das ueber drei Weltteile gebot, war, wie gesagt, noch keineswegs unbedingt Herr im eigenen Hause. Die Alpen, die es gegen Norden beschirmen, waren in ihrer ganzen Ausdehnung von einem Meer zum andern angefuellt mit kleinen, wenig zivilisierten Voelkerschaften illyrischer, raetischer, keltischer Nationalitaet, deren Gebiete zum Teil hart angrenzten an die der grossen Staedte der Transpadana - so das der Trumpiliner (Val Trompia) an die Stadt Brixia, das der Camunner (Val Camonica, oberhalb des Lago d’Iseo) an die Stadt Bergomum, das der Salasser (Val d’Aosta) an Eporedia (Ivrea), und die keineswegs friedliche Nachbarschaft pflogen. Oft genug ueberwunden und als besiegt auf dem Kapitol proklamiert, pluenderten diese Staemme, allen Lorbeeren der vornehmen Triumphatoren zum Trotz, fortwaehrend die Bauern und die Kaufleute Oberitaliens. Ernstlich zu steuern war dem Unwesen nicht, solange die Regierung sich nicht entschloss, die Alpenhoehen zu ueberschreiten und auch den noerdlichen Abhang in ihre Gewalt zu bringen; denn ohne Zweifel stroemten bestaendig zahlreiche dieser Raubgesellen ueber die Berge herueber, um das reiche Nachbarland zu brandschatzen. Auch nach Gallien hin war noch in gleicher Weise zu tun; die Voelkerschaften im oberen Rhonethal (Wallis und Waadt) waren zwar von Caesar unterworfen worden, aber sind auch unter denen genannt, die den Feldherren seines Sohnes zu schaffen machten. Andererseits klagten die friedlichen gallischen Grenzdistrikte ueber die stetigen Einfaelle der Raeter. Eine Geschichtserzaehlung leiden und fordern die zahlreichen Expeditionen nicht, welche Augustus dieser Missstaende halber veranstaltet hat; in den Triumphalfasten sind sie nicht verzeichnet und gehoeren auch nicht hinein, aber sie gaben Italien zum ersten Mal Befriedung des Nordens. Erwaehnt moegen werden die Niederwerfung der oben erwaehnten Camunner im Jahre 738 (16) durch den Statthalter von Illyricum und die gewisser ligurischer Voelkerschaften in der Gegend von Nizza im Jahre 740 (14), weil sie zeigen, wie noch um die Mitte der augustischen Zeit diese unbotmaessigen Staemme unmittelbar auf Italien drueckten. Wenn der Kaiser spaeterhin in dem Gesamtbericht ueber seine Reichsverwaltung erklaerte, dass gegen keine dieser kleinen Voelkerschaften von ihm zu Unrecht Gewalt gebraucht worden sei, so wird dies dahin zu verstehen sein, dass ihnen Gebietsabtretungen und Sitzwechsel angesonnen wurden und sie sich dagegen zur Wehr setzten; nur der unter Koenig Cottius von Segusio (Susa) vereinigte kleine Gauverband fuegte sich ohne Kampf in die neue Ordnung. Der Schauplatz dieser Kaempfe waren die suedlichen Abhaenge und die Taeler der Alpen. Es folgte die Festsetzung auf dem Nordabhang der Gebirge und in dem noerdlichen Vorlande im Jahre 739 (15). Die beiden dem kaiserlichen Hause zugezaehlten Stiefsoehne Augusts, Tiberius, der spaetere Kaiser, und sein Bruder Drusus, wurden damit in die ihnen bestimmte Feldherrnlaufbahn eingefuehrt - es waren sehr sichere und sehr dankbare Lorbeeren, die ihnen in Aussicht gestellt wurden. Von Italien aus das Tal der Etsch hinauf drang Drusus in die raetischen Berge ein und erfocht hier einen ersten Sieg; fuer das weitere Vordringen reichte ihm der Bruder, damals Statthalter Galliens, vom helvetischen Gebiet aus die Hand; auf dem Bodensee selbst schlugen die roemischen Trieren die Boote der Vindeliker; an dem Kaisertag, dem 1. August 739 (15), wurde in der Umgegend der Donauquellen die letzte Schlacht geschlagen, durch die Raetien und das Vindelikerland, das heisst Tirol, die Ostschweiz und Bayern, fortan Bestandteile des Roemischen Reiches wurden. Kaiser Augustus selbst war nach Gallien gegangen, um den Krieg und die Einrichtung der neuen Provinz zu ueberwachen. Da wo die Alpen am Golf von Genua endigen, auf der Hoehe oberhalb Monaco, wurde einige Jahre darauf von dem dankbaren Italien dem Kaiser Augustus ein weit in das Tyrrhenische Meer hinausschauendes, noch heute nicht ganz verschwundenes Denkmal dafuer errichtet, dass unter seinem Regiment die Alpenvoelker alle vom oberen zum unteren Meer - ihrer sechsundvierzig zaehlt die Inschrift auf - in die Gewalt des roemischen Volkes gebracht worden waren. Es war nicht mehr als die einfache Wahrheit, und dieser Krieg das, was der Krieg sein soll, der Schirmer und der Buerge des Friedens. Schwieriger wohl als die eigentliche Kriegsarbeit war die Organisation des neuen Gebietes; insbesondere auch deshalb, weil die inneren politischen Verhaeltnisse hier zum Teil recht stoerend eingriffen. Da nach der Lage der Dinge das militaerische Schwergewicht nicht in Italien liegen durfte, so musste die Regierung darauf bedacht sein, die grossen Militaerkommandos aus der unmittelbaren Naehe Italiens moeglichst zu entfernen; ja es hat wohl bei der Besetzung Raetiens selbst das Bestreben mitgewirkt, das Kommando, welches wahrscheinlich bis dahin in Oberitalien selbst nicht hatte entbehrt werden koennen, definitiv von dort wegzulegen, wie es dann auch zur Ausfuehrung kam. Was man zunaechst erwarten sollte, dass fuer die in dem neugewonnenen Gebiet unentbehrlichen militaerischen Aufstellungen ein grosser Mittelpunkt am Nordabhang der Alpen geschaffen worden waere, davon geschah das gerade Gegenteil. Es wurde zwischen Italien einerund den grossen Rheinund Donaukommandos andererseits ein Guertel kleinerer Statthalterschaften gezogen, die nicht bloss alle vom Kaiser, sondern auch durchaus mit dem Senat nicht angehoerigen Maennern besetzt wurden. Italien und die suedgallische Provinz wurden geschieden durch die drei kleinen Militaerdistrikte der Seealpen (Departement der Seealpen und Provinz Cuneo), der Kottischen mit der Hauptstadt Segusio (Susa) und wahrscheinlich der Graischen (Ostsavoyen), unter denen der zweite, von dem schon genannten Gaufuersten Cottius und seinen Nachkommen eine Zeitlang in den Formen der Klientel verwaltete ^4 am meisten bedeutete, die aber alle eine gewisse Militaergewalt besassen und deren naechste Bestimmung war, in dem betreffenden Gebiet und vor allem auf den wichtigen, dasselbe durchschneidenden Reichsstrassen die oeffentliche Sicherheit zu erhalten. Das obere Rhonetal dagegen, also das Wallis, und das neu eroberte Raetien wurden einem nicht im Rang, aber wohl an Macht hoeher stehenden Befehlhaber untergeben; ein relativ ansehnliches Korps war hier nun einmal unumgaenglich erforderlich. Indes wurde, um dasselbe moeglichst verringern zu koennen, Raetien durch Entfernung seiner Bewohner im grossen Massstab entvoelkert. Den Ring schloss die aehnlich organisierte Provinz Noricum, den groessten Teil des heutigen deutschen Osterreich umfassend. Diese weite und fruchtbare Landschaft hatte sich ohne wesentlichen Widerstand der roemischen Herrschaft unterworfen, wahrscheinlich in der Form, dass hier zunaechst ein abhaengiges Fuerstenrum entstand, bald aber der Koenig dem kaiserlichen Prokurator wich, von dem er ohnehin sich nicht wesentlich unterschied. Von den Rheinund Donaulegionen erhielten allerdings einige ihre Standlager in der unmittelbaren Naehe, einerseits der raetischen Grenze bei Vindonissa, andererseits der norischen bei Poetovio, offenbar, um auf die Nachbarprovinz zu druecken; aber Armeen ersten Ranges mit Legionen unter senatorischen Generalen gab es in jenem Zwischenbereich so wenig wie senatorische Statthalter. Das Misstrauen gegen das neben dem Kaiser den Staat regierende Kollegium findet in dieser Einrichtung einen sehr drastischen Ausdruck. ------------------------------------------- ^4 Der offizielle Titel des Cottius war nicht Koenig, wie der seines Vaters Donnus, sondern "Gauverbandsvorstand" (praefectus civitatium), wie er auf dem noch stehenden, im Jahre 745/46 (9/8) von ihm zu Ehren des Augustus errichteten Bogen von Susa genannt wird. Aber die Stellung war ohne Zweifel lebenslaenglich und, unter Vorbehalt der Bestaetigung des Lehnsherrn, auch erblich, also insofern der Verband allerdings ein Fuerstentum, wie er auch gewoehnlich heisst. ------------------------------------------- Naechst der Befriedung Italiens war der Hauptzweck dieser Organisation die Sicherung seiner Kommunikationen mit dem Norden, die fuer den Handelsverkehr von nicht minder einschneidender Bedeutung war wie in militaerischer Beziehung. Mit besonderer Energie griff Augustus diese Aufgabe an und es ist wohl verdient, dass in den Namen Aosta und Augsburg, vielleicht auch in dem der Julischen Alpen der seinige noch heute fortlebt. Die alte Kuestenstrasse, die Augustus von der ligurischen Kueste durch Gallien und Spanien bis an den Atlantischen Ozean teils erneuerte, teils herstellte, hat nur Handelszwecken dienen koennen. Auch die Strasse ueber die Kottische Alpe, schon durch Pompeius eroeffnet, ist unter Augustus durch den schon erwaehnten Fuersten von Susa ausgebaut und nach ihm benannt worden; ebenfalls eine Handelsstrasse, verknuepft sie Italien ueber Turin und Susa mit der Handelshauptstadt Suedgalliens Arelate. Aber die eigentliche Militaerlinie, die unmittelbare Verbindung zwischen Italien und den Rheinlagern fuehrt durch das Tal der Dora Baltea aus Italien teils nach der Hauptstadt Galliens, Lyon, teils nach dem Rhein. Hatte die Republik sich darauf beschraenkt, den Eingang jenes Tals durch die Anlegung von Eporedia (Ivrea) in ihre Gewalt zu bringen, so nahm Augustus dasselbe ganz in Besitz in der Weise, dass er dessen Bewohner, die immer noch unruhigen und schon waehrend des dalmatinischen Krieges von ihm bekaempften Salasser, nicht bloss unterwarf, sondern geradezu austilgte - ihrer 36000, darunter 8000 streitbare Maenner, wurden auf dem Markt von Eporedia unter dem Hammer in die Sklaverei verkauft und den Kaeufern auferlegt, binnen zwanzig Jahre keinem derselben die Freiheit zu gewaehren. Das Feldlager selbst, von dem aus sein Feldherr Varro Murena im Jahre 729 (25) sie schliesslich aufs Haupt geschlagen hatte, wurde die Festung, welche, besetzt mit 3000 der Kaisergarde entnommenen Ansiedlern, die Verbindungen sichern sollte, die Stadt Augusta Praetoria, das heutige Aosta, deren damals errichtete Mauern und Tore noch heute stehen. Sie beherrschte spaeter zwei Alpenstrassen, sowohl die ueber die Grafische Alpe oder den Kleinen St. Bernhard an der oberen Isere und der Rhone nach Lyon fuehrende wie die, welche ueber die Poeninische Alpe, den Grossen St. Bernhard, zum Rhonetal und zum Genfer See und von da in die Taeler der Aare und des Rheins lief. Aber fuer die erste dieser Strassen ist die Stadt angelegt worden, da sie urspruenglich nur nach Osten und Westen fuehrende Tore gehabt hat, und es konnte dies auch nicht anders sein, da die Festung ein Dezennium vor der Besetzung Raetiens gebaut ward, auch in jenen Jahren die spaetere Organisation der Rheinlager noch nicht bestand und die direkte Verbindung der Hauptstaedte Italiens und Galliens durchaus in erster Reihe stand. In der Richtung auf die Donau zu ist der Anlage von Emona an der oberen Save auf der alten Handelsstrasse von Aquileia ueber die Julische Alpe in das pannonische Gebiet schon gedacht worden; diese Strasse war zugleich die Hauptader der militaerischen Verbindung von Italien mit dem Donaugebiet. Mit der Eroberung Raetiens endlich verband sich die Eroeffnung der Strasse, welche von der letzten italischen Stadt Tridentum (Trient) das Etschtal hinauf zu der im Lande der Vindeliker neu angelegten Augusta, dem heutigen Augsburg, und weiter zur oberen Donau fuehrte. Als dann der Sohn des Feldherrn, der dieses Gebiet zuerst aufgeschlossen hatte, zur Regierung gelangte, ist dieser Strasse der Name der Claudischen beigelegt worden ^5. Sie stellte zwischen Raetien und Italien die militaerisch unentbehrliche Verbindung her; indes hat sie in Folge der relativ geringen Bedeutung der raetischen Armee und wohl auch in Folge der schwierigeren Kommunikation niemals die Bedeutung gehabt wie die Strasse von Aosta. ------------------------------------------------------- ^5 Wir kennen diese Strasse nur in der Gestalt, die der Sohn des Erbauers, Kaiser Claudius, ihr gab; urspruenglich kann sie natuerlich nicht via Claudia Augusta geheissen haben, sondern nur via Augusta, und schwerlich als ihr Endpunkt in Italien Altinum, ungefaehr das heutige Venedig, betrachtet worden sein, da unter Augustus noch alle Reichsstrassen nach Rom fuehrten. Dass die Strasse auch durch das obere Etschtal lief, ist erwiesen durch den bei Meran gefundenen Meilenstein (CIL V 8003); dass sie an die Donau fuehrte, ist bezeugt, die Verbindung dieses Strassenbaus mit der Anlage von Augusta Vindelicum, wenn dies auch zunaechst nur Marktflecken (forum) war, mehr als wahrscheinlich (CIL III, p. 711); auf welchem Wege von Meran aus Augsburg und die Donau erreicht wurden, wissen wir nicht. Spaeterhin ist die Strasse dahin korrigiert worden, dass sie bei Bozen die Etsch verlaesst und das Eisacktal hinauf ueber den Brenner nach Augsburg fuehrt. ------------------------------------------------------- Die Alpenpaesse und der Nordabhang der Alpen waren somit in gesichertem roemischen Besitz. Jenseits der Alpen erstreckte sich oestlich vom Rhein das germanische Land, suedwaerts der Donau das der Pannonier und der Moeser. Auch hier wurde kurz nach der Besetzung Raetiens, und ziemlich gleichzeitig nach beiden Seiten hin, die Offensive ergriffen. Betrachten wir zunaechst die Vorgaenge an der Donau. Das Donaugebiet, allem Anschein nach bis zum Jahre 727 (27) mit Oberitalien zusammen verwaltet, wurde damals bei der Reorganisation des Reiches ein selbstaendiger Verwaltungsbezirk Illyricum unter eigenem Statthalter. Er bestand aus Dalmatien mit seinem Hinterland bis zum Drin, waehrend die Kueste weiter suedwaerts seit langem zur Statthalterschaft Makedonien gehoerte, und den roemischen Besitzungen im Lande der Pannonier an der Save. Das Gebiet zwischen dem Haemus und der Donau bis zum Schwarzen Meer, welches kurz zuvor Crassus in Reichsabhaengigkeit gebracht hatte, sowie nicht minder Noricum und Raetien standen im Klientelverhaeltnis zu Rom, gehoerten also zwar nicht zu diesem Sprengel, aber hingen doch zunaechst von dem Statthalter Illyricums ab. Auch das noch keineswegs beruhigte Thrakien suedlich vom Haemus fiel militaerisch in denselben Bereich. Es ist eine bis in spaete Zeit bestehende Fortwirkung dieser urspruenglichen Organisation gewesen, dass das ganze Donaugebiet von Raetien bis Moesien als ein Zollbezirk unter dem Namen Illyricum im weiteren Sinne zusammengefasst worden ist. Legionen standen nur in dem eigentlichen Illyricum, in den uebrigen Distrikten wahrscheinlich gar keine Reichstruppen, hoechstens kleinere Detachements; das Oberkommando fuehrte der aus dem Senat hervorgehende Prokonsul der neuen Provinz, waehrend die Soldaten und die Offiziere selbstverstaendlich kaiserlich waren. Es zeugt von dem ernsten Charakter der nach der Eroberung Raetiens beginnenden Offensive, dass zunaechst der Nebenherrscher Agrippa das Kommando im Donaugebiet uebernahm, dem der Prokonsul von Illyricum von Rechts wegen sich unterzuordnen hatte, und dann, als Agrippas ploetzlicher Tod im Fruehjahr 742 (12) diese Kombination scheitern machte, im Jahre darauf Illyricum in kaiserliche Verwaltung ueberging, also die kaiserlichen Feldherren hier das Oberkommando erhielten. Bald bildeten sich hier drei militaerische Mittelpunkte, welche dann auch die administrative Dreiteilung des Donaugebiets herbeifuehrten. Die kleinen Fuerstentuemer in dem von Crassus eroberten Gebiet machten der Provinz Moesien Platz, deren Statthalter fortan in dem heutigen Serbien und Bulgarien die Grenzwacht hielt gegen Daker und Bastarner. In der bisherigen Provinz Illyricum wurde ein Teil der Legionen an der Kerka und der Cettina postiert, um die immer noch schwierigen Dalmater im Zaum zu halten. Die Hauptmacht stand in Pannonien an der damaligen Reichsgrenze, der Save. Chronologisch genau laesst sich diese Dislokation der Legionen und Organisation der Provinzen nicht fixieren; wahrscheinlich haben die gleichzeitig gefuehrten ernsthaften Kriege gegen die Pannonier und die Thraker, von denen wir gleich zu berichten haben werden, zunaechst dazu gefuehrt, die Statthalterschaft von Moesien einzurichten, und haben erst einige Zeit nachher die dalmatischen Legionen und die an der Save eigene Oberbefehlshaber erhalten. Wie die Expeditionen gegen die Pannonier und die Germanen gleichsam eine Wiederholung des raetischen Feldzugs in erweitertem Massstab sind, so waren auch die Fuehrer, welche mit dem Titel kaiserlicher Legaten an die Spitze gestellt wurden, dieselben; wieder die beiden Prinzen des kaiserlichen Hauses, Tiberius, der an Agrippas Stelle das Kommando in Illyricum uebernahm, und Drusus, der an den Rhein ging, beide jetzt nicht mehr unerprobte Juenglinge, sondern Maenner in der Bluete ihrer Jahre und schwerer Arbeit wohl gewachsen. An naechsten Anlaessen fuer die Kriegfuehrung fehlte es in der Donaugegend nicht. Raubgesindel aus Pannonien und selbst aus dem friedlichen Noricum pluenderte im Jahre 738 (16) bis nach Istrien hinein. Zwei Jahre darauf ergriffen die illyrischen Provinzialen gegen ihre Herren die Waffen und obwohl sie dann, als Agrippa im Herbst des Jahres 741 (13) das Kommando uebernahm, ohne Widerstand zu leisten zum Gehorsam zurueckkehrten, sollen doch unmittelbar nach seinem Tode die Unruhen aufs neue begonnen haben. Wir vermoegen nicht zu sagen, wieweit diese roemischen Erzaehlungen der Wahrheit entsprechen; der eigentliche Grund und Zweck dieses Krieges war gewiss die durch die allgemeine politische Lage geforderte Vorschiebung der roemischen Grenze. Ueber die drei Kampagnen des Tiberius in Pannonien 742 bis 744 (12-10) sind wir sehr unvollkommen unterrichtet. Als Ergebnis derselben wurde von der Regierung die Feststellung der Donaugrenze fuer die Provinz Illyricum angegeben. Dass diese seitdem in ihrem ganzen Laufe als die Grenze des roemischen Gebiets angesehen wurde, ist ohne Zweifel richtig, aber eine eigentliche Unterwerfung oder gar eine Besetzung dieses ganzen weiten Gebiets ist damals keineswegs erfolgt. Hauptsaechlichen Widerstand gegen Tiberius leisteten die schon frueher fuer roemisch erklaerten Voelkerschaften, insbesondere die Dalmater; unter den damals zuerst effektiv unterworfenen ist die namhafteste die der pannonischen Breuker an der unteren Save. Schwerlich haben die roemischen Heere waehrend dieser Feldzuege die Drau auch nur ueberschritten, auf keinen Fall ihre Standlager an die Donau verlegt. Das Gebiet zwischen Save und Drau wurde allerdings besetzt und das Hauptquartier der illyrischen Nordarmee von Siscia an der Save nach Poetovio (Pettau) an der mittleren Drau verlegt, waehrend in dem vor kurzem besetzten norischen Gebiet die roemischen Besatzungen bis an die Donau bei Carnuntum reichten (Petronell bei Wien), damals die letzte norische Stadt gegen Osten. Das weite und grosse Gebiet zwischen der Drau und der Donau, das heutige westliche Ungarn, ist allem Anschein nach damals nicht einmal militaerisch besetzt worden. Es entsprach dies dem Gesamtplan der begonnenen Offensive; man suchte die Fuehlung mit dem gallischen Heer, und fuer die neue Reichsgrenze im Nordosten war der natuerliche Stuetzpunkt nicht Ofen, sondern Wien. Gewissermassen eine Ergaenzung zu dieser pannonischen Expedition des Tiberius bildet diejenige, welche gleichzeitig gegen die Thraker von Lucius Piso unternommen ward, vielleicht dem ersten eigenen Statthalter, den Moesien gehabt hat. Die beiden grossen benachbarten Nationen, die Illyriker und die Thraker, von denen in einem spaeteren Abschnitt eingehender gehandelt werden wird, standen damals gleichmaessig zur Unterwerfung. Die Voelkerschaften des inneren Thrakiens erwiesen sich noch stoerriger als die Illyriker und den von Rom ihnen gesetzten Koenigen wenig botmaessig; im Jahre 738 (16) musste ein roemisches Heer dort einruecken und den Fuersten gegen die Besser zu Hilfe kommen. Wenn wir genauere Berichte ueber die dort wie hier in den Jahren 741 bis 743 (13-11) gefuehrten Kaempfe haetten, wuerde das gleichzeitige Handeln der Thraker und der Illyriker vielleicht als gemeinschaftliches erscheinen. Gewiss ist es, dass die Masse der Thrakerstaemme suedlich vom Haemus und vermutlich auch die in Moesien sitzenden sich an diesem Nationalkrieg beteiligten, und dass die Gegenwehr der Thraker nicht minder hartnaeckig war als die der Illyriker. Es war fuer sie zugleich ein Religionskrieg; das den Bessern genommene und den roemisch gesinnten Odrysenfuersten ueberwiesene Dionysosheiligtum ^6 war nicht vergessen; ein Priester dieses Dionysos stand an der Spitze der Insurrektion und sie richtete sich zunaechst eben gegen jene Odrysenfuersten. Der eine derselben wurde gefangen und getoetet, der andere verjagt; die zum Teil nach roemischem Muster bewaffneten und disziplinierten Insurgenten siegten indem ersten Treffen ueber Piso und drangen vor bis nach Makedonien und in den Thrakischen Chersones; man fuerchtete fuer Asien. Indes die roemische Zucht behielt doch schliesslich das Uebergewicht auch ueber diese tapferen Gegner; in mehreren Feldzuegen wurde Piso des Widerstandes Herr, und das entweder schon bei dieser Gelegenheit oder bald nachher auf dem "thrakischen Ufer" eingerichtete Kommando von Moesien brach den Zusammenhang der dakisch-thrakischen Voelkerschaften, indem es die Staemme am linken Ufer der Donau und die verwandten suedlich vom Haemus voneinander schied, und sicherte dauernd die roemische Herrschaft im Gebiet der unteren Donau. --------------------------------------------------- ^6 Die Oertlichkeit, "in welcher die Besser den Gott Dionysos verehren" und die Crassus ihnen nahm und den Odrysen gab (Dio 51, 25), ist gewiss derselbe Liberi patris lucus, in welchem Alexander opferte und der Vater des Augustus, cum per secreta Thraciae exercitum duceret, das Orakel wegen seines Sohnes befragte (Suet. Aug. 94) und das schon Herodot (2, 111; vgl. Eur. Hek. 1267) als unter Obhut der Besser stehendes Orakelheiligtum erwaehnt. Gewiss ist es nordwaerts der Rhodope zu suchen; wiedergefunden ist es noch nicht. --------------------------------------------------- Naeher noch als von den Pannoniern und den Thrakern ward es den Roemern von den Germanen gelegt, dass der damalige Zustand der Dinge auf die Dauer nicht bleiben koenne. Die Reichsgrenze war seit Caesar der Rhein, vom Bodensee bis zu seiner Muendung. Eine Voelkerscheide war er nicht, da schon von alters her im Nordosten Galliens die Kelten sich vielfach mit Deutschen gemischt hatten, die Treuerer und die Nervier Germanen wenigstens gern gewesen waeren, am mittleren Rhein Caesar selbst die Reste der Scharen des Ariovistus, Triboker (im Elsass), Nemeter (um Speyer), Vangionen (um Worms) sesshaft gemacht hatte. Freilich hielten diese linksrheinischen Deutschen fester zu der roemischen Herrschaft als die keltischen Gaue und nicht sie haben den Landsleuten auf dem rechten Ufer die Pforten Galliens geoeffnet. Aber diese, seit langem der Plunderzuege ueber den Fluss gewohnt und der mehrfach halb geglueckten Versuche, dort sich festzusetzen, keineswegs vergessen, kamen auch ungerufen. Die einzige germanische Voelkerschaft jenseits des Rheines, die schon in Caesars Zeit sich von ihren Landsleuten getrennt und unter roemischen Schutz gestellt hatte, die Ubier, hatten vor dem Hass ihrer erbitterten Stammgenossen weichen und auf dem roemischen Ufer Schutz und neue Wohnsitze suchen muessen (716 38); Agrippa, obwohl persoenlich in Gallien anwesend, hatte unter dem Druck des damals bevorstehenden sizilischen Krieges nicht vermocht, ihnen in anderer Weise zu helfen, und den Rhein nur ueberschritten, um die Ueberfuehrung zu bewirken. Aus dieser ihrer Siedlung ist spaeter unser Koeln erwachsen. Nicht bloss die auf dem rechten Rheinufer Handel treibenden Roemer wurden vielfaeltig von den Germanen geschaedigt, so dass sogar im Jahre 729 (25) deswegen ein Vorstoss ueber den Rhein ausgefuehrt ward und Agrippa im Jahre 734 (20) vom Rhein heruebergekommene germanische Schwaerme aus Gallien hinauszuschlagen hatte; es geriet im Jahre 738 (16) das jenseitige Ufer in eine allgemeinere, auf einen Einbruch in grossem Massstab hinauslaufende Bewegung. Die Sugambrer an der Ruhr gingen voran, mit ihnen ihre Nachbarn, noerdlich im Lippetal die Usiper, suedlich die Tencterer; sie griffen die bei ihnen verweilenden roemischen Haendler auf und schlugen sie ans Kreuz, ueberschritten dann den Rhein, pluenderten weit und breit die gallischen Gaue, und als ihnen der Statthalter von Germanien den Legaten Marcus Lollius mit der fuenften Legion entgegenschickte, fingen sie erst deren Reiterei ab und schlugen dann die Legion selbst in schimpfliche Flucht, wobei ihnen sogar deren Adler in die Haende fiel. Nach allem diesem kehrten sie unangefochten zurueck in ihre Heimat. Dieser Misserfolg der roemischen Waffen, wenn auch an sich nicht von Gewicht, war doch der germanischen Bewegung und selbst der schwierigen Stimmung in Gallien gegenueber nichts weniger als unbedenklich; Augustus selbst ging nach der angegriffenen Provinz, und es mag dieser Vorgang wohl die naechste Veranlassung gewesen sein zur Aufnahme jener grossen Offensive, die, mit dem Raetischen Krieg 739 (15) beginnend, weiter zu den Feldzuegen des Tiberius in Illyricum und des Drusus in Germanien fuehrte. Nero Claudius Drusus, geboren im Jahre 716 (38) von Livia im Hause ihres neuen Gemahls, des spaeteren Augustus, und von diesem gleich einem Sohn - die boesen Zungen sagten, als sein Sohn - geliebt und gehalten, ein Bild maennlicher Schoenheit und von gewinnender Anmut im Verkehr, ein tapferer Soldat und ein tuechtiger Feldherr, dazu ein erklaerter Lobredner der alten republikanischen Ordnung und in jeder Hinsicht der populaerste Prinz des kaiserlichen Hauses, uebernahm bei Augustus’ Rueckkehr nach Italien (741 13) die Verwaltung von Gallien und den Oberbefehl gegen die Germanen, deren Unterwerfung jetzt ernstlich in das Auge gefasst ward. Wir vermoegen weder die Staerke der damals am Rhein stehenden Armee noch die bei den Germanen obwaltenden Zustaende genuegend zu erkennen; nur das tritt deutlich hervor, dass die letzteren nicht imstande waren, dem geschlossenen Angriff in entsprechender Weise zu begegnen. Das Neckargebiet, ehemals von den Helvetiern besessen, dann lange Zeit streitiges Grenzland zwischen ihnen und den Germanen, lag veroedet und beherrscht einerseits durch die juengst unterworfene Landschaft der Vindeliker, andererseits durch die roemisch gesinnten Germanen um Strassburg, Speyer und Worms. Weiter nordwaerts, in der oberen Maingegend, sassen die Markomannen, vielleicht der maechtigste der suebischen Staemme, aber mit den Germanen des Mittelrheins seit alters her verfeindet. Nordwaerts des Mains folgten zunaechst im Taunus die Chatten, weiter rheinabwaerts die schon genannten Tencterer, Sugambrer und Usiper; hinter ihnen die maechtigen Cherusker an der Weser, ausserdem eine Anzahl Voelkerschaften zweiten Ranges. Wie diese mittelrheinischen Staemme, voran die Sugambrer, jenen Angriff auf das roemische Gallien ausgefuehrt hatten, so richtete sich auch der Vergeltungszug des Drusus hauptsaechlich gegen sie, und sie auch verbanden sich gegen Drusus zur gemeinschaftlichen Abwehr und zur Aufstellung eines aus dem Zuzug aller dieser Gaue zu bildenden Volksheers. Aber die friesischen Staemme an der Nordseekueste schlossen sich nicht an, sondern verharrten in der ihnen eigenen Isolierung. Es waren die Germanen, die die Offensive ergriffen. Die Sugambrer und ihre Verbuendeten griffen wieder alle Roemer auf, deren sie auf ihrem Ufer habhaft werden konnten, und schlugen die Centurionen darunter, ihrer zwanzig an der Zahl, ans Kreuz. Die verbuendeten Staemme beschlossen, abermals in Gallien einzufallen, und teilten auch die Beute im voraus - die Sugambrer sollten die Leute, die Cherusker die Pferde, die suebischen Staemme das Gold und Silber erhalten. So versuchten sie im Anfang des Jahres 742 (12) wieder den Rhein zu ueberschreiten und hofften auf die Unterstuetzung der linksrheinischen Germanen und selbst auf eine Insurrektion der eben damals durch das ungewohnte Schaetzungsgeschaeft erregten gallischen Gaue. Aber der junge Feldherr traf seine Massregeln gut: er erstickte die Bewegung im roemischen Gebiet, noch ehe sie recht in Gang kam, warf die Eindringenden bei dem Flussuebergang selbst zurueck und ging dann seinerseits ueber den Strom, um das Gebiet der Usiper und Sugambrer zu brandschatzen. Dies war eine vorlaeufige Abwehr; der eigentliche Kriegsplan, in groesserem Stil angelegt, ging aus von der Gewinnung der Nordseekueste und der Muendungen der Eins und der Elbe. Der zahlreiche und tapfere Stamm der Bataver im Rheindelta ist, allem Anschein nach damals und durch guetliche Vereinbarung, dem Roemischen Reiche einverleibt worden; mit ihrer Hilfe wurde vom Rheine zur Zuidersee und aus dieser in die Nordsee eine Wasserverbindung hergestellt, welche der Rheinflotte einen sichereren und kuerzeren Weg zur Emsund Elbemuendung eroeffnete. Die Friesen an der Nordkueste folgten dem Beispiel der Bataver und fuegten sich gleichfalls der Fremdherrschaft. Es war wohl mehr noch die masshaltende Politik als die militaerische Uebergewalt, die hier den Roemern den Weg bahnte: diese Voelkerschaften blieben fast ganz steuerfrei und wurden zum Kriegsdienst in einer Weise herangezogen, die nicht schreckte, sondern lockte. Von da ging die Expedition an der Nordseekueste hinauf; im offenen Meer wurde die Insel Burchanis (vielleicht Borkum vor Ostfriesland) mit stuermender Hand genommen, auf der Ems die Bootflotte der Bructerer von der roemischen Flotte besiegt; bis an die Muendung der Weser zu den Chaukern ist Drusus gelangt. Freilich geriet die Flotte heimkehrend auf die gefaehrlichen und unbekannten Watten, und wenn die Friesen nicht der schiffbruechigen Armee sicheres Geleit gewaehrt haetten, waere sie in sehr kritische Lage geraten. Nichtsdestoweniger war durch diesen ersten Feldzug die Kueste von der Rheinzur Wesermuendung roemisch geworden. Nachdem also die Kueste umfasst war, begann im naechsten Jahr (743 11) die Unterwerfung des Binnenlandes. Sie wurde wesentlich erleichtert durch den Zwist unter den mittelrheinischen Germanen. Zu dem im Jahre vorher versuchten Angriff auf Gallien hatten die Chatten den versprochenen Zuzug nicht gestellt; in begreiflichem, aber noch vielmehr unpolitischem Zorn hatten die Sugambrer mit gesamter Hand das Chattenland ueberfallen, und so wurde ihr eigenes Gebiet sowie das ihrer naechsten Nachbarn am Rhein ohne Schwierigkeit von den Roemern besetzt. Die Chatten unterwarfen sich dann den Feinden ihrer Feinde ohne Gegenwehr; nichtsdestoweniger wurden sie angewiesen, das Rheinufer zu raeumen und dafuer dasjenige Gebiet zu besetzen, das bis dahin die Sugambrer innegehabt hatten. Nicht minder unterlagen weiter landeinwaerts die maechtigen Cherusker an der mittleren Weser. Die an der unteren sitzenden Chauker wurden, wie ein Jahr zuvor von der Seeseite, so jetzt zu Lande angegriffen und damit das gesamte Gebiet zwischen Rhein und Weser wenigstens an den militaerisch entscheidenden Stellen in Besitz genommen. Der Rueckweg waere allerdings, eben wie im vorigen Jahre, fast verhaengnisvoll geworden; bei Arbalo (unbekannter Lage) sahen sich die Roemer in einem Engpass von allen Seiten von den Germanen umzingelt und ihrer Verbindungen verlustig; aber die feste Zucht der Legionaere und daneben die uebermuetige Siegesgewissheit der Deutschen verwandelten die drohende Niederlage in einen glaenzenden Sieg ^7. Im naechsten Jahr (744 10) standen die Chatten auf, erbittert ueber den Verlust ihrer alten schoenen Heimstatt; aber jetzt blieben sie ihrerseits allein und wurden nach hartnaeckiger Gegenwehr und nicht ohne empfindlichen Verlust von den Roemern ueberwaeltigt (745 9). Die Markomannen am oberen Main, die nach der Einnahme des Chattengebiets zunaechst dem Angriff ausgesetzt waren, wichen ihm aus und zogen sich rueckwaerts in das Land der Boier, das heutige Boehmen, ohne von hier aus, wo sie dem unmittelbaren Machtkreise Roms entrueckt waren, in die Kaempfe am Rhein einzugreifen. In dem ganzen Gebiet zwischen Rhein und Weser war der Krieg zu Ende. Drusus konnte im Jahre 745 (9) im Cheruskergau das rechte Weserufer betreten und von da vorgehen bis an die Elbe, die er nicht ueberschritt, vermutlich angewiesen war, nicht zu ueberschreiten. Manches harte Gefecht wurde geliefert, erfolgreicher Widerstand nirgends geleistet. Aber auf dem Rueckweg, der, wie es scheint, die Saale hinauf und von da zur Weser genommen ward, traf die Roemer ein schwerer Schlag, nicht durch den Feind, aber durch einen unberechenbaren Ungluecksfall. Der Feldherr stuerzte mit dem Pferd und brach den Schenkel; nach dreissigtaegigen Leiden verschied er in dem fernen Lande zwischen Saale und Weser ^8, das nie vor ihm eine roemische Armee betreten hatte, in den Armen des aus Rom herbeigeeilten Bruders, im dreissigsten Jahre seines Alters, im Vollgefuehl seiner Kraft und seiner Erfolge, von den Seinigen und dem ganzen Volke tief und lange betrauert, vielleicht gluecklich zu preisen, weil die Goetter ihm gaben, jung aus dem Leben zu scheiden und den Enttaeuschungen und Bitterkeiten zu entgehen, welche die Hoechstgestellten am schmerzlichsten treffen, waehrend in der Erinnerung der Welt noch heute seine glaenzende Heldengestalt fortlebt. ----------------------------------------------------- ^7 Dass die Schlacht bei Arbalo (Plin. nat. 11, 17, 55) in dieses Jahr gehoert, zeigt Obsequens 72 und also geht auf sie die Erzaehlung bei Dio 54, 33. ^8 Dass der Sturz des Drusus in der Saalegegend erfolgte, wird aus Strabon 7,1, 3 p. 291 gefolgert werden duerfen, obwohl er nur sagt, dass er auf dem Heerzuge zwischen Salas und Rhein umkam und die Identifikation des Salas mit der Saale allein auf der Namensaehnlichkeit beruht. Von der Ungluecksstaette wurde er dann bis in das Sommerlager transportiert (Sen. dial. ad Marciam 3: ipsis illum hostibus aegrum cum veneratione et pace mutua prosequentibus nec optare quod expediebat audentibus) und in diesem ist er gestorben (Suet. Claud. 1). Dies lag tief im Barbarenland (Val. Max. 5, 5, 3) und nicht allzuweit von dem Schlachtfelde des Varus (Tac. ann. 2, 7, wo die vetus ara Druso sita gewiss auf den Sterbeplatz zu beziehen ist); man wird dasselbe im Wesergebiet suchen duerfen. Die Leiche wurde dann in das Winterlager geschafft (Dio 55, 2) und dort verbrannt; diese Staette galt nach roemischem Gebrauch auch als Grabstaette, obwohl die Beisetzung der Asche in Rom stattfand, und darauf ist der honorarius tumulus mit der jaehrlichen Leichenfeier zu beziehen (Suet. a. a. O.). Wahrscheinlich hat man dessen Staette in Vetera zu suchen. Wenn ein spaeterer Schriftsteller (Eutr. 7, 13) von dem monumentum des Drusus bei Mainz spricht, so ist dies nicht wohl das Grabmal, sondern das anderweitig erwaehnte Tropaeum (Flor. epit. 2, 30: Marcomanorum spoliis et insignibus quendam editum tumulum in tropaei modum excoluit). ----------------------------------------------------- In dem grossen Gang der Dinge aenderte, wie billig, der Tod des tuechtigen Feldherrn nichts. Sein Bruder Tiberius kam frueh genug, nicht bloss um ihm die Augen zuzudruecken, sondern auch um mit seiner sicheren Hand das Heer zurueck und die Eroberung Germaniens weiter zu fuehren. Er kommandierte dort waehrend der beiden fol genden Jahre (746, 747 8, 7); zu groesseren Kaempfen ist es waehrend derselben nicht gekommen, aber weit und breit zwischen Rhein und Elbe zeigten sich die roemischen Truppen, und als Tiberius die Forderung stellte, dass saemtliche Gaue die roemische Herrschaft foermlich anzuerkennen haetten, und zugleich erklaerte, die Anerkennung nur von saemtlichen Gauen zugleich entgegennehmen zu koennen, fuegten sie sich ohne Ausnahme, zuletzt von allen die Sugambrer, fuer die es freilich einen wirklichen Frieden nicht gab. Wie weit man militaerisch gelangt war, beweist die wenig spaeter fallende Expedition des Lucius Domitius Ahenobarbus. Dieser konnte als Statthalter von Illyricum, wahrscheinlich von Vindelizien aus, einem unsteten Hermundurenschwarm im Markomannenlande selbst Sitze anweisen und gelangte bei dieser Expedition bis an und ueber die obere Elbe, ohne auf Widerstand zu treffen ^9. Die Markomannen in Boehmen waren voellig isoliert, und das uebrige Germanien zwischen Rhein und Elbe eine, wenn auch noch keineswegs befriedete, roemische Provinz. ------------------------------------------------- ^9 Die Mitteilung Dios (55, IOa), zum Teil bestaetigt durch Tacitus (arm. 4, 44) kann nicht anders aufgefasst werden. Diesem Statthalter muss ausnahmsweise auch Noricum und Raetien unterstellt gewesen sein oder der Lauf der Operationen veranlasste ihn, die Grenze seiner Statthalterschaft zu ueberschreiten. Dass er Boehmen selbst durchschritten habe, was in noch groessere Schwierigkeiten verwickeln wuerde, fordert der Bericht nicht. ------------------------------------------------- Die militaerisch-politische Organisation Germaniens, wie sie damals angelegt ward, vermoegen wir nur unvollkommen zu erkennen, da uns einmal ueber die in frueherer Zeit zum Schutz der gallischen Ostgrenze getroffenen Einrichtungen jede genaue Kunde fehlt, andererseits diejenigen der beiden Brueder durch die spaetere Entwicklung der Dinge grossenteils zerstoert worden sind. Eine Verlegung der roemischen Grenzhut vom Rhein weg hat keineswegs stattgefunden; so weit wollte man vielleicht kommen, aber war man nicht. Aehnlich wie in Illyricum damals die Donau, war die Elbe wohl die politische Reichsgrenze, aber der Rhein die Linie der Grenzverteidigung, und von den Rheinlagern liefen die rueckwaertigen Verbindungen nach den grossen Staedten Galliens und nach dessen Haefen ^10. Das grosse Hauptquartier waehrend dieser Feldzuege ist das spaetere sogenannte "alte Lager", Castra vetera (Birten bei Xanten), die erste bedeutende Hoehe abwaerts Bonn am linken Rheinufer, militaerisch etwa dem heutigen Wesel am rechten entsprechend. Dieser Platz, besetzt vielleicht seit den Anfaengen der Roemerherrschaft am Rhein, ist von Augustus eingerichtet worden als Zwingburg fuer Germanien; und wenn die Festung zu allen Zeiten der Stuetzpunkt fuer die roemische Defensive am linken Rheinufer gewesen ist, so war sie fuer die Invasion des rechten nicht weniger wohl gewaehlt, gelegen gegenueber der Muendung der weit hinauf schiffbaren Lippe und mit dem rechten Ufer durch eine feste Bruecke verbunden. Den Gegensatz zu diesem "alten Lager" an der Muendung der Lippe, bildete wahrscheinlich das an der Muendung des Main, Mogontiacum, das heutige Mainz, allem Anschein nach eine Schoepfung des Drusus; wenigstens zeigen die schon erwaehnten, den Chatten auferlegten Gebietsabtretungen, sowie die weiterhin zu erwaehnenden Anlagen im Taunus, dass Drusus die militaerische Wichtigkeit der Mainlinie und also auch die ihres Schluessels auf dem linken Rheinufer deutlich erkannt hat. Wenn das Legionslager an der Aare, wie es scheint, eingerichtet worden ist, um die Raeter und Vindeliker im Gehorsam zu erhalten, so faellt dessen Anlage vermutlich schon in diese Zeit, aber es ist dann auch mit den gallisch-germanischen Militaereinrichtungen nur aeusserlich verknuepft gewesen. Das Strassburger Legionslager reicht schwerlich bis in so fruehe Zeit hinauf. Die Basis der roemischen Heerstellung bildet die Linie von Mainz bis Wesel. Dass Drusus und Tiberius, abgesehen von der damals nicht mehr kaiserlichen narbonensischen Provinz, sowohl die Statthalterschaft von ganz Gallien wie auch das Kommando der saemtlichen rheinischen Legionen gehabt haben, ist ausgemacht; von diesen Prinzen abgesehen, mag damals wohl die Zivilverwaltung Galliens von dem Kommando der Rheintruppen getrennt gewesen sein, aber schwerlich war das letztere damals schon in zwei koordinierte Kommandos geteilt ^11. ------------------------------------------------- ^10 Auf eine rueckwaertige Verbindung der Rheinlager mit dem Hafen von Boulogne duerfte die viel bestrittene Notiz des Florus (epit. 2, 30) zu beziehen sein: Bonnam (oder Bormam) et Gessoriacum pontibus iunxit classibusque firmavit, womit zu vergleichen sind die von demselben Schriftsteller erwaehnten Kastelle an der Maas. Bonn kann damals fueglich die Station der Rheinflotte gewesen sein; Boulogne ist auch in spaeterer Zeit noch Flottenstation gewesen. Drusus konnte wohl Veranlassung haben den kuerzesten und sichersten Landweg zwischen den beiden Flottenlagern fuer Transporte brauchbar zu machen, wenn auch der Schreiber wahrscheinlich, um das Auffallende bemueht, durch zugespitzte Ausdrucksweise Vorstellungen erweckt, die so nicht richtig sein koennen. ^11 Ueber die administrative Teilung Galliens fehlt es, abgesehen von der Abtrennung der Narbonensis, an allen Nachrichten, da sie nur auf kaiserlichen Verfuegungen beruhte und darueber nichts in die Senatsprotokolle kam. Aber von der Existenz eines gesonderten oberund untergermanischen Kommandos geben die erste Kunde die Feldzuege des Germanicus, und die Varusschlacht ist unter jener Voraussetzung kaum zu verstehen; hier erscheinen wohl die hiberna inferiora, die von Vetera (Vell. 2, 120), und den Gegensatz dazu, die superiora koennen nur die von Mainz gemacht haben, aber auch diese stehen nicht unter einem Kollegen, sondern unter dem Neffen, also einem Unterbefehlshaber des Varus. Wahrscheinlich hat die Teilung erst in Folge der Niederlage in den letzten Jahren des Augustus stattgefunden. ------------------------------------------------- Ueber den Bestand der damaligen Rheinarmee koennen wir nur etwa sagen, dass die Armee des Drusus schwerlich staerker, vielleicht geringer war als die, welche zwanzig Jahre spaeter in Germanien stand, von fuenf bis sechs Legionen, etwa 50000 bis 60000 Mann. Diesen militaerischen Einrichtungen am linken Rheinufer sind die am rechten getroffenen korrelat. Zunaechst nahmen die Roemer dieses selbst in Besitz. Es traf dies vor allem die Sugambrer, wobei allerdings die Vergeltung fuer den erbeuteten Adler und die ans Kreuz geschlagenen Centurionen mitgewirkt hat. Die zur Erklaerung der Unterwerfung abgesandten Boten, die Vornehmsten der Nation, wurden gegen das Voelkerrecht als Kriegsgefangene behandelt und kamen in den italischen Festungen elend um. Von der Masse des Volkes wurden 40000 Koepfe aus ihrer Heimat entfernt und auf dem gallischen Ufer angesiedelt, wo sie spaeter vielleicht unter dem Namen der Cugerner begegnen. Nur ein geringer und ungefaehrlicher Ueberrest des maechtigen Stammes durfte in den alten Wohnsitzen bleiben. Auch suebische Haufen sind nach Gallien uebergefuehrt, andere Voelkerschaften weiter landeinwaerts gedraengt worden, wie die Marser und ohne Zweifel auch die Chatten; am Mittelrhein wurde ueberall die eingeborene Bevoelkerung des rechten Ufers verdraengt oder doch geschwaecht. Laengs dieses Rheinufers wurden ferner befestigte Posten, fuenfzig an der Zahl, eingerichtet. Vorwaerts Mogontiacum wurde das den Chatten abgenommene Gebiet, seitdem der Gau der Mattfiaker bei dem heutigen Wiesbaden, in die roemischen Linien gezogen und die Hoehe des Taunus stark befestigt ^12. Vor allem aber wurde von Vetera aus die Lippelinie in Besitz genommen; von der doppelten, von Tagemarsch zu Tagemarsch mit Kastellen besetzten Militaerstrasse an den beiden Ufern des Flusses ist wenigstens die rechtsuferige sicher ebenso das Werk des Drusus wie dies bezeugt ist von der Festung Aliso im Quellgebiet der Lippe, wahrscheinlich dem heutigen Dorfe Elsen unweit Paderborn ^13. ----------------------------------------------- ^12 Das von Drusus in monte Tauno angelegte praesidium (Tac. ann. 1, 56) und das mit Aliso zusammengestellte (phro?rion en CHa`attois par’ ayt/o/ t/o/ R/e/n/o/ (Dio 54, 33) sind wahrscheinlich identisch, und die besondere Stellung des Mattiakergaus haengt augenscheinlich mit der Anlage von Mogontiacum zusammen. ^13 Dass das "Kastell am Zusammenfluss des Lupias und des Helison" bei Dio 54, 33 identisch ist mit dem oefter genannten Aliso und dies an der oberen Lippe gesucht werden muss, ist keinem Zweifel unterworfen, und dass das roemische Winterlager an den Lippequellen (ad caput Lupiae, Vell. 2, 105), unseres Wissens das einzige derartige auf germanischem Boden, eben dort zu suchen ist, wenigstens sehr wahrscheinlich. Dass die beiden an der Lippe hin laufenden Roemerstrassen und deren befestigte Marschlager wenigstens bis in die Gegend von Lippstadt fuehrten, haben namentlich Hoelzermanns Untersuchungen dargetan. Die obere Lippe hat nur einen namhaften Zufluss, die Alme, und da unweit der Muendung dieser in die Lippe das Dorf Elsen liegt, so darf hier der Namensaehnlichkeit einiges Gewicht beigelegt werden. Der Ansetzung von Aliso an der Muendung der Glenne (und Liese) in die Lippe, welche unter andern Schmidt vertritt, steht vornehmlich entgegen, dass das Lager ad caput Lupiae dann von Aliso verschieden gewesen sein muss, ueberhaupt dieser Punkt von der Weserlinie zu weit abliegt, waehrend von Elsen aus der Weg geradezu durch die Doerenschlucht in das Werretal fuehrt. ueberhaupt bemerkt Schmidt (Westfaelische Zeitschrift fuer Gesch. und Alterthumskunde 20, 1862, S. 259), kein Anhaenger der Identifikation von Aliso und Elsen, dass die Hoehen von Wever (unweit Elsen) und ueberhaupt der linke Talrand der Alme der Mittelpunkt eines Halbkreises sind, welchen die vorliegenden Gebirge bilden, und diese hochgelegene, trockene, bis zu dem Gebirge eine genaue Uebersicht gestattende Gegend, welche das ganze lippische Land deckt und selbst in der Front durch die Alme gedeckt ist, sich gut eignet zum Ausgangspunkt eines Zuges gegen die Weser. ----------------------------------------------- Dazu kam der schon erwaehnte Kanal von der Rheinmuendung zur Zuidersee und ein von Lucius Domitius Ahenobarbus durch eine laengere Sumpfstrecke zwischen der Eins und dem Unterrhein gezogener Damm, die sogenannten "langen Bruecken". Ausserdem standen durch das ganze Gebiet zerstreut einzelne roemische Posten; dergleichen werden spaeterhin erwaehnt bei den Friesen und den Chaukern, und in diesem Sinne mag es richtig sein, dass die roemischen Besatzungen bis zur Weser und bis zur Elbe reichten. Endlich lagerte das Heer wohl im Winter am Rhein, im Sommer aber, auch wenn nicht eigentlich Expeditionen unternommen wurden, durchgaengig im eroberten Lande, in der Regel bei Aliso. Aber nicht bloss militaerisch richteten die Roemer in dem neugewonnenen Gebiet sich ein. Die Germanen wurden angehalten, wie andere Provinzialen, von dem roemischen Statthalter Recht zu nehmen und die Sommerexpeditionen des Feldherrn entwickelten sich allmaehlich zu den ueblichen Gerichtsreisen des Statthalters. Anklage und Verteidigung der Angeschuldigten fand in lateinischer Zunge statt; die roemischen Sachwalter und Rechtsbeistaende begannen wie diesseits so jenseits des Rheines ihre ueberall schwer empfundene, hier die solcher Dinge ungewohnten Barbaren tief erbitternde Wirksamkeit. Es fehlte viel zur voelligen Durchfuehrung der provinzialen Einrichtung; an foermliche Umlage der Schatzung, an regulierte Aushebung fuer das roemische Heer ward noch nicht gedacht. Aber wie der neue Gauverband eben jetzt in Gallien im Anschluss an die daselbst eingefuehrte goettliche Verehrung des Monarchen eingerichtet ward, so wurde eine aehnliche Einrichtung auch in dem neuen Germanien getroffen; als Drusus fuer Gallien den Augustusaltar in Lyon weihte, wurden die zuletzt auf dem linken Rheinufer angesiedelten Germanen, die Ubier, nicht in diese Vereinigung aufgenommen, sondern in ihrem Hauptort, der der Lage nach fuer Germanien ungefaehr war, was Lyon fuer die drei Gallien, ein gleichartiger Altar fuer die germanischen Gaue errichtet, dessen Priestertum im Jahre 9 der junge Cheruskerfuerst Segimundus, des Segestes Sohn, verwaltete. Den vollen militaerischen Erfolg brach oder unterbrach doch die kaiserliche Familienpolitik. Das Zerwuerfnis zwischen Tiberius und seinem Stiefvater fuehrte dazu, dass jener im Anfang des Jahres 748 (6) das Kommando niederlegte. Das dynastische Interesse gestattete es nicht, umfassende militaerische Operationen anderen Generalen als Prinzen des kaiserlichen Hauses anzuvertrauen; und nach Agrippas und Drusus’ Tod und Tiberius’ Ruecktritt gab es faehige Feldherrn in demselben nicht. Allerdings werden in den zehn Jahren, wo Statthalter mit gewoehnlicher Befugnis in Illyricum und in Germanien schalteten, die militaerischen Operationen daselbst wohl nicht so vollstaendig unterbrochen worden sein, wie es uns erscheint, da die hoefisch gefaerbte Ueberlieferung ueber die mit und die ohne Prinzen gefuehrten Kampagnen nicht in gleicher Weise berichtet; aber das Stocken ist unverkennbar, und dieses selbst war ein Rueckschritt. Ahenobarbus, der infolge seiner Verschwaegerung mit dem kaiserlichen Hause - seine Gattin war die Schwestertochter Augusts - freiere Hand hatte als andere Beamte und der in seiner illyrischen Statthalterschaft die Elbe ueberschritten hatte, ohne Widerstand zu finden, erntete spaeter als Statthalter Germaniens dort keine Lorbeeren. Nicht bloss die Erbitterung, auch der Mut der Germanen waren wieder im Steigen und im Jahre 2 erscheint das Land wieder im Aufstand, die Cherusker und die Chauker unter den Waffen. Inzwischen hatte am Kaiserhofe der Tod sich ins Mittel geschlagen und der Wegfall der jungen Soehne des Augustus diesen und Tiberius ausgesoehnt. Kaum war diese Versoehnung durch die Annahme an Kindesstatt besiegelt und proklamiert (4), so nahm Tiberius das Werk da wieder auf, wo es unterbrochen worden war, und fuehrte abermals in diesem und den beiden folgenden Sommern (5-6) die Heere ueber den Rhein. Es war eine Wiederholung und Steigerung der frueheren Feldzuege. Die Cherusker wurden im ersten Feldzug, die Chauker im zweiten zum Gehorsam zurueckgebracht; die den Batavern benachbarten und an Tapferkeit nicht nachstehenden Cannenefaten, die im Quellgebiet der Lippe und an der Ems sitzenden Bructerer und andere Gaue mehr unterwarfen sich, ebenso die hier zuerst erwaehnten maechtigen Langobarden, damals hausend zwischen der Weser und Elbe. Der erste Feldzug fuehrte ueber die Weser hinein in das Innere; in dem zweiten standen an der Elbe selbst die roemischen Legionen dem germanischen Landsturm am anderen Ufer gegenueber. Vom Jahre 4 auf 5 nahm, es scheint zum ersten Mal, das roemische Heer das Winterlager auf germanischem Boden bei Aliso. Alles dies wurde erreicht ohne erhebliche Kaempfe; die umsichtige Kriegfuehrung brach nicht die Gegenwehr, sondern machte sie unmoeglich. Diesem Feldherrn war es nicht um unfruchtbare Lorbeeren zu tun, sondern um dauernden Erfolg. Nicht minder wurde die Seefahrt wiederholt; wie die erste Kampagne des Drusus, so ist die letzte des Tiberius ausgezeichnet durch die Beschiffung der Nordsee. Aber die roemische Flotte gelangte diesmal weiter: die ganze Kueste der Nordsee bis zum Vorgebirge der Kimbrer, das heisst zur juetischen Spitze, ward von ihr erkundet und sie vereinigte sich dann, die Elbe hinauffahrend, mit dem an dieser aufgestellten Landheer. Diese zu ueberschreiten, hatte der Kaiser ausdruecklich untersagt; aber die Voelker jenseits der Elbe, die eben genannten Kimbrer im heutigen Juetland, die Charuden suedlich von ihnen, die maechtigen Semnonen zwischen Elbe und Oder traten wenigstens in Beziehung zu den neuen Nachbarn. Man konnte meinen, am Ziel zu sein. Aber eines fehlte doch noch zur Herstellung des eisernen Ringes, der Grossdeutschland umklammern sollte: es war die Herstellung der Verbindung zwischen der mittleren Donau und der oberen Elbe, die Besitznahme des alten Boierheims, das in seinem Bergkranz gleich einer gewaltigen Festung zwischen Noricum und Germanien sich einschob. Der Koenig Maroboduus, aus edlem Markomannengeschlecht, aber in jungen Jahren durch laengeren Aufenthalt in Rom eingefuehrt in dessen straffere Heerund Staatsordnung, hatte nach der Heimkehr, vielleicht waehrend der ersten Feldzuege des Drusus und der dadurch herbeigefuehrten Uebersiedlung der Markomannen vom Main an die obere Elbe, sich nicht bloss zum Fuersten seines Volkes erhoben, sondern auch diese seine Herrschaft nicht in der lockeren Weise des germanischen Koenigtums, sondern, man moechte sagen, nach dem Muster der augustischen gestaltet. Ausser seinem eigenen Volk gebot er ueber den maechtigen Stamm der Lugier (im heutigen Schlesien) und seine Klientel muss sich ueber das ganze Gebiet der Elbe erstreckt haben, da die Langobarden und die Semnonen als ihm untertaenig bezeichnet werden. Bisher hatte er den Roemern wie den uebrigen Germanen gegenueber voellige Neutralitaet beobachtet; er gewaehrte wohl den fluechtigen Roemerfeinden in seinem Lande eine Freistatt, aber taetig mischte er sich in den Kampf nicht, nicht einmal, als die Hermunduren von dem roemischen Statthalter auf markomannischem Gebiet Wohnsitze angewiesen erhielten und als das linke Elbufer den Roemern botmaessig ward. Er unterwarf sich ihnen nicht, aber er nahm alle jene Vorgaenge hin, ohne darum die freundlichen Beziehungen zu den Roemern zu unterbrechen. Durch diese gewiss nicht grossartige und schwerlich auch nur kluge Politik hatte er erreicht, als der letzte angegriffen zu werden; nach den vollkommen gelungenen germanischen Feldzuegen der Jahre 4 und 5 kam die Reihe an ihn. Von zwei Seiten her, von Germanien und Noricum aus, rueckten die roemischen Heere vor gegen den boehmischen Bergring; den Main hinauf, die dichten Waelder vom Spessart zum Fichtelgebirge mit Axt und Feuer lichtend, ging Gaius Sentius Saturninus, von Carnuntum aus, wo die illyrischen Legionen durch den Winter 5 auf 6 gelagert hatten, Tiberius selbst gegen die Markomannen vor; die beiden Heere, zusammen zwoelf Legionen, waren den Gegnern, deren Streitmacht auf 70000 Mann zu Fuss und 4000 Reiter geschaetzt wurde, schon der Zahl nach fast um das Doppelte ueberlegen. Die umsichtige Strategik des Feldherrn schien den Erfolg auch diesmal voellig sichergestellt zu haben, als ein ploetzlicher Zwischenfall den weiteren Vormarsch der Roemer unterbrach. Die dalmatinischen Voelkerschaften und die pannonischen wenigstens des Savegebietes gehorchten seit kurzem den roemischen Statthaltern; aber sie ertrugen das neue Regiment mit immer steigendem Groll, vor allem wegen der ungewohnten und schonungslos gehandhabten Steuern. Als Tiberius spaeter einen der Fuehrer nach den Gruenden des Abfalls fragte, antwortete ihm dieser, es sei geschehen, weil die Roemer ihren Herden zu Huetern nicht Hunde noch Hirten, sondern Woelfe setzten. Jetzt waren die Legionen aus Dalmatien an die Donau gefuehrt und die wehrhaften Leute aufgeboten worden, um eben dahin zur Verstaerkung der Armeen gesendet zu werden. Diese Mannschaften machten den Anfang und ergriffen die Waffen nicht fuer, sondern gegen Rom; ihr Fuehrer war ein Daesitiate (um Serajevo), Bato. Dem Beispiel folgten die Pannonier unter Fuehrung zweier Breuker, eines anderen Bato und des Pinnes. Mit unerhoerter Schnelligkeit und Eintraechtigkeit erhob sich ganz Illyricum; auf 200000 zu Fuss und 9000 zu Pferde wurde die Zahl der insurgierten Mannschaften geschaetzt. Die Aushebung fuer die Auxiliartruppen, welche namentlich bei den Pannoniern in bedeutendem Masse stattfand, hatte die Kunde des roemischen Kriegswesens, zugleich mit der roemischen Sprache und selbst der roemischen Bildung in weiterem Umfang verbreitet; diese gedienten roemischen Soldaten bildeten jetzt den Kern der Insurrektion ^14. Die in den insurgierten Gebieten in grosser Zahl angesessenen oder verweilenden roemischen Buerger, die Kaufleute und vor allem die Soldaten, wurden ueberall aufgegriffen und erschlagen. Wie die provinzialen Voelkerschaften kamen auch die unabhaengigen in Bewegung. Die den Roemern ganz ergebenen Fuersten der Thraker fuehrten allerdings ihre ansehnlichen und tapferen Scharen den roemischen Feldherrn zu; aber vom anderen Ufer der Donau brachen die Daker, mit ihnen die Sarmaten, in Moesien ein. Das ganze weite Donaugebiet schien sich verschworen zu haben, um der Fremdherrschaft ein jaehes Ende zu bereiten. ---------------------------------------- ^14 Das und nicht mehr sagt Velleius (2, 110): in omnibus Pannoniis non disciplinae (= Kriegszucht) tantummodo, sed linguae quoque notitia Romanae, plerisque etiam litterarum Usus et familiaris animorum erat exercitatio. Es sind das dieselben Erscheinungen, wie sie bei den Cheruskerfuersten begegnen, nur in gesteigertem Masse; und sie sind vollkommen begreiflich, wenn man sich der von Augustus aufgestellten pannonischen und breukischen Alen und Kohorten erinnert. ---------------------------------------- Die Insurgenten waren nicht gemeint, den Angriff abzuwarten, sondern sie planten einen Ueberfall Makedoniens und sogar Italiens. Die Gefahr war ernst; ueber die Julischen Alpen hinueber konnten die Aufstaendischen in wenigen Tagen wiederum vor Aquileia und Tergeste stehen - sie hatten den Weg dahin noch nicht verlernt - und in zehn Tagen vor Rom, wie der Kaiser selbst im Senat es aussprach, allerdings um sich der Zustimmung desselben zu den umfassenden und drueckenden militaerischen Veranstaltungen zu versichern. In schleunigster Eile wurden neue Mannschaften auf die Beine gebracht und die zunaechst bedrohten Staedte mit Besatzung versehen; ebenso, was irgendwo von Truppen entbehrlich war, nach den bedrohten Punkten geschickt. Der erste zur Stelle war der Statthalter von Moesien, Aulus Caecina Severus, und mit ihm der thrakische Koenig Rhoemetalkes; bald folgten andere Truppen aus den ueberseeischen Provinzen nach. Vor allen Dingen aber musste Tiberius, statt in Boehmen einzudringen, zurueckkehren nach Illyricum. Haetten die Insurgenten abgewartet, bis die Roemer mit Maroboduus im Kampfe lagen, oder dieser mit ihnen gemeinschaftliche Sache gemacht, so konnte die Lage fuer die Roemer eine sehr kritische werden. Aber jene schlugen zu frueh los, und dieser, getreu seinem System der Neutralitaet, liess sich dazu herbei, eben jetzt auf der Basis des Status quo mit den Roemern Frieden zu schliessen. So musste Tiberius zwar die Rheinlegionen zuruecksenden, da Germanien unmoeglich von Truppen entbloesst werden konnte, aber sein illyrisches Heer konnte er mit den aus Moesien, Italien und Syrien anlangenden Truppen vereinigen und gegen die Insurgenten verwenden. In der Tat war der Schrecken groesser als die Gefahr. Die Dalmater brachen zwar zu wiederholten Malen in Makedonien ein und pluenderten die Kueste bis nach Apollonia hinab; aber zu dem Einfall in Italien kam es nicht, und bald war der Brand auf seinen urspruenglichen Herd beschraenkt. Dennoch war die Kriegsarbeit nicht leicht: auch hier wie ueberall war die abermalige Niederwerfung der Unterworfenen muehsamer als die Unterwerfung selbst. Niemals ist in augustischer Zeit eine gleiche Truppenmasse unter demselben Kommando vereinigt gewesen; schon im ersten Kriegsjahre bestand das Heer des Tiberius aus zehn Legionen nebst den entsprechenden Hilfsmannschaften, dazu zahlreichen freiwillig wieder eingetretenen Veteranen und anderen Freiwilligen, zusammen etwa 120000 Mann; spaeterhin hatte er fuenfzehn Legionen unter seinen Fahnen vereinigt ^15. Im ersten Feldzug (6) wurde mit sehr abwechselndem Glueck gestritten; es gelang wohl, die grossen Ortschaften, wie Siscia und Sirmium, gegen die Insurgenten zu schuetzen, aber der Dalmatiner Bato focht ebenso hartnaeckig und zum Teil gluecklich gegen den Statthalter von Pannonien, Marcus Valerius Messalla, des Redners Sohn, wie sein pannonischer Namensgenosse gegen den von Moesien, Aulus Caecina. Vor allem der kleine Krieg machte den roemischen Truppen viel zu schaffen. Auch das folgende Jahr (7), in welchem neben Tiberius sein Neffe, der junge Germanicus, auf den Kriegsschauplatz trat, brachte kein Ende der ewigen Kaempfe. Erst im dritten Feldzug (8) gelang es, zunaechst die Pannonier zu unterwerfen, hauptsaechlich, wie es scheint, dadurch, dass ihr Fuehrer Bato, von den Roemern gewonnen, seine Truppen bewog, am Fluss Bathinus samt und sonders die Waffen zu strecken und den Kollegen im Oberbefehl, Pinnes, den Roemern auslieferte, wofuer er von diesen als Fuerst der Breuker anerkannt ward. Zwar traf den Verraeter bald die Strafe: sein dalmatinischer Namensgenosse fing ihn und liess ihn hinrichten, und noch einmal flackerte bei den Breukern der Aufstand auf; aber er ward rasch wieder erstickt und der Dalmater beschraenkt auf die Verteidigung der eigenen Heimat. Hier hatte Germanicus und andere Korpsfuehrer in diesem wie noch im folgenden Jahr (9) in den einzelnen Gauen heftige Kaempfe zu bestehen; in dem letzteren wurden die Pirusten (an der epirotischen Grenze) und der Gau, dem der Fuehrer selbst angehoerte, die Daesitiaten bezwungen, ein tapfer verteidigtes Kastell nach dem andern gebrochen. Noch einmal im Laufe des Sommers erschien Tiberius selbst wieder im Felde und setzte die gesamten Streitkraefte gegen die Reste der Insurrektion in Bewegung. Auch Bato, in dem festen Andetrium (Muck, oberhalb Salome), seiner letzten Zufluchtstau, von dem roemischen Heere eingeschlossen, gab die Sache verloren. Er verliess die Stadt, da er nicht vermochte, die Verzweifelten zur Unterwerfung zu bestimmen, und unterwarf sich dem Sieger, bei dem er ehrenvolle Behandlung fand; er ist, als politischer Gefangener interniert, in Ravenna gestorben. Ohne den Fuehrer setzte die Mannschaft den vergeblichen Kampf noch eine Zeitlang fort, bis die Roemer das Kastell mit stuermender Hand einnahmen - wahrscheinlich diesen Tag, den 3. August, verzeichnen die roemischen Kalender als den Jahrestag des von Tiberius in Illyricum erfochtenen Sieges. ----------------------------------------------- ^15 Nimmt man an, dass von den zwoelf Legionen, die gegen Maroboduus im Marsch waren (Tac. ann. 2, 46), so viele, als wir bald nachher in Germanien finden, also fuenf, auf dieses Heer kommen, so zaehlte das illyrische Heer des Tiberius sieben, und die Zahl von zehn (Vell. 2, 113) kann fueglich bezogen werden auf den Zuzug aus Moesien und Italien, die fuenfzehn auf den Zuzug aus Aegypten oder Syrien und auf die weiteren Aushebungen in Italien, von wo die neu ausgehobenen Legionen zwar nach Germanien, aber die dadurch abgeloesten zu Tiberius’ Heer kamen. Ungenau spricht Velleius (2, 112) gleich im Beginn des Krieges von fuenf durch A. Caecina und Plautius Silvanus ex transmarinis provinciis herangefuehrten Legionen; einmal konnten die ueberseeischen Truppen nicht sofort zur Stelle sein, und zweitens sind die Legionen des Caecina natuerlich die moesischen. Vgl. meinen Kommentar zum Monumentum Ancyranum (Res gestae divi Augusti), 2. Aufl. 1883, S. 71. ----------------------------------------------- Auch die Daker jenseits der Donau traf die Vergeltung. Wahrscheinlich in dieser Zeit, nachdem der illyrische Krieg sich zu Gunsten Roms entschieden hatte, fuehrte Gnaeus Lentulus ein starkes roemisches Heer ueber die Donau, gelangte bis an den Marisus (Marosch) und schlug sie nachdruecklich in ihrem eigenen Lande, das damals zuerst eine roemische Armee betrat. Fuenfzigtausend gefangene Daker wurden in Thrakien ansaessig gemacht. Die Spaeteren haben den "Batonischen Krieg" der Jahre 6 bis 9 den schwersten genannt, den Rom seit dem Hannibalischen gegen einen auswaertigen Feind zu bestehen gehabt hat. Dem illyrischen Land hat er arge Wunden geschlagen; in Italien war die Siegesfreude grenzenlos, als der junge Germanicus die Botschaft des entscheidenden Erfolges nach der Hauptstadt ueberbrachte. Lange hat der Jubel nicht gewaehrt; fast gleichzeitig mit der Kunde von diesem Erfolg kam die Nachricht von einer Niederlage nach Rom, wie sie Augustes in seiner fuenfzigjaehrigen Regierung nur einmal erlebt hat und die in ihren Folgen noch viel bedeutsamer war als in sich selbst. Die Zustaende in der Provinz Germanien sind frueher dargelegt worden. Der Gegenschlag, der auf jede Fremdherrschaft mit der Unvermeidlichkeit eines Naturereignisses folgt und der soeben in dem illyrischen Lande eingetreten war, bereitete auch dort, in den mittelrheinischen Gauen, sich vor. Die Reste der unmittelbar am Rhein sitzenden Staemme waren freilich voellig entmutigt, aber die weiter zurueck wohnenden, vornehmlich die Cherusker, Chatten, Bructerer, Marser, kaum minder geschaedigt und keineswegs ohnmaechtig. Wie immer in solchen Lagen, bildete sich in jedem Gau eine Partei der fuegsamen Roemerfreunde und eine nationale, die Wiedererhebung im Verborgenen vorbereitende. Die Seele von dieser war ein junger, sechsundzwanzigjaehriger Mann aus dem Fuerstengeschlecht der Cherusker, Arminius, des Sigimer Sohn; er und sein Bruder Flavus waren vom Kaiser Augustes mit dem roemischen Buergerrecht und mit Ritterrang beschenkt worden ^16 und beide hatten als Offiziere in den letzten roemischen Feldzuegen unter Tiberius mit Auszeichnung gefochten; der Bruder diente noch im roemischen Heer und hatte sich in Italien eine Heimstatt begruendet. Begreiflicherweise galt auch Arminius den Roemern als ein Mann besonderen Vertrauens; die Anschuldigungen, die sein besser unterrichteter Landsmann Segestes gegen ihn vorbrachte, vermochten dies Zutrauen bei der wohlbekannten, zwischen beiden bestehenden Verfeindung nicht zu erschuettern. Von den weiteren Vorbereitungen haben wir keine Kunde; dass der Adel und vor allem die adlige Jugend auf der Seite der Patrioten stand, versteht sich von selbst und findet darin deutlichen Ausdruck, dass Segestes’ eigene Tochter Thusnelda wider das Verbot ihres Vaters sich dem Arminius vermaehlte, auch ihr Bruder Segimundus und Segestes’ Bruder Segimer sowie sein Neffe Sesithacus bei der Insurrektion eine hervorragende Rolle spielten. Weiten Umfang hat sie nicht gehabt, bei weitem nicht den der illyrischen Erhebung; kaum darf sie, streng genommen, eine germanische genannt werden. Die Bataver, die Friesen, die Chauker an der Kueste waren nicht daran beteiligt, ebensowenig was von suebischen Staemmen unter roemischer Herrschaft stand, noch weniger Koenig Marobod; es erhoben sich in der Tat nur diejenigen Germanen, die einige Jahre zuvor sich gegen Rom konfoederiert hatten und gegen die Drusus’ Offensive zunaechst gerichtet gewesen war. Der illyrische Aufstand hat die Gaerung in Germanien ohne Zweifel gefoerdert, aber von verbindenden Faeden zwischen den beiden gleichartigen und fast gleichzeitigen Insurrektionen fehlt jede Spur; auch wuerden, haetten sie bestanden, die Germanen schwerlich mit dem Losschlagen gewartet haben, bis der pannonische Aufstand ueberwaeltigt war und in Dalmatien eben die letzten Burgen kapitulierten. Arminius war der tapfere und verschlagene und vor allen Dingen glueckliche Fuehrer in dem Verzweiflungskampf um die verlorene nationale Unabhaengigkeit; nicht weniger, aber auch nicht mehr. ------------------------------------------------ ^16 Das sagt Velleius (2, 118): adsiduus militiae nostrae prioris comes, iure etiam civitatis Romanae eius equestres consequens gradus; was mit dem ductor popularium des Tacitus (ann. 2, 10) zusammenfaellt. In dieser Zeit muessen dergleichen Offiziere nicht selten vorgekommen sein; so fochten in dem dritten Feldzug des Drusus inter primores Chumstinctus et Avectius tribuni ex civitate Nerviorum (Liv. ep. 141) und unter Germanicus Chariovalda dux Batavorum (Tac. ann. 2, 11). ------------------------------------------------ Es war mehr die Schuld der Roemer als das Verdienst der Insurgenten, wenn deren Plan gelang. Insofern hat der illyrische Krieg hier allerdings eingegriffen. Die tuechtigen Fuehrer und allem Anschein nach auch die erprobten Truppen waren vom Rhein an die Donau gezogen worden. Vermindert war das germanische Heer, wie es scheint, nicht, aber der groesste Teil desselben bestand aus neuen, waehrend des Krieges gebildeten Legionen. Schlimmer noch war es um die Fuehrerschaft bestellt. Der Statthalter Publius Quinctilius Varus ^17 war wohl der Gemahl einer Nichte des Kaisers und ein Mann von uebel erworbenem, aber fuerstlichem Reichtum und von fuerstlicher Hoffart, aber von traegem Koerper und stumpfem Geist und ohne jede militaerische Begabung und Erfahrung, einer jener vielen hochgestellten Roemer, welche infolge des Festhaltens an der alten Zusammenwerfung der Administrativund der Oberoffiziersstellungen die Feldherrnschaerpe nach dem Muster Ciceros trugen. Er wusste die neuen Untertanen weder zu schonen noch zu durchschauen; Bedrueckung und Erpressung wurden geuebt, wie er es von seiner frueheren Statthalterschaft ueber das geduldige Syrien her gewohnt war; das Hauptquartier wimmelte von Advokaten und Klienten, und in dankbarer Demut nahmen insbesondere die Verschworenen bei ihm Urteil und Recht, waehrend sich das Netz um den hoffaertigen Praetor dichter und dichter zusammenzog. ------------------------------------------ ^17 Das Bildnis des Varus zeigt eine Kupfermuenze der afrikanischen Stadt Achulla, geschlagen unter seinem Prokonsulat von Afrika im Jahre 747/48 (7/6) (L. Mueller, Numismatique de l’ancienne Afrique. Kopenhagen 18674, Bd. 2, S. 44, vgl. S. 52). Die Basis, welche einst die ihm von der Stadt Pergamon gesetzte Bildsaeule trug, haben die Ausgrabungen daselbst wieder ans Licht gebracht; die Unterschrift lautet: o d/e/mos [etim/e/sen] Poplion Koinktilion Sextoy yion Oyar[on] pas/e/s aret/e/[s eneka]. ------------------------------------------ Die Lage der Armee war die damals normale. Es standen mindestens fuenf Legionen in der Provinz, von denen zwei ihr Winterlager in Mogontiacum, drei in Vetera oder auch in Aliso hatten. Das Sommerlager hatten die letzteren im Jahre 9 an der Weser genommen. Die natuerliche Verbindungsstrasse von der oberen Lippe zur Weser fuehrt ueber den niederen Hoehenzug des Osning und des Lippischen Waldes, welcher das Tal der Ems von dem der Weser scheidet, durch die Doerenschlucht in das Tal der Werre, die bei Rehme unweit Minden in die Weser faellt. Hier also ungefaehr lagerten damals die Legionen des Varus. Selbstverstaendlich war dieses Sommerlager mit Aliso, dem Stuetzpunkt der roemischen Stellungen am rechten Rheinufer, durch eine Etappenstrasse verbunden. Die gute Jahreszeit ging zu Ende und man schickte sich zum Rueckmarsch an. Da kam die Meldung, dass ein benachbarter Gau im Aufstand sei, und Varus entschloss sich, statt auf jener Etappenstrasse das Heer zurueckzufuehren, einen Umweg zu nehmen und unterwegs die Abgefallenen zum Gehorsam zurueckzubringen ^18. So brach man auf; das Heer bestand nach zahlreichen Detachierungen aus drei Legionen und neun Abteilungen der Truppen zweiter Klasse, zusammen etwa 20000 Mann ^19. Als nun die Armee sich von ihrer Kommunikationslinie hinreichend entfernt hatte und tief genug in das unwegsame Land eingedrungen war, standen in den benachbarten Gauen die Konfoederierten auf, machten die bei ihnen stationierten kleinen Truppenabteilungen nieder und brachen von allen Seiten aus den Schluchten und Waeldern gegen das marschierende Heer des Statthalters vor. Arminius und die namhaftesten Fuehrer der Patrioten waren bis zum letzten Augenblick im roemischen Hauptquartier geblieben, um Varus sicher zu machen; noch am Abend vor dem Tage, an dem die Insurrektion losbrach, hatten sie im Feldherrnzelt bei Varus gespeist und Segestes, indem er den bevorstehenden Ausbruch des Aufstandes ankuendigte, den Feldherrn beschworen, ihn selbst sowie die Angeschuldigten sofort verhaften zu lassen und die Rechtfertigung seiner Anklage von den Tatsachen zu erwarten. Varus’ Vertrauen war nicht zu erschuettern. Von der Tafel weg ritt Arminius zu den Insurgenten und stand den anderen Tag vor den Waellen des roemischen Lagers. Die militaerische Situation war weder besser noch schlimmer als die der Armee des Drusus vor der Schlacht bei Arbalo und als sie unter aehnlichen Verhaeltnissen oftmals fuer roemische Armeen eingetreten ist; die Kommunikationen waren fuer den Augenblick verloren, die mit schwerem Tross beschwerte Armee in dem pfadlosen Lande und in schlimmer, regnerischer Herbstzeit durch mehrere Tagemaersche von Aliso getrennt, die Angreifer der Zahl nach ohne Zweifel den Roemern weit ueberlegen. In solchen Lagen entscheidet die Tuechtigkeit der Truppe; und wenn die Entscheidung hier einmal zu Ungunsten der Roemer fiel, so wird die Unerfahrenheit der jungen Soldaten und vor allen Dingen die Kopfund Mutlosigkeit des Feldherrn dabei wohl das meiste getan haben. Nach erfolgtem Angriff setzte das roemische Heer seinen Marsch, jetzt ohne Zweifel in der Richtung auf Aliso, noch drei Tage fort, unter stetig steigender Bedraengnis und steigender Demoralisation. Auch die hoeheren Offiziere taten teilweise ihre Schuldigkeit nicht; einer von ihnen ritt mit der gesamten Reiterei vom Schlachtfeld weg und liess das Fussvolk allein den Kampf bestehen. Der erste, der voellig verzagte, war der Feldherr selbst; verwundet im Kampfe, gab er sich den Tod, ehe die letzte Entscheidung gefallen war, so frueh, dass die Seinigen noch den Versuch machten, die Leiche zu verbrennen und der Verunehrung durch den Feind zu entziehen. Seinem Beispiel folgte eine Anzahl der Oberoffiziere. Als dann alles verloren war, kapitulierte der uebriggebliebene Fuehrer und gab auch das aus der Hand, was diesen letzten noch blieb, den ehrlichen Soldatentod. So ging in einem der Taeler der das Muensterland begrenzenden Hoehenzuege im Herbst des Jahres 9 n. Chr. das germanische Heer Zugrunde ^20. Die Adler fielen alle drei in Feindeshand. Keine Abteilung schlug sich durch, auch jene Reiter nicht, die ihre Kameraden im Stich gelassen hatten; nur wenige Vereinzelte und Versprengte vermochten sich zu retten. Die Gefangenen, vor allem die Offiziere und die Advokaten, wurden ans Kreuz geschlagen oder lebendig begraben oder bluteten unter dem Opfermesser der germanischen Priester. Die abgeschnittenen Koepfe wurden als Siegeszeichen an die Baeume der heiligen Haine genagelt. Weit und breit stand das Land auf gegen die Fremdherrschaft; man hoffte auf den Anschluss Marobods; die roemischen Posten und Strassen fielen auf dem ganzen rechten Rheinufer ohne weiteres in die Gewalt der Sieger. Nur in Aliso leistete der tapfere Kommandant Lucius Caedicius, kein Offizier, aber ein altgedienter Soldat, entschlossenen Widerstand und seine Schuetzen wussten den Germanen, die Fernwaffen nicht besassen, das Lagern vor den Waellen so zu verleiden, dass sie die Belagerung in eine Blockade umwandelten. Als die letzten Vorraete der Belagerten erschoepft waren und immer noch kein Entsatz kam, brach Caedicius in einer finsteren Nacht auf, und dieser Rest des Heeres erreichte in der Tat, wenn auch beschwert mit zahlreichen Frauen und Kindern und durch die Angriffe der Germanen starke Verluste erleidend, schliesslich das Lager von Vetera. Dorthin waren auch die beiden in Mainz stehenden Legionen unter Lucius Nonius Asprenas auf die Nachricht von der Katastrophe gegangen. Die entschlossene Verteidigung von Aliso und Asprenas rasches Eingreifen verhinderten die Germanen, ihren Sieg auf dem linken Rheinufer zu verfolgen, vielleicht die Gallier, sich gegen Rom zu erheben. ------------------------------------------------- ^18 Der Dionische Bericht, der einzige, der diese Katastrophe in einigem Zusammenhang ueberliefert, erklaert den Verlauf derselben in genuegender Weise, wenn man nur, was Dio allerdings nicht hervorhebt, das allgemeine Verhaeltnis des Sommerund des Winterlagers hinzunimmt und die von Ranke (Weltgeschichte. Leipzig 1881-88. Bd. 3, 2, S. 275) mit Recht gestellte Frage, wie gegen eine lokale Insurrektion das ganze Heer hat marschieren koennen, damit beantwortet. Der Bericht des Florus beruht keineswegs auf urspruenglich anderen Quellen, wie derselbe Gelehrte annimmt, sondern lediglich auf dem dramatischen Zusammenruecken der Motive, wie es allen Historikern dieses Schlages eigen ist. Die friedliche Rechtspflege des Varus und die Erstuermung des Lagers kennt die bessere Ueberlieferung beide auch und in ihrem ursaechlichen Zusammenhang; die laecherliche Schilderung, dass, waehrend Varus auf dem Gerichtsstuhl sitzt und der Herold die Parteien vorladet, die Germanen zu allen Toren in das Lager einbrechen, ist nicht Ueberlieferung, sondern aus dieser verfertigtes Tableau. Dass dieses ausser mit der gesunden Vernunft auch mit Tacitus’ Schilderung der drei Marschlager in unloesbarem Widerspruch steht, leuchtet ein. ^19 Die normale Staerke der drei Alen und der sechs Kohorten ist insofern nicht genau zu berechnen, als darunter einzelne Doppelabteilungen (miliariae) gewesen sein koennen; aber viel ueber 20000 Mann kann das Heer nicht gezaehlt haben. Andererseits liegt keine Ursache vor, eine wesentliche Differenz der effektiven Staerke von der normalen anzunehmen. Die zahlreichen Detachierungen, deren Erwaehnung geschieht (Dio 56, 19), finden ihren Ausdruck in der verhaeltnismaessig geringen Zahl der Auxilien, die immer dafuer vorzugsweise verwendet wurden. ^20 Da Germanicus, von der Ems kommend, das Gebiet zwischen Ems und Lippe, das heisst das Muensterland, verheert, und nicht weit davon der Teutoburgiensis saltus liegt, wo Varus’ Heer zugrunde ging (Tat. ann. 1, 61), so liegt es am naechsten, diese Bezeichnung, welche auf das flache Muensterland nicht passt, von dem das Muensterland nordoestlich begrenzenden Hoehenzug, dem Osning zu verstehen; aber auch an das etwas weiter noerdlich parallel mit dem Osning von Minden zur Huntequelle streichende Wiehengebirge kann gedacht werden. Den Punkt an der Weser, an dem das Sommerlager stand, kennen wir nicht; indes ist nach der Lage von Aliso bei Paderborn und nach den zwischen diesem und der Weser bestehenden Verbindungen wahrscheinlich dasselbe etwa bei Minden gewesen. Die Richtung des Rueckmarsches kann jede andere, nur nicht die naechste nach Aliso gewesen sein, und die Katastrophe erfolgte also nicht auf der militaerischen Verbindungslinie zwischen Minden und Paderborn selbst, sondern in groesserer oder geringerer Entfernung von dieser. Varus mag von Minden etwa in der Richtung auf Osnabrueck marschiert sein, dann nach dem Angriff von dort aus nach Paderborn zu gelangen versucht und auf diesem Marsch in einem jener beiden Hoehenzuege sein Ende gefunden haben. Seit Jahrhunderten ist in der Gegend von Venne an der Huntequelle eine auffallend grosse Anzahl von roemischen Gold-, Silberund Kupfermuenzen gefunden worden, wie sie in augustischer Zeit umliefen, waehrend spaetere Muenzen daselbst so gut wie gar nicht vorkommen (vgl. die Nachweisungen bei Paul Hoefen Der Feldzug des Germanicus im Jahre 16. Gotha 1884, S. 82 f.). Einem Muenzschatz koennen diese Funde nicht angehoeren, wegen des zerstreuten Vorkommens und der Verschiedenheit der Metalle; einer Handelsstaette auch nicht, wegen der zeitlichen Geschlossenheit; sie sehen ganz aus wie der Nachlass einer grossen aufgeriebenen Armee, und die vorliegenden Berichte ueber die Varusschlacht lassen sich mit dieser Lokalitaet vereinigen. Ueber das Jahr der Katastrophe haette nie gestritten werden sollen; die Verschiebung in das Jahr 10 ist ein blosses Versehen. Die Jahreszeit wird einigermassen dadurch bestimmt, dass zwischen der Anordnung der illyrischen Siegesfeier und dem Eintreffen der Ungluecksbotschaft in Rom nur fuenf Tage liegen und jene wahrscheinlich den Sieg vom 3. August zur Voraussetzung hat wenn sie auch nicht unmittelbar auf diesen gefolgt ist. Danach wird die Niederlage etwa im September oder Oktober stattgefunden haben, was auch dazu stimmt, dass der letzte Marsch des Varus offenbar der Rueckmarsch aus dem Sommerin das Winterlager gewesen ist. ------------------------------------------------- Die Niederlage war insofern bald wieder ausgeglichen, als die Rheinarmee sofort nicht bloss ergaenzt, sondern ansehnlich verstaerkt ward. Tiberius uebernahm abermals das Kommando derselben und wenn aus dem auf die Varusschlacht folgenden Jahr (10) die Kriegsgeschichte Gefechte nicht zu verzeichnen hatte, so ist wahrscheinlich damals die Besetzung der Rheingrenze mit acht Legionen und wohl gleichzeitig die Teilung dieses Kommandos in das der oberen Armee mit dem Hauptquartier Mainz und das der unteren mit dem Hauptquartier Vetera, ueberhaupt also diejenige Einrichtung daselbst getroffen worden, die dann durch Jahrhunderte massgebend geblieben ist. Man musste erwarten, dass auf diese Vermehrung der Rheinarmee die energische Wiederaufnahme der Operationen auf dem rechten Rheinufer gefolgt waere. Der roemisch-germanische Kampf war nicht ein Kampf zwischen zwei in politischem Gleichgewicht stehenden Maechten, in welchem die Niederlage der einen einen unguenstigen Friedensschluss rechtfertigen kann; es war der Kampf eines zivilisierten und organisierten Grossstaates gegen eine tapfere, aber politisch und militaerisch barbarische Nation, in welchem das schliessliche Ergebnis von vornherein feststeht und ein vereinzelter Misserfolg in dem vorgezeichneten Plan so wenig etwas aendern darf, wie das Schiff darum seine Fahrt aufgibt, weil ein Windstoss es aus der Bahn wirft. Aber es kam anders. Wohl ging Tiberius im folgenden Jahr (11) ueber den Rhein; aber diese Expedition glich den frueheren nicht. Er blieb den Sommer drueben und feierte dort des Kaisers Geburtstag, aber die Armee hielt sich in der unmittelbaren Naehe des Rheins und von Zuegen an die Weser und an die Elbe war keine Rede - es sollte offenbar den Germanen nur gezeigt werden, dass die Roemer den Weg in ihr Land noch zu finden wussten, vielleicht auch diejenigen Einrichtungen am rechten Rheinufer getroffen werden, welche die veraenderte Politik erforderte. Das grosse, beide Heere umfassende Kommando blieb und es blieb also auch im kaiserlichen Hause. Germanicus hatte es schon im Jahre 11 neben Tiberius gefuehrt; im folgenden (12), wo ihn die Verwaltung des Konsulats in Rom festhielt, kommandierte Tiberius allein am Rhein; mit dem Anfang des Jahres 13 uebernahm Germanicus den alleinigen Oberbefehl. Man betrachtete sich als im Kriegsstand gegen die Germanen; aber es waren tatenlose Jahre ^21. Ungern ertrug der feurige und ehrgeizige Erbprinz den ihm auferlegten Zwang, und man begreift es von dem Offizier, dass er die drei Adler in Feindeshand nicht vergass, von dem leiblichen Sohn des Drusus, dass er dessen zerstoerten Bau wieder aufzurichten wuenschte. Bald bot sich ihm dazu die Gelegenheit oder er nahm sie. Am 19. August des Jahres 14 starb Kaiser Augustus. Der erste Thronwechsel in der neuen Monarchie verlief nicht ohne Krise und Germanicus hatte Gelegenheit, durch Taten seinem Vater zu beweisen, dass er gesonnen war, ihm die Treue zu wahren. Darin aber fand er zugleich die Rechtfertigung, die lange gewuenschte Invasion Germaniens auch ungeheissen wieder aufzunehmen; er erklaerte, die nicht unbedenkliche, durch den Thronwechsel bei den Legionen hervorgerufene Gaerung durch diesen frischen Kriegszug ersticken zu muessen. Ob dies ein Grund oder ein Vorwand war, wissen wir nicht und wusste vielleicht er selber nicht. Dem Kommandanten der Rheinarmee konnte das Ueberschreiten der Grenze ueberall nicht gewehrt werden, und es hing immer bis zu einem gewissen Grade von ihm ab, wie weit gegen die Germanen vorgegangen werden sollte. Vielleicht auch glaubte er, im Sinne des neuen Herrschers zu handeln, der ja wenigstens ebensoviel Anspruch wie sein Bruder auf den Namen des Besiegers von Germanien hatte und dessen angekuendigtes Erscheinen im Rheinlager wohl so aufgefasst werden konnte, als komme er, um die auf Augustus’ Geheiss abgebrochene Eroberung Germaniens wieder aufzunehmen. Wie dem auch sei, die Offensive jenseits des Rheins begann aufs neue. Noch im Herbst des Jahres 14 fuehrte Germanicus selbst Detachements aller Legionen bei Vetera ueber den Rhein und drang an der Lippe hinauf ziemlich tief in das Binnenland vor, weit und breit das Land verheerend, die Eingeborenen niedermachend, die Tempel - so den hochgeehrten der Tanfana - zerstoerend. Die Betroffenen, es waren vornehmlich Bructerer, Tubanten und Usiper, suchten dem Kronprinzen auf der Heimkehr das Schicksal des Varus zu bereiten; aber an der energischen Haltung der Legionen prallte der Angriff ab. Da dieser Vorstoss keinen Tadel fand, vielmehr dem Feldherrn dafuer Danksagungen und Ehrenbezeugungen dekretiert wurden, ging er weiter. Im Fruehling des Jahres 15 versammelte er seine Hauptmacht zunaechst am Mittelrhein und ging selbst von Mainz vor gegen die Chatten bis an die oberen Zufluesse der Weser, waehrend das untere Heer weiter nordwaerts die Cherusker und die Marser angriff. Eine gewisse Rechtfertigung fuer dies Vorgehen lag darin, dass die roemisch gesinnten Cherusker, welche unter dem unmittelbaren Eindruck der Katastrophe des Varus sich den Patrioten hatten anschliessen muessen, jetzt wieder mit der viel staerkeren Nationalpartei in offenem Kampfe lagen und die Intervention des Germanicus anriefen. In der Tat gelang es, den von seinen Landsleuten hart bedraengten Roemerfreund Segestes zu befreien und dabei dessen Tochter, die Gattin des Arminius, in die Gewalt zu bekommen; auch des Segestes Bruder Segimerus, einst neben Arminius der Fuehrer der Patrioten, unterwarf sich; die inneren Zerwuerfnisse der Germanen ebneten einmal mehr der Fremdherrschaft die Wege. Noch im selben Jahre unternahm Germanicus den Hauptzug nach dem Emsgebiet; Caecina rueckte von Vetera aus an die obere Ems, er selbst ging mit der Flotte von der Rheinmuendung aus eben dorthin; die Reiterei zog die Kueste entlang durch das Gebiet der treuen Friesen. Wieder vereinigt, verwuesteten die Roemer das Land der Bructerer und das ganze Gebiet zwischen Ems und Lippe und machten von da aus einen Zug nach der Ungluecksstaette, wo sechs Jahre zuvor das Heer des Varus geendigt hatte, um den gefallenen Kameraden das Grabmal zu errichten. Bei dem weiteren Vormarsch wurde die roemische Reiterei von Arminius und den erbitterten Patriotenscharen in einen Hinterhalt gelockt und waere aufgerieben worden, wenn nicht die anrueckende Infanterie groesseres Unheil verhindert haette. Schwerere Gefahren brachte die Heimkehr von der Ems, welche auf denselben Wegen angetreten ward wie der Hinmarsch. Die Reiterei gelangte unbeschaedigt in das Winterlager. Dafuer das Fussvolk der vier Legionen die Flotte bei der schwierigen Fahrt - es war um die Zeit der Herbstnachtgleiche - nicht genuegte, so schiffte Germanicus zwei derselben wieder aus und liess sie am Strande zurueckgehen; aber mit dem Verhaeltnis von Ebbe und Flut in dieser Jahreszeit ungenuegend bekannt, verloren sie ihr Gepaeck und gerieten in Gefahr, massenweise zu ertrinken. Der Rueckmarsch der vier Legionen des Caecina von der Ems zum Rhein glich genau dem des Varus, ja das schwere sumpfige Land bot wohl noch groessere Schwierigkeiten als die Schluchten der Waldgebirge. Die ganze Masse der Eingeborenen, an ihrer Spitze die beiden Cheruskerfuersten, Arminius und dessen hochangesehener Oheim Inguiomerus, warf sich auf die abziehenden Truppen in der sicheren Hoffnung, ihnen das gleiche Schicksal zu bereiten, und fuellte ringsum die Suempfe und Waelder. Der alte Feldherr aber, in vierzigjaehrigem Kriegsdienst erprobt, blieb kaltbluetig auch in der aeussersten Gefahr und hielt seine verzagenden und hungernden Mannschaften fest in der Hand. Dennoch haette auch er vielleicht das Unheil nicht abwenden koennen, wenn nicht nach einem gluecklichen Angriff waehrend des Marsches, bei dem die Roemer einen grossen Teil ihrer Reiterei und fast das ganze Gepaeck einbuessten, die siegesgewissen und beutelustigen Deutschen gegen Arminius Rat dem anderen Fuehrer gefolgt waeren und statt der weiteren Umstellung des Feindes geradezu den Sturm auf das Lager versucht haetten. Caecina liess die Germanen bis an die Waelle herankommen, brach aber dann aus allen Toren und Pforten mit solcher Gewalt auf die Stuermenden ein, dass sie eine schwere Niederlage erlitten und infolgedessen der weitere Rueckzug ohne wesentliche Hinderung stattfand. Am Rhein hatte man die Armee schon verloren gegeben und war im Begriff gewesen, die Bruecke bei Vetera abzuwerfen, um wenigstens das Eindringen der Germanen in Gallien zu verhindern; nur die entschlossene Einrede einer Frau, der Gattin des Germanicus, der Tochter Agrippas, hatte den verzagten und schimpflichen Entschluss vereitelt. ----------------------------------------- ^21 Den fortdauernden Kriegsstand bezeugen Tacitus (ann. 1, 9) und Dio (56, 26); aber berichtet wird gar nichts aus den nominellen Feldzuegen der Sommer 12, 13 und 14, und die Expedition vom Herbst des Jahres 14 erscheint als die erste von Germanicus unternommene. Allerdings ist Germanicus wahrscheinlich noch bei Augustus’ Lebzeiten als Imperator ausgerufen worden (Monumentum Ancyranum, S. 17); aber es steht nichts im Wege, dies auf den Feldzug des Jahres 11 zu beziehen, in dem Germanicus mit prokonsularischer Gewalt neben Tiberius kommandierte (Dio 56, 25). Im Jahre 12 war er in Rom zur Verwaltung des Konsulats, welche er das ganze Jahr hindurch behielt und mit welcher es damals noch ernsthaft genommen wurde; dies erklaert, weshalb Tiberius, wie dies jetzt erwiesen ist (Hermann Schulz, Quaestiones Ovidianae. Greifswald 1883, S. 15 f.), noch im Jahre 12 nach Germanien ging und sein Rheinkommando erst im Anfang des Jahres 13 mit der pannonischen Siegesfeier niederlegte. ----------------------------------------- Die Wiederaufnahme der Unterwerfung Germaniens begann also nicht gerade mit Glueck. Das Gebiet zwischen Rhein und Weser war wohl wieder betreten und durchschritten worden, aber entscheidende Erfolge hatten die Roemer nicht aufzuzeigen, und der ungeheure Verlust an Material, namentlich an Pferden, wurde schwer empfunden, so dass, wie in Scipios Zeiten, die Staedte Italiens und der westlichen Provinzen bei dem Ersatz des Verlorenen mit patriotischen Beisteuern sich beteiligten. Germanicus aenderte fuer den naechsten Feldzug (16) seinen Kriegsplan: er versuchte, die Unterwerfung Germaniens auf die Nordsee und die Flotte zu stuetzen, teils weil die Voelkerschaften an der Kueste, die Bataver, Friesen, Chauker mehr oder minder zu den Roemern hielten, teils um die zeitraubenden und verlustvollen Maersche vom Rhein zur Weser und zur Elbe und wieder zurueck abzukuerzen. Nachdem er dieses Fruehjahr wie das vorige zu raschen Vorstoessen am Main und an der Lippe verwendet hatte, schiffte er im Anfang des Sommers auf der inzwischen fertiggestellten gewaltigen Transportflotte von 1000 Segeln sein gesamtes Heer an der Rheinmuendung ein und gelangte in der Tat ohne Verlust bis an die der Ems, wo die Flotte blieb, und weiter, vermutlich die Ems hinauf bis an die Haasemuendung und dann an dieser hinauf in das Werretal, durch dieses an die Weser. Damit war die Durchfuehrung der bis 80000 Mann starken Armee durch den Teutoburger Wald, welche namentlich fuer die Verpflegung mit grossen Schwierigkeiten verbunden war, vermieden, in dem Flottenlager fuer die Zufuhr ein sicherer Rueckhalt gegeben, und die Cherusker auf dem rechten Ufer der Weser statt von vorn in der Flanke angegriffen. Auf diesem trat den Roemern das Gesamtaufgebot der Germanen entgegen, wiederum gefuehrt von den beiden Haeuptern der Patriotenpartei, Arminius und Inguiomerus; ueber welche Streitkraefte dieselben geboten, beweist, dass sie im Cheruskerland zunaechst an der Weser selbst, dann etwas weiter landeinwaerts ^22, zweimal kurz nacheinander gegen das gesamte roemische Heer in offener Feldschlacht schlugen und in beiden den Sieg hart bestritten. Allerdings fiel dieser den Roemern zu und von den germanischen Patrioten blieb ein betraechtlicher Teil auf den Schlachtfeldern - Gefangene wurden nicht gemacht und von beiden Seiten mit aeusserster Erbitterung gefochten; das zweite Tropaeum des Germanicus sprach von der Niederwerfung aller germanischen Voelker zwischen Rhein und Elbe; der Sohn stellte diese seine Kampagne neben die glaenzenden des Vaters und berichtete nach Rom, dass er im naechsten Feldzug die Unterwerfung Germaniens vollendet haben werde. Aber Arminius entkam, obwohl verwundet, und blieb auch ferner an der Spitze der Patrioten, und ein unvorhergesehenes Unheil verdarb den Waffenerfolg. Auf der Heimkehr, die von dem groessten Teil der Legionen zu Schiff gemacht wurde, geriet die Transportflotte in die Herbststuerme der Nordsee; die Schiffe wurden nach allen Seiten ueber die Inseln der Nordsee und bis an die britische Kueste hin geschleudert, ein grosser Teil ging zugrunde und die sich retteten, hatten groesstenteils Pferde und Gepaeck ueber Bord werfen und froh sein muessen, das nackte Leben zu bergen. Der Fahrtverlust kam, wie in den Zeiten der Punischen Kriege, einer Niederlage gleich; Germanicus selbst, mit dem Admiralschiff einzeln verschlagen an den oeden Strand der Chauker, war in Verzweiflung ueber diesen Misserfolg drauf und dran, seinen Tod in demselben Ozean zu suchen, dessen Beistand er im Beginn dieses Feldzuges so ernstlich und so vergeblich angerufen hatte. Wohl erwies sich spaeterhin der Menschenverlust nicht ganz so gross, wie es anfaenglich geschienen hatte, und einige erfolgreiche Schlaege, die der Feldherr nach der Rueckkehr an den Rhein den naechstwohnenden Barbaren versetzte, hoben den gesunkenen Mut der Truppen. Aber im ganzen genommen endigte der Feldzug des Jahres 16, verglichen mit dem des vorigen, wohl mit glaenzenderen Siegen, aber auch mit viel empfindlicherer Einbusse. ----------------------------------------------- ^22 Die Annahme Schmidts (Westfaelische Zeitschrift 20, 1862, S. 301), dass die erste Schlacht auf dem Idistavisischen Feld, etwa bei Bueckeburg, geschlagen sei, die zweite, wegen der dabei erwaehnten Suempfe, vielleicht am Steinhuder See, bei dem suedlich von diesem liegenden Dorf Bergkirchen, wird von der Wahrheit sich nicht weit entfernen und kann wenigstens als Veranschaulichung gelten. Auf ein gesichertes Ergebnis muss bei diesem wie bei den meisten Taciteischen Schlachtberichten verzichtet werden. ----------------------------------------------- Germanicus Abberufung war zugleich die Aufhebung des Oberkommandos der rheinischen Armee. Die blosse Teilung des Kommandos setzte der bisherigen Kriegfuehrung ein Ziel; dass Germanicus nicht bloss abberufen ward, sondern keinen Nachfolger erhielt, kam hinaus auf die Anordnung der Defensive am Rhein. So ist denn auch der Feldzug des Jahres 16 der letzte gewesen, den die Roemer gefuehrt haben, um Germanien zu unterwerfen und die Reichsgrenze vom Rhein an die Elbe zu verlegen. Dass die Feldzuege des Germanicus dieses Ziel hatten, lehrt ihr Verlauf selbst und das die Elbgrenze feiernde Tropaeum. Auch die Wiederherstellung der rechtsrheinischen militaerischen Anlagen, der Taunuskastelle sowohl wie der Festung Aliso und der diese mit Vetera verbindenden Linie, gehoert nur zum Teil zu derjenigen Besetzung des rechten Rheinufers, wie sie auch mit dem beschraenkten Operationsplan nach der Varusschlacht sich vertrug, zum Teil griff sie weit ueber denselben hinaus. Aber was der Feldherr wollte, wollte der Kaiser nicht oder nicht ganz. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass Tiberius die Unternehmungen des Germanicus am Rhein von Haus aus mehr hat geschehen lassen, und gewiss, dass er durch dessen Abberufung im Winter 16/17 denselben ein Ziel hat setzen wollen. Ohne Zweifel ist zugleich ein guter Teil des Erreichten aufgegeben, namentlich aus Aliso die Besatzung zurueckgezogen worden. Wie Germanicus von dem im Teutoburger Walde errichteten Siegesdenkmal schon das Jahr darauf keinen Stein mehr fand, so sind auch die Ergebnisse seiner Siege wie ein Schlag ins Wasser verschwunden, und keiner seiner Nachfolger hat auf diesem Grunde weiter gebaut. Wenn Augustus das eroberte Germanien nach der Varusschlacht verloren gegeben hatte, wenn Tiberius jetzt, nachdem die Eroberung abermals in Angriff genommen worden war, sie abzubrechen befahl, so ist die Frage wohl berechtigt, welche Motive die beiden bedeutenden Regenten hierbei geleitet haben und was diese wichtigen Vorgaenge fuer die allgemeine Reichspolitik bedeuten. Die Varusschlacht ist ein Raetsel, nicht militaerisch, aber politisch, nicht in ihrem Verlauf, aber in ihren Folgen. Augustus hatte nicht unrecht, wenn er seine verlorenen Legionen nicht von dem Feind oder dem Schicksal, sondern von dem Feldherrn zurueckforderte; es war ein Ungluecksfall, wie ungeschickte Korpsfuehrer sie von Zeit zu Zeit fuer jeden Staat herbeifuehren; schwer begreift man, dass die Aufreibung einer Armee von 20000 Mann ohne weitere unmittelbare militaerische Konsequenzen der grossen Politik eines einsichtig regierten Weltstaates eine entscheidende Wendung gegeben hat. Und doch haben die beiden Herrscher jene Niederlage mit einer beispiellosen und fuer die Stellung der Regierung, der Armee wie den Nachbarn gegenueber bedenklichen und gefaehrlichen Geduld ertragen; doch haben sie den Friedensschluss mit Marobod, der ohne Zweifel eigentlich nur eine Waffenruhe sein sollte, zu einem definitiven werden lassen und nicht weiter versucht, das obere Elbtal in die Hand zu bekommen. Es muss Tiberius nicht leicht angekommen sein, den grossen, mit dem Bruder gemeinschaftlich begonnenen, dann nach dessen Tode von ihm fast vollendeten Bau zusammenstuerzen zu sehen; der gewaltige Eifer, womit er, sowie er in das Regiment wieder eingetreten war, den vor zehn Jahren begonnenen germanischen Krieg aufgenommen hatte, laesst ermessen, was diese Entsagung ihn gekostet haben muss. Wenn dennoch nicht bloss Augustus bei derselben beharrte, sondern auch nach dessen Tode er selbst, so ist dafuer ein anderer Grund nicht zu finden, als dass sie die durch zwanzig Jahre hindurch verfolgten Plaene zur Veraenderung der Nordgrenze als unausfuehrbar erkannten und die Unterwerfung und Behauptung des Gebietes zwischen dem Rhein und der Elbe ihnen die Kraefte des Reiches zu uebersteigen schien. Wenn die bisherige Reichsgrenze von der mittleren Donau bis an deren Quelle und den oberen Rhein und dann rheinabwaerts lief, so wurde sie allerdings durch die Verlegung an die in ihrem Quellgebiet der mittleren Donau sich naehernde Elbe und an deren ganzen Lauf wesentlich verkuerzt und verbessert; wobei wahrscheinlich ausser dem evidenten militaerischen Gewinn auch noch das politische Moment in Betracht kam, dass die moeglichst weite Entfernung der grossen Kommandos von Rom und Italien eine der leitenden Maximen der Augusteischen Politik war und ein Elbheer in der weiteren Entwicklung Roms schwerlich dieselbe Rolle gespielt haben wuerde, wie sie die Rheinheere nur zu bald uebernahmen. Die Vorbedingungen dazu, die Niederwerfung der germanischen Patriotenpartei und des Suebenkoenigs in Boehmen, waren keine leichten Aufgaben; indes man hatte dem Gelingen derselben schon einmal ganz nahe gestanden und bei richtiger Fuehrung konnten diese Erfolge nicht verfehlt werden. Aber eine andere Frage war es, ob nach der Einrichtung der Elbgrenze die Truppen aus dem zwischenliegenden Gebiet weggezogen werden konnten; diese Frage hatte der dalmatisch-pannonische Krieg in sehr ernster Weise der roemischen Regierung gestellt. Wenn schon das bevorstehende Einruecken der roemischen Donauarmee in Boehmen einen mit Anstrengung aller militaerischen Hilfsmittel erst nach vierjaehrigem Kampf niedergeworfenen Volksaufstand in Illyricum hervorgerufen hatte, so durfte weder zur Zeit noch auf lange Jahre hinaus dies weite Gebiet sich selbst ueberlassen werden. Aehnlich stand es ohne Zweifel am Rhein. Das roemische Publikum pflegte wohl sich zu ruehmen, dass der Staat ganz Gallien in Unterwuerfigkeit halte durch die 1200 Mann starke Besatzung von Lyon; aber die Regierung konnte nicht vergessen, dass die beiden grossen Armeen am Rhein nicht bloss die Germanen abwehrten, sondern auch fuer die keineswegs durch Fuegsamkeit sich auszeichnenden gallischen Gaue gar sehr in Betracht kamen. An der Weser oder gar an der Elbe aufgestellt, haetten sie diesen Dienst nicht in gleichem Masse geleistet; und sowohl den Rhein wie die Elbe besetzt zu halten, vermochte man nicht. So mochte Augustus wohl zu dem Schluss kommen, dass mit dem damaligen, allerdings seit kurzem erheblich verstaerkten, aber immer noch tief unter dem Mass des wirklich Erforderlichen stehenden Heerbestand jene grosse Grenzregulierung nicht auszufuehren sei; die Frage ward damit aus einer militaerischen zu einer Frage der inneren Politik und insonderheit zu einer Finanzfrage. Die Kosten der Armee noch weiter zu steigern, hat weder Augustus noch Tiberius sich getraut. Man kann dies tadeln. Der laehmende Doppelschlag der illyrischen und der germanischen Insurrektion mit ihren schweren Katastrophen, das hohe Alter und die erlahmende Kraft des Herrschers, die zunehmende Abneigung des Tiberius gegen frisches Handeln und grosse Initiative und vor allem gegen jede Abweichung von der Politik des Augustus, haben dabei ohne Zweifel bestimmend mitund vielleich t zum Nachteil des Staates gewirkt. Man fuehlt es in dem nicht zu billigenden, aber wohl erklaerlichen Auftreten des Germanicus, wie das Militaer und die Jugend das Aufgeben der neuen Provinz Germanien empfanden. Man erkennt in dem duerftigen Versuch, mit Hilfe der paar linksrheinischen deutschen Gaue wenigstens dem Namen nach das verlorene Germanien festzuhalten, in den zweideutigen und unsicheren Worten, mit denen Augustus selbst in seinem Rechenschaftsbericht Germanien als roemisch in Anspruch nimmt oder auch nicht, wie verlegen die Regierung in dieser Sache der oeffentlichen Meinung gegenueber stand. Der Griff nach der Elbgrenze war ein gewaltiger, vielleicht ueberkuehner gewesen; vielleicht von Augustus, dessen Flug im allgemeinen so hoch nicht ging, erst nach jahrelangem Zaudern und wohl nicht ohne den bestimmenden Einfluss des ihm vor allen nahestehenden juengeren Stiefsohns unternommen. Aber einen allzu kuehnen Schritt zurueckzutun ist in der Regel nicht eine Verbesserung des Fehlers, sondern ein zweiter. Die Monarchie brauchte die unbefleckte kriegerische Ehre und den unbedingten kriegerischen Erfolg in ganz anderer Weise als das ehemalige Buergermeisterregiment; das Fehlen der seit der Varusschlacht niemals ausgefuellten Nummern 17, 18 und 19 in der Reihe der Regimenter passte wenig zu dem militaerischen Prestige, und den Frieden mit Marobod aufgrund des Status quo konnte die loyalste Rhetorik nicht in einen Erfolg umreden. Anzunehmen, dass Germanicus einem eigentlichen Befehl seiner Regierung zuwider jene weit aussehenden Unternehmungen begonnen hat, verbietet seine ganze politische Stellung; aber den Vorwurf, dass er seine doppelte Stellung als Hoechstkommandierender der ersten Armee des Reiches und als kuenftiger Thronfolger dazu benutzt hat, um seine politisch-militaerischen Plaene auf eigene Faust durchzufuehren, wird man ihm so wenig ersparen koennen wie dem Kaiser den nicht minder schweren, zurueckgescheut zu sein vielleicht vor dem Fassen, vielleicht auch nur vor dem klaren Aussprechen und dem scharfen Durchfuehren der eigenen Entschluesse. Wenn Tiberius die Wiederaufnahme der Offensive wenigstens geschehen liess, so muss er empfunden haben, wieviel fuer eine kraeftigere Politik sprach; wie es ueberbedaechtige Leute wohl tun, mag er wohl sozusagen dem Schicksal die Entscheidung ueberlassen haben, bis dann der wiederholte und schwere Misserfolg des Kronprinzen die Politik der Verzagtheit abermals rechtfertigte. Leicht war es fuer die Regierung nicht, einer Armee Halt zu gebieten, die von den verlorenen drei Adlern zwei zurueckgebracht hatte; aber es geschah. Was immer die sachlichen und die persoenlichen Motive gewesen sein moegen, wir stehen hier an einem Wendepunkt der Voelkergeschicke. Auch die Geschichte hat ihre Flut und ihre Ebbe; hier tritt nach der Hochflut des roemischen Weltregiments die Ebbe ein. Nordwaerts von Italien hatte wenige Jahre hindurch die roemische Herrschaft bis an die Elbe gereicht; seit der Varusschlacht sind ihre Grenzen der Rhein und die Donau. Ein Maerchen, aber ein altes, berichtet, dass dem ersten Eroberer Germaniens, dem Drusus, auf seinem letzten Feldzug an der Elbe eine gewaltige Frauengestalt germanischer Art erschienen sei und ihm in seiner Sprache das Wort zugerufen habe "Zurueck!" Es ist nicht gesprochen worden, aber es hat sich erfuellt. Indes die Niederlage der Augusteischen Politik, wie der Friede mit Maroboduus und die Hinnahme der Teutoburger Katastrophe wohl bezeichnet werden darf, war kaum ein Sieg der Germanen. Nach der Varusschlacht muss wohl durch die Gemueter der Besten die Hoffnung gegangen sein, dass der Nation aus dem herrlichen Sieg der Cherusker und ihrer Verbuendeten und aus dem Zurueckweichen des Feindes im Westen wie im Sueden eine gewisse Einigung erwachsen werde. Den sonst sich fremd gegenueberstehenden Sachsen und Sueben mag vielleicht eben in diesen Krisen das Gefuehl der Einheit aufgegangen sein. Dass die Sachsen vom Schlachtfelde weg den Kopf des Varus an den Suebenkoenig schickten, kann nichts sein als der wilde Ausdruck des Gedankens, dass fuer alle Germanen die Stunde gekommen sei, in gemeinschaftlichem Ansturm sich auf das Roemische Reich zu stuerzen und des Landes Grenze und des Landes Freiheit so zu sichern, wie sie allein gesichert werden koennen, durch Niederschlagen des Erbfeindes in seinem eigenen Heim. Aber der gebildete Mann und staatskluge Koenig nahm die Gabe der Insurgenten nur an, um den Kopf dem Kaiser Augustus zur Beisetzung zu senden; er tat nichts fuer, aber auch nichts gegen die Roemer und beharrte unerschuetterlich in seiner Neutralitaet. Unmittelbar nach dem Tode des Augustus hatte man in Rom den Einbruch der Markomannen in Raetien gefuerchtet, aber, wie es scheint, ohne Ursache, und als dann Germanicus die Offensive gegen die Germanen vom Rhein aus wieder aufnahm, hatte der maechtige Markomannenkoenig untaetig zugesehen. Diese Politik der Feinheit oder der Feigheit in der wild bewegten, von patriotischen Erfolgen und Hoffnungen trunkenen germanischen Welt grub sich ihr eigenes Grab. Die entfernteren, nur lose mit dem Reich verknuepften Suebenstaemme, die Semnonen, Langobarden und Gothonen, sagten dem Koenig ab und machten gemeinschaftliche Sache mit den saechsischen Patrioten; es ist nicht unwahrscheinlich, dass die ansehnlichen Streitkraefte, ueber welche Arminius und Inguiomerus in den Kaempfen gegen Germanicus offenbar geboten, ihnen grossenteils von daher zugestroemt sind. Als bald darauf der roemische Angriff ploetzlich abgebrochen ward, wendeten sich die Patrioten (17) zum Angriff gegen Maroboduus, vielleicht zum Angriff auf das Koenigtum ueberhaupt, wenigstens wie dieser es nach roemischem Muster verwaltete ^23. Aber auch unter ihnen selbst waren Spaltungen eingetreten; die beiden nah verwandten cheruskischen Fuersten, die in den letzten Kaempfen die Patrioten wenn nicht siegreich, doch tapfer und ehrenvoll gefuehrt und bisher stets Schulter an Schulter gefochten hatten, standen in diesem Krieg nicht mehr zusammen. Der Oheim Inguiomerus ertrug es nicht noch laenger, neben dem Neffen der zweite zu sein, und trat bei dem Ausbruch des Krieges auf Maroboduus’ Seite. So kam es zur Entscheidungsschlacht zwischen Germanen und Germanen, ja zwischen denselben Staemmen; denn in beiden Armeen fochten sowohl Sueben wie Cherusker. Lange schwankte der Kampf; beide Heere hatten von der roemischen Taktik gelernt, und auf beiden Seiten war die Leidenschaft und die Erbitterung gleich. Einen eigentlichen Sieg erfocht Arminius nicht, aber der Gegner ueberliess ihm das Schlachtfeld, und da Maroboduus den kuerzeren gezogen zu haben schien, verliessen ihn die bisher noch zu ihm gehalten hatten und fand er sich auf sein eigenes Reich beschraenkt. Als er roemische Hilfe gegen die uebermaechtigen Landsleute erbat, erinnerte ihn Tiberius an sein Verhalten nach der Varusschlacht und erwiderte, dass jetzt die Roemer ebenfalls neutral bleiben wuerden. Es ging nun schleunig mit ihm zu Ende. Schon im folgenden Jahr (18) wurde er von einem Gothonenfuersten Catualda, den er frueher persoenlich beleidigt hatte und der dann mit den uebrigen ausserboehmischen Sueben von ihm abgefallen war, in seinem Koenigssitz selbst ueberfallen und rettete, von den Seinigen verlassen, mit Not sich zu den Roemern, die ihm die erbetene Freistatt gewaehrten - als roemischer Pensionaer ist er viele Jahre spaeter in Ravenna gestorben. ------------------------------------------ ^23 Die Angabe des Tacitus (ann. 2, 45), dass dies eigentlich ein Krieg der Republikaner gegen die Monarchisten gewesen sei, ist wohl nicht frei von Uebertragung hellenisch-roemischer Anschauungen auf die sehr verschiedene germanische Welt. Soweit der Krieg eine ethisch-politische Tendenz gehabt hat, wird ihn nicht das nomen regis, wie Tacitus sagt, sondern das certum imperium visque regia des Velleius (2, 108) hervorgerufen haben. ------------------------------------------ Also waren Arminius’ Gegner wie seine Nebenbuhler fluechtig geworden, und die germanische Nation sah auf keinen andern als auf ihn. Aber diese Groesse war seine Gefahr und sein Verderben. Seine eigenen Landsleute, vor allem sein eigenes Geschlecht schuldigte ihn an, den Weg Marobods zu gehen und nicht bloss der Erste, sondern auch der Herr und der Koenig der Germanen sein zu wollen - ob mit Grund oder nicht und ob, wenn er dies wollte, er damit nicht vielleicht das Rechte wollte, wer vermag es zu sagen? Es kam zum Buergerkrieg zwischen ihm und diesen Vertretern der Volksfreiheit; zwei Jahre nach Maroboduus’ Verbannung fiel auch er, gleich Caesar, durch den Mordstahl ihm nahestehender, republikanisch gesinnter Adliger. Seine Gattin Thusnelda und sein in der Gefangenschaft geborener Sohn Thumelicus, den er nie mit Augen gesehen hat, zogen bei dem Triumph des Germanicus (26. Mai 17) unter den anderen vornehmen Germanen gefesselt mit auf das Kapitol; der alte Segestes ward fuer seine Treue gegen die Roemer mit einem Ehrenplatz bedacht, von wo aus er dem Einzug seiner Tochter und seines Enkels zuschauen durfte. Sie alle sind im Roemerreich gestorben; mit Maroboduus fanden auch Gattin und Sohn seines Gegners im Exil von Ravenna sich zusammen. Wenn Tiberius bei Abberufung des Germanicus bemerkte, dass es gegen die Deutschen der Kriegfuehrung nicht beduerfe und dass sie das fuer Rom Erforderliche schon weiter selber besorgen wuerden, so kannte er seine Gegner; darin allerdings hat die Geschichte ihm recht gegeben. Aber dem hochsinnigen Mann, der sechsundzwanzigjaehrig seine saechsische Heimat von der italischen Fremdherrschaft erloest hatte, der dann in siebenjaehrigem Kampfe fuer die wiedergewonnene Freiheit Feldherr wie Soldat gewesen war, der nicht bloss Leib und Leben, sondern auch Weib und Kind fuer seine Nation eingesetzt hatte, um dann siebenunddreissigjaehrig von Moerderhand zu fallen, diesem Mann gab sein Volk, was es zu geben vermochte, ein ewiges Gedaechtnis im Heldenlied. 2. Kapitel Spanien Die Zufaelligkeiten der aeusseren Politik bewirkten es, dass die Roemer frueher als in irgendeinem anderen Teil des ueberseeischen Kontinents sich auf der Pyrenaeischen Halbinsel festsetzten und hier ein zwiefaches staendiges Kommando einrichteten. Auch hatte die Republik hier nicht, wie in Gallien und in Illyricum, sich darauf beschraenkt, die Kuesten des italischen Meeres zu unterwerfen, vielmehr gleich von Anfang an, nach dem Vorgang der Barkiden, die Eroberung der ganzen Halbinsel in das Auge gefasst. Mit den Lusitanern (in Portugal und Estremadura) hatten die Roemer gestritten, seit sie sich Herren von Spanien nannten; die "entferntere Provinz" war recht eigentlich gegen diese und zugleich mit der naeheren eingerichtet worden; die Callaeker (Galicia) wurden ein Jahrhundert vor der Actischen Schlacht den Roemern botmaessig; kurz vor derselben hatte in seinem ersten Feldzug der spaetere Diktator Caesar die roemischen Waffen bis nach Brigantium (Coruna) getragen und die Zugehoerigkeit dieser Landschaft zu der entfernteren Provinz aufs neue befestigt. Es haben dann in den Jahren zwischen Caesars Tod bis auf Augustus Einherrschaft die Waffen in Nordspanien niemals geruht: nicht weniger als sechs Statthalter haben in dieser kurzen Zeit dort den Triumph gewonnen, und vielleicht erfolgte die Unterwerfung des suedlichen Abhangs der Pyrenaeen vorzugsweise in diese Epoche ^1. Die Kriege mit den stammverwandten Aquitanern an der Nordseite des Gebirges, die in die gleiche Epoche fallen und von denen der letzte im Jahre 727 (27) siegreich zu Ende ging, werden damit in Zusammenhang stehen. Bei der Reorganisation der Verwaltung im Jahre 727 (27) kam die Halbinsel an Augustus, weil dort ausgedehnte militaerische Operationen in Aussicht genommen waren und sie einer dauernden Besatzung bedurfte. Obgleich das suedliche Drittel der entfernteren Provinz, seitdem benannt vom Baetisfluss (Guadalquivir), dem Regiment des Senats bald zurueckgegeben wurde ^2, blieb doch der bei weitem groessere Teil der Halbinsel stets in kaiserlicher Verwaltung, sowohl der groessere Teil der entfernteren Provinz, Lusitanien und Callaekien ^3, wie die ganze grosse naehere. Unmittelbar nach Einrichtung der neuen Oberleitung begab sich Augustus persoenlich nach Spanien, um in zweijaehrigem Aufenthalt (728, 729 26, 25) die neue Verwaltung zu ordnen und die Okkupation der noch nicht botmaessigen Landesteile zu leiten. Er tat dies von Tarraco aus, und es wurde damals ueberhaupt der Sitz der Regierung der naeheren Provinz von Neukarthago nach Tarraco verlegt, von welcher Stadt diese Provinz auch seitdem gewoehnlich genannt wird. Wenn es einerseits notwendig erschien, den Sitz der Verwaltung nicht von der Kueste zu entfernen, so beherrschte andererseits die neue Hauptstadt das Ebrogebiet und die Kommunikationen mit dem Nordwesten und den Pyrenaeen. Gegen die Asturer (in den Provinzen Asturien und Leon) und vor allem die Kantabrer (im Vaskenland und der Provinz Santander), welche sich hartnaeckig in ihren Bergen behaupteten und die benachbarten Gaue ueberliefen, zog sich mit Unterbrechungen, die die Roemer Siege nannten, der schwere und verlustvolle Krieg acht Jahre hin, bis es endlich Agrippa gelang, durch Zerstoerung der Bergstaedte und Verpflanzung der Bewohner in die Taeler den offenen Widerstand zu brechen. ------------------------------------------ ^1 Es triumphierten ueber Spanien, abgesehen von dem wohl politischen Triumph des Lepidus, im Jahre 718 (36) Cn. Domitius Calvinus (Konsul 714 40), im Jahre 720 (34) C. Norbanus Flaccus (Konsul 716 38), zwischen 720 (34) und 725 (29) L. Marcius Philippus (Konsul 716 38) und Appius Claudius Pulcher (Konsul 716 38), im Jahre 726 (28) C. Calvisius Sabinus (Konsul 715 39), im Jahre 728 (26) Sex. Appuleius (Konsul 725 29). Die Schriftsteller erwaehnen nur den Sieg, den Calvinus ueber die Cerretaner (bei Puycerda in den oestlichen Pyrenaeen) erfocht (Dio 48, 42; vgl. Vell. 2, 78 und die Muenze des Sabinus mit Osca, Eckhel, Bd. 5, S. 203). ^2 Da Augusta Emerita in Lusitanien erst im Jahre 729 (25) Kolonie ward (Dio 53, 26) und diese bei dem Verzeichnis der Provinzen, in denen Augustus Kolonien gegruendet hat (Monumentum Ancyranum, S. 119, vgl. S. 222), nicht fueglich unberuecksichtigt geblieben sein kann, so wird die Trennung von Lusitania und Hispania ulterior erst nach dem kantabrischen Kriege stattgefunden haben. ^3 Callaekien ist nicht bloss von der Ulterior aus eingenommen worden, sondern muss noch in der frueheren Zeit des Augustus zu Lusitanien gehoert haben, ebenso Asturien anfaenglich zu dieser Provinz geschlagen worden sein. Sonst ist die Erzaehlung bei Dio 54, 5 nicht zu verstehen; T. Carisius, der Erbauer Emeritas, ist offenbar der Statthalter von Lusitanien, C. Furnius der der Tarraconensis. Damit stimmt auch die parallele Darstellung bei Florus (epit. 2, 33), denn die Drigaecini der Handschriften sind sicher die Brigaikinoi, die Ptolemaeos (2, 6, 29) unter den Asturern auffuehrt. Darum fasst auch Agrippa in seinen Messungen Lusitania mit Asturia und Callaecia zusammen (Plin. nat. 4, 22, 118), und bezeichnet Strabon (3, 4, 20, p. 166) die Callaeker als frueher Lusitaner genannt. Schwankungen in der Abgrenzung der spanischen Provinzen erwaehnt Strabon (3, 4, 19, p. 166). ------------------------------------------ Wenn, wie Kaiser Augustus sagt, seit seiner Zeit die Kueste des Ozeans von Cadiz bis zur Elbmuendung den Roemern gehorchte, so war in diesem Winkel derselben der Gehorsam recht unfreiwillig und von geringem Verlass. Zu einer eigentlichen Befriedung scheint es im nordwestlichen Spanien noch lange nicht gekommen zu sein. Noch in Neros Zeit ist von Kriegszuegen gegen die Asturer die Rede. Deutlicher noch spricht die Besetzung des Landes, wie Augustus sie angeordnet hat. Callaekien wurde von Lusitanien getrennt und mit der tarraconensischen Provinz vereinigt, um den Oberbefehl in Nordspanien in einer Hand zu konzentrieren. Diese Provinz ist nicht bloss damals die einzige gewesen, welche, ohne an Feindesland zu grenzen, ein legionares Militaerkommando erhalten hat, sondern es wurden von Augustus nicht weniger als drei Legionen ^4 dorthin gelegt, zwei nach Asturien, eine nach Kantabrien, und trotz der militaerischen Bedraengnis in Germanien und in Illyricum ward diese Besatzung nicht vermindert. Das Hauptquartier ward zwischen der alten Metropole Asturiens, Lancia, und der neuen, Asturica Augusta (Astorga), eingerichtet, in dem noch heute von ihm den Namen fuehrenden Leon. Mit dieser starken Besetzung des Nordwestens haengen wahrscheinlich die daselbst in der frueheren Kaiserzeit in bedeutendem Umfange vorgenommenen Strassenanlagen zusammen, obwohl wir, da die Dislokation dieser Truppen in der augustischen Zeit uns unbekannt ist, den Zusammenhang im einzelnen nicht nachzuweisen vermoegen. So ist von Augustus und Tiberius fuer die Hauptstadt Callaekiens Bracara (Braga) eine Verbindung mit Asturica, das heisst mit dem grossen Hauptquartier, nicht minder mit den noerdlich, nordoestlich und suedlich benachbarten Staedten hergestellt worden. Aehnliche Anlagen machte Tiberius im Gebiet der Vasconen und in Kantabrien ^5. Allmaehlich konnte die Besatzung verringert, unter Claudius eine Legion, unter Nero eine zweite anderswo verwendet werden. Doch wurden diese nur als abkommandiert angesehen, und noch zu Anfang der Regierung Vespasians hatte die spanische Besatzung wieder ihre fruehere Staerke; eigentlich reduziert haben sie erst die Flavier, Vespasian auf zwei, Domitian auf eine Legion. Von da an bis in die diocletianische Zeit hat eine einzige Legion, die 7. gemina und eine gewisse Zahl von Hilfskontingenten in Leon garnisoniert. ------------------------------------------ ^4 Es sind dies die 4. makedonische, die 6. victrix und die 10. gemina. Die erste von diesen kam in Folge der durch Claudius’ britannische Expedition veranlassten Verschiebung der Truppenlager an den Rhein. Die beiden anderen, obwohl inzwischen mehrfach anderswo verwendet, standen noch im Anfang der Regierung Vespasians in ihrer alten Garnison und mit ihnen anstatt der 4. die von Galba neu errichtete 1. adiutrix (Tac. hist. 1, 44). Alle drei wurden in Veranlassung des Bataverkrieges an den Rhein geschickt, und es kam davon nur eine zurueck. Denn noch im Jahre 88 lagen in Spanien mehrere Legionen (Plin. paneg. 14; vgl. Hermes 3, 1868, S. 118), von welchen eine sicher die schon vor dem Jahre 79 in Spanien garnisonierende 7. gemina (CIL II, 2477) ist; die zweite muss eine von jenen dreien sein und ist wahrscheinlich die 1. adiutrix, da diese bald nach dem Jahre 88 an den Donaukriegen Domitians sich beteiligt und unter Traian in Obergermanien steht, was die Vermutung nahelegt, dass sie eine der mehreren im Jahre 88 von Spanien nach Obergermanien gefuehrten Legionen gewesen und bei dieser Veranlassung aus Spanien weggekommen ist. In Lusitanien haben keine Legionen gestanden. ^5 Bei dem Ort Pisoraca (Herrera am Pisuerga, zwischen Palencia und Santander), der allein auf Inschriften des Tiberius und des Nero, und zwar als Ausgangspunkt einer Kaiserstrasse genannt wird (CIL II, 4883, 4884), duerfte das Lager der kantabrischen Legion gewesen sein, wie bei Leon das asturische. Auch Augustobriga (westlich von Saragossa) und Complutum (Alcala de Henares, nordwaerts von Madrid) werden nicht ihrer staedtischen Bedeutung wegen, sondern als Truppenlager Reichsstrassenzentren gewesen sein. ------------------------------------------ Keine Provinz ist unter dem Prinzipat weniger von den aeusseren wie von den inneren Kriegen beruehrt worden als dieses Land des fernen Westens. Wenn in dieser Epoche die Truppenkommandos gleichsam die Stelle der rivalisierenden Parteien uebernahmen, so hat das spanische Heer auch dabei durchaus eine Nebenrolle gespielt; nur als Helfer seines Kollegen trat Galba in den Buergerkrieg ein und der blosse Zufall trug ihn an die erste Stelle. Die vergleichungsweise auch nach der Reduktion noch auffallend starke Besatzung des Nordwestens der Halbinsel laesst darauf schliessen, dass diese Gegend noch im zweiten und dritten Jahrhundert nicht vollstaendig botmaessig gewesen ist; indes vermoegen wir ueber die Verwendung der spanischen Legion innerhalb der Provinz, die sie besetzt hielt, nichts Bestimmtes anzugeben. Der Krieg gegen die Kantabrer ist mit Hilfe von Kriegsschiffen gefuehrt worden; nachher haben die Roemer keine Veranlassung gehabt, hier eine dauernde Flottenstation einzurichten. Erst in der nachdiocletianischen Zeit finden wir die Pyrenaeische Halbinsel, wie die italische und die griechisch-makedonische, ohne staendige Besatzung. Dass die Provinz Baetica, wenigstens seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts, von der gegenueberliegenden Kueste aus durch die Mauren - die Piraten des Rif - vielfach heimgesucht wurde, wird in der Darstellung der afrikanischen Verhaeltnisse naeher auszufuehren sei. Vermutlich ist es daraus zu erklaeren, dass, obwohl sonst in den Provinzen des Senats kaiserliche Truppen nicht zu stehen pflegen, ausnahmsweise Italica (bei Sevilla) mit einer Abteilung der Legion von Leon belegt war ^6. Hauptsaechlich aber lag es dem in der Provinz von Tingis (Tanger) stationierten Kommando ob, das reiche suedliche Spanien vor diesen Einfaellen zu schuetzen. Dennoch ist es vorgekommen, dass Staedte wie Italica und Singili (unweit Antequera) von den Piraten belagert wurden. ------------------------------------------------- ^6 Damit kann in Verbindung gebracht werden, dass dieselbe Legion auch, wenngleich nur zeitweise und mit einem Detachement, in Numidien aktiv gewesen ist. ------------------------------------------------- Wenn dem weltgeschichtlichen Werke der Kaiserzeit, der Romanisierung des Okzidents, von der Republik irgendwo vorgearbeitet war, so war dies in Spanien geschehen. Was das Schwert begonnen, fuehrte der friedliche Verkehr weiter: das roemische Silbergeld hat in Spanien geherrscht, lange bevor es sonst ausserhalb Italien gangbar ward, und die Bergwerke, der Weinund Oelbau, die Handelsbeziehungen bewirkten an der Kueste, namentlich im Suedwesten, ein stetiges Einstroemen italischer Elemente. Neukarthago, die Schoepfung der Barkiden und von seiner Entstehung an bis in die augustische Zeit die Hauptstadt der Diesseitigen Provinz und der erste Handelsplatz Spaniens, umschloss schon im siebenten Jahrhundert eine zahlreiche roemische Bevoelkerung; Carteia, gegenueber dem heutigen Gibraltar, ein Menschenalter vor der Gracchenzeit gegruendet, ist die erste ueberseeische Stadtgemeinde mit einer Bevoelkerung roemischen Ursprungs; die altberuehmte Schwesterstadt Karthagos, Gades, das heutige Cadiz, die erste fremdlaendische Stadt ausserhalb Italien, welche roemisches Recht und roemische Sprache annahm. Hatte also an dem groessten Teil der Kueste des Mittellaendischen Meeres die alteinheimische wie die phoenikische Zivilisation bereits unter der Republik in die Art und Weise des herrschenden Volkes eingelenkt, so wurde in der Kaiserzeit in keiner Provinz die Romanisierung so energisch von oben herab gefoerdert wie in Spanien. Vor allem die suedliche Haelfte der Baetica zwischen dem Baetis und dem Mittelmeer hat, zum Teil schon unter der Republik oder durch Caesar, zum Teil in den Jahren 739 (15) und 740 (14) durch Augustur, eine stattliche Reihe von roemischen Vollbuergergemeinden erhalten, die hier nicht etwa vorzugsweise die Kueste, sondern vor allem das Binnenland fuellen, voran Hispalis (Sevilla) und Corduba (Cordoba) mit Kolonialrecht, mit Munizipalrecht Italica (bei Sevilla) und Gades (Cadiz). Auch im suedlichen Lusitanien begegnet eine Reihe gleichberechtigter Staedte, namentlich Olisipo (Lissabon), Pax Iulia (Beja) und die von Augustur waehrend seines Aufenthalts in Spanien gegruendete und zur Hauptstadt dieser Provinz gemachte Veteranenkolonie Emerita (Merida). In der Tarraconensis finden sich die Buergerstaedte ueberwiegend an der Kueste, Karthago nova, Ilici (Elche), Valentia, Dertosa (Tortosa), Tarraco, Barcino (Barcelona); im Binnenland tritt nur hervor die Kolonie im Ebrotal Caesaraugusta (Saragossa). Vollbuergergemeinden zaehlte man in ganz Spanien unter Augustus fuenfzig; gegen fuenfzig andere hatten bis dahin latinisches Recht empfangen und standen hinsichtlich der inneren Ordnung den Buergergemeinden gleich. Bei den uebrigen hat dann Kaiser Vespasianus bei Gelegenheit der von ihm im Jahre 74 veranstalteten allgemeinen Reichsschaetzung die latinische Gemeindeordnung ebenfalls eingefuehrt. Die Verleihung des Buergerrechts ist weder damals noch ueberhaupt in der besseren Kaiserzeit viel weiter ausgedehnt worden, als sie in augustischer Zeit gediehen war ^7, wobei wahrscheinlich hauptsaechlich die Ruecksicht auf das den Reichsbuergern gegenueber beschraenkte Aushebungsrecht massgebend gewesen ist. ------------------------------------------------------- ^7 Dass "die Iberer Roemer genannt werden", wie Josephus (c. Ap. 2, 4) sich ausdrueckt, kann nur auf die Erteilung des latinischen Rechts durch Vespasian bezogen werden und ist eine inkorrekte Angabe des Fremden. ------------------------------------------------------- Die einheimische Bevoelkerung Spaniens, welche also teils mit italischen Ansiedlern vermischt, teils zu italischer Sitte und Sprache hingeleitet ward, tritt in der Geschichte der Kaiserzeit nirgends deutlich erkennbar hervor. Wahrscheinlich hat derjenige Stamm, dessen Reste und dessen Sprache sich bis auf den heutigen Tag in den Bergen Vizcayas, Guipuzcoas und Navarras behaupten, einstmals die ganze Halbinsel in aehnlicher Weise erfuellt wie die Berber das nordafrikanische Land. Ihr Idiom, von den indogermanischen grundverschieden und flexionslos wie das der Finnen und Mongolen, beweist ihre urspruengliche Selbstaendigkeit, und ihre wichtigsten Denkmaeler, die Muenzen, umfassen in dem ersten Jahrhundert der Herrschaft der Roemer in Spanien die Halbinsel mit Ausnahme der Suedkueste von Cadiz bis Granada, wo damals die phoenikische Sprache herrschte, und des Gebietes noerdlich von der Muendung des Tajo und westlich von den Ebroquellen, welches damals wahrscheinlich grossenteils faktisch unabhaengig und gewiss durchaus unzivilisiert war; in diesem iberischen Gebiet unterscheidet sich wohl die suedspanische Schrift deutlich von der der Nordprovinz, aber nicht minder deutlich sind beide Aeste eines Stammes. Die phoenikische Einwanderung hat sich hier auf noch engere Grenzen beschraenkt als in Afrika und die keltische Mischung die allgemeine Gleichfoermigkeit der nationalen Entwicklung nicht in einer fuer uns erkennbaren Weise modifiziert. Aber die Konflikte der Roemermit den Iberern gehoeren ueberwiegend der republikanischen Epoche an und sind frueher dargestellt worden. Nach den bereits erwaehnten letzten Waffengaengen unter der ersten Dynastie verschwinden die Iberer voellig aus unseren Augen. Auch auf die Frage, wieweit sie in der Kaiserzeit sich romanisiert haben, gibt die uns gebliebene Kunde keine befriedigende Antwort. Dass sie im Verkehr mit den fremden Herren von jeher veranlasst sein werden, sich der roemischen Sprache zu bedienen, bedarf des Beweises nicht; aber auch aus dem oeffentlichen Gebrauch innerhalb der Gemeinden schwindet unter dem Einfluss Roms die nationale Sprache und die nationale Schrift. Schon im letzten Jahrhundert der Republik ist die anfaenglich in weitem Umfange gestattete einheimische Praegung in der Hauptsache beseitigt worden; aus der Kaiserzeit gibt es keine spanische Stadtmuenze mit anderer als lateinischer Aufschrift ^8. Wie die roemische Tracht war die roemische Sprache auch bei denjenigen Spaniern, die des italischen Buergerrechts entbehrten, in grossem Umfang verbreitet, und die Regierung beguenstigte die faktische Romanisierung des Landes ^9. Als Augustus starb, ueberwog roemische Sprache und Sitte in Andalusien, Granada, Murcia, Valencia, Katalonien, Arragonien, und ein guter Teil davon kommt auf Rechnung nicht der Kolonisierung, sondern der Romanisierung. Durch die vorher erwaehnte Anordnung Vespasians ward die einheimische Sprache von Rechts wegen auf den Privatverkehr beschraenkt. Dass sie in diesem sich behauptet hat, beweist ihr heutiges Dasein; was jetzt auf die Berge sich beschraenkt, welche weder die Goten noch die Araber je besetzt haben, wird in der roemischen Zeit sicher ueber einen grossen Teil Spaniens, besonders den Nordwesten, sich erstreckt haben. Dennoch ist die Romanisierung in Spanien sicher sehr viel frueher und staerker eingetreten als in Afrika; Denkmaeler mit einheimischer Schrift aus der Kaiserzeit sind in Afrika in ziemlicher Anzahl, in Spanien kaum nachzuweisen, und die Berbersprache beherrscht heute noch halb Nordafrika, die iberische nur die engen Taeler der Basken. Es konnte das nicht anders kommen, teils weil in Spanien die roemische Zivilisation viel frueher und viel kraeftiger auftrat als in Afrika, teils weil die Eingeborenen dort nicht wie hier den Rueckhalt an den freien Staemmen hatten. --------------------------------------------------- ^8 Das wohl juengste sicher datierbare Denkmal der einheimischen Sprache ist eine Muenze von Osicerda, welche den waehrend des Gallischen Krieges von Caesar geschlagenen Denaren mit dem Elefanten nachgepraegt ist, mit lateinischer und iberischer Aufschrift (Zobel, Estudio historico de la moneda antigua espa¤ola. Bd. 2, S. 11). Unter den ganz oder teilweise epichorischen Inschriften Spaniens moegen sich manche juengere befinden; oeffentliche Setzung ist bei keiner derselben auch nur wahrscheinlich. ^9 Es hat eine Zeit gegeben, wo die Peregrinengemeinden das Recht, die lateinische zur Geschaeftssprache zu machen, vom Senat erbitten mussten; aber fuer die Kaiserzeit gilt das nicht mehr. Vielmehr ist hier wahrscheinlich haeufig das Umgekehrte eingetreten, zum Beispiel das Muenzrecht in der Weise gestattet worden, dass die Aufschrift lateinisch sein musste. Ebenso sind oeffentliche Gebaeude, die Nichtbuerger errichteten, lateinisch bezeichnet; so lautet eine Inschrift von Ilipa in Andalusien (CIL II, 1087): Urchail Atitta f(ilius) Chilasurgun portas fornac(es) aedificand(a) curavit de s(ua) p(ecunia). Dass das Tragen der Toga auch Nichtroemern gestattet und ein Zeichen von loyaler Gesinnung war, zeigt sowohl Strabons Aeusserung ueber die Tarraconensis togata wie Agricolas Verhalten in Britannien (Tac. Agr. 21). --------------------------------------------------- Die einheimische Gemeindeverfassung der Iberer war von der gallischen nicht in einer fuer uns erkennbaren Weise verschieden. Von Haus aus zerfiel Spanien, wie das Keltenland diesund jenseits der Alpen, in Gaubezirke; die Vaccaeer und die Kantabrer unterschieden sich schwerlich wesentlich von den Cenomanen der Transpadana und den Remern der Belgica. Dass auf den in der frueheren Epoche der Roemerherrschaft geschlagenen spanischen Muenzen vorwiegend nicht die Staedte genannt werden, sondern die Gaue, nicht Tarraco, sondern die Cessetaner, nicht Saguntum, sondern die Arsenser, zeigt deutlicher noch als die Geschichte der damaligen Kriege, dass auch in Spanien einst groessere Gauverbaende bestanden. Aber die siegenden Roemer behandelten diese Verbaende nicht ueberall in gleicher Weise. Die transalpinischen Gaue blieben auch unter roemischer Herrschaft politische Gemeinwesen; wie die cisalpinischen sind die spanischen nur geographische Begriffe. Wie der Distrikt der Cenomanen nichts ist als ein Gesamtausdruck fuer die Territorien von Brixia, Bergomum und so weiter, so bestehen die Asturer aus zweiundzwanzig politisch selbstaendigen Gemeinden, die allem Anschein nach rechtlich sich nicht mehr angehen als die Staedte Brixia und Bergomum ^10. Dieser Gemeinden zaehlte die tarraconensische Provinz in augustischer Zeit 293, in der Mitte des zweiten Jahrhunderts 275. Es sind also hier die alten Gauverbaende aufgeloest worden. Dabei ist schwerlich bestimmend gewesen, dass die Geschlossenheit der Vettonen und der Kantabrer bedenklicher fuer die Reichseinheit erschien als diejenige der Sequaner und der Treuerer; hauptsaechlich beruht der Unterschied wohl in der Verschiedenheit der Zeit und der Form der Eroberung. Die Landschaft am Guadalquivir ist anderthalb Jahrhunderte frueher roemisch geworden als die Ufer der Loire und der Seine; die Zeit, wo das Fundament der spanischen Ordnung gelegt wurde, liegt derjenigen Epoche nicht so gar fern, wo die samnitische Konfoederation aufgeloest ward. Hier waltet der Geist der alten Republik, in Gallien die freiere und mildere Anschauung Caesars. Die kleineren und machtlosen Distrikte, welche nach Aufloesung der Verbaende die Traeger der politischen Einheit wurden, die Kleingaue oder Geschlechter, wandelten sich im Laufe der Zeit hier wie ueberall in Staedte um. Die Anfaenge der staedtischen Entwicklung, auch ausserhalb der zu italischem Recht gelangten Gemeinden, gehen weit in die republikanische, vielleicht in die vorroemische Zeit zurueck; spaeter musste die allgemeine Verleihung des latinischen Rechts durch Vespasian diese Umwandlung allgemein oder so gut wie allgemein machen ^11. Wirklich gab es unter den 293 augustischen Gemeinden der Provinz von Tarraco 114, unter den 275 des zweiten Jahrhunderts nur 27 nicht staedtische Gemeinden. --------------------------------------------- ^10 Diese merkwuerdigen Ordnungen erhellen namentlich aus den spanischen Ortsverzeichnissen bei Plinius, und sind von Detlefsen (Philologus 32, 1878, S. 606f.) gut dargelegt worden. Die Terminologie freilich ist schwankend. Da die Bezeichnungen civitas, populus, gens der selbstaendigen Gemeinde eigen sind, kommen sie von Rechts wegen diesen Teilen zu; also wird zum Beispiel gesprochen von den X civitates der Autrigonen, den XXII populi der Asturer, der gens Zoelarum (CIL II, 2633), welche eben eine dieser 22 Voelkerschaften ist. Das merkwuerdige Dokument, das wir von diesen Zoelae besitzen (CIL II, 2633) lehrt, dass diese gens wieder in gentilitates zerfiel, welche letzteren auch selbst gentes hiessen, wie eben dieses selbst und andere Zeugnisse (Eph. epigr. II, p. 243) beweisen. Es findet sich auch civis in Beziehung auf einen der kantabrischen populi (Eph. epigr. II p. 243). Aber auch fuer den groesseren Gau, der ja einstmals die politische Einheit war, gibt es andere Bezeichnungen nicht als diese eigentlich retrospektive und inkorrekte; namentlich gens wird dafuer selbst im technischen Stil verwendet (z. B. CIL II, 4233: Intercat(iensis) ex gente Vaccaeorum). Dass das Gemeinwesen in Spanien auf jenen kleinen Distrikten ruht, nicht auf den Gauen, erhellt sowohl aus der Terminologie selbst wie auch daraus, dass Plinius (3, 3, 18) jenen 293 Ortschaften die civitates contributae aliis gegenueberstellt; ferner zeigt es der Beamte at census accipiendos civitatium XXIII Vasconum et Vardulorum (CIL VI, 1463) verglichen mit dem censor civitates Remorum foederatae (CIL XI, 1855 vgl. 2607). ^11 Da die latinische Gemeindeverfassung fuer eine nicht staedtisch organisierte Gemeinde nicht passt, so muessen diejenigen spanischen, welche noch nach Vespasian der staedtischen Organisation entbehrten, entweder von der Verleihung des latinischen Rechts ausgeschlossen oder fuer sie besondere Modifikationen eingetreten sein. Das letztere duerfte mehr Wahrscheinlichkeit haben. Latinische Namensform zeigen nachvespasianische Inschriften auch der gentes, wie CIL II, 2633 und Eph. epigr. II, 322; und wenn einzelne aus dieser Zeit sich finden sollten mit nichtroemischen Namen, so wird immer noch zu fragen sein, ob hier nicht bloss faktische Vernachlaessigung zugrunde liegt. Indizien nichtroemischer Gemeindeordnung, in den sparsamen sicher vorvespasianischen Inschriften verhaeltnismaessig haeufig (CIL II, 172, 1953, 2633, 5048), sind mir in sicher nachvespasianischen nicht vorgekommen. --------------------------------------------- Ueber die Stellung Spaniens in der Reichsverwaltung ist wenig zu sagen. Bei der Aushebung haben die spanischen Provinzen eine hervorragende Rolle gespielt. Die daselbst garnisonierenden Legionen sind wahrscheinlich seit dem Anfang des Prinzipats vorzugsweise im Lande selbst ausgehoben worden; als spaeterhin einerseits die Besatzung vermindert ward, andererseits die Aushebung mehr und mehr auf den eigentlichen Garnisonsbezirk sich beschraenkte, hat die Baetica, auch hierin das Los Italiens teilend, das zweifelhafte Glueck genossen, gaenzlich vom Wehrdienst ausgeschlossen zu werden. Die auxiliare Aushebung, welcher namentlich die in der staedtischen Entwicklung zurueckgebliebenen Landschaften unterlagen, ist in Lusitanien, Callaekien, Asturien, nicht minder im ganzen noerdlichen und inneren Spanien in grossem Massstab durchgefuehrt worden; Augustus, dessen Vater sogar seine Leibwache aus Spaniern gebildet hatte, hat abgesehen von der Belgica in keinem der ihm unterstellten Gebiete so umfassend rekrutiert wie in Spanien. Fuer die Finanzen des Staates ist dies reiche Land ohne Zweifel eine der sichersten und ergiebigsten Quellen gewesen; Naeheres ist darueber nicht ueberliefert. Auf die Bedeutung des Verkehrs dieser Provinzen gestattet die Fuersorge der Regierung fuer das spanische Strassenwesen einigermassen einen Schluss. Zwischen den Pyrenaeen und Tarraco haben sich roemische Meilensteine schon aus der letzten republikanischen Zeit gefunden, wie sie keine andere Provinz des Okzidents aufweist. Dass Augustus und Tiberius den Strassenbau in Spanien hauptsaechlich aus militaerischen Ruecksichten foerderten, ist schon bemerkt worden; aber die bei Karthago nova von Augustur gebaute Strasse kann nur des Verkehrs wegen angelegt sein, und hauptsaechlich dem Verkehr diente auch die von ihm benannte und teilweise regulierte, teilweise neu angelegte durchgehende Reichsstrasse ^12, welche, die italisch-gallische Kuestenstrasse fortfuehrend und die Pyrenaeen bei dem Pass von Puycerda ueberschreitend, von da nach Tarraco ging, dann ueber Valentia hinaus bis zur Muendung des Jucar ungefaehr der Kueste folgte, von da aber quer durch das Binnenland das Tal des Baetis aufsuchte, sodann von dem Augustusbogen an, der die Grenze der beiden Provinzen bezeichnete und mit dem eine neue Milienzaehlung anhob, durch die Provinz Baetica bis an die Muendung des Flusses lief und also Rom mit dem Ozean verband. Dies ist allerdings die einzige Reichsstrasse in Spanien. Spaeter hat die Regierung fuer die Strassen Spaniens nicht viel getan; die Kommunen, welchen dieselben bald wesentlich ueberlassen wurden, scheinen, soviel wir sehen, abgesehen von dem inneren Hochplateau, ueberall die Kommunikationen in dem Umfang hergestellt zu haben, wie der Kulturstand der Provinz sie verlangte. Denn gebirgig wie Spanien ist, und nicht ohne Steppen und Oedland, gehoert es doch zu den ertragreichsten Laendern der Erde, sowohl durch die Fuelle der Bodenfrucht wie durch den Reichtum an Wein und Oel und an Metallen. Hinzu trat frueh die Industrie, vorzugsweise in Eisenwaren und in wollenen und leinenen Geweben. Bei den Schaetzungen unter Augustus hatte keine roemische Buergergemeinde, Patavium ausgenommen, eine solche Anzahl von reichen Leuten aufzuweisen wie das spanische Gades mit seinen durch die ganze Welt verbreiteten Grosshaendlern; und dem entsprach die raffinierte Ueppigkeit der Sitten, die dort heimischen Kastagnettenschlaegerinnen und die den eleganten Roemern gleich dem alexandrinischen gelaeufigen gaditanischen Lieder. Die Naehe Italiens und der bequeme und billige Seeverkehr gaben fuer diese Epoche besonders der spanischen Suedund Ostkueste die Gelegenheit, ihre reichen Produkte auf den ersten Markt der Welt zu bringen, und wahrscheinlich hat Rom mit keinem Lande der Welt einen so umfassenden und stetigen Grosshandel betrieben wie mit Spanien. --------------------------------------------------- ^12 Die Richtung der via Augusta gibt Strabon (3, 4, 9 p. 160) an; ihr gehoeren alle Meilensteine an, die jenen Namen haben, sowohl die aus der Gegend von Lerida (CIL II, 4920-4928) wie die zwischen Tarragona und Valencia gefundenen (das. 4949-4954), wie endlich die zahlreichen ab Iano Augusto, qui est ad Baetem oder ab arcu, unde incipit Baetica, ad oceanum. --------------------------------------------------- Dass die roemische Zivilisation Spanien frueher und staerker durchdrungen hat als irgendeine andere Provinz, bestaetigt sich nach verschiedenen Seiten, insbesondere in dem Religionswesen und in der Literatur. Zwar in dem noch spaeter iberischen, von Einwanderung ziemlich freigebliebenen Gebiet, in Lusitanien, Callaekien, Asturien, haben die einheimischen Goetter mit ihren seltsamen, meist auf -icus und -ecus ausgehenden Namen, der Endovellicus, der Eaecus, Vagodonnaegus und wie sie weiter heissen, auch unter dem Prinzipat noch sich in den alten Staetten behauptet. Aber in der ganzen Baetica ist nicht ein einziger Votivstein gefunden worden, der nicht ebensogut auch in Italien haette gesetzt sein koennen; und von der eigentlichen Tarraconensis gilt dasselbe, nur dass von dem keltischen Goetterwesen am oberen Duero vereinzelte Spuren begegnen ^13. Eine gleich energische sakrale Romanisierung weist keine andere Provinz auf. -------------------------------------------------------- ^13 In Clunia ist eine Dedikation an die Muetter gefunden (CIL II, 2776) - die einzige spanische dieses bei den westlichen Kelten so weit verbreiteten und so lange anhaltenden Kults -, in Uxama eine den Lugoves gesetzte (das. 2818), welche Gottheit bei den Kelten von Aventicum wiederkehrt. -------------------------------------------------------- Die lateinischen Poeten in Corduba nennt Cicero nur, um sie zu tadeln; und das augustische Zeitalter der Literatur ist auch noch wesentlich das Werk der Italiener, wenngleich einzelne Provinzialen daran mithalfen und unter anderen der gelehrte Bibliothekar des Kaisers, der Philolog Hyginus, als Unfreier in Spanien geboren war. Aber von da an uebernahmen die Spanier darin fast die Rolle wenn nicht des Fuehrers, so doch des Schulmeisters. Die Cordubenser Marcus Porcius Latro, der Lehrer und das Muster Ovids, und sein Landsmann und Jugendfreund Annaeus Seneca, beide nur etwa ein Dezennium juenger als Horaz, aber laengere Zeit in ihrer Vaterstadt als Lehrer der Beredsamkeit taetig, bevor sie ihre Lehrtaetigkeit nach Rom verlegten, sind recht eigentlich die Vertreter der die republikanische Redefreiheit und Redefrechheit abloesenden Schulrhetorik. Als der erstere einmal in einem wirklichen Prozess aufzutreten nicht umhin konnte, blieb er mit seinem Vortrag stecken und kam erst wieder in Fluss, als das Gericht dem beruehmten Mann zu Gefallen vom Tribunal weg in den Schulsaal verlegt ward. Auch Senecas Sohn, der Minister Neros und der Modephilosoph der Epoche, und sein Enkel, der Poet der Gesinnungsopposition gegen den Prinzipat, Lucanus, haben eine literarisch ebenso zweifelhafte wie geschichtlich unbestreitbare Bedeutung, die doch auch in gewissem Sinn Spanien zugerechnet werden darf. Ebenfalls in der fruehen Kaiserzeit haben zwei andere Provinzialen aus der Baetica, Mela unter Claudius, Columella unter Nero, jener durch seine kurze Erdbeschreibung, dieser durch eine eingehende, zum Teil auch poetische Darstellung des Ackerbaus einen Platz unter den anerkannten stilisierenden Lehrschriftstellern gewonnen. Wenn in der domitianischen Zeit der Poet Canius Rufus aus Gades, der Philosoph Decianus aus Emerita und der Redner Valerius Licinianus aus Bilbilis (Calatayud, unweit Saragossa) als literarische Groessen neben Vergil und Catull und neben den drei cordubensischen Sternen gefeiert werden, so geschieht dies allerdings ebenfalls von einem Bilbilitaner, Valerius Martialis ^14, welcher selbst an Feinheit und Mache, freilich aber auch an Feilheit und Leere unter den Dichtern dieser Epoche keinem weicht, und man wird mit Recht dabei die Landsmannschaft in Anrechnung bringen; doch zeigt schon die blosse Moeglichkeit, einen solchen Dichterstrauss zu binden, die Bedeutung des spanischen Elements in der damaligen Literatur. Aber die Perle der spanischlateinischen Schriftstellerei ist Marcus Fabius Quintilianus (35 bis 95) aus Calagurris am Ebro. Schon sein Vater hatte als Lehrer der Beredsamkeit im Rom gewirkt; er selbst wurde durch Galba nach Rom gezogen und nahm, namentlich unter Domitian, als Erzieher der kaiserlichen Neffen eine angesehene Stellung ein. Sein Lehrbuch der Rhetorik und bis zu einem Grade der roemischen Literaturgeschichte ist eine der vorzueglichsten Schriften, die wir aus dem roemischen Altertum besitzen, von feinem Geschmack und sicherem Urteil getragen, einfach in der Empfindung wie in der Darstellung, lehrhaft ohne Langweiligkeit, anmutig ohne Bemuehung, in scharfem und bewusstem Gegensatz zu der phrasenreichen und gedankenleeren Modeliteratur. Nicht am wenigsten ist es sein Werk, dass die Richtung sich, wenn nicht besserte, so doch aenderte. Spaeterhin tritt in der allgemeinen Nichtigkeit der Einfluss der Spanier nicht weiter hervor. Was bei ihrer lateinischen Schriftstellerei geschichtlich besonders ins Gewicht faellt, ist das vollstaendige Anschmiegen dieser Provinzialen an die literarische Entwicklung des Mutterlandes. Cicero freilich spottet ueber das Ungeschick und die Provinzialismen der spanischen Dichtungsbeflissenen; und noch Latros Latein fand nicht den Beifall des roemisch geborenen, ebenso vornehmen wie korrekten Messalla Corvinus. Aber nach der augustischen Zeit wird nichts Aehnliches wieder vernommen. Die gallischen Rhetoren, die grossen afrikanischen Kirchenschriftsteller sind auch als lateinische Schriftsteller einigermassen Auslaender geblieben; die Seneca und Martialis wuerde an ihrem Wesen und Schreiben niemand als solche erkennen; an inniger Liebe zu der eigenen Literatur und an feinem Verstaendnis derselben hat nie ein Italiener es dem calagurritanischen Sprachlehrer zuvorgetan. -------------------------------------------------------- ^14 Die Hinkejamben (1, 61) lauten: Hoch schaetzt des feinen Dichters Lieder Verona; Des Ivlaro freut sich Mantua. Pataviums grosser Livius macht der Stadt Ruhm aus Und Stella wie ihr Flaccus auch. Apollodoren rauscht Beifall des Nils Woge; Von Nasos Ruhm ist Sulmo voll. Die beiden Seneca und den einzigen Lucanus Ruehmt das beredte Corduba. Das lustige Gades wird den Canius sein nennen, Emerita meinen Decian. Also wird unser Bilbilis auf dich stolz sein, Licinian, und auch auf mich. -------------------------------------------------------- 3. Kapitel Die gallischen Provinzen Wie Spanien war auch das suedliche Gallien bereits in republikanischer Zeit ein Teil des Roemischen Reiches geworden, jedoch weder so frueh noch so vollstaendig wie jenes. Die beiden spanischen Provinzen sind in der hannibalischen, die Provinz Narbo in der gracchischen Zeit eingerichtet worden; und wenn dort Rom die ganze Halbinsel an sich nahm, so begnuegte es sich hier nicht bloss bis in die letzte Zeit der Republik mit dem Besitz der Kueste, sondern es nahm auch von dieser unmittelbar nur die kleinere und die entferntere Haelfte. Nicht mit Unrecht bezeichnete die Republik diesen ihren Besitz als das Stadtgebiet Narbo (Narbonne); der groessere Teil der Kueste, etwa von Montpellier bis Nizza, gehoerte der Stadt Massalia. Diese Griechengemeinde war mehr ein Staat als eine Stadt, und das von alters her bestehende gleiche Buendnis mit Rom erhielt durch ihre Machtstellung eine reale Bedeutung, wie sie bei keiner zweiten Bundesstadt je vorgekommen ist. Freilich waren nichtsdestoweniger die Roemer fuer diese benachbarten Griechen, mehr noch als fuer die entfernteren des Ostens, der Schild wie das Schwert. Die Massalioten hatten wohl das untere Rhonegebiet bis nach Avignon hinauf in ihrem Besitz; aber die ligurischen und die keltischen Gaue des Binnenlandes waren ihnen keineswegs botmaessig, und das roemische Standlager bei Aquae Sextiae (Aix), einen Tagemarsch nordwaerts von Massalia, ist recht eigentlich zum dauernden Schutz der reichen griechischen Kaufstadt eingerichtet worden. Es war eine der schwerwiegendsten Konsequenzen des roemischen Buergerkrieges, dass mit der legitimen Republik zugleich ihre treueste Verbuendete, die Stadt Massalia, politisch vernichtet, aus einem mitherrschenden Staat umgewandelt ward in eine auch ferner reichsfreie und griechische, aber ihre Selbstaendigkeit und ihren Hellenismus in den bescheidenen Verhaeltnissen einer provinzialen Mittelstadt bewahrende Gemeinde. In politischer Hinsicht ist nach der Einnahme im Buergerkrieg nicht weiter von Massalia die Rede; die Stadt ist fortan nur fuer Gallien, was Neapolis fuer Italien, das Zentrum griechischer Bildung und griechischer Lehre. Insofern als der groessere Teil der spaeteren Provinz Narbo erst damals unter unmittelbare roemische Verwaltung trat, gehoert auch deren Einrichtung gewissermassen erst dieser Epoche an. Wie das uebrige Gallien in roemische Gewalt kam, ist auch bereits erzaehlt worden. Vor Caesars Gallischem Krieg erstreckte die Roemerherrschaft sich ungefaehr bis nach Toulouse, Vienne und Genf, nach demselben bis an den Rhein in seinem ganzen Lauf und an die Kuesten des Atlantischen Meeres im Norden wie im Westen. Allerdings war diese Unterwerfung wahrscheinlich nicht vollstaendig, im Nordwesten vielleicht nicht viel weniger oberflaechlich gewesen als diejenige Britanniens. Indes erfahren wir von Ergaenzungskriegen hauptsaechlich nur hinsichtlich der Distrikte iberischer Nationalitaet. Den Iberern gehoerte nicht bloss der suedliche, sondern auch der noerdliche Abhang der Pyrenaeen mit deren Vorland, Bearn, die Gascogne, das westliche Languedoc ^1; und es ist schon erwaehnt worden, dass, als das nordwestliche Spanien mit den Roemern die letzten Kaempfe bestand, auch auf der noerdlichen Seite der Pyrenaeen und ohne Zweifel in Zusammenhang damit, ernsthaft gestritten wurde, zuerst von Agrippa im Jahre 716 (38), dann von Marcus Valerius Messalla, dem bekannten Patron der roemischen Poeten, welcher im Jahre 726 (28) oder 727 (27), also ungefaehr gleichzeitig mit dem Kantabrischen Krieg, in dem altroemischen Gebiet unweit Narbonne die Aquitaner in offener Feldschlacht ueberwand. In Betreff der Kelten wird nichts weiter gemeldet, als dass kurz vor der Actischen Schlacht die Moriner in der Picardie niedergeworfen wurden; und wenn auch waehrend des zwanzigjaehrigen, fast ununterbrochenen Buergerkrieges unsere Berichterstatter die verhaeltnismaessig unbedeutenden gallischen Angelegenheiten aus den Augen verloren haben moegen, so beweist doch das Schweigen des hier vollstaendigen Verzeichnisses der Triumphe, dass keine weiteren militaerischen Unternehmungen von Bedeutung im Keltenland waehrend dieser Zeit stattgefunden haben. Auch nachher, waehrend der langen Regierung des Augustus und bei allen, zum Teil recht bedenklichen Krisen der germanischen Kriege, sind die gallischen Landschaften botmaessig geblieben. Freilich hat die roemische Regierung sowohl wie die germanische Patriotenpartei, wie wir gesehen haben, bestaendig in Rechnung gezogen, dass ein entscheidender Erfolg der Deutschen und deren Einruecken in Gallien eine Erhebung der Gallier gegen Rom im Gefolge haben werde; sicher also kann die Fremdherrschaft damals noch keineswegs gestanden haben. Zu einer wirklichen Insurrektion kam es im Jahre 21 unter Tiberius. Es bildete sich unter dem keltischen Adel eine weit verzweigte Verschwoerung zum Sturz des roemischen Regiments. Sie kam vorzeitig zum Ausbruch in den wenig bedeutenden Gauen der Turoner und der Andecaven an der unteren Loire, und es wurde sogleich nicht bloss die kleine Lyoner Besatzung, sondern auch ein Teil der Rheinarmee gegen die Aufstaendischen in Marsch gesetzt. Dennoch schlossen die angesehensten Distrikte sich an; die Treuerer unter Fuehrung des Iulius Florus warfen sich haufenweise in die Ardennen; in der unmittelbaren Nachbarschaft von Lyon erhoben sich unter Fuehrung des Iulius Sacrovir die Haeduer und die Sequaner. Freilich wurden die geschlossenen Legionen ohne grosse Muehe der Rebellen Herr; allein der Aufstand, an dem die Germanen sich in keiner Weise beteiligten, zeigt doch den im Lande und namentlich bei dem Adel damals noch herrschenden Hass gegen die fremden Gebieter, welcher durch den Steuerdruck und die Finanznot, die als die Ursachen der Insurrektion bezeichnet werden, gewiss verstaerkt, aber nicht erst erzeugt war. Eine groessere Leistung der roemischen Staatskunst, als dass sie Galliens Herr zu werden vermocht hat, ist es, dass sie verstanden hat, es zu bleiben, und dass Vercingetorix keinen Nachfolger gefunden hat, obwohl es, wie man sieht, nicht ganz an Maennern fehlte, die gern den gleichen Weg gewandelt waeren. Erreicht ward dies durch kluge Verbindung des Schreckens und des Gewinnens, man kann hinzusetzen des Teilens. Die Staerke und die Naehe der Rheinarmee ist ohne Frage das erste und das wirksamste Mittel gewesen, um die Gallier in der Furcht des Herrn zu erhalten. Wenn dieselbe durch das ganze Jahrhundert hindurch auf der gleichen Hoehe geblieben ist, wie dies in dem folgenden Abschnitt dargelegt werden wird, so ist dies wahrscheinlich ebenso sehr der eigenen Untertanen wegen geschehen, als wegen der spaeterhin keineswegs besonders furchtbaren Nachbarn. Dass schon die zeitweilige Entfernung dieser Truppen die Fortdauer der roemischen Herrschaft in Frage stellte, nicht weil die Germanen dann den Rhein ueberschreiten, sondern weil die Gallier den Roemern die Treue aufsagen konnten, lehrt die Erhebung nach Neros Tod trotz ihrer Haltlosigkeit: nachdem die Truppen nach Italien abgezogen waren, um ihren Feldherrn zum Kaiser zu machen, wurde in Trier das selbstaendige Gallische Reich proklamiert und die uebriggebliebenen roemischen Soldaten auf dieses in Eid und Pflicht genommen. Aber wenn auch diese Fremdherrschaft, wie jede, auf der uebermaechtigen Gewalt, der Ueberlegenheit der geschlossenen und geschulten Truppe ueber die Menge zunaechst und hauptsaechlich beruhte, so beruhte sie doch darauf keineswegs ausschliesslich. Die Kunst des Teilens ist auch hier erfolgreich angewandt worden. Gallien gehoerte nicht den Kelten allein; nicht bloss die Iberer waren im Sueden stark vertreten, sondern auch germanische Staemme am Rhein in betraechtlicher Zahl angesiedelt und durch ihre hervorragende kriegerische Tuechtigkeit mehr noch als durch ihre Zahl von Bedeutung. In geschickter Weise wusste die Regierung den Gegensatz zwischen den Kelten und den linksrheinischen Germanen zu naehren und auszunutzen. Aber maechtiger wirkte die Politik der Verschmelzung und der Versoehnung. Welche Massregeln zu diesem Zwecke ergriffen wurden, wird weiterhin auseinandergesetzt werden; indem die Gauverfassung geschont und selbst eine Art nationaler Vertretung bewilligt, gegen das nationale Priestertum auch, aber allmaehlich vorgegangen ward, dagegen die lateinische Sprache von Anfang an obligatorisch und mit jener nationalen Vertretung die neue Kaiserreligion verschmolzen wurde, ueberhaupt indem die Romanisierung nicht in schroffer Weise angefasst, aber vorsichtig und geduldig gefoerdert ward, hoerte die roemische Fremdherrschaft in dem Keltenland auf, dies zu sein, da die Kelten selber Roemer wurden und sein wollten. Wie weit die Arbeit bereits nach Ablauf des ersten Jahrhunderts der Roemerherrschaft in Gallien gediehen war, zeigen die eben erwaehnten Vorgaenge nach Neros Tod, die in ihrem Gesamtverlauf teils der Geschichte des roemischen Gemeinwesens, teils den Beziehungen desselben zu den Germanen angehoeren, aber auch in diesem Zusammenhang wenigstens andeutungsweise erwaehnt werden muessen. Der Sturz der Julisch-Claudischen Dynastie ging von einem keltischen Adligen aus und begann mit einer keltischen Insurrektion; aber es war dies keine Auflehnung gegen die Fremdherrschaft wie die des Vercingetorix oder noch des Sacrovir, ihr Ziel nicht die Beseitigung, sondern die Umgestaltung des roemischen Regiments; dass ihr Fuehrer seine Abstammung von einem Bastard Caesars zu den Adelsbriefen seines Geschlechts zaehlte, drueckt den halb nationalen, halb roemischen Charakter dieser Bewegung deutlich aus. Einige Monate spaeter proklamierten allerdings, nachdem die abgefallenen roemischen Truppen germanischer Herkunft und die freien Germanen fuer den Augenblick die roemische Rheinarmee ueberwaeltigt hatten, einige keltische Staemme die Unabhaengigkeit ihrer Nation, aber dieser Versuch scheiterte klaeglich, nicht erst durch das Einschreiten der Regierung, sondern schon an dem Widerspruch der grossen Majoritaet der Keltengaue selbst, die den Abfall von Rom nicht wollen konnten und nicht wollten. Die roemischen Namen der fuehrenden Adligen, die lateinische Aufschrift der Insurrektionsmuenzen, die durchgehende Travestie der roemischen Ordnungen zeigen auf das deutlichste, dass die Befreiung der keltischen Nation von dem Joch der Fremden im Jahre 70 n. Chr. deshalb nicht mehr moeglich war, weil es eine solche Nation nicht mehr gab und die roemische Herrschaft nach Umstaenden als ein Joch, aber nicht mehr als Fremdherrschaft empfunden ward. Waere eine solche Gelegenheit zur Zeit der Schlacht bei Philippi oder noch unter Tiberius den Kelten geboten worden, so waere der Aufstand wohl auch nicht anders, aber in Stroemen Bluts verlaufen; jetzt verlief er im Sande. Wenn einige Dezennien nach diesen schweren Krisen die Rheinarmee betraechtlich reduziert ward, so hatten eben sie den Beweis geliefert, dass die Gallier in ihrer grossen Mehrzahl nicht mehr daran dachten, sich von den Italienern zu scheiden, und die vier Generationen, die seit der Eroberung sich gefolgt waren, ihr Werk getan hatten. Was spaeter dort vorgeht, sind Krisen innerhalb der roemischen Welt. Als diese auseinanderzubrechen drohte, sonderte sich fuer einige Zeit wie der Osten so auch der Westen von dem Zentrum des Reiches ab; aber der Sonderstaat des Postumus war das Werk der Not, nicht der Wahl, und auch die Sonderung nur eine faktische; die Imperatoren, die ueber Gallien, Britannien und Spanien geboten, haben gerade ebenso auf die Beherrschung des ganzen Reiches Anspruch gemacht wie ihre italischen Gegenkaiser. Gewiss blieben genug Spuren des alten keltischen Wesens und auch der alten keltischen Unbaendigkeit. Wie der Bischof Hilarius von Poitiers, selbst ein Gallier, ueber das trotzige Wesen seiner Landsleute klagt, so heissen die Gallier auch in den spaeteren Kaiserbiographien stoerrig und unregierlich und geneigt zur Widersetzlichkeit, so dass ihnen gegenueber Konsequenz und Strenge des Regiments besonders erforderlich erscheint. Aber an eine Trennung vom Roemischen Reich oder gar an eine Lossagung von der roemischen Nationalitaet, soweit es ueberhaupt eine solche damals gab, ist in diesen spaeteren Jahrhunderten nirgends weniger gedacht worden als in Gallien; vielmehr fuellt die Entwicklung der roemischgallischen Kultur, zu welcher Caesar und Augustus den Grund gelegt haben, die spaetere roemische Epoche ebenso aus wie das Mittelalter und die Neuzeit. ------------------------------------------- ^1 Das iberische Muenzgebiet reicht entschieden ueber die Pyrenaeen hinueber, wenn auch die einzelnen Muenzaufschriften, welche unter anderm auf Perpignan und Narbonne bezogen werden, nicht sicherer Deutung sind. Da alle diese Praegungen unter roemischer Autorisation stattgefunden haben, so legt dies die Frage nahe, ob nicht frueher, namentlich vor der Gruendung von Narbo (636 118), dieser Teil der spaeteren Narbonensis unter dem Statthalter des Diesseitigen Spaniens gestanden hat. Aquitanische Muenzen mit iberischer Aufschrift gibt es nicht, so wenig wie aus dem nordwestlichen Spanien, wahrscheinlich, weil die roemische Oberherrschaft, unter deren Tutel diese Praegung erwachsen ist, solange dieselbe dauerte, das heisst vielleicht bis zum Numantinischen Krieg, jene Gebiete nicht umfasste. ------------------------------------------- Die Regulierung Galliens ist das Werk des Augustus. Bei derjenigen der Reichsverwaltung nach dem Schluss der Buergerkriege kam das gesamte Gallien, so wie es Caesar uebertragen oder von ihm hinzugewonnen worden war, nur mit Ausschluss des inzwischen mit Italien vereinigten Gebiets diesseits der Alpen, unter kaiserliche Verwaltung. Unmittelbar nachher begab Augustus sich nach Gallien und vollzog im Jahre 727 (27) in der Hauptstadt Lugudunum die Schatzung der gallischen Provinz, wodurch die durch Caesar zum Reiche gekommenen Landesteile zuerst einen geordneten Kataster erhielten und fuer sie die Steuerzahlung reguliert ward. Er verweilte damals nicht lange, da die spanischen Angelegenheiten seine Gegenwart erheischten. Aber die Durchfuehrung der neuen Ordnung stiess auf grosse Schwierigkeiten und vielfach auf Widerstand; es sind nicht bloss militaerische Angelegenheiten gewesen, welche Agrippas Aufenthalt in Gallien im Jahre 735 (19) und den des Kaisers selbst waehrend der Jahre 738-741 (16-13) veranlassten; und die dem kaiserlichen Hause angehoerigen Statthalter oder Kommandofuehrer am Rhein, Augustus’ Stiefsohn Tiberius 738 (16), dessen Bruder Drusus 742-745 (12-9), wieder Tiberius 745-747 (9-7), 757-759 (3-5 n. Chr.), 763-765 (9-11 n. Chr.), dessen Sohn Germanicus 766-769 (12-15 n. Chr.), hatten alle auch die Aufgabe, die Organisation Galliens weiterzufuehren. Das Friedenswerk war sicher nicht minder schwierig und nicht minder wichtig als die Waffengaenge am Rhein; man erkennt dies darin, dass der Kaiser die Fundamentierung selbst in die Hand nahm und die Durchfuehrung den naechstund hoechstgestellten Maennern des Reiches anvertraute. Die von Caesar im Drange der Buergerkriege getroffenen Festsetzungen haben erst in diesen Jahren diejenige Gestalt bekommen, welche sie dann im wesentlichen behielten. Sie erstreckten sich ueber die alte wie ueber die neue Provinz; indes gab Augustus das altroemische Gebiet nebst dem von Massalia vom Mittelmeer bis an die Cevennen schon im Jahre 732 (22) an die senatorische Regierung ab und behielt nur Neugallien in eigener Verwaltung. Dieses immer noch sehr ausgedehnte Gebiet wurde dann in drei Verwaltungsbezirke aufgeloest, deren jedem ein selbstaendiger kaiserlicher Statthalter vorgesetzt wurde. Diese Einteilung knuepfte an an die schon von dem Diktator Caesar vorgefundene und auf den nationalen Gegensaetzen beruhende Dreiteilung des Keltenlandes in das von Iberern bewohnte Aquitanien, das rein keltische Gallien und das keltisch-germanische Gebiet der Bellten; auch ist wohl beabsichtigt worden, diese den Ausbau der roemischen Herrschaft foerdernden Gegensaetze einigermassen in der administrativen Teilung zum Ausdruck zu bringen. Indes ist dies nur annaehernd durchgefuehrt worden und konnte auch praktisch nicht anders realisiert werden. Das rein keltische Gebiet zwischen Garonne und Loire ward zu dem allzu kleinen iberischen Aquitanien hinzugelegt, das gesamte linksrheinische Ufer vom Lemansee bis zur Mosel mit der Belgica vereinigt, obwohl die meisten dieser Gaue keltisch waren; ueberhaupt ueberwog der Keltenstamm in dem Grade, dass die vereinigten Provinzen die "drei Gallien" heissen konnten. Von der Bildung der beiden sogenannten Germanien, nominell dem Ersatz fuer die verlorene oder nicht zustande gekommene wirklich germanische Provinz, der Sache nach der gallischen Militaergrenze, wird in dem folgenden Abschnitt die Rede sein. Die rechtlichen Verhaeltnisse wurden in durchaus verschiedener Weise fuer die alte Provinz Gallien und fuer die drei neuen geordnet: jene wurde sofort und vollstaendig latinisiert, in dieser zunaechst nur das bestehende nationale Verhaeltnis reguliert. Dieser Gegensatz der Verwaltung, welcher weit tiefer eingreift als die formale Verschiedenheit der senatorischen und der kaiserlichen Administration, hat wohl die noch heute nachwirkende Verschiedenheit der Laender der Langue d’oc und der Provence zu denen der Langue d’oui zunaechst und hauptsaechlich herbeigefuehrt. Soweit wie die Romanisierung Suedspaniens war die des gallischen Suedens in republikanischer Zeit nicht vorgeschritten. Die zwischen den beiden Eroberungen liegenden achtzig Jahre waren nicht rasch einzuholen; die Truppenlager in Spanien waren bei weitem staerker und stetiger als die gallischen, die Staedte latinischer Art dort zahlreicher als hier. Wohl war auch hier in der Zeit der Gracchen und unter ihrem Einfluss Narbo gegruendet worden, die erste eigentliche Buergerkolonie jenseits des Meeres; aber sie blieb vereinzelt und im Handelsverkehr zwar Rivalin von Massalia, aber allem Anscheine nach an Bedeutung ihr keineswegs gleich. Aber als Caesar anfing, die Geschicke Roms zu leiten, wurde vor allem hier, in diesem Lande seiner Wahl und seines Sterns, das Versaeumte nachgeholt. Die Kolonie Narbo wurde verstaerkt und war unter Tiberius die volkreichste Stadt im gesamten Gallien. Dann wurden, hauptsaechlich auf dem von Massalia abgetretenen Gebiet, vier neue Buergergemeinden angelegt, darunter die bedeutendsten militaerisch Forum Iulii (Frejus), Hauptstation der neuen Reichsflotte, fuer den Verkehr Arelate (Arles) an der Rhonemuendung, das bald, als Lyon sich hob und der Verkehr sich wieder mehr nach der Rhone zog, Narbo ueberfluegelnd, die rechte Erbin Massalias und das grosse Emporium des gallischitalischen Handels ward. Was er selbst noch und was sein Sohn in diesem Sinne geschaffen hat, ist nicht bestimmt zu unterscheiden, und geschichtlich kommt darauf auch wenig an; wenn irgendwo, war hier Augustus nichts als der Testamentsvollstrecker Caesars. Ueberall weicht die keltische Gauverfassung der italischen Gemeinde. Der Gau der Volker im Kuestengebiet, frueher den Massalioten untertaenig, empfing durch Caesar latinische Gemeindeverfassung in der Weise, dass die "Praetoren" der Volker dem ganzen, 24 Ortschaften umfassenden Bezirk vorstanden ^2, bis dann bald darauf die alte Ordnung auch dem Namen nach verschwand und an die Stelle des Gaus der Volker die latinische Stadt Nemausus (Nimes) trat. Aehnlich erhielt der ansehnlichste aller Gaue dieser Provinz, der der Allobrogen, welche das Land noerdlich der Isere und oestlich der mittleren Rhone, von Valence und Lyon bis in die savoyischen Berge und an den Lemansee in Besitz hatten, wahrscheinlich bereits durch Caesar eine gleiche staedtische Organisation und italisches Recht, bis dann Kaiser Gaius der Stadt Vienna das roemische Buergerrecht gewaehrte. Ebenso wurden in der gesamten Provinz die groesseren Zentren durch Caesar oder in der ersten Kaiserzeit nach latinischem Recht organisiert, so Ruscino (Roussillon), Avennio (Avignon), Aquae Sextiae (Aix), Apta (Apt). Schon am Schluss der augustischen Zeit war die Landschaft an beiden Ufern der unteren Rhone in Sprache und Sitte vollstaendig romanisiert, die Gauverfassung wahrscheinlich in der gesamten Provinz bis auf geringe Ueberreste beseitigt. Die Buerger der Gemeinden, denen das Reichsbuergerrecht verliehen war, und nicht minder die Buerger derjenigen latinischen Rechts, welche durch den Eintritt in das Reichsheer oder durch Bekleidung von Aemtern in ihrer Heimatstadt fuer sich und ihre Nachkommen das Reichsbuergerrecht erworben hatten, standen rechtlich den Italienern vollstaendig gleich und gelangten gleich ihnen im Reichsdienst zu Aemtern und Ehren. ----------------------------------------------------- ^2 Das zeigt die merkwuerdige Inschrift von Avignon (Herzog, Galliae Narbonensis historia, descriptio, institutorum compositio. Leipzig 1864 n. 403): T. Carisius T. f. pr(aetor) Volcar(um) dar, das aelteste Zeugnis fuer die roemische Ordnung des Gemeinwesens in diesen Gegenden. ----------------------------------------------------- Dagegen in den drei Gallien gab es Staedte roemischen und latinischen Rechts nicht, oder vielmehr es gab dort nur eine solche ^3, die eben darum auch zu keiner der drei Provinzen oder zu allen gehoerte, die Stadt Lugudunum (Lyon). Am aeussersten Suedrand des kaiserlichen Gallien, unmittelbar an der Grenze der staedtisch geordneten Provinz, am Zusammenfluss der Rhone und der Saone, an einer militaerisch wie kommerziell gleich wohlgewaehlten Stelle war waehrend der Buergerkriege, zunaechst infolge der Vertreibung einer Anzahl in Vienna ansaessiger Italiener ^4, im Jahre 711 (43) diese Ansiedlung entstanden, nicht hervorgegangen aus einem Keltengau ^5 und daher auch immer mit eng beschraenktem Gebiet, sondern von Haus aus von Italienern gebildet und im Besitz des vollen roemischen Buergerrechts, einzig in ihrer Art dastehend unter den Gemeinden der drei Gallien, den Rechtsverhaeltnissen nach einigermassen wie Washington in dem nordamerikanischen Bundesstaat. Diese einzige Stadt der drei Gallien wurde zugleich die gallische Hauptstadt. Eine gemeinschaftliche Oberbehoerde hatten die drei Provinzen nicht und von hohen Reichsbeamten hatte dort nur der Statthalter der mittleren oder der lugudunensischen Provinz seinen Sitz; aber wenn Kaiser oder Prinzen in Gallien verweilten, residierten sie regelmaessig in Lyon. Lyon war neben Karthago die einzige Stadt der lateinischen Reichshaelfte, welche nach dem Muster der hauptstaedtischen Garnison eine staendige Besatzung erhielt ^6. Die einzige Muenzstaette fuer Reichsgeld, die wir im Westen fuer die fruehere Kaiserzeit mit Sicherheit nachweisen koennen, ist die von Lyon. Hier war die Zentralstelle des ganz Gallien umfassenden Grenzzolles, hier der Knotenpunkt des gallischen Strassennetzes. Aber nicht bloss alle Regierungsanstalten, welche Gallien gemeinschaftlich waren, hatten ihren geborenen Sitz in Lyon, sondern diese Roemerstadt wurde auch, wie wir weiterhin sehen werden, der Sitz des keltischen Landtags der drei Provinzen und aller daran sich knuepfenden politischen und religioesen Institutionen, seiner Tempel und seiner Jahresfeste. Also bluehte Lugudunum rasch empor, gefoerdert durch die mit der Metropolenstellung verbundene reiche Dotation und die fuer den Handel ungemein guenstige Lage. Ein Schriftsteller aus Tiberius’ Zeit bezeichnet sie als die zweite in Gallien nach Narbo; spaeterhin nimmt sie daselbst den Platz neben oder vor ihrer Rhoneschwester Arelate. Bei der Feuersbrunst, die im Jahre 64 einen grossen Teil Roms in Asche legte, sandten die Lugudunenser den Abgebrannten eine Beihilfe von 4 Millionen Sesterzen (870000 Mark), und als ihre eigene Stadt im naechsten Jahr dasselbe Schicksal in noch haerterer Weise traf, steuerte auch ihnen das ganze Reich seinen Beitrag und sandte der Kaiser die gleiche Summe aus seiner Schatulle. Glaenzender als zuvor erstand die Stadt aus ihren Ruinen, und sie ist fast durch zwei Jahrtausende unter allen Zeitlaeuften eine Grossstadt geblieben bis auf den heutigen Tag. In der spaeteren Kaiserzeit freilich tritt sie zurueck hinter Trier. Die Stadt der Treverer, Augusta genannt wahrscheinlich von dem ersten Kaiser, gewann bald in der Belgica den ersten Platz; wenn noch in Tiberius’ Zeit Durocortorum der Remer (Reims) die volkreichste Ortschaft der Provinz und der Sitz der Statthalter genannt wird, so teilt bereits ein Schriftsteller aus der Zeit des Claudius den Primat daselbst dem Hauptort der Treverer zu. Aber die Hauptstadt Galliens ^7, man darf vielleicht sagen des Okzidents, ist Trier erst geworden durch die Umgestaltung der Reichsverwaltung unter Diocletian. Seit Gallien, Britannien und Spanien unter einer Oberverwaltung stehen, hat diese ihren Sitz in Trier, und seitdem ist Trier auch, wenn die Kaiser in Gallien verweilen, deren regelmaessige Residenz und, wie ein Grieche des 5. Jahrhunderts sagt, die groesste Stadt jenseits der Alpen. Indes die Epoche, wo dieses Rom des Nordens seine Mauern und seine Thermen empfing, die wohl genannt werden duerfen neben den Stadtmauern der roemischen Koenige und den Baedern der kaiserlichen Reichshauptstadt, liegt jenseits unserer Darstellung. Durch die ersten drei Jahrhunderte der Kaiserzeit ist Lyon das roemische Zentrum des Keltenlandes geblieben, und nicht bloss, weil es an Volkszahl und Reichtum den ersten Platz einnahm, sondern weil es, wie keine andere des gallischen Nordens und nur wenige des Suedens, eine von Italien aus gegruendete und nicht nur dem Recht, sondern dem Ursprung und dem Wesen nach roemische Stadt war. ---------------------------------------------- ^3 Nur etwa Noviodunum (Nyon am Genfer See) kann in den drei Gallien der Anlage nach mit Lugudunum zusammengestellt werden; aber da diese Gemeinde spaeter als civitas Equestrium auftritt (Inscr. Helv. 115), so scheint sie unter die Gaue eingereiht zu sein, was von Lugudunum nicht gilt. ^4 Die aus Vienna von den Allobrogen frueher Vertriebenen (oi ek Oyienn/e/s t/e/s Narbon/e/sias ypo t/o/n Allobrig/o/n pote ekpesontes) bei Dio 46, 50 koennen nicht wohl andere gewesen sein als roemische Buerger, da die Gruendung einer Buergerkolonie zu ihren Gunsten nur unter dieser Voraussetzung sich begreift. Die "fruehere" Vertreibung stand wohl in Zusammenhang mit dem Allobrogenaufstand unter Catugnatus im Jahre 693 (61). Die Erklaerung, warum die Vertriebenen nicht zurueckgefuehrt, sondern anderweitig angesiedelt wurden, fehlt, aber es lassen sich dafuer mancherlei Veranlassungen denken, und die Tatsache selbst wird dadurch nicht in Zweifel gestellt. Die der Stadt zufliessenden Renten (Tac. hist. 1, 65) moegen ihr wohl auf Kosten von Vienna verliehen worden sein. ^5 Der Boden gehoerte frueher den Segusiavern (Plin. nat. 4, 18, 107; Strab. p. 186, 192), einem der kleinen Klientelgaue der Haeduer (Caes. Gall. 7, 75); aber in der Gaueinteilung zaehlt sie nicht zu diesen, sondern steht fuer sich als m/e/tropolis (Ptol. geogr. 2, 8, 11 u. 12). ^6 Dies sind die 1200 Soldaten, mit welchen, wie der Judenkoenig Agrippa bei Josephus (bel. Iud. 2, 16, 4) sagt, die Roemer das gesamte Gallien in Botmaessigkeit halten. ^7 Nichts ist so bezeichnend fuer die Stellung Triers in dieser Zeit als die Verordnung des Kaisers Gratianus vom Jahre 376 (Cod. Theod. 13, 3, 11), dass den Professoren der Rhetorik und der Grammatik beider Sprachen in saemtlichen Hauptstaedten der damaligen siebzehn gallischen Provinzen zu ihrem staedtischen Gehalt die gleiche Zulage aus der Staatskasse gegeben, fuer Trier aber diese hoeher bemessen werden solle. ---------------------------------------------- Wie fuer die Organisation der Suedprovinz die italische Stadt die Grundlage war, so fuer die noerdliche der Gau, und zwar ueberwiegend derjenige der keltischen ehemaligen Staats-, jetzigen Gemeindeordnung. Die Bedeutung des Gegensatzes von Stadt und Gau ist nicht zunaechst abhaengig von seinem Inhalt; selbst wenn er ein bloss rechtlich formaler gewesen waere, haette er die Nationalitaeten geschieden, auf der einen Seite das Gefuehl der Zugehoerigkeit zu Rom, auf der andern Seite das der Fremdartigkeit geweckt und geschaerft. Hoch darf fuer diese Zeit die praktische Verschiedenheit der beiden Ordnungen nicht angeschlagen werden, da die Elemente der Gemeindeordnung, die Beamten, der Rat, die Buergerversammlung, dort wie hier dieselben waren und etwa frueher vorhandene, tiefer gehende Gegensaetze von der roemischen Oberherrschaft schwerlich lange geduldet wurden. Daher hat auch der Uebergang von der Gauordnung zu der staedtischen sich haeufig und ohne Anstoss, man kann vielleicht sagen im Laufe der Entwicklung mit einer gewissen Notwendigkeit von selber vollzogen. Infolgedessen treten die qualitativen Unterschiede der beiden Rechtsformen in unserer Ueberlieferung wenig hervor. Dennoch war der Gegensatz sicher nicht ein bloss nomineller, sondern es bestanden in den Befugnissen der verschiedenen Gewalten, in Rechtspflege, Besteuerung, Aushebung, Verschiedenheiten, die fuer die Administration, teils an sich, teils infolge der Gewoehnung, von Bedeutung waren oder doch bedeutend schienen. Bestimmt erkennbar ist der quantitative Gegensatz. Die Gaue, wenigstens wie sie bei den Kelten und den Germanen auftreten, sind durchgaengig mehr Voelkerschaften als Ortschaften; dieses sehr wesentliche Moment ist allen keltischen Gebieten eigentuemlich und selbst durch die spaeter eintretende Romanisierung oft mehr verdeckt als verwischt. Mediolanum und Brixia haben ihre weiten Grenzen und ihre dauernde Potenz wesentlich dem zu danken, dass sie eigentlich nichts sind als die Gaue der Insubrer und der Cenomanen. Dass das Territorium der Stadt Vienna die Dauphine und Westsavoyen umfasst und die ebenso alten und fast ebenso ansehnlichen Ortschaften Cularo (Grenoble) und Genava (Genf) bis in die spaete Kaiserzeit dem Rechte nach Doerfer der Kolonie Vienna sind, erklaert sich ebenfalls daraus, dass dieses der spaetere Name der Voelkerschaft der Allobrogen ist. In den meisten keltischen Gauen ueberwiegt eine Ortschaft so durchaus, dass es einerlei ist, ob man die Remer oder Durocortorum, die Bituriger oder Burdigala nennt; aber es kommt auch das Gegenteil vor, wie zum Beispiel bei den Vocontiern Vasio (Vaison) und Lucus, bei den Carnuten Autricum (Chartres) und Cenabum (Orleans) sich die Waage halten; und ob die Vorrechte, die nach italischer und griechischer Ordnung sich selbstverstaendlich der Flur gegenueber an den Mauerring knuepfen, bei den Kelten rechtlich oder auch nur tatsaechlich in aehnlicher Weise geordnet waren, ist mehr als fraglich. Das Gegenbild fuer diesen Gau im griechisch-italischen Westen ist viel weniger die Stadt als die Voelkerschaft; die Carnuten hat man mit den Boeotern zu gleichen, Autricum und Cenabum mit Tanagra und Thespiae. Die Besonderheit der Stellung der Kelten unter der roemischen Herrschaft gegenueber anderen Nationen, den Iberern zum Beispiel und den Hellenen, beruht darauf, dass diese groesseren Verbaende dort als Gemeinden fortbestanden, hier diejenigen Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetzten, die Gemeinden bildeten. Dabei moegen aeltere, der vorroemischen Zeit angehoerige Verschiedenheiten der nationalen Entwicklung mitgewirkt haben; es mag wohl leichter ausfuehrbar gewesen sein, den Boeotern den gemeinschaftlichen Staedtetag zu nehmen, als die Helvetier in ihre vier Distrikte aufzuloesen; politische Verbaende behaupten sich auch nach der Unterwerfung unter eine Zentralgewalt da, wo ihre Aufloesung die Desorganisation herbeifuehren wuerde. Dennoch ist, was in Gallien durch Augustus oder, wenn man will durch Caesar geschah, nicht durch den Zwang der Verhaeltnisse herbeigefuehrt worden, sondern hauptsaechlich durch den freien Entschluss der Regierung, wie er auch allein zu der uebrigens gegen die Kelten geuebten Schonung passt. Denn es gab in der Tat in der vorroemischen Zeit und noch zur Zeit der Caesarischen Eroberung eine bei weitem groessere Anzahl von Gauen, als wir sie spaeter finden; namentlich ist es bemerkenswert, dass die zahlreichen, durch Klientel einem groesseren Gau angeschlossenen kleineren in der Kaiserzeit nicht selbstaendig geworden, sondern verschwunden sind ^8. Wenn spaeterhin das Keltenland geteilt erscheint in eine maessige Anzahl bedeutender, zum Teil sogar sehr grosser Gaudistrikte, innerhalb deren abhaengige Gaue nirgends zum Vorschein kommen, so ist diese Ordnung freilich durch das vorroemische Klientelwesen angebahnt, aber erst durch die roemische Reorganisation vollstaendig durchgefuehrt worden. Dieser Fortbestand und diese Steigerung der Gauverfassung wird fuer die weitere politische Entwicklung Galliens vor allem bestimmend gewesen sein. Wenn die tarraconensische Provinz in 293 selbstaendige Gemeinden zerfiel, so zaehlten die drei Gallien zusammen, wie wir sehen werden, deren nicht mehr als 64. Die Einheit und ihre Erinnerungen blieben ungebrochen; die eifrige Verehrung, die die ganze Kaiserzeit hindurch dem Quellgott Nemausus bei den Volkern gezollt wurde, zeigt, wie selbst hier, im Sueden des Landes und in einem zur Stadt umgewandelten Gau die traditionelle Zusammengehoerigkeit noch immer lebendig empfunden ward. In dieser Art innerlich fest zusammenhaltende Gemeinden mit weiten Grenzen waren eine Macht. Wie Caesar die gallischen Gemeinden vorfand, mit einer in voelliger politischer wie oekonomischer Abhaengigkeit gehaltenen Volksmasse und einem uebermaechtigen Adel, so sind sie im wesentlichen auch unter roemischer Herrschaft geblieben; genau wie in vorroemischer Zeit die grossen Adligen mit ihrem nach Tausenden zaehlenden Gesinde von Hoerigen und Schuldknechten ein jeder in seiner Heimat die Herren spielten, so schildert uns Tacitus in Tiberius’ Zeit die Zustaende bei den Treverern. Das roemische Regiment gab der Gemeinde weitgehende Rechte, sogar eine gewisse Militaergewalt, so dass sie unter Umstaenden Festungen einzurichten und besetzt zu halten befugt war, wie dies bei den Helvetiern vorkommt, die Beamten die Buergerwehr aufbieten konnten und in diesem Falle Offiziersrecht und Offiziersrang hatten. Diese Befugnis war nicht dieselbe in den Haenden des Vorstehers einer kleinen Stadt Andalusiens und desjenigen eines Bezirkes an der Loire oder der Mosel vom Umfang einer kleinen Provinz. Die weitherzige Politik Caesars des Vaters, auf den die Grundzuege dieses Systems notwendig zurueckgefuehrt werden muessen, zeigt sich hier in ihrer ganzen grossartigen Ausdehnung. ------------------------------------------- ^8 Bei Caesar erscheinen wohl, im grossen und ganzen genommen, dieselben Gaue, wie sie dann in der augustischen Ordnung vertreten sind, aber zugleich vielfache Spuren kleinerer Klientelverbaende (vgl. 3, 249); so werden als "Klienten" der Haeduer genannt die Segusiaver, die Ambivareten, die Aulerker Brannoviker und die Brannovier (Caes. Gall. 7, 75), als Klienten der Treuerer die Condruser (Caes. Gall. 4; 6), als solche der Helvetier die Tulinger und Latobrigen. Mit Ausnahme der Segusiaver fehlen diese alle auf dem Lyoner Landtage. Dergleichen kleinere, nicht voellig in die Vororte aufgegangene Gaue mag es in Gallien zur Zeit der Unterwerfung in grosser Zahl gegeben haben. Wenn nach Josephus (bel. Iud. 2, 16, 4) den Roemern 305 gallische Gaue und 1200 Staedte gehorchten, so moegen dies die Ziffern sein, die fuer Caesars Waffenerfolge herausgerechnet worden sind; wenn die kleinen iberischen Voelker in Aquitanien und die Klientelgaue im Keltenland mitgezaehlt wurden, konnten dergleichen Zahlen wohl herauskommen. ------------------------------------------- Aber die Regierung beschraenkte sich nicht darauf, die Gauordnung den Kelten zu lassen; sie liess oder gab ihnen vielmehr auch eine nationale Verfassung, soweit eine solche mit der roemischen Oberherrschaft sich vereinbaren liess. Wie der hellenischen Nation, so verlieh Augustus der gallischen eine organisierte Gesamtvertretung, welche dort wie hier in der Epoche der Freiheit und der Zerfahrenheit wohl erstrebt, aber nie erreicht worden war. Unter dem Huegel, den die Hauptstadt Galliens kroente, da wo die Saone ihr Wasser mit dem der Rhone mischt, weihte am 1. August des Jahres 742 (12) der kaiserliche Prinz Drusus als Vertreter der Regierung in Gallien der Roma und dem Genius des Herrschers den Altar, an welchem fortan jedes Jahr an diesem Tage diesen Goettern von der Gemeinschaft der Gallier die Festfeier abgehalten werden sollte. Die Vertreter der saemtlichen Gaue waehlten aus ihrer Mitte Jahr fuer Jahr den "Priester der drei Gallien", und dieser brachte am Kaisertag das Kaiseropfer dar und leitete die dazu gehoerigen Festspiele. Diese Landesvertretung hatte nicht bloss eine eigene Vermoegensverwaltung mit Beamten, welche den vornehmen Kreisen des provinzialen Adels angehoerten, sondern auch einen gewissen Anteil an den allgemeinen Landesangelegenheiten. Von unmittelbarem Eingreifen derselben in die Politik findet sich allerdings keine andere Spur, als dass bei der ernsten Krise des Jahres 70 der Landtag der "drei Gallien" die Treverer von der Auflehnung gegen Rom abmahnte; aber er hatte und gebrauchte das Recht der Beschwerdefuehrung ueber die in Gallien fungierenden Reichsund Hausbeamten und wirkte ferner mit wenn nicht bei der Auflegung, so doch bei der Repartition der Steuern ^9, zumal da diese nicht nach den einzelnen Provinzen, sondern fuer Gallien insgemein angelegt wurden. Aehnliche Einrichtungen hat allerdings die Kaiserregierung in allen Provinzen ins Leben gerufen, in einer jeden nicht bloss die sakrale Zentralisierung eingefuehrt, sondern auch, was die Republik nicht getan hatte, einer jeden ein Organ verliehen, um Bitten und Klagen vor die Regierung zu bringen. Dennoch hat Gallien in dieser Hinsicht vor allen uebrigen Reichsteilen wenigstens ein tatsaechliches Privilegium, wie sich denn diese Institution auch allein hier voll entwickelt findet ^10. Einmal steht der vereinigte Landtag der drei Provinzen den Legaten und Prokuratoren einer jeden notwendig unabhaengiger gegenueber als zum Beispiel der Landtag von Thessalonike dem Statthalter von Makedonien. Sodann aber kommt es bei Institutionen dieser Art weit weniger auf das Mass der verliehenen Rechte an, als auf das Gewicht der darin vertretenen Koerperschaften; und die Staerke der einzelnen gallischen Gemeinden uebertrug sich ebenso auf den Landtag von Lyon wie die Schwaeche der einzelnen hellenischen auf den von Argos. In der Entwicklung Galliens unter den Kaisern hat der Landtag von Lyon allem Anschein nach diejenige allgemein gallische Homogenitaet, welche daselbst mit der Latinisierung Hand in Hand geht, wesentlich gefoerdert. ------------------------------------------------------- ^9 Darauf fuehrt ausser der Inschrift bei Boissieu, Lyon, S. 609, wo die Worte tot[i]us cens[us Galliarum] mit dem Namen eines der Altarpriester in Verbindung gebracht werden, die Ehreninschrift, welche die drei Gallien einem kaiserlichen Beamten a censibus accipiendis setzen (Heuzen 6944); derselbe scheint die Katasterrevision fuer das ganze Land geleitet zu haben, eben wie frueher Drusus, waehrend die Schaetzung selbst durch Kommissarien fuer die einzelnen Landschaften erfolgte. Auch ein sacerdos Romae et Augusti der Tarraconensis wird belobt ob curam tabulari censualis fideliter administratam (CIL II, 4248); es waren also mit der Steuerrepartierung wohl die Landtage aller Provinzen befasst. Die kaiserliche Finanzverwaltung der drei Gallien war wenigstens der Regel nach so geteilt, dass die beiden westlichen Provinzen (Aquitanien und Lugudunensis) unter einem Prokurator standen, Belgica und die beiden Germanien unter einem andern; doch hat es rechtlich feste Kompetenzen dafuer wohl nicht gegeben. Auf eine regelmaessige Beteiligung bei der Aushebung darf aus der von Hadrian, offenbar ausserordentlicher Weise, mit Vertretern aller spanischen Distrikte gepflogenen Verhandlung (vita 12) nicht geschlossen werden. ^10 Fuer die arca Galliarum, den Freigelassenen der drei Gallien (Heuzen 6393), den adlector arcae Galliarum, inquisitor Galliarum, iudex arcae Galliarum gibt meines Wissens keine andere Provinz Analogien; und von diesen Einrichtungen haetten, wenn sie allgemein gewesen waeren, die Inschriften sicher auch sonst Spuren bewahrt. Diese Einrichtungen scheinen auf eine sich selbst verwaltende und besteuernde Koerperschaft zu fuehren (der in seiner Bedeutung unklare adlector kommt als Beamter in Kollegien vor CIL VI, 355; Orelli 2406); wahrscheinlich bestritt diese Kasse die wohl nicht unbetraechtlichen Ausgaben fuer die Tempelgebaeude und fuer das Jahrfest. Eine Staatskasse ist die arca Galliarum nicht gewesen. ------------------------------------------------------- Die Zusammensetzung des Landtags, welche uns ziemlich genau bekannt ist ^11, zeigt, in welcher Weise die Nationalitaetenfrage von der Regierung behandelt ward. Von den sechzig, spaeter vierundsechzig auf dem Landtag vertretenen Gauen kommen nur vier auf die iberischen Bewohner Aquitaniens, obwohl dieses Gebiet zwischen der Garonne und den Pyrenaeen unter eine sehr viel groessere Zahl durchgaengig kleiner Staemme geteilt war, sei es, dass die uebrigen von der Vertretung ueberhaupt ausgeschlossen waren, sei es, dass jene vier vertretenen Gaue die Vororte von Gauverbaenden sind ^12. Spaeterhin, wahrscheinlich in traianischer Zeit, ist der iberische Bezirk von dem Lyoner Landtag abgetrennt und ihm eine selbstaendige Vertretung gegeben worden ^13. Dagegen sind die keltischen Gaue in derjenigen Organisation, die wir frueher kennengelernt haben, im wesentlichen alle auf dem Landtag vertreten und ebenso die halb oder ganz germanischen ^14, soweit sie zur Zeit der Stiftung des Altars zum Reiche gehoerten; dass fuer die Hauptstadt Galliens in dieser Gauvertretung kein Platz war, versteht sich von selbst. Ausserdem erscheinen die Ubier nicht auf dem Landtag von Lyon, sondern opfern an ihrem eigenen Augustus-Altar - es ist dies, wie wir sahen, ein stehengebliebener Ueberrest der beabsichtigten Provinz Germanien. ------------------------------------------ ^11 Als Gesamtzahl der auf dem Lyoner Altar verzeichneten Gemeinden gibt Strabo (4, 3, 2, p. 192) sechzig an, als die Zahl der aquitanischen in dem keltischen Teil, noerdlich von der Garonne, vierzehn (4,1, 1, p. 177). Tacitus (ann. 3, 44) nennt als Gesamtzahl der gallischen Gaue vierundsechzig, ebenso, wenn auch in unrichtiger Verbindung, der Scholiast zur Aeneis (1, 286). Auf die gleiche Gesamtzahl fuehrt das Verzeichnis bei Ptolemaeos aus dem zweiten Jahrhundert, welches fuer Aquitanien siebzehn, fuer die Lugudunensis 25, fuer Belgica 22 Gaue auffuehrt. Von seinen aquitanischen Gauen fallen dreizehn auf das Gebiet zwischen Loire und Garonne, vier auf das zwischen Garonne und Pyrenaeen. In dem spaeteren aus dem 5. Jahrhundert, das unter dem Namen der Notitia Galliarum bekannt ist, fallen auf Aquitanien 26, auf die Lugudunensis (ausschliesslich Lyons) 24, auf Belgica 27. Alle diese Zahlen sind vermutlich eine jede fuer ihre Zeit richtig; zwischen der Errichtung des Altars im Jahre 742 (12) und der Zeit des Tacitus (denn auf diese ist seine Angabe wohl zu beziehen) koennen ebenso vier Gaue hinzugetreten sein, wie sich die Verschiebung der Zahlen vom 2, bis zum 5. Jahrhundert auf einzelne, zum guten Teil speziell noch nachweisliche Aenderungen zurueckfuehren laesst. Bei der Wichtigkeit dieser Ordnungen wird es nicht ueberfluessig sein, sie wenigstens fuer die beiden westlichen Provinzen im speziellen darzulegen. In der rein keltischen Mittelprovinz stimmen die drei Verzeichnisse bei Plinius (1. Jahrhundert), Ptolemaeos (2. Jahrhundert) und der Notitia (5. Jahrhundert) in 21 Namen ueberein: Abrincates - Andecavi - Aulerci Cenomani - Aulerci Diablintes - Aulerci Eburovici - Baiocasses (Bodiocasses Plin., Vadicasii Ptol.) - Carnutes - Coriosolites (ohne Zweifel die Samnitae des Ptolemaeos) - Haedui - Lexovii - Meldae - Namnetes - Osismii - Parisii - Redones - Senones - Tricassini - Turones - Veliocasses (Rotomagenses) - Veneti - Unelli (Constantia); in drei weiteren: Caletae - Segusiavi - Viducasses stimmen Plinius und Ptolemaeos, waehrend sie in der Notitia fehlen, weil inzwischen die Caletae mit den Veliocasses oder den Rotomagenses, die Viducasses mit den Baiocasses zusammengelegt und die Segusiavi in Lyon aufgegangen waren. Dagegen erscheinen hier statt der drei verschwundenen zwei neue durch Teilung entstandene: Aureliani (Orleans), abgezweigt aus den Carnutes (Chartres), und Autessiodurum (Auxerre), abgezweigt aus den Senones (Sens). Uebrig bleiben bei Plinius zwei Namen: Boi - Atesui; bei Ptolemaeos einer: Arvii; in der Notitia einer: Saii. Fuer das keltische Aquitanien stimmen die drei Listen in elf Namen ueberein: Arverni - Bituriges Cubi - Bituriges Vivisci (Burdigalenses) - Cadurci - Gabales - Lemovici - Nitiobriges (Aginnenses) - Petrucorii - Pictones - Ruteni - Sautones; die zweite und dritte in dem zwoelften der Vellauni, der bei Plinius ausgefallen sein wird; Plinius allein hat (abgesehen von den problematischen Aquitani) zwei Namen mehr: Ambilatri und Anagnutes, Ptolomaeos einen sonst unbekannten: Datii; vielleicht ist mit zweien von diesen die Strabonische Zahl der vierzehn voll zu machen. Die Notitia hat ausser jenen elf noch zwei auf Spaltung beruhende, die Albigenses (Albi am Tarn) und die Ecolismenses (Angouleme). In aehnlicher Weise verhalten sich die Listen der oestlichen Gaue. Obwohl untergeordnete Differenzen sich ergeben, die hier nicht eroertert werden koennen, liegt das Wesen und die Bestaendigkeit der gallischen Gauteilung deutlich vor. ^12 Die vier vertretenen Voelkerschaften sind die Tarbeller, Vasaten, Auscier und Convener. Ausser diesen zaehlt Plinius im suedlichen Aquitanien nicht weniger als 25 groesstenteils sonst unbekannte Voelkerschaften auf als rechtlich jenen vier gleichstehend. ^13 Plinius und, vermutlich auch hier aelteren Quellen folgend, Ptolemaeos wissen von dieser Teilung nichts; aber wir besitzen noch die ungefuegen Verse des Gascogner Bauern (B. Borghesi, (Oeuvres completes. Paris 1862-79. Bd. 8, S. 544), der dies in Rom auswirkte, ohne Zweifel in Gemeinschaft mit einer Anzahl seiner Landsleute, obwohl er es vorgezogen hat, dies nicht hinzuzusetzen: Flamen, item dumvir, quaestor pagiq(ue) magister Verus ad Augustum legato (so) munere functus pro novem optinuit populis seiungere Gallos: urbe redux Genio pagi hanc dedicat aram. Flamen, auch Zweimann, Schatzmeister und Schulze des Dorfes Ging den Kaiser ich an, Verus, nach erhaltenem Auftrag; Wirkte dem Neungau aus von ihm zu scheiden die Galler Und zurueck von Rom weih den Altar ich dem Dorfgeist. Die aelteste Spur der administrativen Trennung des iberischen Aquitaniens von dem gallischen ist die Nennung des "Bezirks von Lactora" (Lectoure) neben Aquitanien in einer Inschrift aus traianischer Zeit (CIL V 875: procurator provinciarum Luguduniensis et Aquitanicae, item Lactorae). Diese Inschrift beweist allerdings an sich mehr die Verschiedenheit der beiden Gebiete als die formelle Absonderung des einen von dem andern; aber es laesst sich anderweitig zeigen, dass bald nach Traian die letztere durchgefuehrt war. Denn dass der abgetrennte Bezirk urspruenglich in neun Gaue zerfiel, wie jene Verse es sagen, bestaetigt der seitdem gebliebene Name Novempopulana; unter Pius aber zaehlt der Bezirk bereits elf Gemeinden (denn der dilectator er Apquitanicae XI populos, Boissieu, Lyon, S. 246, gehoert gewiss hierher), im fuenften Jahrhundert zwoelf; denn so viele zaehlt die Notitia unter der Novempopulana auf. Diese Vermehrung erklaert sich ebenso wie die in Anm. 11 eroerterte. Auf die Statthalterschaft bezieht die Teilung sich nicht; vielmehr blieben das keltische und das iberische Aquitanien beide unter demselben Legaten. Aber die Novempopulana erhielt unter Traian ihren eigenen Landtag, waehrend die keltischen Distrikte Aquitaniens nach wie vor den Landtag von Lyon beschickten. ^14 Es fehlen einige kleinere germanische Voelkerschaften, wie die Baetasier und die Sunuker, vielleicht aus aehnlichen Gruenden wie die kleineren iberischen; ferner die Cannenefaten und die Friesen, wahrscheinlich weil diese erst spaeter reichsuntertaenig geworden sind. Die Bataver sind vertreten. ------------------------------------------------ Wurde die keltische Nation also in dem kaiserlichen Gallien in sich selbst konsolidiert, so wurde sie auch dem roemischen Wesen gegenueber gewissermassen garantiert durch das hinsichtlich der Erteilung des Reichsbuergerrechts fuer dieses Gebiet eingehaltene Verfahren. Die Hauptstadt Galliens freilich war und blieb eine roemische Buergerkolonie, und es gehoert dies wesentlich mit zu der eigenartigen Stellung, die sie dem uebrigen Gallien gegenueber einnahm und einnehmen sollte. Aber waehrend die Suedprovinz mit Kolonien bedeckt und durchaus nach italischem Gemeinde recht geordnet ward, hat Augustus in den "drei Gallien" nicht eine einzige Buergerkolonie eingerichtet, und wahrscheinlich ist auch dasjenige Gemeinderecht, welches unter dem Namen des latinischen eine Zwischenstufe zwischen Buergern und Nichtbuergern bildet und seinen angeseheneren Inhabern von Rechts wegen das Buergerrecht fuer ihre Person und ihre Nachkommen gewaehrt, laengere Zeit von Gallien ferngehalten worden. Die persoenliche Verleihung des Buergerrechts, teils nach allgemeinen Bestimmungen an den Soldaten bald bei dem Eintritt, bald bei dem Abschied, teils aus besonderer Gunst an einzelne Personen, konnte allerdings auch dem Gallier zuteil werden; so weit, wie die Republik gegangen war, dem Helvetier zum Beispiel den Gewinn des roemischen Buergerrechts ein fuer allemal zu untersagen, ging Augustus nicht und konnte es auch nicht, nachdem Caesar das Buergerrecht an geborene Gallier vielfach auf diese Weise vergeben hatte. Aber er nahm wenigstens den aus den "drei Gallien" stammenden Buergern - mit Ausnahme immer der Lugudunenser - das Recht der Aemterbewerbung und schloss sie damit zugleich aus dem Reichssenat aus. Ob diese Bestimmung zunaechst im Interesse Roms oder zunaechst in dem der Gallier getroffen war, koennen wir nicht wissen; gewiss hat Augustus beides gewollt, einmal dem Eindringen des fremdartigen Elements in das Roemertum wehren und damit dasselbe reinigen und heben, andererseits den Fortbestand der gallischen Eigenartigkeit in einer Weise verbuergen, die eben durch verstaendiges Zurueckhalten die schliessliche Verschmelzung mit dem roemischen Wesen sicherer foerderte, als die schroffe Aufzwingung fremdlaendischer Institutionen getan haben wuerde. Kaiser Claudius, selbst in Lyon geboren und, wie die Spoetter von ihm sagten, ein richtiger Gallier, hat diese Schranken zum guten Teil beseitigt. Die erste Stadt in Gallien, welche sicher italisches Recht empfangen hat, ist die der Ubier, wo der Altar des roemischen Germaniens angelegt war; dort im Feldlager ihres Vaters, des Germanicus, wurde die nachmalige Gemahlin des Claudius Agrippina geboren, und sie hat im Jahre 50 ihrem Geburtsort das wahrscheinlich latinische Kolonialrecht erwirkt, dem heutigen Koeln. Vielleicht gleichzeitig, vielleicht schon frueher ist dasselbe fuer die Stadt der Treverer, Augusta, geschehen, das heutige Trier. Auch noch einige andere gallische Gaue sind in dieser Weise dem Roemertum naeher gerueckt worden, so der der Helvetier durch Vespasian, ferner der der Sequaner (Besan‡on); grosse Ausdehnung aber scheint das latinische Recht in diesen Gegenden nicht gefunden zu haben. Noch weniger ist in der frueheren Kaiserzeit in dem kaiserlichen Gallien ganzen Gemeinden das volle Buergerrecht beigelegt worden. Wohl aber hat Claudius mit der Aufhebung der Rechtsbeschraenkung den Anfang gemacht, welche die zum persoenlichen Reichsbuergerrecht gelangten Gallier von der Reichsbeamtenlaufbahn ausschloss; es wurde zunaechst fuer die aeltesten Verbuendeten Roms, die Haeduer, bald wohl allgemein diese Schranke beseitigt. Damit war wesentlich die Gleichstellung erreicht. Denn nach den Verhaeltnissen dieser Epoche hatte das Reichsbuergerrecht fuer die durch ihre Lebensstellung von der Aemterlaufbahn ausgeschlossenen Kreise kaum einen besonderen praktischen Wert und war fuer vermoegende Peregrinen guter Herkunft, die diese Laufbahn zu betreten wuenschten und deshalb seiner bedurften, leicht zu erlangen; wohl aber war es eine empfindliche Zuruecksetzung, wenn dem roemischen Buerger aus Gallien und seinen Nachkommen von Rechts wegen die Aemterlaufbahn verschlossen blieb. Wenn in der Organisation der Verwaltung das nationale Wesen der Kelten so weit geschont ward, als dies mit der Reichseinheit sich irgend vertrug, so ist dies hinsichtlich der Sprache nicht geschehen. Auch wenn es praktisch ausfuehrbar gewesen waere, den Gemeinden die Fuehrung ihrer Verwaltung in einer Sprache zu gestatten, deren die kontrollierenden Reichsbeamten nur ausnahmsweise maechtig sein konnten, lag es unzweifelhaft nicht in den Absichten der roemischen Regierung, diese Schranke zwischen den Herrschenden und Beherrschten aufzurichten. Dementsprechend ist unter den in Gallien unter roemischer Herrschaft geschlagenen Muenzen und von Gemeinde wegen gesetzten Denkmaelern keine erweislich keltische Aufschrift gefunden worden. Der Gebrauch der Landessprache wurde uebrigens nicht gehindert; wir finden sowohl in der Suedprovinz wie in den noerdlichen Denkmaeler mit keltischer Aufschrift, dort immer mit griechischem ^15, hier immer mit lateinischem Alphabet geschrieben ^16, und wahrscheinlich gehoeren wenigstens manche von jenen, sicher diese saemtlich der Epoche der Roemerherrschaft an. Dass in Gallien ausserhalb der Staedte italischen Rechts und der roemischen Lager inschriftliche Denkmaeler ueberhaupt nur in geringer Zahl auftreten, wird wahrscheinlich hauptsaechlich dadurch herbeigefuehrt sein, dass die als Dialekt behandelte Landessprache ebenso fuer solche Verwendung ungeeignet erschien wie die ungelaeufige Reichssprache und daher das Denksteinsetzen hier ueberhaupt nicht so wie in den latinisierten Gegenden in Aufnahme kam; das Lateinische mag in dem groessten Teil Galliens damals ungefaehr die Stellung gehabt haben wie nachher im frueheren Mittelalter gegenueber der damaligen Volkssprache. Das energische Fortleben der nationalen Sprache zeigt am bestimmtesten die Wiedergabe der gallischen Eigennamen im Latein nicht selten unter Beibehaltung unlateinischer Lautformen. Dass Schreibungen wie Lousonna und Boudicca mit dem unlateinischen Diphthong ou selbst in die lateinische Literatur eingedrungen sind und fuer den aspirierten Dental, das englische th, sogar in roemischer Schrift ein eigenes Zeichen (D) verwendet wird, ferner Epaciatextorigus neben Epasnactus geschrieben wird, Dirona neben Sirona, machen es fast zur Gewissheit, dass die keltische Sprache, sei es im roemischen Gebiet, sei es ausserhalb desselben, in oder vor dieser Epoche einer gewissen schriftmaessigen Regulierung unterlegen hatte und schon damals so geschrieben werden konnte, wie sie noch heute geschrieben wird. Auch an Zeugnissen fuer ihren fortdauernden Gebrauch in Gallien fehlt es nicht. Als die Stadtnamen Augustodunum (Autun), Augustonemetum (Clermont), Augustobona (Troyes) und manche aehnliche aufkamen, sprach man notwendig auch im mittleren Gallien noch keltisch. Arrian unter Hadrian gibt in seiner Abhandlung ueber die Kavallerie fuer einzelne den Kelten entlehnte Manoever den keltischen Ausdruck an. Ein geborener Grieche, Eirenaeos, der gegen das Ende des 2. Jahrhunderts als Geistlicher in Lyon fungierte, entschuldigt die Maengel seines Stils damit, dass er im Lande der Kelten lebe und genoetigt sei, stets in barbarischer Sprache zu reden. In einer juristischen Schrift aus dem Anfang des 3. Jahrhunderts wird, im Gegensatz zu der Rechtsregel, dass die letztwilligen Verfuegungen im allgemeinen lateinisch oder griechisch abzufassen sind, fuer Fideikommisse auch jede andere Sprache, zum Beispiel die punische und die gallische zugelassen. Dem Kaiser Alexander wurde sein Ende von einer gallischen Wahrsagerin in gallischer Sprache angekuendigt. Noch der Kirchenvater Hieronymus, der selber in Ancyra wie in Trier gewesen ist, versichert, dass die kleinasiatischen Galater und die Treverer seiner Zeit ungefaehr die gleiche Sprache redeten, und vergleicht das verdorbene Gallisch der Asiaten mit dem verdorbenen Punisch der Afrikaner. Wenn die keltische Sprache sich in der Bretagne, aehnlich wie in Wales, bis auf den heutigen Tag behauptet hat, so hat die Landschaft zwar ihren heutigen Namen von den im fuenften Jahrhundert dorthin vor den Sachsen fluechtenden Inselbriten erhalten, aber die Sprache ist schwerlich erst mit diesen eingewandert, sondern allem Anschein nach hier seit Jahrtausenden von einem Geschlecht dem andern ueberliefert. In dem uebrigen Gallien hat natuerlich im Laufe der Kaiserzeit das roemische Wesen schrittweise Boden gewonnen; ein Ende gemacht hat aber dem keltischen Idiom hier wohl nicht so sehr die germanische Einwanderung als die Christianisierung, welche in Gallien nicht, wie in Syrien und Aegypten, die von der Regierung beiseite geschobene Landessprache aufnahm und zu ihrem Traeger machte, sondern das Evangelium lateinisch verkuendigte. ----------------------------------------------------- ^15 So hat sich in Nemausus eine in keltischer Sprache geschriebene Weihinschrift gefunden, gesetzt Matrebo Namaysikabo (CIL XI, p. 383), das heisst, den oertlichen Muettern. ^16 Beispielsweise liest man auf einem in Neris-les-Bains (Allier) gefundenen Altarstein (E. Desjardins, Geographie historique et administrative de la Gaule Romaine. 4 Bde. Paris 1876-93. Bd. 2, S. 476): Bratronos Nantonicn Epadatextorici Leucullo Suio rebelocitoi. Auf einem andern, den die Pariser Schiffergilde unter Tiberius dem hoechsten besten Jupiter setzte (Mowat im Bulletin epigraphique de la Gaule 1, S. 25f.), ist die Hauptinschrift lateinisch, aber ueber den Reliefs der Seitenflaechen, die eine Prozession von neun bewaffneten Priestern darzustellen scheinen, stehen erklaerende Beischriften: Senani Useiloni . . . und Eurises, die nicht lateinisch sind. Solches Gemenge begegnet auch sonst, zum Beispiel in einer Inschrift von Arrenes (Creuse im Bulletin epigraphique de la Gaule 1, S. 38): Sacer Peroco ieuru (wahrscheinlich = fecit) Duorico v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). ----------------------------------------------------- In dem Vorschreiten der Romanisierung, welche in Gallien, abgesehen von der Suedprovinz, wesentlich der inneren Entwicklung ueberlassen blieb, zeigt sich eine bemerkenswerte Verschiedenheit zwischen dem oestlichen Gallien und dem Westen und Norden, die wohl mit, aber nicht allein auf dem Gegensatz der Germanen und der Gallier beruht. In den Vorgaengen bei und nach Neros Sturz tritt diese Verschiedenheit selbst politisch bestimmend hervor. Die nahe Beruehrung der oestlichen Gaue mit den Rheinlagern und die hier vorzugsweise stattfindende Rekrutierung der Rheinlegionen hat dem roemischen Wesen hier frueher und vollstaendiger Eingang verschafft als im Gebiet der Loire und der Seine. Bei jenen Zerwuerfnissen gingen die rheinischen Gaue, die keltischen Lingonen und Treverer sowohl wie die germanischen Ubier oder vielmehr die Agrippinenser mit der Roemerstadt Lugudunum und hielten fest zu der legitimen roemischen Regierung, waehrend die, wie bemerkt ward, wenigstens in gewissem Sinn nationale Insurrektion von den Sequanern, Haeduern und Arvernern ausgeht. In einer spaeteren Phase desselben Kampfes finden wir unter veraenderten Parteiverhaeltnissen dieselbe Spaltung, jene oestlichen Gaue mit den Germanen im Bunde, waehrend der Landtag von Reims den Anschluss an diese verweigert. Wurde somit das gallische Land in Betreff der Sprache im wesentlichen ebenso behandelt wie die uebrigen Provinzen, so begegnet wiederum die Schonung seiner alten Institutionen bei den Bestimmungen ueber Mass und Gewicht. Allerdings haben neben der allgemeinen Reichsordnung, welche in dieser Hinsicht von Augustus erlassen ward, entsprechend dem toleranten oder vielmehr indifferenten Verhalten der Regierung in dergleichen Dingen, die oertlichen Bestimmungen vielerorts fortbestanden, aber nur in Gallien hat die oertliche Ordnung spaeterhin die des Reiches verdraengt. Die Strassen sind im ganzen Roemischen Reich gemessen und bezeichnet nach der Einheit der roemischen Meile (1,48 Kilometer), und bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts trifft dies auch fuer diese Provinzen zu. Aber von Severus an tritt in den "drei Gallien" und den beiden Germanien an deren Stelle eine zwar der roemischen angefuegte, aber doch verschiedene und gallisch benannte Meile, die Leuga (2,22 Kilometer), gleich anderthalb roemischen Meilen. Unmoeglich kann Severus damit den Kelten eine nationale Konzession haben machen wollen; es passt dies weder fuer die Epoche, noch insbesondere fuer diesen Kaiser, der eben diesen Provinzen in ausgesprochener Feindseligkeit gegenueberstand; ihn muessen Zweckmaessigkeitsruecksichten bestimmt haben. Diese koennen nur darauf beruhen, dass das nationale Wegemass, die Leuga oder auch die Doppelleuga, die germanische Rasta, welche letztere der franzoesischen Lieue entspricht, in diesen Provinzen nach der Einfuehrung des einheitlichen Wegemasses in ausgedehnterem Umfang fortbestanden haben, als dies in den uebrigen Reichslaendern der Fall war. Augustus wird die roemische Meile formell auf Gallien erstreckt und die Postbuecher und die Reichsstrassen darauf gestellt, aber der Sache nach dem Lande das alte Wegemass gelassen haben; und so mag es gekommen sein, dass die spaetere Verwaltung es weniger unbequem fand, die zwiefache Einheit im Postverkehr sich gefallen zu lassen ^17, als noch laenger sich eines praktisch im Lande unbekannten Wegemasses zu bedienen. ------------------------------------------------------ ^17 Die Postbuecher und Strassentafeln verfehlen nicht bei Lyon und Toulouse anzumerken, dass hier die Leugen beginnen. ------------------------------------------------------ Von weit groesserer Bedeutung ist das Verhalten der roemischen Regierung zu der Landesreligion; ohne Zweifel hat das gallische Volkstum seinen festesten Rueckhalt an dieser gefunden. Selbst in der Suedprovinz muss die Verehrung der nichtroemischen Gottheiten lange, viel laenger als zum Beispiel in Andalusien sich behauptet haben. Die grosse Handelsstadt Arelate freilich hat keine anderen Weihungen aufzuweisen als an die auch in Italien verehrten Goetter; aber in Frejus, Aix, Nimes und ueberhaupt der ganzen Kuestenlandschaft sind die alten keltischen Gottheiten in der Kaiserepoche nicht viel weniger verehrt worden als im inneren Gallien. Auch in dem iberischen Teil Aquitaniens begegnen zahlreiche Spuren des einheimischen, von dem keltischen durchaus verschiedenen Kultus. Indes tragen alle im Sueden Galliens zum Vorschein gekommenen Goetterbilder einen minder von dem gewoehnlichen abweichenden Stempel als die Denkmaeler des Nordens, und vor allem war es leichter, mit den nationalen Goettern auszukommen als mit dem nationalen Priestertum, das uns nur im kaiserlichen Gallien und auf den britannischen Inseln begegnet, den Druiden. Es wuerde vergebliche Muehe sein, von dem inneren Wesen der aus Spekulation und Imagination wunderbar zusammengestellten Druidenlehre eine Vorstellung geben zu wollen; nur die Fremdartigkeit und die Fruchtbarkeit derselben sollen einige Beispiele erlaeutern. Die Macht der Rede wurde symbolisch dargestellt in einem kahlkoepfigen, runzligen, von der Sonne verbrannten Greis, der Keule und Bogen fuehrt und von dessen durchbohrter Zunge zu den Ohren des ihm folgenden Menschen feine goldene Ketten laufen - das heisst, es fliegen die Pfeile und schmettern die Schlaege des redegewaltigen Alten und willig folgen ihm die Herzen der Menge. Das ist der Ogmius der Kelten; den Griechen erschien er wie ein als Herakles staffierter Charon. Ein in Paris gefundener Altar zeigt uns drei Goetterbilder mit Beischrift, in der Mitte den Jovis, zu seiner Linken den Vulcan, ihm zur Rechten den Esus, "den Entsetzlichen mit seinen grausen Altaeren", wie ihn ein roemischer Dichter nennt, aber dennoch ein Gott des Handelsverkehrs und des friedlichen Schaffens ^18; er ist zur Arbeit geschuerzt wie Vulcan, und wie dieser Hammer und Zange fuehrt, so behaut er mit dem Beil einen Weidenbaum. Eine oefter wiederkehrende Gottheit, wahrscheinlich Cernunnos genannt, wird kauernd, mit untergeschlagenen Beinen, dargestellt; auf dem Kopf traegt sie ein Hirschgeweih, an dem eine Halskette haengt, und haelt auf dem Schoss den Geldsack; vor ihr stehen zuweilen Rinder und Hirsche - es scheint, als solle damit der Erdboden als die Quelle des Reichtums ausgedrueckt werden. Die ungeheure Verschiedenheit dieses aller Reinheit und Schoenheit baren, im barocken und phantastischen Mengen sehr irdischer Dinge sich gefallenden keltischen Olymp von den einfach menschlichen Formen der griechischen und den einfach menschlichen Begriffen der roemischen Religion gibt eine Ahnung der Schranke, die zwischen diesen Besiegten und ihren Siegern stand. Daran hingen weiter sehr bedenkliche praktische Konsequenzen: ein umfassender Geheimmittelund Zauberkram, bei dem die Priester zugleich die Aerzte spielten und wo neben dem Besprechen und Besegnen auch Menschenopfer und Krankenheilung durch das Fleisch der also Geschlachteten vorkam. Dass direkte Opposition gegen die Fremdherrschaft in dem Druidentum dieser Zeit gewaltet hat, laesst sich wenigstens nicht erweisen; aber auch, wenn dies nicht der Fall war, ist es wohl begreiflich, dass die roemische Regierung, welche sonst alle oertlichen Besonderheiten der Gottesverehrung mit gleichgueltiger Duldung gewaehren liess, diesem Druidenwesen nicht bloss in seinen Ausschreitungen, sondern ueberhaupt mit Apprehension gegenueberstand. Die Einrichtung des gallischen Jahrfestes in der rein roemischen Landeshauptstadt und unter Ausschluss aller Anknuepfung an den nationalen Kultus ist offenbar ein Gegenzug der Regierung gegen die alte Landesreligion mit ihrem jaehrlichen Priesterkonzil in Chartres, dem Mittelpunkt des gallischen Landes. Unmittelbar aber ging Augustus gegen das Druidentum nicht weiter vor, als dass er jedem roemischen Buerger die Beteiligung an dem gallischen Nationalkult untersagte. Tiberius in seiner energischeren Weise griff durch und verbot dieses Priestertum mit seinem Anhang von Lehrern und Heilkuenstlern ueberhaupt; aber es spricht nicht gerade fuer den praktischen Erfolg dieser Verfuegung, dass dasselbe Verbot abermals unter Claudius erging - von diesem wird erzaehlt, dass er einen vornehmen Gallier lediglich deshalb koepfen liess, weil er ueberwiesen ward, fuer guten Erfolg bei Verhandlungen vor dem Kaiser das landuebliche Zaubermittel in Anwendung gebracht zu haben. Dass die Besetzung Britanniens, welches von alters her der Hauptsitz dieses Priestertreibens gewesen war, zum guten Teil beschlossen ward, um damit dieses an der Wurzel zu fassen, wird weiterhin ausgefuehrt werden. Trotz alledem hat noch in dem Abfall, den die Gallier nach dem Sturz der claudischen Dynastie versuchten, dies Priestertum eine bedeutende Rolle gespielt; der Brand des Kapitols, so predigten die Druiden, verkuende den Umschwung der Dinge und den Beginn der Herrschaft des Nordens ueber den Sueden. Indes wenn auch dies Orakel spaeterhin in Erfuellung ging, durch diese Nation und zugunsten ihrer Priester ist es nicht geschehen. Die Besonderheiten der gallischen Gottesverehrung haben wohl auch spaeter noch ihre Wirkung geuebt; als im dritten Jahrhundert fuer einige Zeit ein gallisch-roemisches Sonderreich ins Leben trat, spielt auf dessen Muenzen die erste Rolle der Herkules, teils in seiner griechischroemischen Gestalt, teils auch als gallischer Deusoniensis oder Magusanus. Von den Druiden aber ist nur noch etwa insofern die Rede, als die klugen Frauen in Gallien bis in die diocletianische Zeit unter dem Namen der Druidinnen gehen und orakeln, und dass die alten adligen Haeuser noch lange nachher in ihrer Ahnenreihe sich druidischer Altvordern beruehmen. Wohl rascher noch als die Landessprache ging die Landesreligion zurueck und das eindringende Christentum hat kaum noch an dieser ernstlichen Widerstand gefunden. ------------------------------------------------- ^18 Die zweite Berner Glosse zu Lucan 1, 445, die den Teutates richtig zum Mars macht und auch sonst glaubwuerdig scheint, sagt von ihm: Hesum Mercurium credunt, si quidem a mercatoribus colitur. ------------------------------------------------- Das suedliche Gallien, mehr als irgendeine andere Provinz durch seine Lage jedem feindlichen Angriff entzogen und gleich Italien und Andalusien ein Land der Olive und der Feige, gedieh unter dem Kaiserregiment zu hohem Wohlstand und reicher staedtischer Entwicklung. Das Amphitheater und das Sarkophagfeld von Arles, der "Mutter ganz Galliens", das Theater von Orange, die in und bei Nimes noch heute aufrecht stehenden Tempel und Bruecken sind davon bis in die Gegenwart lebendige Zeugen. Auch in den noerdlichen Provinzen stieg der alte Wohlstand des Landes weiter durch den dauernden Frieden, der, allerdings mit dem dauernden Steuerdruck, durch die Fremdherrschaft in das Land kam. "In Gallien", sagt ein Schriftsteller der vespasianischen Zeit, "sind die Quellen des Reichtums heimisch und ihre Fuelle stroemt ueber die ganze Erde ^19." Vielleicht nirgends sind gleich zahlreiche und gleich praechtige Landhaeuser zum Vorschein gekommen, vor allen Dingen im Osten Galliens, am Rhein und seinen Zufluessen; man erkennt deutlich den reichen gallischen Adel. Beruehmt ist das Testament des vornehmen Lingonen, welcher anordnet, ihm das Grabdenkmal und die Bildsaeule aus italischem Marmor oder bester Bronze zu errichten und unter anderem sein saemtliches Geraet fuer Jagd und Vogelfang mit ihm zu verbrennen - es erinnert dies an die anderweitig erwaehnten, meilenlangen eingefriedigten Jagdparks im Keltenland und an die hervorragende Rolle, welche die keltischen Jagdhunde und keltische Waidmannsart bei dem Xenophon der hadrianischen Zeit spielen, welcher nicht verfehlt hinzuzufuegen, dass dem Xenophon, des Gryllos Sohn, das Jagdwesen der Kelten nicht habe bekannt sein koennen. Nicht minder gehoert in diesen Zusammenhang die merkwuerdige Tatsache, dass in dem roemischen Heerwesen der Kaiserzeit die Kavallerie eigentlich keltisch ist, nicht bloss insofern diese vorzugsweise aus Gallien sich rekrutiert, sondern auch, indem die Manoever und selbst die technischen Ausdruecke zum guten Teil den Kelten entlehnt sind; man erkennt hier, wie nach dem Hinschwinden der alten Buergerreiterei unter der Republik die Kavallerie durch Caesar und Augustus mit gallischen Mannschaften und in gallischer Weise reorganisiert worden ist. Die Grundlage dieses vornehmen Wohlstandes war der Ackerbau, auf dessen Hebung auch Augustus selbst energisch hinwirkte und der in ganz Gallien, etwa abgesehen von der Steppengegend an der aquitanischen Kueste, reichen Ertrag gab. Eintraeglich war auch die Viehzucht, besonders im Norden, namentlich die Zucht von Schweinen und Schafen, welche bald fuer die Industrie und die Ausfuhr von Bedeutung wurden - die menapischen Schinken (aus Flandern) und die atrebatischen und nervischen Tuchmaentel (bei Arras und Tournay) gingen in spaeterer Zeit in das gesamte Reich. Von besonderem Interesse ist die Entwicklung des Weinbaus. Weder das Klima noch die Regierung waren demselben guenstig. Der "gallische Winter" blieb lange Zeit bei den Suedlaendern sprichwoertlich; wie denn in der Tat das Roemische Reich nach dieser Seite hin am weitesten gegen Norden sich ausdehnt. Aber engere Schranken zog der gallischen Weinkultur die italische Handelskonkurrenz. Allerdings hat der Gott Dionysos seine Welteroberung ueberhaupt langsam vollbracht und nur Schritt vor Schritt ist der aus der Halmfrucht bereitete Trank dem Saft der Rebe gewichen; aber es beruht auf dem Prohibitivsystem, dass in Gallien das Bier sich wenigstens im Norden als das gewoehnliche geistige Getraenk die ganze Kaiserzeit hindurch behauptete und noch Kaiser Julianus bei seinem Aufenthalt in Gallien mit diesem falschen Bacchus in Konflikt kam ^20. So weit freilich, wie die Republik, welche den Weinund Oelbau an der gallischen Suedkueste polizeilich untersagte, ging das Kaiserregiment nicht; aber die Italiener dieser Zeit waren doch die rechten Soehne ihrer Vaeter. Die Bluete der beiden grossen Rhoneemporien Arles und Lyon beruhte zu einem nicht geringen Teil auf dem Vertrieb des italienischen Weins nach Gallien; daran mag man ermessen, welche Bedeutung der Weinbau damals fuer Italien selbst gehabt haben muss. Wenn einer der sorgfaeltigsten Verwalter, die das Kaiseramt gehabt hat, Domitianus, den Befehl erliess, in saemtlichen Provinzen mindestens die Haelfte der Rebstoecke zu vertilgen ^21, was freilich so nicht zur Ausfuehrung kam, so darf daraus geschlossen werden, dass die Ausbreitung des Weinbaus allerdings von Regierungs wegen ernstlich eingeschraenkt ward. Noch in augustischer Zeit war er in dem noerdlichen Teil der narbonensischen Provinz unbekannt, und wenn er auch hier bald in Aufnahme kam, scheint er doch durch Jahrhunderte auf die Narbonensis und das suedliche Aquitanien beschraenkt geblieben zu sein; von gallischen Weinen kennt die bessere Zeit nur den allobrogischen und den biturigischen, nach unserer Redeweise den Burgunder und den Bordeaux ^22. Erst als die Zuegel des Reiches den Haenden der Italiener entfielen, im Laufe des dritten Jahrhunderts, aenderte sich dies, und Kaiser Probus (276-282) gab endlich den Provinzialen den Weinbau frei. Wahrscheinlich erst infolgedessen hat die Rebe festen Fuss gefasst an der Seine wie an der Mosel. "Ich habe", schreibt Kaiser Julianus, "einen Winter" (es war der von 357 auf 358) "in dem lieben Lutetia verlebt, denn so nennen die Gallier das Staedtchen der Pariser, eine kleine Insel im Flusse gelegen und rings ummauert; das Wasser ist dort trefflich und rein zu schauen und zu trinken. Die Einwohner haben einen ziemlich milden Winter, und es waechst bei ihnen guter Wein; ja einige ziehen sogar auch Feigen, indem sie sie im Winter mit Weizenstroh wie mit einem Rocke zudecken." Und nicht viel spaeter schildert dann der Dichter von Bordeaux in der anmutigen Beschreibung der Mosel, wie die Weinberge diesen Fluss an beiden Ufern einfassen, "gleich wie die eigenen Reben mir kraenzen die gelbe Garonne". ----------------------------------------- ^19 Ios. bel. Iud. 2, 16, 4. Ebenda sagt Koenig Agrippa zu seinen Juden, ob sie sich etwa einbildeten, reicher zu sein als die Gallier, tapferer als die Germanen, klueger als die Hellenen. Damit stimmen alle anderen Zeugnisse ueberein. Nero vernimmt den Aufstand nicht ungern occasione nata spoliandarum iure belli opulentissimarum provinciarum (Suet. Nero 40; Plut. Galba 5); die dem Insurgentenheer des Vindex abgenommene Beute ist unermesslich (Tac. hist. 1, 51). Tacitus (hist. 3, 46) nennt die Haeduer pecunia dites et voluptatibus opulentos. Nicht mit Unrecht sagt der Feldherr Vespasians zu den abgefallenen Galliern bei Tacitus (bist. 4, 74); regna bellaque per Gallias semper fuere, donec in nostrum ius concederetis; nos quamquam totiens lacessiti iure victoriae id solum vobis addidimus quo pacem tueremur, nam neque quies gentium sine armis neque arma sine stipendiis neque stipendia sine tributis haberi queunt. Die Steuern drueckten wohl schwer, aber nicht so schwer wie der alte Fehdeund Faustrechtzustand. ^20 Sein Epigramm ’Auf den Gerstenwein’ ist erhalten (AP 9, 368): Tis pothen eis, Dionyse? Ma gar ton al/e/thea Bakchon s?s’ epigign/o/sk/o/. ton Dios oida monon keinos nektar od/o/de. s? de tragoy. /e/ ra se Keltoi t/e/ peni/e/ botr?/o/n te?xan ap’ astach?/o/n. t/o/ se chr/e/ kaleein D/e/m/e/trion, oy Dionyson pyrsgen/e/ mallon kai bromon, oy Bromion. Du, Dionysos, von wo kommst du? Bei dem richtigen Bacchus! Ich erkenne dich nicht; Zeus Sohn kenn’ ich allein. Jener duftet nach Nektar; du riechst nach dem Bocke. Die Kelten, Denen die Rebe versagt, braueten dich aus dem Halm, Scheuer-, nicht Feuersohn, Erdkind, nicht Kind dich des Himmels, Nur fuer das Futtern gemacht, nicht fuer den lieblichen Trunk. Auf einem in Paris gefundenen irdenen Ring (Mowat im Bulletin epigraphique de la Gaule 2, S. 110; 3, S. 133), der hohl und zum Fuellen der Becher eingerichtet ist, sagt der Trinkende zu dem Wirt: copo, conditu(m) [cnoditu ist Schreibfehler] abes; est reple(n)da - Wirt, du hast mehr im Keller; die Flasche ist leer, und zu der Kellnerin: ospita, reple, lagona(m) cervesa - Maedchen, fuelle die Flasche mit Bier. ^21 Suet. Dom. 7. Wenn als Grund angegeben ward, dass die hohen Kornpreise durch das Umwandeln des Ackerlandes in Weinberge veranlasst seien, so war das natuerlich ein auf den Unverstand des Publikums berechneter Vorwand. ^22 Wenn noch V. Hehn (Kulturpflanzen und Haustiere. Berlin 1870, S. 76) fuer den Weinbau der Arverner und der Sequaner ausserhalb der Narbonensis sich auf Plinius (nat. 14, 1, 18) beruft, so folgt er beseitigten Textinterpolationen. Es ist moeglich, dass das straffere kaiserliche Regiment in den "drei Gallien" den Weinbau mehr zurueckhielt als das schlaffe senatorische in der Narbonensis. ----------------------------------------- Der innere Verkehr so wie der mit den Nachbarlaendern, besonders mit Italien, muss ein sehr reger gewesen sein und das Strassennetz entwickelt und gepflegt. Die grosse Reichsstrasse von Rom nach der Muendung des Baetis, deren bei Spanien gedacht ward, war die Hauptader fuer den Landhandel der Suedprovinz; die ganze Strecke, in republikanischer Zeit von den Alpen bis zur Rhone durch die Massalioten, von da bis zu den Pyrenaeen durch die Roemer instand gehalten, wurde von Augustus neu chaussiert. Im Norden fuehrten die Reichsstrassen hauptsaechlich teils nach der gallischen Hauptstadt, teils nach den grossen Rheinlagern; doch scheint auch ausserdem fuer die uebrige Kommunikation in ausreichender Weise gesorgt gewesen zu sein. Wenn die Suedprovinz in der aelteren Zeit auf dem geistigen Gebiet zu dem hellenischen Kreise gehoerte, so hat der Rueckgang von Massalia und das gewaltige Vordringen des Roemertums im suedlichen Gallien darin freilich eine Aenderung herbeigefuehrt; dennoch aber ist dieser Teil Galliens immer, wie Kampanien, ein Sitz hellenischen Wesens geblieben. Dass Nemausus, eine der Teilerben von Massalia, auf seinen Muenzen aus augustischer Zeit alexandrinische Jahreszahlen und das Wappen Aegyptens zeigt, ist nicht ohne Wahrscheinlichkeit darauf bezogen worden, dass durch Augustus selbst in dieser, dem Griechentum nicht fremd gegenueberstehenden Stadt Veteranen aus Alexandreia angesiedelt worden sind. Es darf wohl auch mit dem Einfluss Massalias in Verbindung gebracht werden, dass dieser Provinz, wenigstens der Abstammung nach, derjenige Historiker angehoerte, welcher, es scheint im bewussten Gegensatz zu der nationalroemischen Geschichtschreibung und gelegentlich mit scharfen Ausfaellen gegen deren namhafteste Vertreter, Sallustius und Livius, die hellenische vertrat, der Vocontier Pompeius Trogus, Verfasser einer von Alexander und den Diadochenreichen ausgehenden Weltgeschichte, in welcher die roemischen Dinge nur innerhalb dieses Rahmens oder anhangsweise dargestellt werden. Ohne Zweifel gab er damit nur wieder, was eigentlich der literarischen Opposition des Hellenismus angehoerte; immer bleibt es bemerkenswert, dass diese Tendenz ihren lateinischen Vertreter, und einen geschickten und sprachgewandten Vertreter, hier in augustischer Zeit fand. Aus spaeterer ist erwaehnenswert Favorinus, aus einem angesehenen Buergerhaus von Arles, einer der Haupttraeger der Polymathie der hadrianischen Zeit; Philosoph mit aristotelischer und skeptischer Tendenz, daneben Philolog und Kunstredner, Schueler des Dion von Prusa, Freund des Plutarchos und des Herodes Atticus, polemisch auf dem wissenschaftlichen Gebiet angegriffen von Galenus, feuilletonistisch von Lucian, ueberhaupt in lebhaften Beziehungen mit den namhaften Gelehrten des zweiten Jahrhunderts und nicht minder mit Kaiser Hadrian. Seine mannigfaltigen Forschungen, unter anderm ueber die Namen der Genossen des Odysseus, die die Scylla verschlang, und ueber den des ersten Menschen, der zugleich ein Gelehrter war, lassen ihn als den rechten Vertreter des damals beliebten gelehrten Kleinkrams erscheinen, und seine Vortraege fuer ein gebildetes Publikum ueber Thersites und das Wechselfieber sowie seine zum Teil uns aufgezeichneten Unterhaltungen ueber alles und noch etwas mehr gewaehren kein erfreuliches, aber ein charakteristisches Bild des damaligen Literatentreibens. Hier ist hervorzuheben, was er selbst unter die Merkwuerdigkeiten seines Lebenslaufes rechnete, dass er geborener Gallier und zugleich griechischer Schriftsteller war. Obwohl die Literaten des Okzidents haeufig nebenbei auch griechisch speziminierten, so haben doch nur wenige sich dieser als ihrer eigentlichen Schriftstellersprache bedient; hier wird dies mit durch die Heimat des Gelehrten bedingt sein. Im uebrigen war Suedgallien an der augustischen Literaturbluete insofern beteiligt, als einige der namhaftesten Gerichtsredner der spaeteren augustischen Zeit, Votienus Montanus (+ 27 n. Chr.) aus Narbo - der Ovid der Redner genannt - und Gnaeus Domitius Afer (Konsul 39 n. Chr.) aus Nemausus, dieser Provinz angehoerten. ueberhaupt erstreckt die roemische Literatur ihre Kreise natuerlich auch ueber diese Landschaft; die Dichter der domitianischen Zeit sandten ihre Freiexemplare den Freunden in Tolosa und Vienna. Plinius unter Traian ist erfreut, dass seine kleinen Schriften auch in Lugudunum nicht bloss guenstige Leser, sondern auch Buchhaendler finden, die sie vertreiben. Einen besonderen Einfluss aber, wie ihn die Baetica in der frueheren, das noerdliche Gallien in der spaeteren Kaiserzeit auf die geistige und literarische Entwicklung Roms ausgeuebt hat, vermoegen wir fuer den Sueden nicht nachzuweisen. Wein und Fruechte gediehen in dem schoenen Land; aber weder Soldaten noch Denker sind dem Reiche von dorther gekommen. Das eigentliche Gallien ist im Gebiet der Wissenschaft das gelobte Land des Lehrens und des Lernens; vermutlich geht dies zurueck auf die eigentuemliche Entwicklung und den maechtigen Einfluss des nationalen Priestertums. Das Druidentum war keineswegs ein naiver Volksglaube, sondern eine hoch entwickelte und anspruchsvolle Theologie, die nach guter Kirchensitte alle Gebiete des menschlichen Denkens und Tuns, Physik und Metaphysik, Rechtsund Heilkunde bestrebt war zu erleuchten oder doch zu beherrschen, die von ihren Schuelern unermuedliches, man sagt zwanzigjaehriges Studium forderte und diese ihre Schueler vor allem in den adligen Kreisen suchte und fand. Die Unterdrueckung der Druiden durch Tiberius und seine Nachfolger muss in erster Reihe diese Priesterschulen betroffen und deren wenigstens oeffentliche Beseitigung herbeigefuehrt haben; aber wirksam konnte dies nur dann geschehen, wenn der nationalen Jugendbildung die roemisch-griechische ebenso gegenuebergestellt ward, wie dem carnutischen Druidenkonzil der Roma-Tempel in Lyon. Wie frueh dies, ohne Frage unter dem bestimmenden Einfluss der Regierung, in Gallien eingetreten ist, zeigt die merkwuerdige Tatsache, dass bei dem frueher erwaehnten Aufstand unter Tiberius die Insurgenten vor allen Dingen versuchten, sich der Stadt Augustodunum (Autun) zu bemaechtigen, um die dort studierende vornehme Jugend in ihre Gewalt zu bekommen und dadurch die grossen Familien zu gewinnen oder zu schrecken. Zunaechst moegen wohl diese gallischen Lyzeen trotz ihres keineswegs nationalen Bildungskursus dennoch ein Ferment des spezifisch gallischen Volkstums gewesen sein; schwerlich zufaellig hat das damals bedeutendste derselben nicht in dem roemischen Lyon seinen Sitz, sondern in der Hauptstadt der Haeduer, des vornehmsten unter den gallischen Gauen. Aber die roemisch-hellenische Bildung, wenn auch vielleicht der Nation aufgenoetigt und zunaechst mit Opposition aufgenommen, drang, wie allmaehlich der Gegensatz sich verschliff, in das keltische Wesen so sehr ein, dass mit der Zeit die Schueler sich ihr eifriger zuwandten als die Lehrmeister. Die Gent lemanbildung, etwa in der Art, wie sie heute in England besteht, ruhend auf dem Studium des Lateinischen und in zweiter Reihe des Griechischen und in der Entwicklung der Schulrede mit ihren Schnitzelpointen und Glanzphrasen lebhaft an neuere, demselben Boden entstammende literarische Erscheinungen erinnernd, ward allmaehlich im Okzident eine Art Privilegium der Galloromanen. Besser bezahlt als in Italien wurden dort die Lehrer wohl von jeher, und vor allen Dingen auch besser behandelt. Schon Quintilianus nennt mit Achtung unter den hervorragenden Gerichtsrednern mehrere Gallier; und nicht ohne Absicht macht Tacitus in dem feinen Dialog ueber die Redekunst den gallischen Advokaten Marcus Aper zum Verteidiger der modernen Beredsamkeit gegen die Verehrer Ciceros und Caesars. Den ersten Platz unter den gallischen Universitaeten nahm spaeterhin Burdigala ein, wie denn ueberall Aquitanien hinsichtlich der Bildung dem mittleren und noerdlichen Gallien weit voran war - in einem dort geschriebenen Dialog aus dem Anfang des 5. Jahrhunderts wagt einer der Mitsprechenden, ein Geistlicher aus Chalon-sur-Saone, kaum den Mund aufzutun vor dem gebildeten aquitanischen Kreise. Hier wirkte der frueher erwaehnte, von Kaiser Valentinianus zum Lehrer seines Sohnes Grabanus (geb. 359) berufene Professor Ausonius, der in seinen vermischten Gedichten einer grossen Anzahl seiner Kollegen ein Denkmal gestiftet hat; und als sein Zeitgenosse Symmachus, der beruehmteste Redner dieser Epoche, fuer seinen Sohn einen Hofmeister suchte, liess er in Erinnerung an seinen alten, an der Garonne heimischen Lehrer sich einen aus Gallien kommen. Daneben ist Augustodunum immer einer der grossen Mittelpunkte der gallischen Studien geblieben; wir haben noch die Reden, welche wegen der Wiederherstellung dieser Lehranstalt bittend und dankend vor dem Kaiser Konstantin gehalten worden sind. Die literarische Vertretung dieser eifrigen Schultaetigkeit ist untergeordneter Art und geringen Wertes: Prunkreden, die namentlich durch die spaetere Umwandlung von Trier in eine kaiserliche Residenz und das haeufige Verweilen des Hofes im gallischen Land gefoerdert worden sind, und Gelegenheitsgedichte mannigfaltiger Art. Wie die Redeleistung war das Versemachen ein notwendiges Attribut des Lehramts und der oeffentliche Lehrer der Literatur zugleich nicht gerade geborener, aber doch bestallter Dichter. Wenigstens die Geringschaetzung der Poesie, welche der uebrigens gleichartigen hellenischen Literatur der gleichen Epoche eigen ist, hat sich auf diese Okzidentalen nicht uebertragen. In den Versen herrscht die Schulreminiszenz und das Pedantenkunststueck vor ^23 und nur selten begegnen, wie in der Moselfahrt des Ausonius, lebendige und empfundene Schilderungen. Die Reden, die wir freilich nur nach einigen spaeten, am kaiserlichen Hoflager gehaltenen Vortraegen zu beurteilen in der Lage sind, sind Musterstuecke in der Kunst, mit vielen Worten wenig zu sagen und die unbedingte Loyalitaet in gleich unbedingter Gedankenlosigkeit zum Ausdruck zu bringen. Wenn eine vermoegende Mutter ihren Sohn, nachdem er die Fuelle und den Schmuck der gallischen Rede sich angeeignet hat, weiter nach Italien schickt, um auch die roemische Wuerde ^24 zu gewinnen, so war diesen gallischen Rhetoren allerdings diese schwieriger abzulernen als der Wortpomp. Fuer das fruehe Mittelalter sind diese Leistungen bestimmend gewesen; durch sie ist in der ersten christlichen Zeit Gallien die eigentliche Staette der frommen Verse und doch auch der letzte Zufluchtsort der Schulliteratur geworden, waehrend die grosse geistige Bewegung innerhalb des Christentums ihre Hauptvertreter nicht hier gefunden hat. --------------------------------------- ^23 Eines der Professorengedichte des Ausonius ist vier griechischen Grammatikern gewidmet: "Alle fleissig walteten sie des Lehramts; Schmal nur war der Sold ja und duenn der Vortrag; Aber da sie lehrten zu meinen Zeiten, Will ich sie nennen." Dies ist um so verdienstlicher, da er nichts Rechtes bei ihnen gelernt hat: "Wohl, weil mich gehindert die allzu schwache Fassungskraft des Geistes und mich von Hellas Bildung fernhielt leider damals des Knaben trauriger Irrtum." Diese Gedanken sind oefter, aber selten in sapphischem Masse vorgetragen worden. ^24 Romana gravitas: Hier. epist. 125 p. 929 Vall. --------------------------------------- In dem Kreise der bauenden und der bildenden Kuenste rief schon das Klima manche Erscheinung hervor, welche der eigentliche Sueden nicht oder nur in den Anfaengen kennt; so ist die in Italien nur bei Baedern gebraeuchliche Luftheizung und der dort ebenfalls wenig verbreitete Gebrauch der Glasfenster in der gallischen Baukunst in umfassender Weise zur Anwendung gekommen. Aber auch von einer diesem Gebiet eigenen Kunstentwicklung darf vielleicht insofern gesprochen werden, als die Bildnisse und in weiterer Entwicklung die Darstellung der Szenen des taeglichen Lebens in dem keltischen Gebiet relativ haeufiger auftreten als in Italien und die abgenutzten mythologischen Darstellungen durch erfreulichere ersetzen. Wir koennen diese Richtung auf das Reale und das Genre allerdings fast nur an den Grabmonumenten erkennen, aber sie hat wohl in der Kunstuebung ueberhaupt vorgeherrscht. Der Bogen von Arausio (Orange) aus der fruehen Kaiserzeit mit seinen gallischen Waffen und Feldzeichen, die bei Vetera gefundene Bronzestatue des Berliner Museums, wie es scheint, den Ortsgott mit Gerstenaehren im Haar darstellend, das wahrscheinlich zum Teil aus gallischen Werkstaetten hervorgegangene Hildesheimer Silbergeraet beweisen eine gewisse Freiheit in der Aufnahme und Umbildung der italischen Motive. Das Juliergrabmal von St. Remy bei Avignon, ein Werk augustischer Zeit, ist ein merkwuerdiges Zeugnis fuer die lebendige und geistreiche Rezeption der hellenischen Kunst im suedlichen Gallien, sowohl in seinem kuehnen architektonischen Aufbau zweier quadratischer Stockwerke, welche ein Saeulenkreis mit konischer Kuppel kroent, wie auch in seinen Reliefs, welche, im Stil den pergamenischen naechst verwandt, figurenreiche Kampfund Jagdszenen, wie es scheint, dem Leben der Geehrten entnommen, in malerisch bewegter Ausfuehrung darstellen. Merkwuerdigerweise liegt der Hoehepunkt dieser Entwicklung neben der Suedprovinz in der Gegend der Mosel und der Maas; diese Landschaft, nicht so voellig unter roemischem Einfluss stehend wie Lyon und die rheinischen Lagerstaedte und wohlhabender und zivilisierter als die Gegenden an der Loire und der Seine, scheint diese Kunstuebung einigermassen aus sich selbst erzeugt zu haben. Das unter dem Namen der Igeler Saeule bekannte Grabdenkmal eines vornehmen Trierers gibt ein deutliches Bild der hier einheimischen turmartigen, mit spitzem Dach gekroenten, auf allen Seiten mit Darstellungen aus dem Leben des Verstorbenen bedeckten Denkmaeler. Haeufig sehen wir auf denselben den Gutsherrn, dem seine Kolonen Schafe, Fische, Gefluegel, Eier darbringen. Ein Grabstein aus Arlon bei Luxemburg zeigt ausser den Portraets der beiden Gatten auf der einen Seite einen Karren und eine Frau mit einem Fruchtkorb, auf der andern ueber zwei auf dem Boden hockenden Maennern einen Aepfelverkauf. Ein anderer Grabstein aus Neumagen bei Trier hat die Form eines Schiffes: in diesem sitzen sechs Schiffer, die Ruder fuehrend; die Ladung besteht aus grossen Faessern, neben denen der lustig blickende Steuermann, man moechte meinen, sich des darin geborgenen Weines zu freuen scheint. Wir duerfen sie wohl in Verbindung bringen mit dem heiteren Bilde, das der Poet von Bordeaux uns vom Moseltal bewahrt hat mit den praechtigen Schloessern, den lustigen Rebgelaenden und dem regen Fischerund Schiffertreiben, und den Beweis darin finden, dass in diesem schoenen Lande bereits vor anderthalb Jahrtausenden friedliche Taetigkeit, heiterer Genuss und warmes Leben pulsiert hat. 4. Kapitel Das roemische Germanien und die freien Germanen Die beiden roemischen Provinzen Oberund Untergermanien sind das Ergebnis derjenigen Niederlage der roemischen Waffen und der roemischen Staatskunst unter der Regierung des Augustus, welche frueher geschildert worden ist. Die urspruengliche Provinz Germanien, die das Land vom Rhein bis zur Elbe umfasste, hat nur zwanzig Jahre, vom ersten Feldzug des Drusus (742 12 v. Chr.) bis zur Varusschlacht und dem Falle Alisos (762 9 n. Chr.) bestanden; da sie aber einerseits die Militaerlager auf dem linken Rheinufer, Vindonissa, Mogontiacum, Vetera in sich schloss, andererseits auch nach jener Katastrophe mehr oder minder betraechtliche Teile des rechten Ufers roemisch blieben, so wurden durch jene Katastrophe die Statthalterschaft und das Kommando nicht eigentlich aufgehoben, obwohl sie sozusagen in der Luft standen. Die innere Ordnung der drei Gallien ist frueher dargelegt worden; sie umfassten das gesamte Gebiet bis an den Rhein, ohne Unterschied der Abstammung -nur etwa die erst waehrend der letzten Krisen nach Gallien uebergesiedelten Ubier gehoerten nicht zu den 64 Gauen, wohl aber die Helvetier, die Triboker und ueberhaupt die sonst von den rheinischen Truppen besetzt gehaltenen Distrikte. Es war die Absicht gewesen, die germanischen Gaue zwischen Rhein und Elbe zu einer aehnlichen Gemeinschaft unter roemischer Hoheit zusammenzufassen, wie dies mit den gallischen geschehen war, und denselben in dem Augustusaltar der Ubierstadt, dem Keim des heutigen Koeln, einen aehnlichen exzentrischen Mittelpunkt zu verleihen, wie der Augustusaltar von Lyon ihn fuer Gallien bildete; fuer die fernere Zukunft war wohl auch die Verlegung der Hauptlager auf das rechte Rheinufer und die Rueckgabe des linken, wenigstens im wesentlichen, an den Statthalter der Belgica in Aussicht genommen. Allein diese Entwuerfe gingen mit den Legionen des Varus zugrunde; der germanische Augustusaltar am Rhein ward oder blieb der Altar der Ubier; die Legionen behielten dauernd ihre Standquartiere in dem Gebiet, welches eigentlich zur Belgica gehoerte, aber, da eine Trennung der Militaerund Zivilverwaltung nach der roemischen Ordnung ausgeschlossen war, so lange, als die Truppen hier standen, auch administrativ unter den Kommandanten der beiden Heere gelegt war. Denn, wie schon frueher angegeben worden ist, Varus ist wahrscheinlich der letzte Kommandant der vereinigten Rheinarmee gewesen ^1; bei der Vermehrung der Armee auf acht Legionen, welche diese Katastrophe im Gefolge gehabt hat, ist allem Anschein nach auch deren Teilung eingetreten. Es sind also in diesem Abschnitt nicht eigentlich die Zustaende einer roemischen Landschaft zu schildern, sondern die Geschicke einer roemischen Armee, und, was damit aufs engste zusammenhaengt, die der Nachbarvoelker und der Gegner, soweit sie in die Geschichte Roms verflochten sind. ------------------------------------------------------- ^1 Diese Teilung einer Provinz unter drei Statthalter ist in der roemischen Verwaltung sonst ohne Beispiel; das Verhaeltnis von Afrika und Numidien bietet wohl eine aeussere Analogie, ist aber politisch bedingt durch die Stellung des senatorischen Statthalters zu dem kaiserlichen Militaerkommandanten, waehrend die drei Statthalter der Belgica gleichmaessig kaiserlich sind und gar nicht abzusehen ist, warum den beiden germanischen Sprengel innerhalb der Belgica statt eigener angewiesen werden. Nur das Zuruecknehmen der Grenze unter Beibehaltung des bisherigen Namens - aehnlich wie das transdanuvianische Dakien spaeterhin als cisdanuvianisches dem Namen nach fortbestand - erklaert diese Seltsamkeit. ------------------------------------------------------- Die beiden Hauptquartiere der Rheinarmee waren von jeher Vetera bei Wesel und Mogontiacum, das heutige Mainz, beide wohl aelter als die Teilung des Kommandos und eine der Ursachen, dass dieselbe eintrat. Die beiden Armeen zaehlten jede im ersten Jahrhundert n. Chr. vier Legionen, also ungefaehr 30000 Mann ^2; in oder zwischen jenen beiden Punkten lag die Hauptmasse der roemischen Truppen, ausserdem eine Legion bei Noviomagus (Nimwegen), eine andere in Argentoratum (Strassburg), eine dritte bei Vindonissa (Windisch, unweit Zuerich), nicht weit von der raetischen Grenze. Zu dem unteren Heere gehoerte die nicht unbetraechtliche Rheinflotte. Die Grenze zwischen der oberen und der unteren Armee liegt zwischen Andernach und Remagen bei Brohl ^3, so dass Koblenz und Bingen in das obere, Bonn und Koeln in das untere Militaergebiet fielen. Auf dem linken Ufer gehoerten zu dem obergermanischen Verwaltungsbezirk die Distrikte der Helvetier (Schweiz), der Sequaner (Besan‡on), der Lingonen (Langres), der Rauriker (Basel), der Triboker (Elsass), der Nemeter (Speyer) und der Vangionen (Worms); zu dem beschraenkteren untergermanischen der Distrikt der Ubier oder vielmehr die Kolonie Agrippina (Koeln), der Tungrer (Tongern), der Menapier (Brabant) und der Bataver, waehrend die weiter westlich gelegenen Gaue mit Einschluss von Metz und Trier unter den verschiedenen Statthaltern der drei Gallien standen. Wenn diese Scheidung nur administrative Bedeutung hat, so faellt dagegen die wechselnde Ausdehnung der beiden Sprengel auf dem rechten Ufer mit den wechselnden Beziehungen zu den Nachbarn und der dadurch bedingten Vorund Zurueckschiebung der Grenzen der roemischen Herrschaft zusammen. Diesen Nachbarn gegenueber sind die unterrheinischen und die oberrheinischen Verhaeltnisse in so verschiedener Weise geordnet worden und die Ereignisse in so durchaus anderer Richtung verlaufen, dass hier die provinziale Trennung geschichtlich von der eingreifendsten Bedeutung wurde. Betrachten wir zunaechst die Entwicklung der Dinge am Unterrhein. ----------------------------------------------- ^2 Die Staerke der Auxilien der oberen Armee laesst sich fuer die domitianisch-traianische Epoche mit ziemlicher Sicherheit auf etwa 10000 Mann bestimmen. Eine Urkunde vom Jahre 90 zaehlt vier Alen und vierzehn Kohorten dieser Armee auf; zu diesen kommt wenigstens eine Kohorte (I Germanorum), die nachweislich, sowohl im Jahre 82 wie im Jahre 116, daselbst garnisonierte; ob zwei Alen, die im Jahre 82, und mindestens drei Kohorten, die im Jahre 116 daselbst sich befanden und die in der Liste vom Jahre 90 fehlen, im Jahr 90 dort garnisonierten oder nicht, ist zweifelhaft, die meisten derselben aber sind wohl vor 90 aus der Provinz weg oder erst nach 90 in dieselbe gekommen. Von jenen neunzehn Auxilien ist eine sicher (coh. I Damascenorum), eine andere (ala I Flavia gemina) vielleicht eine Doppelabteilung. Im Minimum also ergibt sich als Normaletat der Auxilien dieses Heeres die oben bezeichnete Ziffer, und bedeutend kann sie nicht ueberschritten sein. Wohl aber moegen die Auxilien von Untergermanien, dessen Garnisonen weniger ausgedehnt waren, an Zahl geringer gewesen sein. ^3 An der Grenzbruecke ueber den Abrinca-, jetzt Vinxtbach, der alten Grenze der Erzdioezesen Koeln und Trier, standen zwei Altaere, der auf der Seite von Remagen den Grenzen, dem Ortsgeist und dem Jupiter (Finibus et Genio loci et Iovi optimo maximo) gewidmet von Soldaten der 30. niedergermanischen Legion, der auf der Seite von Andernach dem Jupiter, dem Ortsgott und der Juno geweiht von einem Soldaten der 8. obergermanischen (Brambach 649, 650). ----------------------------------------------- Es ist frueher dargestellt worden, wieweit die Roemer zu beiden Seiten des Unterrheins die Germanen sich unterworfen hatten. Die germanischen Bataver sind nicht durch Caesar, aber nicht lange nachher, vielleicht durch Drusus, auf friedlichem Wege mit dem Reiche vereinigt worden. Sie sassen im Rheindelta, das heisst auf dem linken Rheinufer und auf den durch die Rheinarmee gebildeten Inseln aufwaerts bis wenigstens an den Alten Rhein, also etwa von Antwerpen bis Utrecht und Leiden in Seeland und dem suedlichen Holland, auf urspruenglich keltischem Gebiet - wenigstens sind die Ortsnamen ueberwiegend keltisch; ihren Namen fuehrt noch die Betuwe, die Niederung zwischen Waal und Leck mit der Hauptstadt Noviomagus, jetzt Nimwegen. Sie waren, insbesondere verglichen mit den unruhigen und stoerrigen Kelten, gehorsame und nuetzliche Untertanen und nahmen daher im roemischen Reichsverband und namentlich im Heerwesen eine Sonderstellung ein. Sie blieben gaenzlich steuerfrei, wurden aber dagegen so stark wie kein anderer Gau bei der Rekrutierung angezogen; der eine Gau stellte zu dem Reichsheer 1000 Reiter und 9000 Fusssoldaten; ausserdem wurden die kaiserlichen Leibwaechter vorzugsweise aus ihnen genommen. Das Kommando dieser batavischen Abteilungen wurde ausschliesslich an geborene Bataver vergeben. Die Bataver galten unbestritten nicht bloss als die besten Reiter und Schwimmer der Armee, sondern auch als das Muster treuer Soldaten, wobei allerdings der gute Sold der batavischen Leibwaechter sowohl wie der bevorzugte Offiziersdienst der Adligen die Loyalitaet erheblich befestigte. Diese Germanen waren denn auch bei der Varuskatastrophe weder vorbereitend noch nachfolgend beteiligt; und wenn Augustus unter dem ersten Eindruck der Schreckensnachricht seine batavischen Leibwaechter verabschiedete, so ueberzeugte er sich bald selbst von der Grundlosigkeit seines Argwohns, und die Truppe wurde kurze Zeit darauf wieder hergestellt. Am anderen Ufer des Rheins wohnten den Batavern zunaechst, im heutigen Kennemerland (Nordholland ueber Amsterdam), die ihnen eng verwandten, aber weniger zahlreichen Cannenefaten; sie werden nicht bloss unter den durch Tiberius unterworfenen Voelkerschaften genannt, sondern sind auch in der Stellung von Mannschaften wie die Bataver behandelt worden. Die weiterhin sich anschliessenden Friesen in dem noch heute nach ihnen benannten Kuestenland bis zu der unteren Ems unterwarfen sich dem Drusus und erhielten eine aehnliche Stellung wie die Bataver; es wurde ihnen, anstatt der Steuer, nur die Ablieferung einer Anzahl von Rindshaeuten fuer die Beduerfnisse des Heeres auferlegt; dagegen hatten auch sie verhaeltnismaessig zahlreiche Mannschaften fuer den roemischen Dienst zu stellen. Sie waren seine so wie spaeter des Germanicus treueste Bundesgenossen, ihm nuetzlich sowohl bei dem Kanalbau wie besonders nach den ungluecklichen Nordseefahrten. Auf sie folgen oestlich die Chauker, ein weitausgedehntes Schifferund Fischervolk an der Nordseekueste zu beiden Seiten der Weser, vielleicht von der Ems bis zur Elbe; sie wurden durch Drusus zugleich mit den Friesen, aber nicht wie diese ohne Gegenwehr, den Roemern botmaessig. Alle diese germanischen Kuestenvoelker fuegten sich entweder durch Vertrag oder doch ohne schweren Kampf der neuen Herrschaft, und wie sie an dem Cheruskeraufstand keinen Teil gehabt haben, blieben sie nach der Varusschlacht gleichfalls in den frueheren Verhaeltnissen zum Roemischen Reich; selbst aus den entfernter liegenden Gauen der Friesen und der Chauker sind die Besatzungen damals nicht herausgezogen worden, und noch zu den Feldzuegen des Germanicus haben die letzteren Zuzug gestellt. Bei der abermaligen Raeumung Germaniens im Jahre 17 scheint allerdings das arme und ferne, schwer zu schuetzende Chaukerland aufgegeben worden zu sein; wenigstens gibt es fuer die Fortdauer der roemischen Herrschaft daselbst keine spaeteren Belege, und einige Dezennien nachher finden wir sie unabhaengig. Aber alles Land westwaerts der unteren Ems blieb bei dem Reiche, dessen Grenze also die heutigen Niederlande einschloss. Die Verteidigung dieses Teils der Reichsgrenze gegen die nicht zum Reich gehoerigen Germanen blieb in der Hauptsache den botmaessigen Seegauen selber ueberlassen. Weiter stromaufwaerts wurde anders verfahren; hier ward eine Grenzstrasse abgesteckt und das Zwischenland entvoelkert. An die in groesserer oder geringerer Entfernung vom Rhein gezogene Grenzstrasse, den Limes ^4, knuepfte sich die Kontrolle des Grenzverkehrs, indem die Ueberschreitung dieser Strasse zur Nachtzeit ueberhaupt, am Tage den Bewaffneten untersagt und den uebrigen in der Regel nur unter besonderen Sicherheitsmassregeln und unter Erlegung der vorgeschriebenen Grenzzoelle gestattet war. Eine solche Strasse hat gegenueber dem unterrheinischen Hauptquartier im heutigen Muensterland Tiberius nach der Varusschlacht gezogen, in einiger Entfernung vom Rhein, dazwischen ihr und dem Fluss der seiner Lage nach nicht naeher bekannte "Caesische Wald" sich erstreckte. Aehnliche Anstalten muessen gleichzeitig in den Taelern der Ruhr und der Sieg bis zu dem der Wied hin, wo die unterrheinische Provinz endigte, getroffen worden sein. Militaerisch besetzt und zur Verteidigung eingerichtet brauchte diese Strasse nicht notwendig zu sein, obwohl natuerlich die Grenzverteidigung und die Grenzbefestigung immer darauf hinausgingen, die Grenzstrasse moeglichst sicher zu stellen. Ein hauptsaechliches Mittel fuer den Grenzschutz war die Entvoelkerung des Landstrichs zwischen dem Fluss und der Strasse. "Vom rechten Rheinufer", sagt ein kundiger Schriftsteller der tiberischen Zeit, "haben teils die Roemer die Voelkerschaften auf das linke uebergefuehrt, teils diese selbst sich in das Innere zurueckgezogen." Dies traf im heutigen Muensterland die daselbst frueher ansaessigen germanischen Staemme der Usiper, Tencterer, Tubanten. In den Zuegen des Germanicus erscheinen dieselben vom Rhein abgedraengt, aber noch in der Gegend der Lippe, spaeter, wahrscheinlich eben infolge jener Expeditionen, weiter suedwaerts, Mainz gegenueber. Ihr altes Heim lag seitdem oede und bildete das ausgedehnte, fuer die Herden der niedergermanischen Armee reservierte Triftland, auf welchem im Jahre 58 erst die Friesen und dann die heimatlos irrenden Amsivarier sich niederzulassen gedachten, ohne dazu die Erlaubnis der roemischen Behoerden auswirken zu koennen. Weiter suedwaerts blieb von den Sugambrern, die ebenfalls zum grossen Teil derselben Behandlung unterlagen, wenigstens ein Teil am rechten Ufer ansaessig ^5, waehrend andere kleinere Voelkerschaften ganz verdraengt wurden. Die spaerliche innerhalb des Limes geduldete Bevoelkerung war selbstverstaendlich reichsuntertaenig, wie dies die bei den Sugambrern stattfindende roemische Aushebung bestaetigt. ------------------------------------------------------- ^4 Limes (von limus quer) ist ein unseren Rechtsverhaeltnissen fremder und daher auch in unserer Sprache nicht wiederzugebender technischer Ausdruck, davon hergenommen, dass die roemische Ackerteilung, die alle Naturgrenzen ausschliesst, die Quadrate, in welche der im Privateigentum stehende Boden geteilt wird, durch Zwischenwege von einer bestimmten Breite trennt; diese Zwischenwege sind die limites, und insofern bezeichnet das Wort immer zugleich sowohl die von Menschenhand gezogene Grenze wie die von Menschenhand gebaute Strasse. Diese Doppelbedeutung behaelt das Wort auch in der Anwendung auf den Staat (unrichtig Rudorff); limes ist nicht jede Reichsgrenze, sondern nur die von Menschenhand abgesteckte und zugleich zum Begehen und Postenstellen fuer die Grenzverteidigung eingerichtete (vita Hadriani 12: locis in quibus barbari non fluminibus, sed limitibus dividuntur), wie wir sie in Germanien und in Afrika finden. Darum werden auch auf die Anlage dieses Limes die fuer den Strassenbau dienenden Bezeichnungen angewandt aperire (Vell. 2, 121, was nicht, wie Muellenhoff in der Zeitschrift fuer deutsches Altertum, N. F. 2, S. 32 will, so zu verstehen ist wie unser oeffnen des Schlagbaums), munire, agere (Frontin. straf. 1, 3, 10: limitibus per CXX m. p. actis). Darum ist der Limes nicht bloss eine Laengenlinie, sondern auch von einer gewissen Breite (Tac. ann. 1, 50: castra in limite locat). Daher verbindet sich die Anlage des limes oft mit derjenigen des agger, das heisst des Strassendammes (Tac. ann. 2, 7: cuncta novis limitibus aggeribusque permunita) und die Verschiebung desselben mit der Verlegung der Grenzposten (Tac. Germ. 29: limite acto promotisque praesidiis). Der Limes ist also die Reichsgrenzstrasse, bestimmt zur Regulierung des Grenzverkehrs dadurch, dass ihre Ueberschreitung nur an gewissen, den Bruecken der Flussgrenze entsprechenden Punkten gestattet, sonst untersagt wird. Zunaechst ist dies ohne Zweifel herbeigefuehrt worden durch Abpatrouillierung der Linie, und solange dies geschah blieb der Limes ein Grenzweg. Er blieb dies auch, wenn er an beiden Seiten befestigt ward, wie dies in Britannien und an der Donaumuendung geschah; auch der britannische Wall heisst limes. Es konnten aber auch an den gestatteten Ueberschreitungspunkten Posten aufgestellt und die Zwischenstrecken der Grenzwege in irgendeiner Weise unwegsam gemacht werden, In diesem Sinne sagt der Biograph in der oben angefuehrten Steile von Hadrian, dass an den limites er stipitibus magnis in modum muralis saepis funditus iactis atque conexis barbaros separavit. Damit verwandelt sich die Grenzstrasse in eine mit gewissen Durchgaengen versehene Grenzbarrikade, und das ist der Limes Obergermaniens in der entwickelten, weiterhin darzulegenden Gestalt. Uebrigens wird das Wort in diesem Werte in republikanischer Zeit nicht gebraucht und ist ohne Zweifel dieser Begriff des limes erst entstanden mit der Einrichtung der den Staat, wo Naturgrenzen fehlen, umschliessenden Postenkette, welcher Reichsgrenzschutz der Republik fremd, aber das Fundament des Augusteischen Militaerund vor allem des Augusteischen Zollsystems ist. ^5 Die auf das linke Ufer uebergesiedelten Sugambrer werden unter diesem Namen nachher nicht erwaehnt und sind wahrscheinlich die unterhalb Koeln am Rhein wohnenden Cugerner. Aber dass die Sugambrer auf dem rechten Ufer, welche Strabo erwaehnt, wenigstens noch zu Claudius’ Zeit bestanden, zeigt die nach diesem Kaiser benannte, also sicher unter ihm und zwar aus Sugambrern errichtete Kohorte (CIL III p. 877); und sie, sowie die vier anderen, wahrscheinlich augustischen Kohorten dieses Namens bestaetigen, was eigentlich auch Strabon sagt, dass diese Sugambrer zum Roemischen Reich gehoerten. Sie sind wohl, wie die Mattiaker, erst in den Stuermen der Voelkerwanderung verschwunden. ------------------------------------------------------- In dieser Weise wurden nach dem Aufgeben der weiter greifenden Entwuerfe die Verhaeltnisse am Unterrhein geordnet, immer also noch ein nicht unbetraechtliches Gebiet am rechten Ufer von den Roemern gehalten. Aber es knuepften sich daran mancherlei unbequeme Verwicklungen. Gegen das Ende der Regierung des Tiberius (28) fielen die Friesen infolge der unertraeglichen Bedrueckung bei der Erhebung der an sich geringen Abgabe vom Reiche ab, erschlugen die bei der Erhebung beschaeftigten Leute und belagerten den hier fungierenden roemischen Kommandanten mit dem Reste der im Gebiet verweilenden roemischen Soldaten und Zivilpersonen in dem Kastell Flevum, da, wo vor der im Mittelalter erfolgten Ausdehnung der Zuidersee die oestlichste Rheinmuendung war, bei der heutigen Insel Vlieland neben dem Texel. Der Aufstand nahm solche Verhaeltnisse an, dass beide Rheinheere gemeinschaftlich gegen die Friesen marschierten; aber der Statthalter Lucius Apronius richtete dennoch nichts aus. Die Belagerung des Kastells gaben die Friesen auf, als die roemische Flotte die Legionen herantrug; aber ihnen selbst war in dem durchschnittenen Lande schwer beizukommen; mehrere roemische Heerhaufen wurden vereinzelt aufgerieben und die roemische Vorhut so gruendlich geschlagen, dass selbst die Leichen der Gefallenen in der Gewalt des Feindes blieben. Zu einer entscheidenden Aktion kam es nicht, aber auch nicht zu rechter Unterwerfung; groesseren Unternehmungen, die dem kommandierenden Feldherrn eine Machtstellung gaben, war Tiberius, je aelter er wurde, immer weniger geneigt. Damit steht in Zusammenhang, dass in den naechsten Jahren die Nachbarn der Friesen, die Chauker, den Roemern sehr unbequem wurden, im Jahre 41 der Statthalter Publius Gabinius Secundus gegen sie eine Expedition unternehmen musste und sechs Jahre spaeter (47) sie sogar unter Fuehrung des roemischen Ueberlaeufers Gannascus, eines geborenen Cannenefaten, mit ihren leichten Piratenschiffen die gallische Kueste weithin brandschatzten. Gnaeus Domitius Corbulo, von Claudius zum Statthalter Niedergermaniens ernannt, legte mit der Rheinflotte diesen Vorgaengern der Sachsen und Normannen das Handwerk und brachte dann die Friesen energisch zum Gehorsam zurueck, indem er ihr Gemeinwesen neu ordnete und roemische Besatzung dorthin legte. Er hatte die Absicht, weiter die Chauker zu zuechtigen; auf sein Anstiften wurde Gannascus aus dem Wege geraeumt - gegen den Ueberlaeufer hielt er sich auch dazu berechtigt -, und er war im Begriff, die Ems ueberschreitend in das Chaukerland einzuruecken, als er nicht bloss Gegenbefehl von Rom erhielt, sondern die roemische Regierung ueberhaupt ihre Stellung am Unterrhein vollstaendig aenderte. Kaiser Claudius wies den Statthalter an, alle roemischen Besatzungen vom rechten Ufer wegzunehmen. Es ist begreiflich, dass der kaiserliche General die freien Feldherren des ehemaligen Rom mit bitteren Worten gluecklich pries; es wurde allerdings damit die nach der Varusschlacht nur halb gezogene Konsequenz der Niederlage vervollstaendigt. Wahrscheinlich ist diese durch keine unmittelbare Noetigung veranlasste Einschraenkung der roemischen Okkupation Germaniens hervorgerufen worden durch den eben damals gefassten Entschluss, Britannien zu besetzen, und findet darin ihre Rechtfertigung, dass die Truppen beidem zugleich nicht genuegten. Dass der Befehl ausgefuehrt ward und es auch spaeter dabei blieb, beweist das Fehlen der roemischen Militaerinschriften am ganzen rechten Unterrhein ^6. Nur einzelne Uebergangspunkte und Ausfallstore, wie insbesondere Deutz gegenueber Koeln, machen Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel. Auch die Militaerstrasse haelt sich hier auf dem linken Ufer und streng an den Rheinlauf, waehrend der hinter derselben herlaufende Verkehrsweg, die Kruemmungen abschneidend, die gerade Verbindung verfolgt. Auf dem rechten Rheinufer sind hier nirgends, weder durch aufgefundene Meilensteine noch anderweitig, roemische Militaerstrassen bezeugt. --------------------------------------------- ^6 Das Kastell von Niederbiber, unweit der Muendung der Wied in den Rhein, sowie das von Arzbach bei Montabaur im Lahngebiet gehoeren schon zu Obergermanien. Die besondere Bedeutung jener Festung, des groessten Kastells in Obergermanien, beruht darauf, dass sie die roemischen Linien auf dem rechten Rheinufer militaerisch abschloss. --------------------------------------------- Einen eigentlichen Verzicht auf den Besitz des rechten Ufers in dieser Provinz schliesst die Zurueckziehung der Besatzungen nicht ein. Dasselbe galt den Roemern seitdem etwa wie dem Festungskommandanten das unter seinen Kanonen liegende Terrain. Die Cannenefaten und wenigstens ein Teil der Friesen ^7 sind nach wie vor reichsuntertaenig gewesen. Dass auch spaeter noch im Muensterland die Herden der Legionen weideten und den Germanen nicht gestattet wurde, sich dort niederzulassen, ist schon bemerkt worden. Aber die Regierung hat seitdem fuer den Schutz des Grenzgebietes auf dem rechten Ufer, das es in dieser Provinz auch ferner gab, im Norden sich auf die Cannenefaten und die Friesen verlassen, weiter stromaufwaerts im wesentlichen der Oedgrenze vertraut und auch die roemische Ansiedelung hier, wenn nicht geradezu untersagt, doch nicht aufkommen lassen. Der in Altenberg (Kreis Muelheim) am Dhuenfluss gefundene Altarstein eines Privaten ist fast das einzige Zeugnis roemischer Einwohnerschaft in diesen Gegenden. Es ist dies um so bemerkenswerter, als das Aufbluehen von Koeln, wenn hier nicht besondere Hindernisse im Wege gestanden haetten, die roemische Zivilisation von selber weithin auf das andere Ufer getragen haben wuerde. Oft genug werden roemische Truppen diese ausgedehnten Gebiete betreten, vielleicht selbst die gerade hier in augustischer Zeit zahlreich angelegten Strassen einigermassen gangbar gehalten, auch wohl neue angelegt haben; spaerliche Ansiedler, teils Ueberreste der alten germanischen Bevoelkerung, teils Kolonisten aus dem Reich, werden hier gesessen haben, aehnlich wie wir sie bald in der frueheren Kaiserzeit am rechten Ufer des Oberrheins finden werden; aber den Wegen wie den Besitzungen fehlte der Stempel der Dauerhaftigkeit. Man wollte hier nicht eine Arbeit von gleicher Ausdehnung und gleicher Schwierigkeit unternehmen, wie wir sie weiterhin in der oberen Provinz kennenlernen werden, nicht hier, wie es dort geschah, die Reichsgrenze militaerisch schuetzen und befestigen. Darum hat den Unterrhein wohl die roemische Herrschaft, aber nicht, wie den Oberrhein, auch die roemische Kultur ueberschritten. ------------------------------------------ ^7 Dies fordern die Aushebungen (Eph. epigr. V, p. 274), waehrend die Friesen, wie sie im Jahre 58 (Tac. ann. 13, 54) auftreten, eher unabhaengig erscheinen; auch der aeltere Plinius (nat. 25, 3, 22) unter Vespasian nennt sie im Rueckblick auf die Zeit des Germanicus gens tum fida. Wahrscheinlich haengt dies zusammen mit der Unterscheidung der Frisii und Frisiavones bei Plinius (nat. 4, 15, 101) und der Frisii maiores und minores bei Tacitus (Germ. 34). Die roemisch gebliebenen Friesen werden die westlichen sein, die freien die oestlichen; wenn die Friesen ueberhaupt bis zur Ems reichen (Ptol. geogr. 3, 11, 7), so moegen die spaeter roemischen etwa westwaerts der Yssel gesessen haben. Anderswo als an der noch heute ihren Namen tragenden Kueste darf man sie nicht ansetzen; die Nennung bei Plinius (nat. 4, 17, 106) steht vereinzelt und ist ohne Zweifel fehlerhaft. ------------------------------------------ Ihrer doppelten Aufgabe, das benachbarte Gallien in Gehorsam und die Germanen des rechten Rheinufers von Gallien abzuhalten, hatte die Armee am Unterrhein auch nach dem Verzicht auf Besetzung des rechtsrheinischen Gebietes ausreichend genuegt; und es waere die Ruhe nach aussen und innen voraussichtlich nicht unterbrochen worden, wenn nicht der Sturz der Julisch-Claudischen Dynastie und der dadurch hervorgerufene Buergeroder vielmehr Korpskrieg in diese Verhaeltnisse in verhaengnisvoller Weise eingegriffen haette. Die Insurrektion des Keltenlandes unter Fuehrung des Vindex wurde zwar von den beiden germanischen Armeen niedergeschlagen; aber Neros Sturz erfolgte dennoch, und als sowohl das spanische Heer wie die Kaisergarde in Rom ihm einen Nachfolger bestellten, taten auch die Rheinarmeen das gleiche, und im Anfang des Jahres 69 ueberschritt der groesste Teil dieser Truppen die Alpen, um auf den Schlachtfeldern Italiens auszumachen, ob dessen Herrscher Marcus oder Aulus heissen werde. Im Mai desselben Jahres folgte der neue Kaiser Vitellius, nachdem die Waffen fuer ihn entschieden hatten, begleitet von dem Rest der guten kriegsgewohnten Mannschaften. Durch eilig in Gallien ausgehobene Rekruten waren allerdings die Luecken in den Rheinbesatzungen notduerftig ausgefuellt worden; aber dass es nicht die alten Legionen waren, wusste das ganze Land, und bald zeigte es sich auch, dass jene nicht zurueckkamen. Haette der neue Herrscher die Armee, die ihn auf den Thron gesetzt hatte, in seiner Gewalt gehabt, so haette gleich nach der Niederwerfung Othos im April wenigstens ein Teil derselben an den Rhein zurueckkehren muessen; aber mehr noch die Unbotmaessigkeit der Soldaten als die bald eintretende neue Verwicklung mit dem im Osten zum Kaiser ausgerufenen Vespasian hielt die germanischen Legionen in Italien zurueck. Gallien war in der furchtbarsten Aufregung. Die Insurrektion des Vindex war, wie frueher bemerkt ward, an sich nicht gegen die Herrschaft Roms, sondern gegen den dermaligen Herrscher gerichtet; aber darum war sie nicht weniger eine Kriegfuehrung gewesen zwischen den Rheinarmeen und dem Landsturm der grossen Mehrzahl der keltischen Gaue, und diese nicht weniger gleich Besiegten gepluendert und misshandelt worden. Die Stimmung, die zwischen den Provinzialen und den Soldaten bestand, zeigt zum Beispiel die Behandlung, welche der Gau der Helvetier bei dem Durchmarsch der nach Italien bestimmten Truppen erfuhr: weil hier ein von den Vitellianern nach Pannonien abgesandter Kurier aufgegriffen worden war, rueckten die Marschkolonnen von der einen Seite, von der anderen die in Raetien in Garnison stehenden Roemer in den Gau ein, pluenderten weit und breit die Ortschaften, namentlich das heutige Baden bei Zuerich, jagten die in die Berge Fluechtenden aus ihrem Versteck auf und machten sie zu Tausenden nieder oder verkauften die Gefangenen nach Kriegsrecht. Obwohl die Hauptstadt Aventicum (Avenches bei Murten) sich ohne Gegenwehr unterwarf, forderten die Agitatoren der Armee ihre Schleifung und alles, was der Feldherr gewaehrte, war die Verweisung der Frage nicht etwa an den Kaiser, sondern an die Soldaten des grossen Hauptquartiers; diese sassen ueber das Schicksal der Stadt zu Gericht und nur der Umschlag ihrer Laune rettete den Ort vor der Zerstoerung. Dergleichen Misshandlungen brachten die Provinzialen aufs aeusserste; noch bevor Vitellius Gallien verliess, trat ein gewisser Mariccus aus dem von den Haeduern abhaengigen Gau der Boier auf, ein Gott auf Erden, wie er sagte, und bestimmt, die Freiheit der Kelten wieder herzustellen; und scharenweise stroemten die Leute unter seine Fahnen. Indes kam auf die Erbitterung im Keltenland nicht allzu viel an. Eben der Aufstand des Vindex hatte auf das deutlichste gezeigt, wie voellig unfaehig die Gallier waren, sich der roemischen Umklammerung zu entwinden. Aber die Stimmung der zu Gallien gerechneten germanischen Distrikte in den heutigen Niederlanden, der Bataver, der Cannenefaten, der Friesen, deren Sonderstellung schon hervorgehoben ward, hatte etwas mehr zu bedeuten; und es traf sich, dass eben diese einerseits aufs aeusserste erbittert worden waren, andererseits ihre Kontingente zufaellig sich in Gallien befanden. Die Masse der batavischen Truppen, 8000 Mann, der 14. Legion beigegeben, hatte laengere Zeit mit dieser bei dem oberen Rheinheere gestanden und war dann unter Claudius bei der Besetzung Britanniens nach dieser Insel gekommen, wo dieses Korps kurz zuvor die entscheidende Schlacht unter Paullinus durch seine unvergleichliche Tapferkeit fuer die Roemer gewonnen hatte; von diesem Tag an nahm dasselbe unter allen roemischen Heeresabteilungen unbestritten den ersten Platz ein. Eben dieser Auszeichnung wegen von Nero abberufen, um mit ihm zum Kriege in den Orient abzugehen, hatte die in Gallien ausbrechende Revolution ein Zerwuerfnis zwischen der Legion und ihren Hilfsmannschaften herbeigefuehrt: jene, dem Nero treu ergeben, eilte nach Italien, die Bataver dagegen weigerten sich zu folgen. Vielleicht hing dies damit zusammen, dass zwei ihrer angesehensten Offiziere, die Brueder Paulus und Civilis, ohne jeden Grund und ohne Ruecksicht auf vieljaehrige treue Dienste und ehrenvolle Wunden, kurz vorher als des Hochverrats verdaechtig in Untersuchung gezogen, der erstere hingerichtet, der zweite gefangengesetzt worden war. Nach Neros Sturz, zu welchem der Abfall der batavischen Kohorten wesentlich beigetragen hatte, gab Galba den Civilis frei und sandte die Bataver in ihr altes Standquartier nach Britannien zurueck. Waehrend sie auf dem Marsch dahin bei den Lingonen (Langres) lagerten, fielen die Rheinlegionen von Galba ab und riefen den Vitellius zum Kaiser aus. Die Bataver schlossen nach laengerem Schwanken schliesslich sich an; dieses Schwanken vergab ihnen Vitellius nicht, doch wagte er nicht, den Fuehrer des maechtigen Korps geradezu zur Verantwortung zu ziehen. So waren die Bataver mit den Legionen von Untergermanien nach Italien marschiert und hatten mit gewohnter Tapferkeit in der Schlacht von Betriacum fuer Vitellius gefochten, waehrend ihre alten Legionskameraden ihnen in dem Heere Othos gegenueberstanden. Aber der Uebermut dieser Germanen erbitterte ihre roemischen Siegesgenossen, wie sehr sie ihre Tapferkeit im Kampf anerkannten; auch die kommandierenden Generale trauten ihnen nicht und machten sogar einen Versuch, durch Detachierung sie zu teilen, was freilich in diesem Krieg, in dem die Soldaten kommandierten und die Generale gehorchten, nicht durchzufuehren war und fast dem General das Leben gekostet haette. Nach dem Siege wurden sie beauftragt, ihre feindlichen Kameraden von der 14. Legion nach Britannien zu eskortieren; aber da es zwischen beiden in Turin zum Handgemenge gekommen war, gingen diese allein dorthin und sie selbst nach Germanien. Inzwischen war im Orient Vespasianus zum Kaiser ausgerufen worden, und waehrend infolgedessen Vitellius sowohl den batavischen Kohorten Marschbefehl nach Italien gab wie auch bei den Batavern neue umfassende Aushebungen anordnete, knuepften Vespasians Beauftragte mit den batavischen Offizieren an, um diesen Abmarsch zu verhindern und in Germanien selbst einen Aufstand hervorzurufen, der die Truppen dort festhielte. Civilis ging darauf ein. Er begab sich in seine Heimat und gewann leicht die Zustimmung der Seinigen, sowie der benachbarten Cannenefaten und Friesen. Bei jenen brach der Aufstand aus; die beiden Kohortenlager in der Naehe wurden ueberfallen und die roemischen Posten aufgehoben; die roemischen Rekruten schlugen sich schlecht; bald warf Civilis mit seiner Kohorte, die er hatte nachkommen lassen, um sie angeblich gegen die Insurgenten zu gebrauchen, sich selbst offen in die Bewegung, sagte mit den drei germanischen Gauen dem Vitellius auf und forderte die uebrigen, eben damals von Mainz zum Abmarsch nach Italien aufbrechenden Bataver und Cannenefaten auf, sich ihm anzuschliessen. Das alles war mehr ein Soldatenaufstand als eine Insurrektion der Provinz oder gar ein germanischer Krieg. Wenn damals die Rheinlegionen mit denen von der Donau und weiter mit diesen und der Euphratarmee schlugen, so war es nur folgerichtig, dass auch die Soldaten zweiter Klasse, und vor allem die angesehenste Truppe derselben, die batavische, selbstaendig in diesen Korpskrieg eintrat. Wer diese Bewegung bei den Kohorten der Bataver und den linksrheinischen Germanen mit der Insurrektion der rechtsrheinischen unter Augustus zusammenstellt, der darf nicht uebersehen, dass in jener die Alen und Kohorten die Rolle des Landsturms der Cherusker uebernahmen; und wenn der treulose Offizier des Varus seine Nation aus der Roemerherrschaft erloeste, so handelte der batavische Fuehrer im Auftrag Vespasians, ja vielleicht auf geheime Anweisung des im stillen Vespasian geneigten Statthalters seiner Provinz, und richtete sich der Aufstand zunaechst lediglich gegen Vitellius. Freilich war die Lage der Dinge von der Art, dass dieser Soldatenaufstand jeden Augenblick in einen Germanenkrieg gefaehrlichster Art sich verwandeln konnte. Dieselben roemischen Truppen, die den Rhein gegen die Germanen des rechten Ufers deckten, standen infolge der Korpskriege den linksrheinischen Germanen feindlich gegenueber; die Rollen waren solcher Art, dass es fast leichter schien, sie zu wechseln als sie durchzufuehren. Civilis selbst mag es wohl auf den Erfolg haben ankommen lassen, ob die Bewegung auf einen Kaiserwechsel oder auf die Vertreibung der Roemer aus Gallien durch die Germanen hinauslaufen werde. Das Kommando ueber die beiden Rheinarmeen fuehrte damals, nachdem der Statthalter von Untergermanien Kaiser geworden war, sein bisheriger Kollege in Obergermanien Hordeonius Flaccus, ein hochbejahrter podagrischer Mann, ohne Energie und ohne Autoritaet, dazu entweder in der Tat im geheimen zu Vespasian haltend oder doch bei den eifrig dem Kaiser ihrer Mache anhaengenden Legionen solcher Treulosigkeit sehr verdaechtig. Es zeichnet ihn und seine Stellung, dass er, um sich von dem Verdacht des Verrats zu reinigen, Befehl gab, die einlaufenden Regierungsdepeschen uneroeffnet den Adlertraegern der Legionen zuzustellen und diese sie zunaechst den Soldaten vorlasen, bevor sie dieselben an ihre Adresse befoerderten. Von den vier Legionen des unteren Heeres, das zunaechst mit den Aufstaendischen zu tun hatte, standen zwei, die 5. und die 15., unter dem Legaten Munius Lupercus im Hauptquartier zu Vetera, die 16. unter Numisius Rufus in Novaesium (Neuss), die 1. unter Herennius Gallus in Bonna (Bonn). Von dem oberen Heer, das damals nur drei Legionen zaehlte ^8, blieb die eine, die 21., in ihrem Standquartier Vindonissa diesen Vorgaengen fern, wenn sie nicht vielmehr ganz nach Italien gezogen worden war; die beiden anderen, die 4. makedonische und die 22., standen im Hauptquartier Mainz, wo auch Flaccus sich befand und faktisch der tuechtige Legat des letzteren, Dillius Vocula, den Oberbefehl fuehrte. Die Legionen hatten durchgaengig nur die Haelfte der vollen Zahl, und die meisten Soldaten waren Halbinvalide oder Rekruten. ------------------------------------------------- ^8 Die 4. obergermanische Legion war im Jahre 58 nach Kleinasien geschickt, wegen des Armenisch-Parthischen Krieges (Tac. ann. 13, 35). ------------------------------------------------- Civilis, an der Spitze einer kleinen Zahl regulaerer Truppen, aber des Gesamtaufgebots der Bataver, Cannenefaten und Friesen, ging aus der Heimat zum Angriff vor. Zunaechst am Rhein stiess er auf Reste der aus den noerdlichen Gauen vertriebenen roemischen Besatzungen und eine Abteilung der roemischen Rheinflotte; als er angriff, lief nicht bloss die grossenteils aus Batavern bestehende Schiffsmannschaft zu ihm ueber, sondern auch eine Kohorte der Tungrer - es war der erste Abfall einer gallischen Abteilung; was von italischen Mannschaften dabei war, wurde erschlagen oder gefangen. Dieser Erfolg brachte endlich die rechtsrheinischen Germanen in Bewegung. Was sie seit langem vergeblich gehofft hatten, die Erhebung der roemischen Untertanen auf dem anderen Ufer, ging nun in Erfuellung und sowohl die Chauker und die Friesen an der Kueste wie vor allem die Bructerer zu beiden Seiten der oberen Ems bis hinab zur Lippe, und am Mittelrhein, Koeln gegenueber, die Tencterer, in minderem Masse die suedlich an diese sich anschliessenden Voelkerschaften, Usiper, Mattiaker, Chatten, warfen sich in den Kampf. Als auf Befehl des Flaccus die beiden schwachen Legionen von Vetera gegen die Insurgenten ausrueckten, konnten ihnen diese schon mit zahlreichem ueberrheinischem Zuzug entgegentreten; und die Schlacht endigte wie das Gefecht am Rhein mit einer Niederlage der Roemer durch den Abfall der batavischen Reiterei, welche zu der Garnison von Vetera gehoerte, und durch die schlechte Haltung der Reiter der Ubier wie der Treverer. Die insurgierten wie die zustroemenden Germanen schritten dazu, das Hauptquartier des unteren Heeres zu umstellen und zu belagern. Waehrend dieser Belagerung erreichte die Kunde der Vorgaenge am Unterrhein die uebrigen batavischen Kohorten in der Naehe von Mainz; sie machten sofort kehrt gegen Norden. Statt sie zusammenhauen zu lassen, liess der schwachmuetige Oberfeldherr sie ziehen, und als der Legionskommandant in Bonn sich ihnen entgegenwarf, unterstuetzte Flaccus diesen nicht, wie er es gekonnt und sogar anfaenglich zugesagt hatte. So sprengten die tapferen Germanen die Bonner Legion auseinander und gelangten gluecklich zu Civilis, fortan der geschlossene Kern seines Heeres, in welchem jetzt die roemischen Kohortenfahnen neben den Tierstandarten aus den heiligen Hainen der Germanen standen. Noch immer aber hielt der Bataver, wenigstens angeblich, an Vespasian; er schwur die roemischen Truppen auf dessen Namen ein und forderte die Besatzung von Vetera auf, sich mit ihm fuer diesen zu erklaeren. Indes diese Mannschaften sahen darin, vermutlich mit Recht, nur einen Versuch der Ueberlistung und wiesen diesen ebenso entschlossen ab wie die anstuermenden Scharen der Feinde, die bald durch die ueberlegene roemische Taktik sich gezwungen sahen, die Belagerung in eine Blockade zu verwandeln. Aber da die roemische Heerleitung durch diese Vorgaenge ueberrascht worden war, waren die Vorraete knapp und baldiger Entsatz dringend geboten. Um diesen zu bringen, brachen Flaccus und Vocula mit ihrer gesamten Mannschaft von Mainz auf, zogen unterwegs die beiden Legionen aus Bonna und Novaesium sowie die auf den erhaltenen Befehl zahlreich sich einstellenden Hilfstruppen der gallischen Gaue an sich und naeherten sich Vetera. Aber statt sofort die gesamte Macht von innen und aussen auf die Belagerer zu werfen, mochte deren Ueberzahl noch so gewaltig sein, schlug Vocula sein Lager bei Gelduba (Gellep am Rhein, unweit Krefeld), einen starken Tagemarsch entfernt von Vetera, waehrend Flaccus weiter zurueckstand. Die Nichtigkeit des sogenannten Feldherrn und die immer steigende Demoralisation der Truppen, vor allem das oft bis zu Misshandlungen und Mordanschlaegen sich steigernde Misstrauen gegen die Offiziere kann allein dies Einhalten wenigstens erklaeren. Also zog sich das Unheil immer dichter von allen Seiten zusammen. Ganz Germanien schien sich an dem Krieg beteiligen zu wollen; waehrend die belagernde Armee bestaendig neuen Zuzug von dort erhielt, gingen andere Schwaerme ueber den in diesem trocknen Sommer ungewoehnlich niedrigen Rhein teils in den Ruecken der Roemer in die Gaue der Ubier und der Treverer, das Moseltal zu brandschatzen, teils unterhalb Vetera in das Gebiet der Maas und der Schelde; weitere Haufen erschienen vor Mainz und machten Miene, dies zu belagern. Da kam die Nachricht von der Katastrophe in Italien. Auf die Kunde von der zweiten Schlacht bei Betriacum im Herbst des Jahres 69 gaben die germanischen Legionen die Sache des Vitellius verloren und schwuren, wenn auch widerwillig, dem Vespasian; vielleicht in der Hoffnung, dass Civilis, der ja auch den Namen Vespasians auf seine Fahnen geschrieben hatte, dann seinen Frieden machen werde. Aber die germanischen Schwaerme, die inzwischen ueber ganz Nordgallien sich ergossen hatten, waren nicht gekommen, um die Flavische Dynastie einzusetzen; selbst wenn Civilis dies einmal gewollt hatte, jetzt haette er es nicht mehr gekonnt. Er warf die Maske weg und sprach es offen aus, was freilich laengst feststand, dass die Germanen Nordgalliens sich mit Hilfe der freien Landsleute der roemischen Herrschaft zu entwinden gedachten. Aber das Kriegsglueck schlug um. Civilis versuchte das Lager von Gelduba zu ueberrumpeln; der Ueberfall begann gluecklich und der Abfall der Kohorten der Nervier brachte Voculas kleine Schar in eine kritische Lage. Da fielen ploetzlich zwei spanische Kohorten den Germanen in den Ruecken; die drohende Niederlage verwandelte sich in einen glaenzenden Sieg; der Kern der angreifenden Armee blieb auf dem Schlachtfeld. Vocula rueckte zwar nicht sofort gegen Vetera vor, was er wohl gekonnt haette, aber drang einige Tage spaeter, nach einem abermaligen heftigen Gefecht mit den Feinden, in die belagerte Stadt. Freilich Lebensmittel brachte er nicht; und da der Fluss in der Gewalt des Feindes war, mussten diese auf dem Landweg von Novaesium herbeigeschafft werden, wo Flaccus lagerte. Der erste Transport kam durch; aber die inzwischen wieder gesammelten Feinde griffen die zweite Proviantkolonne unterwegs an und noetigten sie, sich nach Gelduba zu werfen. Zu ihrer Unterstuetzung ging Vocula mit seinen Truppen und einem Teil der alten Besatzung von Vetera dorthin ab. In Gelduba angelangt, weigerten sich die Mannschaften, nach Vetera zurueckzukehren und die Leiden der abermals in Aussicht stehenden Belagerung weiter auf sich zu nehmen; statt dessen marschierten sie nach Novaesium, und Vocula, welcher den Rest der alten Garnison von Vetera einigermassen verproviantiert wusste, musste wohl oder uebel folgen. In Novaesium war inzwischen die Meuterei zum Ausbruch gelangt. Die Soldaten hatten in Erfahrung gebracht, dass ein von Vitellius fuer sie bestimmtes Donativ an den Feldherrn gelangt sei und erzwangen dessen Verteilung auf den Namen Vespasians. Kaum hatten sie es, so brach in den wuesten Gelagen, welche die Spende im Gefolge hatte, der alte Soldatengroll wieder hervor; sie pluenderten das Haus des Feldherrn, der die Rheinarmee an den General der syrischen Legionen verraten hatte, erschlugen ihn und haetten auch dem Vocula das gleiche Schicksal bereitet, wenn dieser nicht in Vermummung entkommen waere. Darauf riefen sie abermals den Vitellius zum Kaiser aus, nicht wissend, dass dieser schon tot war. Als diese Kunde ins Lager kam, kam der bessere Teil der Soldaten, namentlich die beiden obergermanischen Legionen, einigermassen zur Besinnung; sie vertauschten an ihren Standarten das Bildnis des Vitellius wieder mit dem Vespasians und stellten sich unter Voculas Befehle; dieser fuehrte sie nach Mainz, wo er den Rest des Winters 69/70 verblieb. Civilis besetzte Gelduba und schnitt damit Vetera ab, das aufs neue eng blockiert ward; die Lager von Novaesium und Bonna wurden noch gehalten. Bisher hatte das gallische Land, abgesehen von den wenigen insurgierten germanischen Gauen im Norden, fest an Rom gehalten. Allerdings ging die Parteiung durch die einzelnen Gaue; unter den Tungrern zum Beispiel hatten die Bataver starken Anhang, und die schlechte Haltung der gallischen Hilfsmannschaften waehrend des ganzen Feldzugs wird wohl zum Teil durch dergleichen roemerfeindliche Stimmungen hervorgerufen sein. Aber auch unter den Insurgierten gab es eine ansehnliche roemisch gesinnte Partei; ein vornehmer Bataver, Claudius Labeo, fuehrte gegen seine Landsleute in seiner Heimat und der Nachbarschaft einen Parteigaengerkrieg nicht ohne Erfolg und Civilis’ Schwestersohn Iulius Briganticus fiel in einem dieser Gefechte an der Spitze einer roemischen Reiterschar. Dem Befehl, Zuzug zu senden, hatten alle gallischen Gaue ohne weiteres Folge geleistet; die Ubier, obwohl germanischer Herkunft, waren auch in diesem Kriege lediglich ihres Roemerrums eingedenk und sie, wie die Treverer, hatten den in ihr Gebiet einbrechenden Germanen tapferen und erfolgreichen Widerstand geleistet. Es war das begreiflich. Die Dinge lagen in Gallien noch so wie in den Zeiten Caesars und Ariovists; eine Befreiung der gallischen Heimat von der roemischen Herrschaft durch diejenigen Schwaerme, welche, um dem Civilis landsmannschaftlichen Beistand zu leisten, eben damals das Mosel-, Maasund Scheldetal ausraubten, war ebensosehr eine Auslieferung des Landes an die germanischen Nachbarn; in diesem Krieg, der aus einer Fehde zwischen zwei roemischen Truppenkorps zu einem roemisch-germanischen sich entwickelt hatte, waren die Gallier eigentlich nichts als der Einsatz und die Beute. Dass die Stimmung der Gallier, trotz aller wohlbegruendeten allgemeinen und besonderen Beschwerden ueber das roemische Regiment, ueberwiegend antigermanisch war und fuer jene aufflammende und ruecksichtslose nationale Erhebung, wie sie vor Zeiten wohl durch das Volk gegangen war, in diesem inzwischen halb romanisierten Gallien der Zuendstoff fehlte, hatten die bisherigen Vorgaenge auf das deutlichste gezeigt. Aber unter den bestaendigen Misserfolgen der roemischen Armee wuchs allmaehlich den roemerfeindlichen Galliern der Mut, und ihr Abfall vollendete die Katastrophe. Zwei vornehme Treverer, Iulius Classicus, der Befehlshaber der treverischen Reiterei, und Iulius Tutor, der Kommandant der Uferbesatzungen am Mittelrhein, der Lingone Iulius Sabinus, Nachkomme, wie er wenigstens sich beruehmte, eines Bastards Caesars, und einige andere gleichgesinnte Maenner aus verschiedenen Gauen glaubten in der fahrigen keltischen Weise zu erkennen, dass der Untergang Roms in den Sternen geschrieben und durch den Brand des Kapitols (Dezember 69) der Welt verkuendigt sei. So beschlossen sie, die Roemerherrschaft zu beseitigen und ein Gallisches Reich zu errichten. Dazu gingen sie den Weg des Arminius. Vocula liess sich wirklich durch gefaelschte Rapporte dieser roemischen Offiziere bestimmen, mit den unter ihrem Kommando stehenden Kontingenten und einem Teil der Mainzer Besatzung im Fruehjahr 70 nach dem Unterrhein aufzubrechen, um mit diesen Truppen und den Legionen von Bonna und Novaesium das hart bedraengte Vetera zu entsetzen. Auf dem Marsch von Novaesium nach Vetera verliessen Classicus und die mit ihm einverstandenen Offiziere das roemische Heer und proklamierten das neue Gallische Reich. Vocula fuehrte die Legionen zurueck nach Novaesium; unmittelbar davor schlug Classicus sein Lager auf. Vetera konnte sich nicht mehr lange halten; die Roemer mussten erwarten, nach dessen Fall die gesamte Macht des Feindes sich gegenueber zu finden. Dies vor Augen, versagten die roemischen Truppen und kapitulierten mit den abgefallenen Offizieren. Vergeblich versuchte Vocula noch einmal die Bande der Zucht und der Ehre anzuziehen; die Legionen Roms liessen es geschehen, dass ein roemischer Ueberlaeufer von der ersten Legion auf Befehl des Classicus den tapferen Feldherrn niederstiess und lieferten selbst die uebrigen Oberoffiziere gefesselt an den Vertreter des Reiches Gallien aus, der dann die Soldaten auf dieses Reich in Eid und Pflicht nahm. Denselben Schwur leistete in die Haende der eidbruechigen Offiziere die Besatzung von Vetera, die, durch Hunger bezwungen, sofort sich ergab, und ebenso die Besatzung von Mainz, wo nur wenige einzelne der Schande sich durch Flucht oder Tod entzogen. Das ganze stolze Rheinheer, die erste Armee des Reiches, hatte vor seinen eigenen Auxilien, Rom vor Gallien kapituliert. Es war ein Trauerspiel und zugleich eine Posse. Das Gallische Reich verlief, wie es musste. Civilis und seine Germanen liessen es zunaechst sich wohl gefallen, dass der Zwist im roemischen Lager ihnen die eine wie die andere Haelfte der Feinde in die Haende lieferte, aber er dachte nicht daran, jenes Reich anzuerkennen, und noch weniger seine rechtsrheinischen Genossen. Ebenso wenig wollten die Gallier selbst davon etwas wissen, wobei allerdings der schon bei dem Aufstand des Vindex hervorgetretene Riss zwischen den oestlichen Distrikten und dem uebrigen Lande mit ins Gewicht fiel. Die Treverer und die Lingonen, deren leitende Maenner jene Lagerverschwoerung angezettelt hatten, standen zu ihren Fuehrern, aber sie blieben so gut wie allein, nur die Vangionen und Triboker schlossen sich an. Die Sequaner, in deren Gebiet die benachbarten Lingonen einrueckten, um sie zum Beitritt zu bestimmen, schlugen dieselben kurzweg zum Lande hinaus. Die angesehenen Remer, der fuehrende Gau in der Belgica, riefen den Landtag der drei Gallien ein, und obwohl es an politischen Freiheitsrednern auf demselben nicht mangelte, so beschloss derselbe lediglich, die Treverer von der Auflehnung abzumahnen. Wie die Verfassung des neuen Reiches ausgefallen sein wuerde, wenn es zustande gekommen waere, ist schwer zu sagen; wir erfahren nur, dass jener Sabinus, der Urenkel der Kebse Caesars, sich auch Caesar nannte und in dieser Eigenschaft sich von den Sequanern schlagen liess, Classicus dagegen, dem solche Aszendenz nicht zu Gebote stand, die Abzeichen der roemischen Magistratur anlegte, also wohl den republikanischen Prokonsul spielte. Dazu passt eine Muenze, die von Classicus oder seinen Anhaengern geschlagen sein muss, welche den Kopf der Gallia zeigt, wie die Muenzen der roemischen Republik den der Roma, und daneben das Legionssymbol mit der recht verwegenen Umschrift der "Treue" (fides). Zunaechst am Rhein freilich hatten die Reichsmaenner in Gemeinschaft mit den insurgierten Germanen freie Hand. Die Reste der beiden Legionen, die in Vetera kapituliert hatten, wurden gegen die Kapitulation und gegen Civilis’ Willen niedergemacht, die beiden von Novaesium und Bonna nach Trier geschickt, die saemtlichen roemischen Rheinlager, grosse und kleine, mit Ausnahme von Mogontiacum niedergebrannt. In der schlimmsten Lage fanden sich die Agrippinenser. Die Reichsmaenner hatten sich allerdings darauf beschraenkt, von ihnen den Treueid zu fordern; aber ihnen vergassen es die Germanen nicht, dass sie eigentlich die Ubier waren. Eine Botschaft der Tencterer vom rechten Rheinufer - es war dies einer der Staemme, deren alte Heimat die Roemer oedegelegt hatten und als Viehtrift benutzten, und die infolgedessen sich andere Wohnsitze hatten suchen muessen - forderte die Schleifung dieses Hauptsitzes der germanischen Apostaten und die Hinrichtung aller ihrer Buerger roemischer Herkunft. Dies waere auch wohl beschlossen worden, wenn nicht sowohl Civilis, der ihnen persoenlich verpflichtet war, wie auch die germanische Prophetin, Veleda im Bructerergau, welche diesen Sieg vorhergesagt hatte und deren Autoritaet das ganze Insurgentenheer anerkannte, ihr Fuerwort eingelegt haetten. Lange Zeit blieb den Siegern nicht, ueber die Beute zu streiten. Die Reichsmaenner versicherten allerdings, dass der Buergerkrieg in Italien ausgebrochen, alle Provinzen vom Feinde ueberzogen und Vespasianus wahrscheinlich tot sei; aber der schwere Arm Roms wurde bald genug empfunden. Das neu befestigte Regiment konnte die besten Feldherren und zahlreiche Legionen an den Rhein entsenden, und es bedurfte allerdings hier einer imposanten Machtentwicklung. Annius Gallus uebernahm das Kommando in der oberen, Petillius Cerialis in der unteren Provinz, der letztere, ein ungestuemer und oft unvorsichtiger, aber tapferer und faehiger Offizier, die eigentliche Aktion. Ausser der 21. Legion von Vindonissa kamen fuenf aus Italien, drei aus Spanien, eine nebst der Flotte aus Britannien, dazu ein weiteres Korps von der raetischen Besatzung. Dieses und die 21. Legion trafen zuerst ein. Die Reichsmaenner hatten wohl davon geredet, die Alpenpaesse zu sperren; aber geschehen war nichts und das ganze oberrheinische Land bis nach Mainz lag offen da. Die beiden Mainzer Legionen hatten zwar dem gallischen Reich geschworen und leisteten anfaenglich Widerstand; aber sowie sie erkannten, dass eine groessere roemische Armee ihnen gegenueberstand, kehrten sie zum Gehorsam zurueck und ihrem Beispiel folgten sofort die Vangionen und die Triboker. Sogar die Lingonen unterwarfen sich ohne Schwertstreich, bloss gegen Zusage milder Behandlung, ihrer 70000 waffenfaehigen Maenner ^9. Fast haetten die Treverer selbst das gleiche getan; doch wurden sie daran durch den Adel verhindert. Die beiden von der niederrheinischen Armee uebriggebliebenen Legionen, die hier standen, hatten auf die erste Kunde von dem Annahen der Roemer die gallischen Insignien von ihren Feldzeichen gerissen und rueckten ab zu den treugebliebenen Mediomatrikern (Metz), wo sie sich der Gnade des neuen Feldherrn unterwarfen. Als Cerialis bei dem Heer eintraf, fand er schon ein gutes Stueck der Arbeit getan. Die Insurgentenfuehrer freilich boten das Aeusserste auf - damals sind auf ihr Geheiss die bei Novaesium ausgelieferten Legionslegaten umgebracht worden -, aber militaerisch waren sie ohnmaechtig und ihr letzter politischer Schachzug, dem roemischen Feldherrn selber die Herrschaft des Gallischen Reiches anzutragen, des Anfangs wuerdig. Nach kurzem Gefecht besetzte Cerialis die Hauptstadt der Treverer, nachdem die Fuehrer und der ganze Rat zu den Germanen gefluechtet waren; das war das Ende des Gallischen Reiches. ---------------------------------------------------- ^9 Frontin strat. 4, 3, 14. In ihrem Gebiet muessen die einrueckenden Truppen eine Reservestellung und ein Depot angelegt haben; nach kuerzlich bei Mirabeau-sur-Beze, 22 Kilometer nordoestlich von Dijon, gefundenen Ziegeln haben Mannschaften von wenigstens fuenf der einrueckenden Legionen hier Bauten ausgefuehrt (Heymes 19, 1884, S. 437). ---------------------------------------------------- Ernster war der Kampf mit den Germanen. Civilis ueberfiel mit seiner gesamten Streitmacht, den Batavern, dem Zuzug der Germanen und den landfluechtigen Scharen der gallischen Insurgenten die viel schwaechere roemische Armee in Trier selbst; schon war das roemische Lager in seiner Gewalt und die Moselbruecke von ihm besetzt, als seine Leute, statt den gewonnenen Sieg zu verfolgen, vorzeitig zu pluendern begannen und Cerialis, seine Unvorsichtigkeit durch glaenzende Tapferkeit wiedergutmachend, den Kampf wiederherstellte und schliesslich die Germanen aus dem Lager und der Stadt hinausschlug. Es gelang nichts mehr von Bedeutung. Die Agrippinenser schlugen sich sofort wieder zu den Roemern und brachten die bei ihnen weilenden Germanen in den Haeusern um; eine ganze dort lagernde germanische Kohorte wurde eingesperrt und in ihrem Quartier verbrannt. Was in der Belgica noch zu den Germanen hielt, brachte die aus Britannien eintreffende Legion zum Gehorsam zurueck; ein Sieg der Cannenefaten ueber die roemischen Schiffe, die die Legion gelandet hatten, andere einzelne Erfolg der tapferen germanischen Haufen und vor allem der zahlreicheren und besser gefuehrten germanischen Schiffe aenderten die allgemeine Kriegslage nicht. Auf den Ruinen von Vetera bot Civilis dem Feind die Stirn; aber dem inzwischen verdoppelten roemischen Heere musste er weichen, dann endlich auch die eigene Heimat nach verzweifelter Gegenwehr dem Feind ueberlassen. Wie immer stellte im Gefolge des Ungluecks die Zwietracht sich ein; Civilis war seiner eigenen Leute nicht mehr sicher und suchte und fand Schutz vor ihnen bei den Feinden. Im Spaetherbst des Jahres 70 war der ungleiche Kampf entschieden; die Auxilien kapitulierten nun ihrerseits vor den Buergerlegionen und die Priesterin Veleda kam als Gefangene nach Rom. Blicken wir zurueck auf diesen Krieg, einen der seltsamsten und einen der entsetzlichsten aller Zeiten, so ist kaum je einer Armee eine gleich schwere Aufgabe gestellt worden wie den beiden roemischen Rheinheeren in den Jahren 69 und 70: im Laufe weniger Monate Soldaten Neros, dann des Se nats, dann Galbas, dann des Vitellius, dann Vespasians; die einzige Stuetze der Herrschaft Italiens ueber die zwei maechtigen Nationen der Gallier und der Germanen, und die Soldaten der Auxilien fast ganz, die der Legionen grossenteils aus eben diesen Nationen genommen; ihrer besten Mannschaften beraubt, meist ohne Loehnung und oft hungernd und ueber alle Massen elend gefuehrt, ist ihnen allerdings innerlich wie aeusserlich Uebermenschliches zugemutet worden. Sie haben die schwere Probe uebel bestanden. Es ist dieser Krieg weniger einer gewesen zwischen zwei Armeekorps, wie die anderen Buergerkriege dieser entsetzlichen Zeit, als ein Krieg der Soldaten und vor allem der Offiziere zweiter Klasse gegen die der ersten, verbunden mit einer gefaehrlichen Insurrektion und Invasion der Germanen und einer beilaeufigen und unbedeutenden Auflehnung einiger keltischer Distrikte. In der roemischen Militaergeschichte sind Cannae und Karrhae und der Teutoburger Wald Ruhmesblaetter, verglichen mit der Doppelschmach von Novaesium; nur wenige einzelne Maenner, keine einzige Truppe hat in der allgemeinen Verunehrung sich reinen Schild bewahrt. Die grauenhafte Zerruettung des Staatsund vor allem des Heerwesens, welche bei dem Untergang der Julisch-Claudischen Dynastie uns entgegentritt, erscheint deutlicher noch als in der fuehrerlosen Schlacht von Betriacum in diesen Vorgaengen am Rhein, derengleichen die Geschichte Roms nie vorher und nie nachher aufweist. Bei dem Umfang und der Allgemeinheit dieser Frevel war ein entsprechendes Strafgericht unmoeglich. Es verdient Anerkennung, dass der neue Herrscher, der gluecklicherweise persoenlich all diesen Vorgaengen fern geblieben war, in echt staatsmaennischer Weise das Vergangene vergangen sein liess und nur bemueht war, der Wiederholung aehnlicher Auftritte vorzubeugen. Dass die hervorragenden Schuldigen, sowohl aus den Reihen der Truppen wie aus den Insurgenten, fuer ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurden, versteht sich von selbst; man mag das Strafgericht daran messen, dass, als fuenf Jahre spaeter einer der gallischen Insurgentenfuehrer in einem Versteck aufgefunden wurde, in dem seine Gattin ihn bis dahin verborgen gehalten hatte, Vespasian ihn wie sie dem Henker uebergab. Aber man gestattete den abtruennigen Legionen, mit gegen die Deutschen zu kaempfen und in den heissen Schlachten bei Trier und bei Vetera ihre Schuld einigermassen zu suehnen. Allerdings wurden nichtsdestoweniger die vier Legionen des unterrheinischen Heeres alle, und von den beiden beteiligten oberrheinischen die eine kassiert - gern moechte man glauben, dass die 22. verschont ward in ehrender Erinnerung an ihren tapferen Legaten. Auch von den batavischen Kohorten ist wahrscheinlich eine betraechtliche Anzahl von dem gleichen Schicksal betroffen worden, nicht minder, wie es scheint, das Reiterregiment der Treverer und vielleicht noch manche andere besonders hervorgetretene Truppe. Noch viel weniger als gegen die abtruennigen Soldaten konnte gegen die insurgierten keltischen und germanischen Gaue mit der vollen Schaerfe des Gesetzes eingeschritten werden; dass die roemischen Legionen die Schleifung der treverischen Augustuskolonie forderten, diesmal nicht der Beute, sondern der Rache wegen, ist wenigstens ebenso begreiflich wie die von den Germanen begehrte Zerstoerung der Ubierstadt; aber wie Civilis diese, so schuetzte jene Vespasian. Selbst den linksrheinischen Germanen wurde ihre bisherige Stellung im ganzen gelassen. Wahrscheinlich aber trat - wir sind hier ohne sichere Ueberlieferung - in der Aushebung und der Verwendung der Auxilien eine wesentliche Aenderung ein, welche die in dem Auxilienwesen liegende Gefahr minderte. Den Batavern blieb die Steuerfreiheit und ein immer noch bevorzugtes Dienstverhaeltnis; hatte doch ein nicht ganz geringer Teil derselben die Sache der Roemer mit den Waffen verfochten. Aber die batavischen Truppen wurden betraechtlich verringert, und wenn ihnen bisher, wie es scheint von Rechts wegen, die Offiziere aus dem eigenen Adel gesetzt worden waren, und auch gegenueber den sonstigen germanischen und keltischen das gleiche wenigstens haeufig geschehen war, so werden die Offiziere der Alen und Kohorten spaeterhin ueberwiegend aus dem Stande genommen, dem Vespasian selber entstammte, aus dem guten staedtischen Mittelstand Italiens und der italisch geordneten Provinzialstaedte. Offiziere von der Stellung des Cheruskers Arminius, des Batavers Civilis, des Treverers Classicus begegnen seitdem nicht wieder. Die bisherige Geschlossenheit der aus dem gleichen Gau ausgehobenen Truppen findet sich spaeter ebensowenig, sondern die Leute dienen ohne Unterschied ihrer Herkunft in den verschiedensten Abteilungen; es ist das wahrscheinlich eine Lehre, welche die roemische Militaerverwaltung sich aus diesem Kriege gezogen hat. Eine andere durch diesen Krieg gewiesene Aenderung wird es sein, dass, wenn bis dahin die in Germanien verwendeten Auxilien der Mehrzahl nach aus den germanischen und den benachbarten Gauen genommen waren, seitdem eben, wie die dalmatischen und pannonischen infolge des Batonischen Krieges, fortan auch die germanischen Auxiliartruppen ueberwiegend ausserhalb ihrer Heimat Verwendung fanden. Vespasian war ein einsichtiger und erfahrener Militaer; es ist wahrscheinlich zum guten Teil sein Verdienst, wenn von Auflehnung der Auxilien gegen ihre Legionen kein spaeteres Beispiel begegnet. Dass die eben berichtete Insurrektion der linksrheinischen Germanen, obwohl sie, infolge der zufaelligen Vollstaendigkeit der darueber erhaltenen Berichte, allein uns einen deutlichen Einblick in die politischen und militaerischen Verhaeltnisse am Unterrhein und Galliens ueberhaupt gewaehrt und darum auch eine ausfuehrliche Erzaehlung verdiente, dennoch mehr durch aeussere und zufaellige Ursachen als durch die innere Notwendigkeit der Dinge hervorgerufen wurden, beweist die nun folgende, anscheinend vollstaendige Ruhe daselbst und der, soviel wir sehen, ununterbrochene Status quo eben in dieser Gegend. Die roemischen Germanen sind in dem Reiche nicht minder vollstaendig aufgegangen als die roemischen Gallier; von Insurrektionsversuchen jener ist nie wieder die Rede. Am Ausgang des dritten Jahrhunderts wird von den ueber den Unterrhein in Gallien einbrechenden Franken auch das batavische Gebiet mit erfasst; doch haben sich die Bataver in ihren alten, wenn auch geschmaelerten Sitzen und ebenso die Friesen selbst waehrend der Wirren der Voelkerwanderung behauptet und, soviel wir wissen, auch dem baufaelligen Reichsganzen die Treue bewahrt. Wenden wir uns von den roemischen zu den freien Germanen oestlich vom Rhein, so ist fuer diese mit ihrer Beteiligung an jener batavischen Insurrektion das offensive Vorgehen nicht minder vorbei, wie mit den Expeditionen des Germanicus die Versuche der Roemer zu Ende sind, eine Grenzveraenderung im grossen Stil in diesen Gebieten herbeizufuehren. Unter den freien Germanen sind die dem roemischen Gebiet naechstwohnenden die Bructerer an beiden Ufern der mittleren Ems und in dem Quellgebiet der Ems und der Lippe, weshalb sie auch vor allen uebrigen Germanen sich an der batavischen Insurrektion beteiligten. Aus ihrem Gau war das Maedchen Veleda, die ihre Landsleute in den Krieg gegen Rom entsandte und ihnen den Sieg verhiess, deren Ausspruch ueber das Schicksal der Ubierstadt entschied, zu deren hohem Turm die gefangenen Senatoren und das erbeutete Admiralschiff der Rheinflotte gesendet wurden. Die Niederwerfung der Bataver traf auch sie, vielleicht noch ein besonderer Gegenschlag der Roemer, da jene Jungfrau spaeterhin gefangen nach Rom gefuehrt ward. Diese Katastrophe sowie Fehden mit den benachbarten Voelkern brachen ihre Macht; unter Nerva ist ihnen ein Koenig, den sie nicht wollten, von ihren Nachbarn unter passiver Assistenz des roemischen Legaten mit den Waffen aufgezwungen worden. Die Cherusker im oberen Wesergebiet, zu Augustus’ und Tiberius’ Zeit der fuehrende Gau in Mitteldeutschland, werden seit Armins Tode selten genannt, immer aber als in guten Beziehungen zu den Roemern stehend. Als der Buergerkrieg, der bei ihnen auch nach Arminius’ Fall weiter gewuetet haben muss, ihr ganzes Fuerstengeschlecht hingerafft, erbaten sie sich den letzten des Hauses, den in Italien lebenden Brudersohn Armins, Italicus, von der roemischen Regierung zum Herrscher; freilich entzuendete die Heimkehr des tapferen, aber mehr seinem Namen als seiner Herkunft entsprechenden Mannes die Fehde abermals und, von den Seinen vertrieben, setzten ihn noch einmal die Langobarden auf den wankenden Herrschersitz. Einer seiner Nachfolger, der Koenig Chariomerus, ergriff in dem Chattenkrieg Domitians so ernstlich fuer die Roemer Partei, dass er nach dessen Beendigung, von den Chatten vertrieben, zu den Roemern fluechtete und deren Intervention, freilich vergebens, anrief. Durch diese ewigen inneren und aeusseren Fehden ward das Cheruskervolk so geschwaecht, dass es seitdem aus der aktiven Politik verschwindet. Der Name der Marser wird seit den Zuegen des Germanicus ueberhaupt nicht mehr gefunden. Dass die weiter oestlich an der Elbe wohnenden Voelkerschaften, wie alle entfernteren Germanen, an den Kaempfen der Bataver und ihrer Genossen in den Jahren 69 und 70 sich so wenig beteiligt haben wie diese an den germanischen Kriegen unter Augustus und Tiberius, darf bei der Ausfuehrlichkeit des Berichtes als sicher bezeichnet werden. Wo sie spaeterhin einmal begegnen, erscheinen sie nie in feindlicher Haltung gegen die Roemer. Dass die Langobarden den roemischen Cheruskerkoenig wieder einsetzten, wurde schon erwaehnt. Der Koenig der Semnonen, Masuus, und merkwuerdigerweise mit ihm die Prophetin Ganna, welche bei diesem, wegen besonderer Glaeubigkeit beruehmten Stamme in hohem Ansehen stand, besuchten den Kaiser Domitianus in Rom und wurden an dessen Hofe freundlich aufgenommen. Es mag in den Gegenden von der Weser bis zur Elbe in diesen Jahrhunderten manche Fehde getobt, manche Machtstellung sich verschoben, mancher Gau den Namen gewechselt oder sich anderer Verbindung eingefuegt haben; den Roemern gegenueber trat, nachdem der feste Verzicht derselben auf Unterwerfung dieser Landschaft allgemein empfunden ward, ein dauernder Grenzfriede ein. Auch Invasionen aus dem fernen Osten koennen denselben in dieser Epoche nicht wesentlich gestoert haben; denn der Rueckschlag davon auf die roemische Grenzwacht haette nicht ausbleiben koennen und von ernsteren Krisen auf diesem Gebiet wuerde die Kunde nicht fehlen. Zu allem diesem gibt das Siegel die Reduktion der niederrheinischen Armee auf die Haelfte des frueheren Bestandes, welche, wir wissen nicht genau wann, aber in dieser Epoche eingetreten ist. Das niederrheinische Heer, mit welchem Vespasian zu kaempfen hatte, zaehlte vier Legionen, das der traianischen Zeit vermutlich die gleiche Zahl, mindestens drei ^10; wahrscheinlich schon unter Hadrian, gewiss unter Marcus, standen daselbst nicht mehr als zwei, die 1. minervische und die 30. Traians. ----------------------------------------------- ^10 Unter dem Legaten Q. Acutius Nerva, welcher wahrscheinlich der Konsul des Jahres 100 ist, also nach diesem Jahre Untergermanien verwaltete, standen nach Inschriften von Brohl (Brambach 660, 662, 679, 680) in dieser Provinz vier Legionen, die 1. Minervia, 6. victrix, 10. gemina, 22. primigenia. Da jede dieser Inschriften nur zwei oder drei nennt, so kann die Besatzung damals nur aus drei Legionen bestanden haben, wenn waehrend Acutius’ Statthalterschaft die 1. Minervia fuer die anderswohin abgegebene 22. primigenia eintrat. Aber bei weitem wahrscheinlicher ist es, da bei den Detachierungen in die Steinbrueche bei Brohl nicht immer alle Legionen beteiligt waren, dass jene vier Legionen gleichzeitig in Untergermanien garnisonierten. Diese vier Legionen sind wahrscheinlich eben die, welche bei der Reorganisation der germanischen Heere durch Vespasian nach Untergermanien kamen, nur dass die 1. Minervia von Domitian an die Stelle der wahrscheinlich von ihm aufgeloesten 21. gesetzt ist. ----------------------------------------------- In anderer Weise entwickelten sich die germanischen Verhaeltnisse in der oberen Provinz. Von den linksrheinischen Germanen, die dieser angehoerten, den Tribokern, Nemetern, Vangionen, ist geschichtlich nichts hervorzuheben als dass sie, seit langem unter den Kelten ansaessig, die Schicksale Galliens teilten. Die hauptsaechliche Verteidigungslinie der Roemer ist auch hier der Rhein immer geblieben. Alle Standlager der Legionen finden sich zu aller Zeit auf dem linken Rheinufer; nicht einmal das von Argentoratum ist auf das rechte verlegt worden, als das ganze Neckargebiet roemisch war. Aber wenn in der unteren Provinz die roemische Herrschaft auf dem rechten Rheinufer im Laufe der Zeit beschraenkt wird, so wird sie umgekehrt hier erweitert. Die von Augustus beabsichtigte Verknuepfung der Rheinlager mit denen an der Donau durch Vorschiebung der Reichsgrenze in oestlicher Richtung, welche, wenn sie zur Ausfuehrung gekommen waere, mehr Oberals Untergermanien erweitert haben wuerde, ist in diesem Kommando wohl niemals voellig aufgegeben und spaeterhin, wenn auch in bescheidenerem Massstabe, wieder aufgenommen worden. Die Ueberlieferung gestattet uns nicht, die in diesem Sinne durch Jahrhunderte fortgefuehrten Operationen, die dazu gehoerigen Strassenund Wallbauten, die deshalb gefuehrten Kriege in ihrem Zusammenhang darzulegen; und auch der noch vorhandene grosse Militaerbau, dessen gleichfalls Jahrhunderte umfassende Entstehung einen guten Teil jener Geschichte in sich schliessen muss, ist bisher nicht so, wie es wohl geschehen koennte, von militaerisch geschaerften Augen in seiner Gesamtheit untersucht worden - die Hoffnung, dass das geeinigte Deutschland sich auch zu der Erforschung dieses seines aeltesten geschichtlichen Gesamtdenkmals vereinigen werde, ist fehlgeschlagen. Was zur Zeit aus den Truemmern der roemischen Annalen oder der roemischen Kastelle darueber ans Licht gekommen ist, soll hier versucht werden zusammenzufassen. Auf dem rechten Ufer legt sich, nicht weit von dem noerdlichen Ende der Provinz, dem ebenen oder huegeligen niederrheinischen Land in westoestlicher Richtung die Taunuskette vor, die gegenueber Bingen auf den Rhein stoesst. Diesem Bergzug parallel, auf der anderen Seite abgeschlossen durch die Auslaeufer des Odenwaldes, erstreckt sich die Ebene des unteren Maintales, der rechte Zugang zum inneren Deutschland, beherrscht von der Schluesselstellung an der Muendung des Mains in den Rhein, Mogontiacum oder Mainz, seit Drusus’ Zeit bis zum Ausgang Roms der Ausfallsburg der Roemer aus Gallien gegen Germanien ^11 wie heutzutage dem rechten Riegel Deutschlands gegen Frankreich. Hier behielten die Roemer, auch nachdem sie auf die Herrschaft im ueberrheinischen Land im allgemeinen verzichtet hatten, nicht bloss den Brueckenkopf am anderen Ufer, das castellum Mogontiacense (Kastel), sondern jene Mainebene selbst in ihrem Besitz; und in diesem Gebiet durfte auch die roemische Zivilisation sich festsetzen. Es war dies urspruenglich chattisches Land und ein chattischer Stamm, die Mattiaker, sind auch unter roemischer Herrschaft hier ansaessig geblieben; aber nachdem die Chatten diesen Distrikt an Drusus hatten abtreten muessen, ist derselbe ein Teil des Reiches geblieben. Die warmen Quellen in der naechsten Naehe von Mainz (aquae Mattiacae, Wiesbaden) wurden erweislich in Vespasians Zeit, und sicher schon lange vorher, von den Roemern benutzt; unter Claudius wurde hier auf Silber gebaut; die Mattiaker haben schon frueh wie andere Untertanendistrikte Truppen zur Armee gestellt. An der allgemeinen Auflehnung der Germanen unter Civilis nahmen sie Anteil; aber nach der Besiegung stellten die frueheren Verhaeltnisse sich wieder her. Seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts finden wir die Gemeinde der taunensischen Mattiaker unter roemisch geordneten Behoerden ^12. ---------------------------------------------- ^11 Nach Zangemeisters (Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift 3, 1884, S. 307ff.) schoenen Entzifferungen steht es fest, dass eine Militaerstrasse am linken Rheinufer von Mainz bis an die Grenze der obergermanischen Provinz schon unter Claudius angelegt ward. ^12 Der volle Name c(ivitas) M(attiacorum) Ta(unensium) erscheint auf der Inschrift von Kastel (Brambach 1330); als civitas Mattiacorum oder civitas Taunensium kommt sie oefter vor, mit Duovirn Aedilen, Decurionen, Sacerdotalen Sevirn; eigentuemlich und fuer die Grenzstadt bezeichnend sind die wahrscheinlich als Munizipalmiliz zu fassenden hastiferi civitatis Mattiacorum (Brambach 1336). Das aelteste datierte Dokument dieser Gemeinde ist vom Jahre 198 (Brambach 956). ---------------------------------------------- Die Chatten, obwohl also vom Rhein abgedraengt, erscheinen in der folgenden Zeit als der maechtigste Stamm unter denen des germanischen Binnenlandes, die mit den Roemern in Beziehung kamen; die Fuehrung, die unter Augustur und Tiberius die Cherusker an der mittleren Weser gehabt hatten, ging in der stetigen Fehde mit diesen, ihren stammverwandten suedlichen Nachbarn auf die letzteren ueber. Alle Kriege zwischen Roemern und Germanen, von denen wir aus der Zeit nach Arminius’ Tod bis auf die beginnende Voelkerverschiebung am Ende des 3. Jahrhunderts Kunde haben, sind gegen die Chatten gefuehrt worden; so im Jahre 41 unter Claudius durch den spaeteren Kaiser Galba, im Jahre 50 unter demselben Kaiser durch den als Dichter gefeierten Publius Pomponius Secundus. Dies waren die ueblichen Grenzeinfaelle, und an dem grossen Batavischen Kriege waren die Chatten zwar auch, aber nur nebenbei beteiligt. Aber in dem Feldzug, den der Kaiser Domitianus im Jahre 83 unternahm, waren die Roemer die Angreifenden, und dieser Krieg fuehrte zwar nicht zu glaenzenden Siegen, aber wohl zu einer bedeutenden und folgenreichen Vorschiebung der roemischen Grenze ^13. Damals wird die Grenzlinie so, wie wir sie seitdem gezogen finden, geordnet und in dieselbe, welche in ihrem noerdlichsten Stueck sich nicht weit vom Rhein entfernte, hier ein grosser Teil des Taunus und das Maingebiet bis oberhalb Friedberg hineingezogen worden sein. Die Usiper, die nach ihrer schon berichteten Vertreibung aus dem Lippegebiet um die Zeit Vespasians in der Naehe von Mainz auftreten und oestlich von den Mattiakern an der Kinzig oder im Fuldischen neue Sitze gefunden haben moegen, sind damals zum Reiche gezogen worden, und zugleich mit ihnen eine Anzahl kleinerer, von den Chatten abgesprengter Voelkerschaften. Als dann im Jahre 88 unter dem Statthalter Lucius Antonius Saturninus das obergermanische Heer gegen Domitian sich erhob, haette fast der Krieg sich erneuert; die abgefallenen Truppen machten gemeinschaftliche Sache mit den Chatten ^14 und nur die Unterbrechung der Kommunikationen, indem das Eis auf dem Rhein aufging, machte den treu gebliebenen Regimentern moeglich, mit den abgefallenen fertigzuwerden, bevor der gefaehrliche Zuzug eintraf. Es wird berichtet, dass die roemische Herrschaft von Mainz landeinwaerts 80 Leugen weit, also noch ueber Fulda hinaus, sich erstreckt hat ^15; und diese Nachricht erscheint glaubwuerdig, wenn dabei in Betracht gezogen wird, dass die militaerische Grenzlinie, die allerdings nicht weit ueber Friedberg hinausgegangen zu sein scheint, sich wohl auch hier innerhalb der Gebietsgrenze hielt. ^13 Die Berichte ueber diesen Krieg sind verloren gegangen; Zeit und Ort lassen sich bestimmen. Da die Muenzen dem Domitian den Titel Germanicus seit dem Anfang des Jahres 84 geben (Eckhel, Bd. 6, S. 378, 397), so faellt der Feldzug in das Jahr 83. Dazu stimmt die in eben dieses Jahr fallende Aushebung der Usiper und ihr verzweifelter Fluchtversuch (Tac. Agr. 28; vgl. Matt. 6, 60). Es war ein Angriffskrieg (Suet. Dom. 6: expeditio sponte suscepta; Zon. 11, 19: le plt/e/as tina t/o/n peran R/e/noy t/o/n espond/o/n}). Die Verlegung der Postenlinie bezeugt Frontmus, der den Krieg mitgemacht hat (strat. 2, 11, 7): cum in finibus Cubiorum (Name unbekannt und wohl verdorben) castella poneret und (strat. 1, 3, 10): limitibus per CXX m. p. actis, was hier mit den militaerischen Operationen in unmittelbare Verbindung gebracht wird, daher auch von dem Chattenkrieg selbst nicht getrennt und nicht auf die laengst in roemischer Gewalt stehenden agri decumates bezogen werden darf. Auch ist das Mass von 177 Kilometern wohl denkbar fuer die Militaerlinie, die Domitian am Taunus angelegt hat (nach v. Cohausens Ansetzungen - Der roemische Grenzwall in Deutschland. Wiesbaden 1884, S. 8 - stellt sich der spaetere Limes vom Rhein um den Taunus herum bis zum Main auf 237« Kilometer), aber viel zu klein, um auf die Verbindungslinie von da bis Regensburg bezogen werden zu koennen. ---------------------------------------------- ^14 Die Germanen (Suet. Dom. 6) koennen nur die Chatten und deren fruehere Verbuendete sein, vielleicht zunaechst eben die Usiper und ihre Schicksalsgenossen. Ausgebrochen ist der Aufstand in Mainz, das allein ein Doppellager zweier Legionen war. Saturninus wurde von Raetien aus angegriffen durch die Truppen des L. Appius Maximus Korbanus. Denn anders kann das Epigramm Martials 9, 84 um so weniger gefasst werden, als sein Besiegen senatorischen Standes wie er war, ein regulaeres Kommando in Raetien und Vindelicien nicht verwalten und nur durch einen Kriegsfall in diese Landschaft gefuehrt werden konnte, wie denn auch die sacrilegi furores deutlich auf den Aufstand weisen. Die Ziegel desselben Appius, die in den Provinzen Obergermanien und Aquitanien sich gefunden haben, berechtigen nicht, ihn zum Legaten der Lugdunensis zu machen, wie Asbach (Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift 3, 1884, S. 9) vorschlaegt, sondern muessen auf die Epoche nach der Ueberwindung des Antonius bezogen werden (Heymes 19, 1884, S. 438). Wo die Schlacht geliefert ward, bleibt zweifelhaft; am naechsten liegt die Gegend von Vindonissa, bis wohin Saturninus dem Norbanus entgegen gegangen sein kann. Waere Norbanus erst bei Mainz auf die Aufstaendischen gestossen, was an sich auch denkbar erscheint, so hatten diese den Rheinuebergang in der Gewalt und konnte der Zuzug der Germanen durch das Aufgehen des Rheines nicht verhindert werden. ^15 Die abgerissene Notiz findet sich hinter dem Veroneser Provinzialverzeichnis (Notitia dignitatum, ed. Seeck, p. 253): nomina civitatum trans Renum fluvium quae sunt: Usiphorum (schr. Usiporum) - Tuvanium (schr. Tubantum) - Nictrensium - Novarii - Casuariorum: istae omnes civitates trans Renum in formulam Belgicae primae redactae trans castellum .Montiacese: nam LXXX leugas trans Renum Romani possederunt. Istae civitates sub Gallieno imperatore a barbaris occupatae sunt. Dass die Usiper spaeter in dieser Gegend gewohnt haben, bestaetigt Tacitus (hist. 4, 37; Germ. 32); dass sie im Jahre 83 zum Reich gehoert haben, vielleicht aber erst kurz vorher unterworfen waren, geht aus der Erzaehlung Agr. 28 hervor. Die Tubanten und Chasuarier stellt Ptolemaeos (geogr. 2, 11, 11) in die Naehe der Chatten; dass sie das Schicksal der Usiper teilten, ist demnach wahrscheinlich. Eine sichere Identifikation der anderen beiden verdorbenen Namen ist bisher nicht gefunden; vielleicht standen die Tencterer hier oder einige der kleinen, nur bei Ptolemaeos (geogr. 2, 11, 6) mit diesen genannten Staemme. Die Notiz nannte in ihrer urspruenglichen Form die Belgica schlechthin, da die Provinz erst durch Diocletian geteilt worden ist, und diese insofern mit Recht, als die beiden Germanien geographisch zu Belgica gehoerten. Das angegebene Mass fuehrt, wenn man das Kinzigtal nach Nordosten verfolgt, ueber Fulda hinaus nahezu bis Hersfeld. Auch Inschriftenfunde reichen hier oestlich weit ueber den Rhein hinaus, bis in die Wetterau; Friedberg und Butzbach waren stark belegte Militaerpositionen; in Altenstadt zwischen Friedberg und Buedingen ist eine auf Grenzschutz deutende (collegium iuventutis) Inschrift vom Jahre 242 (CIRh 1410) gefunden worden. --------------------------------------- Aber nicht bloss das untere Maintal vorwaerts Mainz ist in die militaerische Grenzlinie hineingezogen worden; auch im suedwestlichen Deutschland wurde die Grenze noch in groesserem Massstab vorgeschoben. Das Neckargebiet, einst von den keltischen Helvetiern eingenommen, dann lange Zeit streitiges Grenzland zwischen diesen und den vordringenden Germanen und darum das helvetische Oedland genannt, spaeterhin vielleicht teilweise von den Markomannen besetzt, bevor diese nach Boehmen zurueckwichen, kam bei der Regulierung der germanischen Grenzen nach der Varusschlacht in die gleiche Verfassung wie der groesste Teil des rechten unterrheinischen Ufers. Es wird auch hier schon damals eine Grenzlinie bezeichnet worden sein, innerhalb deren germanische Ansiedlungen nicht geduldet wurden. Wie auf nicht eingedeichter Marsch liessen dann einzelne, meist gallische Einwanderer, die nicht viel zu verlieren hatten, in diesen fruchtbaren, aber wenig geschuetzten Strichen, dem damals sogenannten Dekumatenland sich nieder ^16. Dieser vermutlich von der Regierung nur geduldeten privaten Okkupation folgte die foermliche Besetzung wahrscheinlich unter Vespasian. Da schon um das Jahr 74 von Strassburg aus eine Chaussee auf das rechte Rheinufer wenigstens bis nach Offenburg gefuehrt worden ist ^17, so wird um diese Zeit in diesem Gebiet ein ernstlicherer Grenzschutz eingerichtet worden sein, als ihn das blosse Verbot germanischer Siedelung gewaehrte. Was der Vater begonnen hatte, fuehrten die Soehne durch. Vielleicht ist sogar, sei es von Vespasian, sei es von Titus oder Domitian, durch die Anlegung der "Flavischen Altaere" ^18 an der Neckarquelle bei dem heutigen Rottweil, von welcher Ansiedlung wir freilich nichts als den Namen kennen, fuer das rechtsrheinische neue Obergermanien ein aehnlicher Mittelpunkt geschaffen worden, wie es frueher der ubische Altar fuer Grossgermanien hatte werden sollen und bald nachher fuer das neu eroberte Dakien der Altar von Sarmizegetusa wurde. Die erste Einrichtung der weiterhin zu schildernden Grenzwehr, durch welche das Neckartal in die roemische Linie hineingezogen wurde, ist also das Werk der Flavier, hauptsaechlich wohl Domitians ^19, welcher damit die Anlage am Taunus weiterfuehrte. Die rechtsrheinische Militaerstrasse von Mogontiacum ueber Heidelberg und Baden in der Richtung auf Offenburg, die notwendige Konsequenz dieser Einziehung des Neckargebiets, ist, wie wir jetzt wissen ^20, im Jahre 100 von Traian angelegt und ein Teil der von demselben Kaiser hergestellten direkteren Verbindung Galliens mit der Donaulinie. Die Soldaten sind bei diesen Werken taetig gewesen, aber schwerlich die Waffen; germanische Voelkerschaften wohnten im Neckargebiet nicht, und noch weniger kann der schmale Streifen am linken Ufer der Donau, welcher dadurch mit in die Grenzlinie gezogen ward, ernstliche Kaempfe gekostet haben. Das naechste namhafte germanische Volk daselbst, die Hermunduren, waren den Roemern freundlich gesinnt wie kein anderes und fuehrten in der Vindelikerstadt Augusta mit ihnen lebhaften Handelsverkehr; dass bei ihnen diese Vorschiebung keinen Widerstand gefunden hat, davon werden wir weiterhin die Spuren finden. Unter den folgenden Regierungen, des Hadrian, des Pius, des Marcus, ist dann an diesen militaerischen Einrichtungen weitergebaut worden. ---------------------------------------- ^16 Was die nur bei Tacitus (Germ. 29) vorkommende Benennung agri decumates denn mit agri wird das letztere Wort doch zu verbinden sein) bedeutet, ist ungewiss; moeglich ist es, dass das in der frueheren Kaiserzeit gewiss als Eigentum des Staats oder vielmehr des Kaisers betrachtete Gebiet, wie der alte ager occupatorius der Republik, von dem zuerst Besitz Ergreifenden gegen Abgabe des Zehnten benutzt werden konnte; aber weder ist es sprachlich erwiesen, dass decumas "zehntpflichtig" heissen kann, noch kennen wir derartige Einrichtungen der Kaiserzeit. Uebrigens sollte man nicht uebersehen, dass die Schilderung des Tacitus sich auf die Zeit vor der Einrichtung der Neckarlinie bezieht; auf die spaetere passt sie so wenig wie die zwar nicht klare, aber doch sicher mit dem frueheren Rechtsverhaeltnis zusammenhaengende Benennung. ^17 Dies hat Zangemeister (a. a.O., S. 246) erwiesen. ^18 Dass hier mehrere Altaere dediziert wurden, waehrend sonst bei diesen Zentralheiligtuemern nur einer genannt wird, erklaert sich vielleicht durch das Zuruecktreten des Romakults neben dem der Kaiser. Wenn gleich zu Anfang mehrere Altaere errichtet wurden, was wahrscheinlich ist, so hat einer der Soehne sowohl dem oder den verstorbenen flavischen Kaisern wie auch seinem eigenen Genius Altaere setzen lassen. ^19 Dass die Verlegung stattfand, kurz bevor Tacitus im Jahre 98 die ’Germania’ schrieb, sagt er, und dass Domitian der Urheber ist, folgt auch daraus, dass er den Urheber nicht nennt. ^20 Auch dies hat Karl Zangemeister (a.a.O., S. 237f.) urkundlich festgestellt. ---------------------------------------- Den Grenzschutz zwischen Rhein und Donau, wie er zum grossen Teil in seinen Fundamenten noch heute besteht, vermoegen wir nicht in seiner Entstehungsgeschichte zu verfolgen, wohl aber zu erkennen nicht bloss, wie er lief, sondern auch, wozu er diente. Die Anlage ist nach Art und Zweck eine andere in Obergermanien und eine andere in Raetien. Der obergermanische Grenzschutz, in der Gesamtlaenge von etwa 250 roemischen Milien (368 Kilometer) ^21, beginnt unmittelbar an der Nordgrenze der Provinz, umfasst, wie schon gesagt ward, den Taunus und die Mainebene bis in die Gegend von Friedberg und wendet sich von da suedwaerts dem Main zu, auf welchen er bei Grosskrotzenburg, oberhalb Hanau, trifft. Dem Main von da bis Woerth folgend, schlaegt er hier die Richtung nach dem Neckar ein, den er etwas unterhalb Wimpfen erreicht und nicht wieder verlaesst. Spaeter ist der suedlichen Haelfte dieser Grenzlinie eine zweite vorgelegt worden, die dem Main ueber Woerth hinaus bis nach Miltenberg folgt und von da, zum groesseren Teil in schnurgerader Richtung, auf Lorch, zwischen Stuttgart und Aalen, gefuehrt ist. Hier schliesst an den obergermanischen der raetische Grenzschutz an von nur 120 Milien (174 Kilometer) Laenge; er verlaesst die Donau bei Kelheim, oberhalb Regensburg, und laeuft von da, zweimal die Altmuehl ueberschreitend, im Bogen nach Westen zu, ebenfalls bis Lorch. ---------------------------------------------- ^21 Dies Mass gilt fuer die Kastellinie von Rheinbrohl bis Lorch (v. Cohausen, Der roemische Grenzwall, S. 7f.). Fuer den Erdwall kommt die Mainstrecke von Miltenberg bis Grosskrotzenburg von etwa 30 roemischen Milien in Abzug. Bei der aelteren Neckarlinie ist der Erdwall betraechtlich kuerzer, da statt desjenigen von Miltenberg bis Lorch hier der viel kuerzere des Odenwaldes von Woerth bis Wimpfen ein tritt. ---------------------------------------------- Der obergermanische Limes besteht aus einer Reihe von Kastellen, die hoechstens einen halben Tagemarsch (15 Kilometer) voneinander entfernt sind. Wo die Verbindungslinien zwischen den Kastellen nicht durch den Main oder den Neckar, wie angegeben, gesperrt sind, ist eine kuenstliche Sperrung angebracht, anfangs vielleicht bloss durch Verhaue ^22, spaeterhin durch einen fortlaufenden Wall von maessiger Hoehe mit aussen vorgelegtem Graben und in kurzen Entfernungen auf der inneren Seite eingebauten Wachttuermen. ^23 Die Kastelle sind in den Wall nicht eingezogen, aber unmittelbar hinter ihm angelegt, nicht leicht ueber einen halben Kilometer von ihm entfernt. ------------------------------------------- ^22 Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, die Angabe, dass Hadrian die Reichsgrenzstrassen durch Verhaue gegen die Barbaren sperrte, mit und vielleicht zunaechst auf die obergermanische sich bezieht, so ist der Wall, dessen Reste vorhanden sind, sein Werk nicht; mag dieser Pallisaden getragen haben oder nicht, kein Bericht wuerde diese erwaehnen und den Wallbau uebergehen. Dass Hadrian die Grenzverteidigung im ganzen Reiche revidierte, sagt Dio 69, 9. Die Benennung des Pfahls oder Pfahlgrabens kann nicht roemisch sein; roemisch heissen die Pfaehle, welche, in den Lagerwall eingerammt, auf demselben eine Pallisadenkette bilden, nicht pali, sondern valli oder sudes, ebenso der Wall selbst nie anders als vallum. Wenn die, wie es scheint, auf der ganzen Linie bei den Germanen dafuer von jeher uebliche Bezeichnung wirklich von den Pallisaden entlehnt ist, so muss sie germanischen Ursprungs sein und kann nur aus der Zeit herstammen, wo dieser Wall ihnen in seiner Integritaet und seiner Bedeutung vor Augen stand. Ob die "Gegend" Palas, die Ammian (18, 2, 15) erwaehnt, damit zusammenhaengt, ist zweifelhaft. ^23 In einem solchen, kuerzlich zwischen den Kastellen von Schlossau und Hesselbach, 1700 Meter von dem ersteren, vier bis fuenf Kilometer von dem letzteren, aufgedeckten hat sich eine Weihinschrift (Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift, 1. Juli 1884) gefunden, welche die Truppe, die ihn erbaut hat, ein Detachement der 1. Kohorte der Sequaner und Rauriker unter Kommando eines Centurionen der 22. Legion, gesetzt hat als Danksagung ob burgum explic(itum). Diese Tuerme also waren burgi. ------------------------------------------- Der raetische Grenzschutz ist eine blosse, durch Aufschuettung von Bruchsteinen bewirkte Sperrung; Graben und Wachttuerme fehlen und die hinter dem Limes ohne regelrechte Folge und in ungleichen Abstaenden (keines naeher als 4 bis 5 Kilometer) angelegten Kastelle stehen mit der Sperrlinie in keiner unmittelbaren Verbindung. Ueber die zeitliche Folge der Anlagen fehlen bestimmte Zeugnisse; erwiesen ist, dass die obergermanische Neckarlinie unter Pius ^24, die ihr vorgelegte von Miltenberg nach Lorch unter Marcus ^25 bestand. Gemeinschaftlich ist beiden sonst so verschiedenen Anlagen die Grenzsperrung; dass in dem einen Fall die Erdaufschuettung vorgezogen ist, durch welche der Graben sich meistens von selber ergab, in dem andern die Steinschichtung, beruht wahrscheinlich nur auf der Verschiedenartigkeit des Bodens und des Baumaterials. Gemeinschaftlich ist ihnen ferner, dass weder die eine noch die andere angelegt ist zur Gesamtverteidigung der Grenze. Nicht bloss ist das Hindernis, welches die Erdoder Steinschuettung dem Angreifer entgegenstellt, an sich geringfuegig, sondern es begegnen auf der Linie ueberall ueberhoehende Stellungen, hinterliegende Suempfe, Verzicht auf den Ausblick in das Vorland und aehnliche deutliche Spuren davon, dass bei deren Trassierung an Kriegszwecke ueberhaupt nicht gedacht ist. Die Kastelle sind natuerlich jedes fuer sich zur Verteidigung eingerichtet, aber sie sind nicht durch chaussierte Querstrassen verbunden; also stuetzte die einzelne Besatzung sich nicht auf die der benachbarten Kastelle, sondern auf den Rueckhalt, zu welchem die Strasse fuehrte, welche eine jede besetzt hielt. Es waren ferner diese Besatzungen nicht eingefuegt in ein militaerisches System der Grenzverteidigung, mehr befestigte Stellungen fuer den Notfall als strategisch gewaehlte fuer die Okkupation des Gebiets, wie denn auch schon die Ausdehnung der Linie selbst, verglichen mit der disponiblen Truppenzahl, die Moeglichkeit einer Gesamtverteidigung ausschliesst. ^26 Also haben diese ausgedehnten militaerischen Anlagen nicht den Zweck gehabt, wie der Britannische Wall, dem Feinde den Einbruch zu wehren. Es sollten vielmehr, wie an den Flussgrenzen die Bruecken, so an den Landgrenzen die Strassen durch die Kastelle beherrscht werden, im uebrigen aber, wie an den Wassergrenzen der Fluss, so an den Landgrenzen der Wall die nicht kontrollierte Ueberschreitung der Grenzen hindern. Anderweitige Benutzung mochte sich damit verbinden; die oft hervortretende Bevorzugung der geradlinigen Richtung deutet auf Verwendung fuer Signale, und gelegentlich mag die Anlage auch geradezu fuer Kriegszwecke benutzt worden sein. Aber der eigentliche und naechste Zweck der Anlage war die Verhinderung der Grenzueberschreitung. Dass dabei nicht an der raetischen, wohl aber an der obergermanischen Grenze Wachtposten und Forts eingerichtet worden sind, erklaert sich aus dem verschiedenen Verhaeltnis zu den Nachbarn, dort den Hermunduren, hier den Chatten. Die Roemer standen in Obergermanien ihren Nachbarn nicht so gegenueber wie den britannischen Hochlaendern, gegen die die Provinz sich stets im Belagerungsstand befand; aber die Abwehr raeuberischer Einbrecher sowie die Erhebung der Grenzzoelle forderten doch bereite und nahe militaerische Hilfe. Man konnte die obergermanische Armee und dementsprechend die Besatzungen am Limes allmaehlich reduzieren, aber entbehrlich ward das roemische Pilum im Neckarlande nie. Wohl aber war es entbehrlich gegenueber den Hermunduren, welchen in traianischer Zeit allein von allen Germanen das ueberschreiten der Reichsgrenze ohne besondere Kontrolle und der freie Verkehr im roemischen Gebiet, namentlich in Augsburg, freistand, und mit denen, soviel wir wissen, niemals Grenzkollisionen stattgefunden haben. Es war also fuer diese Zeit zu einer aehnlichen Anlage an der raetischen Grenze keine Veranlassung; die Kastelle nordwaerts der Donau, welche erweislich bereits in traianischer Zeit bestandenem ^27, genuegten hier fuer den Schutz der Grenze und die Kontrolle des Grenzverkehrs. Dem kommt die Wahrnehmung entgegen, dass der raetische Limes, wie er uns vor Augen steht, allein mit der juengeren, vielleicht erst unter Marcus angelegten obergermanischen Sperrlinie korrespondiert. Damals fehlte dazu die Veranlassung nicht. Die Chattenkriege ergriffen, wie wir sehen werden, in dieser Zeit auch Raetien; auch die Verstaerkung der Besatzung der Provinz kann fueglich mit der Einrichtung dieses Limes in Verbindung stehen, welcher, wie wenig er fuer militaerische Zwecke eingerichtet ist, doch wohl ebenfalls einer wenn auch milderen Grenzsperre wegen angelegt wurde ^28. -------------------------------------------------------- ^24 Das aelteste datierte Zeugnis fuer diese sind zwei Inschriften der Besatzung von Boeckingen, gegenueber Heilbronn am linken Ufer des Neckar, vom Jahre 148 (Brambach CIRh, 1583, 1590). ^25 Das aelteste datierte Zeugnis fuer die Existenz dieser Linie ist die Inschrift von vicus Aurelii (Oehringen) vom Jahre 169 (Brambach CIRh, 1558), zwar nur privat, aber gewiss nicht gesetzt vor der Anlage dieses zu der Linie Miltenberg-Lorch gehoerenden Kastells; wenig juenger die von dem ebenfalls dazu gehoerigen Jagsthausen vom Jahre 179 (CIRh, 1618). Danach duerfte vicus Aurelii seinen Namen von Marcus fuehren, nicht von Caracalla, wenn auch von diesem bezeugt ist, dass er manche Kastelle in diesen Gegenden anlegte und nach sich benannte (Dio 77, 13). ^26 Ueber die Dislokation der obergermanischen Truppen fehlt es zwar an genuegender Kunde, doch nicht ganz an Anhaltspunkten. Von den beiden Hauptquartieren in Obergermanien ist das von Strassburg nach der Einrichtung der Neckarlinie erweislich nur schwach belegt und wahrscheinlich mehr administratives als militaerisches Zentrum gewesen (Korrespondenzblatt der Westdeutschen Zeitschrift, 3,1884, S. 132). Dagegen hat die Besatzung von Mainz immer einen betraechtlichen Teil der Gesamtstaerke in Anspruch genommen, um so mehr, als dieselbe wahrscheinlich der einzige groessere, geschlossene Truppenkoerper in ganz Obergermanien war. Die uebrigen Truppen verteilen sich teils auf den Limes, dessen Kastelle nach v. Cohausens (Der roemische Grenzwall, S. 335) Schaetzung durchschnittlich acht Kilometer voneinander entfernt, also insgesamt gegen 50 waren, teils auf die inneren Kastelle, insbesondere an der Odenwaldlinie von Gundelsheim bis Woerth; dass die letzteren wenigstens zum Teil auch nach Anlegung des aeusseren Limes besetzt blieben, ist mindestens wahrscheinlich. Bei der ungleichen Groesse der noch messbaren Kastelle ist es schwer zu sagen, welche Truppenzahl erforderlich war, um sie verteidigungsfaehig zu machen. Cohausen (S. 340) rechnet auf ein mittelgrosses Kastell einschliesslich der Reserve 720 Mann. Da die gewoehnliche Kohorte der Legion wie der Auxilien 500 Mann zaehlt und die Kastenbauten notwendig auf diese Zahl haben Ruecksicht nehmen muessen, wird die Besatzung des Kastells fuer den Fall der Belagerung durchschnittlich mindestens auf diese Zahl angesetzt werden muessen. Unmoeglich hat nach der Reduktion die obergermanische Armee die Kastelle auch nur des Limes gleichzeitig in dieser Staerke besetzen koennen. Noch weit weniger konnte sie, selbst vor der Reduktion, mit ihren 30000 Mann die zwischen den Kastellen befindlichen Linien auch nur besetzt halten; wenn aber dies nicht moeglich war, so hatte die gleichzeitige Besetzung auch der saemtlichen Kastelle in der Tat keinen Zweck. Allem Anschein nach ist wohl jedes Kastell in der Weise angelegt worden, dass es, gehoerig besetzt, gehalten werden konnte, aber der Regel nach - und an dieser Grenze war der Friedensstand Regel - war das einzelne Kastell nicht nach Kriegsfuss, sondern nur insoweit mit Truppen belegt, dass die Posten in den Wachttuermen ausgesetzt und die Strassen sowie die Schleichwege unter Aufsicht gehalten werden konnten. Die staendigen Besatzungen der Kastelle sind vermutlich sehr viel schwaecher gewesen, als gewoehnlich angenommen wird. Wir besitzen aus dem Altertum ein einziges Verzeichnis einer derartigen Besatzung; es ist vom Jahre 155 und betrifft das Kastell von Kutlowitza, noerdlich von Sofia (Eph. epigr. IV, p. 524), wofuer die Armee von Untermoesien, und zwar die 11. Legion, die Besatzung stellte. Diese Truppe zaehlte damals ausser dem kommandierenden Centurionen nur 76 Mann. Die raetische Armee war, wenigstens vor Marcus, noch viel weniger imstande, ausgedehnte Linien zu besetzen: sie zaehlte damals hoechstens 10000 Mann und hatte ausser dem raetischen Limes noch die Donaulinie von Regensburg bis Passau zu belegen. ^27 Dies beweist die bei Weissenburg gefundene Urkunde Traians vom Jahre 107. ^28 Die bisherigen Untersuchungen ueber den raetischen Limes haben die Bestimmung dieser Anlage noch wenig aufgeklaert; ausgemacht ist nur, dass sie weniger als die analoge obergermanische auf militaerische Besetzung eingerichtet war. Eine derartige schwaechere Grenzsperrung kann fueglich schon vor dem Markomannenkrieg den Hermunduren gegenueber beliebt worden sein; auch schliesst, was Tacitus ueber deren Verkehr in Augusta Vindelicum berichtet, die damalige Existenz eines raetischen Limes keineswegs aus. Nur muesste man dann erwarten, dass er nicht in Lorch endigte, sondern sich an die Neckarlinie anschloss; einigermassen tut er dies auch, insofern bei Lorch an die Stelle des Limes die Rems tritt, welche bei Cannstatt in den Neckar einmuendet. -------------------------------------------------------- Militaerisch wie politisch ist die verlegte Grenze oder vielmehr der verstaerkte Grenzschutz eingreifend und nuetzlich gewesen. Wenn frueher die roemische Postenkette in Obergermanien und Raetien wahrscheinlich rheinaufwaerts ueber Strassburg nach Basel und an Vindonissa vorbei an den Bodensee, dann von da zu der oberen Donau gegangen war, so wurden jetzt das obergermanische Hauptquartier in Mainz und das raetische in Regensburg und ueberhaupt die beiden Hauptarmeen des Reiches einander betraechtlich genaehert. Das Legionslager von Vindonissa (Windfisch bei Zuerich) wurde dadurch ueberfluessig. Das oberrheinische Heer konnte, wie das benachbarte, nach einiger Zeit auf die Haelfte seines frueheren Bestandes herabgesetzt werden. Die anfaengliche Zahl von vier Legionen, welche waehrend des batavischen Krieges nur zufaellig auf drei vermindert war, bestand allerdings wahrscheinlich noch unter Traian ^29; unter Marcus aber war die Provinz nur mit zwei Legionen besetzt, der achten und der zweiundzwanzigsten, von denen die erste in Strassburg stand, die zweite in dem Hauptquartier Mainz, waehrend die meisten Truppen, in kleinere Posten aufgeloest, an dem Grenzwall lagerten. Innerhalb der neuen Linie bluehte das staedtische Leben auf fast wie links vom Rheinland: Sumelocenna (Rottenburg am Neckar), Aquae (civitas Aurelia Aquensis, Baden), Lopodunum (Ladenburg) hatten, wenn man von Koeln und Trier absieht, in roemisch-staedtischer Entwicklung den Vergleich mit keiner Stadt der Belgica zu scheuen. Das Emporkommen dieser Ansiedlungen ist hauptsaechlich das Werk Traians, welcher sein Regiment mit dieser Friedenstat eroeffnete ^30; "den auf beiden Ufern roemischen Rhein" fleht ein roemischer Dichter an, den noch nicht gesehenen Herrscher ihnen bald zuzusenden. Die grosse und fruchtbare Landschaft, die auf diese Weise unter den Schutz der Legionen gestellt ward, war dieses Schutzes beduerftig, aber auch wert gewesen. Wohl bezeichnet die Varusschlacht die beginnende Ebbe der roemischen Macht, aber nur insofern, als das Vorschreiten damit ein Ende hat und die Roemer seitdem sich im allgemeinen begnuegten, das damals Festgehaltene staerker und dauernder zu schirmen. ------------------------------------------------- ^29 Von den sieben Legionen, die bei Neros Tode in den beiden Germanien standen, loeste Vespasian fuenf auf; es blieben die 21. und die 22., wozu dann die zur Niederwerfung des Aufstandes eingerueckten sieben oder acht Legionen, die 1. adiutrix, 2. adiutrix, 6. victrix, 8., 10. gemina, 11., 13. (?) und 14. hinzutraten. Von diesen ist nach Beendigung des Krieges die 1. adiutrix wahrscheinlich nach Spanien, die 2. adiutrix wahrscheinlich nach Britannien, die 13. gemina (wenn diese ueberhaupt nach Germanien kam) nach Pannonien gesandt worden; die anderen sieben blieben, und zwar in der unteren Provinz die 6., 10., 21. und 22., in der oberen die 8., 11, und 14. Zu den letzteren trat wahrscheinlich im Jahre 88 die aus Spanien abermals nach Obergermanien gesandte 1. adiutrix hinzu. Dass unter Traian die 1. adiutrix und die 11. in Obergermanien standen beweist die Inschrift von Baden-Baden, Brambach 1666. Die 8. und die 14. sind erwiesenermassen beide mit Cerialis nach Germanien gekommen und haben beide laengere Zeit daselbst garnisoniert. ^30 Traianus ward von Nerva im Jahre 96 oder 97 als Legat nach Germanien gesandt, wahrscheinlich dem oberen, da dem unteren damals Vestricius Spurinna vorgestanden zu haben scheint. Hier im Oktober des Jahres 97 zum Mitregenten ernannt, erhielt er die Nachricht von Nervas Tode und seiner Ernennung zum Augustus im Februar 98 in Koeln. Den Winter und den folgenden Sommer mag er dort geblieben sein; im Winter 98/99 war er an der Donau. Die Worte des Eutropius (8, 2): urbes trans Rhenum in Germania reparavit (woraus die oft gemissbrauchte Notiz bei Orosius, hist. 7, 12, 2, abgeschrieben ist), welche nur auf die obere Provinz bezogen werden koennen, aber natuerlich nicht dem Legaten, sondern dem Caesar oder dem Augustur gelten, erhalten eine Bestaetigung durch die civitas Ulpia s(altus?) N(icerini?) Lopodunum der Inschriften. Die "Wiederherstellung" duerfte im Gegensatz stehen nicht zu den Einrichtungen Domitians, sondern zu den ungeordneten Anfaengen staedtischer Anlagen im Decumatenland vor der Verlegung der Militaergrenze. Auf kriegerische Vorgaenge unter Traian fuehrt keine Spur; dass er ein castellum in Alamannorum solo, nach dem Zusammenhang am Main unweit Mainz, anlegte und nach seinem Namen nannte (Amm. 17, 1, 11), beweist dafuer ebenso wenig, wie dass ein spaeter Dichter (Sidon. carm. 7, 115), Altes und Neues vermengend, Agrippina unter ihm den Schrecken der Sugambrer, das heisst in seinem Sinn der Franken nennt. ------------------------------------------------- Bis in den Anfang des 3. Jahrhunderts zeigt die roemische Macht am Rhein keine Spuren des Schwankens. Waehrend des Markomannenkrieges unter Marcus blieb in der unteren Provinz alles ruhig. Wenn ein Legat der Belgica damals den Landsturm gegen die Chauker aufbieten musste, so ist dies vermutlich ein Piratenzug gewesen, wie sie die Nordkueste oftmals, in dieser Zeit ebenso wie frueher und spaeter, heimgesucht haben. An die Donauquellen und selbst bis in das Rheingebiet reichte der Wellenschlag der grossen Voelkerbewegung; aber die Fundamente erschuetterte er hier nicht. Die Chatten, das einzige bedeutende germanische Volk an der obergermanisch-raetischen Grenzwacht, brachen in beiden Richtungen vor und sind wahrscheinlich damals selbst unter den in Italien einfallenden Germanen gewesen, wie dies weiterhin bei der Darstellung dieses Krieges gezeigt werden soll. Auf jeden Fall kann die von Marcus damals verfuegte Verstaerkung der raetischen Armee und ihre Umwandlung in ein Kommando erster Klasse mit Legion und Legaten nur erfolgt sein, um den Angriffen der Chatten zu steuern, und beweist, dass man sie auch fuer die Zukunft nicht leicht nahm. Die schon erwaehnte Verstaerkung der Grenzverteidigung wird damit ebenfalls in Verbindung stehen. Fuer das naechste Menschenalter muessen diese Massregeln ausgereicht haben. Unter Antoninus, dem Sohn des Severus, brach (213) abermals in Raetien ein neuer und schwererer Krieg aus. Auch dieser ist gegen die Chatten gefuehrt worden; aber neben ihnen wird ein zweites Volk genannt, das hier zum erstenmal begegnet, das der Alamannen. Woher sie kamen, wissen wir nicht. Einem wenig spaeter schreibenden Roemer zufolge war es zusammengelaufenes Mischvolk; auf einen Gemeindebund scheint auch die Benennung hinzuweisen sowie, dass spaeter noch die verschiedenen, unter diesem Namen zusammengefassten Staemme mehr als bei den sonstigen grossen germanischen Voelkern in ihrer Besonderheit hervortreten, und die Juthungen, die Lentienser und andere Alamannenvoelker nicht selten selbstaendig handeln. Aber dass es nicht die Germanen dieser Gegend sind, welche unter dem neuen Namen verbuendet und durch den Bund verstaerkt hier auftreten, zeigt sowohl die Nennung der Alamannen neben den Chatten wie die Meldung von der ungewohnten Geschicklichkeit der Alamannen im Reitergefecht. Vielmehr sind es der Hauptsache nach sicher aus dem Osten nachrueckende Scharen gewesen, die dem fast erloschenen Widerstand der Germanen am Rhein neue Kraft verliehen haben; es ist nicht unwahrscheinlich, dass die in frueherer Zeit an der mittleren Elbe hausenden maechtigen Semnonen, deren seit dem Ende des 2. Jahrhunderts nicht wieder gedacht wird, zu den Alamannen ein starkes Kontingent gestellt haben. Das stetig sich steigernde Missregiment im Roemischen Reich hat natuerlich auch, wenngleich nur in zweiter Reihe, zu der Machtverschiebung seinen Teil beigetragen. Der Kaiser zog persoenlich gegen die neuen Feinde ins Feld; im August des Jahres 213 ueberschritt er die roemische Grenze und ein Sieg ueber sie am Main wurde erfochten oder wenigstens gefeiert; es wurden noch Kastelle angelegt; die Voelkerschaften von der Elbe und der Nordsee beschickten den roemischen Herrscher und verwunderten sich, wenn er sie in ihrer eigenen Tracht empfing, in silberbeschlagener Jacke und Haar und Bart nach deutscher Art gefaerbt und geordnet. Aber von da an hoeren die Kriege am Rhein nicht auf, und die Angreifer sind die Germanen; die sonst so fuegsamen Nachbarn waren wie ausgetauscht. Zwanzig Jahre spaeter wurden an der Donau wie am Rhein die Einfaelle der Barbaren so stetig und so ernsthaft, dass Kaiser Alexander deswegen den weniger unmittelbar gefaehrlichen Persischen Krieg abbrechen und sich persoenlich in das Lager von Mainz begeben masste, nicht so sehr, um das Gebiet zu verteidigen, als um von den Deutschen den Frieden durch hohe Geldsummen zu erkaufen. Die Erbitterung der Soldaten darueber fuehrte zu seiner Ermordung (235) und damit zu dem Untergang der Severischen Dynastie, der letzten, die es bis auf die Regeneration des Staats ueberhaupt gegeben hat. Sein Nachfolger Maximinus, ein roher, aber tapferer, vom gemeinen Soldaten aufgedienter Thraker, machte das feige Verhalten seines Vorgaengers wieder gut durch einen nachdruecklichen Feldzug tief in Germanien hinein. Noch wagten die Barbaren nicht, einem starken und wohlgefuehrten Roemerheere die Spitze zu bieten; sie wichen in ihre Waelder und Suempfe, und auch dahin ihnen folgend, focht im Handgemenge der tapfere Kaiser allen voran. Von diesen Kaempfen, die ohne Zweifel von Mainz aus zunaechst gegen die Alamannen sich richteten, durfte er mit Recht sich Germanicus nennen; und auch fuer die Zukunft hat die Expedition vom Jahre 236, auf lange hinaus der letzte grosse Sieg, den die Roemer am Rhein gewannen, wohl einiges gefruchtet. Obwohl die stetigen und blutigen Thronwechsel und die schweren Katastrophen im Osten und an der Donau die Roemer nicht zu Atem kommen liessen, ist doch durch die naechsten zwanzig Jahre am Rhein wenn nicht eigentlich die Ruhe erhalten worden, doch eine groessere Katastrophe nicht eingetreten. Es scheint sogar damals eine der obergermanischen Legionen nach Afrika geschickt worden zu sein, ohne dass dafuer Ersatz kam, also Obergermanien als wohl gesichert gegolten zu haben. Aber als im Jahre 253 wieder einmal die verschiedenen Feldherren Roms um die Kaiserwuerde untereinander schlugen und die Rheinlegionen nach Italien marschierten, um ihren Kaiser Valerianus gegen den Aemilianus der Donauarmee durchzufechten, scheint dies das Signal gewesen zu sein ^31 fuer das Vorbrechen der Germanen namentlich auch gegen den Unterrhein ^32. Diese Germanen sind die hier zuerst auftretenden Franken, allerdings vielleicht nur dem Namen nach neue Gegner; denn obwohl die schon im spaeteren Altertum begegnende Identifikation derselben mit frueher am Unterrhein genannten Voelkerschaften, teils den neben den Bructerern sitzenden Chamavern, teils den frueher genannten, den Roemern untertaenigen Sugambrern, unsicher und mindestens unzulaenglich ist, so hat es hier groessere Wahrscheinlichkeit als bei den Alamannen, dass die bisher von Rom abhaengigen Germanen am rechten Rheinufer und die frueher vom Rhein abgedraengten germanischen Staemme damals unter dem Gesamtnamen der "Freien" gemeinschaftlich die Offensive gegen die Roemer ergriffen haben. Solange Gallienus selbst am Rhein blieb, hielt er, trotz der geringen, ihm zur Verfuegung stehenden Streitkraefte, die Gegner einigermassen im Zaum, verhinderte sie am Ueberschreiten des Flusses oder schlug die Eingedrungenen wieder hinaus, raeumte auch wohl einem der germanischen Fuehrer einen Teil des begehrten Ufergebietes ein unter der Bedingung, die roemische Herrschaft anzuerkennen und seinen Besitz gegen seine Landsleute zu verteidigen, was freilich schon fast auf eine Kapitulation hinauskam. Aber als der Kaiser, abgerufen durch die noch gefaehrlichere Lage der Dinge an der Donau, sich dorthin begab und in Gallien als Repraesentanten seinen noch im Knabenalter stehenden aelteren Sohn zurueckliess, liess einer der Offiziere, denen er die Verteidigung der Grenze und die Hut seines Sohnes anvertraut hatte, Marcus Cassianius Latinius Postumus ^33, sich von seinen Leuten zum Kaiser ausrufen und belagerte in Koeln den Hueter des Kaisersohnes Silvanus. Es gelang ihm, die Stadt einzunehmen und seinen frueheren Kollegen sowie den kaiserlichen Knaben in seine Gewalt zu bekommen, worauf er beide hinrichten liess. Aber waehrend dieser Wirren brachen die Franken ueber den Rhein und ueberschwemmten nicht bloss ganz Gallien, sondern drangen auch in Spanien ein, ja pluenderten selbst die afrikanische Kueste. Bald nachher, nachdem Valerians Gefangennahme durch die Perser das Mass des Unheils voll gemacht hatte, ging in der oberrheinischen Provinz alles roemische Land auf dem linken Rheinufer verloren, ohne Zweifel an die Alamannen, deren Einbruch in Italien in den letzten Jahren des Gallienus diesen Verlust notwendig voraussetzt. Dieser ist der letzte Kaiser, dessen Name auf rechtsrheinischen Denkmaelern gefunden wird. Seine Muenzen feiern ihn wegen fuenf grosser Siege ueber die Germanen, und nicht minder sind die seines Nachfolgers in der gallischen Herrschaft, des Postumus, voll des Preises der deutschen Siege des Retters von Gallien. Gallienus hatte in seinen frueheren Jahren nicht ohne Energie den Kampf am Rhein aufgenommen, und Postumus war sogar ein vorzueglicher Offizier und waere gern auch ein guter Regent gewesen. Aber bei der Meisterlosigkeit, welche damals in dem roemischen Staat oder vielmehr in der roemischen Armee waltete, nuetzte Talent und Tuechtigkeit des Einzelnen weder ihm noch dem Gemeinwesen. Eine Reihe bluehender roemischer Staedte wurde damals von den einfallenden Barbaren oedegelegt, und das rechte Rheinufer ging den Roemern auf immer verloren. ---------------------------------------------- ^31 Nicht bloss der ursaechliche Zusammenhang, sondern selbst die zeitliche Folge dieser wichtigen Vorgaenge liegen im unklaren. Der relativ beste Bericht bei Zosimus (hist. 1, 29) bezeichnet den germanischen Krieg als die Ursache, weshalb Valerianus gleich bei seiner Thronbesteigung 253 seinen Sohn zum Mitherrscher gleichen Rechts gemacht habe; und den Titel Germanicus maximus fuehrt Valerian schon im Jahre 256 (CIL VIII, 2380; ebenso 259 CIL XI, 826), vielleicht sogar, wenn der Muenze Cohen n. 54 zu trauen ist, den Titel Germanicus maximus ter. ^32 Dass die Germanen, gegen die Gallienus zu streiten hatte, wenigstens hauptsaechlich am Unterrhein zu suchen sind, zeigt die Residenz seines Sohnes in Agrippina, wo er doch nur als nomineller Repraesentant des Vaters zurueckgeblieben sein kann. Auch der Biograph (c. 8) nennt die Franken. ^33 Von dem Grade der Geschichtsfaelschung, welche in einem Teil der Kaiserbiographien herrscht, macht man sich schwer eine Vorstellung; es wird nicht unnuetz sein, hier an dem Bericht ueber Postumus dies beispielsweise zu zeigen. Er heisst hier (freilich in einer Einlage) Iulius Postumus (tyr. 6), auf den Muenzen und Inschriften al. Cassianius Latinius Postumus, im epitomierten Victor 32 Cassius Labienus Postemus. Er regiert sieben Jahre (Gall. 4; tyr. 3 und 5); Muenzen nennen seine tr. p. X, und zehn Jahre gibt ihm Eutropius (9, 10). Sein Gegner heisst Lollianus, nach den Muenzen Ulpius Cornelias Laelianus, Laelianus bei Eutropius (9, 9; nach der einen Handschriftenklasse, waehrend die andere der Interpolation der Biographen folgt) und bei Victor (c. 33), Aelianus in der Victorianischen Epitome. Postumus und Victorinus herrschen nach dem Biographen gemeinschaftlich; aber es gibt keine beiden gemeinschaftliche Muenzen, und somit bestaetigen diese den Bericht bei Victor und Eutropius, dass Victorinus der Nachfolger des Postumus gewesen ist. Es ist eine Besonderheit dieser Kategorie von Faelschungen, dass sie in den eingelegten Urkunden gipfeln. Das Koelner Epitaphium der beiden Victorinus (tyr. 7): hic duo Victorini tyranni(!) siti sunt kritisiert sich selbst. Das angebliche Patent Valerians (tyr. 3), womit dieser den Galliern die Ernennung des Postumus mitteilt, ruehmt nicht bloss prophetisch des Postumus Herrschergaben, sondern nennt auch verschiedene unmoegliche Aemter: einen Transrhenani limitis dux et Galliae praeses hat es zu keiner Zeit gegeben und kann Postumus arch/e/n en Keltois strati/o/t/o/n empepisteymenos ;Zos. hist. 1, 38) nur praeses einer der beiden Germanien oder, wenn sein Kommando ein ausserordentliches war, dux per Germanias gewesen sein. Ebenso unmoeglich ist in derselben Quasi-Urkunde der tribunatus Vocontiorum des Sohnes, eine offenbare Nachbildung der Tribunate, wie sie in der Notitia dignitatum aus der Zeit des Honorius auftreten. Gegen Postumus und Victorinus, unter denen die Gallier und die Franken fechten, zieht Gallienus mit Aureolus, spaeter seinem Gegner, und dem spaeteren Kaiser Claudius; er selbst wird durch einen Pfeilschuss verwundet, siegt aber, ohne dass durch den Sieg sich etwas aendert. Von diesem Kriege wissen die anderen Berichte nichts. Postumus faellt in dem von dem sogenannten Lollianus angezettelten Militaeraufstand, waehrend nach dem Bericht bei Victor und Eutropius Postumus dieser Mainzer Insurrektion Herr wird, aber dann die Soldaten ihn erschlagen, weil er ihnen Mainz nicht zur Pluenderung ueberliefern will. Ueber die Erhebung des Postumus steht neben der im wesentlichen mit der gewoehnlichen uebereinstimmenden Erzaehlung, dass Postumus den seiner Hut anvertrauten Sohn des Gallienus treulos beseitigt habe, eine andere, offenbar als Rettung erfundene, wonach das Volk in Gallien dies tat und dann dem Postumus die Krone antrug. Die enkomiastische Tendenz fuer den, der Gallien das Schicksal der Donaulaender und Asiens erspart und es vor den Germanen gerettet habe, tritt hier und ueberall (am offenbarsten tyr. 5) zutage; womit denn zusammenhaengt, dass dieser Bericht den Verlust des rechten Rheinufers und die Zuege der Franken nach Gallien, Spanien und Afrika nicht kennt. Bezeichnend ist noch, dass der angebliche Stammvater des konstantinischen Hauses auch hier mit einer ehrenvollen Nebenrolle bedacht wird. Diese nicht zerruettete, sondern durchgefaelschte Erzaehlung wird voellig beseitigt werden muessen; die Berichte einerseits bei Zosimus, andererseits der aus einer gemeinschaftlichen Quelle schoepfenden Lateiner Victor und Eutropius, kurz und zerruettet wie sie sind, koennen allein in Betracht kommen. ---------------------------------------------- Die Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in Gallien hing zunaechst ab von dem Zusammenhalten des Reichs ueberhaupt; solange die italischen Kaiser ihre Truppen in der Narbonensis aufstellten, um den gallischen Rivalen zu beseitigen und dieser wieder Miene machte, die Alpen zu ueberschreiten, war eine wirksame Operation gegen die Germanen von selber ausgeschlossen. Erst nachdem um das Jahr 272 ^34 der damalige Herrscher Galliens, Tetricus, seiner undankbaren Rolle muede, selbst dazu getan hatte, dass seine Truppen sich dem vom roemischen Senat anerkannten Kaiser Aurelianus unterwarfen, konnte wieder daran gedacht werden, den Germanen zu wehren. Den Zuegen der Alamannen, die fast ein Jahrzehnt hindurch das obere Italien bis nach Ravenna hinab heimgesucht hatten, setzte derselbe tuechtige Herrscher, der Gallien wieder zum Reich gebracht hatte, fuer lange Zeit ein Ziel und schlug an der oberen Donau nachdruecklich einen ihrer Staemme, die Juthungen. Haette sein Regiment Dauer gehabt, so wuerde er wohl auch in Gallien den Grenzschutz erneuert haben; nach seinem baldigen und jaehen Ende (275) ueberschritten die Germanen abermals den Rhein und verheerten weit und breit das Land. Sein Nachfolger Probus (seit 276), auch ein tuechtiger Soldat, warf sie nicht bloss wieder hinaus - siebzig Staedte soll er ihnen abgenommen haben -, sondern ging auch wieder angreifend vor, ueberschritt den Rhein und trieb die Deutschen ueber den Neckar zurueck; aber die Linien der frueheren Zeit erneuerte er nicht ^35, sondern begnuegte sich, an den wichtigeren Rheinpositionen Brueckenkoepfe auf dem anderen Ufer einzurichten und zu besetzen - das heisst, er kam etwa auf die Einrichtungen zurueck, wie sie hier vor Vespasian bestanden hatten. Gleichzeitig wurden durch seine Feldherren in der noerdlichen Provinz die Franken niedergeschlagen. Grosse Massen der ueberwundenen Germanen wurden als gezwungene Ansiedler nach Gallien und vor allem nach Britannien gesandt. In dieser Weise wurde die Rheingrenze wieder gewonnen und auf das spaetere Kaiserreich uebertragen. Freilich war wie die Herrschaft am rechten Rheinufer so auch der Friede am linken unwiderbringlich dahin. Drohend standen die Alamannen gegenueber Basel und Strassburg, die Franken gegenueber Koeln. Daneben melden sich andere Staemme. Dass auch die Burgundionen, einst jenseits der Elbe sesshaft, westwaerts vorrueckend bis an den oberen Main, Gallien bedrohen, davon ist zuerst unter Kaiser Probus die Rede; wenige Jahre spaeter beginnen die Sachsen in Gemeinschaft mit den Franken ihre Angriffe zur See auf die gallische Nordkueste wie auf das roemische Britannien. Aber unter den groesstenteils tuechtigen und faehigen Kaisern des Diocletianisch-Konstantinischen Hauses und noch unter den naechsten Nachfolgern hielt der Roemer die drohende Voelkerflut in gemessenen Schranken. ------------------------------------ ^34 Postumus Herrschaft dauerte zehn Jahre. Dass im Jahre 259 der aeltere Sohn des Gallienus bereits tot war, lehrt die Inschrift von Modena CIL XI, 826; also faellt Postumus Abfall sicher in oder vor dieses Jahr. Da die Gefangennahme des Tetricus nicht wohl spaeter als 272, unmittelbar nach der zweiten Expedition gegen Zenobia, angesetzt werden kann und die drei gallischen Herrscher Postumus zehn, Victorinus zwei (Eutr. 9, 9), Tetricus zwei (Aur. Vict. Caes. 35) Jahre regiert haben, so bringt dies Postumus Abfall etwa auf 259; doch sind dergleichen Zahlen haeufig etwas verschoben. Wenn die Dauer der Germanenzuege in Spanien unter Gallienus auf zwoelf Jahre bestimmt wird (Oros. hist. 7, 41, 2), so scheint dies nach der Hieronymischen Chronik oberflaechlich berechnet zu sein. Die ueblichen genauen Zahlen sind unbeglaubigt und taeuschend. ^35 Nach dem Biographen (c. 14, 15) hat Probus die Germanen des rechten Rheinufers in Abhaengigkeit gebracht, so dass sie den Roemern tributpflichtig sind und die Grenze fuer sie verteidigen (omnes iam barbari vobis arant, vobis iam serviunt et contra interiores gentes militant); das Recht der Waffenfuehrung wird ihnen vorlaeufig gelassen, aber daran gedacht, bei weiteren Erfolgen die Grenze vorzuschieben und eine Provinz Germanien einzurichten. Auch als freie Phanta sien eines Roemers des vierten Jahrhunderts - mehr ist es nicht - haben diese Aeusserungen ein gewisses Interesse. ------------------------------------ Die Germanen in ihrer nationalen Entwicklung darzustellen, ist nicht die Aufgabe des Geschichtschreibers der Roemer; fuer ihn erscheinen sie nur hemmend oder auch zerstoerend. Eine Durchdringung der beiden Nationalitaeten und eine daraus hervorgehende Mischkultur, wie das romanisierte Keltenland, hat das roemische Germanien nicht aufzuweisen oder sie faellt fuer unsere Auffassung mit der roemisch-gallischen um so mehr zusammen, als die laengere Zeit in roemischem Besitz gebliebenen germanischen Gebiete auf dem linken Rheinufer durchaus mit keltischen Elementen durchsetzt waren und auch die auf dem rechten, ihrer urspruenglichen Bevoelkerung groesstenteils beraubt, die Mehrzahl der neuen Ansiedler aus Gallien erhielten. Dem germanischen Element fehlten die kommunalen Zentren, wie sie das Keltentum zahlreich besass. Teils deswegen, teils infolge aeusserer Umstaende konnte, wie schon hervorgehoben worden ist, in dem germanischen Osten das roemische Element sich eher und voller entwickeln als in den keltischen Gegenden. Von wesentlichstem Einfluss darauf sind die Heerlager der Rheinarmee geworden, die alle auf das roemische Germanien fallen. Die groesseren derselben erhielten teils durch die Handelsleute, die dem Heere sich anschlossen, teils und vor allem durch die Veteranen, die in ihren gewohnten Quartieren auch nach der Entlassung verblieben, einen staedtischen Anhang, eine von den eigentlichen Militaerquartieren gesonderte Budenstadt (canabae); ueberall und namentlich in Germanien sind aus diesen bei den Legionslagern und besonders den Hauptquartieren mit der Zeit eigentliche Staedte erwachsen. An der Spitze steht die roemische Ubierstadt, urspruenglich das zweitgroesste Lager der niederrheinischen Armee, dann seit dem Jahre 50 roemische Kolonie und von bedeutendster Wirksamkeit fuer die Hebung der roemischen Zivilisation im Rheinland. Hier wich die Lagerstadt der roemischen Pflanzstadt; spaeterhin erhielten, ohne Verlegung der Truppen, Stadtrecht die zu den beiden grossen unterrheinischen Lagern gehoerenden Ansiedlungen Ulpia Noviomagus im Bataverland und Ulpia Traiana bei Vetera durch Traianus, im dritten Jahrhundert die Militaerhauptstadt Obergermaniens Mogontiacum. Freilich haben diese Zivilstaedte neben den davon unabhaengigen militaerischen Verwaltungszentren immer eine untergeordnete Stellung behalten. Blicken wir ueber die Grenze hinueber, wo diese Erzaehlung abschliesst, so begegnet uns allerdings anstatt der Romanisierung der Germanen gewissermassen eine Germanisierung der Romanen. Die letzte Phase des roemischen Staats ist bezeichnet durch dessen Barbarisierung und speziell dessen Germanisierung; und die Anfaenge reichen weiter zurueck. Sie beginnt mit der Bauernschaft in dem Kolonat, geht weiter zu der Truppe, wie Kaiser Severus sie gestaltete, erfasst dann die Offiziere und Beamte und endigt mit den roemisch-germanischen Mischstaaten der Westgoten in Spanien und Gallien, der Vandalen in Afrika, vor allem dem Italien Theoderichs. Fuer das Verstaendnis dieser letzten Phase bedarf es allerdings der Einsicht in die staatliche Entwicklung der einen wie der anderen Nation. Freilich steht in dieser Beziehung die germanische Forschung sehr im Nachteil. Die staatlichen Einrichtungen, in welche diese Germanen dienend oder mitherrschend eintraten, sind wohlbekannt, weit besser als die pragmatische Geschichte der gleichen Epoche; aber ueber den germanischen Anfaengen liegt ein Dunkel, mit dem verglichen die Anfaenge von Rom und von Hellas lichte Klarheit sind. Waehrend die nationale Gottesverehrung der antiken Welt relativ erkennbar ist, ist die Kunde des deutschen Heidentums, vom fernen Norden abgesehen, vor der historischen Zeit untergegangen. Die Anfaenge der staatlichen Entwicklung der Germanen schildert uns teils die schillernde und in der Gedankenschablone des sinkenden Altertums befangene, die eigentlich entscheidenden Momente nur zu oft auslassende Darstellung des Tacitus, teils muessen wir sie den auf ehemals roemischem Boden entstandenen, ueberall mit roemischen Elementen durchsetzten Zwitterstaaten entnehmen. Wie die germanischen Worte hier ueberall fehlen und wir fast ausschliesslich auf lateinische, notwendig inadaequate Bezeichnungen angewiesen sind, so versagen auch durchgaengig die scharfen Grundanschauungen, derer unsere Kunde des klassischen Altertums nicht entbehrt. Es gehoert zur Signatur unserer Nation, dass es ihr versagt geblieben ist, sich aus sich selbst zu entwickeln; und dazu gehoert es mit, dass deutsche Wissenschaft vielleicht weniger vergeblich bemueht gewesen ist, die Anfaenge und die Eigenart anderer Nationen zu erkennen als die der eigenen. 5. Kapitel Britannien Siebenundneunzig Jahre waren vergangen, seitdem roemische Truppen das grosse Inselland im nordwestlichen Ozean betreten und unterworfen und wiederum verlassen hatten, bevor die roemische Regierung sich entschloss, die Fahrt zu wiederholen und Britannien bleibend zu besetzen. Allerdings war Caesars britannische Expedition nicht bloss, wie seine Zuege gegen die Germanen, ein defensiver Vorstoss gewesen. So weit sein Arm reichte, hatte er die einzelnen Voelkerschaften reichsuntertaenig gemacht und ihre Jahresabgabe an das Reich hier wie in Gallien geordnet. Auch die fuehrende Voelkerschaft, welche durch ihre bevorzugte Stellung fest an Rom geknuepft und somit der Stuetzpunkt der roemischen Herrschaft werden sollte, war gefunden: die Trinovanten (Essex) sollten auf der keltischen Insel dieselbe, mehr vorteilhafte als ehrenvolle Rolle uebernehmen wie auf dem gallischen Kontinent die Haeduer und die Reiner. Die blutige Fehde zwischen dem Fuersten Cassivellaunus und dem Fuerstenhaus von Camalodunum (Colchester) hatte unmittelbar die roemische Invasion herbeigefuehrt; dieses wieder einzusetzen, war Caesar gelandet, und der Zweck ward fuer den Augenblick erreicht. Ohne Zweifel hat Caesar sich nie darueber getaeuscht, dass jene Tribute ebenso wie diese Schutzherrschaft zunaechst nur Worte waren; aber diese Worte waren ein Programm, das die bleibende Besetzung der Insel durch roemische Truppen herbeifuehren masste und herbeifuehren sollte. Caesar selbst kam nicht dazu, die Verhaeltnisse der unterworfenen Insel bleibend zu ordnen; und fuer seine Nachfolger war Britannien eine Verlegenheit. Die reichsuntertaenig gewordenen Briten entrichteten den schuldigen Tribut gewiss nicht lange, vielleicht ueberhaupt niemals; das Protektorat ueber die Dynastie von Camalodunum wird noch weniger respektiert worden sein und hatte lediglich zur Folge, dass Fuersten und Prinzen dieses Hauses wieder und wieder in Rom erschienen und die Intervention der roemischen Regierung gegen Nachbarn und Rivalen anriefen - so kam Koenig Dubnovellaunus, wahrscheinlich der Nachfolger des von Caesar bestaetigten Trinovantenfuersten, als Fluechtling nach Rom zu Kaiser Augustas, so spaeter einer der Prinzen desselben Hauses zu Kaiser Gaius ^1. ---------------------------------------------------------- ^1 Allem Anschein nach sind die politischen Relationen zwischen Rom und Britannien in der Zeit vor der Eroberung wesentlich auf das von Caesar wiederhergestellte und garantierte (Gall. 5, 22) Fuerstentum der Trinovanten zu beziehen. Dass Koenig Dubnovellaunus, der nebst einem anderen ganz unbekannten Britannerfuersten bei Augustas Schutz suchte, hauptsaechlich in Essex herrschte, zeigen seine Muenzen (mein Monumentum Ancyranum. 2. Aufl. 1883, S. 138f.). Die britannischen Fuersten, die den Augustus beschickten und seine Oberherrschaft anerkannten (denn so scheint Strab. 4, 5, 3, p. 200 gefasst werden zu muessen; vgl. Tac. ann. 2, 24), haben wir auch zunaechst dort zu suchen. Cunobelinus, nach den Muenzen der Sohn des Koenigs Tasciovanus, von dem die Geschichte schweigt, gestorben, wie es scheint, bejahrt, zwischen 40 und 43, im Regiment also wahrscheinlich dem spaeteren des Augustus und denen des Tiberius und Gaius parallel gehend, residierte in Camalodunum (Dio 60, 21); um ihn und um seine Soehne dreht sich die Vorgeschichte der Invasion. Wohin Bericus, der zum Claudias kam (Dio 60, 19), gehoert, wissen wir nicht, und es moegen auch andere brittische Dynasten dem Beispiel derer von Colchester gefolgt sein; aber an der Spitze stehen diese. ---------------------------------------------------------- In der Tat war die Expedition nach Britannien ein notwendiger Teil der Caesarischen Erbschaft; es hatte auch schon waehrend der Zweiherrschaft Caesar der Sohn zu einer solchen einen Anlauf genommen und nur davon abgesehen wegen der dringenderen Notwendigkeit, in Illyricum Ruhe zu schaffen, oder auch wegen des gespannten Verhaeltnisses zu Antonius, das zunaechst den Parthern sowohl wie den Britannern zustatten kam. Die hoefischen Poeten aus Augustus’ frueheren Jahren haben die britannische Eroberung vielfach antizipierend gefeiert; das Programm Caesars also nahm der Nachfolger an und auf. Als dann die Monarchie feststand, erwartete ganz Rom, dass der Beendigung des Buergerkrieges die britannische Expedition auf dem Fusse folgen werde; die Klagen der Poeten ueber den schrecklichen Hader, ohne welchen laengst die Britanner im Siegeszug zum Kapitol gefuehrt worden waeren, verwandelten sich in die stolze Hoffnung auf die neu zum Reich hinzutretende Provinz Britannien. Die Expedition wurde auch zu wiederholten Malen angekuendigt (727, 728 27, 26); dennoch stand Augustus, ohne das Unternehmen foermlich fallenzulassen, bald von der Durchfuehrung ab, und Tiberius hielt, seiner Maxime getreu, auch in dieser Frage an dem System des Vaters fest ^2. Die nichtigen Gedanken des letzten Julischen Kaisers schweiften wohl auch ueber den Ozean hinueber; aber ernste Dinge vermochte er nicht einmal zu planen. Erst die Regierung des Claudius nahm den Plan des Diktators wieder auf und fuehrte ihn durch. -------------------------------------- ^2 Tac. Agr. 13: consilium id divus Augustas vocabat, Tiberius praeceptum. -------------------------------------- Welche Motive nach der einen wie nach der andern Seite hin bestimmend waren, laesst sich teilweise wenigstens erkennen. Augustus selbst hat geltend gemacht, dass die Besetzung der Insel militaerisch nicht noetig sei, da ihre Bewohner nicht imstande seien, die Roemer auf dem Kontinent zu belaestigen, und fuer die Finanzen nicht vorteilhaft; was aus Britannien zu ziehen sei, fliesse in Form des Einfuhrund Ausfuhrzolles der gallischen Haefen in die Kasse des Reiches; als Besatzung werde wenigstens eine Legion und etwas Reiterei erforderlich sein und nach Abzug der Kosten derselben von den Tributen der Insel nicht viel uebrig bleiben ^3. Dies alles war unbestreitbar richtig, ja noch keineswegs genug; die Erfahrung erwies spaeter, dass eine Legion bei weitem nicht ausreichte, um die Insel zu halten. Hinzuzunehmen ist, was die Regierung zu sagen allerdings keine Veranlassung hatte, dass bei der Schwaeche des roemischen Heeres, wie sie durch die innere Politik Augusts einmal herbeigefuehrt war, es sehr bedenklich erscheinen musste, einen erheblichen Bruchteil desselben ein fuer allemal auf eine ferne Insel des Nordmeers zu bannen. Man hatte vermutlich nur die Wahl, von Britannien abzusehen oder deswegen das Heer zu vermehren; und bei Augustus hat die Ruecksicht auf die innere Politik stets die auf die aeussere ueberwogen. ------------------------------------------------- ^3 Die Auseinandersetzung bei Strabon (2, 5, 8, p. 115; 4, 5, 3, p. 200) gibt offenbar die gouvernementale Version. Dass nach Einziehung der Insel der freie Verkehr und damit der Ertrag der Zoelle sinken werde, muss wohl als Eingestaendnis des Satzes genommen werden, dass die roemische Herrschaft und die roemischen Tribute den Wohlstand der Untertanen herabdrueckten. ------------------------------------------------- Aber dennoch muss die Ueberzeugung von der Notwendigkeit der Unterwerfung Britanniens bei den roemischen Staatsmaennern vorgewogen haben. Caesars Verhalten wuerde unbegreiflich sein, wenn man sie nicht bei ihm voraussetzt. Augustus hat das von Caesar gesteckte Ziel trotz seiner Unbequemlichkeit zuerst foermlich anerkannt und niemals foermlich verleugnet. Gerade die weitsichtigsten und folgerichtigsten Regierungen, die des Claudius, des Nero, des Domitian, haben zu der Eroberung Britanniens den Grund gelegt oder sie erweitert; und sie ist, nachdem sie erfolgt war, nie betrachtet worden wie etwa die Traianische von Dakien und Mesopotamien. Wenn die sonst so gut wie unverbruechlich festgehaltene Regierungsmaxime, dass das Roemische Reich seine Grenzen nur zu erfuellen, nicht aber auszudehnen habe, allein in betreff Britanniens dauernd beiseite gesetzt worden ist, so liegt die Ursache darin, dass die Kelten so, wie Roms Interesse es erheischte, auf dem Kontinent allein nicht unterworfen werden konnten. Diese Nation war allem Anschein nach durch den schmalen Meeresarm, der England und Frankreich trennt, mehr verbunden als geschieden; dieselben Voelkernamen begegnen hueben und drueben; die Grenzen der einzelnen Staaten griffen oefter ueber den Kanal hinueber; der Hauptsitz des hier mehr wie irgendwo sonst das ganze Volkstum durchdringenden Priestertums waren von jeher die Inseln der Nordsee. Den roemischen Legionen das Festland Galliens zu entreissen, vermochten diese Insulaner freilich nicht; aber wenn der Eroberer Galliens selbst, und weiter die roemische Regierung in Gallien andere Zwecke verfolgte als in Syrien und Aegypten, wenn die Kelten der italischen Nation angegliedert werden sollten, so war diese Aufgabe wohl unausfuehrbar, solange das unterworfene und das freie Keltengebiet ueber das Meer hin sich beruehrten und der Roemerfeind wie der roemische Deserteur in Britannien eine Freistatt fand ^4. Zunaechst genuegte dafuer schon die Unterwerfung der Suedkueste, obwohl die Wirkung natuerlich sich steigerte, je weiter das freie Keltengebiet zurueckgeschoben ward. Claudius’ besondere Ruecksicht auf seine gallische Heimat und seine Kenntnis gallischer Verhaeltnisse mag auch hierbei mit im Spiel gewesen sein ^5. Den Anlass zum Kriege gab, dass eben dasjenige Fuerstentum, welches von Rom in einer gewissen Abhaengigkeit stand, unter der Fuehrung seines Koenigs Cunobelinus - es ist dies Shakespeares Cymbeline - seine Herrschaft weit ausbreitete ^6 und sich von der roemischen Schutzherrschaft emanzipierte. Einer der Soehne desselben, Adminius, der gegen den Vater sich aufgelehnt hatte, kam schutzbegehrend zum Kaiser Gaius, und darueber, dass dessen Nachfolger sich weigerte, dem britischen Herrscher diese seine Untertanen auszuliefern, entspann sich der Krieg zunaechst gegen den Vater und die Brueder dieses Adminius. Der eigentliche Grund desselben freilich war der unerlaessliche Abschluss der Unterwerfung einer bisher nur halb besiegten, eng zusammenhaltenden Nation. ------------------------------------------------- ^4 Als Ursache des Krieges gibt Sueton (Claud. 17) an: Britanniam tunc tumultuantem ob non redditos transfugas; was O. Hirschfeld mit Recht in Verbindung bringt mit Gai. 44: Adminio Cunobellini Britannorum regis filio, qui pulsus a patre cum exigua mani transfugerat, in deditionem recepto. Mit dem tumultuari werden wohl wenigstens beabsichtigte Pluenderfahrten nach der gallischen Kueste gemeint sein. Um den Bericus (Dio 60, 19) ist der Krieg gewiss nicht gefuehrt worden. ^5 Ebenso war Mona nachher receptaculum perfugarum (Tac. ann. 14, 29). ^6 Tac. ann. 12, 37: pluribus gentibus imperitantem. ------------------------------------------------- Dass die Besetzung Britanniens nicht erfolgen koenne ohne gleichzeitige Vermehrung des stehenden Heeres, war auch die Ansicht derjenigen Staatsmaenner, die sie veranlassten; es wurden drei der Rhein-, eine der Donaulegionen dazu bestimmt ^7, gleichzeitig aber zwei neu errichtete Legionen den germanischen Heeren zugeteilt. Zum Fuehrer dieser Expedition und zugleich zum ersten Statthalter der Provinz wurde ein tuechtiger Soldat, Aulus Plautius, ausersehen; sie ging im Jahre 43 nach der Insel ab. Die Soldaten zeigten sich schwierig, wohl mehr wegen der Verbannung auf die ferne Insel als aus Furcht vor dem Feinde. Einer der leitenden Maenner, vielleicht die Seele des Unternehmens, der kaiserliche Kabinettssekretaer Narcissus, wollte ihnen Mut einsprechen - sie liessen den Sklaven vor hoehnendem Zuruf nicht zu Worte kommen, aber taten, wie er wollte, und schifften sich ein. ------------------------------------------------- ^7 Die drei Legionen vom Rhein sind die 2. Augusta, die 14. und die 20.; aus Pannonien kam die 9. spanische. Dieselben vier Legionen standen dort noch zu Anfang der Regierung Vespasians; dieser rief die 14. ab zum Kriege gegen Civilis, und diese kam nicht zurueck, dafuer aber wahrscheinlich die 2. adiutrix. Diese ist vermutlich unter Domitian nach Pannonien verlegt, unter Hadrian die 9. aufgeloest und durch die 6. victrix ersetzt worden. Die beiden anderen Legionen, 2. Augusta und 20., haben vom Anfang bis zum Ende der Roemerherrschaft in England gestanden. ------------------------------------------------- Besondere Schwierigkeit hatte die Besetzung der Insel nicht. Die Eingeborenen standen politisch wie militaerisch auf derselben niedrigen Entwicklungsstufe, welche Caesar auf der Insel vorgefunden hatte. Koenige oder Koeniginnen regierten in den einzelnen Gauen, die kein aeusseres Band zusammenschloss und die in ewiger Fehde miteinander lagen. Die Mannschaften waren wohl von ausdauernder Koerperkraft und von todesverachtender Tapferkeit und namentlich tuechtige Reiter. Aber der homerische Streitwagen, der hier noch eine Wirklichkeit war und auf dem die Fuersten des Landes selber die Zuegel fuehrten, hielt den geschlossenen roemischen Reiterschwadronen ebensowenig stand, wie der Infanterist ohne Panzer und Helm, nur durch den kleinen Schild verteidigt, mit seinem kurzen Wurfspiess und seinem breiten Schwert im Nahkampf dem kurzen roemischen Messer gewachsen war oder gar dem schweren Pilum des Legionaers und dem Schleuderblei und dem Pfeil der leichten roemischen Truppen. Der Heermasse von etwa 40000 wohlgeschulten Soldaten hatten die Eingeborenen ueberall keine entsprechende Abwehr entgegenzustellen. Die Ausschiffung traf nicht einmal auf Widerstand; die Briten hatten Kunde von der schwierigen Stimmung der Truppen und die Landung nicht mehr erwartet. Koenig Cunobelinus war kurz vorher gestorben; die Gegenwehr fuehrten seine beiden Soehne, Caratacus und Togodumnus. Der Marsch des Invasionsheeres ward sofort auf Camalodunum gerichtet ^8 und in raschem Siegeslauf gelangte es bis an die Themse; hier wurde Halt gemacht, vielleicht hauptsaechlich, um dem Kaiser die Gelegenheit zu geben, den leichten Lorbeer persoenlich zu pfluecken. Sobald er eintraf, ward der Fluss ueberschritten, das britische Aufgebot geschlagen, wobei Togodumnus den Tod fand, Camalodunum selber genommen. Wohl setzte der Bruder Caratacus den Widerstand hartnaeckig fort und gewann sich, siegend oder geschlagen, einen stolzen Namen bei Freund und Feind; aber das Vorschreiten der Roemer war dennoch unaufhaltsam. Ein Fuerst nach dem andern ward geschlagen und abgesetzt - elf britische Koenige nennt der Ehrenbogen des Claudius als von ihm besiegt; und was den roemischen Waffen nicht erlag, das ergab sich den roemischen Spenden. Zahlreiche vornehme Maenner nahmen die Besitzungen an, die auf Kosten ihrer Landsleute der Kaiser ihnen verlieh; auch manche Koenige fuegten sich in die bescheidene Lehnsstellung, wie denn der der Regner (Chichester), Cogidumnus, und der der Icener (Norfolk), Prasutagus, eine Reihe von Jahren als Lehnsfuersten die Herrschaft gefuehrt haben. Aber in den meisten Distrikten der bis dahin durchgaengig monarchisch regierten Insel fuehrten die Eroberer ihre Gemeindeverfassung ein und gaben, was noch zu verwalten blieb, den oertlichen Vornehmen in die Hand; was denn freilich schlimme Parteiungen und innere Zerwuerfnisse im Gefolge hatte. Noch unter dem ersten Statthalter scheint das gesamte Flachland bis etwa zum Humber hinauf in roemische Gewalt gekommen zu sein; die Icener zum Beispiel haben bereits ihm sich ergeben. Aber nicht bloss mit dem Schwert bahnten die Roemer sich den Weg. Unmittelbar nach der Einnahme wurden nach Camalodunum Veteranen gefuehrt und die erste Stadt roemischer Ordnung und roemischen Buergerrechts, die "Claudische Siegeskolonie", in Britannien gegruendet, bestimmt zur Landeshauptstadt. Unmittelbar nachher begann auch die Ausbeutung der britannischen Bergwerke, namentlich der ergiebigen Bleigruben; es gibt britannische Bleibarren aus dem sechsten Jahre nach der Invasion. Offenbar hat in gleicher Schleunigkeit der Strom roemischer Kaufleute und Industrieller sich ueber das neu geschlossene Gebiet ergossen; wenn Camalodunum roemische Kolonisten empfing, so bildeten anderswo im Sueden der Insel, namentlich an den warmen Quellen der Sulis (Bath), in Verulamium (St. Albans, nordwestlich von London) und vor allem in dem natuerlichen Emporium des Grossverkehrs, in Londinium an der Themsemuendung, bloss infolge des freien Verkehrs und der Einwanderung sich roemische Ortschaften, die bald auch formell staedtische Organisation erhielten. Die vordringende Fremdherrschaft machte nicht bloss in den neuen Abgaben und Aushebungen, sondern vielleicht mehr noch in Handel und Gewerbe ueberall sich geltend. Als Plautius nach vierjaehriger Verwaltung abberufen ward, zog er, der letzte Private, der zu solcher Ehre gelangt ist, triumphierend in Rom ein, und Ehren und Orden stroemten herab auf die Offiziere und Soldaten der siegreichen Legionen; dem Kaiser wurden in Rom und danach in anderen Staedten Triumphbogen errichtet wegen des "ohne irgendwelche Verluste" errungenen Sieges; der kurz vor der Invasion geborene Kronprinz erhielt anstatt des grossvaeterlichen den Namen Britannicus. Man wird hierin die unmilitaerische, der Siege mit Verlust entwoehnte Zeit und die der politischen Altersschwaeche angemessene Ueberschwenglichkeit erkennen duerfen; aber wenn die Invasion Britanniens vom militaerischen Standpunkt aus nicht viel bedeuten will, so muss doch den leitenden Maennern das Zeugnis gegeben werden, dass sie das Werk in energischer und folgerichtiger Weise angriffen und die peinliche und gefahrvolle Zeit des Uebergangs von der Unabhaengigkeit zur Fremdherrschaft in Britannien eine ungewoehnlich kurze war. --------------------------------------------------- ^8 Die nur auf bedenkliche Emendationen gestuetzte Identifikation der Boduner und Catuellaner bei Dio 60, 20 mit Voelkerschaften aehnlichen Namens bei Ptolemaeos kann nicht richtig sein; diese ersten Kaempfe muessen zwischen der Kueste und der Themse stattgefunden haben. --------------------------------------------------- Nach dem ersten raschen Erfolg freilich entwickelten auch hier sich die Schwierigkeiten und selbst die Gefahren, welche die Besetzung der Insel nicht bloss den Eroberten brachte, sondern auch den Eroberern. Des Flachlandes war man Herr, aber nicht der Berge noch des Meeres. Vor allem der Westen machte den Roemern zu schaffen. Zwar im aeussersten Suedwest, im heutigen Cornwall, hielt sich das alte Volkstum wohl mehr, weil die Eroberer sich um diese entlegene Ecke wenig kuemmerten, als weil es geradezu sich gegen sie auflehnte. Aber die Siluren im Sueden des heutigen Wales und ihre noerdlichen Nachbarn, die Ordoviker, trotzten beharrlich den roemischen Waffen; die den letzteren anliegende Insel Mona (Anglesey) war der rechte Herd der nationalen und religioesen Gegenwehr. Nicht die Bodenverhaeltnisse allein hemmten das Vordringen der Roemer; was Britannien fuer Gallien gewesen, das war jetzt fuer Britannien, und insbesondere fuer diese Westkueste, die grosse Insel Ivernia; die Freiheit drueben liess die Fremdherrschaft hueben nicht feste Wurzel fassen. Deutlich erkennt man an der Anlegung der Legionslager, dass die Invasion hier zum Stehen kam. Unter Plautius’ Nachfolger wurde das Lager fuer die vierzehnte Legion am Einfluss des Tern in den Severn bei Viroconium (Wroxeter, unweit Shrewsbury ^9) angelegt, vermutlich um dieselbe Zeit suedlich davon das von Isca (Caerleon = castra legionis) fuer die zweite, noerdlich das von Deva (Chester = castra) fuer die zwanzigste; diese drei Lager schlossen das walisische Gebiet ab gegen Sueden, Norden und Westen und schuetzten also das befriedete Land gegen das frei gebliebene Gebirge. Dorthin warf sich, nachdem seine Heimat roemisch geworden war, der letzte Fuerst von Camalodunum, Caratacus. Er wurde von dem Nachfolger des Plautius, Publius Ostorius Scapula, im Ordovikergebiet geschlagen und bald darauf von den geschreckten Briganten, zu denen er gefluechtet war, den Roemern ausgeliefert (51) und mit all den Seinen nach Italien gefuehrt. Verwundert fragte er, als er die stolze Stadt sah, wie es die Herren solcher Palaeste nach den armen Huetten seiner Heimat verlangen koenne. Aber damit war der Westen keineswegs bezwungen; die Siluren vor allem verharrten in hartnaeckiger Gegenwehr, und dass der roemische Feldherr ankuendigte, sie bis auf den letzten Mann ausrotten zu wollen, trug auch nicht dazu bei, sie fuegsamer zu machen. Der unternehmende Statthalter Gaius Suetonius Paullinus versuchte einige Jahre spaeter (61), den Hauptsitz des Widerstandes, die Insel Mona, in roemische Gewalt zu bringen, und trotz der wuetenden Gegenwehr, welche ihn hier empfing und in der die Priester und die Weiber vorangingen, fielen die heiligen Baeume, unter denen mancher roemische Gefangene geblutet hatte, unter den Aexten der Legionaere. Aber aus der Besetzung dieses letzten Asyls der keltischen Priesterschaft entwickelte sich eine gefaehrliche Krise in dem unterworfenen Gebiete selbst, und die Eroberung Monas zu vollenden, war dem Statthalter nicht beschieden. ---------------------------------------------------- ^9 Tac. ann. 12, 31: (P. Ostorius) cuncta castris ad . . . ntonam (ueberliefert ist castris antonam) et Sabrinam fluvios cohibere parat. So ist hier herzustellen, nur dass der sonst nicht ueberlieferte Name des Flusses Tern nicht ergaenzt werden kann. Die einzigen in England gefundenen Inschriften von Soldaten der 14. Legion, die unter Nero England verliess, sind in Wroxeter, dem sogenannten "englischen Pompeii" zum Vorschein gekommen. Da dort sich auch die Grabschrift eines Soldaten der 20. gefunden hat, war das von Tacitus bezeichnete Lager vielleicht anfaenglich beiden Legionen gemeinsam und ist die 20. erst spaeter nach Deva gekommen. Dass das Lager bei Isca gleich nach der Invasion angelegt ward, geht aus Tac. ann. 12, 32 u. 38 hervor. ---------------------------------------------------- Auch in Britannien hatte die Fremdherrschaft die Probe der nationalen Insurrektion zu bestehen. Was Mithradates in Kleinasien, Vercingetorix bei den Kelten des Kontinents, Civilis bei den unterworfenen Germanen unternahmen, das versuchte bei den Inselkelten eine Frau, die Gattin eines jener von Rom bestaetigten Vasallenfuersten, die Koenigin der Icener, Boudicca. Ihr verstorbener Gatte hatte, um seiner Frau und seiner Toechter Zukunft zu sichern, seine Herrschaft dem Kaiser Nero vermacht, sein Vermoegen zwischen ihm und den Seinigen geteilt. Der Kaiser nahm die Erbschaft an, aber was ihm nicht zufallen sollte, dazu; die fuerstlichen Vettern wurden in Ketten gelegt, die Witwe geschlagen, die Toechter in schaendlicherer Weise misshandelt. Dazu kam andere Unbill des spaeteren Neronischen Regiments. Die in Camalodunum angesiedelten Veteranen jagten die frueheren Besitzer von Haus und Hof, wie es ihnen beliebte, ohne dass die Behoerden dagegen einschritten. Die vom Kaiser Claudius verliehenen Geschenke wurden als widerrufliche Gaben eingezogen. Roemische Minister, die zugleich Geldgeschaefte machten, trieben auf diesem Wege die britannischen Gemeinden eine nach der anderen zum Bankrott. Der Moment war guenstig. Der mehr tapfere als vorsichtige Statthalter Paullinus befand sich, wie gesagt wurde, mit dem Kern der roemischen Armee auf der entlegenen Insel Mona, und dieser Angriff auf den heiligsten Sitz der nationalen Religion erbitterte ebenso die Gemueter, wie er dem Aufstande den Weg ebnete. Der alte gewaltige Keltenglaube, der den Roemern so viel zu schaffen gemacht, loderte noch einmal, zum letzten Mal, in maechtiger Flamme empor. Die geschwaechten und weitgetrennten Legionslager im Westen und im Norden gewaehrten dem ganzen Suedosten der Insel mit seinen aufbluehenden roemischen Staedten keinen Schutz. Vor allem die Hauptstadt Camalodunum war voellig wehrlos, eine Besatzung nicht vorhanden, die Mauern nicht vollendet, wohl aber der Tempel ihres kaiserlichen Stifters, des neuen Gottes Claudius. Der Westen der Insel, wahrscheinlich niedergehalten durch die dort stehenden Legionen, scheint sich bei der Schilderhebung nicht beteiligt zu haben und ebensowenig der nicht botmaessige Norden; aber, wie das bei keltischen Aufstaenden oefter vorgekommen ist, es erhob sich im Jahre 61 auf die vereinbarte Losung das ganze uebrige unterworfene Gebiet auf einen Schlag gegen die Fremden, voran die aus ihrer Hauptstadt vertriebenen Trinovanten. Der zweite Befehlshaber, der zur Zeit den Statthalter vertrat, der Prokurator Decianus Catus, hatte im letzten Augenblick, was er von Soldaten hatte, dieser zum Schutz gesandt: es waren 200 Mann. Sie wehrten sich mit den Veteranen und den sonstigen waffenfaehigen Roemern zwei Tage im Tempel; dann wurden sie ueberwaeltigt und was in der Stadt roemisch war, umgebracht bis auf den letzten. Das gleiche Schicksal erfuhr das Hauptemporium des roemischen Handels, Londinium, und eine dritte aufbluehende roemische Stadt, Verulamium (St. Albans, nordwestlich von London), nicht minder die auf der Insel zerstreuten Auslaender - es war eine nationale Vesper, gleich jener Mithradatischen und die Zahl der Opfer - angeblich 70000 - nicht geringer. Der Prokurator gab die Sache Roms verloren und fluechtete nach dem Kontinent. Auch die roemische Armee ward in die Katastrophe verwickelt. Eine Anzahl zerstreuter Detachements und Besatzungen erlag den Angriffen der Insurgenten. Quintus Petillius Cerialis, der im Lager von Lindum den Befehl fuehrte, marschierte auf Camalodunum mit der neunten Legion; zur Rettung kam er zu spaet und verlor, von ungeheurer Uebermacht angegriffen, in der Feldschlacht sein gesamtes Fussvolk; das Lager erstuermten die Briganten. Es fehlte nicht viel, dass den obersten Feldherrn das gleiche Schicksal erreichte. Eilig zurueckkehrend von der Insel Mona, rief er die bei Isca stehende zweite Legion heran; aber sie gehorchte dem Befehle nicht und mit nur etwa 10000 Mann musste Paullinus den ungleichen Kampf gegen das zahllose und siegreiche Insurgentenheer aufnehmen. Wenn je der Soldat die Fehler der Fuehrung gutgemacht hat, so war es an dem Tage, wo dieser kleine Haufen, hauptsaechlich die seitdem gefeierte vierzehnte Legion, wohl zu seiner eigenen Ueberraschung den vollen Sieg erfocht und die roemische Herrschaft in Britannien abermals festigte; viel fehlte nicht, dass Paullinus Name neben dem des Varus genannt worden waere. Aber der Erfolg entscheidet, und hier blieb er den Roemern ^10. Der schuldige Kommandant der ausgebliebenen Legion kam dem Kriegsgericht zuvor und stuerzte sich in sein Schwert. Die Koenigin Boudicca trank den Giftbecher. Der uebrigens tapfere Feldherr wurde zwar nicht in Untersuchung gezogen, wie anfangs die Absicht der Regierung zu sein schien, aber bald unter einem schicklichen Vorwand abgerufen. ---------------------------------------------------- ^10 Eine schlechtere Relation als die des Tacitus ueber diesen Krieg (14, 31-39) ist selbst bei diesem unmilitaerischsten aller Schriftsteller kaum aufzufinden. Wo die Truppen standen und wo die Schlachten geliefert wurden, hoeren wir nicht dafuer aber von Zeichen und Wundern genug und leere Worte nur zu viel. Die wichtigen Tatsachen, die im Leben des Agricola (31) erwaehnt werden, fehlen im Hauptbericht insonderheit die Erstuermung des Lagers. Dass Paullinus, von Mona kommend, nicht bedacht ist, die Roemer im Suedosten zu retten, sondern seine Truppen Zu vereinigen, begreift sich, aber nicht, warum er, wenn er Londinium aufopfern wollte, deswegen dahin marschiert. Ist er wirklich dorthin gekommen, so kann er nur mit einer persoenlichen Bedeckung, ohne das Korps, das er auf Mona bei sich gehabt, dort erschienen sein; was freilich auch keinen Sinn hat. Das Gros der roemischen Truppen, sowohl der von Mona zurueckgefuehrten wie der sonst noch vorhandenen, kann nach Rufreibung der 9. Legion nur auf der Linie Deva - Viroconium - Isca gestanden haben; Paullinus schlug die Schlacht mit den beiden in den beiden ersten dieser Lager stehenden Legionen der 14. und der (unvollstaendigen) 20. Dass Paullinus schlug, weil er schlagen masste, sagt Dio (62, 1-12), und wenngleich dessen Erzaehlung sonst auch nicht gebraucht werden kann, um die des Tacitus zu bessern, so scheint dies durch die Sachlage selbst gefordert. ---------------------------------------------------- Die Unterwerfung der westlichen Teile der Insel wurde von Paullinus Nachfolgern nicht sogleich fortgesetzt. Erst der tuechtige Feldherr Sextus Iulius Frontinus unter Vespasian zwang die Siluren zur Anerkennung der roemischen Herrschaft; sein Nachfolger Gnaeus Iulius Agricola fuehrte nach harten Kaempfen mit den Ordovikern das aus, was Paullinus nicht erreicht hatte, und besetzte im Jahre 78 die Insel Mona. Nachher ist von aktivem Widerstand in diesen Gegenden nicht die Rede; das Lager von Viroconium konnte, wahrscheinlich um diese Zeit, aufgehoben, die dadurch frei gewordene Legion im noerdlichen Britannien verwendet werden. Aber die anderen beiden Legionslager von Isca und von Deva sind noch bis in die diocletianische Zeit an Ort und Stelle geblieben und erst in dem spaeteren Besatzungsstand verschwunden. Wenn dabei auch politische Ruecksichten mitgewirkt haben moegen, so ist doch der Widerstand des Westens wahrscheinlich, vielleicht gestuetzt auf Verbindungen mit Ivernia, auch spaeter noch fortgefuehrt worden. Dafuer spricht ferner das voellige Fehlen roemischer Spuren in dem inneren Wales und das daselbst bis auf den heutigen Tag sich behauptende keltische Volkstum. Im Norden bildete den Mittelpunkt der roemischen Stellung, oestlich von Viroconium das Lager der neunten spanischen Legion in Lindum (Lincoln). Zunaechst mit diesem beruehrte sich in Nordengland das maechtigste Fuerstentum der Insel, das der Briganten (Yorkshire); es hatte sich nicht eigentlich unterworfen, aber die Koenigin Cartimandus suchte doch mit den Eroberern Frieden zu halten und erwies sich ihnen gefuegig. Die Partei der Roemerfeinde hatte hier im Jahre 50 loszuschlagen versucht, aber der Versuch war rasch unterdrueckt worden. Caratacus, im Westen geschlagen, hatte gehofft, seinen Widerstand im Norden fortfuehren zu koennen, aber die Koenigin lieferte ihn, wie schon gesagt ward, den Roemern aus. Diese inneren Zwistigkeiten und haeuslichen Haendel muessen dann in dem Aufstand gegen Paullinus, bei dem wir die Briganten in einer fuehrenden Stellung fanden und der eben die Legion des Nordens mit seiner ganzen Schwere traf, mit im Spiel gewesen sein. Indes war die roemische Partei der Briganten einflussreich genug, um nach Niederwerfung des Aufstandes die Wiederherstellung des Regiments der Cartimandus zu erlangen. Aber einige Jahre nachher bewirkte die Patriotenpartei daselbst, getragen durch die Losung des Abfalles von Rom, welche waehrend des Buergerkrieges nach Neros Katastrophe den ganzen Westen erfuellte, eine neue Schilderhebung der Briganten gegen die Fremdherrschaft, an deren Spitze Cartimandus’ frueherer, von ihr beseitigter und beleidigter Gemahl, der kriegserfahrene Venutius stand; erst nach laengeren Kaempfen bezwang Petillius Cerialis das maechtige Volk, derselbe, der unter Paullinus nicht gluecklich gegen eben diese Briten gefochten hatte, jetzt einer der namhaftesten Feldherren Vespasians und der erste von ihm ernannte Statthalter der Insel. Der allmaehlich nachlassende Widerstand des Westens machte es moeglich, die eine der drei bisher dort stationierten Legionen mit der in Lindum stehenden zu vereinigen und das Lager selbst von Lindum nach dem Hauptort der Briganten, Eburacum (York), vorzuschieben. Indes so lange der Westen ernstliche Gegenwehr leistete, geschah im Norden nichts weiter fuer die Ausdehnung der roemischen Grenze; am Kaledonischen Walde, sagt ein Schriftsteller vespasianischer Zeit stocken seit dreissig Jahren die roemischen Waffen. Erst Agricola griff, nachdem er im Westen fertig war, die Unterwerfung auch des Nordens energisch an. Er schuf vor allem sich eine Flotte, ohne welche die Verpflegung der Truppen in diesen, wenige Hilfsmittel darbietenden Gebirgen unmoeglich gewesen sein wuerde. Gestuetzt auf diese gelangte er unter Titus (80) bis an die Tava-Bucht (Firth of Tay) in die Gegend von Perth und Dundee und wandte die drei folgenden Feldzuege daran, die weiten Landstriche zwischen dieser Bucht und der bisherigen roemischen Grenze an beiden Meeren genau zu erkunden, den oertlichen Widerstand ueberall zu brechen und an den geeigneten Stellen Verschanzungen anzulegen, wobei namentlich die natuerliche Verteidigungslinie, welche durch die beiden tief einschneidenden Buchten Clota (Firth of Clyde) bei Glasgow und Bodotria (Firth of Forth) bei Edinburgh gebildet wird, zum Rueckhalt ausersehen ward. Dieser Vorstoss rief das gesamte Hochland unter die Waffen; aber die gewaltige Schlacht, welche die vereinigten kaledonischen Staemme den Legionen zwischen den beiden Buchten Forth und Tay an den Graupischen Bergen lieferten, endigte mit dem Siege Agricolas. Nach seiner Ansicht musste die Unterwerfung der Insel, einmal begonnen, auch vollendet, ja auch auf Ivernia ausgedehnt werden; und es liess sich dafuer mit Ruecksicht auf das roemische Britannien geltend machen, was mit Ruecksicht auf Gallien die Besetzung der Insel herbeigefuehrt hatte; hinzu kam, dass bei energischer Durchfuehrung der Besetzung des gesamten Inselkomplexes der Aufwand an Menschen und Geld fuer die Zukunft wahrscheinlich sich verringert haben wuerde. Die roemische Regierung folgte diesen Ratschlaegen nicht. Wieweit bei der Rueckberufung des siegreichen Feldherrn im Jahre 85, der uebrigens laenger, als sonst der Fall zu sein pflegte, im Amte geblieben war, persoenliche und gehaessige Motive mitgewirkt haben, muss dahingestellt bleiben; das Zusammentreffen der letzten Siege des Generals in Schottland und der ersten Niederlagen des Kaisers im Donauland war allerdings in hohem Grade peinlich. Aber fuer das Einstellen der Operationen in Britannien ^11 und fuer die, wie es scheint, damals erfolgte Abberufung einer der vier Legionen, mit denen Agricola seine Feldzuege ausgefuehrt hatte, nach Pannonien, gibt die damalige militaerische Lage des Staats, die Ausdehnung der roemischen Herrschaft auf dem rechten Rheinufer in Obergermanien und der Ausbruch der gefaehrlichen Kriege in Pannonien, eine voellig hinreichende Erklaerung. Das freilich ist damit nicht erklaert, warum hiermit dem Vordringen gegen Norden ueberhaupt ein Ziel gesetzt und Nordschottland sowohl wie Irland sich selber ueberlassen wurden. Dass seitdem die Regierung, nicht wegen Zufaelligkeiten der augenblicklichen Lage, sondern ein fuer allemal von der Vorschiebung der Reichsgrenze absah und daran bei allem Wechsel der Persoenlichkeiten festhielt, lehrt die gesamte spaetere Geschichte der Insel und lehren insbesondere die gleich zu erwaehnenden muehsamen und kostspieligen Wallbauten. Ob sie im rechten Interesse des Staates auf die Vollendung der Eroberung verzichtet hat, ist eine andere Frage. Dass die Reichsfinanzen bei dieser Erweiterung der Grenzen nur einbuessen wuerden, wurde auch jetzt ebenso geltend gemacht ^12, wie frueher gegen die Besetzung der Insel selbst, konnte aber freilich nicht entscheiden. Militaerisch durchfuehrbar war die Besetzung so, wie Agricola sie gedacht hatte, ohne Zweifel ohne wesentliche Schwierigkeit. Aber ins Gewicht mochte die Erwaegung fallen, dass die Romanisierung der noch freien Gebiete grosse Schwierigkeit bereitet haben wuerde wegen der Stammesverschiedenheit. Die Kelten im eigentlichen England gehoerten durchaus zu denen des Festlands; Volksname, Glaube, Sprache waren beiden gemeinsam. Wenn die keltische Nationalitaet des Kontinents einen Rueckhalt an der Insel gefunden hatte, so griff umgekehrt die Romanisierung Galliens notwendig auch nach England hinueber, und diesem vornehmlich verdankte es Rom, dass in so ueberraschender Schnelligkeit Britannien sich gleichfalls romanisierte. Aber die Bewohner Irlands und Schottlands gehoerten einem anderen Stamme an und redeten eine andere Sprache; ihr Gadhelisch verstand der Brite wahrscheinlich so wenig wie der Germane die Sprache der Skandinaven. Als Barbaren wildester Art werden die Kaledonier - mit den Ivernern haben die Roemer sich kaum beruehrt - durchaus geschildert. Andererseits waltete der Eichenpriester (Derwydd, Druida) seines Amtes an der Rhone wie in Anglesey, aber nicht auf der Insel des Westens noch in den Bergen des Nordens. Wenn die Roemer den Krieg hauptsaechlich gefuehrt hatten, um das Druidengebiet ganz in ihre Gewalt zu bringen, so war dieses Ziel einigermassen erreicht. Ohne Frage haetten in anderer Zeit alle diese Erwaegungen die Roemer nicht vermocht, auf die so nahe gerueckte Seegrenze im Norden zu verzichten und wenigstens Kaledonien waere besetzt worden. Aber weitere Landschaften mit roemischem Wesen zu durchdringen, vermochte das damalige Rom nicht mehr; die zeugende Kraft und der vorschreitende Volksgeist waren aus ihm entwichen. Wenigstens diejenige Eroberung, die nicht durch Verordnungen und Maersche erzwungen werden kann, waere, wenn man sie versucht haette, schwerlich gelungen. ----------------------------------------------------------------- ^11 Tac. hist. I, 2 fasst das Resultat zusammen in die Worte perdomita Britannia et statim missa. ^12 Der kaiserliche Finanzbeamte unter Pius, Appian (prooem. 5), bemerkt, dass die Roemer den besten Teil (to kratiston) der britischen Insel besetzt haetten oiden t/e/s all/e/s deomenoi. oy’ gar e?phoros aytois estin oyd’ /e/n echoysin. Das ist die Antwort der Gouvernementalen an Agricola und seine Meinungsgenossen. ----------------------------------------------------------------- Es kam also darauf an, die Nordgrenze fuer die Verteidigung in geeigneter Weise einzurichten; und darum dreht sich fortan hier die militaerische Arbeit. Der militaerische Mittelpunkt blieb Eburacum. Das weite, von Agricola besetzte Gebiet wurde festgehalten und mit Kastellen belegt, die als vorgeschobene Posten fuer das zurueckliegende Hauptquartier dienten; wahrscheinlich ist der groesste Teil der nicht legionaeren Truppen zu diesem Zweck verwendet worden. Spaeter folgte die Anlage zusammenhaengender Befestigungslinien. Die erste der Art ruehrt von Hadrian her und ist auch insofern merkwuerdig, als sie in gewissem Sinn bis auf den heutigen Tag noch besteht und vollstaendiger bekannt ist als irgendeine andere der grossen militaerischen Bauten der Roemer. Es ist genau genommen eine von Meer zu Meer in der Laenge von etwa 16 deutschen Meilen westlich an den Solway Firth, oestlich an die Muendung der Tyne fuehrende, nach beiden Seiten hin festungsmaessig geschuetzte Heerstrasse. Die Verteidigung bildet noerdlich eine gewaltige urspruenglich mindestens 16 Fuss hohe und 8 Fuss dicke, an beiden Aussenseiten aus Quadersteinen erbaute, dazwischen mit Bruchsteinen und Moertel ausgefuellte Mauer, vor welcher ein nicht minder imponierender, 9 Fuss tiefer, oben bis 34 Fuss und mehr breiter Graben sich hinzieht. Gegen Sueden ist die Strasse geschuetzt durch zwei parallele, noch jetzt 6 bis 7 Fuss hohe Erddaemme, zwischen denen ein 7 Fuss tiefer Graben mit einem nach Sueden aufgehoehten Rande sich hinzieht, so dass die Anlage von Damm zu Damm eine Gesamtbreite von 24 Fuss hat. Zwischen der Steinmauer und den Erddaemmen, auf der Strasse selbst, liegen die Lagerplaetze und Wachthaeuser, naemlich in der Entfernung einer kleinen Meile voneinander die Kohortenlager, angelegt als selbstaendig wehrfaehige Kastelle mit Toroeffnungen nach allen vier Seiten; zwischen je zweien derselben eine kleinere Anlage aehnlicher Art mit Ausfallstoren nach Norden und Sueden; zwischen je zweien von diesen vier kleinere Wachthaeuser in Rufweite voneinander. Diese Anlage von grossartiger Soliditaet, welche als Besatzung 10000 bis 12000 Mann erfordert haben muss, bildete seitdem das Fundament der militaerischen Operationen im noerdlichen England. Eigentlicher Grenzwall war sie nicht; vielmehr haben nicht bloss die schon seit Agricolas Zeit weit darueber hinaus vorgeschobenen Posten daneben fortbestanden, sondern es ist spaeterhin, zuerst unter Pius, dann in umfassenderer Weise unter Severus gleichsam als Vorposten fuer den Hadrianswall ^13 die schon von Agricola mit einer Postenreihe besetzte, um die Haelfte kuerzere Linie vom Firth of Clyde zum Firth of Forth in aehnlicher, aber schwaecherer Weise befestigt worden. Der Anlage nach war diese Linie von der Hadrianischen nur insofern verschieden, als sie sich auf einen ansehnlichen Erdwall, mit Graben davor und Strasse dahinter, beschraenkte, nach Sueden also nicht zur Verteidigung eingerichtet war; im uebrigen schloss auch sie eine Anzahl kleinerer Lager in sich. An dieser Linie endigten die roemischen Reichsstrassen ^14, und obwohl auch jenseits dieser noch roemische Posten standen - der noerdlichste Punkt, auf dem der Grabstein eines roemischen Soldaten sich gefunden hat, ist Ardoch zwischen Stirling und Perth -, kann die Grenze der Zuege Agricolas, der Firth of Tay, auch spaeter noch als die Grenze des Roemischen Reiches angesehen werden. ------------------------------------------------ ^13 Die Meinung, dass der noerdliche Wall an die Stelle des suedlichen getreten sei, ist ebenso verbreitet wie unhaltbar; die Kohortenlager am Hadrianswall, wie sie uns die Inschriften des 2. Jahrhunderts zeigen, bestanden im wesentlichen unveraendert noch am Ende des 3. (denn dieser Epoche gehoert der betreffende Abschnitt der Notitia an). Beide Anlagen haben nebeneinander bestanden, seit die juengere hinzugetreten war; auch zeigt die Masse der Denkmaeler am Severuswall mit Evidenz, dass er bis zum Ende der roemischen Herrschaft in Britannien besetzt geblieben ist. Der Bau des Severus kann nur auf die noerdliche Anlage bezogen werden. Einmal war die Anlage des Hadrian von der Art, dass eine etwaige Wiederherstellung unmoeglich, wie dies von der Severischen gesagt wird, als Neubau aufgefasst werden konnte; aber die Anlage des Pius war ein blosser Erddamm (murus cespiticius, vita c. 5) und unterliegt hier die gleiche Annahme minderem Bedenken. Zweitens passt die Laenge des Severuswalles von 32 Milien (Aur. Vict. epit. 20; die unmoegliche Zahl 132 ist ein Schreibfehler unserer Handschriften des Eutropius 8, 19 - wo Paulus das Richtige bewahrt hat -, der dann von Hier. chron. a. Abr. 2221, Oros. hist. 7, 17, 7 und Cassiod. chron. zum Jahre 207 uebernommen worden ist) nicht auf den Hadrianswall von 80 Milien; aber die Anlage des Pius, die nach den inschriftlichen Erhebungen etwa 40 Milien lang war, kann wohl gemeint sein, da die Endpunkte der Severischen Anlage an den beiden Meeren recht wohl andere und naeher gelegene gewesen sein koennen. Wenn endlich nach Dio 76,12 von der Mauer, welche die Insel in zwei Teile teilt, noerdlich die Kaledonien suedlich die Maeaten wohnen, so sind zwar die Wohnsitze der letzteren sonst nicht bekannt (vgl. Dio 75, 5), koennen aber unmoeglich auch nach der Schilderung, die Dio von ihrer Gegend macht, suedlich vom Hadrianswall angesetzt und die der Kaledonier bis an diesen erstreckt werden. Also ist hier die Linie Glasgow-Edinburgh gemeint. ^14 A limite id est a vallo heisst es im Itinerarium, p. 464. ------------------------------------------------ Weniger als von diesen imponierenden Verteidigungsanlagen wissen wir von der Anwendung, die sie gefunden haben und ueberhaupt den spaeteren Ereignissen auf diesem fernen Kriegsschauplatz. Unter Hadrian ist eine schwere Katastrophe hier eingetreten, allem Anschein nach ein Ueberfall des Lagers von Eburacum und die Vernichtung der dort stehenden Legion ^15, derselben neunten, die im Boudiccakrieg so ungluecklich gefochten hatte. Wahrscheinlich ist diese nicht durch feindlichen Einfall herbeigefuehrt, sondern durch den Abfall der noerdlichen als reichsuntertaenig geltenden Voelkerschaften, insbesondere der Briganten. Damit wird in Verbindung zu bringen sein, dass der Hadrianswall ebenso gegen Sueden wie gegen Norden Front macht; offenbar war er auch dazu bestimmt, das nur oberflaechlich unterworfene Nordengland niederzuhalten. Auch unter Hadrians Nachfolger Pius haben hier Kaempfe stattgefunden, an denen die Briganten wieder beteiligt waren; doch laesst sich Genaueres nicht erkennen ^16. Der erste ernstliche Angriff auf diese Reichsgrenze und die erste nachweisliche Ueberschreitung der Mauer - ohne Zweifel derjenigen des Pius - erfolgte unter Marcus und weiter unter Commodus; wie denn auch Commodus der erste Kaiser ist, der den Siegesbeinamen des Britannikers angenommen hat, nachdem der tuechtige General Ulpius Marcellus die Barbaren zu Paaren getrieben hatte. Aber das Sinken der roemischen Macht tritt seitdem hier ebenso hervor wie an der Donau und am Euphrat. In den unruhigen Anfangsjahren des Severus hatten die Kaledonier ihre Zusage, sich nicht mit den roemischen Untertanen einzulassen, gebrochen, und, auf sie gestuetzt, ihre suedlichen Nachbarn, die Maeaten, den roemischen Statthalter Lupus genoetigt, gefangene Roemer mit grossen Summen zu loesen. Dafuer traf sie Severus’ schwerer Arm nicht lange vor seinem Tode; er drang in ihr eigenes Gebiet ein und zwang sie zur Abtretung betraechtlicher Strecken ^17, aus welchen freilich, nachdem der alte Kaiser im Jahre 211 im Lager von Eburacum gestorben war, seine Soehne die Besatzungen sofort freiwillig zurueckzogen, um der laestigen Verteidigung ueberhoben zu sein. ----------------------------------------------- ^15 Der Hauptbeweis dafuer liegt in dem unzweifelhaft bald nach dem Jahre 108 (CIL VII, 241) eintretenden Verschwinden dieser Legion und ihrer Ersetzung durch die 6. victrix. Die beiden Notizen, welche auf dies Ereignis hindeuten (Fronto p. 217 Naher: Hadriano imperium obtinente quantum militum a Britannis caesum? Vita 5: Britanni teneri sub Romana dicione non poterant) sowie die Anspielung bei Iuvenal (14, 196: castella Brigantum) fuehren auf einen Aufstand, nicht auf einen Einfall. ^16 Wenn Pius nach Pausanias (8, 43, 4) apetemeto t/o/n en Britannia Brigant/o/n t/e/n poll/e/n oti epesbainein kai o?toi s?n oplois /e/rxan eis t/e/n Genoynian moiran (unbekannt, vielleicht, wie O. Hirschfeld vorschlaegt, die Brigantenstadt Vinovia) ypkooys R/o/mai/o/n, so folgt daraus nicht, dass es auch Briganten in Kaledonien gab, sondern dass die Briganten in Nordengland damals das befriedete Brittenland heimsuchten und darum ein Teil ihres Gebiets konfisziert ward. ^17 Dass er die Absicht gehabt hat, den ganzen Norden in roemische Gewalt zu bringen (Dio 76, 13), vertraegt sich weder recht mit der Abtretung (a. a. O.) noch mit dem Mauerbau und ist wohl ebenso fabelhaft wie der roemische Verlust von 50000 Mann, ohne dass es auch nur zum Kampfe kam. ----------------------------------------------- Aus dem dritten Jahrhundert wird von den Schicksalen der Insel kaum etwas gemeldet. Da keiner der Kaiser, bis auf Diocletian und seine Kollegen, den Siegernamen von der Insel gefuehrt hat, moegen ernstere Kaempfe hier nicht stattgefunden haben, und wenn auch in dem Landstrich zwischen den Waellen des Pius und des Hadrianus das roemische Wesen wohl nie festen Fuss gefasst hat, scheint doch wenigstens der Hadrianswall was er sollte, auch damals geleistet und hinter ihm die fremdlaendische Zivilisation gesichert sich entwickelt zu haben. In der Zeit Diocletians finden wir den Bezirk zwischen beiden Waellen geraeumt, aber den Hadrianswall nach wie vor besetzt und das uebrige roemische Heer zwischen ihm und dem Hauptquartier Eburacum kantonierend zur Abwehr der seitdem oft erwaehnten Raubzuege der Kaledonier, oder wie sie jetzt gewoehnlich heissen, der Taetowierten (picti) und der von Ivernia her einstroemenden Skoten. Eine staendige Flotte haben die Roemer in Britannien gehabt; aber wie das Seewesen immer die schwache Seite der roemischen Wehrordnung geblieben ist, war auch die britische Flotte nur unter Agricola voruebergehend von Bedeutung. Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, die Regierung darauf gerechnet hatte, nach erfolgter Besetzung der Insel den groessten Teil der dorthin gesandten Truppen zuruecknehmen zu koennen, so erfuellte diese Hoffnung sich nicht: nur eine der entsendeten vier Legionen ist, wie wir sahen, unter Domitian abberufen worden; die drei anderen muessen unentbehrlich gewesen sein, denn es ist nie der Versuch gemacht worden, sie zu verlegen. Dazu kamen die Auxilien, die zu dem wenig einladenden Dienst auf der abgelegenen Nordseeinsel dem Anschein nach im Verhaeltnis staerker als die Buergertruppen herangezogen wurden. In der Schlacht am Graupischen Berge im Jahre 84 fochten ausser den vier Legionen 8000 zu Fuss und 3000 zu Pferde von den Hilfssoldaten. Fuer die Zeit von Traian und Hadrian, wo von diesen in Britannien sechs Alen und 21 Kohorten, zusammen etwa 15000 Mann standen, wird man das gesamte britannische Heer auf etwa 30000 Mann anzuschlagen haben. Britannien war von Haus aus ein Kommandobezirk ersten Ranges, den beiden rheinischen und dem syrischen vielleicht im Rang, aber nicht an Bedeutung nachstehend, gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts wahrscheinlich die angesehenste aller Statthalterschaften. Es lag nur an der weiten Entfernung, dass die britannischen Legionen in der Korpsparteiung der frueheren Kaiserzeit in zweiter Reihe erscheinen; bei dem Korpskrieg nach dem Erloeschen des Antoninischen Hauses fochten sie in der ersten. Darum aber war es auch eine der Konsequenzen des Sieges des Severus, dass die Statthalterschaft geteilt ward. Seitdem standen die beiden Legionen von Isca und Deva unter dem Legaten der oberen, die eine von Eburacum und die Truppen an den Waellen, also die Hauptmasse der Auxilien, unter dem der unteren Provinz ^18. Wahrscheinlich ist die Verlegung der ganzen Besatzung nach dem Norden, die, wie oben bemerkt ward, nach bloss militaerischen Ruecksichten wohl zweckmaessig gewesen sein wuerde, mit deswegen unterblieben, weil sie einem Statthalter drei Legionen in die Hand gegeben haette. ------------------------------------------ ^18 Die Teilung ergibt sich aus Dio 55, 23. ------------------------------------------ Dass finanziell die Provinz mehr kostete, als sie eintrug, kann hiernach nicht verwundern. Fuer die Wehrkraft des Reiches dagegen kam Britannien erheblich in Betracht; das Kompensationsverhaeltnis von Besteuerung und Aushebung wird auch fuer die Insel in Anwendung gekommen sein und die britischen Truppen galten neben den illyrischen fuer die besten der Armee. Gleich anfaenglich sind dort sieben Kohorten aus den Eingeborenen aufgestellt und diese weiter bis auf Hadrian stetig vermehrt worden; nachdem dieser das System aufgebracht hatte, die Truppen moeglichst aus ihren Garnisonsbezirken zu rekrutieren, scheint Britannien dies fuer seine starke Besatzung wenigstens zum grossen Teil geleistet zu haben. Es war ein ernster und tapferer Sinn in den Leuten; sie trugen die Steuern und die Aushebung willig, nicht aber Hoffart und Brutalitaet der Beamten. Fuer die innere Ordnung Britanniens bot als Grundlage sich die dort zur Zeit der Eroberung bestehende Gauverfassung, welche, wie schon bemerkt ward, von derjenigen der Kelten des Kontinents sich nur darin wesentlich entfernte, dass die einzelnen Voelkerschaften der Insel, es scheint saemtlich, unter Fuersten standen. Aber diese Ordnung scheint nicht beibehalten und der Gau (civitas) in Britannien, wie in Spanien, ein geographischer Begriff geworden zu sein; wenigstens ist es kaum anders zu erklaeren, dass die britannischen Voelkerschaften genau genommen verschwinden, sowie sie unter roemische Herrschaft geraten, und von den einzelnen Gauen nach ihrer Unterwerfung so gut wie gar nicht die Rede ist. Wahrscheinlich sind die einzelnen Fuerstentuemer, wie sie unterworfen und eingezogen wurden, in kleinere Gemeinden zerschlagen worden; es ward dies dadurch erleichtert, dass auf der Insel sich nicht, wie auf dem Kontinent, eine ohne monarchische Spitze geordnete Gauverfassung vorfand. Damit haengt auch wohl zusammen, dass, waehrend die gallischen Gaue eine gemeinsame Hauptstadt und in dieser eine politische und religioese Gesamtvertretung besessen haben, von Britannien nichts aehnliches gemeldet wird. Gefehlt hat der Provinz ein Concilium und ein gemeinsamer Kaiserkultus nicht; aber waere der Altar des Claudius in Camalodunum ^19 auch nur annaehernd gewesen, was der des Augustus in Lugudunum, so wuerde davon wohl etwas verlauten. Die freie und grosse politische Gestaltung, welche dem gallischen Lande von Caesar gewaehrt und von seinem Sohne bestaetigt worden war, passt in den Rahmen der spaeteren Kaiserpolitik nicht mehr. ------------------------------------------------------- ^19 Auf ihn geht wohl das Epigramm des Seneca (vol. 4, p. 69 Baehrens): oceanus que tuas ultra se respicit aras. Auch der Tempel, der nach der Spottschrift desselben Seneca (8, 3) dem Claudius bei Lebzeiten in Britannien errichtet ward, und der damit sicher identische Tempel des Gottes Claudius in Camalodunum (Tac. ann. 14, 31) ist wohl nicht als staedtisches Heiligtum zu fassen, sondern nach Analogie der Augustusheiligtuemer von Lugudunum und Tarraco. Die delecti sacerdotes, welche specie religionis omnes fortunas effundebant, sind die bekannten Provinzialpriester und Spielgeber. ------------------------------------------------------- Von der mit der Invasion ziemlich gleichzeitigen Gruendung der Kolonie Camalodunum war schon die Rede, wie es auch bereits hervorgehoben wurde, dass die italische Stadtverfassung frueh in einer Reihe britannischer Ortschaften eingefuehrt worden ist. Auch hierin ist Britannien mehr nach dem Muster Spaniens als nach dem des keltischen Kontinents behandelt worden. Die inneren Zustaende Britanniens muessen, trotz der allgemeinen Gebrechen des Reichsregiments, wenigstens im Vergleich mit anderen Gebieten, nicht unguenstige gewesen sein. Kannte man im Norden nur Jagd und Weide und waren hier die Einwohner wie die Anwohner zu Fehde und Raub jederzeit bei der Hand, so entwickelte sich der Sueden in dem ungestoerten Friedensstand vor allem durch Ackerbau, daneben durch Viehzucht und Bergwerksbetrieb zu maessiger Wohlfahrt: die gallischen Redner der diocletianischen Zeit preisen den Reichtum der fruchtbaren Insel, und oft genug haben die Rheinlegionen ihr Getreide aus Britannien empfangen. Das Strassennetz der Insel, das ungemein entwickelt ist und fuer das namentlich Hadrian in Verbindung mit seinem Wallbau viel getan hat, hat natuerlich zunaechst militaerischen Zwecken gedient; aber neben, ja vor den Legionslagern nimmt Londinium darin einen Platz ein, welcher seine leitende Stellung im Verkehr deutlich vor Augen bringt. Nur in Wales gab es Reichsstrassen allein in der naechsten Naehe der roemischen Lager, von Isca nach Nidum (Neath) und von Deva zur Ueberfahrt nach Mona. Zu der Romanisierung verhielt sich das roemische Britannien aehnlich wie das noerdliche und mittlere Gallien. Die nationalen Gottheiten, der Mars Belatucadrus oder Cocidius, die der Minerva gleichgesetzte Goettin Sulis, nach welcher die heutige Stadt Bath hiess, sind auch in lateinischer Sprache noch vielfach auf der Insel verehrt worden. Ein exotisches Gewaechs ist die aus Italien eindringende Sprache und Sitte auf der Insel noch mehr gewesen als auf dem Kontinent; noch gegen das Ende des ersten Jahrhunderts lehnten die angesehenen Familien dort sowohl die lateinische Sprache ab wie die roemische Tracht. Die grossen staedtischen Zentren, die eigentlichen Herde der neuen Kultur, sind in Britannien schwaecher entwickelt; wir wissen nicht bestimmt, welche englische Stadt fuer das Concilium der Provinz und die gemeinschaftliche Kaiserverehrung als Sitz gedient und in welchem der drei Legionslager der Statthalter der Provinz residiert hat; wenn, wie es scheint, die Zivilhauptstadt Britanniens Camalodunum gewesen ist, die Militaerhauptstadt Eburacum ^20, so kann dieses sich so wenig mit Mainz messen wie jenes mit Lyon. Die Truemmerstaetten auch der namhaften Ortschaften, der Claudischen Veteranenstadt Camalodunum und der volkreichen Kaufstadt Londinium, nicht minder die vielhundertjaehrigen Legionslager von Deva, Isca, Eburacum haben Inschriftsteine nur in geringfuegiger Zahl, namhafte Staedte roemischen Rechts wie die Kolonie Glevum (Gloucester), das Municipium Verulamium bis jetzt nicht einen einzigen ergeben; die Sitte des Denksteinsetzens, auf deren Ergebnisse wir fuer solche Fragen grossenteils angewiesen sind, hat in Britannien nie recht durchgeschlagen. Im inneren Wales und in anderen weniger zugaenglichen Strichen sind roemische Denkmaeler ueberhaupt nicht zum Vorschein gekommen. Daneben aber stehen deutliche Zeugen des von Tacitus hervorgehobenen regen Handels und Verkehrs, so die zahllosen Trinkschalen, die aus den Ruinen Londons hervorgegangen sind, und das Londoner Strassennetz. Wenn Agricola bemueht war, den munizipalen Wetteifer in der Ausschmueckung der eigenen Stadt durch Bauten und Denkmaeler, wie er von Italien sich auf Afrika und Spanien uebertragen hatte, auch nach Britannien zu verpflanzen, und die vornehmen Insulaner zu bestimmen, in ihrer Heimat die Maerkte zu schmuecken und Tempel und Palaeste zu errichten, wie dies anderswo ueblich war, so ist ihm das fuer die Gemeindebauten nur in geringem Umfang gelungen. Aber in der Privatwirtschaft ist es anders; die stattlichen, roemisch angelegten und geschmueckten Landhaeuser, von denen jetzt nur noch die Mosaikfussboeden uebrig geblieben sind, finden sich im suedlichen Britannien bis in die Gegend von York hinauf ^21 ebenso haeufig wie im Rheinland. Die hoehere schulmaessige Jugendbildung drang von Gallien aus allmaehlich in Britannien ein. Unter Agricolas administrativen Erfolgen wird angefuehrt, dass der roemische Hofmeister in die vornehmen Haeuser der Insel anfange, seinen Weg zu finden. In hadrianischer Zeit wird Britannien als ein von den gallischen Schulmeistern erobertes Gebiet bezeichnet, und "schon spricht Thule davon, sich einen Professor zu mieten". Diese Schulmeister waren zunaechst Lateiner, aber es kamen auch Griechen; Plutarchos erzaehlt von einer Unterhaltung, die er in Delphi pflog mit einem aus Britannien heimkehrenden griechischen Sprachlehrer aus Tarsos. Wenn im heutigen England, abgesehen von Wales, und bis vor kurzem von Cornwall, die alte Landessprache verschwunden ist, so ist sie nicht den Angeln oder den Sachsen, sondern dem roemischen Idiom gewichen; und wie es in Grenzlaendern zu geschehen pflegt, in der spaeteren Kaiserzeit stand keiner treuer zu Rom als der britannische Mann. Nicht Britannien hat Rom aufgegeben, sondern Rom Britannien - das letzte, was wir von der Insel erfahren, sind die flehentlichen Bitten der Bevoelkerung bei Kaiser Honorius um Schutz gegen die Sachsen, und dessen Antwort, dass sie sich selber helfen moechten, wie sie koennten. ------------------------------------------------ ^20 Das hier stationierte Kommando war wenigstens in spaeterer Zeit ohne Frage das wichtigste unter den britannischen; und es wird auch dort (denn an Eburacum ist hier ohne Zweifel gedacht) ein Palatium erwaehnt (vita Severi 22). Das praeto rium, unterhalb Eburacum wohl an der Kueste gelegen (Irin. Anton. Aug., p. 466), mag der Sommersitz des Statthalters gewesen sein. ^21 Noerdlich von Aldborough und Easingwold (beide etwas noerdlich von York) haben sich keine gefunden (J. C. Bruce, Description of the Roman wall. 3. Aufl. 1867, S. 61). --------------------------------------------- 6. Kapitel Die Donaulaender und die Kriege an der Donau Wie die Rheingrenze Caesars, so ist die Donaugrenze das Werk des Augustus. Als er an das Ruder kam, waren die Roemer auf der italischen Halbinsel kaum Herren der Alpen, auf der griechischen kaum des Haemus (Balkan) und der Kuestenstreifen am Adriatischen und am Schwarzen Meer; nirgends reichte ihr Gebiet an den maechtigen Strom, der das suedliche Europa vom noerdlichen scheidet; sowohl das noerdliche Italien wie auch die illyrischen und pontischen Handelsstaedte und mehr noch die zivilisierten Landschaften Makedoniens und Thrakiens waren den Raubzuegen der rohen und unruhigen Nachbarstaemme stetig ausgesetzt. Als Augustus starb, waren an die Stelle der einen, kaum zu selbstaendiger Verwaltung gelangten Provinz Illyricum fuenf grosse roemische Verwaltungsbezirke getreten, Raetien, Noricum, Unterillyrien oder Pannonien, Oberillyrien oder Dalmatien und Moesien, und die Donau in ihrem ganzen Lauf, wenn nicht ueberall die militaerische, doch die politische Reichsgrenze geworden. Die verhaeltnismaessig leichte Unterwerfung dieser weiten Gebiete sowie die schwere Insurrektion der Jahre 6 bis 9 und das dadurch veranlasste Aufgeben der frueher beabsichtigten Verlegung der Grenzlin ie von der oberen Donau nach Boehmen und an die Elbe sind frueher dargestellt worden. Es bleibt uebrig, die Entwicklung dieser Landschaften in der Zeit nach Augustus und die Beziehungen der Roemer zu den jenseits der Donau wohnhaften Staemmen darzustellen. Die Schicksale Raetiens sind mit denen der Obergermanischen Provinz so eng verflochten, dass dafuer auf die fruehere Darstellung verwiesen werden kann. Die roemische Zivilisation hat hier, im ganzen genommen, sich wenig entwickelt. Das Hochland der Alpen mit den Taelern des oberen Inn und des oberen Rhein umschloss eine schwache und eigenartige Bevoelkerung, wahrscheinlich diejenige, die einstmals die oestliche Haelfte der norditalischen Ebene besessen hatte, vielleicht den Etruskern verwandt. Von dort zurueckgedraengt durch die Kelten und vielleicht auch die Illyriker, behauptete sie sich in den noerdlichen Gebirgen. Waehrend die nach Sueden sich oeffnenden Taeler, wie das der Etsch, zu Italien gezogen wurden, boten jene den Suedlaendern wenig Platz und noch weniger Reiz zur Ansiedelung und Staedtegruendung. Weiter noerdlich, auf der Hochebene zwischen dem Bodensee und dem Inn, welche von den keltischen Staemmen der Vindeliker eingenommen war, waere wohl fuer roemische Kultur Raum und Staette gewesen; aber es scheint in diesem Gebiet, das nicht so wie das norische unmittelbare Fortsetzung Italiens werden konnte und das, gleich dem angrenzenden sogenannten Decumatenland, wohl zunaechst nur als Scheide gegen die Germanen fuer die Roemer von Wert war, die Politik der frueheren Kaiserzeit die Kultur vielmehr zurueckgehalten zu haben. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass gleich nach der Eroberung man bedacht war, die Landschaft zu entvoelkern. Diesem geht zur Seite, dass in der frueheren Kaiserzeit keine roemisch organisierte Gemeinde hier entstanden ist. Zwar von der Anlage der grossen Strasse, die gleich mit der Eroberung selbst von dem aelteren Drusus durch die Hochalpen an die Donau gefuehrt ward, war die Gruendung der Augusta der Vindeliker, des heutigen Augsburg, ein notwendiger Teil; aber es war und blieb dieser rasch aufbluehende Ort ueber ein Jahrhundert ein Marktflecken, bis endlich Hadrian auch in dieser Hinsicht die von Augustus vorgezeichnete Bahn verliess und die Landschaft der Vindeliker in die Romanisierung des Nordens hineinzog. Die Verleihung des roemischen Stadtrechts an den Vorort der Vindeliker durch Hadrian wird damit zusammengestellt werden duerfen, dass ungefaehr um dieselbe Zeit die Militaergrenze am Oberrhein vorgeschoben ward und roemische Staedte im ehemaligen Decumatenland entstanden; indes ist in Raetien auch spaeter Augusta der einzige groessere Mittelpunkt roemischer Zivilisation geblieben. Auch die militaerischen Einrichtungen haben auf das Zurueckhalten derselben eingewirkt. Die Provinz stand von Anfang an unter kaiserlicher Verwaltung und konnte nicht ohne Besatzung gelassen werden; aber besondere Ruecksichten noetigten, wie dies frueher gezeigt ward, die Regierung, nach Raetien lediglich Truppen zweiter Klasse zu legen, und wenn diese auch der Zahl nach nicht unbetraechtlich waren, so haben doch die kleineren Standlager der Alen und Kohorten nicht die zivilisierende und staedtebildende Wirkung ausueben koennen wie die Legionslager. Unter Marcus ist allerdings infolge des Markomannischen Krieges das raetische Hauptquartier, die castra Regina, das heutige Regensburg, mit einer Legion belegt worden; aber selbst dieser Ort scheint in roemischer Zeit bloss Militaerniederlassung geblieben zu sein und kaum mit den Lagern zweiten Ranges am Rhein, wie zum Beispiel Bonna, in der staedtischen Entwicklung auf einer Linie gestanden zu haben. Dass die Grenze Raetiens schon zu Traianus’ Zeit von Regensburg westlich eine Strecke ueber die Donau hinaus vorgeschoben war, ist frueher bemerkt und daselbst auch ausgefuehrt worden, dass dieses Gebiet wahrscheinlich ohne Anwendung von Waffengewalt, aehnlich wie das Decumatenland, zum Reiche gezogen worden ist. Es wurde ebenfalls schon erwaehnt, dass die Befestigung dieses Gebiets vielleicht mit den unter Marcus bis hierher sich erstreckenden Einfaellen der Chatten zusammenhaengt, sowie dass diese und spaeter die Alamannen im dritten Jahrhundert sowohl dies Vorland wie Raetien selbst heimsuchten und schliesslich unter Gallienus den Roemern entrissen. Die Nachbarprovinz Noricum ist wohl in der provinzialen Einrichtung aehnlich wie Raetien behandelt worden, aber hat sich sonst anders entwickelt. Nach keiner Richtung hin ist Italien fuer den Landverkehr so wie gegen Nordosten aufgeschlossen; die Handelsbeziehungen Aquileias sowohl durch das Friaul nach der oberen Donau und zu den Eisenwerken von Noreia wie ueber die Julische Alpe zum Savetal haben hier der augustischen Grenzerweiterung vorgearbeitet wie nirgends sonst im Donaugebiet. Nauportus (Oberlaibach), jenseits des Passes, war ein roemischer Handelsflecken schon in republikanischer Zeit, Emona (Laibach) eine spaeter foermlich Italien einverleibte, der Sache nach seit ihrer Gruendung durch Augustus zu Italien gehoerige roemische Buergerkolonie. Daher genuegte, wie frueher schon hervorgehoben ward, fuer die Umwandlung dieses "Koenigreichs" in eine roemische Provinz wahrscheinlich die blosse Ankuendigung. Die urspruenglich wohl illyrische, spaeter zum guten Teil keltische Bevoelkerung zeigt keine Spur von demjenigen Festhalten an der nationalen Weise und Sprache, welche wir bei den Kelten des Westens wahrnehmen. Roemische Sprache und roemische Sitte muss hier frueh Eingang gefunden haben, und von Kaiser Claudius wurde dann das gesamte Gebiet, selbst der noerdliche, durch die Tauernkette vom Drautal getrennte Teil, nach italischer Gemeindeverfassung organisiert. Waehrend in den Nachbarlaendern Raetien und Pannonien die Denkmaeler roemischer Sprache entweder fehlen oder doch nur in den groesseren Zentren erscheinen, sind die Taeler der Drau, der Mut und der Salzach und ihrer Nebenfluesse bis in das hohe Gebirge hinauf erfuellt mit Zeugnissen der hier tief eingedrungenen Romanisierung. Noricum ward ein Vorland und gewissermassen ein Teil Italiens; bei der Aushebung fuer die Legion und fuer die Garde ist, so lange hier die Italiker ueberhaupt bevorzugt wurden, diese Bevorzugung auf keine andere Provinz so voellig erstreckt worden wie auf diese. Hinsichtlich der militaerischen Belegung gilt von Noricum dasselbe wie von Raetien. Aus den schon entwickelten Gruenden gab es auch in Noricum waehrend der ersten zwei Jahrhunderte der Kaiserzeit nur Alenund Kohortenlager; Carnuntum (Petronell bei Wien), das in der augustischen Zeit zu Noricum gehoerte, ist, als die illyrischen Legionen dorthin gelegt wurden, eben darum zu Pannonien gezogen worden. Die kleineren norischen Standlager an der Donau und selbst das von Marcus, der auch in diese Provinz eine Legion legte, fuer diese eingerichtete Lager von Lauriacum (bei Enns) sind fuer die staedtische Entwicklung von keiner Bedeutung gewesen; die grossen Ortschaften Noricums, wie Celeia (Cilli) im Sanntal, Aguontum (Lienz), Teurnia (unweit Spittal), Virunum (Zollfeld bei Klagenfurt), im Norden Iuvavum (Salzburg) sind rein aus buergerlichen Elementen hervorgegangen. Illyricum, das heisst das roemische Gebiet zwischen Italien und Makedonien, wurde in republikanischer Zeit zum kleineren Teil mit der griechischmakedonischen Statthalterschaft vereinigt, zum groesseren als Nebenland von Italien und, nach der Einrichtung der Statthalterschaft des Cisalpinischen Galliens, als ein Teil von dieser verwaltet. Das Gebiet deckt sich bis zu einem gewissen Grade mit dem weitverbreiteten Stamm, von dem es die Roemer benannt haben: es ist derjenige, dessen duerftiger Rest an dem suedlichen Ende seines ehemals weitgedehnten Besitzes unter dem Namen der Skipetaren, welchen sie sich selbst beilegen, oder, wie ihre Nachbarn sie heissen, der Arnauten oder Albanesen noch heute seine alte Nationalitaet und seine eigene Sprache bewahrt hat. Es ist derselbe ein Glied der indogermanischen Familie und innerhalb derselben wohl am naechsten dem griechischen Kreise verwandt, wie dies auch den oertlichen Verhaeltnissen angemessen ist; aber er steht neben diesem wenigstens ebenso selbstaendig wie der lateinische und der keltische. In ihrer urspruenglichen Ausdehnung erfuellte diese Nation die Kueste des Adriatischen Meeres von der Muendung des Po durch Istrien, Dalmatien und Epirus bis gegen Akarnanien und Aetolien, ferner im Binnenlande das obere Makedonien sowie das heutige Serbien und Bosnien und das ungarische Gebiet auf dem rechten Ufer der Donau; sie grenzt also oestlich an die thrakischen Voelkerschaften, westlich an die keltischen, von welchen letzteren Tacitus sie ausdruecklich unterscheidet. Es ist ein kraeftiger Schlag suedlaendischer Art, mit schwarzem Haar und dunklen Augen, sehr verschieden von den Kelten und mehr noch von den Germanen, nuechterne, maessige, unerschrockene, stolze Leute, vortreffliche Soldaten, aber buergerlicher Entwicklung wenig zugaenglich, mehr Hirten als Ackerbauer. Zu einer groesseren politischen Entwicklung ist er nicht gelangt. An der italischen Kueste traten ihnen wahrscheinlich zunaechst die Kelten entgegen; die wahrscheinlich illyrischen Voelkerschaften daselbst, insbesondere die Veneter, wurden durch die Rivalitaet mit den Kelten frueh zu fuegsamen Untertanen der Roemer. Am Ende des 6. Jahrhunderts der Stadt engte die Gruendung von Aquileia und die Unterwerfung der Halbinsel Istrien weiter ihre Grenzen ein. An der Ostkueste des Adriatischen Meeres waren die wichtigeren Inseln und die Suedhaefen des Kontinents seit langem von den kuehnen hellenischen Schiffern okkupiert. Als dann in Skodra (Scutari), gewissermassen in alter Zeit wie heutzutage dem Zentralpunkt des illyrischen Landes, die Herrscher anfingen, sich zu eigener Macht zu entwickeln und besonders auf dem Meere die Griechen zu befehden, schlug Rom schon vor dem Hannibalischen Kriege sie mit gewaltiger Hand nieder und nahm die ganze Kueste unter seine Schutzherrschaft, welche bald, nachdem der Herr von Skodra mit dem Koenig Perseus von Makedonien den Krieg und die Niederlage geteilt hatte, die voellige Aufloesung dieses Fuerstentums herbeifuehrte. Am Ende des 6. Jahrhunderts der Stadt und in der ersten Haelfte des siebenten wurde in langjaehrigen Kaempfen auch die Kueste zwischen Istrien und Skodra von den Roemern besetzt. Im Binnenland wurden die Illyrier in republikanischer Zeit von den Roemern wenig beruehrt; dafuer aber muessen, von Westen her vordringend, die Kelten einen guten Teil urspruenglich illyrischen Gebiets in ihre Gewalt gebracht haben, so das spaeterhin ueberwiegend keltische Noricum. Kelten sind auch die Latobiker im heutigen Krain; und in dem gesamten Gebiet zwischen Save und Drau, ebenso im Raabtal sassen die beiden grossen Staemme im Gemenge, als Caesar Augustus die suedlichen Distrikte Pannoniens der roemischen Herrschaft unterwarf. Wahrscheinlich hat diese starke Mischung mit keltischen Elementen neben der ebenen Bodenbeschaffenheit zu dem fruehen Untergang der illyrischen Nation in den pannonischen Landschaften ihren Teil beigetragen. In die suedliche Haelfte der von Illyriern bewohnten Landschaften dagegen sind von den Kelten nur die Skordisker vorgedrungen, deren Festsetzung an der unteren Save bis zur Morawa und deren Streifereien bis in die Naehe von Thessalonike frueher erwaehnt worden sind. Die Griechen aber haben hier ihnen gewissermassen den Platz geraeumt; das Sinken der makedonischen Macht und die Veroedung von Epirus und Aetolien muessen die Ausbreitung der illyrischen Nachbarn gefoerdert haben. Bosnien, Serbien, vor allem Albanien sind in der Kaiserzeit illyrisch gewesen, und Albanien ist es noch heute. Es ist frueher erzaehlt worden, dass Illyricum schon nach der Absicht des Diktators Caesar als eigene Statthalterschaft konstituiert werden sollte und diese Absicht bei der Teilung der Provinzen zwischen Augustus und dem Senat zur Ausfuehrung kam; dass diese anfangs dem Senat ueberwiesene Statthalterschaft wegen der daselbst notwendigen Kriegfuehrung auf den Kaiser ueberging; dass Augustus diese Statthalterschaft teilte und die bis dahin im ganzen nur nominelle Herrschaft ueber das Binnenland sowohl in Dalmatien wie im Savegebiet effektiv machte; dass er endlich die gewaltige nationale Insurrektion, die bei den dalmatischen wie bei den pannonischen Illyriern im Jahre 6 n. Chr. ausbrach, nach schwerem vierjaehrigem Kampf ueberwaeltigte. Es bleibt uebrig, die ferneren Schicksale zunaechst der suedlichen Provinz zu berichten. Nach den bei der Insurrektion gemachten Erfahrungen schien es erforderlich, nicht bloss die in Illyricum ausgehobenen Mannschaften statt wie bisher in ihrer Heimat, vielmehr auswaerts zu verwenden, sondern auch die Dalmater wie die Pannonier durch ein Kommando ersten Ranges in Botmaessigkeit zu halten. Dasselbe hat seinen Zweck rasch erfuellt. Der Widerstand, den die Illyriker unter Augustus der ungewohnten Fremdherrschaft entgegensetzten, hat sich ausgetobt mit dem einen gewaltigen Sturm; spaeterhin verzeichnen unsere Berichte keine aehnliche auch nur partielle Bewegung. Fuer das suedliche oder, nach dem roemischen Ausdruck, das obere Illyricum, die Provinz Dalmatien, wie sie seit der Zeit der Flavier gewoehnlich heisst, begann mit dem Kaiserregiment eine neue Epoche. Die griechischen Kaufleute hatten wohl auf der ihnen naechst liegenden Kueste die beiden grossen Emporien Apollonia (bei Valona) und Dyrrachium (Durazzo) gegruendet; eben darum war dieser Teil schon unter der Republik der griechischen Verwaltung ueberwiesen worden. Aber weiter nordwaerts hatten die Hellenen nur auf den vorliegenden Inseln Issa (Lissa), Pharos (Lesina), Schwarz- Kerkyra (Curzola) sich angesiedelt und von da aus den Verkehr mit den Eingeborenen, namentlich an der Kueste von Narona und in den Salonae vorliegenden Ortschaften, unterhalten. Unter der roemischen Republik hatten die italischen Haendler, welche hier die Erbschaft der griechischen antraten, in den Haupthaefen Epitaurum (Ragusa vecchia), Narona, Salonae, Iader (Zara) sich in solcher Zahl niedergelassen, dass sie in dem Kriege zwischen Caesar und Pompeius eine nicht unwesentliche Rolle spielen konnten. Aber Verstaerkung durch dort angesiedelte Veteranen und, was die Hauptsache war, staedtisches Recht empfingen diese Ortschaften erst durch Augustus, und zugleich kam teils die energische Unterdrueckung der auf den Inseln noch bestehenden Piratenschlupfwinkel, teils die Unterwerfung des Binnenlandes und die Vorschiebung der roemischen Grenze gegen die Donau insbesondere diesen auf der Ostkueste des Adriatischen Meeres angesiedelten Italikern zugute. Vor allem die Hauptstadt des Landes, der Sitz des Statthalters und der gesamten Verwaltung, Salonae, bluehte rasch auf und ueberfluegelte weit die aelteren griechischen Ansiedlungen Apollonia und Dyrrachium, obwohl in die letztere Stadt, ebenfalls unter Augustus, italische Kolonisten, freilich nicht Veteranen, sondern expropriierte Italiker, gesendet und die Stadt als roemische Buergergemeinde eingerichtet wurde. Vermutlich hat bei dem Aufbluehen Dalmatiens und dem Verkuemmern der illyrisch-makedonischen Kueste der Gegensatz des kaiserlichen und des Senatsregimentes eine wesentliche Rolle gespielt, die bessere Verwaltung sowohl wie die Bevorzugung bei dem eigentlichen Machthaber. Damit wird weiter zusammenhaengen, dass die illyrische Nationalitaet sich in dem Bereich der makedonischen Statthalterschaft besser behauptet hat als in dem der dalmatischen: in jenem lebt sie heute noch fort und es muss in der Kaiserzeit, abgesehen von dem griechischen Apollonia und der italischen Kolonie Dyrrachium, neben den beiden Reichssprachen im Binnenland, die des Volkes, die illyrische, geblieben sein. In Dalmatien dagegen wurden die Kueste und die Inseln, soweit sie irgend sich eigneten - die unwirtliche Strecke nordwaerts von Iader blieb in der Entwicklung notwendig zurueck -, nach italischer Ordnung kommunalisiert, und bald sprach die ganze Kueste lateinisch, etwa wie heutzutage venezianisch. Dem Vordringen der Zivilisation in das Binnenland traten oertliche Schwierigkeiten entgegen. Dalmatiens bedeutende Stroeme bilden mehr Wasserfaelle als Wasserstrassen; und auch die Herstellung der Landstrassen stoesst bei der Beschaffenheit seines Bergnetzes auf ungewoehnliche Schwierigkeiten. Die roemische Regierung hat ernstliche Anstrengungen gemacht, das Land aufzuschliessen. Unter dem Schutz des Legionslagers von Burnum entwickelte im Kerkatal, in dem der Cettina unter dem des Lagers von Delminium, welche Lager auch hier die Traeger der Zivilisierung und der Latinisierung gewesen sein werden, sich die Bodenbestellung nach italischer Art, auch die Pflanzung der Rebe und der Olive und ueberhaupt italische Ordnung und Gesittung. Dagegen jenseits der Wasserscheide, zwischen dem Adriatischen Meer und der Donau, sind die auch fuer den Ackerbau wenig guenstigen Taeler von der Kulpa bis zum Drin in roemischer Zeit in aehnlichen primitiven Verhaeltnissen verblieben, wie sie das heutige Bosnien aufweist. Kaiser Tiberius allerdings hat durch die Soldaten der dalmatinischen Lager von Salonae bis in die Taeler Bosniens verschiedene Chausseen gefuehrt; aber die spaeteren Regierungen liessen, wie es scheint, die schwierige Aufgabe fallen. An der Kueste und in den der Kueste naehergelegenen Strichen bedurfte Dalmatien bald keiner weiteren militaerischen Hut; die Legionen des Kerkaund des Cettinatales konnte schon Vespasian von dort wegziehen und anderweitig verwenden. Unter dem allgemeinen Verfall des Reiches im dritten Jahrhundert hat Dalmatien verhaeltnismaessig wenig gelitten, ja Salonae wohl erst damals seine hoechste Bluete erreicht. Freilich ist dies zum Teil dadurch veranlasst, dass der Regenerator des roemischen Staates, Kaiser Diocletianus, ein geborener Dalmatiner war und sein auf die Dekapitalisierung Roms gerichtetes Streben der Hauptstadt seines Heimatlandes vorzugsweise zugute kommen liess: er baute neben derselben den gewaltigen Palast, von dem die heutige Hauptstadt der Provinz den Namen Spalato traegt, innerhalb dessen sie zum groessten Teil Platz gefunden hat und dessen Tempel ihr heute als Dom und als Baptisterium ^1 dienen. Aber zur Grossstadt hat nicht erst Diocletian Salonae gemacht, sondern, weil sie es war, sie fuer seine Privatresidenz gewaehlt; Handel und Schiffahrt und Gewerbe muessen damals in diesen Gewaessern vorzugsweise in Aquileia und in Salonae sich konzentriert haben und die Stadt eine der volkreichsten und wohlhabendsten des Okzidents gewesen sein. Die reichen Eisengruben Bosniens waren, wenigstens in der spaeteren Kaiserzeit, in starkem Betrieb; ebenso lieferten die Waelder der Provinz massenhaftes und vorzuegliches Bauholz; auch von der bluehenden Textilindustrie des Landes bewahrt die priesterliche Dalmatica noch heute eine Erinnerung. Ueberhaupt ist die Zivilisierung und die Romanisierung Dalmatiens eine der eigensten und eine der bedeutendsten Erscheinungen der Kaiserzeit. Die Grenze Dalmatiens und Makedoniens ist zugleich die politische und die sprachliche Scheide des Okzidents und des Orients. Bei Skodra beruehren sich, wie die Herrschaftsgebiete Caesars und Marc Antons, so auch nach der Reichsteilung des vierten Jahrhunderts die von Rom und Byzanz. Hier grenzt die lateinische Provinz Dalmatien mit der griechischen Provinz Makedonien; und kraeftig emporstrebend und ueberlegen, mit gewaltig treibender Propaganda, steht hier die juengere neben der aelteren Schwester. -------------------------------------------------- ^1 Das Baptisterium ist vielleicht das Grabmal des Kaisers. -------------------------------------------------- Wenn die suedliche illyrische Provinz und ihr Friedensregiment bald in geschichtlicher Beziehung nicht ferner hervortritt, so bildet das noerdliche Illyricum oder, wie es gewoehnlich heisst, Pannonien in der Kaiserzeit eines der grossen militaerischen und somit auch politischen Zentren. In dem Donauheer haben die pannonischen Lager die fuehrende Stellung wie im Westen die rheinischen, und die dalmatischen und die moesischen schliessen ihnen in aehnlicher Weise sich an und ordnen ihnen sich unter wie den rheinischen die Legionen Spaniens und Britanniens. Die roemische Zivilisation steht und bleibt hier unter dem Einfluss der Lager, die in Pannonien nicht, wie in Dalmatien, nur einige Generationen hindurch, sondern dauernd verblieben. Nach der Ueberwaeltigung des Batonischen Aufstandes belief die regelmaessige Besatzung der Provinz sich zuerst auf drei, spaeter, wie es scheint, nur auf zwei Legionen, und durch deren Standlager und ihre Vorschiebung ist die weitere Entwicklung bedingt. Wenn Augustus nach dem ersten Kriege gegen die Dalmater Siscia an der Muendung der Kulpa in die Save zum Hauptwaffenplatz ausersehen hatte, so waren, nachdem Tiberius Pannonien mindestens bis an die Drau unterworfen hatte, die Lager an diese vorgeschoben worden, und wenigstens eines der pannonischen Hauptquartiere befand sich seitdem in Poetovio (Pettau) an der norischen Grenze. Die Ursache, weshalb die pannonische Armee ganz oder zum Teil im Drautal verblieb, kann nur die gleiche gewesen sein, welche zu der Anlage der dalmatinischen Legionslager gefuehrt hat: man brauchte hier die Truppen, um die Untertanen sowohl in dem nahen Noricum wie vor allem im Draugebiet selbst in Gehorsam zu halten. Auf der Donau hielt die roemische Flotte Wacht, die schon im Jahre 50 erwaehnt wird und vermutlich mit der Einrichtung der Provinz entstanden war. Legionslager gab es am Flusse selbst unter der Julisch-Claudischen Dynastie vielleicht noch nicht ^2, wobei in Betracht kommt, dass der zunaechst der Provinz vorliegende Suebenstaat von Rom damals vollstaendig abhaengig war und fuer die Grenzdeckung einigermassen genuegte. Wie die dalmatinischen, hat dann, wie es scheint, Vespasian auch die Lager an der Drau aufgehoben und sie an die Donau selbst verlegt; seitdem ist das grosse Hauptquartier der pannonischen Armee das frueher norische Carnuntum (Petronell oestlich von Wien) und daneben Vindobona (Wien). -------------------------------------------------------- ^2 Dass im Jahre 50 noch keine Legionen an der Donau selbst standen, folgt aus Tac. ann. 12, 29; sonst waere es nicht noetig gewesen, zur Aufnahme der uebertretenden Sueben eine Legion dorthin zu schicken. Auch die Anlage des claudischen Savaria passt besser, wenn die Stadt damals norisch war, als wenn sie schon zu Pannonien gehoerte; und da die Zuteilung dieser Stadt zu Pannonien mit der gleichen Abtrennung von Carnuntum und mit der Verlegung der Legion dahin sicher der Zeit nach zusammengehoert, so duerfte dies alles erst in nachclaudischer Zeit stattgefunden haben. Auch die geringe Zahl der in den Donaulagern gefundenen Inschriften von Italikern (Eph. epigr. 5, p. 225) deutet auf spaetere Entstehung. Allerdings haben sich in Carnuntum einige Grabschriften von Soldaten der 15. Legion gefunden, die nach der aeusseren Form und nach dem Fehlen des Cognomen aelter zu sein scheinen (O. Hirschfeld in Aerchaeologischepigraphische Mittheilungen 5, 1881, S. 217). Derartige Zeitbestimmungen koennen, wo es sich um ein Dezennium handelt, volle Sicherheit nicht in Anspruch nehmen; indes muss eingeraeumt werden, dass auch jene Argumente keinen vollen Beweis machen und die Translokation frueher, etwa unter Nero, begonnen haben kann. Fuer die Anlegung oder Erweiterung dieses Lagers durch Vespasian spricht die einen derartigen Bau bezeugende Inschrift von Carnuntum aus dem Jahre 73 (Hirschfeld a. a. O.). -------------------------------------------------------- Die buergerliche Entwicklung, wie wir sie in Noricum und an der Kueste Dalmatiens fanden, zeigt in Pannonien in gleicher Weise sich nur in einigen, an der norischen Grenze gelegenen und zum Teil urspruenglich zu Noricum gehoerigen Distrikten; Emona und das obere Savetal stehen mit Noricum gleich, und wenn Savaria (Steinamanger) zugleich mit den norischen Staedten italische Stadtverfassung empfangen hat, so wird, solange Carnuntum eine norische Stadt war, wohl auch jener Ort zu Noricum gehoert haben. Erst seitdem die Truppen an der Donau standen, ging die Regierung daran, das Hinterland staedtisch zu organisieren. In dem westlichen, urspruenglich norischen Gebiet erhielt Scarbantia (Oedenburg am Neusiedler See) unter den Flaviern Stadtrecht, waehrend Vindobona und Carnuntum von selbst zu Lagerstaedten wurden. Zwischen Save und Drau empfingen Siscia und Sirmium unter den Flaviern, an der Drau Poetovio (Pettau) unter Traianus Stadtrecht, Mursa (Eszeg) unter Hadrian Kolonialrecht, um hier nur der Hauptorte zu gedenken. Dass die ueberwiegend illyrische, aber zum guten Teil auch keltische Bevoelkerung der Romanisierung keinen energischen Widerstand entgegensetzte, ist schon ausgesprochen worden; die alte Sprache und die alte Sitte schwanden, wo die Roemer hinkamen, und hielten sich nur in den entfernteren Bezirken. Die weiten, aber wenig zur Ansiedelung einladenden Striche oestlich vom Raabfluss und noerdlich der Drau bis zur Donau sind wohl schon seit Augustus zum Reiche gerechnet worden, aber vielleicht in nicht viel anderer Weise als Germanien vor der Varusschlacht; hier hat die staedtische Entwicklung weder damals noch spaeter rechten Boden gefunden, und auch militaerisch ist dieses Gebiet lange Zeit wenig oder gar nicht belegt worden. Dies hat sich erst infolge der Einverleibung Dakiens unter Traian einigermassen geaendert; die dadurch herbeigefuehrte Vorschiebung der pannonischen Lager gegen die Ostgrenze der Provinz und die weitere innere Entwicklung Pannoniens wird besser im Zusammenhang mit den Traianischen Kriegen geschildert. Das letzte Stueck des rechten Donauufers, das Bergland zu beiden Seiten des Margus (Morawa) und das zwischen dem Haemus und der Donau lang sich hinstreckende Flachland, war bewohnt von thrakischen Voelkerschaften; und es erscheint zunaechst erforderlich, auf diesen grossen Stamm als solchen einen Blick zu werfen. Er geht dem illyrischen in gewissem Sinne parallel. Wie die Illyrier einst die Landschaften vom Adriatischen Meer bis zur mittleren Donau erfuellten, so sassen ehemals die Thraker oestlich von ihnen, vom Aegaeischen Meer bis zur Donaumuendung und nicht minder einerseits auf dem linken Donauufer namentlich in dem heutigen Siebenbuergen, andererseits jenseits des Bosporus wenigstens in Bithynien und bis nach Phrygien; nicht mit Unrecht nennt Herodot die Thraker das groesste der ihm bekannten Voelker nach den Indern. Wie der illyrische ist auch der thrakische Stamm zu keiner vollen Entwicklung gelangt und erscheint mehr gedraengt und verdraengt als in eigener, geschichtliche Erinnerung hinterlassender Entwicklung. Aber waehrend Sprache und Sitte der Illyrier sich in einer wenngleich im Laufe der Jahrhunderte verschlissenen Form bis auf den heutigen Tag erhalten haben und wir mit einigem Recht das Bild der Palikaren aus der neueren Geschichte in die der roemischen Kaiserzeit uebertragen, so gilt das gleiche von den thrakischen Staemmen nicht. Vielfach und sicher ist es bezeugt, dass die Voelkerschaften des Gebiets, welchem infolge der roemischen Provinzialteilung schliesslich der Name Thrakien geblieben ist, sowie die moesischen zwischen dem Balkan und der Donau, und nicht minder die Geten oder Daker am anderen Donauufer alle eine und dieselbe Sprache redeten. Es hatte diese Sprache in dem roemischen Kaiserreich eine aehnliche Stellung wie die der Kelten und der Syrer. Der Historiker und Geograph der augustischen Zeit, Strabo, erwaehnt die Gleichheit der Sprache der genannten Voelker; in botanischen Schriften der Kaiserzeit werden von einer Anzahl Pflanzen die dakischen Benennungen angegeben ^3. Als seinem Zeitgenossen, dem Poeten Ovidius Gelegenheit gegeben wurde, ueber seinen allzu flotten Lebenswandel fern in der Dobrudscha nachzudenken, benutzte er seine Musse, um getisch zu lernen, und wurde fast ein Getenpoet: Und ich schrieb, o weh! ein Gedicht in getischer Sprache, Gratulierst du mir nicht, dass ich den Geten gefiel? ------------------------------------------- ^3 Thrakischer, getischer, dakischer Ortsund Personennamen kennen wir ganze Reihen; sprachlich bemerkenswert ist eine mit -centhus zusammengesetzte Gruppe von Personennamen: Bithicenthus, Zipacenthus, Disacenthus, Tracicenthus, Linicenthus (BCH 6, 1882, S. 179), von denen die ersten beiden in ihrer anderen Haelfte (Bithus, Zipa) auch isoliert haeufig begegnen. Eine aehnliche Gruppe bilden die Composita mit -poris, wie Mucaporis (Thraker BCH, a. a. O., Daker zahlreich), Cetriporis, Rhaskyporis, Bithoporis, Dirdiporis. ------------------------------------------- Aber wenn die irischen Barden, die syrischen Missionare, die Bergtaeler Albaniens anderen Idiomen der Kaiserzeit eine gewisse Fortdauer gewahrt haben, so ist das thrakische unter dem Voelkergewoge des Donaugebiets und dem uebermaechtigen Einfluss Konstantinopels verschollen, und wir vermoegen nicht einmal die Stelle zu bestimmen, welche ihm in dem Voelkerstammbaum zukommt. Die Schilderungen von Sitten und Gebraeuchen einzelner dazugehoeriger Voelkerschaften, ueber welche mancherlei Notizen sich erhalten haben, ergeben keine fuer den ganzen Stamm gueltigen individuellen Zuege und heben meistens nur Einzelheiten hervor, wie sie bei allen Voelkern auf niederer Kulturstufe sich zeigen. Aber ein Soldatenvolk sind sie gewesen und geblieben, als Reiter nicht minder brauchbar wie fuer die leichte Infanterie, von den Zeiten des Peloponnesischen Krieges und Alexanders bis hinab in die der roemischen Caesaren, mochten sie gegen diese sich stemmen oder spaeter fuer sie fechten. Auch die wilde, aber grossartige Weise der Goetterverehrung darf vielleicht als ein diesem Stamm eigentuemlicher Grundzug aufgefasst werden, der gewaltige Ausbruch der Fruehlingsund der Jugendlust, die naechtlichen Bergfeste fackelschwingender Maedchen, die rauschende, sinnverwirrende Musik, der stroemende Wein und das stroemende Blut, der in Aufregung aller sinnlichen Leidenschaften zugleich rasende Taumel der Feste. Dionysos, der herrliche und der schreckliche, ist ein thrakischer Gott, und was der Art in dem hellenischen und dem roemischen Kult besonders hervortritt, knuepft an thrakische oder phrygische Sitte an. Waehrend die illyrischen Voelkerschaften in Dalmatien und Pannonien nach der Niederwerfung der grossen Insurrektion in den letzten Jahren des Augustus die Entscheidung der Waffen nicht wieder gegen die Roemer angerufen haben, gilt von den thrakischen Staemmen nicht das gleiche; der oft bewiesene Unabhaengigkeitssinn und die wilde Tapferkeit dieser Nation verleugnete auch in ihrem Untergang sich nicht. In dem Thrakien suedlich vom Haemus blieb das alte Fuerstenrum unter roemischer Oberhoheit. Das einheimische Herrscherhaus der Odrysen, mit der Residenz Bizye (Wiza) zwischen Adrianopel und der Kueste des Schwarzen Meeres, tritt schon in der frueheren Zeit unter den thrakischen Fuerstengeschlechtern am meisten hervor; nach der Triumviralzeit ist von anderen thrakischen Koenigen als denen dieses Hauses nicht ferner die Rede, so dass die uebrigen Fuersten durch Augustus zu Vasallen gemacht oder beseitigt zu sein scheinen und mit dem thrakischen Koenigtum fortan nur Glieder dieses Geschlechts belehnt worden sind. Es geschah dies wahrscheinlich deshalb, weil waehrend des ersten Jahrhunderts, wie weiterhin zu zeigen sein wird, an der unteren Donau keine roemischen Legionen standen; den Grenzschutz an der Donaumuendung erwartete Augustus von dem thrakischen Vasallen. Rhoemetalkes, welcher in der zweiten Haelfte der Regierung des Augustus als roemischer Lehnskoenig das gesamte Thrakien beherrschte ^4, und seine Kinder und Enkel spielten denn auch in diesem Lande ungefaehr dieselbe Rolle wie Herodes und seine Nachkommen in Palaestina: unbedingte Ergebenheit gegen den Oberherrn, entschiedene Hinneigung zu roemischem Wesen, Verfeindung mit den eigenen, die nationale Unabhaengigkeit festhaltenden Landsleuten bezeichnen die Stellung des thrakischen Herrscherhauses. Die grosse, frueher erzaehlte thrakische Insurrektion der Jahre 741-743 (13-11) richtete sich zunaechst gegen diesen Rhoemetalkes und seinen Bruder und Mitherrscher Kotys, der dabei umkam, und wie er damals den Roemern die Wiedereinsetzung in seine Herrschaft verdankte, so trug er ihnen einige Jahre spaeter seinen Dank ab, indem er bei dem Aufstand der Dalmater und der Pannonier, dem seine dakischen Stammesgenossen sich anschlossen, treu zu den Roemern hielt und an der Niederwerfung desselben wesentlichen Anteil hatte. Sein Sohn Kotys war mehr Roemer oder vielmehr Grieche als Thraker; er fuehrte seinen Stammbaum zurueck auf Eumolpos und Erichthonios und gewann die Hand einer Verwandten des kaiserlichen Hauses, der Urenkelin des Triumvirn Antonius; nicht bloss die griechischen und die lateinischen Poeten seiner Zeit sangen ihn an, sondern er selbst war ebenfalls und nicht getischer Dichter ^5. Der letzte der thrakischen Koenige, des frueh gestorbenen Kotys Sohn Rhoemetalkes, war in Rom aufgewachsen und gleich dem Herodeer Agrippa des Kaisers Gaius Jugendgespiele. Die thrakische Nation aber teilte keineswegs die roemischen Neigungen des regierenden Hauses, und die Regierung ueberzeugte sich allmaehlich in Thrakien wie in Palaestina, dass der schwankende, nur durch bestaendiges Eingreifen der Schutzmacht aufrecht erhaltene Vasallenthron weder fuer sie noch fuer das Land von Nutzen und die Einfuehrung der unmittelbaren Verwaltung in jeder Hinsicht vorzuziehen sei. Kaiser Tiberius benutzte die in dem thrakischen Koenigshause entstandenen Zerwuerfnisse, um in der Form der Vormundschaftsfuehrung ueber die unmuendigen Prinzen im Jahre 19 einen roemischen Statthalter, Titus Trebellenus Rufus, nach Thrakien zu schicken. Doch vollzog sich diese Okkupation nicht ohne freilich erfolglosen, aber ernstlichen Widerstand des Volkes, das namentlich in den Bergtaelern sich um die von Rom gesetzten Herrscher wenig kuemmerte, und dessen Mannschaften, von ihren Stammhaeuptern gefuehrt, sich kaum als koenigliche, noch weniger als roemische Soldaten fuehlten. Die Sendung des Trebellenus rief im Jahre 21 einen Aufstand hervor, an dem nicht bloss die angesehensten thrakischen Voelkerschaften sich beteiligten, sondern der groessere Verhaeltnisse anzunehmen drohte; Boten der Insurgenten gingen ueber den Haemus, um in Moesien und vielleicht noch weiter hin den Nationalkrieg zu entfachen. Indes die moesischen Legionen erschienen rechtzeitig, um Philippopolis, das die Aufstaendischen belagerten, zu entsetzen und die Bewegung zu unterdruecken. Aber als einige Jahre spaeter (25) die roemische Regierung in Thrakien Aushebungen anordnete, weigerten sich die Mannschaften, ausserhalb des eigenen Landes zu dienen. Da keine Ruecksicht darauf genommen wurde, stand das ganze Gebirge auf und es folgte ein Verzweiflungskampf, in welchem die Insurgenten, endlich durch Durst und Hunger bezwungen, zum grossen Teil teils in die Schwerter der Feinde, teils in die eigenen sich stuerzten und lieber dem Leben entsagten als der altgewohnten Freiheit. Das unmittelbare Regiment dauerte in der Form der Vormundschaftsfuehrung in Thrakien bis zum Tode des Tiberius; und wenn Kaiser Gaius bei dem Antritt der Regierung dem thrakischen Jugendfreund ebenso wie dem juedischen die Herrschaft zurueckgab, so machte wenige Jahre darauf, im Jahre 46, die Regierung des Claudius ihr definitiv ein Ende. Auch diese schliessliche Einziehung des Koenigreichs und Umwandlung in einen roemischen Bezirk traf noch auf eine gleich hoffnungslose und gleich hartnaeckige Gegenwehr. Aber mit der Einfuehrung der unmittelbaren Verwaltung ist der Widerstand gebrochen. Eine Legion hat der Statthalter, anfangs von Ritter-, seit Traian von Senatorenrang, niemals gehabt; die in das Land gelegte Besatzung, wenn sie auch nicht staerker war als 2000 Mann nebst einem kleinen bei Perinthos stationierten Geschwader, genuegte in Verbindung mit den sonst von der Regierung getroffenen Vorsichtsmassregeln, um die Thraker niederzuhalten. Mit der Anlegung der Militaerstrassen wurde gleich nach der Einziehung begonnen; wir finden, dass die bei dem Zustand des Landes erforderlichen Stationsgebaeude fuer die Unterkunft der Reisenden bereits im Jahre 61 von der Regierung eingerichtet und dem Verkehr uebergeben wurden. Thrakien ist seitdem eine gehorsame und wichtige Reichsprovinz; kaum hat irgendeine andere fuer alle Teile der Kriegsmacht, insbesondere auch fuer die Reiterei und die Flotte, so zahlreiche Mannschaften gestellt wie dieses alte Heimatland der Fechter und der Lohnsoldaten. ----------------------------------------------- ^4 Das sagt Tac. ann. 2, 64 ausdruecklich. Freie Thraker, vom roemischen Standpunkt aus betrachtet, gab es damals nicht; wohl aber behauptete das thrakische Gebirge, namentlich die Rhodope der Besser, auch im Friedensstand den von Rom eingesetzten Fuersten gegenueber eine kaum als Untertaenigkeit zu bezeichnende Stellung; sie erkannten wohl den Koenig an, gehorchten ihm aber, wie Tacitus (a. a. O. und 4, 46 u. 51) sagt, nur, wenn es ihnen passte. ^5 Wir haben noch ein Kotys gewidmetes griechisches Epigramm des Antipater von Thessalonike (Anthol. Planud. 4, 75), desselben Dichters, der auch den Thrakersieger Piso feierte, und eine an Kotys gerichtete lateinische Epistel in Versen des Ovidius (Pont. 2, 9). ----------------------------------------------- Die ernsten Kaempfe, welche die Roemer auf dem sogenannten thrakischen Ufer, in der Landschaft zwischen dem Balkan und der Donau mit derselben Nation zu bestehen hatten und welche zu der Einrichtung des moesischen Kommandos fuehrten, bilden einen wesentlichen Bestandteil der Regulierung der Nordgrenze in augustischer Zeit und sind in ihrem Zusammenhang bereits geschildert worden. Von aehnlichem Widerstand, wie die Thraker ihn den Roemern entgegensetzten, wird aus Moesien nichts berichtet; die Stimmung daselbst mag nicht anders gewesen sein, aber in dem ebenen Lande und unter dem Druck der bei Viminacium lagernden Legionen trat der Widerstand nicht offen hervor. Die Zivilisation kam den thrakischen Voelkerschaften, wie den illyrischen, von zwei Seiten: von der Kueste her und von der makedonischen Grenze die der Hellenen, von der dalmatischen und pannonischen die lateinische. Ueber jene wird zweckmaessiger zu handeln sein, wo wir versuchen, die Stellung der europaeischen Griechen unter der Kaiserherrschaft zu bezeichnen; hier genuegt es im allgemeinen hervorzuheben, dass dieselbe auch hier nicht bloss das Griechentum, wo sie es fand, geschuetzt hat und die gesamte Kueste, auch die dem Statthalter von Moesien untergebene, stets griechisch geblieben ist, sondern dass die Provinz Thrakien, deren Zivilisation ernstlich erst von Traian begonnen und durchaus ein Werk der Kaiserzeit ist, nicht in die roemische Bahn gelenkt, sondern hellenisiert ward. Selbst die noerdlichen Abhaenge des Haemus, obwohl administrativ zu Moesien gehoerig, sind in diese Hellenisierung hineingezogen, Nikopolis an der Jantra und Markianopolis unweit Varna, beides Gruendungen Traians, nach griechischem Schema organisiert worden. Von der lateinischen Zivilisation Moesiens gilt das gleiche wie von der des angrenzenden dalmatischen und pannonischen Binnenlandes; nur tritt dieselbe, wie natuerlich, um so viel spaeter, schwaecher und unreiner auf, je weiter sie von ihrem Ausgangspunkt sich entfernt. Ueberwiegend ist sie hier den Legionslagern gefolgt und mit diesen nach Osten hin vorgedrungen, ausgehend von den wahrscheinlich aeltesten Moesiens bei Singidunum (Belgrad) und Viminacium (Kostolatz) ^6. Freilich hat sie, der Beschaffenheit ihrer bewaffneten Apostel entsprechend, auch in Obermoesien sich auf sehr niedriger Stufe gehalten und den primitiven Zustaenden noch Spielraum genug gelassen. Viminacium hat durch Hadrian italisches Stadtrecht erhalten. Niedermoesien zwischen dem Balkan und der Donau ist in der frueheren Kaiserzeit wohl durchaus in der Verfassung geblieben, welche die Roemer vorfanden; erst als die Legionslager an der unteren Donau bei Novae, Durostorum und Troesmis gegruendet wurden, was, wie weiter unten dargelegt werden wird, wohl erst im Anfang des 2. Jahrhunderts geschah, ist auch dieser Teil des rechten Donauufers eine Staette derjenigen italischen Zivilisation geworden, welche mit der Lagerordnung sich vertrug. Seitdem sind hier auch buergerliche Ansiedlungen entstanden, namentlich an der Donau selbst zwischen den grossen Standlagern die nach italischem Muster eingerichteten Staedte Ratiaria unweit Widin und Oescus am Einfluss der Iskra in die Donau, und allmaehlich naeherte sich die Landschaft dem Niveau der damals noch bestehenden, freilich in sich verfallenden roemischen Kultur. Fuer den Wegebau in Untermoesien sind seit Hadrian, von dem die aeltesten bisher daselbst gefundenen Meilensteine herruehren, die Regenten vielfach taetig gewesen. ----------------------------------------------------- ^6 Es ist eine der empfindlichsten Luecken der roemischen Kaisergeschichte, dass die Standlager der beiden Legionen, welche unter den Julisch-Claudischen Kaisern die Besatzung von Moesien bildeten, der 4. Scythica und der 5. Macedonica (wenigstens standen diese dort im Jahre 33: CIL III, 1698) sich bis jetzt nicht mit Sicherheit nachweisen lassen. Wahrscheinlich waren es Viminacium und Singidunum in dem spaeteren Obermoesien. Unter den Legionslagern Niedermoesiens, von denen namentlich das von Troesmis zahlreiche Monumente aufzuweisen hat, scheint keines aelter zu sein als Hadrian; die Ueberreste der obermoesischen sind bis jetzt so sparsam, dass sie wenigstens nicht hindern, deren Entstehung ein Jahrhundert weiter zurueck zu legen. Wenn der Koenig von Thrakien im Jahre 18 gegen Bastarner und Skythen ruestet (Tac. ann. 2, 65), so haette dies auch als Vorwand nicht geltend gemacht werden koennen, wenn niedermoesische Legionslager schon damals bestanden haetten. Eben diese Erzaehlung zeigt, dass die Kriegsmacht dieses Lehnsfuersten nicht unbedeutend war, und die Beseitigung eines unfuegsamen Koenigs von Thrakien Vorsicht erheischte. ----------------------------------------------------- Wenden wir uns von der Uebersicht der roemischen Herrschaft, wie sie seit Augustus in den Laendern am rechten Ufer der Donau sich gestaltet hatte, zu den Verhaeltnissen und den Anwohnern des linken, so ist, was ueber die westliche Landschaft zu bemerken waere, im wesentlichen schon bei der Schilderung Obergermaniens zur Sprache gekommen und namentlich hervorgehoben worden, dass die zunaechst an Raetien angrenzenden Germanen, die Hermunduren, unter den saemtlichen Nachbarn der Roemer die friedfertigsten gewesen und, soviel uns bekannt, niemals mit denselben in Konflikt geraten sind. Dass das Volk der Markomannen oder, wie die Roemer sie in frueherer Zeit gewoehnlich nennen, der Sueben, nachdem es in augustischer Zeit in dem alten Boierland, dem heutigen Boehmen, neue Sitze gefunden und durch den Koenig Maroboduus eine festere staatliche Organisation sich gegeben hatte, waehrend der roemisch-germanischen Kriege zwar Zuschauer blieb, aber doch durch die Dazwischenkunft der rheinischen Germanen vor der drohenden roemischen Invasion bewahrt ward, ist bereits erzaehlt worden; nicht minder, dass der Rueckschlag des abermaligen Abbruchs der roemischen Offensive am Rhein diesen allzu neutralen Staat ueber den Haufen warf. Die Vormachtstellung, welche die Markomannen unter Maroboduus ueber die entfernteren Voelker im Elbegebiet gewonnen hatten, ging damit verloren, und der Koenig selbst ist als vertriebener Mann auf roemischer Erde gestorben. Die Markomannen und ihre stammverwandten oestlichen Nachbarn, die Quaden in Maehren, gerieten insofern in roemische Klientel, als hier, ungefaehr wie in Armenien, die um die Herrschaft streitenden Praetendenten sich teilweise auf die Roemer stuetzten und diese das Belehnungsrecht in Anspruch nahmen und je nach Umstaenden auch ausuebten. Der Gotonenfuerst Catualda, der zunaechst den Maroboduus gestuerzt hatte, konnte als dessen Nachfolger sich nicht lange behaupten, zumal da der Koenig der benachbarten Hermunduren, Vibilius, gegen ihn eintrat; auch er musste auf roemisches Gebiet uebertreten und, gleich Maroboduus, die kaiserliche Gnade anrufen. Tiberius bewirkte dann, dass ein vornehmer Quade, Vannius, an seine Stelle kam; dem zahlreichen Gefolge der beiden verbannten Koenige, das auf dem rechten Donauufer nicht bleiben durfte, verschaffte Tiberius Sitze auf dem linken im Marchtal ^7 und dem Vannius die Anerkennung von Seiten der mit Rom befreundeten Hermunduren. Nach dreissigjaehriger Herrschaft wurde dieser im Jahre 50 gestuerzt durch seine beiden Schwestersoehne Vangio und Sido, die sich gegen ihn auflehnten und die Nachbarvoelker, die Hermunduren im Fraenkischen, die Lugier in Schlesien, fuer sich gewannen. Die roemische Regierung, die Vannius um Unterstuetzung anging, blieb der Politik des Tiberius getreu: sie gewaehrte dem gestuerzten Koenig das Asylrecht, intervenierte aber nicht, da zumal die Nachfolger, die das Gebiet unter sich teilten, bereitwillig die roemische Oberherrschaft anerkannten. Der neue Suebenfuerst Sido und sein Mitherrscher Italicus, vielleicht der Nachfolger Vangios, fochten in der Schlacht, die zwischen Vitellius und Vespasian entschied, mit der roemischen Donauarmee auf der Seite der Flavianer. In den grossen Krisen der roemischen Herrschaft an der Donau unter Domitian und Marcus werden wir ihren Nachfolgern wieder begegnen. Zum Roemischen Reich haben die Donausueben nicht gehoert; die wahrscheinlich von denselben geschlagenen Muenzen zeigen wohl lateinische Aufschriften, aber nicht roemischen Fuss, geschweige denn das Bildnis des Kaisers; eigentliche Abgaben und Aushebungen fuer Rom haben hier nicht stattgefunden. Aber in dem Machtbereich Roms ist, namentlich im ersten Jahrhundert, der Suebenstaat in Boehmen und Maehren einbegriffen gewesen und, wie schon bemerkt ward, ist dies auch auf die Aufstellung der roemischen Grenzwacht nicht ohne Einfluss geblieben. ------------------------------------------------------ ^7 Dass das regnum Vannianum (Plin. nat. 4, 12, 81), der Suebenstaat (Tac. ann. 12, 29; hist. 3, 5 u. 21) nicht bloss, wie es nach Tacitus ann. 2, 63 scheinen koennte, auf die Wohnsitze der mit Maroboduus und Catualda uebergetretenen Leute, sondern auf das ganze Gebiet der Markomannen und Quaden bezogen werden muss, zeigt deutlich der zweite Bericht ann. 12, 29 u. 30, da hier als Gegner des Vannius neben seinen eigenen insurgierten Untertanen die westlich und noerdlich an Boehmen angrenzenden Voelker, die Hermunduren und Lugier, erscheinen. Als Grenze gegen Osten bezeichnet Plinius (a. a. O.) die Gegend von Carnuntum (Germanorum ibi confinium), genauer den Fluss Marus oder Duria, der die Sueben und das regnum Vannianum von ihren oestlichen Nachbarn scheidet, mag man nun das dirimens eos mit Muellenhoff (SB Berlin 1883, S. 871) auf die Jazygen oder, was naeher liegt, auf die Bastarner beziehen. Sachlich grenzten wohl beide, die Jazygen suedlich, die Bastarner noerdlich, mit den Quaden des Marchtals. Demnach ist der Marus die March und die Scheide machen die zwischen dem Marchund dem Waagtal sich erstreckenden kleinen Karpaten. Wenn also jene Gefolgschaften inter flumen Marum et Cusum angesiedelt werden, so ist der sonst nicht genannte Cusus, falls die Angabe genau ist, nicht die Waag oder gar, wie Muellenhoff meinte, die, unterhalb Gran in die Donau fallende Eipel, sondern ein Zufluss der Donau westlich der March, etwa der Gusen bei Linz. Auch fordert die Erzaehlung bei Tacitus (ann. 12, 29 u. 30), dass das Gebiet des Vannius westlich noch ueber die March hinausgereicht hat. Die Subskription unter dem ersten Buch der Betrachtungen des Kaisers Marcus en Koyadois pros t/o/ Granoia beweist wohl, dass damals der Quadenstaat sich bis zum Granfluss erstreckte; aber dieser Staat deckt sich nicht mit dem regnum Vannianum. ------------------------------------------------------ In der Ebene zwischen Donau und Theiss, ostwaerts von dem roemischen Pannonien, hat zwischen dieses und die thrakischen Daker sich ein Splitter geschoben des wahrscheinlich zum medisch-persischen Stamm gehoerigen Volkes der Sarmaten, das, nomadisch lebend als Hirtenund Reitervolk, die weite osteuropaeische Ebene zum grossen Teil fuellte; es sind dies die Jazygen, die "ausgewanderten" (metanastai) genannt zum Unterschied von dem am Schwarzen Meer zurueckgebliebenen Hauptstamm. Die Benennung zeigt, dass sie erst verhaeltnismaessig spaet in diese Gegenden vorgedrungen sind; vielleicht gehoert ihre Einwanderung mit zu den Stoessen, unter denen um die Zeit der Actischen Schlacht das Dakerreich des Burebista zusammenbrach. Uns begegnen sie hier zuerst unter Kaiser Claudius; dem Suebenkoenig Vannius stellten die Jazygen fuer seine Kriege die Reiterei. Die roemische Regierung war auf der Hut vor den flinken und raeuberischen Reiterscharen, stand aber uebrigens zu ihnen nicht in feindlichen Beziehungen. Als die Donaulegionen im Jahre 70 nach Italien marschierten, um Vespasian auf den Thron zu setzen, lehnten sie den von den Jazygen angebotenen Reiterzuzug ab und fuehrten nur in schicklicher Form eine Anzahl der Vornehmsten mit sich, damit diese inzwischen fuer die Ruhe an der entbloessten Grenze buergten. Ernstlicher und dauernder Wacht bedurfte es weiter abwaerts an der unteren Donau. Jenseits des maechtigen Stromes, der jetzt des Reiches Grenze war, sassen hier in den Ebenen der Walachei und dem heutigen Siebenbuergen die Daker, in dem oestlichen Flachland, in der Moldau, Bessarabien und weiter hin zunaechst die germanischen Bastarner, alsdann sarmatische Staemme, wie die Roxolaner, ein Reitervolk gleich den Jazygen, anfaenglich zwischen Dnjepr und Don, dann am Meerufer entlang vorrueckend. In den ersten Jahren des Tiberius verstaerkte der Lehnsfuerst von Thrakien seine Truppen, um die Bastarner und Skythen abzuwehren; in Tiberius’ spaeteren Jahren wurde unter anderen Beweisen seines mehr und mehr alles gehen lassenden Regiments geltend gemacht, dass er die Einfaelle der Daker und der Sarmaten ungestraft hinnehme. Wie es in den letzten Jahren Neros diesseits und jenseits der Donaumuendung zuging, zeigt ungefaehr der zufaellig erhaltene Bericht des damaligen Statthalters von Moesien, Tiberius Plautius Silvanus Aelianus. Dieser "fuehrte ueber 100000 jenseits der Donau wohnhafte Maenner mit ihren Weibern und Kindern und ihren Fuersten oder Koenigen ueber den Fluss, so dass sie der Steuerentrichtung unterlagen. Eine Bewegung der Sarmaten unterdrueckte er, bevor sie zum Ausbruch kam, obwohl er einen grossen Teil seiner Truppen zur Kriegfuehrung in Armenien (an Corbulo) abgegeben hatte. Eine Anzahl bis dahin unbekannter oder mit den Roemern in Fehde stehender Koenige fuehrte er ueber auf das roemische Ufer und noetigte sie, vor den roemischen Feldzeichen den Fussfall zu tun. Den Koenigen der Bastarner und der Roxolaner sandte er die gefangenen oder den Feinden wieder abgenommenen Soehne, denen der Daker die gefangenen Brueder zurueck ^8 und nahm von mehreren derselben Geiseln. Dadurch wurde der Friedensstand der Provinz sowohl befestigt wie weiter erstreckt. Auch den Koenig der Skythen bestimmte er, abzustehen von der Belagerung der Stadt Chersonesos (Sevastopol) jenseits des Borysthenes. Es war der erste, der durch grosse Getreidesendungen aus dieser Provinz das Brot in Rom wohlfeiler machte". Man erkennt hier deutlich sowohl den unter der Julisch- Claudischen Dynastie am linken Donauufer gaerenden Voelkerstrudel, wie auch den starken Arm der Reichsgewalt, der selbst ueber den Strom hinueber die Griechenstaedte am Dnjepr und in der Krim noch zu schuetzen suchte und einigermassen auch zu schuetzen vermochte, wie dies bei der Darstellung der griechischen Verhaeltnisse weiter dargelegt werden wird. --------------------------------------- ^8 Regibus Bastarnarum et Roxolanorum filios, Dacorum fratrum captos aut hostibus ereptos remisit (Orelli 750) ist verschrieben; es muss Fratres heissen oder allenfalls fratrum filios. Ebenso ist nachher per quaezu lesen fuer per quem und rege statt regem. --------------------------------------- Indes die Streitkraefte, ueber welche Rom hier verfuegte, waren mehr als unzulaenglich. Die geringfuegige Besatzung Kleinasiens und die ebenfalls geringe Flotte auf dem Schwarzen Meer kamen hoechstens fuer die griechischen Anwohner der noerdlichen und der westlichen Kueste desselben in Betracht. Dem Statthalter von Moesien, der mit seinen beiden Legionen das Donauufer von Belgrad bis zur Muendung zu schirmen hatte, war eine sehr schwierige Aufgabe gestellt; und die Beihilfe der wenig botmaessigen Thraker war unter Umstaenden eine Gefahr mehr. Insbesondere nach der Muendung der Donau zu mangelte ein genuegendes Bollwerk gegen die hier mit steigender Wucht andraengenden Barbaren. Der zweimalige Abzug der Donaulegionen nach Italien in den Wirren nach Neros Tod rief mehr noch an der Donaumuendung als am Unterrhein Einfaelle der Nachbarvoelker hervor, zuerst der Roxolaner, dann der Daker, dann der Sarmaten, das heisst wohl der Jazygen. Es waren schwere Kaempfe; in einem dieser Gefechte, wie es scheint gegen die Jazygen, blieb der tapfere Statthalter von Moesien, Gaius Fonteius Agrippa. Dennoch schritt Vespasian nicht zu einer Vermehrung der Donauarmee ^9; die Notwendigkeit, die asiatischen Garnisonen zu verstaerken, muss noch dringender erschienen sein und die damals besonders gebotene Sparsamkeit verbot jede Erhoehung der Gesamtarmee. Er begnuegte sich, wie es die Befriedung des Binnenlandes erlaubte und die an der Grenze bestehenden Verhaeltnisse sowie die durch die Einziehung Thrakiens herbeigefuehrte Aufloesung der thrakischen Truppen gebieterisch verlangten, die grossen Lager der Donauarmee an die Reichsgrenze vorzuschieben. So kamen die pannonischen von der Drau weg dem Suebenreich gegenueber nach Carnuntum und Vindobona und die dalmatischen von der Kerka und der Cettina an die moesischen Donauufer ^10, so dass der Statthalter von Moesien seitdem ueber die doppelte Zahl von Legionen verfuegte. ------------------------------------------ ^9 In Pannonien standen um das Jahr 70 zwei Legionen, die 13. gemina und die 15. Apollinaris, fuer welche letztere waehrend ihrer Beteiligung am Armenischen Krieg einige Zeit die 7. gemina eintrat (CIL III, p. 482). Von den beiden spaeter hinzugetretenen Legionen, 1. adiutrix und 2. adiutrix, lag die erste noch im Anfang der Regierung Traians in Obergermanien und kann erst unter diesem nach Pannonien gekommen sein; die zweite unter Vespasian in Britannien stationierte ist wahrscheinlich erst unter Domitian nach Pannonien gekommen. Auch das moesische Heer zaehlte nach der Vereinigung mit dem dalmatischen unter Vespasian wahrscheinlich nur vier Legionen, also soviel wie bisher beide Heere zusammen, die spaeteren obermoesischen 4. Flavia und 7. Claudia und die spaeteren untermoesischen 1. Italica und 5. Macedonica. Die durch die Hinund Hermaersche des Vierkaiserjahres verschobenen Stellungen (Marquardt, Roemische Staatsverwaltung, Bd. 2, S. 435), welche zeitweilig drei Legionen nach Moesien brachten, duerfen nicht taeuschen. Die spaetere dritte untermoesische Legion, die 11., stand noch unter Traian in Obergermanien. ^10 Ios. bel. Iud. 7, 4, 3: pleiosi kai meizosi phylakais ton topon dielaben, /o/s einai tois barbaroist/e/n diabasin tele/o/s ad?naton. Damit scheint die Verlegung der beiden dalmatischen Legionen nach Mphsien gemeint. Wohin sie gelegt wurden, wissen wir nicht. Nach der sonstigen roemischen Weise ist es wahrscheinlicher, dass sie in dem Umkreis des bisherigen Hauptquartiers Viminacium stationiert worden sind als in der entfernten Gegend der Donaumuendungen. Die Entstehung der dortigen Lager ist wohl erst erfolgt bei der Teilung des moesischen Kommandos und bei Einrichtung der selbstaendigen Provinz Untermoesien unter Domitian. ---------------------------------------- Eine Verschiebung der Machtverhaeltnisse zu Ungunsten Roms trat unter Domitian ein ^11, oder es wurden vielmehr damals die Konsequenzen der ungenuegenden Grenzverteidigung gezogen. Nach dem wenigen, was wir darueber wissen, knuepfte die Wandlung der Dinge, ganz wie die gleiche in Caesars Zeit, an einen einzelnen dakischen Mann an; was Koenig Burebista geplant hatte, schien Koenig Decebalus ausfuehren zu sollen. Wie sehr in seiner Persoenlichkeit die eigentliche Triebfeder lag, beweist die Erzaehlung, dass der Dakerkoenig Duras, um den rechten Mann an die rechte Stelle zu bringen, zu Gunsten des Decebalus von seinem Amt zuruecktrat. Dass Decebalus, um zu schlagen, vor allem organisierte, beweisen die Berichte ueber seine Einfuehrung der roemischen Disziplin bei der dakischen Armee und die Anwerbung tuechtiger Leute unter den Roemern selbst, und selbst die nach dem Siege von ihm den Roemern gestellte Bedingung, ihm zur Unterweisung der Seinigen in den Handwerken des Friedens wie des Krieges die noetigen Arbeiter zu liefern. In welchem grossen Stil er sein Werk ergriff, beweisen die Verbindungen, die er nach Westen und Osten anknuepfte, mit den Sueben und den Jazygen und sogar mit den Parthern. Die Angreifenden waren die Daker. Der Statthalter der Provinz Moesien, der ihnen zuerst entgegentrat, Oppius Sabinus, liess sein Leben auf dem Schlachtfelde. Eine Reihe kleinerer Lager wurde erobert, die grossen bedroht, der Besitz der Provinz selbst stand in Frage. Domitianus selbst begab sich zu der Armee und sein Stellvertreter - er selbst war kein Feldherr und blieb zurueck -, der Gardekommandant Cornelias Fuscus, fuehrte das Heer ueber die Donau; aber er buesste das unbedachte Vorgehen mit einer schweren Niederlage, und auch er, der zweite Hoechstkommandierende, blieb vor dem Feind. Sein Nachfolger Iulianus, ein tuechtiger Offizier, schlug die Daker in ihrem eigenen Gebiet in einer grossen Schlacht bei Tapae und war auf dem Wege, dauernde Erfolge zu erreichen. Aber waehrend der Kampf gegen die Daker schwebte, hatte Domitianus die Sueben und die Jazygen mit Krieg ueberzogen, weil sie es unterlassen hatten, ihm Zuzug gegen jene zu senden; die Boten, die dies zu entschuldigen kamen, liess er hinrichten ^12. Auch hier verfolgte das Missgeschick die roemischen Waffen. Die Markomannen erfochten einen Sieg ueber den Kaiser selbst; eine ganze Legion ward von den Jazygen umzingelt und niedergehauen. Durch diese Niederlage erschuettert, schloss Domitian trotz der von Iulianus ueber die Daker gewonnenen Vorteile mit diesen voreilig einen Frieden, der ihn zwar nicht hinderte, dem Vertreter des Decebalus in Rom, Diegis, gleich als waere dieser Lehnstraeger der Roemer, die Krone zu verleihen und als Sieger auf das Kapitol zu ziehen, der aber in Wirklichkeit einer Kapitulation gleich kam. Wozu Decebalus bei dem Einruecken des roemischen Heeres in Dakien sich hoehnisch erboten hatte, jeden Mann, fuer den ihm eine jaehrliche Zahlung von 2 Assen zugesichert werde, ungeschaedigt nach Hause zu entlassen, das wurde beinahe wahr; in dem Frieden wurden mit einer jaehrlich zu entrichtenden Abstandssumme die Einfaelle in Moesien abgekauft. ---------------------------------------- ^11 Die Chronologie des dakischen Krieges liegt sehr im Ungewissen. Dass er bereits vor dem Chattenkrieg (83) begonnen hat, lehrt die karthagische Inschrift CIL VIII, 1082 eines dreimal von Domitian, im dakischen, im germanischen und wieder im dakischen Kriege dekorierten Soldaten. Eusebius setzt den Ausbruch des Krieges oder vielmehr den ersten grossen Kampf in das Jahr Abrahams 2101 oder 2102 = n. Chr. 85 (genauer 1. Oktober 84-30. September 85) oder 86, den Triumph in das Jahr 2106 = 90; auf voellige Zuverlaessigkeit haben diese Zahlen freilich keinen Anspruch. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird der Triumph in das Jahr 89 gesetzt (W. Henzen, Acta fratrum Arvalium. Berlin 1874, S. 116). ^12 Das Fragment Dio 67, 7, 1 Dind. steht in der Folge der Ursinischen Exzerpte vor 67, 5, 1 bis 3 und gehoert auch nach der Folge der Ereignisse vor die Verhandlung mit den Lugiern. Vgl. Hermes 3, 1868, S. 115. ---------------------------------------- Hier musste Wandel geschafft werden. Auf Domitian, der wohl ein guter Reichsverwalter, aber stumpf fuer die Forderungen der militaerischen Ehre war, folgte nach dem kurzen Regiment Nervas Kaiser Traianus, der, zuerst und vor allem Soldat, nicht bloss jenen Vertrag zerriss, sondern auch die Massregeln danach traf, dass aehnliche Dinge sich nicht wiederholten. Der Krieg gegen die Sueben und Sarmaten, der bei Domitians Tod (96) noch dauerte, ward, wie es scheint, unter Nerva im Jahre 97 gluecklich beendigt. Der neue Kaiser ging, noch bevor er in die Hauptstadt des Reiches seinen Einzug hielt, vom Rhein an die Donau, wo er im Winter 98/99 verweilte, aber nicht, um sofort die Daker anzugreifen, sondern um den Krieg vorzubereiten; in diese Zeit gehoert die an die Strassenbauten in Obergermanien anschliessende Anlage der am rechten Donauufer, in der Gegend von Orsowa, im Jahre 100 vollendeten Strasse. Zum Kriege gegen die Daker, in dem er wie in allen seinen Feldzuegen selbst kommandierte, ging er erst im Fruehjahr 101 ab. Er ueberschritt die Donau unterhalb Viminacium und rueckte gegen die nicht weit davon entfernte Hauptstadt des Koenigs Sarmizegetusa vor. Decebalus mit seinen Verbuendeten - die Barer und andere nordwaerts wohnende Staemme beteiligten sich an diesem Kampf - leistete entschlossenen Widerstand, und nur mit heftigen und blutigen Gefechten bahnten die Roemer sich den Weg; die Zahl der Verwundeten war so gross, dass der Kaiser seine eigene Garderobe den Aerzten zur Verfuegung stellte. Aber der Sieg schwankte nicht. Eine feste Burg nach der anderen fiel; die Schwester des Koenigs, die Gefangenen aus dem vorigen Krieg, die den Heeren Domitians abgenommenen Feldzeichen fielen den Roemern in die Haende; durch Traianus selbst und durch den tapferen Lusius Quietus in die Mitte genommen, blieb dem Koenig nichts uebrig als vollstaendige Ergebung (102). Auch verlangte Traianus nichts geringeres als den Verzicht auf die souveraene Gewalt und den Eintritt des Dakischen Reiches in die roemische Klientel. Die Ueberlaeufer, die Waffen, die Kriegsmaschinen, die einst fuer diese von Rom gestellten Arbeiter massten abgeliefert werden und der Koenig persoenlich vor dem Sieger den Fussfall tun; er begab sich des Rechts auf Krieg und Frieden und versprach die Heerfolge; die Festungen wurden entweder geschleift oder den Roemern ausgeliefert und in diesen, vor allem in der Hauptstadt, blieb roemische Besatzung. Die maechtige steinerne Bruecke, die Traian bei Drobetae (gegenueber Turnu Severinului) ueber die Donau schlagen liess, stellte die Verbindung auch in der schlimmen Jahreszeit sicher und gab den dakischen Besatzungen an den nahen Legionen Obermoesiens einen Rueckhalt. Aber die dakische Nation und vor allem der Koenig selbst wussten sich in die Abhaengigkeit nicht so zu fuegen, wie es die Koenige von Kappadokien und Mauretanien verstanden hatten, oder hatten vielmehr das Joch nur auf sich genommen in der Hoffnung, bei erster Gelegenheit sich desselben wieder zu entledigen. Die Anzeichen dafuer traten bald hervor. Ein Teil der auszuliefernden Waffen wurde zurueckgehalten, die Kastelle nicht, wie es bedungen war, uebergeben, roemischen Ueberlaeufern auch ferner noch eine Freistatt gewaehrt, den mit den Dakern verfeindeten Jazygen Gebietsstuecke entrissen oder vielleicht auch nur deren Grenzverletzungen nicht hingenommen, mit den entfernteren, noch freien Nationen ein lebhafter und bedenklicher Verkehr unterhalten. Traianus musste sich ueberzeugen, dass er halbe Arbeit gemacht, und kurz entschlossen, wie er war, erklaerte er, ohne auf weitere Verhandlungen sich einzulassen, drei Jahre nach dem Friedensschluss (105) dem Koenig abermals den Krieg. Gern haette dieser ihn abgewandt; aber die Forderung, sich gefangen zu geben, sprach allzu deutlich. Es blieb nichts als der Kampf der Verzweiflung, und dazu waren nicht alle bereit; ein grosser Teil der Daker unterwarf sich ohne Gegenwehr. Der Aufruf an die Nachbarvoelker, in die Abwehr fuer die auch ihrer Freiheit und ihrem Volkstum drohende Gefahr mit einzutreten, verhallte ohne Wirkung; Decebalus und die ihm treugebliebenen Daker standen in diesem Krieg allein. Die Versuche, den kaiserlichen Feldherrn durch Ueberlaeufer aus dem Wege zu schaffen, oder mit der Losgebung eines gefangengenommenen hohen Offiziers ertraegliche Bedingungen zu erkaufen, scheiterten ebenfalls. Der Kaiser zog abermals als Sieger in die feindliche Hauptstadt ein und Decebalus, der bis zum letzten Augenblick mit dem Verhaengnis gerungen hatte, gab, als alles verloren war, sich selber den Tod (107). Diesmal machte Traianus ein Ende; der Krieg galt nicht mehr der Freiheit des Volkes, sondern seiner Existenz. Aus dem besten Teile des Landes wurde die eingeborene Bevoelkerung ausgetrieben und diese Striche mit einer, fuer die Bergwerke aus den Gebirgen Dalmatiens, sonst ueberwiegend, wie es scheint, aus Kleinasien herangezogenen nationslosen Bevoelkerung wiederbesetzt. In manchen Gegenden freilich blieb dennoch die alte Bevoelkerung und behauptete sich sogar die Landessprache ^13; diese Daker sowohl wie die ausserhalb der Grenzen hausenden Splitter haben auch nachher noch, zum Beispiel unter Commodus und Maximinus, den Roemern zu schaffen gemacht; aber sie standen vereinzelt und verka men. Die Gefahr, mit der der kraeftige Thrakerstamm mehrmals die roemische Herrschaft bedroht hatte, durfte nicht wiederkehren, und dies Ziel hat Traianus erreicht. Das traianische Rom war nicht mehr das der hannibalischen Zeit; aber es war immer noch gefaehrlich, die Roemer besiegt zu haben. --------------------------------------------------- ^13 Arr. takt. 44 erwaehnt unter den Aenderungen, die Hadrian bei der Kavallerie einfuehrte, dass er den einzelnen Abteilungen ihre nationalen Schlachtrufe gestattet habe, Keltiko?s men tois Keltois ippe?sin, Getiko?s de tois Getais, Raitikoys de osoi ek Rait/o/n. --------------------------------------------------- Die stattliche Saeule, welche sechs Jahre darauf dem Kaiser von dem Reichssenat auf dem neuen Traiansmarkt der Hauptstadt errichtet ward und die ihn heute noch schmueckt, ist ein Zeugnis der verwuesteten Geschichtsueberlieferung der roemischen Kaiserzeit, wie wir kein zweites besitzen. In ihrer ganzen Hoehe von genau 100 roemischen Fuss ist sie bedeckt mit einzelnen Darstellungen - man zaehlt deren 124; ein gemeisseltes Bilderbuch der dakischen Kriege, zu welchem uns fast ueberall der Text fehlt. Wir sehen die Wachttuerme der Roemer mit ihrem spitzen Dach, ihrem pallisadierten Hof, ihrem oberen Umgang, ihren Feuersignalen. Die Stadt am Ufer des Donaustroms, dessen Flussgott den roemischen Kriegern zuschaut, wie sie unter ihren Feldzeichen auf der Schiffbruecke entlangziehen. Den Kaiser selbst im Kriegsrat, dann vor den Waellen des Lagers am Altar opfernd. Es wird erzaehlt, dass die den Dakern verbuendeten Burer den Traian vom Kriege abmahnten in einem lateinischen, auf einen gewaltigen Pilz geschriebenen Spruch: man meint, diesen Pilz zu erkennen, auf ein Saumtier geladen, von dem gestuerzt ein Barbar mit der Keule, auf dem Boden liegend, dem heranschreitenden Kaiser mit dem Finger den Pilz weist. Wir sehen das Lager schlagen, die Baeume faellen, Wasser holen, die Bruecke legen. Die ersten gefangenen Daker, leicht kenntlich an ihren langaermligen Kitteln und ihren weiten Hosen, werden, die Haende auf den Ruecken gebunden und an ihrem langen Haarbusch von den Soldaten gefasst, vor den Kaiser gefuehrt. Wir sehen die Gefechte, die Speerund Steinschleuderer, die Sicheltraeger, die Bogenschuetzen zu Fuss, die auch den Bogen fuehrenden schweren Panzerreiter, die Drachenfahne der Daker, die feindlichen Offiziere, geschmueckt mit dem Zeichen ihres Ranges, der runden Muetze, den Fichtenwald, in den die Daker ihre Verwundeten tragen, die abgehauenen Koepfe der Barbaren, vor dem Kaiser niedergelegt. Wir sehen das dakische Pfahldorf mitten im See, in dessen runde Huetten mit spitzem Dach die Brandfackeln fliegen. Frauen und Kinder flehen den Kaiser um Gnade an. Die Verwundeten werden gepflegt und verbunden, Ehrenzeichen an Offiziere und Soldaten ausgeteilt. Dann geht es weiter im Kampf: die feindlichen Verschanzungen, teils von Holz, teils Steinmauern, werden angegriffen, das Belagerungsgeschuetz faehrt auf, die Leitern werden herangetragen, unter dem Schilderdach greift die Sturmkolonne an. Endlich liegt der Koenig mit seinem Gefolge zu den Fuessen Traians; die Drachenfahnen sind in Roemerhand; die Truppen begruessen jubelnd den Imperator; vor den aufgetuermten Waffen der Feinde steht die Victoria und beschreibt die Tafel des Sieges.. Es folgen die Bilder des zweiten Krieges, im ganzen der ersten Reihe gleichartig; bemerkenswert ist eine grosse Darstellung, welche, nachdem die Koenigsburg in Flammen aufgegangen ist, die Fuersten der Daker zu zeigen scheint, sitzend um einen Kessel und einer nach dem andern den Giftbecher leerend; eine andere, wo des tapferen Dakerkoenigs Haupt auf einer Schuessel dem Kaiser gebracht wird; endlich das Schlussbild, die lange Reihe der Besiegten mit Frauen, Kindern und Herden aus der Heimat abziehend. Die Geschichte dieses Krieges hat der Kaiser selbst geschrieben, wie Friedrich der Grosse die des Siebenjaehrigen, und nach ihm viele andere; uns ist alles dies verloren, und wie niemand es wagen wuerde, nach Menzels Bildern die Geschichte des Siebenjaehrigen Krieges zu erfinden, so bleibt auch uns nur mit dem Einblick in halb verstaendliche Einzelheiten die schmerzliche Empfindung einer bewegten und grossen, auf ewig verblassten und selbst fuer die Erinnerung vergangenen geschichtlichen Katastrophe. Die Grenzverteidigung im Donaugebiet wurde infolge der Verwandlung Dakiens in eine roemische Provinz nicht in dem Grade verschoben, wie man wohl erwarten sollte; eine eigentliche Veraenderung der Verteidigungslinie trat nicht ein, sondern es wurde die neue Provinz im ganzen als eine exzentrische Position behandelt, die nur nach Sueden hin, an der Donau selbst, unmittelbar mit dem roemischen Gebiet zusammenhing, nach den anderen drei Seiten in das barbarische Land hineinragte. Die zwischen Pannonien und Dakien sich erstreckende Theissebene blieb auch ferner den Jazygen; es haben sich wohl Reste alter Waelle gefunden, die von der Donau ueber die Theiss weg bis an das dakische Gebirge fuehren und das Jazygengebiet noerdlich begrenzen, aber ueber die Zeit und die Urheber dieser Verschanzungen ist nichts Sicheres ermittelt. Auch Bessarabien wird von einer doppelten Sperrlinie durchschnitten, welche, vom Prut zum Dnjestr laufend, bei Tyra endigt, und nach den darueber bis jetzt vorliegenden, ungenuegenden Berichten von den Roemern herzuruehren scheint ^14. Ist dies der Fall, so sind die Moldau und die suedliche Haelfte von Bessarabien sowie die gesamte Walachei dem Roemischen Reich einverleibt gewesen. Aber mag dies auch nominell geschehen sein, effektiv hat die Roemerherrschaft sich schwerlich auf diese Laender erstreckt; wenigstens fehlt es an sicheren Beweisen roemischer Ansiedlung bis jetzt sowohl in der oestlichen Walachei wie in der Moldau und in Bessarabien voellig. Auf alle Faelle blieb hier viel mehr noch als in Germanien der Rhein die Donau die Grenze der roemischen Zivilisation und der eigentliche Stuetzpunkt der Grenzverteidigung. Die Positionen an dieser wurden erheblich verstaerkt. Es war ein Gluecksfall fuer Rom, dass, waehrend die Voelkerbrandung an der Donau stieg, sie am Rhein sank und die dort entbehrlich gewordenen Truppen anderweitig verfuegbar wurden. Wenn noch unter Vespasian wahrscheinlich nicht mehr als sechs Legionen an der Donau standen, so ist deren Zahl durch Domitianus und Traianus spaeter auf zehn gesteigert, womit zusammenhaengt, dass die bisherigen beiden Oberkommandanturen von Moesien und Pannonien, die erstere unter Domitian, die zweite unter Traian, geteilt wurden und, indem weiter die dakische hinzutrat, die Gesamtzahl der Kommandanturen an der unteren Donau sich auf fuenf stellte. Anfaenglich scheint man freilich die Ecke, welche dieser Strom unterhalb Durostorum (Silistria) macht, die heutige Dobrudscha, abgeschnitten und von dem heutigen Ort Rassowa an, wo der Fluss bis auf sieben deutsche Meilen sich dem Meere naehert, um dann fast im rechten Winkel nach Norden abzubiegen, die Flusslinie durch eine befestigte Strasse nach Art der britannischen ersetzt zu haben, welche bei Tomis die Kueste erreichte ^15. Indes diese Ecke ist wenigstens seit Hadrian in die roemische Grenzbefestigung eingezogen worden; denn von da an finden wir Untermoesien, das vor Traian wahrscheinlich gar keine groesseren staendigen Besatzungen gehabt hatte, belegt mit den drei Legionslagern von Novae (bei Svischtova), Durostorum (Silistria) und Troesmis (Iglitza bei Galatz), von welchen das letzte eben jener Donauecke vorliegt. Gegen die Jazygen wurde die Stellung dadurch verstaerkt, dass zu den obermoesischen Lagern bei Singidunuum und Viminacium das unterpannonische an der Muendung der Theiss in die Donau bei Acumincum hinzutrat. Dakien selbst ist damals nur schwach besetzt worden. Die Hauptstadt, jetzt traianische Kolonie Sarmizegetusa, lag nicht weit von den Hauptuebergaengen ueber die Donau in Obermoesien; hier und an dem mittleren Marisus sowie jenseits desselben, in dem Bezirk der Goldgruben, haben die Roemer vorzugsweise sich ansaessig gemacht; auch die eine seit Traian in Dakien garnisonierende Legion hat ihr Hauptquartier wenigstens bald nachher in dieser Gegend bei Apulum (Karlsburg) erhalten. Weiter noerdlich sind Potaissa (Thorda) und Napoca (Klausenburg) wohl auch sofort von den Roemern in Besitz genommen worden, aber erst allmaehlich schoben die grossen pannonisch-dakischen Militaerzentren sich weiter gegen Norden vor. Die Verlegung der unterpannonischen Legion von Acumincum nach Aquincum, dem heutigen Ofen, und die Okkupierung dieser militaerisch beherrschenden Position faellt nicht spaeter als Hadrian und wahrscheinlich unter ihn; wohl gleichzeitig ist die eine der oberpannonischen Legionen nach Brigetio (gegenueber Komorn) gekommen. Unter Commodus wurde an der Nordgrenze Dakiens in der Breite von einer deutschen Meile jede Ansiedelung untersagt, was mit den spaeter zu erwaehnenden Grenzordnungen nach dem Markomannenkrieg zusammenhaengen wird. Damals moegen auch die befestigten Linien entstanden sein, welche diese Grenze, aehnlich wie die obergermanische, sperrten. Unter Severus kam eine der bisher niedermoesischen Legionen an die dakische Nordgrenze nach Potaissa (Thorda). Aber auch nach diesen Verlegungen bleibt Dakien eine von Bergen und Schanzen gedeckte, vorgeschobene Stellung am linken Ufer, bei der es wohl zweifelhaft sein mochte, ob sie die allgemeine Defensivstellung der Roemer mehr foerderte oder mehr beschwerte. Hadrianus hat in der Tat daran gedacht, dies Gebiet aufzugeben, also dessen Einverleibung als einen Fehler betrachtet; nachdem sie einmal geschehen war, ueberwog allerdings die Ruecksicht, wenn nicht auf die eintraeglichen Goldgruben des Landes, so doch auf die rasch sich entwickelnde roemische Zivilisation im Marisusgebiet. Aber wenigstens den Oberbau der steinernen Donaubruecke liess er entfernen, da ihm die Besorgnis vor der Benutzung derselben durch die Feinde schwerer wog als die Ruecksicht auf die dakische Besatzung. Die spaetere Zeit hat von dieser Aengstlichkeit sich freigemacht; aber die exzentrische Stellung Dakiens zu der uebrigen Grenzverteidigung ist geblieben. ------------------------------------------------ ^14 Die Waelle, welche 3 Meter hoch, 2 Meter dick, mit breitem Aussengraben und vielen Resten von Kastellen in zwei fast parallelen Linien, teils in der Laenge vor. 150 Kilometern vom linken Ufer des Pruth ueber Tabak und Tatarbunar zum Dnjestr-Liman zwischen Akerman und dem Schwarzen Meer, teils in der Laenge von 100 Kilometern von Leowa am Pruth zum Dnjestr unterhalb Bendery ziehen (Petermanns Geographische Mittheilungen 1857, S. 129), moegen wohl auch roemisch sein; aber es fehlt bis jetzt an jeder genaueren Feststellung. ^15 Nach v. Vinckes Aufnahme (Monatsberichte ueber die Verhandlungen der Gesellschaft fuer Erdkunde in Berlin 1, 1839/40, S. 179 f.; vgl. in v. Moltkes Briefen ueber Zustaende in der Tuerkei den vom 2. November 1837) sowie nach den mir mitgeteilten Aufzeichnungen und Plaenen des Herrn Dr. C. Schuchhardt sind hier drei Sperrungen angelegt. Die suedlichste, wahrscheinlich aelteste, ist ein einfacher Erdwall mit (auffallender Weise) gegen Sueden vorliegendem Graben; ob roemischen Ursprungs, kann zweifelhaft sein. Die beiden anderen Linien sind ein jetzt noch vielfach bis 3 Meter hoher Erdund ein niederigerer einst mit Steinen gefuetterter Wall, die oft dicht nebeneinander her, anderswo wieder stundenweit voneinander entfernt laufen. Man moechte sie fuer die beiden Verteidigungslinien einer befestigten Strasse halten, wenn auch in der oestlichen Haelfte der Erdwall, in der suedlicheren der Steinwall der noerdlichere ist und sie in der Mitte sich kreuzen. An einer Stelle bildet der (hier suedlichere) Erdwall die Hinterseite eines hinter dem Steinwall angelegten Kastells. Der Erdwall ist auf der Nordseite von einem tiefen, auf der Suedseite von einem flachen Graben gedeckt; jeden Graben schliesst ein Aufwurf ab. Dem Steinwall liegt auch noerdlich ein Graben vor. Hinter dem Erdwall, und meist an ihn angelehnt, finden sich je 750 Meter voneinander entfernt Kastelle; andere in unregelmaessigen Entfernungen desgleichen hinter dem Steinwall. Alle Linien halten sich hinter den Karasu-Seen als der natuerlichen Verteidigungsstuetze; von da, wo diese aufhoert, bis zum Meer sind sie mit geringer Ruecksicht auf die Terrainverhaeltnisse gefuehrt. Die Stadt Tomis liegt ausserhalb des Walls und noerdlich davon; es sind aber ihre Festungsmauern durch einen besonderen Wall mit der Sperrbefestigung in Verbindung gesetzt. ------------------------------------------------- Die sechzig Jahre nach den Dakerkriegen Traians sind fuer die Donaulaender eine Zeit des Friedens und der friedlichen Entwicklung gewesen. Ganz zur Ruhe kam es freilich, namentlich an den Donaumuendungen, nie, und auch das bedenkliche Hilfsmittel von den angrenzenden, unruhigen Nachbarn, aehnlich wie es mit Decebalus geschehen war, durch Aussetzung jaehrlicher Gratiale die Grenzsicherheit zu erkaufen, ist ferner angewandt worden ^16; dennoch zeigen die Reste des Altertums eben in dieser Zeit ueberall das Aufbluehen staedtischen Lebens, und nicht wenige Gemeinden namentlich Pannoniens nennen als ihren Stifter Hadrian oder Pius. Aber auf diese Stille folgte ein Sturm, wie das Kaisertum noch keinen bestanden hatte, und der, obwohl eigentlich auch nur ein Grenzkrieg, durch seine Ausdehnung ueber eine Reihe von Provinzen und durch seine dreizehnjaehrige Dauer das Reich selbst erschuetterte. ---------------------------------------- ^16 Vita Hadriani 6: cum rege Roxolanorum qui de imminutis stipendiis querebatur cognito negotio pacem composuit. ---------------------------------------- Den nach den Markomannen benannten Krieg hat nicht eine einzelne Persoenlichkeit vom Schlage des Hannibal und des Decebalus angefacht. Ebensowenig haben Uebergriffe roemischerseits diesen Krieg heraufbeschworen; Kaiser Pius verletzte keinen Nachbarn, weder den maechtigen, noch den geringen, und hielt den Frieden fast mehr als billig hoch. Das Reich des Maroboduus und des Vannius hatte sich seitdem, vielleicht infolge der Teilung unter Vangio und Sido, in das Koenigtum der Markomannen im heutigen Boehmen und das der Quaden in Maehren und Oberungarn geschieden. Konflikte mit den Roemern scheinen hier nicht stattgefunden zu haben; das Lehnsverhaeltnis der Quadenfuersten wurde sogar unter Pius’ Regierung durch die erbetene Bestaetigung in foermlicher Weise anerkannt. Voelkerverschiebungen, die jenseits des roemischen Horizonts liegen, sind die naechste Ursache des grossen Krieges gewesen. Bald nach Pius’ Tode (161) erschienen Haufen von Germanen, namentlich Langobarden von der Elbe her, aber auch Markomannen und andere Mannschaften in Pannonien, es scheint, um neue Wohnsitze am rechten Ufer zu gewinnen. Gedraengt von den roemischen Truppen, die ihnen entgegengeschickt wurden, entsandten sie den Markomannenfuersten Ballomarius und mit ihm je einen Vertreter der zehn beteiligten Staemme, um ihre Bitte um Landanweisung zu erneuern. Aber der Statthalter liess es bei dem Bescheid und zwang sie, ueber die Donau zurueckzugehen. Dies ist der Anfang des grossen Donaukrieges ^17. Auch der Statthalter von Obergermanien, Gaius Aufidius Victorinus, der Schwiegersohn des literarisch bekannten Fronto, hatte bereits um das Jahr 162 einen Ansturm der Chatten abzuschlagen, welcher ebenfalls durch nachdraengende Voelkerschaften von der Elbe her veranlasst sein mag. Waere gleich energisch eingeschritten worden, so haette groesserem Unheil vorgebeugt werden koennen. Aber eben damals hatte der Armenische Krieg begonnen, in den bald die Parther eintraten; wenn auch die Truppen nicht gerade von der bedrohten Grenze weg nach dem Osten geschickt wurden, wofuer wenigstens keine Beweise vorliegen ^18, so fehlte es doch an Mannschaft, um den zweiten Krieg sofort energisch aufzunehmen. Dies Temporisieren hat sich schwer geraecht. Eben als in Rom ueber die Koenige des Ostens triumphiert ward, brachen an der Donau die Chatten, die Markomannen, die Quaden, die Jazygen wie mit einem Schlag ein in das roemische Gebiet. Raetien, Noricum, beide Pannonien, Dakien waren im selben Augenblick ueberschwemmt; im dakischen Grubendistrikt koennen noch wir die Spuren dieses Einbruchs verfolgen. Welche Verheerungen sie in diesen Landschaften, die seit langem keinen Feind gesehen hatten, damals anrichteten, zeigt die Tatsache, dass mehrere Jahre spaeter die Quaden erst 13000, dann noch 50000, die Jazygen gar 100000 roemische Gefangene zurueckgaben. Es blieb nicht einmal bei der Schaedigung der Provinzen. Es geschah, was seit drei Jahrhunderten nicht geschehen war und anfing als unmoeglich zu gelten: die Barbaren durchbrachen den Alpenwall und fielen in Italien selbst ein; von Raetien aus zerstoerten sie Opitergium (Oderzo), die Scharen von der Julischen Alpe berannten Aquileia ^19. Niederlagen einzelner roemischer Armeekorps muessen mehrfach stattgefunden haben; wir erfahren nur, dass einer der Gardekommandanten, Victorinus, vor dem Feind blieb und die Reihen der roemischen Heere sich in arger Weise lichteten. ----------------------------------------------- ^17 Vita Marci 14: gentibus quae pulsae a superioribus barbaris fugerant nisi reciperentur bellum ireferentibus. Dio bei Petrus Patricius fr. 6: Laggibard/o/n kai Obi/o/n (sonst unbekannt) exakischili/o/n Istr/o/n perai/o/thent/o/n t/o/n peri Bindika (vielleicht schon damals praef. praetorio, in welchem Fall die Garde wegen dieses Vorganges ausmarschiert waere) ippe/o/n exelasant/o/n kai t/o/n amphi Kandidon pez/o/n epiphthasant/o/n eis pantel/e/ phyg/e/n oi barbaroi etraponto. eph’ois o?t/o/ prachth/e/sin en deei katastantes ek pr/o/t/e/s epicheir/e/se/o/s oi barbaroi presbeis para Ailion Basson t/e/n Paionian dieponta stelloysi Ballomarion te ton basilea Markoman/o/n kai eteroys deka, kat’ ethnos epilexamenoi ena. kai orkois t/e/n eir/e/n/e/n oi presbeis pist/o/samenoi oikade ch/o/ro?sin. Dass dieser Vorfall vor den Ausbruch des Krieges faellt, zeigt seine Stellung; fr. 7 des Patricius ist Exzerpt aus Dio 71, 11, 2. ^18 Das moesische Heer gab Soldaten zum Armenischen Krieg ab (O. Hirschfeld, Archaeologisch-epigraphische Mittheilungen 6, S. 41); aber hier war die Grenze nicht gefaehrdet. ^19 Die Beteiligung der rechtsrheinischen Germanen bezeugt Dio 71, 3, und nur dadurch erklaeren sich die Massregeln, die Marcus fuer Raetia und Noricum traf. Auch die Lage von Oderzo spricht dafuer, dass diese Angreifer ueber den Brenner kamen. ----------------------------------------------- Der schwere Angriff traf den Staat zur ungluecklichsten Stunde. Zwar der orientalische Krieg war beendigt; aber in seinem Gefolge hatte eine Seuche sich in Italien und dem ganzen Westen verbreitet, die dauernder als der Krieg und in entsetzlicherem Masse die Menschen hinraffte. Wenn die Truppen, wie es notwendig war, zusammengezogen wurden, so fielen der Pest die Opfer nur um so zahlreicher. Wie zu der Pestilenz immer die teure Zeit gehoert, so erschien auch hier mit ihr Misswachs und Hungersnot und schwere Finanzkalamitaet - die Steuern gingen nicht ein, und im Laufe des Krieges sah sich der Kaiser veranlasst, die Kleinodien seines Palastes in oeffentlicher Auktion zu veraeussern. Es fehlte an einem geeigneten Leiter. Eine so ausgedehnte und so verwickelte militaerischpolitische Aufgabe konnte, wie die Dinge in Rom lagen, kein beauftragter Feldherr, sondern allein der Herrscher selbst auf sich nehmen. Marcus hatte, in richtiger und bescheidener Erkenntnis dessen, was ihm abging, bei der Thronbesteigung sich seinen juengeren Adoptivbruder Lucius Verus gleichberechtigt zur Seite gestellt, in der wohlwollenden Voraussetzung, dass der flotte junge Mann, wie er ein tuechtiger Fechter und Jaeger war, so auch zum faehigen Feldherrn sich entwickeln werde. Aber den scharfen Blick des Menschenkenners besass der ehrliche Kaiser nicht; die Wahl war so ungluecklich wie moeglich ausgefallen; der eben beendigte Parthische Krieg hatte den nominellen Feldherrn als eine wueste Persoenlichkeit und einen unfaehigen Offizier gezeigt. Verus’ Mitregentschaft war nichts als eine Kalamitaet mehr, die freilich durch seinen, nicht lange nach dem Ausbruch des Markomannischen Krieges erfolgten Tod (169) in Wegfall kam. Marcus, seinen Neigungen nach mehr reflektiv als dem praktischen Leben zugewandt und ganz und gar kein Soldat, ueberhaupt keine hervorragende Persoenlichkeit, uebernahm die ausschliessliche und persoenliche Leitung der erforderlichen Operationen. Er mag dabei im einzelnen Fehler genug gemacht haben, und vielleicht geht die lange Dauer der Kaempfe darauf mit zurueck; aber die Einheit des Oberbefehls, die klare Einsicht in den Zweck der Kriegfuehrung, die Folgerichtigkeit des staatsmaennischen Handelns, vor allem die Rechtschaffenheit und Festigkeit des seines schweren Amtes mit selbstvergessener Treue waltenden Mannes haben schliesslich den gefaehrlichen Ansturm gebrochen. Es ist dies ein um so hoeheres Verdienst, als der Erfolg mehr dem Charakter als dem Talent verdankt wird. Worauf man sich gefasst machte, zeigt die Tatsache, dass die Regierung, trotz des Mangels an Menschen und an Geld, in dem ersten Jahre dieses Krieges mit ihren Soldaten und auf ihre Kosten die Mauern der Hauptstadt Dalmatiens, Salonae, und der Hauptstadt Thrakiens, Philippopolis, herstellen liess; sicher sind dies nicht vereinzelte Anordnungen gewesen. Man musste sich darauf vorbereiten, die Nordlaender ueberall die grossen Staedte des Reiches berennen zu sehen; die Schrecken der Gotenzuege pochten schon an die Pforten und wurden vielleicht fuer diesmal nur dadurch abgewandt, dass die Regierung sie kommen sah. Die unmittelbare Oberleitung der militaerischen Operationen und die durch die Sachlage geforderte Regulierung der Beziehungen zu den Grenzvoelkern und Reformierung der bestehenden Ordnungen an Ort und Stelle durfte weder fehlen noch dem charakterlosen Bruder oder Einzelfuehrern ueberlassen werden. In der Tat aenderte sich die Lage der Dinge, sowie die beiden Kaiser in Aquileia eintrafen, um von dort mit dem Heer nach dem Kriegsschauplatz abzugehen. Die Germanen und Sarmaten, wenig in sich geeinigt und ohne gemeinschaftliche Leitung, fuehlten sich solchem Gegenschlag nicht gewachsen. Die eingedrungenen Haufen zogen ueberall sich zurueck; die Quaden sandten den kaiserlichen Statthaltern ihre Unterwerfung ein, und vielfach buessten die Fuehrer der gegen die Roemer gerichteten Bewegung diesen Rueckschlag mit dem Leben. Lucius meinte, dass der Krieg Opfer genug gefordert habe und riet zur Rueckkehr nach Rom. Aber die Markomannen verharrten in trotzigem Widerstand, und die Kalamitaet, die ueber Rom gekommen war, die Hunderttausende der weggeschleppten Gefangenen, die von den Barbaren errungenen Erfolge forderten gebieterisch eine kraeftigere Politik und die offensive Fortsetzung des Krieges. Marcus’ Schwiegersohn Tiberius Claudius Pompeianus uebernahm ausserordentlicherweise das Kommando in Raetien und Noricum; sein tuechtiger Unterbefehlshaber, der spaetere Kaiser Publius Helvius Pertinax, saeuberte ohne Schwierigkeit mit der aus Pannonien herbeigerufenen ersten Hilfslegion das roemische Gebiet. Trotz der Finanznot wurden namentlich aus illyrischen Mannschaften, bei deren Aushebung freilich mancher bisherige Strassenraeuber zum Landesverteidiger gemacht ward, zwei neue Legionen gebildet und, wie schon frueher angegeben ward, die bisher geringfuegige Grenzwacht dieser beiden Provinzen durch die neuen Legionslager von Regensburg und Enns verstaerkt. In die oberpannonischen Lager begaben sich die Kaiser selbst. Vor allen Dingen kam es darauf an, den Herd des Kriegsfeuers einzuschraenken. Die von Norden kommenden Barbaren, die ihre Hilfe anboten, wurden nicht zurueckgewiesen und fochten in roemischem Sold, soweit sie nicht, was auch vorkam, ihr Wort brachen und mit dem Feind gemeinschaftliche Sache machten. Den Quaden, welche um Frieden und um die Bestaetigung des neuen Koenigs Furtius baten, wurde diese bereitwillig zugestanden und nichts gefordert als Rueckgabe der Ueberlaeufer und der Gefangenen. Es gelang einigermassen, den Krieg auf die beiden Hauptgegner, die Markomannen und die von alters her ihnen verbuendeten Jazygen, zu beschraenken. Gegen diese beiden Voelker wurde in den folgenden Jahren in schweren Kaempfen und nicht ohne Niederlage gestritten. Wir wissen davon nur Einzelheiten, die sich nicht in festen Zusammenhang bringen lassen. Marcus Claudius Fronto, dem die ausserordentlicherweise vereinigten Kommandos von Obermoesien und Dakien anvertraut waren, fiel um das Jahr 171 im Kampfe gegen Germanen und Jazygen. Ebenso fiel vor dem Feind der Gardekommandant Marcus Macrinius Vindex. Sie und andere hochgestellte Offiziere erhielten in diesen Jahren Ehrendenkmaeler in Rom an der Saeule Traians, weil sie in Verteidigung des Vaterlandes den Tod gefunden hatten. Die barbarischen Staemme, die sich fuer Rom erklaert hatten, fielen zum Teil wieder ab, so die Cotiner und vor allem die Quaden, welche den fluechtigen Markomannen eine Freistatt gewaehrten und ihren Vasallenkoenig Furtius vertrieben, worauf Kaiser Marcus auf den Kopf seines Nachfolgers Ariogaesus einen Preis von 1000 Goldstuecken setzte. Erst im sechsten Kriegsjahr (172) scheint die voellige Ueberwindung der Markomannen erreicht worden zu sein und danach Marcus den wohlverdienten Siegestitel Germanicus angenommen zu haben. Es folgte dann die Niederwerfung der Quaden, endlich im Jahre 175 die der Jazygen, infolge deren der Kaiser den weiteren Beinamen des Sarmatensiegers empfing. Die Bedingungen, welche den ueberwundenen Voelkerschaften gestellt wurden, zeigen, dass Marcus nicht zu strafen beabsichtigte, sondern zu unterwerfen. Den Markomannen und den Jazygen, wahrscheinlich auch den Quaden, wurde auferlegt, einen Grenzstreifen am Flusse in der Breite von zwei, nach spaeterer Milderung von einer deutschen Meile zu raeumen. In die festen Plaetze am rechten Donauufer wurden roemische Besatzungen gelegt, die allein bei den Markomannen und Quaden zusammen sich auf nicht weniger als 20000 Mann beliefen. Alle Unterworfenen hatten Zuzug zum roemischen Heer zu stellen, die Jazygen zum Beispiel 8000 Reiter. Waere der Kaiser nicht durch die Insurrektion Syriens abgerufen worden, so haette er die letzteren ganz aus ihrer Heimat getrieben, wie Traianus die Daker. Dass Marcus die abgefallenen Transdanuvianer nach diesem Muster zu behandeln gedachte, bestaetigt der weitere Verlauf. Kaum war jenes Hindernis beseitigt, so ging der Kaiser wieder an die Donau und begann, eben wie Traianus, im Jahre 178 den zweiten, abschliessenden Krieg. Die Motivierung dieser Kriegserklaerung ist nicht bekannt; der Zweck wird ohne Zweifel richtig dahin angegeben, dass er zwei neue Provinzen, Marcomania und Sarmatia, einzurichten gedachte. Den Jazygen, die sich den Absichten des Kaisers fuegsam gezeigt haben werden, wurden die laestigen Auflagen groesstenteils erlassen, ja ihnen fuer den Verkehr mit ihren oestlich von Dakien hausenden Stammverwandten, den Roxolanern, der Durchgang durch Dakien unter angemessener Aufsicht gewaehrt - wahrscheinlich auch nur, weil sie schon als roemische Untertanen betrachtet wurden. Die Markomannen wurden durch Schwert und Hunger fast aufgerieben. Die verzweifelnden Quaden wollten nach Norden auswandern und bei den Semnonen sich Sitze suchen; aber auch dies wurde ihnen nicht gestattet, da sie die Aecker zu bestellen hatten, um die roemischen Besatzungen zu versorgen. Nach vierzehnjaehriger, fast ununterbrochener Waffenarbeit stand der Kriegsfuerst wider Willen am Ziel und die Roemer zum zweiten Mal vor der Gewinnung der oberen Elbe; jetzt fehlte in der Tat nur die Ankuendigung, das Gewonnene festhalten zu wollen. Da starb er, noch nicht sechzig Jahre alt, im Lager von Vindobona am 17. Maerz 180. Man wird nicht bloss die Entschlossenheit und die Konsequenz des Herrschers anerkennen, sondern auch einraeumen muessen, dass er tat, was die richtige Politik gebot. Die Eroberung Dakiens durch Traian war ein zweifelhafter Gewinn, obwohl eben in dem Markomannischen Krieg der Besitz Dakiens nicht bloss ein gefaehrliches Element aus den Reihen der Gegner Roms entfernt, sondern wahrscheinlich auch bewirkt hat, dass der Voelkerschwarm an der unteren Donau, die Bastarner, die Roxolaner und andere mehr in den Markomannenkrieg nicht eingegriffen haben. Aber nachdem der gewaltige Ansturm der Transdanuvianer westlich von Dakien die Niederwerfung derselben zur Notwendigkeit gemacht hatte, konnte diese nur in abschliessender Weise ausgefuehrt werden, indem Boehmen, Maehren und die Theissebene in die roemische Verteidigungslinie eingezogen wurden, wenn auch diesen Gebieten wohl nur, wie Dakien, eine Vorpostenstellung zugedacht war und die strategische Grenzlinie sicher die Donau bleiben sollte. Des Marcus Nachfolger, Kaiser Commodus, war im Lager anwesend, als der Vater starb und trat, da er die Krone schon seit mehreren Jahren dem Namen nach mit dem Vater teilte, mit dessen Tode sofort in den Besitz der unumschraenkten Gewalt. Nur kurze Zeit liess der neunzehnjaehrige Nachfolger die Vertrauensmaenner des Vaters, seinen Schwager Pompeianus und andere, die mit Marcus die schwere Last des Krieges getragen hatten, im Sinne desselben schalten. Commodus war in jeder Hinsicht das Gegenteil seines Vaters; kein Gelehrter, sondern ein Fechtmeister, so feig und charakterschwach, wie dieser entschlossen und konsequent, so traege und pflichtvergessen wie dieser taetig und gewissenhaft. Er gab nicht bloss die Einverleibung des gewonnenen Gebiets auf, sondern gewaehrte auch den Markomannen freiwillig Bedingungen, wie sie sie nicht hatten hoffen duerfen. Die Regulierung des Grenzverkehrs unter roemischer Kontrolle und die Verpflichtung, ihre den Roemern befreundeten Nachbarn nicht zu schaedigen, verstanden sich von selbst; aber die Besatzungen wurden aus ihrem Lande zurueckgezogen und nur das Gebot, den Grenzstreifen nicht zu besiedeln, festgehalten. Die Leistung von Abgaben und die Stellung von Rekruten wurde wohl ausbedungen, aber jene bald erlassen und diese sicher nie gestellt. Aehnlich ward mit den Quaden abgeschlossen und wird mit den uebrigen Transdanuvianern abgeschlossen worden sein. Damit waren die gemachten Eroberungen aufgegeben, und die vieljaehrige Kriegsarbeit war umsonst; wenn man nicht mehr wollte, so war eine aehnliche Ordnung der Dinge schon viel frueher zu erreichen. Dennoch hat der Markomannische Krieg die Suprematie Roms in diesen Landschaften fuer die Folgezeit sichergestellt, trotzdem Rom den Siegespreis aus der Hand gab. Nicht von den Staemmen, welche dabei beteiligt waren, ist der Stoss gefuehrt worden, dem die roemische Weltmacht erlag. Eine andere bleibende Folge dieses Krieges haengt zusammen mit den durch denselben veranlassten Oberfuehrungen der Transdanuvianer in das Roemische Reich. An sich waren derartige Umsiedlungen zu aller Zeit vorgekommen; die unter Augustus nach Gallien verpflanzten Sugambrer, die nach Thrakien gesandten Daker waren nichts als neue, zu den frueher vorhandenen hinzutretende Untertanen oder Untertanengemeinden, und etwas anderes sind wohl auch die 3000 Naristen nicht gewesen, denen Marcus gestattete, ihre Sitze westlich von Boehmen mit solchen im Reich zu vertauschen, waehrend den sonst unbekannten Astingern an der dakischen Nordgrenze die gleiche Bitte abgeschlagen ward. Aber die nicht bloss im Donauland, sondern in Italien selbst, bei Ravenna, von ihm angesiedelten Germanen waren weder freie Untertanen noch eigentlich unfreie Leute; es sind dies die Anfaenge der roemischen Leibeigenschaft, des Kolonats, dessen Eingreifen in die Bodenwirtschaft des gesamten Staats in anderem Zusammenhang darzulegen ist. Jene ravennatische Ansiedlung hat indes keinen Bestand gehabt; die Leute lehnten sich auf und mussten wieder weggeschafft werden, so dass der neue Kolonat zunaechst auf die Provinzen, namentlich die Donaulandschaften, beschraenkt blieb. Wiederum folgte auf den grossen Krieg an der mittleren Donau eine fast sechzigjaehrige Friedenszeit, deren Segen durch das waehrend derselben stetig steigende innere Missregiment nicht vollstaendig aufgehoben werden konnte. Wohl zeigt manche vereinzelte Nachricht, dass die Grenze, namentlich die am meisten exponierte dakische, nicht ohne Anfechtung blieb; aber vor allem das straffe Militaerregiment des Severus tat hier seine Schuldigkeit, und wenigstens Markomannen und Quaden erscheinen auch unter dessen naechsten Nachfolgern in unbedingter Abhaengigkeit, so dass der Sohn des Severus einen Quadenfuersten vor sich zitieren und ihm den Kopf vor die Fuesse legen konnte. Auch die in dieser Epoche an der unteren Donau gelieferten Kaempfe sind von untergeordnetem Belang. Aber wahrscheinlich hat in dieser Zeit eine umfassende Voelkerverschiebung von Nordosten her gegen das Schwarze Meer stattgefunden und die roemische Grenzwacht an der unteren Donau neuen und gefaehrlicheren Gegnern gegenuebergestellt. Bis auf diese Zeit hatten den Roemern dort vorzugsweise sarmatische Voelkerschaften gegenueber gestanden, unter denen sich die Roxolaner mit den Roemern am naechsten beruehrten; von Germanen sassen damals hier nur die seit langem in dieser Gegend heimischen Bastarner. Jetzt verschwinden die Roxolaner, vielleicht unter den dem Anschein nach, ihnen stammverwandten Carpern, welche fortan an der unteren Donau, etwa in den Taelern des Sereth und Pruth, die naechsten Nachbarn der Roemer sind. Neben die Carper, ebenfalls als unmittelbare Nachbarn der Roemer an der Donaumuendung, tritt das Volk der Goten. Dieser germanische Stamm ist nach der einheimischen Erzaehlung, die uns erhalten ist, von Skandinavien ueber die Ostsee nach der Weichselgegend und aus dieser zum Schwarzen Meer gewandert; damit uebereinstimmend kennen die roemischen Geographen des 2. Jahrhunderts sie an der Weichset und die roemische Geschichte seit dem ersten Drittel des dritten an der nordwestlichen Kueste des Schwarzen Meeres. Von da an erscheinen sie hier in stetigem Anschwellen; die Reste der Bastarner sind unter Kaiser Probus, die Reste der Carper unter Kaiser Diocletian vor ihnen auf das rechte Donauufer gewichen, waehrend ohne Zweifel ein grosser Teil dieser wie jener sich unter die Goten mischten und ihnen sich anschlossen. ueberall darf diese Katastrophe nur in dem Sinne als die des Gotenkrieges bezeichnet werden, wie die unter Marcus eingetretene von den Markomannen heisst; die ganze Masse der durch den Wanderstrom vom Nordosten zum Schwarzen Meer in Bewegung gesetzten Voelkerschaften ist daran beteiligt, und um so mehr beteiligt, als diese Angriffe ebenso zu Lande ueber die untere Donau, wie zu Wasser von der Nordkueste des Schwarzen Meeres aus in einer unentwirrbaren Verschlingung der Landund der Seepiraterie erfolgten. Nicht unpassend nennt darum der gelehrte Athener, der in ihm gefochten und ihn erzaehlt hat, diesen Krieg vielmehr den Skythischen, indem er unter diesem, gleich dem pelasgischen die Verzweiflung der Historiker machenden Namen alle germanischen und nichtgermanischen Reichsfeinde zusammenfasst. Was ueber diese Zuege zu berichten ist, soll, soweit die der Verwirrung dieser schrecklichen Zeiten nur zu sehr entsprechende Verwirrung der Ueberlieferung es gestattet, hier zusammengefasst werden. Das Jahr 238, auch ein Vierkaiserjahr des Buergerkriegs, wird bezeichnet als dasjenige, in dem der Krieg gegen die hier zuerst genannten Goten begann ^20. Da die Muenzen von Tyra und Olbia mit Alexander (+ 235) aufhoeren, so sind diese ausserhalb der Reichsgrenze gelegenen roemischen Besitzungen wohl schon einige Jahre frueher eine Beute der neuen Feinde geworden. In jenem Jahr ueberschritten sie zuerst die Donau, und die noerdlichste der moesischen Kuestenstaedte, Istros, war das erste Opfer. Gordian, der aus den Wirren dieser Zeit als Herrscher hervorging, wird als Besieger der Goten bezeichnet; gewisser ist es, dass die roemische Regierung, wenn nicht schon frueher, so doch unter ihm, sich dazu verstand, die gotischen Einfaelle abzukaufen ^21. Begreiflicherweise forderten die Carper das gleiche, was der Kaiser den schlechteren Goten bewilligt habe; als die Forderung nicht gewaehrt ward, fielen sie im Jahre 245 in das roemische Gebiet ein. Kaiser Philippus - Gordianus war damals schon tot - schlug sie zurueck, und eine energische Aktion mit der vereinigten Kraft des grossen Reiches wuerde den Barbaren wohl hier Halt geboten haben. Aber in diesen Jahren fand der Kaisermoerder so sicher den Thron wie wiederum seinen Moerder und Nachfolger; eben in den gefaehrdeten Donaulandschaften rief die Armee gegen Kaiser Philippus erst den Marinus Pacatianus und nach dessen Beseitigung den Traianus Decius aus, welcher letztere in der Tat in Italien seinen Gegner ueberwand und als Herrscher anerkannt ward. Er war ein tuechtiger und tapferer Mann, nicht unwert der beiden Namen, die er trug, und trat, sowie er konnte, entschlossen in die Kaempfe an der Donau ein; aber was der inzwischen gefuehrte Buergerkrieg verdorben hatte, liess sich nicht mehr einbringen. Waehrend die Roemer miteinander schlugen, hatten die Goten und die Carper sich geeinigt und waren unter dem Gotenfuersten Cniva in das von Truppen entbloesste Moesien eingefallen. Der Statthalter der Provinz, Trebonianus Gallus, warf sich mit seiner Mannschaft nach Nikopolis am Haemus und wurde hier von den Goten belagert; diese raubten zugleich Thrakien aus und belagerten dessen Hauptstadt, das grosse und feste Philippopolis; ja sie gelangten bis nach Makedonien und berannten Thessalonike, wo der Statthalter Priscus eben diesen Moment geeignet fand, um sich zum Kaiser ausrufen zu lassen. Als Decius anlangte, um zugleich den Nebenbuhler und den Landesfeind zu bekaempfen, wurde wohl jener ohne Muehe beseitigt und gelang auch der Entsatz von Nikopolis, wo 30000 Goten gefallen sein sollen. Aber die nach Thrakien zurueckweichenden Goten siegten ihrerseits bei Beroe (Alt-Zagora), warfen die Roemer nach Moesien zurueck und bezwangen sowohl Nikopolis daselbst wie in Thrakien Anchialos und sogar Philippopolis, wo 100000 Menschen in ihre Gewalt gekommen sein sollen. Darauf zogen sie nordwaerts, um die ungeheure Beute in Sicherheit zu bringen. Decius entwarf den Plan, dem Feind bei dem Uebergang ueber die Donau einen Schlag zu versetzen. Er stellte eine Abteilung unter Gallus am Ufer auf und hoffte, diese auf die Goten werfen und ihnen den Rueckzug abschneiden zu koennen. Aber bei dem moesischen Grenzort Abrittus entschied das Kriegsglueck oder auch der Verrat des Gallus gegen ihn; Decius kam mit seinem Sohn um, und Gallus, der als sein Nachfolger ausgerufen ward, begann sein Regiment damit, den Goten die jaehrlichen Geldzahlungen abermals zuzusichern (251) ^22. Diese voellige Niederlage der roemischen Waffen wie der roemischen Politik, der Fall des Kaisers, des ersten, der im Kampf gegen die Barbaren das Leben verlor, eine Kunde, welche selbst in dieser, in der Gewohnheit des Unheils erschlaffenden Zeit tief die Gemueter erregte, die darauf folgende schimpfliche Kapitulation, stellte in der Tat die Integritaet des Reiches in Frage. Ernste Krisen an der mittleren Donau, wahrscheinlich der drohende Verlust Dakiens muessen die naechste Folge gewesen sein. Noch einmal ward dieser abgewandt: der Statthalter von Pannonien, Marcus Aemilius Aemilianus, ein guter Soldat, errang einen bedeutenden Waffenerfolg und trieb die Feinde ueber die Grenze. Aber die Nemesis waltete. Die Konsequenz dieses auf Gallus’ Namen erfochtenen Sieges war, dass die Armee dem Verraeter des Decius den Gehorsam aufkuendigte und ihren Feldherrn zu seinem Nachfolger erkor. Abermals ging also der Buergerkrieg der Grenzverteidigung vor, und waehrend Aemilianus in Italien zwar den Gallus ueberwand, aber bald darauf dem Feldherrn desselben, Valerianus, unterlag (254), ging Dakien, wie und an wen, wissen wir nicht ^23, dem Reiche verloren. Die letzte von dieser Provinz geschlagene Muenze und die juengste dort gefundene Inschrift sind vom Jahre 255, die letzte Muenze des benachbarten Viminacium in Obermoesien vom folgenden Jahre; in den ersten Jahren Valerians und Galliens also besetzten die Barbaren das roemische Gebiet am linken Ufer der Donau und drangen sicher auch hinueber auf das rechte. --------------------------------------------- ^20 Die angebliche erste Erwaehnung der Goten in der Biographie Caracallas c. 10 beruht auf Missverstaendnis. Wenn wirklich ein Senator sich den boshaften Scherz gestattet hat, dem Moerder Getas den Namen Geticus beizulegen, weil er auf seinem Zug von der Donau nach dem Orient einige Getenschwaerme (tumultuariis proeliis) besiegt habe, so meinte er Daker, nicht die damals schwerlich dort wohnenden und dem roemischen Publikum kaum bekannten Goten, deren Gleichung mit den Geten auch gewiss erst spaeter erfunden ward. Uebrigens fuehrt noch weiter zurueck die Angabe, dass Kaiser Maximinus (235-238) der Sohn eines in das benachbarte Thrakien uebergesiedelten Goten gewesen sei; doch wird auch darauf nicht viel zu geben sein. ^21 Petrus Patricius fr. 8. Die Verwaltung des hier genannten Legaten von Untermoesien, Tullius Menophilus, ist durch Muenzen sicher auf die Zeit Gordians und mit Wahrscheinlichkeit auf 238-240 bestimmt (B. Borghesi, Oeuvres completes. Bd. 2, S. 227). Da der Anfang des Gotenkrieges und die Zerstoerung von Istros durch Dexippos (vita Max. et Balb. 16) auf 238 festgestellt ist, so liegt es nahe, die Uebernahme des Tributs damit in Zusammenhang zu bringen; auf jeden Fall ist er damals erneuert worden. Die vergeblichen Belagerungen von Markianopolis und Philippopolis durch die Goten (Dexippus fr. 18, 19) moegen auf die Einnahme von Istros gefolgt sein. Iordanes (Get. 16, 92) setzt die erstere unter Philippus, ist aber in chronologischen Fragen kein gueltiger Zeuge. ^22 Die Berichte ueber diese Vorgaenge bei Zosimus (bist. 1, 21-24), Zonaras (12, 20), Ammian (31, 5, 16 u. 17) (welche Nachrichten bis zu der Philippopolis betreffenden dadurch, dass diese bei Zosimus wiederkehrt, als hierher gehoerig fixiert werden), obwohl alle fragmentarisch oder zerruettet, duerften aus dem Bericht des Dexippus, wovon fr. 16 u. 19 erhalten sind, geflossen sein und lassen sich einigermassen vereinigen. Dieselbe Quelle liegt auch den Kaiserbiographien und Iordanes zu Grunde; beide aber haben sie in dem Grade entstellt und verfaelscht, dass von ihren Angaben nur mit grosser Vorsicht Gebrauch gemacht werden kann. Unabhaengig ist Aur. Vict. Caes. 29. ^23 Vielleicht bezieht sich darauf der Einbruch der Markomannen bei Zos. hist. 1, 29. --------------------------------------------- Bevor wir die Entwicklung der Dinge an der unteren Donau weiter verfolgen, erscheint es notwendig, einen Blick zu werfen auf die Piraterie, wie sie in der oestlichen Haelfte des Mittelmeeres damals im Gange war, und die daraus hervorgegangenen Seezuege der Goten und ihrer Genossen. Dass auf dem Schwarzen Meer die roemische Flotte zu keiner Zeit entbehrlich, die Piraterie daselbst wahrscheinlich nie ausgerottet worden ist, liegt im Wesen der Roemerherrschaft, wie sie an seinen Kuesten sich gestaltet hatte. In festem Besitz waren sie nur etwa von der Donaumuendung abwaerts bis Trapezunt. Roemisch waren freilich auch einerseits Tyra, an der Muendung des Dnjestr, und Olbia, an der Bucht der Dnjeprmuendung, andererseits die kaukasischen Hafenorte in der Gegend des heutigen Suchum-Kaleh, Dioskurias und Pityus. Auch das dazwischenliegende Bosporanische Koenigreich auf der Krim stand in roemischem Schutz und hatte roemische, dem Statthalter von Moesien unterstehende Besatzung. Aber es waren an diesen groesstenteils wenig einladenden Gestaden nur jene Hafenplaetze entweder als alte griechische Ansiedlungen oder als roemische Festungen in festem Besitz, die Kueste selbst oede oder in den Haenden der das Binnenland erfuellenden Eingeborenen, die unter dem allgemeinen Namen der Skythen zusammengefasst, meistens sarmatischer Abkunft, den Roemern niemals botmaessig wurden noch werden sollten; man war zufrieden, wenn sie sich nicht geradezu an den Roemern oder deren Schutzbefohlenen vergriffen. Danach ist es nicht zu verwundern, dass schon in Tiberius’ Zeit die Piraten der Ostkueste nicht bloss das Schwarze Meer unsicher machten, sondern auch landeten und die Doerfer und die Staedte der Kueste brandschatzten. Wenn unter Pius oder Marcus eine Schar der an dem nordwestlichen Ufer hausenden Kostoboker die im Herzen von Phokis gelegene Binnenstadt Elateia ueberfiel und unter deren Mauern mit den Buergern sich herumschlug, so zeigt dieser gewiss nur zufaellig fuer uns einzeln dastehende Vorgang, dass dieselben Erscheinungen, welche dem Sturz des Senatsregiments voraufgingen, jetzt sich erneuerten und noch bei aeusserlich unerschuettert aufrecht stehender Reichsgewalt nicht bloss einzelne Piratenschiffe, sondern Piratengeschwader im Schwarzen und selbst im Mittelmeere kreuzten. Das nach dem Tode des Severus und vor allem nach dem Ausgang der letzten Dynastie deutlich erkennbare Sinken des Regiments offenbarte sich dann, wie billig, vor allem in dem weiteren Verfall der Seepolizei. Die im einzelnen wenig zuverlaessigen Berichte melden bereits in der Zeit vor Decius das Erscheinen einer grossen Piratenflotte im Aegaeischen Meer; dann unter Decius die Pluenderung der pamphylischen Kueste und der griechisch-asiatischen Inseln, unter Gallus Piratenstreifereien in Kleinasien bis nach Pessinus und Ephesos ^24. Dies waren Raeuberzuege. Diese Gesellen pluenderten die Kuesten weit und breit, und machten auch, wie man sieht, dreiste Zuege in das Binnenland; aber von zerstoerten Staedten wird nichts gemeldet, und die Piraten vermieden es, mit den roemischen Truppen zusammenzustossen; vorzugsweise richtete sich der Angriff gegen solche Landschaften, in denen keine Truppen standen. ---------------------------------------------- ^24 Amm. Marc. 31, 5, 15: duobus navium milibus perrupto Bosporo et litoribus Propontidis Scythicarum gentium catervae transgressae ediderunt quidem acerbas terra marique strages: sed amissa suorum parte maxima reverterunt, worauf die Katastrophe der Decier erzaehlt und in diese die weitere Notiz eingeflochten wird: obsessae Pamphyliae civitates (dahin wird die Belagerung von Side gehoeren, bei Dexippus selbst fr. 23), insulae populatae complures, ebenso die Belagerung von Kyzikos. Wenn in diesem Rueckblick nicht alles verwirrt ist, was bei Ammian doch nicht wohl angenommen werden kann, so faellt dies vor diejenigen Seefahrten, die mit der Belagerung von Pityus beginnen und mehr ein Teil der Voelkerwanderung sind als Piratenzuege. Die Zahl der Schiffe freilich duerfte durch Gedaechtnisfehler von dem Zug des Jahres 269 hierher uebertragen sein. In denselben Zusammenhang gehoert die Notiz bei Zosimus (hist. 1, 28) ueber die Skythenzuege in Asien und Kappadokien bis Ephesos und Pessinus. Die Nachricht ueber Ephesos in der Biographie Gallienus’ c. 6 ist dieselbe, aber der Zeit nach verschoben. ---------------------------------------------- Unter Valerianus nehmen diese Expeditionen einen anderen Charakter an. Die Art der Zuege weicht von den frueheren so sehr ab, dass der an sich nicht besonders wichtige Zug der Boraner gegen Pityus unter Valerianus von kundigen Berichterstattern geradezu als der Anfang dieser Bewegung bezeichnet werden konnte ^25 und dass die Piraten eine Zeitlang in Kleinasien mit dem Namen dieser uns sonst nicht bekannten Voelkerschaft genannt wurden. Nicht mehr von den alten einheimischen Anwohnern des Schwarzen Meeres gehen diese Zuege aus, sondern von den nachdraengenden Schwaermen. Was bis dahin Seeraub gewesen war, faengt an, ein Stueck derjenigen Voelkerverschiebung zu werden, welcher das Vordringen der Goten an die untere Donau angehoert. Die beteiligten Voelker sind sehr mannigfach und zum Teil wenig bekannt; bei den spaeteren Zuegen scheinen die germanischen Heruler, damals Anwohner der Maeotis, eine fuehrende Rolle gespielt zu haben. Beteiligt sind auch die Goten, indes soweit es sich um eigentliche Seefahrten handelt und ueber diese leidlich genaue Berichte vorliegen, nicht in hervorragender Weise; recht eigentlich diese Zuege heissen richtiger skythische als gotische. Der maritime Mittelpunkt dieser Angriffe ist die Dnjestrmuendung, der Hafen von Tyra ^26. Die griechischen Staedte des Bosporus, durch den Bankrott der Reichsgewalt schutzlos den andraengenden Haufen preisgegeben und der Belagerung durch dieselben gewaertig, liessen halb gezwungen, halb freiwillig sich dazu herbei, die unbequemen neuen Nachbarn auf ihren Schiffen und durch ihre Seeleute nach den naechstgelegenen roemischen Besitzungen an der Nordkueste des Pontus ueberzufuehren, wofuer diesen selbst die noetigen Mittel und das noetige Geschick mangelte. So kam jene Expedition gegen Pityus zustande. Die Boraner wurden gelandet und sandten, auf den Erfolg vertrauend, die Schiffe zurueck. Aber der entschlossene Befehlshaber von Pityus, Successianus, wies den Angriff ab und die Angreifer, den Anmarsch der uebrigen roemischen Besatzungen befuerchtend, zogen eilig ab, wozu sie muehsam die noetigen Fahrzeuge beschafften. Aufgegeben aber war der Plan nicht; im naechsten Jahr kamen sie wieder, und da der Kommandant inzwischen gewechselt war, ergab sich die Festung. Die Boraner, welche diesmal die bosporanischen Schiffe festgehalten hatten und aus gepressten Schiffsleuten und gefangenen Roemern deren Bemannung beschafften, bemaechtigten sich weithin der Kueste und gelangten bis nach Trapezunt. In diese gut befestigte und stark besetzte Stadt hatte alles sich gefluechtet und zu einer wirklichen Belagerung waren die Barbaren nicht imstande. Aber die Fuehrung der Roemer war schlecht und die Kriegszucht so verfallen, dass nicht einmal die Mauer besetzt wurde; so erstiegen die Barbaren dieselbe bei Nachtzeit, ohne auch nur Gegenwehr zu finden, und in der grossen und reichen Stadt fiel ungeheure Beute, darunter auch eine Anzahl von Schiffen, in ihre Haende. Gluecklich kehrten sie aus dem fernen Lande zurueck an die Maeotis. --------------------------------------------------- ^25 Bei Zosimus selbst wird man voelliges Verstaendnis dafuer nicht erwarten; aber sein Gewaehrsmann Dexippus, der Zeitgenosse und Beteiligte, wusste wohl, warum er die bithynische Expedition die deytera ephodos nannte (Zos. hist. 1, 35); und auch bei Zosimus noch erkennt man deutlich den von Dexippus beabsichtigten Gegensatz der Expedition der Boraner gegen Pityus und Trapezunt zu den hergebrachten Piratenfahrten. In der Biographie des Gallienus wird die c. 11 unter dem Jahre 264 erzaehlte skythische Expedition nach Kappadokien die trapezuntische sein sowie die damit verknuepfte bithynische die, welche Zosimus die zweite nennt; verwirrt ist hier freilich alles. ^26 Dies sagt Zosimus (hist. 1, 42) und folgt auch aus dem Verhaeltnis der Bosporaner zu dem ersten (1, 32) und dem des ersten zu dem zweiten Zug (1, 34). --------------------------------------------------- Ein zweiter, durch diesen Erfolg angeregter Zug anderer, aber benachbarter skythischer Haufen im folgenden Winter richtete sich gegen Bithynien; es ist bezeichnend fuer die zerruetteten Verhaeltnisse, dass der Anstifter dieses Zuges ein Grieche aus Nikomedeia, Chrysogonos, war, und dass er fuer den gluecklichen Erfolg von den Barbaren hochgeehrt ward. Diese Expedition wurde, da die noetige Zahl von Schiffen nicht zu beschaffen war, teils zu Lande, teils zu Wasser unternommen; erst in der Naehe von Byzanz gelang es den Piraten, sich einer betraechtlichen Zahl von Fischerbooten zu bemaechtigen, und so gelangten sie an die asiatische Kueste nach Kalchedon, dessen starke Besatzung auf diese Kunde davonlief. Nicht bloss diese Stadt geriet in ihre Hand, sondern auch an der Kueste Nikomedeia, Kios, Apameia, im Binnenland Nikaea und Prusa; Nikomedeia und Nikaea brannten sie nieder und gelangten bis zum Rhyndakos. Von da aus fuhren sie heim, beladen mit den Schaetzen des reichen Landes und seiner ansehnlichen Staedte. Schon der Zug gegen Bithymen war zum Teil auf dem Landweg unternommen worden; um so mehr setzten die Angriffe, die gegen das europaeische Griechenland gerichtet wurden, sich aus Landund Seeraubfahrten zusammen. Wenn Moesien und Thrakien auch nicht dauernd von den Goten besetzt wurden, so kamen und gingen sie doch hier, gleich als waeren sie zu Hause, und streiften von da aus weit nach Makedonien hinein. Selbst Achaia erwartete unter Valerianus von dieser Seite her den Einbruch; die Thermopylen und der Isthmos wurden verrammelt und die Athener gingen daran, ihre seit Sullas Belagerung in Truemmern liegenden Mauern wiederherzustellen. Damals und auf diesem Wege kamen die Barbaren nicht. Aber unter Gallienus erschien eine Flotte von 500 Segeln, diesmal vornehmlich Heruler, vor dem Hafen von Byzanz, das indes seine Wehrhaftigkeit noch nicht eingebuesst hatte; die Schiffe der Byzantier schlugen gluecklich die Raeuber ab. Diese fuhren weiter, zeigten sich an der asiatischen Kueste vor dem frueher nicht angegriffenen Kyzikos und gelangten von da ueber Lemnos und Imbros nach dem eigentlichen Griechenland. Athen, Korinth, Argos, Sparta wurden gepluendert und zerstoert. Es war immer etwas, dass, wie in den Zeiten der Perserkriege, die Buerger des zerstoerten Athen, 2000 an der Zahl, den abziehenden Barbaren einen Hinterhalt legten und unter Fuehrung ihres ebenso gelehrten wie tapferen Vormanns Publius Herennius Dexippus aus dem altadligen Geschlecht der Keryken, mit Unterstuetzung der roemischen Flotte, den Piraten einen namhaften Verlust beibrachten. Auf der Heimkehr, die zum Teil auf dem Landweg erfolgte, griff Kaiser Gallienus sie in Thrakien am Fluss Nestos an und toetete ihnen eine betraechtliche Anzahl Leute ^27. ------------------------------------------ ^27 Dexippus’ Bericht ueber diesen Zug geben im Auszug Synkellos (p. 717) (wo anelontos fuer anelontes gelesen werden muss), Zosimus (hist. 1, 39) und der Biograph des Gallienus (c. 13). Ein Bruchstueck seiner eigenen Erzaehlung ist fr. 22. Bei dem Fortsetzer des Dio, von dem Zonaras abhaengt, ist der Vorgang unter Claudius gesetzt, durch Irrtum oder durch Faelschung, die dem Gallienus diesen Sieg nicht goennte. Die Biographie des Gallienus erzaehlt den Vorgang, wie es scheint, zweimal, zuerst kurz c. 6 unter dem Jahre 262, dann besser unter oder nach 265 (c. 13). ------------------------------------------ Um das Mass des Unheils vollstaendig zu uebersehen, muss man hinzunehmen, dass in diesem in Scherben gehenden Reiche und vor allem in den vom Feind ueberschwemmten Provinzen ein Offizier nach dem andern nach der Krone griff, die es kaum noch gab. Es lohnt der Muehe nicht, die Namen dieser ephemeren Purpurtraeger zu verzeichnen; die Lage zeichnet, dass nach der Verwuestung Bithyniens durch die Piraten Kaiser Valerian es unterliess, einen ausserordentlichen Kommandanten dorthin zu schicken, weil ihm jeder General, nicht ohne Grund, als Rivale galt. Dies hat mitgewirkt bei dem fast durchaus passiven Verhalten der Regierung gegenueber dieser schweren Not. Doch ist andererseits unzweifelhaft ein guter Teil dieser unverantwortlichen Passivitaet auf die Persoenlichkeit der Herrscher zurueckzufuehren; Valerianus war schwach und bejahrt, Gallienus fahrig und wuest, und der Lenkung des Staatsschiffs im Sturme weder jener noch dieser gewachsen. Marcianus, dem Gallienus nach dem Einfall in Achaia das Kommando in diesen Gegenden uebertragen hatte, operierte nicht ohne Erfolg; aber zu einer wirklichen Wendung zum Besseren kam es nicht, solange Gallienus den Thron einnahm. Nach Gallienus’ Ermordung (268), vielleicht auf die Kunde von dieser, unternahmen die Barbaren, wieder unter Fuehrung der Heruler, aber diesmal mit vereinigten Kraeften, einen Ansturm gegen die Reichsgrenzen, wie er also noch nicht dagewesen war, mit einer maechtigen Flotte und wahrscheinlich gleichzeitig zu Lande, von der Donau aus ^28. Die Flotte hatte in der Propontis viel von Stuermen zu leiden; dann teilte sie sich und es gingen die Goten teils gegen Thessalien und Griechenland vor, teils gegen Kreta und Rhodos; die Hauptmasse begab sich nach Makedonien und drang von da in das Binnenland ein, ohne Zweifel in Verbindung mit den in Thrakien eingerueckten Haufen. Aber den oft belagerten, jetzt bis aufs aeusserste gebrachten Thessalonikern brachte Kaiser Claudius, der persoenlich mit starker Macht heranrueckte, endlich Entsatz; er trieb die Goten vor sich her das Tal des Axios (Vardar) hinauf und weiter ueber die Berge hinueber nach Obermoesien; nach mancherlei Kaempfen mit wechselndem Kriegsglueck erfocht er hier im Moravatal bei Naissus einen glaenzenden Sieg, in welchem 50000 Feinde gefallen sein sollen. Die Goten wichen in Aufloesung zurueck, in der Richtung erst auf Makedonien, dann durch Thrakien zum Haemus, um die Donau zwischen sich und den Feind zu bringen. Fast haette ihnen ein Zwist im roemischen Lager, diesmal zwischen Infanterie und Reiterei, noch einmal Luft gemacht; aber als es zum Schlagen kam, ertrugen die Reiter es doch nicht, ihre Kameraden im Stich zu lassen und so siegte die vereinigte Armee abermals. Eine schwere Seuche, welche in all den Jahren der Not, aber besonders damals in diesen Gegenden und vor allem in den Heeren wuetete, tat zwar auch den Roemern grossen Schaden - Kaiser Claudius selbst erlag ihr -, aber das grosse Heer der Nordlaender wurde voellig aufgerieben und die zahlreichen Gefangenen in die roemischen Heere eingereiht oder zu Leibeigenen gemacht. Auch die Hydra der Militaerrevolutionen wurde einigermassen gebaendigt; Claudius und nach ihm Aurelianus waren in anderer Weise Herren im Reich, als dies von Gallienus gesagt werden kann. Die Erneuerung der Flotte, wozu unter Gallienus ein Anfang gemacht worden war, wird nicht gefehlt haben. Das traianische Dakien war und blieb verloren; Aurelianus zog die dort sich noch haltenden Posten heraus und gab den vertriebenen oder zur Auswanderung geneigten Besitzern neue Wohnstaetten auf dem moesischen Ufer. Aber Thrakien und Moesien, die eine Zeitlang mehr den Goten als den Roemern gehoert hatten, kehrten unter roemische Herrschaft zurueck, und wenigstens die Donaugrenze ward wieder befestigt. ----------------------------------------------- ^28 In unserer Ueberlieferung erscheint dieser Zug als eine reine Seefahrt, unternommen mit (wahrscheinlich) 2000 Schiffen (so die Biographie des Claudius; die Zahlen 6000 und 900, zwischen denen die Ueberlieferung bei Zos. hist. 1, 42, schwankt, sind wohl beide verdorben) und 320000 Menschen. Indes ist es wenig glaublich dass Dexippus, auf den diese Angaben zurueckgehen muessen die letztere Ziffer in dieser Weise hat setzen koennen. Andererseits ist bei der Richtung des Zuges zunaechst gegen Tomis und Markianopolis es mehr als wahrscheinlich, dass dabei das von Zos. hist. 1, 34 beschriebene Verfahren befolgt ward und ein Teil zu Lande marschierte, und unter dieser Voraussetzung mochte auch ein Zeitgenosse die Zahl der Angreifer wohl auf jene Ziffer schaetzen. Auch zeigt der Verlauf des Feldzugs, namentlich der Ort der Entscheidungsschlacht, dass man es keineswegs bloss mit einer Flotte zu tun hatte. ----------------------------------------------- Man wird diesen Gotenund Skythenzuegen zu Lande und zur See, welche die zwanzig Jahre 250 bis 269 ausfuellen, nicht die Bedeutung beilegen duerfen, dass die ausschwaermenden Haufen darauf bedacht gewesen waeren, die Landschaften, die sie betraten, in bleibenden Besitz zu nehmen. Ein solcher Plan ist nicht einmal fuer Moesien und Thrakien nachweisbar, geschweige denn fuer die entfernteren Kuesten; schwerlich waren auch die Angreifer zahlreich genug, um eigentliche Invasionen zu unternehmen. Wie das schlechte Regiment der letzten Herrscher und vor allem die Unzuverlaessigkeit der Truppen viel mehr als die Uebermacht der Barbaren die Ueberflutung des Gebietes durch Landund Seeraeuber hervorriefen, so zog die Wiederherstellung der inneren Ordnung und das energische Auftreten der Regierung von selbst die Befreiung desselben nach sich. Noch konnte der roemische Staat nicht gebrochen werden, wenn er nicht sich selber brach. Immer aber war es ein grosses Werk, das Regiment so wieder zusammenzunehmen, wie Claudius es getan hat. Wir wissen noch etwas weniger von ihm, als von den meisten Regenten dieser Zeit, da die wahrscheinlich fiktive Zurueckfuehrung des konstantinischen Stammbaumes auf ihn sein Bild nach der platten Vollkommenheitsschablone uebermalt hat; aber diese Anknuepfung selbst, sowie die zahllosen nach seinem Tode ihm zu Ehren geschlagenen Muenzen beweisen, dass er der naechsten Generation als der Retter des Staates galt, und sie wird darin nicht geirrt haben. Ein Vorspiel der spaeteren Voelkerwanderung sind diese Skythenzuege allerdings; und die Staedtezerstoerung, welche sie vor den gewoehnlichen Piratenfahrten auszeichnet, hat damals in einem Umfang stattgefunden, dass der Wohlstand wie die Bildung Griechenlands und Kleinasiens sich niemals davon erholt haben. An der wiederhergestellten Donaugrenze befestigte Aurelianus den erfochtenen Sieg, indem er die Defensive wiederum offensiv fuehrte und die Donau an ihrer Muendung ueberschreitend, jenseits derselben sowohl die Carper schlug, die seitdem zu den Roemern im Schutzverhaeltnis standen, wie auch die Goten unter ihrem Koenig Canabaudes. Sein Nachfolger Probus nahm, wie schon angegeben ward, die Ueberreste der von den Goten bedraengten Bastarner herueber auf das roemische Ufer, ebenso im Jahre 295 Diocletian die Reste der Carper. Dies deutet darauf hin, dass jenseits des Flusses das Reich der Goten sich konsolidierte; aber weiter kamen sie auch nicht. Die Grenzbefestigungen wurden verstaerkt; Gegen-Aquincum (contra Aquincum, Pest) ist im Jahre 294 angelegt worden. Die Piratenfahrten verschwanden nicht voellig. Unter Tacitus zeigten sich Schwaerme von der Maeotis in Kilikien. Die Franken, die Probus am Schwarzen Meer angesiedelt hatte, verschafften sich Fahrzeuge und fuhren heim nach ihrer Nordsee, nachdem sie unterwegs an der sizilischen und der afrikanischen Kueste gepluendert hatten. Auch zu Lande ruhten die Waffen nicht, wie denn die zahlreichen Sarmatensiege Diocletians alle, und ein Teil seiner germanischen, auf die Donaugegenden fallen werden; aber erst unter Konstantin kam es wieder zu einem ernsthaften Kriege mit den Goten, der gluecklich verlief. Das Uebergewicht Roms stand seit Claudius’ gotischem Siege wieder so fest wie vorher. Die eben entwickelte Kriegsgeschichte blieb auf die innere Ordnung des roemischen Staatsund Heerwesens nicht ohne allgemeine und bleibende militaerisch-politische Rueckwirkung. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Rheinheere, in der fruehen Kaiserzeit die fuehrenden in der Armee, ihren Primat schon unter Traian an die Donaulegionen abgaben. Wenn unter Augustus sechs Legionen im Donauund acht im Rheinland standen, so zaehlten nach den dakischen Kriegen Domitians und Traians im 2. Jahrhundert die Rheinlager nur vier, die Donaulager zehn, nach dem Markomannischen sogar zwoelf Legionen. Nachdem seit Hadrian aus der Armee, abgesehen von den Offizieren, das italische Element verschwunden war und im ganzen genommen jedes Regiment sich in der Gegend, in welcher es lagerte, auch rekrutierte, waren die meisten Soldaten der Donauarmee und nicht weniger die aus dem Gliede hervorgegangenen Centurionen in Pannonien, Dakien, Moesien, Thrakien zu Hause. Auch die neuen, unter Marcus gebildeten Legionen gingen aus Illyricum hervor, und die ausserordentlichen Ergaenzungen, deren die Truppen damals bedurften, wurden wahrscheinlich ebenfalls vorzugsweise aus den Gegenden genommen, in denen die Heere standen. Also war der Primat der Donauarmeen, den der Dreikaiserkrieg der severischen Zeit feststellte und steigerte, zugleich ein Primat der illyrischen Soldaten; und es kam dies bei der Reform der Garde unter Severus zu sehr energischem Ausdruck. In die hoeheren Kreise des Regiments griff dieser Primat nicht eigentlich ein, solange die Offizierstellung noch mit der Reichsbeamtenstellung zusammenfiel, obwohl die ritterliche Laufbahn dem gemeinen Soldaten durch das Zwischenglied des Centurionats zu allen Zeiten zugaenglich war und also die Illyriker auch in jene schon frueh eindrangen, wie denn bereits im Jahre 235 ein geborener Thraker, Gaius Iulius Verus Maximinus, im Jahre 248 ein geborener Pannonier, Traianus Decius, auf diesem Wege sogar zum Purpur gelangt sind. Aber als dann Gallienus in allerdings nur zu gerechtfertigtem Misstrauen die Rangklasse der Senatoren von dem Offizierdienst ausschloss, erstreckte sich notwendigerweise, was bisher von den Soldaten galt, auch auf die Offiziere. Es ist also nur in der Ordnung, dass die der Donauarmee angehoerigen, meistens aus den illyrischen Gegenden herstammenden Soldaten seitdem auch im Regiment die erste Rolle spielen und, soweit die Armee die Kaiser machte, diese ebenfalls der Mehrzahl nach Illyriker sind. Also folgen auf Gallienus der Dardaner Claudius, Aurelianus aus Moesien, Probus aus Pannonien, Diocletianus aus Dalmatien, Maximianus aus Pannonien, Constantius aus Dardanien, Galerius aus Serdica; von den letztgenannten hebt ein unter der konstantinischen Dynastie schreibender Schriftsteller die Herkunft aus Illyricum hervor und fuegt hinzu, dass sie mit wenig Bildung, aber guter Vorschulung durch Feldarbeit und Kriegsdienst treffliche Herrscher gewesen seien. Was die Albanesen lange Zeit dem Tuerkischen Reich gewesen sind, das haben ihre Vorfahren dem roemischen Kaiserstaat, als dieser bei aehnlicher Zerruettung und aehnlicher Barbarei angelangt war, in gleicher Weise geleistet. Nur darf die illyrische Regeneration des roemischen Kaisertums nicht etwa als eine nationale Reorganisation aufgefasst werden; es war lediglich die soldatische Stuetzung eines durch das Missregiment vornehm geborener Herrscher voellig herabgekommenen Reiches. Die Demilitarisierung Italiens war vollstaendig geworden, und Herrscherrecht ohne kriegerische Kraft erkennt die Geschichte nicht an. 7. Kapitel Das griechische Europa Mit der allgemeinen geistigen Entwicklung der Hellenen hatte die politische ihrer Republiken sich nicht im Gleichgewicht gehalten, oder vielmehr die Ueberschwenglichkeit jener hatte, wie die allzu volle Bluete den Kelch sprengt, keinem einzelnen Gemeinwesen verstattet, diejenige Ausdehnung und Stetigkeit zu gewinnen, welche fuer die staatliche Ausgestaltung vorbedingend ist. Die Kleinstaaterei der einzelnen Staedte oder Staedtebuende musste in sich verkuemmern oder den Barbaren verfallen; nur der Panhellenismus verbuergte, wie den Fortbestand der Nation, so ihre Weiterentwicklung gegenueber den stammfremden Umwohnern. Er ward verwirklicht durch den Vertrag, den Koenig Philipp von Makedonien, der Vater Alexanders, in Korinth mit den Staaten von Hellas abschloss. Es war dies dem Namen nach ein Bundesvertrag, in der Tat die Unterwerfung der Republiken unter die Monarchie, aber eine Unterwerfung, welche nur dem Ausland gegenueber sich vollzog, indem die unumschraenkte Feldherrnschaft gegen den Nationalfeind von fast allen Staedten des griechischen Festlandes dem makedonischen Feldherrn uebertragen, sonst ihnen die Freiheit und die Autonomie gelassen ward, und es war, wie die Verhaeltnisse lagen, dies die einzig moegliche Realisierung des Panhellenismus und die im wesentlichen fuer die Zukunft Griechenlands massgebende Form. Philipp und Alexander gegenueber hat sie Bestand gehabt, wenn auch die hellenischen Idealisten wie immer das realisierte Ideal als solches anzuerkennen sich straeubten. Als dann Alexanders Reich zerfiel, war es wie mit dem Panhellenismus selbst, so auch mit der Einigung der griechischen Staedte unter der monarchischen Vormacht vorbei und rieben diese in Jahrhunderten ziellosen Ringens ihre letzte geistige und materielle Macht auf, hinund hergezogen zwischen der wechselnden Herrschaft der uebermaechtigen Monarchien und vergeblichen Versuchen, unter dem Schutz des Haders derselben den alten Partikularismus zu restaurieren. Als dann die maechtige Republik des Westens in den bisher einigermassen gleichgewogenen Kampf der Monarchien des Ostens eintrat und bald sich maechtiger als jeder der dort miteinander ringenden griechischen Staaten erwies, erneuerte sich mit der festen Vormachtstellung auch die panhellenische Politik. Hellenen im vollen Sinn des Worts waren weder die Makedonier noch die Roemer; es ist nun einmal der tragische Zug der griechischen Entwicklung, dass das attische Seereich mehr eine Hoffnung als eine Wirklichkeit war und das Einigungswerk nicht aus dem eigenen Schoss der Nation hat hervorgehen duerfen. Wenn in nationaler Hinsicht die Makedonier den Griechen naeher standen als die Roemer, so war das Gemeinwasen Roms den hellenischen politisch bei weitem mehr wahlverwandt als das makedonische Erbkoenigtum. Was aber die Hauptsache ist, die Anziehungskraft des griechischen Wesens ward von den roemischen Buergern wahrscheinlich nachhaltiger und tiefer empfunden als von den Staatsmaennern Makedoniens, eben weil jene ihm ferner standen als diese. Das Begehren, sich wenigstens innerlich zu hellenisieren, der Sitte und der Bildung, der Kunst und der Wissenschaft von Hellas teilhaftig zu werden, auf den Spuren des grossen Makedoniers Schild und Schwert der Griechen des Ostens sein und diesen Osten nicht italisch, sondern hellenistisch weiter zivilisieren zu duerfen, dieses Verlangen durchdringt die spaeteren Jahrhunderte der roemischen Republik und die bessere Kaiserzeit mit einer Macht und einer Idealitaet, welche fast nicht minder tragisch ist als jenes nicht zum Ziel gelangende politische Muehen der Hellenen. Denn auf beiden Seiten wird Unmoegliches erstrebt: dem hellenischen Panhellenismus ist die Dauer versagt und dem roemischen Hellenismus der Vollgehalt. Indes hat er darum nicht weniger die Politik der roemischen Republik wie die der Kaiser wesentlich bestimmt. Wie sehr auch die Griechen, namentlich im letzten Jahrhundert der Republik, den Roemern es bewiesen, dass ihre Liebesmuehe eine verlorene war, es hat dies weder an der Muehe noch an der Liebe etwas geaendert. Die Griechen Europas waren von der roemischen Republik zu einer einzigen, nach dem Hauptlande Makedonien benannten Statthalterschaft zusammengefasst worden. Wenn diese mit dem Beginn der Kaiserzeit administrativ aufgeloest ward, so wurde damals gleichzeitig dem gesamten griechischen Harnen eine religioese Gemeinschaft verliehen, die sich anschloss an die alte, des Gottesfriedens wegen eingefuehrte und dann zu politischen Zwecken missbrauchte Delphische Amphiktyonie. Unter der roemischen Republik war dieselbe im wesentlichen auf die urspruenglichen Grundlagen zurueckgefuehrt worden: Makedonien sowohl wie Aetolien, die sich beide usurpatorisch eingedraengt hatten, wurden wieder ausgeschieden und die Amphiktyonie umfasste abermals nicht alle, aber die meisten Voelkerschaften Thessaliens und des eigentlichen Griechenlands. Augustus veranlasste die Erstreckung des Bundes auf Epirus und Makedonien und machte ihn dadurch im wesentlichen zum Vertreter des hellenischen Landes in dem weiteren, dieser Epoche allein angemessenen Sinne. Eine bevorzugte Stellung nahmen in diesem Verein neben dem altheiligen Delphi die beiden Staedte Athen und Nikopolis ein, jene die Kapitale des alten, diese nach Augustus’ Absicht die des neuen kaiserlichen Hellenentums ^1. Diese neue Amphiktyonie hat eine gewisse Aehnlichkeit mit der Landesversammlung der drei Gallien; in aehnlicher Weise wie fuer diese der Kaiseraltar bei Lyon war der Tempel des pythischen Apollon der religioese Mittelpunkt der griechischen Provinzen. Indes waehrend jenem daneben eine geradezu politische Wirksamkeit zugestanden hat, so besorgten die Amphiktyonen dieser Epoche ausser der eigentlich religioesen Feier lediglich die Verwaltung des delphischen Heiligtums und seiner immer noch betraechtlichen Einkuenfte ^2. Wenn ihr Vorsteher sich in spaeterer Zeit die "Helladarchie" zuschreibt, so ist diese Herrschaft ueber Griechenland lediglich ein idealer Begriff. ^3 Immer aber bleibt die offizielle Konservierung der griechischen Nationalitaet ein Kennzeichen der Haltung, welche das neue Kaisertum gegen dieselbe einnimmt, und seines den republikanischen weit ueberbietenden Philhellenismus. ------------------------------------------ ^1 Die Ordnung der Delphischen Amphiktyonie unter der roemischen Republik erhellt namentlich aus der delphischen Inschrift CIL III, p. 987 (vgl. BCH 7,1883, S. 427f.). Den Verein bildeten damals siebzehn Voelkerschaften mit zusammen 24 Stimmen, saemtlich dem eigentlichen Griechenland oder Thessalien angehoerig; Aetolien, Epirus, Makedonien fehlen. Nach der Umgestaltung durch Augustus (Paus. 10, 8) blieb diese Organisation im uebrigen bestehen, nur dass durch Beschraenkung der unverhaeltnismaessig zahlreichen thessalischen die Stimmen der bisher vertretenen Voelkerschaften auf achtzehn herabgemindert wurden; dazu traten neu Nikopolis in Epirus mit sechs und Makedonien ebenfalls mit sechs Stimmen. Ferner sollten die sechs Stimmen von Nikopolis ein fuer allemal gefuehrt werden, ebenso wie dies blieb fuer die zwei von Delphi und die eine von Athen, die uebrigen Stimmen dagegen von den Verbaenden, so dass zum Beispiel die eine Stimme der peloponnesischen Dorier wechselte zwischen Argos, Sikyon, Korinth und Megara. Eine Gesamtvertretung der europaeischen Hellenen waren die Amphiktyonen insofern auch jetzt nicht, als die frueher ausgeschlossenen Voelkerschaften im eigentlichen Griechenland, ein Teil der Peloponnesier und die nicht zu Nikopolis gezogenen Aetoler, darin nicht repraesentiert waren. ^2 Die stehenden Zusammenkuenfte in Delphi und an den Thermopylen waehrten fort (Paus. 7, 24, 3; Vita Apoll. 4, 23) und natuerlich auch die Ausrichtung der Pythischen Spiele nebst der Erteilung der Preise durch das Kollegium der Amphiktyonen (vit. soph. 2, 27); dasselbe hat die Verwaltung der "Zinsen und Einkuenfte" des Tempels (Inschrift von Delphi, Rheinisches Museum, N. F. 2, 1843, S. 111) und legt aus denselben, zum Beispiel in Delphi, eine Bibliothek an (Lebas-Foucart II, S. 845) oder setzt daselbst Bildsaeulen. ^3 Die Mitglieder des Kollegiums der Ampsiktiones oder, wie sie in dieser Epoche heissen, Ampsikt?ones, werden von den einzelnen Staedten in der frueher bezeichneten Weise bald von Fall zu Fall (Iteration: CIG 1085), bald auf Lebenszeit (Plut. an seni 20) bestellt; was wohl davon abhaengt, ob die Stimme staendig war oder alternierend (Wilamowitz). Ihr Vorsteher heisst in frueherer Zeit epimel/e/t/e/s to? koino? t/o/n Ampsiktyon/o/n (Inschriften von Delphi, Rheinisches Museum, N. F. 2, 1843, S. 111; CIG 1713), spaeter Elladarch/e/s t/o/n Ampsiktyon/o/n (CIG 1124). ------------------------------------------ Hand in Hand mit der sakralen Einigung der europaeischen Griechen ging die administrative Aufloesung der griechisch-makedonischen Statthalterschaft der Republik. An der Teilung der Reichsverwaltung unter Kaiser und Senat hing sie nicht, da dieses gesamte Gebiet und nicht minder die vorliegenden Donaulandschaften bei der urspruenglichen Teilung dem Senat zugewiesen wurden; ebensowenig haben militaerische Ruecksichten hier eingegriffen, da die ganze Halbinsel bis hinauf zur thrakischen Grenze, als gedeckt teils durch diese Landschaft, teils durch die Besatzungen an der Donau, immer dem befriedeten Binnenlande zugerechnet worden ist. Wenn der Peloponnes und das attischboeotische Festland damals seinen eigenen Prokonsul erhielt und von Makedonien getrennt ward, was wohl schon Caesar beabsichtigt haben mag, so war dabei, neben der allgemeinen Tendenz, die senatorischen Statthalterschaften nicht zu gross zu nehmen, vermutlich die Ruecksicht massgebend, das rein hellenische Gebiet von dem halb hellenischen zu scheiden. Die Grenze der Provinz Achaia war anfaenglich der Oeta, und auch nachdem die Aetoler spaeter dazu gelegt worden ^4, ist sie nicht hinausgegangen ueber den Acheloos und die Thermopylen. -------------------------------------------------------------- ^4 Die urspruenglichen Grenzen der Provinz bezeichnet Strabon (17, 3, 25 p. 840) in der Aufzaehlung der senatorischen Provinzen: Achaia mechri THettalias kai Ait/o/l/o/n kai Akarnan/o/n kai tin/o/n /E/peir/o/tik/o/n ethn/o/n osa t/e/ Makedonia pros/o/risto, wobei der uebrige Teil von Epirus der (von Strabon hier, fuer seine Zeit irrig, den senatorischen zugezaehlten) Provinz Illyricum zugeteilt zu werden scheint. Mechri einschliessend zu nehmen geht, von sachlichen Erwaegungen abgesehen, schon deswegen nicht an, weil nach den Schlussworten die vorher genannten Gebiete "Makedonien zugeteilt sind". Spaeterhin finden wir die Aetoler zu Achaia gelegt (Ptol. geogr. 3, 14). Dass Epirus eine Zeitlang auch dazu gehoert hat, ist moeglich, nicht so sehr wegen der Angabe bei Dio 53, 12, die weder fuer Augustus’ Zeit noch fuer diejenige Dios verteidigt werden kann, sondern weil Tacitus zum Jahre 17 (ann. 2, 53) Nikopolis zu Achaia rechnet. Aber wenigstens seit Traian bildet Epirus mit Akarnanien eine eigene prokuratorische Provinz (Ptol. geogr. 3, 13; CIL III, 536; Marquardt, Roemische Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 331). Thessalien und alles Land noerdlich vom Oeta ist stets bei Makedonien geblieben. -------------------------------------------------------------- Diese Ordnungen betrafen die Landschaft im ganzen. Wir wenden uns zu der Stellung, welche den einzelnen Stadtgemeinden unter der roemischen Herrschaft gegeben ward. Die urspruengliche Absicht der Roemer, die Gesamtheit der griechischer. Stadtgemeinden in aehnlicher Weise an das eigene Gemeinwesen anzuschliessen, wie dies mit den italischen geschehen war, hatte infolge des Widerstandes, auf den diese Einrichtungen trafen, insbesondere infolge der Auflehnung des Achaeischen Bundes im Jahre 608 (146) und des Abfalls der meisten Griechenstaedte zu Koenig Mithradates im Jahre 666 (88) wesentliche Einschraenkungen erfahren. Die Staedtebuende, das Fundament aller Machtentwicklung in Hellas wie in Italien, und von den Roemern anfaenglich akzeptiert, waren saemtlich, namentlich der wichtigste der Peloponnesier oder, wie er sich nannte, der Achaeer, aufgeloest und die einzelnen Staedte angehalten worden, ihr Gemeinwesen fuer sich zu ordnen. Es wurden ferner fuer die einzelnen Gemeindeverfassungen von der Vormacht gewisse allgemeine Normen aufgestellt und nach diesem Schema dieselben in antidemokratischer Tendenz reorganisiert. Nur innerhalb dieser Schranken blieb der einzelnen Gemeinde die Autonomie und die eigene Magistratur. Es blieben ihr auch die eigenen Gerichte; aber daneben stand der Grieche von Rechts wegen unter den Ruten und Beilen des Praetors, und wenigstens konnte wegen eines jeden Vergehens, das als Auflehnung gegen die Vormacht sich betrachten liess, von den roemischen Beamten auf Geldbusse oder Ausweisung oder auch Lebensstrafe erkannt werden ^5. Die Gemeinden besteuern sich selbst; aber sie hatten durchgaengig eine bestimmte, im ganzen, wie es scheint, nicht hoch gegriffene Summe nach Rom zu entrichten. Besatzungen wurden nicht so, wie einst in makedonischer Zeit, in die Staedte gelegt, da die in Makedonien stehenden Truppen noetigenfalls in der Lage waren, auch in Griechenland einzuschreiten. Aber schwerer als die Zerstoerung Thebens auf dem Andenken Alexanders, lastet auf der roemischen Aristokratie die Schleifung Korinths. Die uebrigen Massregeln, wie gehaessig und erbitternd sie auch teilweise waren, namentlich als von der Fremdherrschaft oktroyiert, mochten im ganzen genommen unvermeidlich sein und vielfach heilsam wirken; sie waren die unvermeidliche Palinodie der urspruenglichen, zum Teil recht unpolitischen roemischen Politik des Verzeihens und Verziehens gegenueber den Hellenen. Aber in der Behandlung Korinths hatte sich der kaufmaennische Egoismus in unheimlicher Weise maechtiger erwiesen als alles Philhellenentum. ----------------------------------------------- ^5 Nichts gibt von der Lage der Griechen des letzten Jahrhunderts der roemischen Republik ein deutlicheres Bild als das Schreiben eines dieser Statthalter an die achaeische Gemeinde Dyme (CIG 1543). Weil diese Gemeinde sich Gesetze gegeben hat, welche der im allgemeinen den Griechen geschenkten Freiheit (/e/ apodedomen/e/ kata koinon tois ’Ell/e/sin eleytheria) und der von den Roemern den Achaeern gegebenen Ordnung (/e/ apodeytheisa tois Achaiois ypo R/o/mai/o/n politeia; wahrscheinlich unter Mitwirkung des Polybios Paus. 8, 30, 9) zuwiderliefen, worueber es allerdings auch zu Auflaeufen gekommen war, zeigt der Statthalter der Gemeinde an, dass er die beiden Raedelsfuehrer habe hinrichten, lassen und ein minder schuldiger Dritter nach Rom exiliert sei. ----------------------------------------------- Bei allem dem war der Grundgedanke der roemischen Politik, die griechischen Staedte dem italischen Staedtebund anzugliedern, nie vergessen worden; gleich wie Alexander niemals Griechenland hat beherrschen wollen wie Illyrien und Aegypten, so haben auch seine roemischen Nachfolger das Untertanenverhaeltnis nie vollstaendig auf Griechenland angewandt und schon in republikanischer Zeit von dem strengen Recht des den Roemern aufgezwungenen Krieges wesentlich nachgelassen. Insbesondere geschah dies gegenueber Athen. Keine griechische Stadt hat vom Standpunkt der roemischen Politik aus so schwer gegen Rom gefehlt wie diese; ihr Verhalten im Mithradatischen Kriege haette bei jedem anderen Gemeinwesen unvermeidlich die Schleifung herbeigefuehrt. Aber vom philhellenischen Standpunkt aus freilich war Athen das Meisterstueck der Weit, und es knuepften sich an dasselbe fuer die vornehme Welt des Auslandes aehnliche Neigungen und Erinnerungen wie fuer unsere gebildeten Kreise an Pforta und an Bonn; dies ueberwog damals wie frueher. Athen hat nie unter den Beilen des roemischen Statthalters gestanden und niemals nach Rom gesteuert, hat immer mit Rom beschworenes Buendnis gehabt und nur ausserordentlicher und, wenigstens der Form nach, freiwilliger Weise den Roemern Beihilfe gewaehrt. Die Kapitulation nach der Sullanischen Belagerung fuehrte wohl eine Aenderung der Gemeindeverfassung herbei, aber das Buendnis ward erneuert, ja sogar alle auswaertigen Besitzungen zurueckgegeben; selbst die Insel Delos, welche, als Athen zu Mithradates uebertrat, sich losgemacht und als selbstaendiges Gemeinwesen konstituiert hatte und zur Strafe fuer ihre Treue gegen Rom von der pontischen Flotte ausgeraubt und zerstoert worden war ^6. ------------------------------------------------------------ ^6 Die delischen Ausgrabungen der letzten Jahre haben die Beweise geliefert, dass die Insel, nachdem die Roemer sie einmal an Athen gegeben hatten, bestaendig athenisch geblieben ist und sich zwar infolge des Abfalls der Athener von Rom als Gemeinde der "Delier" konstituierte (Eph, epigr. V, p. 604), aber schon sechs Jahre nach der Kapitulation Athens wieder athenisch war (Ep h. epigr. V, n. 184; Homolle im BCH 8, 1884, S. 142). ------------------------------------------------------------ Mit aehnlicher Ruecksicht, und wohl auch zum guten Teil seines grossen Namens wegen, ist Sparta behandelt worden. Auch einige andere Staedte der spaeter zu nennenden befreiten Gemeinden hatten diese Stellung bereits unter der Republik. Wohl kamen dergleichen Ausnahmen in jeder roemischen Provinz vor; aber dem griechischen Gebiet ist dies von Haus aus eigen, dass eben die beiden namhaftesten Staedte desselben ausserhalb des Untertanenverhaeltnisses standen und dieses demnach nur die geringeren Gemeinwesen traf. Auch fuer die untertaenigen Griechenstaedte traten schon unter der Republik Milderungen ein. Die anfaenglich untersagten Staedtebuende lebten allmaehlich wieder auf, insbesondere die kleineren und machtlosen, wie der boeotische, sehr bald ^7; mit der Gewoehnung an die Fremdherrschaft schwanden die oppositionellen Tendenzen, welche ihre Aufhebung herbeigefuehrt hatten, und ihre enge Verknuepfung mit dem sorgfaeltig geschonten, althergebrachten Kultus wird ihnen weiter zugute gekommen sein, wie denn schon bemerkt worden ist, dass die roemische Republik die Amphiktyonie in ihren urspruenglichen nicht politischen Funktionen wiederherstellte und schuetzte. Gegen das Ende der republikanischen Zeit scheint die Regierung den Boeotern sogar gestattet zu haben, mit den kleinen noerdlich angrenzenden Landschaften und der Insel Euboea eine Gesamtverbindung einzugehen ^8. -------------------------------------------------------- ^7 Ob das koinon t/o/n Achai/o/n, das in der eigentlich republikanischen Zeit natuerlicherweise nicht vorkommt, schon am Ende derselben oder erst nach Einfuehrung der kaiserlichen Provinzialordnung rekonstruiert worden ist, ist zweifelhaft. Inschriften wie die olympische des Proquaestors Q. Ancharius Q. f. (Archaeologische Zeitung 36, 1878, S. 38, n. 114) sprechen mehr fuer die erstere Annahme; doch kann sie nicht mit Gewissheit als voraugustisch bezeichnet werden. Das aelteste sichere Zeugnis fuer die Existenz dieser Vereinigung ist die von ihr dem Augustus in Olympia gesetzte Inschrift (Archaeologische Zeitung 35, 1877, S. 36, n. 33). Vielleicht sind dies Ordnungen des Diktators Caesar und im Zusammenhang mit dem unter ihm begegnenden Statthalter "Griechenlands", wahrscheinlich des Achaia der Kaiserzeit (Cic. ad fam. 6, 6, 10). Uebrigens haben sicher auch unter der Republik, nach Ermessen des jedesmaligen Statthalters, mehrere Gemeinden fuer einen bestimmten Gegenstand durch Deputierte zusammentreten und Beschluesse fassen koennen; wie das koinon der Sikelioten also dem Verres eine Statue dekretierte (Cic. Verr. 1, 2, 46, 114), wird aehnliches auch in Griechenland unter der Republik vorgekommen sein. Aber die regelmaessigen provinzialen Landtage mit ihren festen Beamten und Priestern sind eine Einrichtung der Kaiserzeit. ^8 Dies ist das koinon Boi/o/t/o/n Eyboe/o/n Lokr/o/n PH/o/ke/o/n D/o/rie/o/n merkwuerdigen, wahrscheinlich kurz vor der Attischen Schlacht gesetzten Inschrift CIA III, 568. Unmoeglich kann mit Dittenberger (Archaeologische Zeitung 34, 1876, S. 220) auf diesen Bund die Meldung des Pausanias (7, 16, 10) bezogen werden, dass die Roemer "nicht viele Jahre" nach der Zerstoerung Korinths sich der Hellenen erbarmt und ihnen die landschaftlichen Vereinigungen (synedria kata ethnos ekastois) wieder gestattet haetten; dies geht auf die kleineren Einzelbuende. -------------------------------------------------------- Den Schlussstein der republikanischen Epoche macht die Suehnung der Schleifung Korinths durch den groessten aller Roemer und aller Philhellenen, den Diktatar Caesar, und die Erneuerung des Sternes von Hellas in der Form einer selbstaendigen Gemeinde roemischer Buerger, der neuen "julischen Ehre". Diese Verhaeltnisse fand das eintretende Kaiserregiment in Griechenland vor, und diese Wege ist es weiter gegangen. Die von dem unmittelbaren Eingreifen der Provinzialregierung und von der Steuerzahlung an das Reich befreiten Gemeinden, denen die Kolonien der roemischen Buerger in vieler Hinsicht gleichstehen, begreifen weitaus den groessten und besten Teil der Provinz Achaia: im Peloponnes Sparta, mit seinem zwar geschmaelerten, aber doch jetzt wieder die noerdliche Haelfte Lakoniens umfassenden Gebiet ^9, immer noch das Gegenbild Athens, sowohl in den versteinerten altfraenkischen Institutionen wie in der wenigstens aeusserlich bewahrten Ordnung und Haltung; ferner die achtzehn Gemeinden der freien Lakonen, die suedliche Haelfte der lakonischen Landschaft, einst spartanische Untertanen, nach dem Kriege gegen Nabis von den Roemern als selbstaendiger Staedtebund organisiert und von Augustus gleich Sparta mit der Freiheit beliehen ^10; endlich in der Landschaft der Achaeer ausser Dyme, das schon von Pompeius mit Piratenkolonisten belegt worden war und dann durch Caesar neue roemische Ansiedler empfangen hatte ^11, vor allem Patrae, aus einem herabgekommenen Flecken von Augustus, seiner fuer den Handel guenstigen Lage wegen, teils durch Zusammenziehung der umliegenden kleinen Ortschaften, teils durch Ansiedelung zahlreicher italischer Veteranen zu der volkreichsten und bluehendsten Stadt der Halbinsel umgeschaffen und als roemische Buergerkolonie konstituiert, unter die auch auf der gegenueberliegenden lokrischen Kueste Naupaktos (italienisch Lepanto) gelegt ward. Auf dem Isthmos war Korinth, wie es einst das Opfer der Gunst seiner Lage geworden war, so jetzt nach seiner Wiederherstellung, aehnlich wie Karthago, rasch emporgekommen und die gewerbund volkreichste Stadt Griechenlands, ueberdies der regelmaessige Sitz der Regierung. Wie die Korinther die ersten Griechen gewesen waren, welche die Roemer als Landsleute anerkannt hatten durch Zulassung zu den Isthmischen Spielen, so leitete dieselbe Stadt jetzt, obgleich roemische Buergergemeinde, dieses hohe griechische Nationalfest. Auf dem Festlande gehoerten zu den befreiten Distrikten nicht bloss Athen mit seinem ganz Attika und zahlreiche Inseln des Aegaeischen Meeres umfassenden Gebiet, sondern auch Tanagra und Thespiae, damals die beiden ansehnlichsten Staedte der boeotischen Landschaft, ferner Plataeae ^12; in Phokis Delphi, Abae, Elateia, sowie die ansehnlichste der lokrischen Staedte, Amphissa. Was die Republik begonnen hatte, das vollendete Augustus in der eben dargelegten, wenigstens in den Hauptzuegen von ihm festgestellten und auch spaeter im wesentlichen festgehaltenen Ordnung. Wenngleich die dem Prokonsul unterworfenen Gemeinden der Provinz der Zahl nach gewiss und vielleicht auch nach der Gesamtbevoelkerung ueberwogen, so sind in echt philhellenischem Geiste die durch materielle Bedeutung oder durch grosse Erinnerungen ausgezeichnetsten Staedte Griechenlands befreite ^13. ------------------------------------- ^9 Dazu gehoerte nicht bloss das nahe Amyklae, sondern auch Kardmyle (durch Schenkung Augusts, Paus. 3, 26, 7), Pherae (Paus. 4, 30, 2), Thuria (das. 4, 31, 1) und eine Zeitlang auch Korone (CIG 1258; vgl. Lebas-Foucart II, S. 305) am Messenischen Busen, ferner die Insel Kythera (Dio 54, 7). ^10 In republikanischer Zeit erscheint dieser Distrikt als to koinon t/o/n Lakedaimoni/o/n (Lebas-Foucart II, S. 110); Pausanias (3, 21, 6) irrt also, wenn er ihn erst durch Augustus von Sparta loesen laesst. Aber Eleytherolakones nennen sie sich erst seit Augustus, und die Erteilung der Freiheit wird also mit Recht auf diesen zurueckgefuehrt. ^11 Es gibt Muenzen dieser Stadt mit der Aufschrift c(olonia) I(ulia) D(ume)und dem Kopf Caesars, andere mit der Aufschrift c(olonia) I(ulia) A(ugusta) Du m(e) und dem Kopf Augusts neben dem des Tiberius (F. Imhoof-Blumer, Monnaies Grecques. Leipzig 1883, S. 165). Dass Augustus Dyme der Kolonie Patrae zugeteilt hat, ist wohl ein Irrtum des Pausanias (7,17, 5); moeglich bleibt es freilich, dass Augustus in seinen spaeteren Jahren diese Vereinigung verfuegt hat. ^12 Dies zeigt, wenigstens fuer die Zeit des Pius, die afrikanische Inschrift CIL VIII, 7059 (vgl. Plut. Arist. 21). Die Schriftstellernachrichten ueber die befreiten Gemeinden geben ueberhaupt keine Gewaehr fuer die Vollstaendigkeit der Liste. Wahrscheinlich gehoert zu denselben auch Elis, das von der Katastrophe der Achaeer nicht betroffen ward und auch spaeter noch nach Olympiaden, nicht nach der Aera der Provinz datierte; ueberdies ist es unglaublich, dass die Stadt der olympischen Feier nicht bestes Recht gehabt hat. ^13 Scharf drueckt dies Aristeides aus in der Lobrede auf Rom (or. p. 224 Jebb): diateleite t/o/n men Ell/e/n/o/n /o/sper trophe/o/n epimelomenoi ... to?s men aristoys kai palai /e/gemonas (Athen und Sparta) eleytheroys kai aytonomoys apheikotes ayt/o/n, t/o/n d’all/o/n metri/o/s ... ex/e/go?menoi, to?s de barbaroys pros t/e/n ekastois ayt/o/n o?san ph?sin paid?ontes. ------------------------------------- Weiter, als in dieser Richtung Augustus gegangen war, ging der letzte Kaiser des Claudischen Hauses, einer vom Schlage der verdorbenen Poeten und insofern allerdings ein geborener Philhellene. Zum Dank fuer die Anerkennung, die seine kuenstlerischen Leistungen in dem Heimatlande der Musen gefunden hatten, sprach Nero, wie einst Titus Flamininus und wieder in Korinth bei den Isthmischen Spielen, die saemtlichen Griechen des roemischen Regiments ledig, frei von Tributen und gleich den Italikern keinem Statthalter untertan. Sofort entstanden in ganz Griechenland Bewegungen, welche Buergerkriege gewesen sein wuerden, wenn diese Leute mehr haetten fertig bringen koennen als Schlaegereien; und nach wenigen Monaten stellte Vespasian mit der trockenen Bemerkung, dass die Griechen verlernt haetten, frei zu sein, die Provinzialverfassung wieder her ^14, so weit sie reichte. ------------------------------------------------- ^14 Aber dankbar blieben die hellenischen Literaten ihrem Kollegen und Patron. In dem Apolloniusroman schlaegt der grosse Weise aus Kappadokien Vespasian die Ehre seiner Begleitung ab, weil er die Hellenen zu Sklaven gemacht habe, wie sie eben im Begriff waren, wieder ionisch und dorisch zu reden, und schreibt ihm verschiedene Billets von ergoetzlicher Grobheit. Ein Mann aus Soloi, der den Hals brach und dann wieder auflebte und bei dieser Gelegenheit alles sah, was Dante schaute, berichtete, dass er Neros Seele getroffen habe, in welche die Arbeiter des Weltgerichts Flammennaegel getrieben hatten und beschaeftigt waren sie in eine Natter umzugestalten; allein eine himmlische Stimme habe Einspruch getan und geboten, den Mann wegen seines irdischen Philhellenismus in eine minder abscheuliche Bestie zu verwandeln (Plut. de Sera num. vind. a. E.). ------------------------------------------------- Die Rechtsstellung der befreiten Gemeinden blieb im wesentlichen dieselbe wie unter der Republik. Soweit nicht roemische Buerger in Frage kamen, behielten sie die volle Justizhoheit; nur scheinen die allgemeinen Bestimmungen ueber die Appellationen an den Kaiser einerund die Senatsbehoerden andererseits auch die freien Staedte eingeschlossen zu haben ^15. Vor allem behielten sie die volle Selbstbestimmung und Selbstverwaltung. Athen zum Beispiel hat in der Kaiserzeit das Praegerecht geuebt, ohne je einen Kaiserkopf auf seine Muenzen zu setzen, und auch auf spartanischen Muenzen der ersten Kaiserzeit fehlt derselbe haeufig. In Athen blieb auch die alte Rechnung nach Drachmen und Obolen, nur dass freilich die oertliche attische Drachme dieser Zeit nichts als lokale Scheidemuenze war und dem Wert nach als Obol der attischen Reichsdrachme oder des roemischen Denars kursierte. Selbst die formale Ausuebung des Rechts ueber Krieg und Frieden war in einzelnen Vertraegen dergleichen Staaten gewahrt ^16. Zahlreiche der italischen Gemeindeordnung voellig widerstreitende Institutionen blieben bestehen, wie der jaehrliche Wechsel der Ratsmitglieder und die Tagegelder dieser und der Geschworenen, welche, wenigstens in Rhodos, noch in der Kaiserzeit gezahlt worden sind. Selbstverstaendlich uebte die roemische Regierung nichtsdestoweniger auf die Konstituierung auch der befreiten Gemeinden fortwaehrend einen massgebenden Einfluss. So ist zum Beispiel die athenische Verfassung, sei es am Ausgang der Republik, sei es durch Caesar oder Augustus, in der Weise modifiziert worden, dass nicht mehr jedem Buerger, sondern, wie nach roemischer Ordnung, nur bestimmten Beamten das Recht zustand, einen Antrag an die Buergerschaft zu bringen; und unter der grossen Zahl der bloss figurierenden Beamten wurde einem einzigen, dem Strategen, die Geschaeftsleitung in die Hand gelegt. Sicher sind auf diesem Wege noch mancherlei weitere Reformen durchgefuehrt worden, deren Eintreten in dem abhaengigen wie unabhaengigen Griechenland wir ueberall erkennen, ohne dass Zeit und Anlass der Reform sich bestimmen laesst. So ist das Recht oder vielmehr das Unrecht der Asyle, welche als Ueberreste einer rechtlosen Zeit jetzt fromme Schlupfwinkel fuer schlechte Schuldner und Verbrecher geworden waren, gewiss auch in dieser Provinz wenn nicht beseitigt, so doch eingeschraenkt worden. Das Institut der Proxenie, urspruenglich eine unseren auslaendischen Konsulaten vergleichbare zweckmaessige Einrichtung, aber durch die Verleihung voller buergerlicher Rechte und oft auch noch des Privilegiums der Steuerfreiheit an den befreundeten Auslaender, besonders bei der Ausdehnung, in der es gewaehrt ward, politisch bedenklich, ist durch die roemische Regierung, wie es scheint erst im Anfang der Kaiserzeit, beseitigt worden; wofuer dann nach italischer Weise das mit dem Steuerwesen sich nicht beruehrende inhaltlose Stadtpatronat an die Stelle trat. Endlich hat die roemische Regierung, als Inhaberin der obersten Souveraenitaet ueber diese abhaengigen Republiken ebenso wie ueber die Klientelfuersten, immer es als ihr Recht betrachtet und geuebt, die freie Verfassung im Fall des Missbrauchs aufzuheben und die Stadt in eigene Verwaltung zu nehmen. Indes teils der beschworene Vertrag, teils die Machtlosigkeit dieser nominell verbuendeten Staaten hat diesen Vertraegen eine groessere Stabilitaet gegeben, als sie in dem Verhaeltnis zu den Klientelfuersten wahrgenommen wird. ------------------------------------------------- ^15 Wenigstens wird in der Verordnung Hadrians ueber die den athenischen Grundbesitzern obliegenden Oellieferungen an die Gemeinde (CIA III, 18) die Entscheidung zwar der Bule und der Ekklesia gegeben, aber Appellation an den Kaiser oder den Prokonsul gestattet. ^16 Was Strabon (14, 3, 3, p. 665) von dem zu seiner Zeit autonomen Lykischen Staedtebund berichtet, dass ihm das Kriegsund Friedensund das Buendnisrecht fehle, ausser wenn die Roemer dasselbe gestatten oder es zu ihrem Nutzen geschieht, wird ohne weiteres auch auf Athen bezogen werden duerfen. ------------------------------------------------- Wenn den befreiten Gemeinden Achaias ihre bisherige Rechtsstellung unter dem Kaisertum blieb, so hat Augustus denen der Provinz, welchen die Freiheit nicht gewaehrt war oder ward, eine neue und bessere Rechtsstellung verliehen. Wie er in der reorganisierten Delphischen Amphiktyonie den Griechen Europas einen gemeinsamen Mittelpunkt gegeben hatte, gestattete er auch den saemtlichen Staedten der Provinz Achaia, soweit sie unter roemischer Verwaltung standen, sich als Gesamtverband zu konstituieren und jaehrlich in Argos, der bedeutendsten Stadt des unfreien Griechenlands, zur Landesversammlung zusammenzutreten ^17. Damit wurde der nach dem achaeischen Kriege aufgeloeste Achaeische Bund nicht bloss rekonstituiert, sondern ihm auch die frueher erwaehnte, erweiterte boeotische Vereinigung eingefuegt. Wahrscheinlich ist eben durch die Zusammenlegung dieser beiden Gebiete die Abgrenzung der Provinz Achaia herbeigefuehrt worden. Der neue Verband der Achaeer, Boeoter, Lokrer, Phokier, Dorer und Euboeer ^18 oder, wie er gewoehnlich gleich wie die Provinz bezeichnet wird, der Verband der Achaeer hat vermutlich weder mehr noch weniger Rechte gehabt, als die sonstigen Provinziallandtage des Kaiserreichs. Eine gewisse Kontrolle der roemischen Beamten wird dabei beabsichtigt gewesen und werden darum auch die dem Prokonsul nicht unterstellten Staedte, wie Athen und Sparta, von demselben ausgeschlossen worden sein. Daneben wird diese Tagsatzung, wie alle aehnlichen, hauptsaechlich in dem gemeinschaftlichen, das ganze Land umfassenden Kultus den Mittelpunkt ihrer Taetigkeit gefunden haben. Aber wenn in den uebrigen Provinzen dieser Landeskult ueberwiegend an Rom anknuepfte, so wurde der Landtag von Achaia vielmehr ein Brennpunkt des Hellenismus und sollte es vielleicht werden. Schon unter den julischen Kaisern betrachtete er sich als den rechten Vertreter der griechischen Nation und legte seinem Vorstand den Namen des Helladarchen bei, sich selbst sogar den der Panhellenen ^19. Die Versammlung entfernte sich also von ihrer provinzialen Grundlage, und ihre bescheidenen administrativen Befugnisse traten in den Hintergrund. ------------------------------------------------ ^17 Allerdings sind die bis jetzt bekannten Vorsteher des koinon t/o/n Achai/o/n, deren Heimat feststeht, aus Argos, Messene, Korone in Messenien (Lebas-Foucart II, S. 305) und haben sich darunter bisher nicht bloss keine Buerger der befreiten Gemeinden, wie Athen und Sparta, sondern auch keine der zu der Konfoederation der Boeoter und Genossen gehoerigen (Anm. 8) gefunden. Vielleicht beschraenkte sich dies koinon rechtlich auf das Gebiet, das die Roemer die Republik Achaia nannten, das heisst das des Achaeischen Bundes bei seinem Untergang, und sind die Boeoter und Genossen mit dem eigentlichen koinon der Achaeer zu demjenigen weiteren Bunde vereinigt, dessen Vorhandensein und Tagen in Argos die Inschriften von Akraephia (Anm. 18) dokumentieren. Uebrigens bestand neben diesem koinon der Achaeer noch ein engeres der Landschaft Achaia im eigentlichen Sinn, dessen Vertreter in Aegion zusammentraten (Paus. 7, 24, 4), eben wie das koinon t/o/n Arkad/o/n (Archaeologische Zeitung 37, 1879, S. 139, n. 274) und zahlreiche andere. Wenn nach Paus. 5, 12, 6 in Olympia dem Traian oi pantes Ell/e/nes, dem Hadrian ai es to Achaikon telo?sai Bildsaeulen gesetzt hatten und hier kein Missverstaendnis untergelaufen ist, so wird die letztere Dedikation auf dem Landtag von Aegion stattgefunden haben. ^18 So (nur dass die Dorer fehlen; vgl. Anm. 8) heisst der Verein auf der Inschrift von Akraephia (Keil, Sylloge Inscriptionum Boeoticarum, n. 31). Eben diese Urkunde aber nebst der gleichzeitigen CIG 1625 liefert den Beweis, dass der Verein unter Kaiser Gaius statt dieser wohl eigentlich offiziellen Benennung sich auch einerseits als Verein der Achaeer bezeichnet, andererseits als to koinon t/o/n Panell/e/n/o/n oder /e/ s?nodos t/o/n Ell/e/n/o/n, auch to t/o/n Achai/o/n kai Panell/e/n/o/n synedrion. Diese Ruhmredigkeit tritt anderswo nicht so grell hervor wie in jenem boeotischen Landstaedtchen; aber auch in Olympia, wo der Verein seine Denkmaeler vorzugsweise aufstellte nennt er sich zwar meistens to koinon t/o/n Achai/o/n, aber zeigt oft genug dieselbe Tendenz, zum Beispiel wenn to koinon t/o/n Achai/o/n P. Ailio Aristona ... synpantes oi Ell/e/nes anestesan (Archaeologische Zeitung 38, 1880, S. 86, n. 344). Ebenso setzen in Sparta dem Caesar Marcus oi Ell/e/nes eine Bildsaeule apo to? koino? t/o/n Achai/o/n (CIG 1318). ^19 Auch in Asia, Bithynien, Niedermoesien heisst der Vorsteher der der betreffenden Provinz angehoerigen Griechenstaedte Elladarch/e/s, ohne dass damit mehr aus gedrueckt wuerde als der Gegensatz gegen die Nichtgriechen. Aber wie der Hellenenname in Griechenland verwendet wird, in einem gewissen Gegensatz zu dem eigentlich korrekten der Achaeer, ist dies sicher von derselben Tendenz eingegeben die in den Panhellenea von Argos am deutlichsten sich zeichnete. So findet sich strat/e/gos to? koino? t/o/n Achai/o/n kai prostat/e/s dia bioy t/o/n Ell/e/n/o/n (Archaeologische Zeitung 35, 1877, S. 192, n. 98) oder auf einem anderen Dokument desselben prostat/e/s dia bioy t/o/n Ell/e/n/o/n to? koino? t/o/n Achai/o/n Mannes prostat/e/s dia bioy to? koino? t/o/n Achai/o/n (Lebas-Foucart, n. 305); ein (Archaeologische Zeitung 35, 1877, S. 195, n. 106), strat/e/gos asynkrit/o/s arxas t/e/s Ellados (das. S. 40, n. 42), strat/e/gos kai Elladarch/e/s (das. 34, 1876, S. 8, S. 226), alle ebenfalls auf Inschriften des koinon t/o/n Achai/o/n. Dass in diesem, mag es auch vielleicht bloss auf den Peloponnes bezogen werden (Anm. 17), die panhellenische Tendenz darum nicht weniger sich geltend machte, ist begreiflich. ------------------------------------------------ Diese Panhellenen nannten sich missbraeuchlich also und wurden von der Regierung nur toleriert. Aber Hadrian schuf wie ein neues Athen, so auch ein neues Hellas. Unter ihm durften die Vertreter der saemtlichen autonomen oder nicht autonomen Staedte der Provinz Achaia in Athen sich als das vereinigte Griechenland, als die Panhellenen ^20 konstituieren. Die in besseren Zeiten oft getraeumte und nie erreichte nationale Einigung war damit geschaffen, und was die Jugend gewuenscht, das besass das Alter in kaiserlicher Fuelle. Freilich, politische Befugnisse erhielt das neue Panhellenion nicht; aber was Kaisergunst und Kaisergold gewaehren konnte, daran war kein Mangel. Es erhob sich in Athen der Tempel des neuen Zeus Panhellenios, und glaenzende Volksfeste und Spiele wurden mit dieser Stiftung verbunden, deren Ausrichtung dem Kollegium der Panhellenen zustand, und zwar zunaechst dem Priester des Hadrian als des stiftenden lebendigen Gottes. Einen der Akte, welche dieselben alljaehrlich begingen, war das dem Zeus-Befreier dargebrachte Opfer in Plataeae zum Gedaechtnis der hier im Kampf gegen die Perser gefallenen Hellenen am Jahrestag der Schlacht, dem 4. Boedromion; dies zeichnet seine Tendenz ^21. Noch deutlicher zeigt dieselbe sich darin, dass Griechenstaedten ausserhalb Hellas’, welche der nationalen Gemeinschaft wuerdig erschienen, von der Versammlung in Athen ideale Buergerbriefe des Hellenismus ausgestellt wurden ^22. --------------------------------------- ^20 Die hadrianischen Panhellenen nennen sich to koinon synedrion t/o/n Ell/e/n/o/n t/o/n eis Plat/e/as syniont/o/n (Theben: Keil, Sylloge lnscriptionum Boeoticarum, n. 31, vgl. Plut. Arist. 19 u. 21), koinon t/e/s Ellados (CIG 5852), to /o/n (ebenda). Ihr Vorsteher heisst o arch/o/n t/o/n Panell/e/n/o/n (CIA III, 681, 682; CIG 3832, vgl. CIA III, 10: a[nt[arch/o/n to? ier/o/tatoy a[g/o/nos to? P]an[el]l/e/nioy), der einzelne Deputierte Panell/e/n (z. B. CIA III, 534; CIG 1124). Daneben treten auch in nachhadrianischer Zeit noch das koinon t/o/n Achai/o/n und dessen strat/e/gos oder Elladarch/e/s auf, welche wohl von jenen zu scheiden sein werden, obwohl letzterer seine Ehrendekrete jetzt nicht bloss in Olympia aufstellt, sondern auch in Athen (CIA 18; zweites Exemplar in Olympia, Archaeologische Zeitung 37, 1879, S. 52). ^21 Dass die Bemerkung Dions von Prusa (or. 38, p. 148 R.) ueber den Streit der Athener und der Lakedaemonier yper t/e/s propompeias sich auf das Fest in Plataeae bezieht, ergibt sich aus (Lucian) Er/o/tes 18: /o/s peri propompeias ag/o/nio?menoi Plataiasin. Auch der Sophist Irenaeos schrieb (Suidas u. d. W.) und Hermogenes (id. II p. 373 Walz) gibt als Redestoff Ay/e/naioi kai Lakedaimonioi peri t/e/s propompeias kata ta M/e/dika (Mitteilung von Wilamowitz). ^22 Es haben sich zwei derselben erhalten, fuer Kibyra in Phrygien (CIG 5882), ausgestellt vom koinon t/e/s Ellados durch ein dogma to? Panell/e/nioy und fuer Magnesia am Maeandros (CIA III, 16). In beiden wird die gut hellenische Abstammung der betreffenden Koerperschaften nebst den sonstigen Verdiensten um die Hellenen hervorgehoben. Charakteristisch sind auch die Empfehlungsbriefe, welche diese Panhellenen einem um ihr Gemeinwesen wohlverdienten Mann an seine Heimatgemeinde Aezani in Phrygien, an den Kaiser Pius und an die Hellenen in Asia insgemein mitgeben (CIG 3832, 3833, 3834). --------------------------------------- Wenn die Kaiserherrschaft in dem ganzen weiten Reich die Verwuestungen eines zwanzigjaehrigen Buergerkrieges vorfand und vielerorts die Folgen desselben niemals voellig verwunden wurden, so ist wohl kein Gebiet davon so schwer betroffen worden wie die griechische Halbinsel. Das Schicksal hatte es so gefuegt, dass die drei grossen Entscheidungsschlachten dieser Epoche, Pharsalos, Philippi, Aktion auf ihrem Boden oder an ihrer Kueste geschlagen wurden; und die militaerischen Operationen, welche bei beiden Parteien dieselben einleiteten, hatten ihre Opfer von Menschenleben und Menschenglueck hier vor allem gefordert. Noch dem Plutarch erzaehlte sein Aeltervater, wie die Offiziere des Antonius die Buerger von Chaeroneia gezwungen haetten, da sie Sklaven und Lasttiere nicht mehr besassen, ihr letztes Getreide auf den eigenen Schultern nach dem naechsten Hafenort zu schleppen zur Verschiffung fuer das Heer; und wie dann, als eben der zweite Transport abgehen sollte, die Nachricht von der Actischen Schlacht wie eine erloesende Freudenbotschaft eingetroffen sei. Das erste, was nach diesem Siege Caesar tat, war die Verteilung der in seine Gewalt geratenen feindlichen Getreidevorraete unter die hungernde Bevoelkerung Griechenlands. Dieses schwerste Mass des Leidens traf auf vorzugsweise schwache Widerstandskraft. Schon mehr als ein Jahrhundert vor der Actischen Schlacht hatte Polybios ausgesprochen, dass ueber ganz Griechenland in seiner Zeit Unfruchtbarkeit der Ehen und Einschwinden der Bevoelkerung gekommen sei, ohne dass Seuchen oder schwere Kriege das Land betroffen haetten. Nun hatten diese Geisseln in furchtbarer Weise sich eingestellt; und Griechenland blieb veroedet fuer alle Folgezeit. Im ganzen Roemerreich, meint Plutarch, sei infolge der verwuestenden Kriege die Bevoelkerung zurueckgegangen, am meisten aber in Griechenland, das jetzt nicht imstande sei, aus den besseren Kreisen der Buergerschaften die 3000 Hopliten zu stellen, mit denen einst die kleinste der griechischen Landschaften, Megara, bei Plataeae gestritten hatte ^23. Caesar und Augustus haben versucht, dieser auch fuer die Regierung erschreckenden Entvoelkerung durch Entsendung italischer Kolonisten aufzuhelfen, und in der Tat sind die beiden bluehendsten Staedte Griechenlands eben diese Kolonien; die spaeteren Regierungen haben solche Entsendungen nicht wiederholt. Zu der anmutigen euboeischen Bauernidylle des Dion von Prusa bildet den Hintergrund eine entvoelkerte Stadt, in der zahlreiche Haeuser leer stehen, die Herden am Rathaus und am Stadtarchiv weiden, zwei Drittel des Gebiets aus Mangel an Haenden unbestellt liegen; und wenn dies der Erzaehler als Selbsterlebtes berichtet, so schildert er damit sicher zutreffend die Zustaende zahlreicher kleiner griechischer Landstaedte in der Zeit Traians. "Theben in Boeotien", sagt Strabon in der augustischen Zeit, "ist jetzt kaum noch ein stattliches Dorf zu nennen, und mit Ausnahme von Tanagra und Thespiae gilt dasselbe von saemtlichen boeotischen Staedten." Aber nicht bloss der Zahl nach schwanden die Menschen zusammen, auch der Schlag verkam. Schoene Frauen gibt es wohl noch, sagt einer der feinsten Beobachter um das Ende des ersten Jahrhunderts, aber schoene Maenner sieht man nicht mehr; die olympischen Sieger der neueren Zeit erscheinen, verglichen mit den aelteren, niedrig und gemein, zum Teil freilich durch die Schuld der Kuenstler, aber hauptsaechlich, weil sie eben sind, wie sie sind. Die koerperliche Ausbildung der Jugend ist in diesem gelobten Lande der Epheben und Athleten in einer Ausdehnung gefoerdert worden, als ob es der Zweck der Gemeindeverfassung sei, die Knaben zu Turnern und die Maenner zu Boxern zu erziehen; aber wenn keine Provinz so viele Ringkuenstler besass, so stellte auch keine so wenig Soldaten zur Reichsarmee. Selbst aus dem athenischen Jugendunterricht, der in aelterer Zeit das Speerwerfen, das Bogenschiessen, die Geschuetzbedienung, das Ausmarschieren und das Lagerschlagen einschloss, verschwindet jetzt dieses Soldatenspiel der Knaben. Die griechischen Staedte des Reiches werden ueberhaupt bei der Aushebung so gut wie gar nicht beruecksichtigt, sei es, weil diese Rekruten physisch untauglich erschienen, sei es, weil dieses Element im Heere bedenklich erschien; es war ein kaiserlicher Launscherz, dass der karikierte Alexander, Severus Antoninus, die roemische Armee fuer den Kampf gegen die Perser durch einige Lochen Spartiaten verstaerkte ^24. Was fuer die innere Ordnung und Sicherheit ueberhaupt geschah, muss von den einzelnen Gemeinden ausgegangen sein, da roemische Truppen in der Provinz nicht standen; Athen zum Beispiel unterhielt Besatzung auf der Insel Delos, und wahrscheinlich lag eine Milizabteilung auch auf der Burg ^25. In den Krisen des dritten Jahrhunderts haben der Landsturm von Elateia und derjenige von Athen die Kostoboker und die Goten tapfer zurueckgeschlagen und in wuerdigerer Weise, als die Enkel der Kaempfer von Thermopylae in Caracallas Perserkrieg, haben in dem gotischen die Enkel der Marathonsieger ihren Namen zum letzten Mal in die Annalen der alten Geschichte eingezeichnet. Aber wenn auch dergleichen Vorgaenge davon abhalten muessen, die Griechen dieser Epoche schlechtweg zu dem verkommenen Gesindel zu werfen, so hat das Sinken der Bevoelkerung an Zahl wie an Kraft auch in der besseren Kaiserzeit stetig angehalten, bis dann seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts die diese Landschaften ebenfalls schwer heimsuchenden Seuchen, die namentlich die Ostkueste treffenden Einfaelle der Landund Seepiraten, endlich das Zusammenbrechen der Reichsgewalt in der gallienischen Zeit das chronische Leiden zur akuten Katastrophe steigerten. ---------------------------------------- ^23 Ohne Zweifel will Plutarch mit diesen Worten (de defectu orac. 8) nicht sagen, dass Griechenland ueberhaupt nicht 3000 Waffenfaehige zu stellen vermoege, sondern dass, wenn Buergerheere nach alter Art gebildet wuerden, man nicht imstande sein wuerde, 3000 "Hopliten" aufzustellen. In diesem Sinn mag die Aeusserung wohl soweit richtig sein, als dies bei dergleichen allgemeinen Klagen ueberhaupt erwartet werden kann. Die Zahl der Gemeinden der Provinz belaeuft sich ungefaehr auf hundert. ^24 Davon erzaehlt Herodian (4, 8, 3; c. 9, 4) und wir haben die Inschriften zweier dieser Spartiaten, des Nikokles strateymenos dis kata Pers/o/n (CIG 1253) und des Dioskoras apelth/o/n eis t/e/n eytychestat/e/n symmachian (= expeditio) t/e/n kata Pers/o/n (CIG 1495). ^25 Das phro?rion (CIA III, 826) kann nicht wohl anders verstanden werden. ---------------------------------------- In ergreifender Weise tritt das Sinken von Hellas und treten die Stimmungen, die dasselbe bei den Besten hervorrief, uns entgegen in der Ansprache, die einer von diesen, der Bithyner Dion, um die Zeit Vespasians an die Rhodier richtete. Diese galten, nicht mit Unrecht, als die trefflichsten unter den Hellenen. In keiner Stadt war besser fuer die niedere Bevoelkerung gesorgt und trug diese Fuersorge mehr den Stempel nicht des Almosens, sondern des Arbeitgebens. Als nach dem grossen Buergerkriege Augustus im Orient alle Privatschulden klaglos machte, wiesen allein die Rhodier die bedenkliche Verguenstigung zurueck. War auch die grosse Epoche des rhodischen Handels vorueber, so gab es dort immer noch zahlreiche bluehende Geschaefte und vermoegende Haeuser ^26. Aber viele Missstaende waren auch hier eingerissen, und deren Abstellung fordert der Philosoph, nicht so sehr, wie er sagt, um der Rhodier willen, als um der Hellenen insgemein. "Einst ruhte die Ehre von Hellas auf vielen und viele mehrten seinen Ruhm, ihr, die Athener, die Lakedaemonier, Theben, eine Zeitlang Korinth, in ferner Zeit Argos. Nun aber ist es mit den anderen nichts; denn einige sind gaenzlich heruntergekommen und zerstoert, andere fuehren sich, wie ihr wisst, und sind entehrt und ihres alten Ruhmes Zerstoerer. Ihr seid uebrig; ihr allein seid noch etwas und werdet nicht voellig verachtet; denn wie es jene treiben, waeren laengst alle Hellehen tiefer gesunken als die Phryger und die Thraker. Wie wenn ein grosses und reiches Geschlecht auf zwei Augen steht und was dieser letzte des Hauses suendigt, alle Vorfahren mit entehrt, so stehet ihr in Hellas. Glaubt nicht die ersten der Hellehen zu sein; ihr seid die einzigen. Sieht man auf jene erbaermlichen Schandbuben, so werden selbst die grossen Geschicke der Vergangenheit unbegreiflich: die Steine und die Staedtetruemmer zeigen deutlicher den Stolz und die Groesse von Hellas als diese nicht einmal mysischer Ahnen wuerdigen Nachfahren; und besser als den von diesen bewohnten ist es den Staedten ergangen, welche in Truemmern liegen, denn deren Andenken bleibt in Ehren und ihr wohlerworbener Ruhm unbefleckt - besser die Leiche verbrennen, als sie faulend liegen lassen." ----------------------------------------------- ^26 "An Mitteln", sagt Diodor. 31, p. 566), "fehlt es euch nicht, und Tausende und aber Tausende gibt es hier, denen es nuetzlich waere, minder reich zu sein"; und weiterhin (p. 620): "ihr seid reich, wie sonst niemand in Hellas. Mehr als ihr besassen eure Vorfahren auch nicht. Die Insel ist nicht schlechter geworden; ihr zieht die Nutzung von Karien und einem Teil Lykiens; eine Anzahl Staedte sind euch steuerpflichtig; stets empfaengt die Stadt reiche Gaben von zahlreichen Buergern." Er fuehrt weiter aus, dass neue Ausgaben nicht hinzugetreten, wohl aber die frueheren fuer Heer und Flaue fast weggefallen seien; nur ein oder zwei kleine Schiffe haetten sie jaehrlich nach Korinth (zur roemischen Flotte also) zu stellen. ----------------------------------------------- Man wird diesem hohen Sinn eines Gelehrten, welcher die kleine Gegenwart an der grossen Vergangenheit mass und, wie dies nicht ausbleiben kann, jene mit widerwilligen Augen, diese in der Verklaerung des Dagewesenseins anschaute, nicht zu nahe treten mit dem Hinweis darauf, dass die alte gute hellenische Sitte damals und noch lange nachher denn doch nicht bloss in Rhodos zu finden, vielmehr in vieler Hinsicht noch allerorts Lebendig war. Die innerliche Selbstaendigkeit, das wohlberechtigte Selbstgefuehl der immer noch an der Spitze der Zivilisation stehenden Nation ist bei aller Schmiegsamkeit des Untertanenund aller Demut des Parasitenrums den Hellenen auch dieser Zeit nicht abhanden gekommen. Die Roemer entlehnen die Goetter von den alten Hellenen und die Verwaltungsform von den Alexandrinern; sie suchen sich der griechischen Sprache zu bemaechtigen und die eigene in Mass und Stil zu hellenisieren. Die Hellenen auch der Kaiserzeit tun nicht das gleiche; die nationalen Gottheiten Italiens, wie Silvanus und die Laren, werden in Griechenland nicht verehrt und keiner griechischen Stadtgemeinde ist es je in den Sinn gekommen, die von ihrem Polybios als die beste gefeierte politische Ordnung bei sich einzufuehren. Insofern die Kenntnis des Lateinischen fuer die hoehere wie die niedere Aemterlaufbahn bedingend war, haben die Griechen, die diese betraten, sich dieselbe angeeignet; denn wenn es auch praktisch nur dem Kaiser Claudius einfiel, den Griechen, die kein Lateinisch verstanden, das roemische Buergerrecht zu entziehen, so war allerdings die wirkliche Ausuebung der mit diesem verknuepften Rechte und Pflichten nur dem moeglich, der der Reichssprache maechtig war. Aber von dem oeffentlichen Leben abgesehen, ist nie in Griechen land so lateinisch gelernt worden wie in Rom griechisch; Plutarchos, der schriftstellerisch die beiden Reichshaelften gleichsam vermaehlte und dessen Parallelbiographien roemischer und griechischer beruehmter Maenner, vor allem durch diese Nebeneinanderstellung, sich empfahlen und wirkten, verstand nicht sehr viel mehr lateinisch als Diderot russisch, und beherrschte wenigstens, wie er selbst sagt, die Sprache nicht; die des Lateinischen wirklich maechtigen griechischen Literaten waren entweder Beamte, wie Appianus und Cassius Dion, oder Neutrale, wie Koenig Juba. In der Tat war Griechenland in sich selbst weit weniger veraendert als in seiner aeusseren Stellung. Das Regiment von Athen war recht schlecht, aber auch in der Zeit von Athens Groesse war es gar nicht musterhaft gewesen. "Es ist", sagt Plutarchos, "derselbe Volksschlag, dieselben Unruhen, der Ernst und der Scherz, die Anmut und die Bosheit wie bei den Vorfahren." Auch diese Epoche weist in dem Leben des griechischen Volkes noch einzelne Zuege auf, die seines zivilisatorischen Prinzipats wuerdig sind. Die Fechterspiele, die von Italien aus sich ueberall hin, namentlich auch nach Kleinasien und Syrien verbreiteten, haben am spaetesten von allen Landschaften in Griechenland Eingang gefunden; laengere Zeit beschraenkten sie sich auf das halb italische Korinth, und als die Athener, um hinter diesen nicht zurueckzustehen, sie auch bei sich einfuehrten, ohne auf die Stimme eines ihrer Besten zu hoeren, der sie fragte, ob sie nicht zuvor dem Gotte des Erbarmens einen Altar setzen moechten, da wandten manche der Edelsten unwillig sich weg von der sich selber entehrenden Vaterstadt. In keinem Lande der antiken Welt sind die Sklaven mit solcher Humanitaet behandelt worden wie in Hellas; nicht das Recht, aber die Sitte verbot dem Griechen, seine Sklaven an einen nicht griechischen Herrn zu verkaufen und verbannte somit aus dieser Landschaft den eigentlichen Sklavenhandel. Nur hier finden wir in der Kaiserzeit bei den Buergerschmaeusen und den Oelspenden an die Buergerschaft auch die unfreien Leute mit bedachte ^27. Nur hier konnte ein unfreier Mann, wie Epiktetos unter Traian, in seiner mehr als bescheidenen aeusseren Existenz in dem epirotischen Nikopolis mit angesehenen Maennern senatorischen Standes in der Weise verkehren wie Sokrates mit Kritias und Alkibiades, so dass sie seiner muendlichen Belehrung wie Schueler dem Meister lauschten und die Gespraeche aufzeichneten und veroeffentlichten. Die Milderungen der Sklaverei durch das Kaiserrecht gehen wesentlich zurueck auf den Einfluss der griechischen Anschauungen, zum Beispiel bei Kaiser Marcus, der zu jenem nikopolitanischen Sklaven wie zu seinem Meister und Muster emporsah. Unuebertrefflich schildert der Verfasser eines unter den lukianischen erhaltenen Dialogs das Verhalten des feinen athenischen Stadtbuergers in seinen engen Verhaeltnissen gegenueber dem vornehmen und reichen, reisenden Publikum zweifelhafter Bildung oder auch unzweifelhafter Rohen: wie man es dem reichen Auslaender abgewoehnt, im oeffentlichen Bade mit einem Heer von Bedienten aufzuziehen, als ob er seines Lebens in Athen nicht ohnehin sicher und nicht Frieden im Lande sei, wie man es ihm abgewoehnt, auf der Strasse mit dem Purpurgewand sich zu zeigen, indem die Leute sich freundlich erkundigen, ob es nicht das seiner Mama sei. Er zieht die Parallele zwischen roemischer und athenischer Existenz: dort die beschwerlichen Gastereien und die noch beschwerlicheren Bordelle, die unbequeme Bequemlichkeit der Bedientenschwaerme und des haeuslichen Luxus, die Laestigkeiten der Liederlichkeit, die Qualen des Ehrgeizes, all das Uebermass, die Vielfaeltigkeit, die Unruhe des hauptstaedtischen Treibens; hier die Anmut der Armut, die freie Rede im Freundeskreis, die Muse fuer geistigen Genuss, die Moeglichkeit des Lebensfriedens und der Lebensfreude - "wie konntest du", fragt ein Grieche in Rom den andern, "das Licht der Sonne, Hellas und sein Glueck und seine Freiheit, um dieses Gedraenges willen verlassen?" In diesem Grundakkord begegnen sich alle feiner und reiner organisierten Naturen dieser Epoche; eben die besten Hellenen mochten nicht mit den Roemern tauschen. Kaum gibt es etwas gleich Erfreuliches in der Literatur der Kaiserzeit wie Dions schon erwaehnte euboeische Idylle: sie schildert die Existenz zweier Jaegerfamilien im einsamen Walde, deren Vermoegen acht Ziegen sind, eine Kuh ohne Horn und ein schoenes Kalb, vier Sicheln und drei Jagdspeere, welche weder von Geld noch von Steuern etwas wissen, und die dann, vor die tobende Buergerversammlung der Stadt gestellt, von dieser schliesslich unbehelligt entlassen werden zum Freuen und zum Freien. Die reale Durchfuehrung dieser poetisch verklaerten Lebensauffassung ist Plutarchos von Chaeroneia, einer der anmutigsten und belesensten und nicht minder einer der wirksamsten Schriftsteller des Altertums. Einer vermoegenden Familie jener kleinen boeotischen Landstadt entsprossen und erst daheim, dann in Athen und in Alexandreia in die volle hellenische Bildung eingefuehrt, auch durch seine Studien und vielfaeltige persoenliche Beziehungen sowie durch Reisen in Italien mit roemischen Verhaeltnissen wohlvertraut, verschmaehte er es, nach der ueblichen Weise der begabten Griechen in den Staatsdienst zu treten oder die Professorenlaufbahn einzuschlagen; er blieb seiner Heimat treu, mit der trefflichen Frau und den Kindern und mit den Freunden und Freundinnen des haeuslichen Lebens im schoensten Sinne des Wortes geniessend, sich bescheidend mit den Aemtern und Ehren, die sein Boeotien ihm zu bieten vermochte, und mit dem maessigen angeerbten Vermoegen. In diesem Chaeroneer drueckt der Gegensatz der Hellenen und der Hellenisierten sich aus; ein solches Griechentum war weder in Smyrna moeglich noch in Antiocheia; es gehoerte zum Boden wie der Honig vom Hymettos. Es gibt genug maechtigere Talente und tiefere Naturen, aber schwerlich einen zweiten Schriftsteller, der mit so gluecklichem Mass sich in das Notwendige mit Heiterkeit zu finden und so wie er den Stempel seines Seelenfriedens und seines Lebensglueckes seinen Schriften aufzupraegen gewusst hat. ---------------------------------------- ^27 Bei den Volksfesten, die in Tiberius’ Zeit ein reicher Mann in Akraephia in Boeotien ausrichtete, lud er die erwachsenen Sklaven, seine Gattin die Sklavinnen mit den Freien zu Gaste (CIG 1625). In einer Stiftung zur Verteilung von Oel in der Turnanstalt (gymnasion) von Gytheion in Lakonien wird festgesetzt, dass an sechs Tagen im Jahr auch die Sklaven daran Anteil haben sollen (Lebas-Foucart, n. 243 a). Aehnliche Spenden begegnen in Argos (CIG 1122, 1123). ---------------------------------------- Die Selbstbeherrschung des Hellenismus kann auf dem Boden des oeffentlichen Lebens sich nicht in der Reinheit und Schoenheit offenbaren wie in der stillen Heimstatt, nach der die Geschichte und sie nach der Geschichte gluecklicherweise nicht fragt. Wenden wir uns den oeffentlichen Verhaeltnissen zu, so ist mehr vom Missregiment als vom Regiment zu berichten, sowohl der roemischen Regierung wie der griechischen Autonomie. An gutem Willen fehlte es dort insofern nicht, als der roemische Philhellenismus die Kaiserzeit noch viel entschiedener beherrscht als die republikanische. Er aeussert sich ueberall im Grossen wie im Kleinen, in der Fortfuehrung der Hellenisierung der oestlichen Provinzen und der Anerkennung der doppelten offiziellen Reichssprache wie in den hoeflichen Formen, in welchen die Regierung auch mit der kleinsten griechischen Gemeinde verkehrt und ihre Beamten zu verkehren anhaelt ^28. Auch haben es die Kaiser an Gaben und Bauten zu Gunsten dieser Provinz nicht fehlen lassen; und wenn auch das meiste der Art nach Athen kam, so baute doch Hadrian eine grosse Wasserleitung zum Besten von Korinth, Plus die Heilanstalt von Epidauros. Aber die ruecksichtsvolle Behandlung der Griechen insgemein und die besondere Huld, welche dem eigentlichen Hellas von der kaiserlichen Regierung zuteil wurde, weil es in gewissem Sinn gleich wie Italien als Mutterland galt, sind weder dem Regiment noch der Landschaft recht zum Vorteil ausgeschlagen. Der jaehrliche Wechsel der Oberbeamten und die schlaffe Kontrolle der Zentralstelle liessen alle senatorischen Provinzen, soweit das Statthalterregiment reichte, mehr den Druck als den Segen einheitlicher Verwaltung empfinden, und diese doppelt bei ihrer Kleinheit und ihrer Armut. Noch unter Augustus selbst machten diese Missstaende sich in dem Grade geltend, dass es eine der ersten Regierungshandlungen seines Nachfolgers war, sowohl Griechenland wie Makedonien in eigene Verwaltung zu nehmen ^29, wie es hiess vorlaeufig, in der Tat auf die ganze Dauer seiner Regierung. Es war sehr konstitutionell, aber vielleicht nicht ebenso weise, dass Kaiser Claudius, als er zur Gewalt gelangte, die alte Ordnung wiederherstellte. Seitdem hat es dann bei dieser sein Bewenden gehabt und ist Achaia nicht von ernannten, sondern von erlosten Beamten verwaltet worden, bis diese Verwaltungsform ueberhaupt abkam. ------------------------------------------ ^28 Auf eine der unzaehligen Beschwerden, mit welchen die kleinasiatischen Staedte wegen ihrer Titelund Rangstreitigkeiten die Regierung belaestigten, antwortete Pius den Ephesiern (W. H. Waddington, Aristide, S. 51), erhoere gern, dass die Pergamener ihnen die neue Titulatur gegeben haetten; die Smyrnaeer haetten es wohl nur zufaellig unterlassen und wuerden sicher in Zukunft gutwillig das Richtige tun, wenn auch sie, die Ephesier, ihnen ihre rechten Titel beilegen wuerden. Einer kleinen lykischen Stadt, welche um Bestaetigung eines von ihr gefassten Beschlusses bei dem Prokonsul einkommt, erwidert dieser (O. Benndorf, Reisen in Lykien und Karien. Wien 1884, Bd. 1, S. 71), treffliche Anordnungen verlangten nur Lob, keine Bestaetigung; diese liege in der Sache. Die Rhetorenschulen dieser Epoche liefern auch die Konzipienten fuer die kaiserliche Kanzlei; aber dies tut es nicht allein. Es gehoert zum Wesen des Prinzipals, das Untertanverhaeltnis nicht aeusserlich zu akzentuieren, und namentlich nicht gegen Griechen. ^29 Eine formale Aenderung der Steuerordnung folgt an sich aus diesem Wechsel nicht und ist auch bei Tacitus (ann. 1, 76) nicht angedeutet; wenn die Einrichtung getroffen wird, weil die Provinzialen ueber Steuerdruck klagen (onera deprecantes), so konnten bessere Statthalter durch zweckmaessige Repartierung, eventuell durch Erwirkung von Remission, den Provinzen aufhelfen. Dass die Befoerderung der Reichspost besonders in dieser Provinz als drueckende Last empfunden ward, zeigt das Edikt des Claudius aus Tegea (Eph. epigr. V, p. 69). ------------------------------------------ Aber bei weitem uebler noch stand es um die von dem Statthalterregiment eximierten Gemeinden Griechenlands. Die Absicht, diese Gemeinwesen zu beguenstigen, durch die Befreiung von Tribut und Aushebung wie nicht minder durch die moeglichst geringe Beschraenkung der Rechte des souveraenen Staates, hat, wenigstens in vielen Faellen, zu dem Gegenteil gefuehrt. Die innere Unwahrheit der Institutionen raechte sich. Zwar bei den weniger bevorrechteten oder besser verwalteten Gemeinden mag die kommunale Autonomie ihren Zweck erfuellt haben; wenigstens vernehmen wir nicht, dass es mit Sparta, Korinth, Patrae besonders uebel bestellt gewesen sei. Aber Athen war nicht geschaffen, sich selbst zu verwalten, und bietet das abschreckende Bild eines von der Obergewalt verhaetschelten und finanziell wie sittlich verkommenen Gemeinwesens. Von Rechts wegen haette dasselbe in bluehendem Zustande sich befinden muessen. Wenn es den Athenern misslang, die Nation unter ihrer Hegemonie zu vereinigen, so ist diese Stadt doch die einzige Griechenlands wie Italiens gewesen, welche die landschaftliche Einigung vollstaendig durchgefuehrt hat; ein eigenes Gebiet, wie es die Attike ist, von etwa 40 Quadratmeilen, der doppelten Groesse der Insel Ruegen, hat keine Stadt des Altertums sonst besessen. Aber auch ausserhalb Attikas blieb ihnen, was sie besassen, sowohl nach dem Mithradatischen Kriege durch Sullas Gnade wie nach der Pharsalischen Schlacht, in der sie auf Seiten des Pompeius gestanden hatten, durch die Gnade Caesars - er fragte sie nur, wie oft sie noch sich selber zugrunde richten und dann durch den Ruhm ihrer Vorfahren retten lassen wollten. Der Stadt gehoerte immer noch nicht bloss das ehemals haliartische Gebiet in Boeotien, sondern auch an ihrer eigenen Kueste Salamis, der alte Ausgangspunkt ihrer Seeherrschaft, im Thrakischen Meer die eintraeglichen Inseln Skyros, Lemnos und Imbros sowie im Aegaeischen Delos; freilich war diese Insel seit dem Ende der Republik nicht mehr das zentrale Emporium des Handels mit dem Osten, nachdem der Verkehr sich von da weg nach den Haefen der italischen Westkueste gezogen hatte, und es war dies fuer die Athener ein unersetzlicher Verlust. Von den weiteren Verleihungen, die sie Antonius abzuschmeicheln gewusst hatten, nahm ihnen Augustas, gegen den sie Partei ergriffen hatten, allerdings Aegina und Eretria auf Euboea, aber die kleineren Inseln des Thrakischen Meeres, Ikos, Peparethos, Skiathos, ferner Keos vor der Sunischen Landspitze durften sie behalten; und Hadrian gab ihnen weiter den besten Teil der grossen Insel Kephallenia im Ionischen Meer. Erst durch den Kaiser Severus, der ihnen nicht wohlwollte, wurde ihnen ein Teil dieser auswaertigen Besitzungen entzogen. Hadrian gewaehrte ferner den Athenern die Lieferung eines gewissen Quantums von Getreide auf Kosten des Reiches und erkannte durch die Erstreckung dieses, bisher der Reichshauptstadt vorbehaltenen Privilegiums Athen gleichsam an als eine der Reichsmetropolen. Nicht minder wurde das segensreiche Institut der Alimentarstiftungen, dessen Italien sich seit Traian erfreute, von Hadrian auf Athen ausgedehnt und das dazu erforderliche Kapital sicher aus seiner Schatulle den Athenern geschenkt. Eine Wasserleitung, die er ebenfalls seinem Athen widmete, wurde erst nach seinem Tode von Pius vollendet. Dazu kam der Zusammenfluss der Reisenden und der Studierenden und die in immer steigender Zahl von den roemischen Grossen und den auswaertigen Fuersten der Stadt verliehenen Stiftungen. Dennoch war die Gemeinde in stetiger Bedraengnis. Mit dem Buergerrecht wurde nicht bloss das ueberall uebliche Geschaeft auf Nehmen und Geben, sondern foermlich und offenkundig Schacher getrieben, so dass Augustas mit einem Verbot dagegen einschritt. Einmal ueber das andere beschloss der Rat von Athen, diese oder jene seiner Inseln zu verkaufen, und nicht immer fand sich ein opferwilliger Reicher gleich dem Iulius Nikanor, der unter Augustas den bankrotten Athenern die Insel Salamis zurueckkaufte und dafuer von dem Rat derselben den Ehrentitel des "neuen Themistokles" sowie, da er auch Verse machte, nebenbei den des "neuen Homer" und mit den edlen Ratsherren zusammen von dem Publikum den wohlverdienten Hohn erntete. Die prachtvollen Bauten, mit denen Athen fortfuhr sich zu schmuecken, erhielt es ohne Ausnahme von den Fremden, unter anderen von den reichen Koenigen Antiochos von Kommagene und Herodes von Judaea, vor allen aber von dem Kaiser Hadrian, der eine voellige "Neustadt" (novae Athenae) am Ilisos anlegte und ausser zahllosen anderen Gebaeuden, darunter dem schon erwaehnten Panhellenion, das Wunder der Welt, den von Peisistratos begonnenen Riesenbau des Olympieion mit seinen 120, zum Teil noch stehenden Saeulen, den groessten von allen, die heute aufrecht sind, sieben Jahrhunderte nach seinem Beginn in wuerdiger Weise abschloss. Selbst hatte diese Stadt kein Geld, nicht bloss fuer ihre Hafenmauern, die jetzt allerdings entbehrlich waren, sondern nicht einmal fuer den Hafen. Zu Augusts Zeit war der Peiraeeus ein geringes Dorf von wenigen Haeusern, nur besucht wegen der Meisterwerke der Malerei in den Tempelhallen. Handel und Industrie gab es in Athen fast nicht mehr, oder fuer die Buergerschaft insgemein wie fuer den einzelnen Buerger nur ein einziges bluehendes Gewerbe, den Bettel. Auch blieb es nicht bei der Finanzbedraengnis. Die Welt hatte wohl Frieden, aber nicht die Strassen und Plaetze von Athen. Noch unter Augustas hat ein Aufstand in Athen solche Verhaeltnisse angenommen, dass die roemische Regierung gegen die Freistadt einschreiten musste ^30; und wenn auch dieser Vorgang vereinzelt steht, so gehoerten Auflaeufe auf der Gasse wegen der Brotpreise und aus anderen geringfuegigen Anlaessen in Athen zur Tagesordnung. Viel besser wird es in zahlreichen anderen Freistaedten nicht ausgesehen haben, von denen weniger die Rede ist. Einer solchen Buergerschaft die Kriminaljustiz unbeschraenkt in die Hand zu geben, war kaum zu verantworten; und doch stand dieselbe den zu internationaler Foederation zugelassenen Gemeinden, wie Athen und Rhodos, von Rechts wegen zu. Wenn der athenische Areopag in augustischer Zeit sich weigerte, einen wegen Faelschung verurteilten Griechen auf die Verwendung eines vornehmen Roemers hin von der Strafe zu entbinden, so wird er in seinem Recht gewesen sein; aber dass die Kyzikener unter Tiberius roemische Buerger einsperrten, unter Claudius gar die Rhodier einen roemischen Buerger ans Kreuz schlugen, waren auch formale Rechtsverletzungen, und ein aehnlicher Vorgang hat unter Augustus den Thessalern ihre Autonomie gekostet. Uebermut und Uebergriff wird durch die Machtlosigkeit nicht ausgeschlossen, nicht selten von den schwachen Schutzbefohlenen eben daraufhin gewagt. Bei aller Achtung fuer grosse Erinnerungen und beschworene Vertraege mussten doch jeder gewissenhaften Regierung diese Freistaaten nicht viel minder als ein Bruch in die allgemeine Rechtsordnung erscheinen, wie das noch viel altheiligere Asylrecht der Tempel. ----------------------------------------------------- ^30 Der athenische Aufstand unter Augustus ist sicher beglaubigt durch die aus Africanus geflossene Notiz bei Eusebius zum Jahre Abrahams 2025 (daraus Oros. hist. 6, 22, 2). Die Auflaeufe gegen den Strategen werden oft erwaehnt: Plut. q. sympos. 8, 3 z. A.; (Lucian) Demonax 11, 64; vit. soph. 1, 23. 2, 1, 11. ----------------------------------------------------- Schliesslich griff die Regierung durch und stellte die freien Staedte hinsichtlich ihrer Wirtschaft unter die Oberaufsicht von Beamten kaiserlicher Ernennung, die allerdings zunaechst als ausserordentliche Kommissarien "zur Korrektur der bei den Freistaedten eingerissenen Uebelstaende" charakterisiert werden und davon spaeterhin die Bezeichnung Korrektoren als titulare fuehren. Die Anfaenge derselben lassen sich bis in die traianische Zeit verfolgen; als stehende Beamte finden wir sie in Achaia im dritten Jahrhundert. Diese, neben den Prokonsuln fungierenden, vom Kaiser bestellten Beamten finden in keinem Teil des Roemischen Reichs so frueh sich ein und sind in keinem so frueh staendig geworden sie in dem halb aus Freistaedten bestehenden Achaia. Das an sich wohlberechtigte und durch die Haltung der roemischen Regierung wie vielleicht noch mehr durch die des roemischen Publikums genaehrte Selbstgefuehl der Hellenen, das Bewusstsein des geistigen Primats rief daselbst einen Kultus der Vergangenheit ins Leben, der sich zusammensetzt aus dem treuen Festhalten an den Erinnerungen groesserer und gluecklicherer Zeiten und dem barocken Zurueckdrehen der gereiften Zivilisation auf ihre zum Teil sehr primitiven Anfaenge. Zu den auslaendischen Kulten, wenn man absieht von dem schon frueher durch die Handelsverbindungen eingebuergerten Dienst der aegyptischen Gottheiten, namentlich der Isis, haben die Griechen im eigentlichen Hellas sich durchgehend ablehnend verhalten; wenn dies von Korinth am wenigsten gilt, so ist dies auch die am wenigsten griechische Stadt von Hellas. Die alte Landesreligion schuetzt nicht der innige Glaube, von dem diese Zeit sich laengst geloest hatte ^31; aber die heimische Weise und das Gedaechtnis der Vergangenheit haften vorzugsweise an ihr und darum wird sie nicht bloss mit Zaehigkeit festgehalten, sondern sie wird auch, zum guten Teil durch gelehrte Repristination, im Laufe der Zeit immer starrer und altertuemlicher, immer mehr ein Sonderbesitz der Studierten. --------------------------------------------------- ^31 Dem Beamten, auch dem gebildeten, das heisst dem Freidenker, wird angeraten, die Spenden, die er mache, an die religioesen Feste anzuknuepfen; denn die Menge werde in ihrem Glauben bestaerkt, wenn sie sehe, dass auch die Vornehmen der Stadt auf die Goetterverehrung etwas geben und sogar dafuer etwas aufwenden (Plut. praec. ger. reip. 30). --------------------------------------------------- Aehnlich verhaelt es sich mit dem Kultus der Stammbaeume, in welchem die Hellenen dieser Zeit ungemeines geleistet und die adelsstolzesten Roemer weit hinter sich gelassen haben. In Athen spielt das Geschlecht der Eumolpiden eine hervorragende Rolle bei der Reorganisierung des Eleusinischen Festes unter Marcus. Dessen Sohn Commodus verlieh dem Haupt des Geschlechtes der Keryken das roemische Buergerrecht, und aus demselben stammt der tapfere und gelehrte Athener, der, .fast wie Thukydides, mit den Goten schlug und dann den Gotenkrieg beschrieb. Des Marcus Zeitgenosse, der Professor und Konsular Herodes Atticus, gehoerte ebendiesem Geschlechte an, und sein Hofpoet singt von ihm, dass dem hochgeborenen Athener, dem Nachkommen des Hermes und der Kekropstochter Herse, der rote Schuh des roemischen Patriziats wohl angestanden habe, waehrend einer seiner Lobredner in Prosa ihn als Aeakiden feiert und zugleich als Abkoemmling von Miltiades und Kimon. Aber auch Athen wurde hierin noch weit ueberboten von Sparta; mehrfach begegnen Spartiaten, die sich der Herkunft von den Dioskuren, dem Herakles, dem Poseidon und des seit vierzig und mehr Generationen in ihrem Hause erblichen Priestertums dieser Altvordern beruehmen. Es ist charakteristisch fuer dieses Adelsrum, dass es sich hauptsaechlich erst mit dem Ende des zweiten Jahrhunderts einstellt; die Heraldiker, welche diese Geschlechtstafeln entwarfen, werden fuer die Beweisstuecke weder in Athen noch in Sparta die Goldwaage angewandt haben. Dieselbe Tendenz zeigt sich in der Behandlung der Sprache oder vielmehr der Dialekte. Waehrend in dieser Zeit in den sonstigen griechisch redenden Laendern und auch in Hellas im gewoehnlichen Verkehr das sogenannte gemeine, im wesentlichen aus der attischen Mundart heraus verschliffene Griechisch vorherrscht, strebt die Schriftsprache dieser Epoche nicht bloss nach der Beseitigung der eingerissenen Sprachfehler und Neuerungen, sondern vielfach werden dialektische Besonderheiten, dem Sprachgebrauch entgegen, wieder aufgenommen und hier, wo er am wenigsten berechtigt war, der alte Partikularismus in scheinhafter Weise zurueckgefuehrt. Den Standbildern, welche die Thespier den Musen im Hain des Helikon setzten, wurden auf gut boeotisch die Namen Orania und Thalea beigeschrieben, waehrend die dazu gehoerigen Epigramme, verfasst von einem Poeten roemischen Namens, sie auf gut ionisch Uranie und Thaleie nannten, und die nicht gelehrten Boeoter, wenn sie sie kannten, sie nannten, wie alle anderen Griechen, Urania und Thaleia. Von den Spartanern vor allem ist darin Unglaubliches geleistet und nicht selten mehr fuer den Schatten des Lykurgos als fuer die zur Zeit lebenden Aelier und Aurelier geschrieben worden ^32. Daneben kommt der korrekte Gebrauch der Sprache in dieser Zeit auch in Hellas allmaehlich ins Schwanken; Archaismen und Barbarismen gehen in den Dokumenten der Kaiserzeit haeufig friedlich nebeneinander her. Athens sehr mit Fremden gemischte Bevoelkerung hat in dieser Hinsicht sich zu keiner Zeit besonders ausgezeichnet ^33, und obwohl die staedtischen Urkunden sich verhaeltnismaessig rein halten, macht doch seit Augustus die allgemein einreissende Sprachverderbnis auch hier sich fuehlbar. Die strengen Grammatiker der Zeit haben ganze Buecher gefuellt mit den Sprachschnitzern, die der eben erwaehnte, viel gefeierte Rhetor Herodes Atticus und die uebrigen beruehmten Schulredner des zweiten Jahrhunderts sich zuschulden kommen liessen ^34, ganz abgesehen von der verzwickten Kuenstelei und der manierierten Pointierung ihrer Rede. Die eigentliche Verwilderung aber in Sprache und Schrift reisst in Athen und ganz Griechenland, eben wie in Rom, ein mit Septimius Severus ^35. --------------------------------------------- ^32 Ein Musterstueck ist die Inschrift (Lebas-Foucart II, S. 142, n. 162) des M(ark/o/r) Ayr(/e/lior) Ze?xippoy o kai Kleandror PHilomois/o/, eines Zeitgenossen also des Pius und Marcus, welcher war iere?s Lethkippid/o/n kai Tindaridan, der Dioskuren und ihrer Gattinnen, der Toechter des Leukippos, aber, damit zu dem Alten das Neue nicht fehle, auch archiereos t/o/ Sebast/o/ kai t/o/on thei/o/n progon/o/n /o/t/o/. Er war in seiner Jugend ferner gewesen boyagor mikkichiddomen/o/n, woertlich Stierfuehrer der Kleinen, naemlich Anfuehrer der dreijaehrigen Knaben - die lykurgischen Knabenherden gingen mit dem siebenten Jahr an, aber seine Nachfahren hatten das Fehlende nachgeholt und von den Einjaehrigen an alle eingeherdet und mit "Fuehrern" versehen. Dieser selbe Mann siegte (neikaar = nik/e/sas) kass/e/ratorin, m/o/an kai l/o/an; was das heisst, weiss vielleicht Lykurgos. ^33 "Das innere Attika", sagt ein Bewohner desselben bei Philostratos (vit. soph. 2, 7), "ist eine gute Schule fuer den, der sprechen lernen will; die Stadtbewohner dagegen von Athen, welche den aus Thrakien und dem Pontus und andern barbarischen Landschaften herbeistroemenden jungen Leuten Wohnungen vermieten, lassen mehr durch sie ihre Sprache sich verderben als dass sie ihnen das gute Sprechen beibringen. Aber im Binnenland, dessen Bewohner nicht mit Barbaren vermischt sind, ist die Aussprache und die Rede gut". ^34 Karl Keil (RE 1, z. Aufl., S. 2100) weist hin auf tinos fuer /e/s tinos und ta ch/o/ria gegonan der Inschrift der Gattin des Herodes (CIL VI, 1342). ^35 Dittenberger in Hermes 1, 1866, S. 414. Dahin gehoert auch, was der plumpe Vertreter des Apollonios seinen Helden an die alexandrinischen Professoren schreiben laesst (ep. 34), dass er Argos, Sikyon, Megara, Phokis, Lokris verlassen habe, um nicht, wenn er laenger in Hellas verweile, voellig zum Barbaren zu werden. --------------------------------------------- Die Schadhaftigkeit der hellenischen Existenz lag in der Beschraenktheit ihres Kreises: es mangelte dem hohen Ehrgeiz an dem entsprechenden Ziel und darum ueberwucherte die niedere und erniedrigende Ambition. Auch in Hellas fehlte es nicht an einheimischen Familien von grossem Reichtum und bedeutendem Einfluss ^36. Das Land war wohl im ganzen arm, aber es gab doch Haeuser von ausgedehntem Grundbesitz und altbefestigtem Wohlstand. In Sparta zum Beispiel hat das des Lachares von Augustus bis wenigstens in die hadrianische Zeit eine Stellung eingenommen, welche tatsaechlich von dem Fuerstentum nicht allzuweit abstand. Den Lachares hatte Antonius wegen Erpressung hinrichten lassen. Dafuer war dessen Sohn Eurykles einer der entschiedensten Parteigaenger Augusts und einer der tapfersten Kapitaene in der entscheidenden Seeschlacht, der fast den besiegten Feldherrn persoenlich zum Gefangenen gemacht haette; er empfing von dem Sieger unter anderen reichen Gaben als Privateigentum die Insel Kythere (Cerigo). Spaeter spielte er eine hervorragende und bedenkliche Rolle, nicht bloss in seinem Heimatland, ueber welches er eine dauernde Vorstandschaft ausgeuebt haben muss, sondern auch an den Hoefen von Jerusalem und Caesarea, wobei das dem Spartiaten von den Orientalen gezollte Ansehen nicht wenig mitwirkte. Deswegen von dem Kaisergericht mehrfach zur Verantwortung gezogen, wurde er schliesslich verurteilt und ins Exil gesandt; aber der Tod entzog ihn rechtzeitig den Folgen des Urteilsspruches und sein Sohn Lakon trat in das Vermoegen und wesentlich auch, wenngleich in vorsichtigerer Form, in die Machtstellung des Vaters ein. Aehnlich stand in Athen das Geschlecht des oft genannten Herodes; wir koennen dasselbe aufsteigend durch vier Generationen bis in die Zeit Caesars zurueckverfolgen, und ueber des Herodes Grossvater ist, aehnlich wie ueber den Spartaner Eurykles, wegen seiner uebergreifenden Machtstellung in Athen die Konfiskation verhaengt worden. Die ungeheuren Latifundien, welche der Enkel in seiner armen Heimat besass, die zu Grabzwecken seiner Lustknaben verwendeten weiten Flaechen erregten den Unwillen selbst der roemischen Statthalter. Derartige maechtige Familien gab es vermutlich in den meisten Landschaften von Hellas, und wenn sie auf dem Landtag der Provinz in der Regel entschieden, so waren sie auch in Rom nicht ohne Verbindungen und Einfluss. Aber obwohl diejenigen rechtlichen Schranken, welche den Gallier und den Alexandriner noch nach erlangtem Buergerrecht vom Reichssenat ausschlossen, diesen vornehmen Griechen schwerlich entgegenstanden, vielmehr unter den Kaisern diejenige politische und militaerische Laufbahn, welche dem Italiker sich darbot, von Rechts wegen dem Hellenen gleichfalls offenstand, so sind dieselben doch tatsaechlich erst in spaeter Zeit und in beschraenktem Umfang in den Staatsdienst eingetreten, zum Teil wohl, weil die roemische Regierung der frueheren Kaiserzeit die Griechen als Auslaender ungern zuliess, zum Teil, weil diese selbst die mit dem Eintritt in diese Laufbahn verknuepfte Uebersiedlung nach Rom scheuten und es vorzogen, statt einer mehr unter den vielen Senatoren daheim die ersten zu sein. Erst des Lachares Urenkel Herklanos ist in traianischer Zeit, und in der Familie des Herodes wahrscheinlich zuerst dessen Vater um dieselbe Zeit in den roemischen Senat eingetreten ^37. --------------------------------------------------- ^36 Tacitus (zum Jahre 62 ann. 15, 20) charakterisiert einen dieser reichen und einflussreichen Provinzialen, den Claudius Timarchides aus Kreta, der in seinem Kreis allmaechtig ist (ut solent praevalidi provincialium et opibus nimiis ad iniurias minorum elati) und ueber den Landtag, also auch ueber das obligate, aber fuer den abgehenden Prokonsul mit Ruecksicht auf die moeglichen Rechenschaftsklagen sehr wuenschenswerte Danksagungsdekret desselben verfuegt (in sua potestate situm, an proconsulibus, qui Cretam obtinuissent, grates agerentur). Die Opposition beantragt die Untersagung dieser Dankdekrete, aber es gelingt ihr nicht, den Antrag zur Abstimmung zu bringen. Von einer andern Seite schildert Plutarch (praec. ger. reip. 19, 3) diese vornehmen Griechen. ^37 Herodes war ex ypat/o/n (vit. soph. 1, 25, 5, p. 536), etelei ek pater/o/n es to?s disypatoys (das. 2 z. A., p. 545). Sonst ist von Konsulaten seiner Ahnen nichts bekannt; aber sicher ist der Grossvater Hipparchos nicht Senator gewesen. Moeglicherweise handelt es sich sogar nur um kognatische Aszendenten. Das roemische Buergerrecht hat die Familie nicht unter den Juliern (vgl. CIA III, 489), sondern erst unter den Claudiern empfangen. --------------------------------------------------- Die andere Laufbahn, welche erst in der Kaiserzeit sich auftat, der persoenliche Dienst des Kaisers, gab wohl im guenstigen Fall Reichtum und Einfluss und ist auch frueher und haeufiger von den Griechen betreten worden; aber da die meisten und wichtigsten dieser Stellungen an den Offizierdienst geknuepft waren, scheint auch fuer diese laengere Zeit ein faktischer Vorzug der Italiker bestanden zu haben und war der gerade Weg auch hier den Griechen einigermassen verlegt. In untergeordneten Stellungen sind Griechen am kaiserlichen Hofe von jeher und in grosser Anzahl verwendet worden und auf Umwegen oftmals zu Vertrauen und Einfluss gelangt; aber dergleichen Persoenlichkeiten kamen mehr aus den hellenisierten Landschaften als aus Hellas selbst und am wenigsten aus den besseren hellenischen Haeusern. Fuer die legitime Ambition des jungen Mannes von Herkunft und Vermoegen gab es, wenn er ein Grieche war, im roemischen Kaiserreich nur beschraenkten Spielraum. Es blieb ihm die Heimat, und in dieser fuer das gemeine Wohl taetig zu sein, war allerdings Pflicht und Ehre. Aber es waren sehr bescheidene Pflichten und noch viel bescheidenere Ehren. "Eure Aufgabe", sagt Dion weiter seinen Rhodiern, "ist eine andere, als die der Vorfahren war. Sie konnten ihre Tuechtigkeit nach vielen Seiten hin entwickeln, nach dem Regiment streben, den Unterdrueckten beistehen, Bundesgenossen gewinnen, Staedte gruenden, kriegen und siegen; von allem dem vermoegt ihr nichts mehr zu tun. Es bleibt euch die Fuehrung des Hauswesens, die Verwaltung der Stadt, die Verleihung von Ehren und Auszeichnungen mit Wahl und Mass, der Sitz im Rat und im Gericht, der Gottesdienst und die Feier der Feste; in allem diesem koennt ihr euch vor andern Staedten auszeichnen. Auch das ist nichts Geringes, die anstaendige Haltung, die Sorgfalt fuer Haar und Bart, der gesetzte Gang auf der Strasse, so dass bei euch selbst die anders gewoehnten Fremden sich es abgewoehnen zu rennen, die schickliche Tracht, sogar, wenn es auch laecherlich erscheinen mag, der schmale und knappe Purpursaum, die Ruhe im Theater, das Masshalten im Klatschen: das alles macht die Ehre eurer Stadt, und mehr als in euren Haefen und Mauern und Docks zeigt sich hierin das gute alte hellenische Wesen und erkennt hierin auch der Barbar, der den Namen der Stadt nicht weiss, dass er in Griechenland ist und nicht in Syrien oder Kilikien." Das traf alles zu; aber wenn es jetzt nicht mehr von dem Buerger verlangt ward, fuer die Vaterstadt zu sterben, so war doch die Frage nicht ohne Berechtigung, ob es noch der Muehe wert sei, fuer diese Vaterstadt zu leben. Es gibt von Plutarchos eine Auseinandersetzung ueber die Stellung der griechischen Gemeindebeamten zu seiner Zeit, worin er mit der ihm eigenen Billigkeit und Umsicht diese Verhaeltnisse eroertert. Die alte Schwierigkeit, die gute Verwaltung der oeffentlichen Angelegenheiten zu fuehren mittels der Majoritaeten der unsicheren, launenhaften, oft mehr den eigenen Vorteil als den des Gemeinwesens bedenkenden Buergerschaft oder auch der sehr zahlreichen Ratsversammlung - die athenische zaehlte in der Kaiserzeit erst 600, dann 500, spaeter 750 Stadtraete -, bestand wie frueher, so auch jetzt; es ist die Pflicht des tuechtigen Beamten zu verhindern, dass das "Volk" nicht dem einzelnen Buerger Unrecht tut, nicht das Privatvermoegen unerlaubterweise an sich zieht, nicht das Gemeindegut unter sich verteilt - Aufgaben, die dadurch nicht leichter werden, dass der Beamte kein Mittel dafuer hat als die verstaendige Ermahnung und die Kunst des Demagogen, dass ihm ferner geraten wird, in kleinen Dingen nicht allzu sproede zu sein und wenn bei einem Stadtfest eine maessige Spende an die Buergerschaft in Antrag kommt, es nicht solcher Kleinigkeit wegen mit den Leuten zu verderben. Im uebrigen aber hatten die Verhaeltnisse sich voellig veraendert, und es muss der Beamte in die gegenwaertigen sich schicken lernen. Vor allem hat er die Machtlosigkeit der Hellenen sich selbst wie den Mitbuergern jeden Augenblick gegenwaertig zu halten. Die Freiheit der Gemeinde reicht soweit die Herrscher sie gestatten, und ein Mehr wuerde auch wohl vom Uebel sein. Wenn Perikles die Amtstracht anlegte, so rief er sich zu, nicht zu vergessen, dass er ueber Freie und Griechen herrsche; heute hat der Beamte sich zu sagen, dass er unter einem Herrscher herrsche, ueber eine den Prokonsuln und den kaiserlichen Prokuratoren untergebene Stadt, dass er nichts sein koenne und duerfe als das Organ der Regierung, dass ein Federstrich des Statthalters genuege, um jedes seiner Dekrete zu vernichten. Darum ist es die erste Pflicht eines guten Beamten, sich mit den Roemern in gutes Einvernehmen zu setzen und womoeglich einflussreiche Verbindungen in Rom anzuknuepfen, damit diese der Heimat zugute kommen. Freilich warnt der rechtschaffene Mann eindringlich vor der Servilitaet; noetigenfalls soll der Beamte mutig dem schlechten Statthalter entgegentreten, und als die hoechste Leistung erscheint die entschlossene Vertretung der Gemeinde in solchen Konflikten in Rom vor dem Kaiser. In bezeichnender Weise tadelt er scharf diejenigen Griechen, die - ganz wie in den Zeiten des Achaeischen Bundes - bei jedem oertlichen Hader die Intervention des roemischen Statthalters herbeifuehren, und mahnt dringend, die Gemeindeangelegenheiten lieber innerhalb der Gemeinde zu erledigen, als durch Appellation sich nicht so sehr der Oberbehoerde, als den bei ihr taetigen Sachwaltern und Advokaten in die Haende zu liefern. Alles dieses ist verstaendig und patriotisch, so verstaendig und so patriotisch wie einstmals die Politik des Polybios, auf die auch ausdruecklich hingewiesen wird. In dieser Epoche des voelligen Weltfriedens, wo es weder einen Griechennoch einen Barbarenkrieg irgendwo gibt, wo die staedtischen Kommandos, die staedtischen Friedensschluesse und Buendnisse lediglich der Geschichte angehoeren, war der Rat sehr am Platze, Marathon und Plataeae den Schulmeistern zu ueberlassen und nicht die Koepfe der Ekklesia mit dergleichen grossen Worten zu erhitzen, vielmehr in dem engen Kreise der noch gestatteten freien Bewegung sich zu bescheiden. Aber die Welt gehoert nicht dem Verstande, sondern der Leidenschaft. Der hellenische Buerger konnte auch jetzt noch gegen das Vaterland seine Pflicht tun; aber fuer den rechten politischen, nach Grossem ringenden Ehrgeiz, fuer die Perikleische und Alkibiadische Leidenschaft war in diesem Hellas, vom Schreibtisch etwa abgesehen, nirgends ein Raum, und in der Luecke wucherten die Giftkraeuter, die da, wo das hohe Streben erstickt ist, die Menschenbrust versehren und das Menschenherz vergiften. Darum ist Hellas auch das Mutterland der heruntergekommenen, inhaltlosen Ambition, unter den vielen schweren Schaeden der sinkenden antiken Zivilisation vielleicht des am meisten allgemeinen, und sicher eines der verderblichsten. Dabei stehen in erster Reihe die Volksfeste mit ihrer Preiskonkurrenz. Die olympischen Wettkaempfe stehen dem jugendlichen Volk der Hellenen wohl an; das allgemeine Turnerfest der griechischen Staemme und Staedte und der nach dem Spruch der "Hellasrichter" dem tuechtigsten Wettlaeufer aus den Zweigen des Oelbaums geflochtene Kranz ist der unschuldige und einfache Ausdruck der Zusammengehoerigkeit der jungen Nation. Aber die politische Entwicklung hatte bald ueber diese Morgenroete hinausgefuehrt. Schon in den Tagen des Athenischen Seebundes und gar erst der Alexandermonarchie war jenes Hellenenfest ein Anachronismus, ein im Mannesalter fortgefuehrtes Kinderspiel; dass der Besitzer jenes Oelkranzes wenigstens sich und seinen Mitbuergern als Inhaber des nationalen Primats galt, kam ungefaehr darauf hinaus, wie wenn man in England die Sieger der Studentenregatten mit Pitt und Beaconsfield in eine Linie stellen wollte. Die Ausdehnung der hellenischen Nation durch Kolonisierung und Hellenisierung fand in ihrer idealen Einheit und realen Zerfahrenheit in diesem traumhaften Reich des Olivenkranzes ihren rechten Ausdruck; und die griechische Realpolitik der Diadochenzeit hat sich denn auch um dasselbe, wie billig, wenig bekuemmert. Aber als die Kaiserzeit in ihrer Weise den panhellenischen Gedanken aufnahm und die Roemer in die Rechte und die Pflichten der Hellenen eintraten, da blieb oder ward fuer das roemische Allhellas Olympia das rechte Symbol; erscheint doch unter Augustus der erste roemische Olympionike, und zwar kein geringerer als Augustus’ Stiefsohn, der spaetere Kaiser Tiberius ^38. Das nicht reinliche Ehebuendnis, welches das Allhellenentum mit dem Daemon des Spiels einging, machte aus diesen Festen eine ebenso maechtige und dauernde wie im allgemeinen und besonders fuer Hellas schaedliche Institution. Die gesamte hellenische und hellenisierende Welt beteiligte sich daran, sie beschickend und sie nachahmend; ueberall sprangen aehnliche, fuer die ganze griechische Welt bestimmte Feste aus dem Boden und die eifrige Anteilnahme der breiten Massen, das allgemeine Interesse fuer den einzelnen Wettkaempfer, der Stolz des Siegers nicht bloss, sondern seines Anhangs und seiner Heimat liessen fast vergessen, um welche Dinge eigentlich gestritten ward. Die roemische Regierung liess diesem Wetturnen und den sonstigen Wettkaempfen nicht bloss freien Lauf, sondern beteiligte das Reich an denselben; das Recht der feierlichen Einholung des Siegers in seine Heimatstadt hing in der Kaiserzeit nicht von dem Belieben der betreffenden Buergerschaft ab, sondern wurde den einzelnen Spielinstituten durch kaiserliches Privilegium verliehen ^39 und in diesem Fall auch die dem Sieger zustehende jaehrliche Pension (sit/e/sis) auf die Reichskasse uebernommen, die bedeutenderen Spielinstitute also geradezu als Reichseinrichtungen behandelt. Dieses Spielwesen erfasste wie das Reich selbst so alle Provinzen; immer aber war das eigentliche Griechenland der ideale Mittelpunkt solcher Kaempfe und Siege, hier ihre Heimat am Alpheios, hier der Sitz der aeltesten Nachbildungen, der noch der grossen Zeit des hellenischen Namens angehoerigen und von ihren klassischen Dichtern verherrlichten Pythien, Isthmien und Nemeen, nicht minder einer Anzahl juengerer, aber reich ausgestatteter, aehnlicher Feste, der Eurykleen, die der oben erwaehnte Herr von Sparta unter Augustus gegruendet, der athenischen Panathenaeen, der von Hadrian mit kaiserlicher Munifizenz dotierten, ebenfalls in Athen gefeierten Panhellenien. Man durfte sich verwundern, dass die ganze Welt des weiten Reiches sich um diese Turnfeste zu drehen schien, aber nicht darueber, dass an diesem seltsamen Zauberbecher vor allem die Hellenen sich berauschten, und dass das politische Stilleben, das ihre besten Maenner ihnen anempfahlen, durch die Kraenze und die Statuen und die Privilegien der Festsieger in schaedlichster Weise verwirrt ward. ------------------------------------------------- ^38 Der erste roemische Olympionike, von dem wir wissen, ist Ti. Claudius Ti. f. Nero, ohne Zweifel der spaetere Kaiser, mit dem Viergespann (Archaeologische Zeitung 38, 1880, S. 53); es faellt dieser Sieg wahrscheinlich Ol. 195 (n. Chr. 1), nicht Ol. 199 (n. Chr. 17), wie die Liste des Africanus angibt (Eus. thron. 1, p. 214 Schoene). In diesem Jahre siegte vielmehr sein Sohn Germanicus, ebenfalls mit dem Viergespann (Archaeologische Zeitung 37, 1879, S. 36). Unter den eponymen Olympioniken, den Siegern im Stadium, findet sich kein Roemer; diese Verletzung des griechischen Nationalgefuehls scheint vermieden worden zu sein. ^39 Ein also privilegiertes Spielinstitut heisst ag/o/n ieros, certamen sacrum (das heisst mit Pensionierung: Dio Sl, 1) oder ag/o/n eiselastikos, certamen iselasticum (vgl. unter anderen Plin. ep. ad Trai. 118, 119; CIL X, 515). Auch die Xystarchie wird, wenigstens in gewissen Faellen, vom Kaiser verliehen (Dittenberger in Heymes 12, 1877, S. 17f.). Nicht mit Unrecht nennen diese Institute sich "Weltspiele" (ag/o/n oikoymenikos). ------------------------------------------------- Einen aehnlichen Weg gingen die staedtischen Institutionen, allerdings im ganzen Reich, aber wiederum vorzugsweise in Hellas. Als es dort noch grosse Ziele und einen Ehrgeiz gab, hatte in Hellas, eben wie in Rom, die Bewerbung um die Gemeindeaemter und die Gemeindeehren den Mittelpunkt des politischen Wetteifers gebildet und neben vielem Leeren, Laecherlichen, Boesartigen auch die tuechtigsten und edelsten Leistungen hervorgerufen. Jetzt war der Kern verschwunden, die Schale geblieben; in Panopeus im Phokischen standen zwar die Haeuser ohne Dach und wohnten die Buerger in Huetten, aber es war noch eine Stadt, ja ein Staat, und bei dem Aufzug der phokischen Gemeinden fehlten die Panopeer nicht. Diese Staedte trieben mit ihren Aemtern und Priestertuemern, mit den Belobigungsdekreten durch Heroldsruf und den Ehrensitzen bei den oeffentlichen Versammlungen, mit dem Purpurgewand und dem Diadem, mit den Statuen zu Fuss und zu Ross ein Eitelkeitsund Geldgeschaeft schlimmer als der kleinste Duodezfuerst der neueren Zeit mit seinen Orden und Titeln. Es wird ja auch in diesen Vorgaengen das wirkliche Verdienst und die ehrliche Dankbarkeit nicht gefehlt haben; aber durchgaengig war es ein Handel auf Geben und Nehmen oder, mit Plutarch zu reden, ein Geschaeft wie zwischen der Kurtisane und ihren Kunden. Wie heutzutage die private Munifizenz im Positiv den Orden und im Superlativ den Adel bewirkt, so verschaffte sie damals den priesterlichen Purpur und die Bildsaeule auf dem Markt; und nicht ungestraft treibt der Staat mit seinen Ehren Falschmuenzerei. In der Massenhaftigkeit derartiger Prozeduren und der Roheit ihrer Formen stehen die heutigen Leistungen hinter denen der alten Welt betraechtlich zurueck, wie natuerlich, da die durch den Staatsbegriff nicht genuegend gebaendigte scheinhafte Autonomie der Gemeinde auf diesem Gebiet ungehindert schaltete und die dekretierenden Behoerden durchgaengig die Buergerschaften oder die Raete von Kleinstaedten waren. Die Folgen waren nach beiden Seiten verderblich: die Gemeindeaemter wurden mehr nach der Zahlungsfaehigkeit als nach der Tuechtigkeit der Bewerber vergeben; die Schmaeuse und Spenden machten die Beschenkten nicht reicher und den Schenker oftmals arm; an dem Zunehmen der Arbeitsscheu und dem Vermoegensverfall der guten Familien traegt diese Unsitte ihren vollgemessenen Anteil. Auch die Wirtschaft der Gemeinden selbst litt schwer unter dem Umsichgreifen der Adulation. Zwar waren die Ehren, mit welchen die Gemeinde dem einzelnen Wohltaeter dankte, grossenteils nach demselben verstaendigen Prinzip der Billigkeit bemessen, welches heutzutage die aehnlichen dekorativen Verguenstigungen beherrscht; und wo das nicht der Fall war, fand haeufig der Wohltaeter sich bereit, zum Beispiel die ihm zu setzende Bildsaeule selber zu bezahlen. Aber nicht dasselbe gilt von den Ehrenbezeugungen, welche die Gemeinde vornehmen Auslaendern, vor allem den Statthaltern und den Kaisern wie den Gliedern des kaiserlichen Hauses erwies. Die Richtung der Zeit auf Wertschaetzung auch der inhaltlosen und obligaten Huldigung beherrschte den kaiserlichen Hof und die roemischen Senatoren nicht so wie die Kreise des kleinstaedtischen Ehrgeizes, aber doch auch in sehr fuehlbarer Weise; und selbstverstaendlich wuchsen die Ehren und die Huldigungen einmal im Laufe der Zeit durch die ihnen eigene Vernutzung, und ferner in demselben Mass, wie die Geringhaltigkeit der regierenden oder an der Regierung beteiligten Persoenlichkeiten. Begreiflicherweise war in dieser Hinsicht das Angebot immer staerker als die Nachfrage und diejenigen, die solche Huldigungen richtig wuerdigten, um davon verschont zu bleiben, genoetigt, sie abzuwehren, was im einzelnen Fall oft genug ^40, aber konsequenterweise selten geschehen zu sein scheint - fuer Tiberius darf die geringe Anzahl der ihm errichteten Bildsaeulen vielleicht unter seinen Ruhmestiteln verzeichnet werden. Die Ausgaben fuer Ehrendenkmaeler, die oft weit ueber die einfache Statue hinausgingen, und fuer Ehrengesandtschaften ^41 sind ein Krebsschaden gewesen und immer mehr geworden an dem Gemeindehaushalt aller Provinzen. Aber keine wohl hat im Verhaeltnis zu ihrer geringen Leistungsfaehigkeit so grosse Summen unnuetz aufgewandt wie die Provinz von Hellas, das Mutterland wie der Festsiegerso auch der Gemeindeehren und in einem Prinzipat in dieser Zeit unuebertroffen, in dem der Bedientendemut und untertaenigen Huldigung. ------------------------------------------ ^40 Kaiser Gaius zum Beispiel verbittet sich in seinem Schreiben an den Landtag von Achaia die "grosse Zahl" der ihm zuerkannten Bildsaeulen und begnuegt sich mit den vier von Olympia, Nemea, Delphi und dem Isthmos (Keil, Sylloge Inscriptionum Boeoticarum, n. 31). Derselbe Landtag beschliesst, dem Kaiser Hadrian in jeder seiner Staedte eine Bildsaeule zu setzen, von welchen die Basis der in Abea in Messenien aufgestellten sich erhalten hat (CIG 1307). Kaiserliche Autorisation ist fuer solche Setzungen von jeher gefordert worden. ^41 Bei der Revision der Stadtrechnungen von Byzantion fand Plinius, dass jaehrlich 12000 Sesterzen (2500 Mark) fuer den dem Kaiser und 3000 Sesterzen (650 Mark) fuer den dem Statthalter von Moesien durch eine besondere Deputation zu ueberreichenden Neujahrsglueckwunsch angesetzt waren. Plinius weist die Behoerden an, diese Glueckwuensche fortan nur schriftlich einzusenden, was Traian billigt (ep. ad Trai. 43, 44). ------------------------------------------ Dass die wirtschaftlichen Zustaende Griechenlands nicht guenstig waren, braucht kaum noch besonders ausgefuehrt zu werden. Das Land, im ganzen genommen, ist nur von maessiger Fruchtbarkeit, die Ackerfluren von beschraenkter Ausdehnung, der Weinbau auf dem Kontinent nicht von hervorragender Bedeutung, mehr die Kultur der Olive. Da die Brueche des beruehmten Marmors, des glaenzend weissen attischen wie des gruenen karystischen, wie die meisten uebrigen zum Domanialbesitz gehoerten, kam deren Ausbeutung durch die kaiserlichen Sklaven der Bevoelkerung wenig zugute. Die gewerbfleissigste der griechischen Landschaften war die der Achaeer, wo die seit langem bestehende Fabrikation von Wollenstoffen sich behauptete und in der wohlbevoelkerten Stadt Patrae zahlreiche Spinnereien den feinen elischen Flachs zu Kleidern und Kopfnetzen verarbeiteten. Die Kunst und das Kunsthandwerk blieben auch jetzt noch vorzugsweise den Griechen, und von den Massen besonders pentelischen Marmors, welche die Kaiserzeit verbraucht hat, muss ein nicht geringer Teil an Ort und Stelle verarbeitet worden sein. Ueberwiegend aber uebten die Griechen beide im Ausland; von dem frueher so bedeutenden Export des griechischen Kunstgewerbes ist in dieser Zeit wenig die Rede. Den regsten Verkehr hatte die Stadt der beiden Meere, Korinth, die allen Hellenen gemeinsame, stets von Fremden wimmelnde Metropole, wie ein Redner sie bezeichnet. In den beiden roemischen Kolonien Korinth und Patrae, und ausserdem in dem stets von schauenden und lernenden Auslaendern gefuellten Athen konzentrierte sich das groessere Bankiergeschaeft der Provinz, welches in der Kaiserzeit wie in der republikanischen zum grossen Teil in den Haenden dort ansaessiger Italiker lag. Auch in Plaetzen zweiten Ranges, wie in Argos, Elis, Mantineia im Peloponnes, bilden die ansaessigen roemischen Kaufleute eigene, neben der Buergerschaft stehende Genossenschaften. Im allgemeinen lag in Achaia Handel und Verkehr darnieder, namentlich seit Rhodos und Delos aufgehoert hatten, Stapelplaetze fuer den Zwischenverkehr zwischen Asien und Europa zu sein und dieser sich nach Italien gezogen hatte. Die Piraterie war gebaendigt und auch die Landstrassen wohl leidlich sicher ^42; aber damit kehrte die alte glueckliche Zeit noch nicht zurueck. Der Veroedung des Peiraeeus wurde schon gedacht; es war ein Ereignis, wenn eines der grossen aegyptischen Getreideschiffe sich einmal dorthin verirrte. Nauplia, der Hafen von Argos, nach Patrae der bedeutendsten Kuestenstadt des Peloponnes, lag ebenso wuest ^43. ------------------------------------------------ ^42 Dass die Landstrassen in Griechenland besonders unsicher gewesen seien, erfahren wir nicht; der Aufstand in Achaia unter Pius (vita 5, 4) ist seiner Art nach voellig dunkel. Wenn der Raeuberhauptmann ueberhaupt - nicht eben gerade der griechische - in der geringen Literatur der Epoche eine hervorragende Rolle spielt, so ist dies Vehikel den schlechten Romanschreibern aller Zeiten gemein. Das euboeische Oedland des feineren Dion ist nicht ein Raeubernest, sondern es sind die Truemmer einer grossen Gutswirtschaft, deren Inhaber seines Reichtums wegen vom Kaiser verurteilt worden ist und die seitdem wuest liegt. Uebrigens zeigt sich hier, was freilich wenigstens fuer Nicht-Gelehrte keines Beweises bedarf, dass diese Geschichte gerade ebenso wahr ist wie die meisten, welche damit anfangen, dass der Erzaehler sie selbst von dem Beteiligten habe; waere die Konfiskation historisch, so wuerde der Besitz an den Fiskus gekommen sein, nicht an die Stadt, welche der Erzaehler denn auch sich wohl huetet zu nennen. ^43 Des aegyptischen Kaufmanns aus Constantius Zeit naive Schilderung Achaias mag hier noch Platz finden: "Das Land Achaia, Griechenland und Lakonien hat viel Gelehrsamkeit, aber fuer die uebrigen Beduerfnisse ist es unzulaenglich: denn es ist eine kleine und gebirgige Provinz und kann nicht viel Getreide liefern, erzeugt aber etwas Oel und den attischen Honig, und kann mehr wegen der Schulen und der Beredsamkeit gepriesen werden, nicht aber so in den meisten uebrigen Beziehungen. Von Staedten hat es Korinth und Athen. Korinth hat viel Handel und ein schoenes Gebaeude, das Amphitheater, Athen aber die alten Bilder (historias antiquas) und ein erwaehnenswertes Werk, die Burg, wo viele Bildsaeulen stehen und wunderbar die Kriegstaten der Vorfahren darstellen (ubi multis statuis stantibus mirabile est videre dicendum antiquorum bellum). Lakonien soll allein den Marmor von Krokeae aufzuweisen haben, den man den lakedaemonischen nennt." Die Barbarei des Ausdrucks kommt nicht auf Rechnung des Schreibers, sondern auf die des viel spaeteren Uebersetzers. ------------------------------------------------ Dem entspricht es, dass fuer die Strassen dieser Provinz in der Kaiserzeit so gut wie nichts geschehen ist; roemische Meilensteine haben sich nur in der naechsten Naehe von Patrae und von Athen gefunden und auch diese gehoeren den Kaisern aus dem Ende des dritten und dem vierten Jahrhundert; offenbar haben die frueheren Regierungen darauf verzichtet, hier Kommunikationen herzustellen. Nur Hadrian unternahm es, wenigstens die so wichtige wie kurze Landverbindung zwischen Korinth und Megara ueber den schlimmen skironischen Klippenpass durch gewaltige, ins Meer geworfene Daemme zu einer fahrbaren Strasse zu machen. Der seit langem verhandelte Plan, die korinthische Landenge zu durchstechen, den der Diktator Caesar aufgefasst hatte, ist spaeterhin erst von Kaiser Gaius, dann von Nero in Angriff genommen worden. Letzterer hat sogar bei seinem Aufenthalt in Griechenland persoenlich zu dem Kanal den ersten Stich getan und eine Reihe von Monaten hindurch 6000 juedische Kriegsgefangene an demselben arbeiten lassen. Bei den in unseren Tagen wieder aufgenommenen Durchsticharbeiten sind bedeutende Reste dieser Bauten zum Vorschein gekommen, welche zeigen, dass die Arbeiten ziemlich weit vorgeschritten waren, als man sie abbrach, wahrscheinlich nicht infolge der einige Zeit nachher im Westen ausbrechenden Revolution, sondern weil man hier, eben wie bei dem aehnlichen aegyptischen Kanal, infolge des irrigerweise vorausgesetzten verschiedenen Hoehestandes der beiden Meere bei Vollendung des Kanals den Untergang der Insel Aegina und weiteres Unheil befuerchtete. Freilich wuerde dieser Kanal, wenn er vollendet worden waere, wohl den Verkehr zwischen Asien und Italien abgekuerzt haben, aber Griechenland selbst nicht vorwiegend zugute gekommen sein. Dass die Landschaften noerdlich von Hellas, Thessalien und Makedonien und, wenigstens seit Traian, auch Epirus, in der Kaiserzeit administrativ von Griechenland getrennt wurden, ist schon bemerkt worden. Von diesen hat die kleine epirotische Provinz, die von einem kaiserlichen Statthalter zweiten Ranges verwaltet wurde, sich niemals von der Verwuestung erholt, welche im Verlauf des Dritten makedonischen Krieges ueber sie ergangen war. Das bergige und arme Binnenland besass keine namhafte Stadt und eine duenn gesaete Bevoelkerung. Die nicht minder veroedete Kueste war Augustus zu heben bemueht durch eine doppelte Staedteanlage, durch die Vollendung der schon von Caesar beschlossenen Kolonie roemischer Buerger in Buthrotum, Kerkyra gegenueber, die indes zu keiner rechten Bluete gelangte, und durch die Gruendung der griechischen Stadt Nikopolis an eben der Stelle, wo vor der Aktischen Entscheidungsschlacht das Hauptquartier gestanden hatte, an dem suedlichsten Punkte von Epirus, anderthalb Stunden noerdlich von Prevesa, nach Augustus’ Absicht zugleich ein dauerndes Denkmal des grossen Seesiegs und der Mittelpunkt neu aufbluehenden hellenischen Lebens. Diese Gruendung ist in ihrer Art als roemische neu. An Ambrakias Statt und des amphilochischen Argos, an Thyreions und an Anaktorions Statt, auch an Leukas Statt und was von Staedten noch ringsum rasend des Ares Speer weiter zu Boden gestreckt, gruendet die Siegsstadt Caesar, die heilige, also dem Koenig Phoebos Apollon mit ihr dankend den aktischen Sieg. Diese Worte eines gleichzeitigen griechischen Dichters sprechen einfach aus, was Augustus hier getan hat: das ganze umliegende Gebiet, das suedliche Epirus, die gegenueberliegende Landschaft Akarnanien mit der Insel Leukas, selbst einen Teil von Aetolien vereinigte er zu einem Stadtgebiet und siedelte die in den dort vorhandenen, verkuemmernden Ortschaften noch uebrigen Bewohner ueber nach der neuen Stadt Nikopolis, der gegenueber auf dem akarnanischen Ufer der alte Tempel des aktischen Apollon in prachtvoller Weise erneuert und erweitert ward. Eine roemische Stadt ist nie in dieser Weise gegruendet worden; dies ist der Synoekismos der Alexandriden. Ganz in derselben Weise haben Koenig Kassandros die makedonischen Staedte Thessalonike und Kassandreia, Demetrios der Staedtebezwinger die thessalische Stadt Demetrias, Lysimachos die Stadt Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersones aus einer Anzahl umliegender, ihrer Selbstaendigkeit entkleideter Ortschaften zusammengelegt. Dem griechischen Charakter der Gruendung entsprechend sollte Nikopolis nach der Absicht seines Stifters eine griechische Grossstadt werden ^44. Sie erhielt Freiheit und Autonomie wie Athen und Sparta und sollte, wie bereits angegeben ward, in der das gesamte Hellas vertretenden Amphiktyonie den fuenften Teil der Stimmen fuehren und zwar, wie Athen, ohne mit anderen Staedten zu wechseln. Das neue aktische Apolloheiligtum war voellig nach dem Muster von Olympia eingerichtet, mit einem Vierjahrfest, das selbst den Namen des olympischen neben dem eigenen fuehrte, gleichen Rang und gleiche Privilegien, auch seine Aktfaden wie jenes seine Olympiaden hatte ^45; die Stadt Nikopolis verhielt sich dazu wie die Stadt Elis zu dem olympischen Tempel ^46. Sorgfaeltig ward bei der staedtischen Einrichtung sowohl wie bei den religioesen Ordnungen alles eigentlich Italische vermieden, so nahe es lag, die mit der Reichsbegruendung so innig verknuepfte Siegesstadt in roemischer Weise zu gestalten. Wer die Augustischen Ordnungen in Hellas im Zusammenhang erwaegt und namentlich diesen merkwuerdigen Schlussstein, wird sich der Ueberzeugung nicht verschliessen koennen, dass Augustus eine Reorganisation von Hellas unter dem Schutz des roemischen Prinzipats ausfuehrbar geglaubt hat und hat ausfuehren wollen. Die Oertlichkeit wenigstens war dafuer wohl gewaehlt, da es damals, vor der Gruendung von Patrae, an der ganzen griechischen Westkueste keine groessere Stadt gab. Aber was Augustus im Anfang seiner Alleinherrschaft hoffen mochte, hat er nicht erreicht, vielleicht selbst schon spaeterhin aufgegeben, als er Patrae die Form der roemischen Kolonie gab. Nikopolis blieb, wie die ausgedehnten Ruinen und die zahlreichen Muenzen beweisen, verhaeltnismaessig bevoelkert und bluehend ^47, aber seine Buerger scheinen weder im Handel und Gewerbe noch anderweitig hervorragend eingegriffen zu haben. Das noerdliche Epirus, welches, aehnlich wie das angrenzende, zu Makedonien gelegte Illyricum, zum groesseren Teil von albanesischen Voelkerschaften bewohnt war und nicht unter Nikopolis gelegt ward, ist in der Kaiserzeit in seinen einigermassen noch heute fortbestehenden primitiven Verhaeltnissen verblieben. "Epirus und Illyricum", sagt Strabon, "ist zum grossen Teil eine Einoede; wo sich Menschen finden, wohnen sie in Doerfern und in Truemmern frueherer Staedte; auch das" - im Mithradatischen Kriege von den Thrakern verwuestete - "Orakel von Dodona ist erloschen wie das uebrige alles." ^48 --------------------------------------------------- ^44 Wenn Tacitus (arm. 5, 10) Nikopolis eine colonia Romana nennt, so ist das zwar missverstaendlich, aber nicht gerade unrichtig, irrig aber des Plinius (nat. 4, 1, 5) colonia Augusti Actium cum .. . civitate libera Nicopolitana, da Aktion Stadt so wenig gewesen ist wie Olympia. ^45 O ag/o/n Ol?mpios ta Aktia: Strab. 7, 7, 6, p. 325; Aktias: Ios. bel. Iud. 1, 20, 4; Aktionik/e/s oefter. Wie die vier grossen griechischen Landesfeste bekanntlich /e/ periodos heissen, der in allen vier gekroente Sieger, periodonik/e/s, so wird CIG 4472 auch den Spielen von Nikopolis beigefuegt t/e/s periodoy und jene Periodos als die alte (archaia) bezeichnet. Wie die Wettspiele oefter isol?mpia heissen, so findet sich auch ag/o/n isaktios (CIG 4472) oder certamen ad exemplar Actiacae religionis (Tac. ann. 15, 23). ^46 So nennt sich ein Nikopolit arch/o/n t/e/s ieras Aktiak/e/s boyl/e/s (Delphi; Rheinisches Museum N. F. 2, 1843, S. 111), wie in Elis es heisst /e/ polis /E/lei/o/n kai /e/ Olympik/e/ boyl/e/ (Archaeologische Zeitung 34, 1876, S. 57; aehnlich daselbst 35, 1877, S. 40 und 41 und sonst). uebrigens erhielten die Spartaner, als die einzigen an dem Aktischen Siege mitbeteiligten Hellenen, die Leitung (epimeleia) der Aktischen Spiele (Strab. 7, 7, 6, p. 325); ihr Verhaeltnis zu der boyl/e/ Aktiak/e/ von Nikopolis kennen wir nicht. ^47 Die Schilderung seines Verfalls in der Zeit des Constantius (Paneg. 11, 9) beweist fuer die fruehere Kaiserzeit vielmehr das Gegenteil. ^48 Die Ausgrabungen in Dodona haben dies bestaetigt; alle Fundstuecke gehoeren der vorroemischen Epoche an, mit Ausnahme einiger Muenzen. Allerdings hat ein Restaurationsbau stattgefunden, dessen Zeit sich nicht bestimmen laesst; vielleicht ist er ganz spaet. Wenn Hadrian, der Ze?s D/o/d/o/naios genannt wird (CIG 1822), Dodona besucht hat (Duerr, Reisen Hadrians, S. 56), so tat er es als Archaeologe. Eine Befragung des Orakels in der Kaiserzeit wird nur, und auch nicht in glaubwuerdigster Weise, berichtet von Kaiser Julian (Theodoretus hist. eccl. 3, 21). --------------------------------------------------- Thessalien, an sich eine rein hellenische Landschaft so gut wie Aetolien und Akarnanien, war in der Kaiserzeit administrativ von der Provinz Achaia getrennt und stand unter dem Statthalter von Makedonien. Was von Nordgriechenland gilt, trifft auch auf Thessalien zu. Die Freiheit und Autonomie, welche Caesar den Thessalern allgemein zugestanden oder vielmehr nicht entzogen hatte, scheint ihnen wegen Missbrauchs von Augustus genommen worden zu sein, so dass spaeterhin nur Pharsalos diese Rechtsstellung behalten hat ^49; roemische Kolonisten sind in der Landschaft nicht angesiedelt worden. Ihren besonderen Landtag in Larisa behielt sie, und auch die staedtische Selbstverwaltung ist, wie den abhaengigen Griechen in Achaia, so den Thessalern geblieben. Thessalien ist weitaus die fruchtbarste Landschaft der ganzen Halbinsel und fuehrte noch im vierten Jahrhundert Getreide aus; nichtsdestoweniger sagt Dion von Prusa, dass auch der Peneios durch wuestes Land fliesse, und es ist in der Kaiserzeit in dieser Landschaft nur in sehr geringem Umfang gemuenzt worden. Um die Herstellung von Landstrassen haben Hadrian und Diocletian sich bemueht, aber auch, soviel wir sehen, von den roemischen Kaisern sie allein. --------------------------------------------------- ^49 Die Verfuegung Caesars bezeugen Appian (civ. 2, 88) und Plutarch (Caes. 48), und sie stimmt zu seinem eigenen Bericht (civ. 3, 80) recht gut; dagegen nennt Plinius (nat. 4, 8, 29) nur Pharsalos als freie Stadt. Zu Augustus’ Zeit wurde ein vornehmer Thessaler Petraeos (wahrscheinlich der Caesarianer, civ. 3, 35) lebendig verbrannt (Plut. praec. ger. reip. 19), ohne Zweifel nicht durch ein Privatverbrechen, sondern nach Beschluss des Landtags, und es wurden die Thessaler vor das Kaisergericht gestellt (Suet. Tib. 8). Vermutlich gehoeren beide Vorgaenge und ebenso der Verlust der Freiheit zusammen. --------------------------------------------------- Makedonien als roemischer Verwaltungsbezirk der Kaiserzeit ist, verglichen mit dem Makedonien der Republik, wesentlich verkleinert. Allerdings reicht es wie dieses von Meer zu Meer, indem die Kueste sowohl des Aegaeischen Meeres von der zu Makedonien gehoerigen Landschaft Thessalien an bis zur Muendung des Nestos (Mesta), wie auch die des Adriatischen vom Aoos ^50 bis zum Drilon (Drin) diesem Distrikt zugerechnet wurden; das letztere Gebiet, nicht eigentlich makedonisches, sondern illyrisches Land, aber schon in republikanischer Zeit dem Statthalter Makedoniens zugewiesen, ist auch in der Kaiserzeit bei der Provinz geblieben. Aber dass Griechenland suedlich vom Oeta davon getrennt ward, wurde schon gesagt. Die Nordgrenze gegen Moesien und die Ostgrenze gegen Thrakien blieben zwar insofern unveraendert, als die Provinz in der Kaiserzeit so weit reichte, wie auch das eigentliche Makedonien der Republik gereicht hatte, das heisst noerdlich etwa bis zum Tal des Erigon, oestlich bis zum Flusse Nestos; aber wenn in republikanischer Zeit die Dardaner und die Thraker und saemtliche dem makedonischen Gebiet benachbarte Voelkerschaften des Nordens und des Nordostens in ihren friedlichen wie in ihren kriegerischen Beruehrungen mit diesem Statthalter zu tun hatten und insofern gesagt werden konnte, dass die makedonische Grenze so weit reiche wie die roemischen Lanzen, so gebot der makedonische Statthalter der Kaiserzeit nur ueber den ihm angewiesenen, nirgends mehr mit halb oder ganz unabhaengigen Nachbarn grenzenden Bezirk. Da der Grenzschutz zunaechst auf das in roemische Botmaessigkeit gelangte Thrakerreich und bald auf den Statthalter der neuen Provinz Moesien ueberging, so wurde der von Makedonien seines Kommandos von vornherein enthoben. Es ist auch auf makedonischem Boden in der Kaiserzeit kaum gefochten worden; nur die barbarischen Dardaner am oberen Axios (Vardar) brandschatzten zuweilen noch die friedliche Nachbarprovinz. Auch von oertlichen Auflehnungen wird aus dieser Provinz nichts berichtet. ---------------------------------------------------------- ^50 In der Zeit der Republik scheint Skodra zu Makedonien gehoert zu haben; in der Kaiserzeit sind dies und Lissus dalmatische Staedte und macht die Grenze an der Kueste die Muendung des Drin. ---------------------------------------------------------- Von den suedlicheren griechischen Landschaften entfernt sich diese noerdlichste sowohl in dem nationalen Fundament wie in der Stufe der Zivilisation. Wenn die eigentlichen Makedonier an dem Unterlauf des Haliakmon (Vistritza) und des Axios (Vardar) bis zum Strymon ein urspruenglich griechischer Stamm sind, dessen Verschiedenheit von den suedlicheren Hellenen fuer die gegenwaertige Epoche keine Bedeutung mehr hat, und wenn die hellenische Kolonisation beide Kuesten in ihren Kreis hineingezogen hat, im Westen mit Apollonia und Dyrrhachion, im Osten namentlich mit den Ortschaften der Halbinsel Chalkidike, so ist dagegen das Binnenland der Provinz von einem Gewimmel ungriechischer Voelker erfuellt, das von den heutigen Zustaenden auf dem gleichen Gebiet mehr in seinen Elementen als in seinem Ergebnis sich unterschieden haben wird. Nachdem die bis in diese Gegend vorgedrungenen Kelten, die Skordisker, von den Feldherren der roemischen Republik zurueckgedraengt worden waren, teilten sich in das innere Makedonien insbesondere illyrische Staemme im Westen und Norden, thrakische im Osten. Von beiden ist schon frueher gesprochen worden; hier kommen sie nur insofern in Betracht, als die griechische Ordnung, wenigstens die staedtische, bei diesen Staemmen wohl wie in der frueheren ^51 so auch in der Kaiserzeit nur in beschraenktem Masse eingefuehrt worden ist. Ueberall ist ein energischer Zug staedtischer Entwicklung nie durch das makedonische Binnenland gegangen, die entlegeneren Landschaften sind wenigstens der Sache nach kaum ueber die Dorfwirtschaft hinausgekommen. ------------------------------------------------------ ^51 Die staedtischen Gruendungen in diesen Gegenden ausserhalb des eigentlichen Makedoniens tragen ganz den Charakter eigentlicher Kolonien: so die von Philippi im Thrakerland und besonders die von Derriopos in Paeonien (Liv. 39 53), fuer welchen letzteren Ort auch die spezifisch makedonischen Politarchen inschriftlich bezeugt sind. Inschrift vom Jahre 197 n. Chr.: t/o/n peri Alexandron PHilippoy en Derriop/o/ politarch/o/n (Duchesne und Bayet, Mission au mont Athos, S. 103). ------------------------------------------------------ Die griechische Politie selbst ist in diesem Koenigsland nicht so wie in dem eigentlichen Hellas aus sich selber erwachsen, sondern durch die Fuersten eingefuehrt worden, die mehr Hellenen waren als ihre Untertanen. Welche Gestalt sie gehabt hat, ist wenig bekannt; doch laesst die in Thessalonike, Edessa, Lete gleichmaessig wiederkehrende, anderswo nicht begegnende Stadtvorstandschaft der Politarchen auf eine merkliche und ja auch an sich wahrscheinliche Verschiedenheit der makedonischen Stadtverfassung von der sonst in Hellas ueblichen schliessen. Die griechischen Staedte, welche die Roemer vorfanden, haben ihre Organisation und ihre Rechte behalten, die bedeutendste derselben, Thessalonike, auch die Freiheit und die Autonomie. Es bestand ein Bund und ein Landtag (koinon) der makedonischen Staedte, aehnlich wie in Achaia und Thessalien. Erwaehnung verdient als ein Zeugnis fuer die nachwirkende Erinnerung der alten grossen Zeit, dass noch in der Mitte des dritten Jahrhunderts nach Christus der Landtag von Makedonien und einzelne makedonische Staedte Muenzen gepraegt haben, auf denen der Kopf und der Name des regierenden Kaisers durch den Alexanders des Grossen ersetzt sind. Die ziemlich zahlreichen Kolonien roemischer Buerger, welche Augustus in Makedonien eingerichtet hat, Byllis unweit Apollonia, Dyrrachium am Adriatischen Meer, an der anderen Kueste Dium, Pella, Cassandrea, in dem eigentlich thrakischen Gebiet Philippi, sind saemtlich aeltere griechische Staedte, welche nur eine Anzahl Neubuerger und eine andere Rechtsstellung erhielten, und zunaechst ins Leben gerufen durch das Beduerfnis, die ausgedienten italischen Soldaten, fuer die in Italien selbst kein Platz mehr war, in einer zivilisierten und nicht stark bevoelkerten Provinz unterzubringen. Auch die Gewaehrung des italischen Rechts erfolgte gewiss nur, um den Veteranen die Ansiedelung im Ausland zu vergolden. Dass ein Hineinziehen Makedoniens in die italische Kulturentwicklung niemals beabsichtigt ward, dafuer zeugt, von allem andern abgesehen, dass Thessalonike griechisch und die Hauptstadt des Landes blieb. Daneben gedieh Philippi, eigentlich eine der nahen Goldbergwerke wegen angelegte Grubenstadt, von den Kaisern beguenstigt als Staette der die Monarchie definitiv begruendenden Schlacht und wegen der zahlreichen an derselben beteiligten und nachher dort angesiedelten Veteranen. Roemische, nicht koloniale Gemeindeverfassung hat bereits in der ersten Kaiserzeit Stobi erhalten, die schon erwaehnte noerdlichste Grenzstadt Makedoniens gegen Moesien am Einfluss des Erigon in den Axios, kommerziell wie militaerisch eine wichtige Position und vermutlich schon in makedonischer Zeit zu griechischer Politie gelangt. In wirtschaftlicher Hinsicht ist fuer Makedonien auch unter den Kaisern von Staats wegen wenig geschehen; wenigstens tritt eine besondere Fuersorge derselben fuer diese nicht unter ihrer eigenen Verwaltung stehende Provinz nirgends hervor. Um die schon unter der Republik angelegte Militaerstrasse quer durch das Land von Dyrrachium nach Thessalonike, eine der wichtigsten Verkehrsadern des ganzen Reiches, haben sich, so viel wir wissen, erst die Kaiser des dritten Jahrhunderts, zuerst Severus Antoninus, wieder bemueht; die ihr anliegenden Staedte Lychnidos am Ochrida-See und Herakleia Lynkestis (Bitolia) haben nie viel bedeutet. Dennoch war Makedonien wirtschaftlich besser bestellt als Griechenland. Es uebertrifft dasselbe weitaus an Fruchtbarkeit; wie noch heute die Provinz von Thessalonike relativ gut bebaut und wohlbevoelkert ist, so wird auch in der Reichsbeschreibung aus Constantius’ Zeit, allerdings als Konstantinopel schon bestand, Makedonien zu den besonders wohlhabenden Bezirken gerechnet. Wenn fuer Achaia und Thessalien unsere die roemische Aushebung betreffenden Dokumente schlechthin versagen, so ist dagegen Makedonien dabei, namentlich auch fuer die Kaisergarde, in bedeutendem Umfang, staerker als die meisten griechischen Landschaften, in Anspruch genommen worden, wobei freilich die Gewoehnung der Makedonier an den regelmaessigen Kriegsdienst und ihre vorzuegliche Qualifikation fuer denselben, wohl auch die relativ geringe Entwicklung des staedtischen Wesens in dieser Provinz in Anschlag zu bringen sind. Thessalonike, die Metropole der Provinz und deren volkreichste und gewerbreichste Stadt dieser Zeit, gleichfalls in der Literatur mehrfach vertreten, hat auch in der politischen Geschichte durch den tapferen Widerstand, den seine Buergerin den schrecklichen Zeiten der Goteneinfaelle den Barbaren entgegensetzten, sich einen Ehrenplatz gesichert. Wenn Makedonien ein halb griechisches, so war Thrakien ein nicht griechisches Land. Von dem grossen, aber fuer uns verschollenen thrakischen Stamm ist frueher gesprochen worden. In seinen Bereich ist der Hellenismus lediglich von aussen gelangt; und es wird nicht ueberfluessig sein, zunaechst rueckblickend darzulegen, wie oft der Hellenismus an die Pforten der suedlichsten Landschaft, welche dieser Stamm inne hatte und die wir noch nach ihm nennen, bis dahin gepocht und wie wenig er bis dahin im Binnenland erreicht hatte, um deutlich zu machen, was Rom hier nachzuholen blieb und was es nachgeholt hat. Zuerst Philippos, der Vater Alexanders, unterwarf Thrakien und gruendete nicht bloss Kalybe in der Naehe von Byzantion, sondern im Herzen des Landes die Stadt, die seitdem seinen Namen traegt. Alexander, auch hier der Vorlaeufer der roemischen Politik, gelangte an und ueber die Donau und machte diesen Strom zur Nordgrenze seines Reiches; die Thraker in seinem Heere haben bei der Unterwerfung Asiens nicht die letzte Rolle gespielt. Nach seinem Tode schien der Hellespont einer der grossen Mittelpunkte der neuen Staatenbildung, das weite Gebiet von dort bis an die Donau ^52 die noerdliche Haelfte eines griechischen Reiches werden zu sollen, der Residenz des ehemaligen Statthalters von Thrakien, Lysimachos, der auf dem Thrakischen Chersones neugegruendeten Stadt Lysimacheia eine aehnliche Zukunft zu winken wie den Residenzen der Marschaelle von Syrien und Aegypten. Indes es kam dazu nicht; die Selbstaendigkeit dieses Reiches ueberdauerte den Fall seines ersten Herrschers (473 281) nicht. In dem Jahrhundert, welches von da bis auf die Begruendung der Vormachtstellung Roms im Orient verging, versuchten bald die Seleukiden, bald die Ptolemaeer, bald die Attaliden die europaeischen Besitzungen des Lysimachos in ihre Gewalt zu bringen, aber saemtlich ohne dauernden Erfolg. Das Reich von Tylis im Haemus, welches die Kelten nicht lange nach dem Tode Alexanders, ungefaehr gleichzeitig mit ihrer bleibenden Niederlassung in Kleinasien, im moesisch-thrakischen Gebiet gegruendet hatten, vernichtete die Saat griechischer Zivilisation in seinem Bereich und erlag selber waehrend des Hannibalischen Krieges den Angriffen der Thraker, die diese Eingedrungenen bis auf den letzten Mann ausrotteten. Seitdem gab es in Thrakien eine fuehrende Macht ueberhaupt nicht; die zwischen den griechischen Kuestenstaedten und den Fuersten der einzelnen Staemme bestehenden Verhaeltnisse, die ungefaehr denen vor Alexander entsprechen mochten, erlaeutert die Schilderung, die Polybios von der bedeutendsten dieser Staedte gibt: wo die Byzantier gesaet haben, da ernten die thrakischen Barbaren, und es hilft gegen diese weder das Schwert noch das Geld; schlagen die Buerger einen der Fuersten, so fallen dafuer drei andere in ihr Gebiet, und kaufen sie einen ab, so verlangen fuenf mehr den gleichen Jahrzins. Dem Bestreben der spaeteren makedonischen Herrscher, in Thrakien wieder festen Fuss zu fassen und namentlich die griechischen Staedte der Suedkueste in ihre Gewalt zu bringen, traten die Roemer entgegen, teils um Makedoniens Machtentwicklung ueberhaupt niederzuhalten, teils um nicht die wichtige, nach dem Orient fuehrende "Koenigsstrasse", diejenige, auf der Xerxes nach Griechenland, die Scipionen gegen Antiochos marschierten, in ihrer ganzen Ausdehnung in makedonische Hand kommen zu lassen. Schon nach der Schlacht bei Kynoskephalae wurde die Grenzlinie ungefaehr so gezogen, wie sie seitdem geblieben ist. oefter versuchten die beiden letzten makedonischen Herrscher, sich dennoch in Thrakien sei es geradezu festzusetzen, sei es dessen einzelne Fuersten durch Vertraege an sich zu knuepfen; der letzte Philippos hat sogar Philippopolis abermals gewonnen und Besatzung hineingelegt, die die Odrysen freilich bald wieder vertrieben. Zu dauernder Festsetzung gelangte weder er noch sein Sohn, und die nach der Aufloesung Makedoniens den Thrakern von Rom eingeraeumte Selbstaendigkeit zerstoerte, was dort etwa von hellenischen Anfaengen noch uebrig sein mochte. Thrak ien selbst wurde zum Teil schon in republikanischer, entschiedener in der Kaiserzeit roemisches Lehnsfuerstentum, dann im Jahre 46 n. Chr. roemische Provinz; aber die Hellenisierung des Landes war nicht hinausgekommen ueber den Saum griechischer Pflanzstaedte, welcher in fruehester Zeit sich auch um diese Kueste gelegt hatte, und im Lauf der Zeit eher gesunken als gestiegen. So maechtig und bleibend die makedonische Kolonisation den Osten ergriffen, so schwach und vergaenglich hat sie Thrakien beruehrt; Philipp und Alexander selbst scheinen die Ansiedelungen in diesem Lande widerwillig vorgenommen und geringgeschaetzt zu haben ^53. Bis weit in die Kaiserzeit hinein ist das Land den Eingeborenen, sind die an der Kueste uebriggebliebenen, fast alle heruntergekommenen Griechenstaedte ohne griechisches Hinterland geblieben. ---------------------------------------------------- ^52 Dass auch fuer Lysimachos die Donau Reichsgrenze war, geht hervor aus Paus. 1,9,6. ^53 Kalybe bei Byzantion entstand nach Strabon (7, 6, 2, p. 320) PHilippoy to? Am?ntoy to?s pon/e/ratotoys enta?tha idr?santos. Philippopolis soll sogar nach dem Bericht Theopomps (fr. 122 Mueller) als Pon/e/ropolis gegruendet sein und die entsprechenden Kolonisten empfangen haben. Wie wenig Vertrauen diese Angaben auch verdienen, so druecken sie doch in ihrem Zusammentreffen den Botany-Bay-Charakter dieser Gruendungen aus. ---------------------------------------------------- Dieser von der makedonischen Grenze an bis zum Taurischen Chersonesos sich erstreckende Kranz hellenischer Staedte ist sehr ungleich geflochten. Im Sueden ist er dicht geschlossen von Abdera an bis nach Byzantion an den Dardanellen; doch hat keine dieser Staedte in spaeterer Zeit eine hervorragende Bedeutung gehabt, mit Ausnahme von Byzantion, das durch die Fruchtbarkeit seines Gebietes, die eintraegliche Thunfischerei, die ungemein guenstige Handelslage, den Gewerbefleiss und die durch die exponierte Lage nur gesteigerte und gestaehlte Tuechtigkeit seiner Buerger auch den schwersten Zeiten der hellenischen Anarchie zu trotzen gewusst hatte. Bei weitem duerftiger hatte die Ansiedlung sich an der Westkueste des Schwarzen Meeres entwickelt; an der spaeter zur roemischen Provinz Thrakien gehoerigen war nur Mesembria von einiger Bedeutung, an der spaeter moesischen Odessos (Varna) und Tomis (Kuestendsche). Jenseits der Donaumuendung und der roemischen Reichsgrenze an dem Nordgestade des Pontus lagen mitten im Barbarenland Tyra ^54 und Olbia; weiterhin machten die alten und grossen griechischen Kaufstaedte auf der heutigen Krim, Herakleia oder Chersonesos und Pantikapaeon, einen stattlichen Schlussstein. Alle diese Ansiedlungen genossen des roemischen Schutzes, seit die Roemer ueberhaupt die Vormacht auf dem griechisch-asiatischen Kontinent geworden waren, und der starke Arm, der das eigentliche hellenische Land oft schwer traf, verhinderte hier wenigstens Katastrophen wie die Zerstoerung von Lysimacheia. Die Beschuetzung dieser Griechen gehoerte in republikanischer Zeit zu den Obliegenheiten teils des Statthalters von Makedonien, teils des von Bithymen, seit auch dies roemisch war; Byzantion ist spaeter bei Bithynien geblieben ^55. Im uebrigen ging in der Kaiserzeit nach Einrichtung der Statthalterschaft von Moesien und spaeter derjenigen von Thrakien die Schutzleistung auf diese ueber. ---------------------------------------------- ^54 Doch reicht die noerdliche bessarabische Linie, die vielleicht roemisch ist, bis nach Tyra. ^55 Dass Byzantion noch in traianischer Zeit unter dem Statthalter von Bithynien stand, folgt aus Plin. ep. ad Trai. 43. Aus den Gratulationen der Byzantier an die Legaten von Moesien kann die ihrer Lage nach kaum moegliche Zugehoerigkeit zu dieser Statthalterschaft nicht geschlossen werden; die Beziehungen zu dem Statthalter von Moesien erklaeren sich aus den Handelsverbindungen der Stadt mit den moesischen Hafenplaetzen. Dass Byzanz auch im Jahre 53 unter dem Senat stand, also nicht zu Thrakien gehoerte, geht aus Tacitus ann. 12, 62 hervor. Zugehoerigkeit zu Makedonien unter der Republik bezeugt Cicero (Pis. 35, 86; prov. 4, 6) nicht, da die Stadt damals frei war. Diese Freiheit scheint, wie bei Rhodos, oft gegeben und oft genommen zu sein. Cicero, a. a. O., spricht sie ihr zu; im Jahre 53 ist sie tributpflichtig; Plinius (nat. 4, 11, 46) fuehrt sie als freie Stadt auf; Vespasian entzieht ihr die Freiheit (Suet. Vesp. 8). ---------------------------------------------- Schutz und Gunst gewaehrte diesen Griechen Rom von jeher; aber um die Ausdehnung des Hellenismus hat weder die Republik noch die fruehere Kaiserzeit sich bemueht ^56. Nachdem Thrakien roemisch geworden war, ist es in Landkreise eingeteilt worden ^57; und bis fast an das Ende des ersten Jahrhunderts ist dort keine Stadtanlage zu verzeichnen, mit Ausnahme zweier Pflanzstaedte des Claudius und des Vespasianus, Apri im Binnenland, nicht weit von Perinthos, und Deultus an der noerdlichsten Kueste ^58. Domitian hat damit begonnen, griechische Stadtverfassung im Binnenland einzufuehren, zuerst fuer die Landeshauptstadt Philippopolis. Unter Traianus erhielten eine Reihe anderer thrakischer Ortschaften das gleiche Stadtrecht: Topeiros unweit Abdera, Nikopolis am Nestos, Plotinopolis am Hebros, Pautalia bei Koestendil, Serdica jetzt Sofia, Augusta Traiana bei Alt-Zagora, ein zweites Nikopolis am noerdlichen Abhang des Haemus ^59 ausserdem an der Kueste Traianopolis an der Hebrosmuendung; ferner unter Hadrian Adrianopolis, das heutige Adrianopel. Alle diese Staedte waren nicht Kolonien von Auslaendern, sondern nach dem von Augustus in dem epirotischen Nikopolis aufgestellten Muster zusammengefasste, griechisch organisierte Poliden; es war eine Zivilisierung und Hellenisierung der Provinz von oben herab. Ein thrakischer Landtag bestand seitdem in Philippopolis ebenso wie in den eigentlich griechischen Landschaften. Dieser letzte Trieb des Hellenismus ist nicht der schwaechste. Das Land ist reich und anmutig - eine Muenze der Stadt Pautalia preist den vierfachen Segen der Aehren, der Trauben, des Silbers und des Goldes; und Philippopolis sowie das schoene Tal der Tundja sind die Heimat der Rosenzucht und des Rosenoels - und die Kraft des thrakischen Schlages war nicht gebrochen. Es entwickelte sich hier eine dichte und wohlhabende Bevoelkerung; der starken Aushebung in Thrakien wurde schon gedacht und in der Taetigkeit der staedtischen Muenzstaetten stehen fuer diese Epoche wenige Gebiete Thrakien gleich. Als Philippopolis im Jahre 251 den Goten erlag, soll es hunderttausend Einwohner gezaehlt haben. Auch die energische Parteinahme der Byzantier fuer den Kaiser des griechischen Ostens, Pescennius Niger, und der mehrjaehrige Widerstand, den die Stadt noch nach dessen Untergang dem Sieger entgegenstellte, zeigen die Mittel und den Mut dieser thrakischen Staedter. Wenn die Byzantier auch hier unterlagen und sogar eine Zeitlang ihr Stadtrecht einbuessten, so sollte bald die durch den Aufschwung des thrakischen Landes sich vorbereitende Zeit eintreten, wo Byzantion das neue hellenische Rom und die Hauptresidenz des umgewandelten Reiches ward. --------------------------------------------------- ^56 Dies verbuergt das Fehlen von Muenzen der thrakischen Binnenstaedte, welche nach Metall und Stil in die aeltere Zeit gesetzt werden koennten. Dass eine Anzahl thrakischer, besonders odrysischer Fuersten zum Teil schon in recht frueher Zeit gepraegt haben, beweist nur, dass sie ueber Kuestenplaetze mit griechischer oder halbgriechischer Bevoelkerung geboten. Ebenso wird auch zu urteilen sein ueber die ganz vereinzelt stehenden Tetradrachmen der "Thraker" (A. v. Sallet in Zeitschrift fuer Numismatik 3, 1876, S. 241). Auch die im thrakischen Binnenland gefundenen Inschriften sind durchgaengig aus roemischer Zeit. Das in Bessapara, jetzt Tatar Bazardjik, westlich von Philippopolis, von Dumont (Inscriptions de la Thrace, S. 7) gefundene Dekret einer nicht genannten Stadt wird freilich in gute makedonische Zeit gesetzt, aber nur nach dem Charakter der Schrift, welcher vielleicht truegt. ^57 Die fuenfzig Strategien Thrakiens (Plin. nat. 4,11, 40; Ptol. geogr. 3, 11, 6) sind nicht Militaerbezirke, sondern, wie dies namentlich bei Ptolemaeos deutlich hervortritt, Landkreise, die sich mit den Staemmen decken (strat/e/gi/e/ Maidik/e/, Bessik/e/ u.s.w.) und Gegensatz zu den Staedten bilden. Die Bezeichnung strat/e/gos hat, ebenso wie praetor, ihren urspruenglich militaerischen Wert spaeter eingebuesst. Hier liegt wohl zunaechst die Analogie von Aegypten zu Grunde, das ebenso in Stadtgebiete unter staedtischen Magistraten und in Landkreise unter Strategen zerfiel. Ein strat/e/gos peri Perinthon aus roemischer Zeit: Eph. epigr. II, p. 252. ^58 In Deultus, der colonia Flavia Pacis Deultensium, wurden Veteranen der 8. Legion versorgt (CIL VI, 3828). Flaviopolis auf dem Chersones, das alte Coela, ist gewiss nicht Kolonie gewesen (Plin, nat. 4, 11, 47), sondern gehoert zu der eigenartigen Ansiedelung des Kaisergesindes auf diesem Domanialbesitz (Eph. epigr. V, p. 82). ^59 Diese Stadt Nikopolis /e/ peri Aim/o/n des Ptolemaeos (geogr. 3, 11, 7), Nikopolis pros Istron der Muenzen, das heutige Nikup an der Jantra, gehoert geographisch zu Untermoesien und, wie die Statthalternamen der Muenzen zeigen, seit Severus auch administrativ; aber nicht bloss fuehrt Ptolemaeos es bei Thrakien auf, sondern die Fundorte der hadrianischen Terminalsteine (CIL III, 736, vgl. p. 992) scheinen es ebenfalls zu Thrakien zu stellen. Da diese griechische Binnenstadt weder zu den lateinischen Stadtgemeinden Untermoesiens noch zu dem koinon des moesischen Pontus passte, ist sie bei der ersten Ordnung der Verhaeltnisse dem koinon der Thraker zugewiesen worden. Spaeter muss sie freilich einem oder dem andern jener moesischen Verbaende angeschlossen worden sein. --------------------------------------------------- In der benachbarten Provinz Untermoesien hat sich, freilich in geringerem Masse, eine aehnliche Entwicklung vollzogen. Die griechischen Kuestenstaedte, deren Metropole wenigstens in roemischer Zeit Tomis war, wurden, wahrscheinlich bei Konstituierung der roemischen Provinz Moesien, zusammengefasst als "Fuenfstaedtebund des linken Ufers des Schwarzen Meeres" oder, wie er auch sich nennt, "der Griechen", das heisst der Griechen dieser Provinz. Spaeter ist als sechste Stadt die unweit der Kueste an der thrakischen Grenze von Traian angelegte und gleich den thrakischen griechisch geordnete Stadt Markianopolis diesem Bund angeschlossen worden ^60. Dass die Lagerstaedte am Donauufer und ueberhaupt die im Binnenland von Rom ins Leben gerufenen Ortschaften nach italischem Muster eingerichtet wurden, ist frueher bemerkt worden; Untermoesien ist die einzige durch die Sprachgrenze durchschnittene roemische Provinz, indem der tomitanische Staedtebund dem griechischen, die Donaustaedte wie Durostorum und Oescus dem lateinischen Sprachgebiet angehoeren. Im uebrigen gilt von diesem moesischen Staedtebund wesentlich das gleiche, was ueber Thrakien bemerkt ward. Wir haben eine Schilderung von Tomis aus den letzten Jahren des Augustus, freilich von einem dahin zur Strafe Verbannten, aber sicher im wesentlichen getreu. Die Bevoelkerung besteht zum groesseren Teil aus Geten und Sarmaten; sie tragen, wie die Daker auf der Traianssaeule, Pelze und Hosen, langes flatterndes Haar und den Bart ungeschoren, erscheinen auf der Strasse zu Pferde und mit dem Bogen bewaffnet, den Koecher auf der Schulter, das Messer im Guertel. Die wenigen Griechen, die unter ihnen sich finden, haben die barbarische Sitte angenommen mit Einschluss der Hosen und wissen ebensogut oder besser getisch als griechisch sich auszudruecken; der ist verloren, der sich nicht auf getisch verstaendlich machen kann, und kein Mensch versteht ein Wort lateinisch. Vor den Toren hausen raeuberische Scharen der verschiedensten Voelker und ihre Pfeile fliegen nicht selten ueber die schuetzende Stadtmauer; wer seinen Acker zu bestellen wagt, der tut es mit Lebensgefahr, und pfluegt bewaffnet - war doch um die Zeit von Caesars Diktatur bei dem Zuge des Burebista die Stadt den Barbaren in die Haende gefallen und wenige Jahre, bevor jener Verbannte nach Tomis kam, waehrend der dalmatisch-pannonischen Insurrektion ueber diese Gegend abermals die Kriegsfurie hingebraust. Zu diesen Erzaehlungen passen die Muenzen und die Inschriften derselben Stadt insofern wohl, als die Metropole des linkspontischen Staedtebundes in der vorroemischen Zeit kein Silber geschlagen hat, was manche andere dieser Staedte taten, und dass ueberhaupt Muenzen wie Inschriften aus der Zeit vor Traian nur vereinzelt begegnen. Aber im 2. und 3. Jahrhundert ist sie umgewandelt und kann ziemlich mit demselben Recht eine Gruendung Traians heissen wie das ebenfalls rasch zu bedeutender Entwicklung gelangte Markianopolis. Die frueher erwaehnte Sperrung in der Dobrudscha diente zugleich als Schutzmauer fuer die Stadt Tomis. Hinter dieser bluten daselbst Handel und Schiffahrt auf. Es gab in der Stadt eine Genossenschaft alexandrinischer Kaufleute mit ihrer eigenen Serapiskapelle ^61; in munizipaler Freigebigkeit und munizipaler Ambition steht die Stadt hinter keiner griechischen Mittelstadt zurueck; zweisprachig ist sie auch jetzt noch, aber in der Weise, dass neben der auf den Muenzen immer festgehaltenen griechischen Sprache hier an der Grenze der beiden Reichssprachengebiete auch die lateinische vielfach selbst auf oeffentlichen Denkmaelern angewendet wird. ----------------------------------------------------- ^60 Das koinon t/e/s Pentapole/o/s findet sich auf einer Inschrift von Odessos (CIG 2056 c) die fueglich der frueheren Kaiserzeit angehoeren kann, die pontische Hexapolis auf zwei Inschriften von Tomis wahrscheinlich des 2. Jahrhunderts n. Chr. (Marquardt, Roemische Staatsverwaltung, Bd. 1, z. Aufl., S. 305; Hirschfeld in Archaeologisch-epigraphische Mittheilungen 6, 1882, S. 22). Die Hexapolis muss auf jeden Fall und danach wahrscheinlich auch die Pentapolis, mit den roemischen Provinzialgrenzen in Einklang gebracht werden, das heisst die griechischen Staedte Untermoesiens in sich schliessen. Diese finden sich auch, wenn man den sichersten Fuehrern, den Muenzen der Kaiserzeit, folgt. Muenzstaetten (von Nikopolis abgesehen, Anm. 59) gibt es in Untermoesien sechs: Istros, Tomis, Kallatis, Dionysopolis, Odessos und Markianopolis, und da die letzte Stadt von Traian gegruendet ward, so erklaert sich damit zugleich die Pentapolis. Tyra und Olbia haben schwerlich dazu gehoert; wenigstens zeigen die zahlreichen und redseligen Denkmaeler der letzteren Stadt nirgends eine Anknuepfung an diesen Staedtebund. Koinon t/o/n Ell/e/n/o/n heisst derselbe auf einer Inschrift von Tomis, welche ich hier wiederhole, da sie nur in der athenischen Pandora vom 1. Juni 1868 gedruckt ist: Agath/e/ t?ch/e/. Kata ta doxanta t/e/ krat/e/st/e/ boyl/e/ kai t/o/ lamprotat/o/ d/e/m/o/ t/e/s lamprotat/e/s metropole/o/s kai a toi epon?moy Pontoy Tome/o/s ton Pontarch/e/n Preiskion Annianon arxanta toi koino? t/o/n Ell/e/n/o/n kai t/e/s metropole/o/s t/e/n a’ arch/e/n agn/o/s, kai archierasamenon, t/e/n diopl/o/n kyneg/e/si/o/n endox/o/s philoteimian m/e/ dialiponta, alla kai boyleyt/e/n kai t/o/n pr/o/teyont/o/n PHlabias Neas pole/o/s, kai t/e/n archiereian s?mbion ayto? Ioylian Apolaist/e/n pas/e/s teim/e/s charein. ^61 Das zeigt die merkwuerdige Inschrift bei Allard, La Bulgarie Orientale. Paris 1863, S. 263: THe/o/ megal/o/ Sarap{idi kai} tois synnaiois theois kai t/o/ aytokratori T. Aili/o/ Adrian/o/ Ant/o/nein/o/ Sebast/o/ Eysebei kai M. Ayr/e/li/o/ Oy/e/r/o/ Kaisari Karpi/o/n Anoybi/o/nos t/o/ oik/o/ Alexandre/o/n ton b/o/mon ek t/o/n idi/o/n aneth/e/ken etoys kg’ m/e/nos PHarmoythi a’ epi iere/o/n Kornoytoy to? kai Sarapi/o/nos Pol?mnoy to? kai Longeinoy. Die Schiffergilde von Tomis begegnet mehrfach in den Inschriften der Stadt. ----------------------------------------------------- Jenseits der Reichsgrenze, zwischen der Donaumuendung und der Krim, hatte der griechische Kaufmann die Kueste wenig besiedelt; es gab hier nur zwei namhafte griechische Staedte, beide von Miletos aus in ferner Zeit gegruendet, Tyra an der Muendung des gleichnamigen Flusses, des heutigen Dnjestr, und Olbia an dem Busen, in welchen der Borysthenes (Dnjepr) und der Hypanis (Bug) fallen. Die verlorene Stellung dieser Hellenen unter den sie umdraengenden Barbaren in der Diadochenzeit sowohl wie waehrend der Vorherrschaft der roemischen Republik ist frueher geschildert worden. Die Kaiser brachten Hilfe. Im Jahre 56, also in dem musterhaften Anfang der Neronischen Regierung, ist Tyra zur Provinz Moesien gezogen worden. Von dem entfernteren Olbia besitzen wir eine Schilderung aus traianischer Zeit ^62: die Stadt blutete noch aus ihren alten Wunden; die elenden Mauern umschlossen gleich elende Haeuser und das damals bewohnte Quartier fuellte einen kleinen Teil des alten ansehnlichen Stadtringes, von dem einzelne uebriggebliebene Tuerme weit hinaus auf dem wuesten Felde standen; in den Tempeln gab es kein Goetterbild, das nicht die Spuren der Barbarenfaeuste trug; die Bewohner hatten ihr Hellenentum nicht vergessen, aber sie trugen und schlugen sich nach Art der Skythen, mit denen sie taeglich im Gefecht lagen. Ebenso oft wie mit griechischen nennen sie sich mit skythischen Namen, das heisst mit denen der den Iraniern verwandten sarmatischen Staemme ^63; ja im Koenigshause selbst ward Sauromates ein gewoehnlicher Name. Ihr Fortbestehen selbst hatten diese Staedte wohl weniger der eigenen Kraft zu danken als dem guten Willen oder vielmehr dem eigenen Interesse der Eingeborenen. Die an dieser Kueste sitzenden Voelkerschaften waren weder imstande, den auswaertigen Handel aus eigenen Emporien zu fuehren, noch mochten sie ihn entbehren; in den hellenischen Kuestenstaedten kauften sie Salz, Kleidungstuecke, Wein, und die zivilisierteren Fuersten schuetzten einigermassen die Fremden gegen die Angriffe der eigentlichen Wilden. Die frueheren Regenten Roms muessen Bedenken getragen haben, den schwierigen Schutz dieser entlegenen Niederlassung zu uebernehmen; dennoch sandte Pius, als die Skythen sie wieder einmal belagerten, ihnen roemische Hilfstruppen und zwang die Barbaren, Frieden zu bieten und Geiseln zu stellen. Durch Severus, von dem an Olbia Muenzen mit dem Bildnis der roemischen Herrscher schlug, muss die Stadt dem Reiche geradezu einverleibt worden sein. Selbstverstaendlich erstreckte sich diese Annektierung nur auf die Stadtgebiete selbst und ist nie daran gedacht worden, die barbarischen Umwohner Tyras und Olbias unter das roemische Szepter zu bringen. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Staedte die ersten waren, welche, vermutlich unter Alexander ( + 235), dem beginnenden Gotensturm erlagen. ---------------------------------------------------- ^62 Das stets bekriegte und oft zerstoerte Olbia erlitt nach der Angabe Dios (Borysth. p. 75 R.) etwa 150 Jahre vor seiner Zeit das heisst etwa vor dem Jahre 100 n. Chr., also wahrscheinlich bei dem Zug des Burebista, die letzte und schwerste Eroberung (t/e/n teleytaian kai megist/e/n al/o/sin). Eilon de, faehrt Dion fort, kai ta?t/e/n Getai kai tas allas tas en tois aristerois to? Pontoy poleis mechri Apoll/o/nias (Sozopolis oder Sizebolu, die letzte namhafte Griechenstadt an der pontischen Westkueste) othen d/e/ kai sphodra tapeina ta pragmata katest/e/ t/o/n ta?t/e/ Ell/e/n/o/n, t/o/n men oyketi syoikistheis/o/n pole/o/n, t/o/n de pha?l/o/s kai t/o/n pleist/o/n barbar/o/n eis aytas syrryent/o/n. Der junge vornehme Stadtbuerger ausgepraegter ionischer Physiognomie, dem Dion dann begegnet, welcher zahlreiche Sarmaten erschlagen oder gefangen hat, und zwar den Phokylides nicht kennt, aber den Homer auswendig weiss, traegt Mantel und Hosen nach Skythenart und das Messer im Gurt. Die Stadtbuerger alle tragen langes Haar und langen Bart und nur einer beides geschoren, was ihm als Zeichen serviler Haltung gegen die Roemer verdacht wird. Also ein Jahrhundert spaeter sah es dort ganz so aus, wie Ovidius Tomis schildert. ^63 Ganz gewoehnlich heisst der Vater skythisch, der Sohn griechisch, oder auch umgekehrt; zum Beispiel verzeichnet eine unter oder nach Traian gesetzte Inschrift von Olbia (CIG 2074) sechs Strategen: M. Ulpius Pyrrhus Sohn des Arseuaches, Demetrios Sohn des Xessagaros, Zoilos Sohn des Arsakes, Badakes Sohn des Radanpson, Epikrates Sohn des Koxuros, Ariston Sohn des Vargadakes. ---------------------------------------------------- Wenn auf dem Kontinent im Norden des Pontus die Griechen sich nur spaerlich angesiedelt hatten, so war die grosse, aus dieser Kueste vorspringende Halbinsel, der Taurische Chersonesos, die heutige Krim, seit langem zum grossen Teil in ihren Haenden. Getrennt durch die Gebirge, welche die Taurier innehatten, waren die beiden Mittelpunkte der griechischen Niederlassung auf ihr am westlichen Ende die dorische freie Stadt Herakleia oder Chersonesos (Sevastopol), am oestlichen das Fuerstenrum von Pantikapaeon oder Bosporus (Kertsch). Koenig Mithradates hatte auf der Hoehe seiner Macht beide vereinigt und hier sich ein zweites Nordreich gegruendet, das dann nach dem Zusammenbruch seiner Herrschaft als einziger Ueberrest derselben seinem Sohn und Moerder Pharnakes verblieb. Als dieser waehrend des Krieges zwischen Caesar und Pompeius versuchte, die vaeterliche Herrschaft in Kleinasien wieder zu gewinnen, hatte Caesar ihn besiegt und ihn auch des Bosporanischen Reiches verlustig erklaert. In diesem hatte inzwischen der von Pharnakes daselbst zurueckgelassene Statthalter Asandros dem Koenig den Gehorsam aufgekuendigt, in der Hoffnung, durch diesen Caesar erwiesenen Dienst selbst das Koenigtum zu erlangen. Als Pharnakes nach der Niederlage in sein Bosporanisches Reich zurueckkam, bemaechtigte er zwar zunaechst sich wieder seiner Hauptstadt, unterlag aber schliesslich und fiel tapfer fechtend in der letzten Schlacht, als Soldat wenigstens seinem Vater nicht ungleich. Um die Nachfolge stritten Asandros, der tatsaechlich Herr des Landes war, und Mithradates von Pergamon, ein tuechtiger Offizier Caesars, den dieser mit dem bosporanischen Fuerstenrum belehnt hatte; beide suchten zugleich Anlehnung an die bisher im Bosporus herrschende Dynastie und den grossen Mithradates, indem Asandros sich mit der Tochter des Pharnakes, Dynamis, vermaehlte, Mithradates, einem pergamenischen Buergerhaus entsprossen, ein Bastardsohn des grossen Mithradates Eupator zu sein behauptete, sei es nun, dass dieses Gerede die Auswahl bestimmte, sei es, dass es zur Rechtfertigung der Auswahl in Umlauf gesetzt ward. Da Caesar selbst zunaechst durch wichtigere Aufgaben in Anspruch genommen war, so entschieden zwischen dem legitimen und dem illegitimen Caesarianer die Waffen, und zwar wieder zu Gunsten des letzteren; Mithradates fiel im Gefecht und Asandros blieb Herr im Bosporus. Er vermied es anfaenglich, ohne Zweifel, weil ihm die Bestaetigung des Lehnsherrn fehlte, sich den Koenigsnamen beizulegen, und begnuegte sich mit dem auch von den aelteren Fuersten von Pantikapaeon gefuehrten Archontentitel; aber bald, wahrscheinlich noch von Caesar selbst, erwirkte er die Bestaetigung seiner Herrschaft und den koeniglichen Titel ^64. Bei seinem Tode (737/38 17/16) hinterliess er sein Reich der Gemahlin Dynamis. So stark war immer noch die Macht der Erbfolge und des Mithradatischen Namens, dass sowohl ein gewisser Scribonianus, der zunaechst Asandros’ Stelle einzunehmen versuchte, wie nach ihm der Koenig Polemon von Pontus, dem Augustus das Bosporanische Reich zusprach, mit der Uebernahme der Herrschaft ein Ehebuendnis mit der Dynamis verbanden; ueberdies behauptete jener, selber ein Enkel des Mithradates zu sein, waehrend Koenig Polemon bald nach dem Tode der Dynamis eine Enkelin des Antonius und somit eine Verwandte des Kaiserhauses heiratete. Nach seinem fruehen Tode - er fiel im Kampfe gegen die Aspurgianer an der asiatischen Kueste - folgten seine unmuendigen Kinder ihm nicht und auch seinem gleichnamigen Enkel, den Kaiser Gaius trotz seines Knabenalters im Jahre 38 in die beiden Fuerstenroemer seines Vaters wieder einsetzte, blieb das bosporanische nicht lange. An seiner Stelle berief Kaiser Claudius einen wirklichen oder angeblichen Nachkommen des Mithradates Eupator, und diesem Hause ist, wie es scheint, das Fuerstenrum von da an verblieben ^65. ---------------------------------------------- ^64 Da Asandros sein Archontat wahrscheinlich schon von seinem Abfall von Pharnakes, also vom Sommer des Jahres 707 (47) gezaehlt hat und bereits im vierten Jahre seiner Regierung den Koenigstitel annimmt, so kann dieses Jahr fueglich auf Herbst 709/710 (45/44) gesetzt werden, die Bestaetigung also von Caesar erfolgt sein. Antonius kann sie nicht wohl erteilt haben, da er erst Ende 712 (42) nach Asien kam; noch weniger ist an Augustus zu denken, den Pseudo- Lukianos (macrob. 15) nennt, Vater und Sohn verwechselnd. ^65 Mithradates den Claudius im Jahre 41 zum Koenig des Bosporus machte, fuehrte sein Geschlecht auf Eupator zurueck (Dio 60, 8; Tac. ann. 12, 18) und ihm folgte sein Bruder Kotys (Tac. a. a. O.). Ihr Vater heisst Aspurgos (CIG II, p. 95), braucht aber darum kein Aspurgianer (Strab. 11, 2, 19, p. 415) gewesen zu sein. Von einem spaeteren Dynastiewechsel wird nicht berichtet; Koenig Eupator in Pius Zeit (Lukian. Alex. 57; vita Pii 9) weist auf das gleiche Haus. Wahrscheinlich haben uebrigens diese spaeteren bosporanischen Koenige so wie die uns nicht einmal dem Namen nach bekannten naechsten Nachfolger Polemons auch zu den Polemoniden in verwandtschaftlichen Beziehungen gestanden, wie denn der erste Polemon selbst eine Enkelin des Eupator zur Frau gehabt hatte. Die thrakischen Koenigsnamen, wie Kotys und Rhaskuporis, die in dem bosporanischen Koenigshaus gewoehnlich sind, knuepfen wohl an den Schwiegersohn des Polemon, den thrakischen Koenig Kotys, an. Die Benennung Sauromates, welche seit dem Ende des 1. Jahrhunderts haeufig auftritt, ist ohne Zweifel durch Verschwaegerung mit sarmatischen Fuerstenhaeusern aufgekommen, beweist aber natuerlich nicht, dass ihre Traeger selber Sarmaten waren. Wenn Zosimos (hist. 1, 31) den nach Erloeschendes alten Koenigsgeschlechts zur Regierung gelangten geringen und unwuerdigen Fuersten die Schuld daran zuschreibt, dass die Goten unter Valerian auf bosporanischen Schiffen ihre Piratenzuege ausfuehren konnten, so mag das seine Richtigkeit haben und zunaechst Phareanses gemeint sein, von dem es Muenzen aus den Jahren 254 und 255 gibt. Aber auch diese sind mit dem Bildnis des roemischen Kaisers bezeichnet, und spaeter finden sich wieder die alten Geschlechtsnamen (alle bosporanischen Koenige sind Tiberii Iulii) und die alten Beinamen wie Sauromates und Rhaskuporis. Im ganzen genommen sind die alten Traditionen wie die roemische Schutzherrschaft auch damals hier noch festgehalten worden. ---------------------------------------------- Waehrend im roemischen Staat sonst das Klientelfuerstentum nach dem Ausgang der ersten Dynastie schwindet und seit Traianus das Prinzip des unmittelbaren Regiments im ganzen Umfang des Roemischen Reiches durchgefuehrt ist, bestand das bosporanische Koenigtum unter roemischer Oberherrschaft bis in das vierte Jahrhundert hinein. Erst nachdem der Schwerpunkt des Reiches nach Konstantinopel verlegt war, ging dieser Staat in das Hauptreich auf ^66, um dann bald von diesem aufgegeben und, wenigstens zum groesseren Teil, die Beute der Hunnen zu werden ^67. Indes ist der Bosporus der Sache nach mehr eine Stadt als ein Koenigreich gewesen und geblieben und hat mehr Aehnlichkeit mit den Stadtbezirken von Tyra und Olbia als mit den Koenigreichen Kappadokien und Numidien. Auch hier haben die Roemer nur die hellenische Stadt Pantikapaeon geschuetzt und Grenzerweiterung und Unterwerfung des Binnenlandes so wenig erstrebt wie in Tyra und Olbia. Zu dem Gebiet des Fuersten von Pantikapaeon gehoerten zwar die griechischen Ansiedlungen von Theudosia auf der Halbinsel selbst und Phanagoria (Taman) auf der gegenueberliegenden asiatischen Kueste, aber Chersonesos nicht ^68 oder nur etwa wie Athen zum Sprengel des Statthalters von Achaia. Die Stadt hatte von den Roemern die Autonomie erhalten und sah in dem Fuersten den naechsten Beschuetzer, nicht den Landesherrn; sie hat auch in der Kaiserzeit als freie Stadt niemals weder mit Koenigsnoch mit Kaiserstempeln gepraegt. Auf dem Kontinent stand nicht einmal die Stadt, welche die Griechen Tanais nennen, ein lebhaftes Emporium an der Muendung des Don, aber schwerlich eine griechische Gruendung, dauernd unter der Botmaessigkeit der roemischen Lehnsfuersten ^69. Von den mehr oder minder barbarischen Staemmen auf der Halbinsel selbst und an der europaeischen und asiatischen Kueste suedlich vom Tanais befanden sich wohl nur die naechsten in festem Abhaengigkeitsverhaeltnis ^70. ---------------------------------------------- ^66 Die letzte bosporanische Muenze ist vom Jahre 631 der Archaemenidenaera, 335 n. Chr.; sicher haengt dies zusammen mit der eben in dieses Jahr fallenden Einsetzung des Neffen Konstantins L, Hanniballianus, zum "Koenig", obwohl dies Koenigtum hauptsaechlich das oestliche Kleinasien umfasste und zur Residenz Caesa rea in Kappadokien hatte. Nachdem in der blutigen Katastrophe nach Konstantins Tode dieser Koenig und sein Koenigtum zugrunde gegangen war, steht der Bosporus unmittelbar unter Konstantinopel. ^67 Noch im Jahre 366 war der Bosporus in roemischem Besitz (Amm. 26, 10, 6); bald nachher muessen die Griechen am Nordufer des Schwarzen Meeres sich selbst ueberlassen worden sein, bis dann Justinian die Halbinsel wieder besetzte (Prok. Goth. 4, 5). In der Zwischenzeit ging Pantikapaeon in den Hunnenstuermen zugrunde. ^68 Die Muenzen der Stadt Chersonesos aus der Kaiserzeit haben die Aufschrift CHerson/e/soy eleytheras, einmal sogar basileyo?s/e/s, und weder Koenigsnoch Kaisernamen oder Kopf (A. v. Sauet in Zeitschrift fuer Numismatik 1, 1874, S. 27; 4, 1877, S. 273). Die Unabhaengigkeit der Stadt dokumentiert sich auch darin, dass sie nicht minder als die Koenige des Bosporus in Gold muenzt. Da die Aera der Stadt richtig auf das Jahr 36 v. Chr. bestimmt scheint (CIG 8621), in welchem ihr, vermutlich von Antonius, die Freiheit verliehen ward, so ist die vom Jahre 109 datierte Goldmuenze der "regierenden Stadt" im Jahre 75 n. Chr. geschlagen. ^69 Nach Strabons Darstellung (11, 2, 11, p. 495) stehen die Herren von Tanais selbstaendig neben denen von Pantikapaeon und haengen die Staemme suedlich vom Don bald von diesen, bald von jenen ab; wenn er hinzufuegt, dass manche der pantikapaeischen Fuersten bis zum Tanais geboten, und namentlich die letzten, Pharnakes, Asandros, Polemon, so scheint dies mehr Ausnahme als Regel. In der Anm. 70 angefuehrten Inschrift stehen die Tanaiten unter den untertaenigen Staemmen und eine Reihe von tanaitischen Inschriften bestaetigen dies fuer die Zeit von Marcus bis Gordian; aber die Ell/e/nes kai Tanaeitai neben den archantes Tanaeit/o/n und den oefter genannten Ell/e/narchai bestaetigen, dass die Stadt auch damals eine nicht griechische blieb. ^70 In der einzigen lebendigen Erzaehlung aus der bosporanischen Geschichte, die wir besitzen, der des Tacitus (arm. 12, 15-21) von den beiden rivalisierenden Bruedern Mithradates und Kotys, stehen die benachbarten Staemme, die Dandariden Shaker, Aorser unter eigenen, von dem roemischen Fuersten von Pantikapaeon nicht rechtlich abhaengigen Herren. In der Titulatur pflegen die aelteren pantikapaeischen Fuersten sich Archonten des Bosporus, das heisst von Pantikapaeon, und von Theudosia und Koenige der Sinder und saemtlicher Maiter und anderer nicht griechischer Voelkerschaften zu nennen. Ebenso nennt die meines Wissens unter den Koenigsinschriften der roemischen Epoche aelteste den Aspurgos, Sohn des Asandrochos (Stephani, Comptes rendus de la commission pour 1866, S. 128) basile?onta pantos Bosporoy. THeodosi/e/s kai Sind/o/n kai Mait/o/n kai Toret/o/n PS/e/s/o/n te kai Tanaeit/o/n. TH/e/ostasanta Sk?thas kai Tayro?s. Auf den Umfang des Gebietes wird aus der vereinfachten Titulatur kein Schluss gezogen werden duerfen. In den Inschriften der spaeteren Zeit findet sich einmal unter Traian die wohl adulatorische Titulatur basile?s basile/o/n megas to? pantos Bosporoy(CIG 2123). Die Muenzen kennen ueberhaupt von Asandros an keinen Titel als basile?s, waehrend doch Pharnakes sich basile?s basile/o/n megas nennt. Ohne Zweifel ist dies Einwirkung der roemischen Suzeraenitaet, mit der sich ein ueber andere Fuersten gesetzter Lehnsfuerst nicht recht vertrug. ---------------------------------------------- Das Gebiet von Pantikapaeon war zu ausgedehnt und besonders fuer den kaufmaennischen Verkehr zu wichtig, um, wie Olbia und Tyra, der Verwaltung wechselnder Gemeindebeamten und eines weit entfernten Statthalters ueberlassen zu werden; deshalb wurde es erblichen Fuersten anvertraut, was weiter sich dadurch empfahl, dass es nicht geraten scheinen mochte, die mit dieser Landschaft verknuepften Verhaeltnisse zu den Umwohnern unmittelbar auf das Reich zu uebertragen. Als Griechenfuersten haben die des bosporanischen Hauses, trotz ihres achaemenidischen Stammbaumes und ihrer achaemenidischen Jahreszaehlung, sich durchaus empfunden und ihren Ursprung, nach gut hellenischer Art, auf Herakles und die Eumolpiden zurueckgefuehrt. Die Abhaengigkeit dieser Griechen von Rom, der koeniglichen in Pantikapaeon wie der republikanischen in Chersonesos, war durch die Natur der Dinge gegeben, und nie haben sie daran gedacht, gegen den schuetzenden Arm des Reiches sich aufzulehnen; wenn einmal unter Kaiser Claudius die roemischen Truppen gegen einen unbotmaessigen Fuersten des Bosporus marschieren mussten ^71, so hat dagegen diese Landschaft selbst in der entsetzlichen Verwirrung in der Mitte des 3. Jahrhunderts, welche vorzugsweise sie traf, von dem Reich, auch von dem zerfallenden, niemals gelassen ^72. Die wohlhabenden Kaufstaedte, inmitten eines barbarischen Voelkergewoges militaerischen Schutzes dauernd beduerftig, hielten an Rom wie die Vorposten an dem Hauptheer. Die Besatzung ist wohl hauptsaechlich in dem Lande selbst aufgestellt worden, und sie zu schaffen und zu fuehren, war ohne Zweifel die Hauptaufgabe des Koenigs des Bosporus. Die Muenzen, welche wegen der Investitur eines solchen geschlagen wurden, zeigen wohl den kurulischen Sessel und die sonstigen bei solcher Belehnung ueblichen Ehrengeschenke, aber daneben auch Schild, Helm, Degen, Streitaxt und das Schlachtross; es war kein Friedensamt, das dieser Fuerst ueberkam. Auch blieb der erste derselben, den Augustus bestellte, im Kampf mit den Barbaren, und von seinen Nachfolgern stritt zum Beispiel Koenig Sauromates, des Rhoemetalkes Sohn, in den ersten Jahren des Severus mit den Sirakern und den Skythen - vielleicht nicht ganz ohne Grund hat er seine Muenzen mit den Taten des Herakles bezeichnet. Auch zur See hatte er taetig zu sein, vor allem das auf dem Schwarzen Meer nie aufhoerende Piratenwesen niederzuhalten: jenem Sauromates wird gleichfalls nachgeruehmt, dass er die Taurier zur Ordnung gebracht und die Piraterie gebaendigt habe. Indes lagen auf der Halbinsel auch roemische Truppen, vielleicht eine Abteilung der pontischen Flotte, sicher ein Detachement der moesischen Armee; bei geringer Zahl zeigte doch ihre Anwesenheit den Barbaren, dass der gefuerchtete Legionaer auch hinter diesen Griechen stand. Noch in anderer Weise schuetzte sie das Reich; wenigstens in spaeterer Zeit sind den Fuersten des Bosporus regelmaessig Geldsummen aus der Reichskasse gezahlt worden, deren sie auch insofern bedurften, als das Abkaufen der feindlichen Einfaelle durch stehende Jahrgelder hier, in dem nicht unmittelbaren Reichslande, wahrscheinlich noch frueher stehend geworden ist als anderswo ^73. ------------------------------------------------ ^71 Es war dies der im Jahre 41 von Claudius eingesetzte Koenig Mithradates, welcher einige Jahre spaeter abgesetzt und durch seinen Bruder Kotys ersetzt ward; er lebte nachher in Rom und kam in den Wirren des Vierkaiserjahres um (Plut. Galba 13 u. 15). Indes wird weder aus den Andeutungen bei Tacitus (ann. 12, 15; vgl. Plin. nat. 6, 5, 17) noch aus dem (durch Verwechslung der beiden Mithradates von Bosporus und von Iberien verwirrten) Bericht bei Petrus Patricius (fr. 3) der Sachverhalt deutlich. Die chersonesitischen Maerchen bei dem spaeten Constantinus Porphyrogenitus (de adm. imp. c. 53) kommen natuerlich nicht in Betracht. Der boese bosporanische Koenig Sauromates Kriskonoroy (nicht R/e/skoporoy) yios der mit den Sarmaten gegen Kaiser Diocletianus und Constantius sowie gegen das reichstreue Cherson Krieg fuehrt, ist offenbar hervorgegangen aus einer Verwirrung des bosporanischen Koenigsund des Volksnamens und geradeso historisch wie die Variation auf die Geschichte von David und Goliath, die Erlegung des gewaltigen Koenigs der Bosporaner Sauromates durch den kleinen Chersonesiten Pharnakos. Die Koenigsnamen allein, zum Beispiel ausser den genannten der nach dem Erloeschen des Geschlechts der Sauromaten eintretende Asandros, genuegen. Die staedtischen Privilegien und die Oertlichkeiten der Stadt, zu deren Erklaerung diese Mirabilien erfunden sind, verdienen allerdings Beachtung. ^72 Es gibt keine bosporanischen Goldoder Pseudogoldmuenzen ohne den roemischen Kaiserkopf, und es ist dies immer der des vom roemischen Senat anerkannten Herrschers. Dass in den Jahren 263 und 265, wo im Reiche sonst nach Valerians Gefangennehmung Gallienus offiziell als Alleinherrscher galt, hier zwei Koepfe auf den Muenzen erscheinen, ist vielleicht nur Unkunde; doch mag der Bosporus damals unter den vielen Praetendenten eine andere Wahl getroffen haben. Die Namen werden in dieser Zeit nicht beigesetzt und die Bildnisse sind nicht sicher zu unterscheiden. ^73 Dies wird man dem Skythen Toxaris in dem unter den lukianischen stehenden Dialog (c. 44) glauben duerfen; im uebrigen erzaehlt er nicht bloss m?thois omoia, sondern eben einen Mythos, dessen Koenige Leukanor und Eubiotos die Muenzen begreiflicherweise nicht kennen. ------------------------------------------------ Dass die Zentralisierung des Regiments auch diesem Fuersten gegenueber zur Anwendung kam und er nicht viel anders zu dem roemischen Caesar stand wie der Buergermeister von Athen, tritt vielfach hervor; Erwaehnung verdient, dass Koenig Asandros und die Koenigin Dynamis Goldmuenzen mit ihrem Namen und ihrem Bildnis schlugen, dagegen dem Koenig Polemon und seinen naechsten Nachfolgern wohl die Goldpraegung blieb, da dieses Gebiet sowie die anwohnenden Barbaren seit langem ausschliesslich an Goldcourant gewoehnt waren, aber sie veranlasst wurden, ihre Goldstuecke mit dem Namen und dem Bilde des regierenden Kaisers zu versehen. Ebenfalls seit Polemon ist der Fuerst dieses Landes zugleich der Oberpriester auf Lebenszeit des Kaisers und des kaiserlichen Hauses. Im uebrigen behielten die Verwaltung und das Hofwesen die unter Mithradates eingefuehrten Formen nach dem Muster des persischen Grosskoenigtums, obwohl der Geheimschreiber (archigrammate?s) und der Oberkammerdiener (archikoit/o/neit/e/s) des Hofes von Pantikapaeon zu den vornehmen Hofbeamten der Grosskoenige sich verhielten wie der Roemerfeind Mithradates Eupator zu seinem Nachkommen Tiberius Iulius Eupator, der wegen seines Anrechts an die bosporanische Krone in Rom vor Kaiser Pius Recht nahm. Wertvoll blieb dieses nordische Griechenland fuer das Reich wegen der Handelsbeziehungen. Wenn auch dieselben in dieser Epoche wohl weniger bedeuteten als in aelterer Zeit ^74, so ist doch der Kaufmannsverkehr sehr rege geblieben. In der augustischen Zeit brachten die Staemme der Steppe Sklaven ^75 und Felle, die Kaufleute der Zivilisation Bekleidungsstuecke, Wein und andere Luxusartikel nach Tanais; in noch hoeherem Masse war Phanagoria die Niederlage fuer den Export der Einheimischen, Pantikapaeon fuer den Import der Griechen. Jene Wirren im Bosporus in der claudischen Zeit waren fuer die Kaufleute von Byzanz ein schwerer Schlag. Dass die Goten ihre Piratenfahrten im dritten Jahrhundert damit begannen, die bosporanischen Reeder zu unfreiwilliger Hilfeleistung zu pressen, wurde schon erwaehnt. Wohl infolge dieses, den barbarischen Nachbarn selbst unentbehrlichen Verkehrs haben die Buerger von Chersonesos noch nach dem Wegziehen der roemischen Besatzungen sich behauptet und konnten spaeterhin, als in justinianischer Zeit die Macht des Reiches sich auch nach dieser Richtung hin noch einmal geltend machte, als Griechen in das griechische Reich zuruecktreten. ------------------------------------------------ ^74 In Betreff der Getreideausfuhr verdient die Notiz in dem Bericht des Plautius Beachtung. ^75 Auch aus dem Erbieten, einer von den roemischen Truppen bedraengten Ortschaft der Siraker (am Asowschen Meer) 10000 Sklaven zu liefern (Tac. ann. 12, 17), wird auf einen lebhaften Sklavenimport aus diesen Gegenden geschlossen werden duerfen. ------------------------------------------------ 8. Kapitel Kleinasien Die grosse Halbinsel, welche die drei Meere, das Schwarze, das Aegaeische und Mittellaendische, an drei Seiten bespuelen, und die gegen Osten mit dem eigentlichen asiatischen Kontinent zusammenhaengt, wird, insoweit sie zum Grenzgebiet des Reiches gehoert, in dem naechsten, das Euphratgebiet und die roemisch-parthischen Beziehungen behandelnden Abschnitt betrachtet werden. Hier sollen die Friedensverhaeltnisse namentlich der westlichen Landschaften unter dem Kaiserregiment dargelegt werden. Die urspruengliche oder doch vorgriechische Bevoelkerung dieser weiten Strecke hat sich vielerorts in bedeutendem Umfang bis in die Kaiserzeit hinein behauptet. Dem frueher eroerterten thrakischen Stamme hat sicher der groesste Teil von Bithynien gehoert; Phrygien, Lydien, Kilikien, Kappadokien zeigen sehr mannigfaltige und schwer zu loesende Ueberreste aelterer Sprachepochen, die vielfach in die roemische Zeit hinabreichen; fremdartige Goetter-, Menschenund Ortsnamen begegnen ueberall. Aber so weit unser Blick reicht, dem freilich das tiefere Eindringen hier selten gewaehrt ist, erscheinen diese Elemente nur weichend und schwindend, wesentlich als Negation der Zivilisation oder, was hier damit uns wenigstens zusammenzufallen duenkt, der Hellenisierung. Es wird am geeigneten Platz auf einzelne Gruppen dieser Kategorie zurueckzukommen sein; fuer die geschichtliche Entwicklung Kleinasiens in der Kaiserzeit gibt es daselbst nur zwei aktive Nationalitaeten, die beiden zuletzt eingewanderten, in den Anfaengen der geschichtlichen Zeit die Hellenen und waehrend der Wirren der Diadochenzeit die Kelten. Die Geschichte der kleinasiatischen Hellenen, soweit sie ein Teil der roemischen ist, ist frueher dargelegt worden. In der fernen Zeit, wo die Kuesten des Mittelmeers zuerst befahren und besiedelt wurden und die Welt anfing unter die vorgeschrittenen Nationen auf Kosten der zurueckgebliebenen aufgeteilt zu werden, hatte die Hochflut der hellenischen Auswanderung sich zwar ueber alle Ufer des Mittellaendischen Meeres, aber doch nirgend hin, selbst nicht nach Italien und Sizilien in so breitem Strom ergossen wie ueber das Inselreiche Aegaeische Meer und die nahe, hafenreiche, liebliche Kueste Vorderasiens. Die vorderasiatischen Griechen hatten dann selbst vor allen uebrigen sich taetig an der weiteren Welteroberung beteiligt, von Miletos aus die Kuesten des Schwarzen Meeres, von Phokaea und Knidos aus die der Westsee besiedeln helfen. In Asien ergriff die hellenische Zivilisation wohl die Bewohner des Binnenlandes, die Myser, Lydier, Karer, Lykier, und selbst die persische Grossmacht blieb von ihr nicht unberuehrt. Aber die Hellenen selber besassen nichts als den Kuestensaum, hoechstens mit Einschluss des unteren Laufs der groesseren Fluesse, und die Inseln. Kontinentale Eroberung und eigene Landmacht vermochten sie hier gegenueber den maechtigen einheimischen Fuersten nicht zu gewinnen; auch lud das hochgelegene und grossenteils wenig kulturfaehige Binnenland Kleinasiens nicht so wie die Kuesten zur Ansiedelung ein, und die Verbindungen dieser mit dem Innern sind schwierig. Wesentlich in Folge dessen brachten es die asiatischen Hellenen noch weniger als die europaeischen zur inneren Einigung und zur eigenen Grossmacht und lernten frueh die Fuegsamkeit gegenueber den Herren des Kontinents. Der national hellenische Gedanke kam ihnen erst von Athen; sie wurden dessen Bundesgenossen nur nach dem Siege und blieben es nicht in der Stunde der Gefahr. Was Athen diesen Schutzbefohlenen der Nation hatte leisten wollen und nicht hatte leisten koennen, das vollbrachte Alexander; Hellas musste er besiegen, Kleinasien sah in dem Eroberer nur den Befreier. Alexanders Sieg sicherte in der Tat nicht bloss das asiatische Hellenentum, sondern oeffnete ihm eine weite, fast ungemessene Zukunft; die Besiedelung des Kontinents, welche im Gegensatz der bloss litoralen dieses zweite Stadium der hellenischen Welteroberung bezeichnet, ergriff auch Kleinasien in bedeutendem Umfang. Doch von den Knotenpunkten der neuen Staatenbildung kam keiner nach den alten Griechenstaedten der Kueste ^1. Die neue Zeit forderte wie ueberhaupt neue Gestaltung, so vor allem auch neue Staedte, zugleich griechische Koenigsresidenzen und Mittelpunkte bisher ungriechischer und dem Griechentum zuzufuehrender Bevoelkerungen. Die grosse staatliche Entwicklung bewegt sich um die Staedte koeniglicher Gruendung und koeniglichen Namens, Thessalonike, Antiocheia, Alexandreia. Mit ihren Herren hatten die Roemer zu ringen; den Besitz Kleinasiens gewannen sie fast durchaus, wie man von Verwandten oder Freunden ein Landgut erwirbt, durch Vermaechtnis im Testament; und wie schwer auf den also gewonnenen Landschaften zeitweise das roemische Regiment gelastet hat, der Stachel der Fremdherrschaft trat hier nicht hinzu. Eine nationale Opposition hat wohl der Achaemenide Mithradates den Roemern in Kleinasien entgegengestellt und das roemische Missregiment die Hellenen in seine Arme getrieben; aber diese selbst haben nie etwas Aehnliches unternommen. Darum ist von diesem grossen, reichen, wichtigen Besitz in politischer Hinsicht wenig zu berichten; um so weniger, als in betreff der nationalen Beziehungen der Hellenen ueberhaupt zu den Roemern das in dem vorhergehenden Abschnitt Bemerkte wesentlich auch fuer die kleinasiatischen Geltung hat. ---------------------------------------------- ^1 Haette der Staat des Lysimachos Bestand gehabt, so waere es wohl anders gekommen. Seine Gruendungen Alexandreia in der Troas und Lysimacheia, Ephesos- Arsinoe, verstaerkt durch die Uebersiedelung der Bewohner von Kolophon und Lebedos, liegen in der bezeichneten Richtung. ---------------------------------------------- Die roemische Verwaltung Kleinasiens wurde nie in systematischer Weise geordnet, sondern die einzelnen Gebiete so, wie sie zum Reich kamen, ohne wesentliche Veraenderung der Grenzen als roemische Verwaltungsbezirke eingerichtet. Die Staaten, welche Koenig Attalos III. von Pergamon den Roemern vermacht hatte, bilden die Provinz Asia; die ebenfalls durch Erbgang ihnen zugefallenen des Koenigs Nikomedes die Provinz Bithynien; das dem Mithradates Eupator abgenommene Gebiet die mit Bithynien vereinigte Provinz Pontus. Kreta wurde bei Gelegenheit des grossen Piratenkrieges von den Roemern besetzt; Kyrene, das gleich hier mit erwaehnt werden mag, nach dem letzten Willen seines Herrschers von ihnen uebernommen. Derselbe Rechtstitel gab der Republik die Insel Kypros; hinzu kam hier die notwendige Unterdrueckung der Piraterie. Diese hatte auch zu der Bildung der Statthalterschaft Kilikien den Grund gelegt; vollstaendig kam das Land an Rom durch Pompeius mit Syrien zugleich, und beide sind waehrend des ersten Jahrhunderts gemeinschaftlich verwaltet worden. All dieser Laenderbesitz war bereits von der Republik erworben. In der Kaiserzeit traten eine Anzahl Gebiete hinzu, welche frueher nur mittelbar zum Reich gehoert hatten: im Jahre 729 (25) das Koenigreich Galatien, mit welchem ein Teil Phrygiens, Lykaonien, Pisidien, Pamphylien vereinigt worden war; im Jahre 747 (7) die Herrschaft des Koenigs Deiotarus, Kastors Sohn, welche Gangra in Paphlagonien und wahrscheinlich auch Amaseia und andere benachbarte Orte umfasste; im Jahre 17 n. Chr. das Koenigreich Kappadokien; im Jahre 43 das Gebiet der Konfoederation der lykischen Staedte; im Jahre 63 das nordoestliche Kleinasien vom Tal des Iris bis zur armenischen Grenze; Klein-Armenien und einige kleinere Fuerstentuemer in Kilikien wahrscheinlich durch Vespasian. Damit war die unmittelbare Reichsverwaltung in ganz Kleinasien durchgefuehrt. Lehnsfuerstentuemer blieben nur der taurische Bosporus, von. dem schon die Rede war, und Gross-Armenien, von dem der naechste Abschnitt handeln wird. Als bei dem Eintreten des Kaiserregiments die administrative Scheidung zwischen ihm und dem des Reichsrats getroffen ward, kam das gesamte kleinasiatische Gebiet, so weit es damals unmittelbar unter dem Reiche stand, an den letzteren; die Insel Kypros, die anfangs unter kaiserliche Verwaltung gelangt war, ging ebenfalls wenige Jahre spaeter an den Senat ueber. So entstanden hier die vier senatorischen Statthalterschaften Asia, Bithynia und Pontus, Kypros, Kreta und Kyrene. Unter kaiserlicher Verwaltung stand anfangs nur Kilikien als Teil der syrischen Provinz. Aber die spaeter in unmittelbare Reichsverwaltung gelangten Gebiete wurden hier wie im ganzen Reich unter kaiserliche Statthalter gelegt; so ward noch unter Augustus aus den binnenlaendischen Landschaften des Galatischen Reiches die Provinz Galatien gebildet und die Kuestenlandschaft Pamphylien einem anderen Statthalter ueberwiesen, welchem letzteren unter Claudius weiter Lykien unterstellt ward. Ferner ward Kappadokien kaiserliche Statthalterschaft unter Tiberius. Auch blieb natuerlich Kilikien, als es eigene Statthalter erhielt, unter kaiserlicher Verwaltung. Abgesehen davon, dass Hadrian die wichtige Provinz Bithynien und Pontus gegen die unbedeutende lykisch-pamphylische eintauschte, blieb diese Ordnung in Kraft, bis gegen das Ende des 3. Jahrhunderts die senatorische Mitverwaltung ueberhaupt bis auf geringe Ueberreste beseitigt ward. Die Grenze ward in der ersten Kaiserzeit durchaus durch die Lehnsfuerstentuemer gebildet; nach deren Einziehung beruehrte die Reichsgrenze, von Kyrene abgesehen, unter allen diesen Verwaltungsbezirken nur der kappadokische, insofern diesem damals auch die nordoestliche Grenzlandschaft bis hinauf nach Trapezunt zugeteilt war ^2; und auch diese Statthalterschaft grenzte nicht mit dem eigentlichen Ausland, sondern im Norden mit den abhaengigen Voelkerschaften am Phasis, weiterhin mit dem von Rechts wegen und einigermassen auch tatsaechlich zum Reiche gehoerigen Lehnskoenigtum Armenien. --------------------------------------------------- ^2 Nirgends haben die Grenzen der Lehnstaaten und selbst der Provinzen mehr gewechselt als im nordoestlichen Kleinasien. Die unmittelbare Reichsverwaltung trat hier fuer die Landschaften des Koenigs Polemon, wozu Zela, Neocaesarea, Trapezus gehoerten, im Jahre 63 ein, fuer Klein-Armenien, wir wissen nicht genau wann, wahrscheinlich im Anfang der Regierung Vespasians. Der letzte Lehnskoenig von Klein-Armenien, dessen gedacht wird, ist der Herodeer Aristobulos (Tac. ann. 13, 7; 14, 26; Ios. ant. Iud. 20, 8, 4), der es noch im Jahre 60 besass; im Jahre 75 war die Landschaft roemisch (CIL III, 306), und wahrscheinlich hat die eine der seit Vespasian in Kappadokien garnisonierenden Legionen von Anfang an in dem klein-armenischen Satala gestanden. Vespasian hat die genannten Landschaften so wie Galatien und Kappadokien zu einer grossen Statthalterschaft vereinigt. Am Ende der Domitianischen Regierung finden wir Galatien und Kappadokien getrennt und die nordoestlichen Provinzen zu Galatien gelegt. Unter Traian ist zuerst wiederum der ganze Bezirk in einer Hand, spaeterhin (Eph. epigr. V, n. 1345) in der Weise geteilt, dass die nordoestliche Kueste zu Kappadokien gehoert. Dabei ist es wenigstens insoweit geblieben, dass Trapezunt, und also auch Klein-Armenien, fortan bestaendig unter diesem Statthalter gestanden hat. Also hatte, von einer kurzen Unterbrechung unter Domitian abgesehen, der Legat von Galatien nichts mit der Grenzverteidigung zu tun und ist diese, wie es auch in der Sache liegt, stets mit dem Kommando Kappadokiens und seiner Legionen vereinigt gewesen. --------------------------------------------------- Um von den Zustaenden und der Entwicklung Kleinasiens in den drei ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung eine Vorstellung zu gewinnen, soweit dies bei einem aus unserer unmittelbaren geschichtlichen Ueberlieferung gaenzlich ausfallenden Lande moeglich ist, wird bei dem konservativen Charakter des roemischen Provinzialregiments an die aelteren Gebietsteilungen und die Vorgeschichte der einzelnen Landschaften anzuknuepfen sein. Die Provinz Asia ist das alte Reich der Attaliden, Vorderasien bis noerdlich zur bithynischen, suedlich zur lykischen Grenze; die anfangs davon abgetrennten oestlichen Striche, das grosse Phrygien, waren schon in republikanischer Zeit wieder dazu geschlagen worden, und die Provinz reichte seitdem bis an die Landschaft der Galater und die pisidischen Gebirge. Auch Rhodus und die uebrigen kleineren Inseln des Aegaeischen Meeres gehoerten zu diesem Sprengel. Die urspruengliche hellenische Ansiedlung hatte ausser den Inseln und der eigentlichen Kueste auch die unteren Taeler der groesseren Fluesse besetzt; Magnesia am Sipylos im Hermostal, das andere Magnesia und Tralleis im Tal des Maeandros waren schon vor Alexander als griechische Staedte gegruendet oder doch griechische Staedte geworden; die Karer, Lyder, Myser wurden frueh wenigstens zu Halbhellenen. Die eintretende Griechenherrschaft fand in den Kuestenlandschaften nicht viel zu tun; Smyrna, das vor Jahrhunderten von den Barbaren des Binnenlandes zerstoert worden war, erhob sich damals aus seinen Truemmern, um rasch wieder einer der ersten Sterne des glaenzenden kleinasiatischen Staedteringes zu werden; und wenn der Wiederaufbau von Ilion an dem Grabhuegel Hektors mehr ein Werk der Pietaet als der Politik war, so war die Anlage von Alexandreia an der Kueste der Troas von bleibender Bedeutung. Pergamon im Tal des Ka‹kos bluehte auf als Residenz der Attaliden. In dem grossen Werk der Hellenisierung des Binnenlandes dieser Provinz wetteiferten, Alexanders Intentionen entsprechend, alle hellenischen Regierungen, Lysimachos, die Seleukiden, die Attaliden. Die einzelnen Gruendungen sind aus unserer Ueberlieferung noch mehr verschwunden als die Kriegslaeufte der gleichen Epoche; wir sind hauptsaechlich angewiesen auf die Namen und die Beinamen der Staedte; aber auch diese genuegen, um die allgemeinen Umrisse dieser Jahrhunderte hindurch sich fortsetzenden und dennoch homogenen und zielbewussten Taetigkeit zu erkennen. Eine Reihe binnenlaendischer Ortschaften, Stratonikeia in Karien, Peltae, Blaundos, Dokimeion, Kadoi in Phrygien, die Mysomakedonier im Bezirk von Ephesos, Thyateira, Hyrkania, Nakrasa im Hermosgebiet, die Askylaken im Bezirk von Adramytion werden in Urkunden oder sonstigen glaubwuerdigen Zeugnissen als Makedonierstaedte bezeichnet; und diese Erwaehnungen sind so zufaelliger Art und die Ortschaften teilweise so unbedeutend, dass die gleiche Bezeichnung sicher auf eine grosse Anzahl anderer Niederlassungen in dieser Gegend sich erstreckt hat und wir schliessen duerfen auf eine ausgedehnte, wahrscheinlich mit dem Schutz Vorderasiens gegen die Galater und Pisidier zusammenhaengende Ansiedlung griechischer Soldaten in den bezeichneten Gegenden. Wenn ferner die Muenzen der ansehnlichen phrygischen Stadt Synnada mit ihrem Stadtnamen den der Ioner und der Dorer sowie den des gemeinen Zeus (Ze?s pand/e/mos) verbinden, so muss einer der Alexandriden die Griechen insgemein aufgefordert haben, hier sich niederzulassen; und auch dies beschraenkte sich gewiss nicht auf diese einzelne Stadt. Die zahlreichen Staedte hauptsaechlich des Binnenlandes, deren Namen auf die Koenigshaeuser der Seleukiden oder der Attaliden zurueckgehen oder die sonst griechisch benannt sind, sollen hier nicht aufgefuehrt werden; es befinden sich namentlich unter den sicher von den Seleukiden gegruendeten oder reorganisierten Staedten mehrere der in spaeterer Zeit bluehendsten und gesittetsten des Binnenlandes, zum Beispiel im suedlichen Phrygien Laodikeia und vor allem Apameia, das alte Kelaenae an der grossen Heerstrasse von der Westkueste Kleinasiens zum mittleren Euphrat, schon in persischer Zeit das Entrepot fuer diesen Verkehr und unter Augustus nach Ephesos die bedeutendste Stadt der Provinz Asia. Wenn auch nicht jede Beilegung eines griechischen Namens mit Ansiedlung griechischer Kolonisten verbunden gewesen sein wird, so werden wir doch einen betraechtlichen Teil dieser Ortschaften den griechischen Pflanzstaedten beizaehlen duerfen. Aber auch die staedtischen Ansiedlungen nichtgriechischen Ursprungs, die die Alexandriden vorfanden, lenkten von selber in die Bahnen der Hellenisierung ein, wie denn die Residenz des persischen Statthalters, Sardes, noch von Alexander selbst als griechisches Gemeinwesen geordnet ward. Diese staedtische Entwicklung war vollzogen, als die Roemer die Herrschaft ueber Vorderasien antraten; sie selber haben sie nicht in intensiver Weise gefoerdert. Dass eine grosse Anzahl der Stadtgemeinden in der oestlichen Haelfte der Provinz ihre Jahre von dem der Stadt 670 (84) zaehlen, kommt daher, dass damals nach Beendigung des Mithradatischen Krieges diese Bezirke durch Sulla unter unmittelbar roemische Verwaltung kamen; Stadtrecht haben diese Ortschaften nicht erst damals erhalten. Augustus hat die Stadt Parium am Hellespont und die schon erwaehnte Alexandreia in Troas mit Veteranen seiner Armee besetzt und beiden die Rechte der roemischen Buergergemeinden beigelegt; letztere ist seitdem in dem griechischen Asien eine italische Insel gewesen wie Korinth in Griechenland und Berylos in Syrien. Aber dies war nichts als Soldatenversorgung; von eigentlicher Staedtegruendung in der roemischen Provinz Asien unter den Kaisern ist wenig die Rede. Unter den nicht zahlreichen nach Kaisern benannten Staedten daselbst ist vielleicht nur von Sebaste und Tiberiopolis, beide in Phrygien, und von Hadrianoi an der bithynischen Grenze kein aelterer Stadtname nachzuweisen. Hier, in der Berglandschaft zwischen dem Ida und dem Olymp, hauste Kleon in der Triumviralzeit, ein gewisser Tilliboros unter Hadrian, beide halb Raeuberhauptleute, halb Volksfuersten, von denen jener selbst in der Politik eine Rolle gespielt hat; in dieser Freistatt der Verbrecher war die Gruendung einer geordneten Stadtgemeinde durch Hadrian allerdings eine Wohltat. Sonst blieb in dieser Provinz, mit ihren fuenfhundert Stadtgemeinden der staedtereichsten des ganzen Staates, in dieser Hinsicht wohl nicht mehr viel zu stiften uebrig, hoechstens etwa zu teilen, das heisst die faktisch zu einer Stadtgemeinde sich entwickelnden Flecken aus dem frueheren Gemeindeverbande zu loesen und selbstaendig zu machen, wie wir einen Fall der Art in Phrygien unter Konstantin I. nachweisen koennen. Aber von der eigentlichen Hellenisierung waren die abgelegenen Gebiete noch weit entfernt, als das roemische Regiment begann; insbesondere in Phrygien behauptete sich die vielleicht der armenischen gleichartige Landessprache. Wenn aus dem Fehlen griechischer Muenzen und griechischer Inschriften nicht mit Sicherheit auf das Fehlen der Hellenisierung geschlossen werden darf ^3, so weist doch die Tatsache, dass die phrygischen Muenzen fast durchaus der roemischen Kaiserzeit, die phrygischen Inschriften der grossen Mehrzahl nach der spaeteren Kaiserzeit angehoeren, darauf hin, dass in die entlegenen und der Zivilisation schwer zugaenglichen Gegenden der Provinz Asia die hellenische Gesittung soweit ueberhaupt, ueberwiegend erst unter den Kaisern den Weg fand. Zu unmittelbarem Eingreifen der Reichsverwaltung bot dieser im Stillen sich vollziehende Prozess wenig Gelegenheit und Spuren solchen Eingreifens vermoegen wir nicht nachzuweisen. Freilich war Asia eine senatorische Provinz, und dass dem Senatsregiment jede Initiative abging, mag auch hier in Betracht kommen. ------------------------------------------------- ^3 Die staedtische Muenzpraegung und die Inschriftsetzung stehen unter so vielfachen Bedingungen, dass das Fehlen oder auch die Fuelle der einen wie der andern nicht ohne weiteres zu Rueckschluessen auf die Abwesenheit oder die Intensitaet einer bestimmten Zivilisationsphase berechtigen. Fuer Kleinasien insbesondere ist zu beachten, dass es das gelobte Land der munizipalen Eitelkeit ist und unsere Denkmaeler, auch die Muenzen, zum weitaus groessten Teil dadurch hervorgerufen sind, dass die Regierung der roemischen Kaiser dieser freien Lauf liess. ------------------------------------------------- Syrien und mehr noch Aegypten gehen auf in ihren Metropolen; die Provinz Asien und Kleinasien ueberhaupt hat keine einzelne Stadt aufzuweisen gleich Antiocheia und Alexandreia, sondern sein Gedeihen ruht auf den zahlreichen Mittelstaedten. Die Einteilung der Staedte in drei Klassen, welche sich unterscheiden im Stimmrecht auf dem Landtag, in der Repartition der von der ganzen Provinz aufzubringenden Leistungen, selbst in der Zahl der anzustellenden Stadtaerzte und staedtischen Lehrer ^4, ist vorzugsweise diesen Landschaften eigen. Auch die staedtischen Rivalitaeten, die in Kleinasien so energisch und zum Teil so kindisch, gelegentlich auch so gehaessig hervortreten, wie zum Beispiel der Krieg zwischen Severus und Niger in Bithynien eigentlich ein Krieg der beiden rivalisierenden Kapitalen Nikomedeia und Nikaea war, gehoeren zum Wesen zwar der hellenischen Politien ueberhaupt, insbesondere aber der kleinasiatischen. Des Wetteifers um die Kaisertempel werden wir weiterhin gedenken; in aehnlicher Weise war die Rangfolge der staedtischen Deputationen bei den gemeinschaftlichen Festen in Kleinasien eine Lebensfrage - Magnesia am Maeander nennt sich auf den Muenzen die "siebente Stadt von Asia" - und vor allem der erste Platz war ein so begehrter, dass die Regierung schliesslich sich dazu verstand, mehrere erste Staedte zuzulassen. Aehnlich ging es mit der Metropolenbezeichnung. Die eigentliche Metropole der Provinz war Pergamon, die Residenz der Attaliden und der Sitz des Landtags. Aber Ephesos, die faktische Hauptstadt der Provinz, wo der Statthalter verpflichtet war, sein Amt anzutreten, und das auch dieses "Landungsrechts" auf seinen Muenzen sich beruehmt, Smyrna, mit dem ephesischen Nachbar in steter Rivalitaet und dem legitimen Erstenrecht der Ephesier zum Trotz auf den Muenzen sich nennend "die erste an Groesse und Schoenheit", das uralte Sardeis, Kyzikos und andere mehr strebten nach dem gleichen Ehrenrechte. Mit diesen ihren Quengeleien, wegen deren regelmaessig der Senat und der Kaiser angegangen wurden, den "griechischen Dummheiten", wie man in Rom zu sagen pflegte, waren die Kleinasiaten der stehende Verdruss und das stehende Gespoett der vornehmen Roemer ^5. ----------------------------------------- ^4 "Die Verordnung", sagt der Jurist Modestinus, der sie referiert (dig. 27, 1, 6, 3), "interessiert alle Provinzen, obwohl sie an die Asiaten gerichtet ist." Auch passt sie in der Tat nur da, wo es Staedteklassen gibt, und der Jurist fuegt eine Anweisung hinzu, wie sie auf anders geordnete Provinzen anzuwenden sei. Was der Biograph des Pius (c. 11) ueber die von Pius den Rhetoren gewaehrten Auszeichnungen und Gehalte berichtet, hat mit dieser Verfuegung nichts zu schaffen. ^5 Vortrefflich setzt Dion von Prusa in seinen Ansprachen an die Buerger von Nikomedeia und von Tarsos auseinander, dass kein gebildeter Mann fuer sich solche leere Bezeichnungen haben moechte und die Titelsucht fuer die Staedte geradezu unbegreiflich sei; wie es das Zeichen der richtigen Kleinstaedterei sei, sich solche Rangbescheinigungen ausstellen zu lassen; wie der schlechte Statthalter durch diesen Staedtehader sich immer decke, da Nikaea und Nikomedeia nie unter sich zusammenhielten. "Die Roemer gehen mit euch um wie mit Kindern, denen man geringes Spielzeug schenkt; Misshandlungen nehmt ihr hin, um Namen zu bekommen; sie nennen eure Stadt die erste, um sie als die letzte zu behandeln. Den Roemern seid ihr damit zum Gelaechter geworden und sie nennen das ’griechische Dummheiten’ (Ell/e/nika amart/e/mata)." ----------------------------------------- Nicht auf der gleichen Hoehe wie das Attalidenreich befand sich Bithynien. Die aeltere griechische Kolonisierung hatte sich hier lediglich auf die Kueste beschraenkt. In der hellenistischen Epoche hatten anfangs die makedonischen Herrscher, spaeter die voellig deren Wege wandelnde einheimische Dynastie neben der im Ganzen wohl auf Umnennung hinauslaufenden Einrichtung der Kuestenorte einigermassen auch das Binnenland erschlossen, namentlich durch die beiden gluecklich gediehenen Anlagen von Nikaea (Isnik) und Prusa am Olymp (Brussa); von der ersteren wird hervorgehoben, dass die ersten Ansiedler von guter makedonischer und hellenischer Herkunft gewesen seien. Aber in der Intensitaet der Hellenisierung stand das Reich des Nikomedes weit zurueck hinter dem des Buergerfuersten von Pergamon; insonderheit das oestliche Binnenland kann vor Augustus nur wenig besiedelt gewesen sein. Dies ward in der Kaiserzeit anders. In augustischer Zeit baute ein gluecklicher Raeuberhauptmann, der sich zur Ordnung bekehrte, an der galatischen Grenze die gaenzlich herabgekommene Ortschaft Gordiu Kome unter dem Namen Iuliopolis wieder auf; in derselben Gegend sind die Staedte Bithynion-Claudiopolis und Krateia-Flaviopolis wahrscheinlich im Laufe des ersten Jahrhunderts zu griechischem Stadtrecht gelangt. Ueberhaupt hat in Bithynien der Hellenismus unter der Kaiserzeit einen maechtigen Aufschwung genommen, und der derbe thrakische Schlag der Eingeborenen gab ihm eine gute Grundlage. Dass unter den in grosser Anzahl bekannten Schriftsteinen dieser Provinz nicht mehr als vier der vorroemischen Zeit angehoeren, wird nicht allein daraus erklaert werden koennen, dass die staedtische Ambition erst unter den Kaisern grossgezogen worden ist. In der Literatur der Kaiserzeit gehoeren eine Anzahl der besten und von der wuchernden Rhetorik am wenigsten erfassten Schriftsteller, wie der Philosoph Dion von Prusa, die Historiker Memnon von Herakleia, Arrhianos aus Nikomedeia, Cassius Dion von Nikaea, nach Bithynien. Die oestliche Haelfte der Suedkueste des Schwarzen Meeres, die roemische Provinz Pontus, hat zur Grundlage denjenigen Teil des Reiches Mithradats, den Pompeius sofort nach dem Siege in unmittelbaren Besitz nahm. Die zahlreichen kleinen Fuerstentuemer, welche im paphlagonischen Binnenland und oestlich davon bis zur armenischen Grenze Pompeius gleichzeitig vergab, wurden nach kuerzerem oder laengerem Bestand bei ihrer Einziehung teils derselben Provinz zugelegt, teils zu Galatien oder Kappadokien geschlagen. Das ehemalige Reich des Mithradates war sowohl von dem aelteren wie von dem juengeren Hellenismus bei weitem weniger als die westlichen Landschaften beruehrt worden. Als die Roemer dieses Gebiet mittelbar oder unmittelbar in Besitz nahmen, gab es griechisch geordnete Staedte dort strenggenommen nicht; Amaseia, die alte Residenz der pontischen Achaemeniden und immer ihre Grabstadt, war dies nicht; die beiden alten griechischen Kuestenstaedte Amisos und das einst ueber das Schwarze Meer gebietende Sinope waren koenigliche Residenzen geworden, und auch den wenigen von Mithradates angelegten Ortschaften, zum Beispiel Eupatoria, wird schwerlich griechische Politie gegeben worden sein. Hier aber war, wie schon frueher ausgefuehrt ward, die roemische Eroberung zugleich die Hellenisierung; Pompeius organisierte die Provinz in der Weise, dass er die elf Hauptortschaften derselben zu Staedten machte und unter sie das Gebiet verteilte. Allerdings aehnelten diese kuenstlich geschaffenen Staedte mit ihren ungeheuren Bezirken - der von Sinope hatte an der Kueste eine Ausdehnung von sechzehn deutschen Meilen und grenzte am Halys mit dem amisenischen - mehr den keltischen Gauen als den eigentlich hellenischen und italischen Stadtgemeinden. Aber es wurden doch damals Sinope und Amisos in ihre alte Stellung wieder eingesetzt und andere Staedte im Binnenland, wie Pompeiopolis, Nikopolis, Megalopolis, das spaetere Sebasteia, ins Leben gerufen. Sinope erhielt durch den Diktator Caesar das Recht der roemischen Kolonie und ohne Zweifel auch italische Ansiedler. Wichtiger fuer die roemische Verwaltung ward Trapezus, eine alte Kolonie von Sinope; die Stadt, die im Jahre 63 zur Provinz Kappadokien geschlagen ward, war wie der Standort der roemischen Pontusflotte so auch gewissermassen die Operationsbasis fuer das Truppenkorps dieser Provinz, das einzige in ganz Kleinasien. Das binnenlaendische Kappadokien war seit der Einrichtung der Provinzen Pontus und Syrien in roemischer Gewalt; ueber die Einziehung desselben im Anfang der Regierung des Tiberius, welche zunaechst veranlasst ward durch den Versuch Armeniens, sich der roemischen Lehnsherrschaft zu entwinden, wird in dem folgenden Abschnitt zu berichten sein. Der Hof und was unmittelbar damit zusammenhing, hatte sich hellenisiert, etwa so, wie die deutschen Hoefe des 18. Jahrhunderts sich dem franzoesischen Wesen zuwandten. Die Hauptstadt Caesarea, das alte Mazaka, gleich dem phrygischen Apameia eine Zwischenstelle des grossen Verkehrs zwischen den Haefen der Westkueste und den Euphratlaendern und in roemischer Zeit wie noch heute eine der bluehendsten Handelsstaedte Kleinasiens, war auf Pompeius’ Veranlassung nach dem Mithradatischen Kriege nicht bloss wieder aufgebaut, sondern wahrscheinlich damals auch mit Stadtrecht nach griechischer Art ausgestattet worden. Kappadokien selbst war im Anfang der Kaiserzeit schwerlich mehr griechisch als Brandenburg und Pommern unter Friedrich dem Grossen franzoesisch. Als das Land roemisch ward, zerfiel es nach den Angaben des gleichzeitigen Strabon nicht in Stadtbezirke, sondern in zehn Aemter, von denen nur zwei Staedte hatten, die schon genannte Hauptstadt und Tyana; und diese Ordnung ist hier im Grossen und Ganzen so wenig veraendert worden wie in Aegypten, wenn auch einzelne Ortschaften spaeterhin griechisches Stadtrecht empfingen, zum Beispiel Kaiser Marcus aus dem kappadokischen Dorf, in dem seine Gemahlin gestorben war, die Stadt Faustinopolis machte. Griechisch freilich sprachen die Kappadokier jetzt; aber die Studierenden aus Kappadokien hatten auswaerts viel zu leiden wegen ihres groben Akzents und ihrer Fehler in Aussprache und Betonung, und wenn sie attisch reden lernten, fanden die Landsleute ihre Sprache affektiert ^6. Erst in der christlichen Zeit gaben die Studiengenossen des Kaisers Julian, Gregorios von Nazianzos und Basilios von Caesarea, dem kappadokischen Namen einen besseren Klang. ---------------------------------------------------- ^6 Pausanias aus Caesarea rueckt bei Philostratos (vit. soph. 2, 13) dem Herodes Attikos seine Fehler vor: pacheia t/e/ gl/o/tt/e/ ka’i /o/s Kappadokais x?n/e/thes, xygkro?/o/n men ta s?mph/o/na i/o/n stoichei/o/n, systell/o/n de ta m/e/kynomena kai m/e/k?n/o/n ta brachea. Vita Apoll. 1, 7: /e/ gl/o/tta Attik/o/s eichen, oyd’ ap/e/chth/e/ t/e/n ph/o/n/e/n ypo to? ethnoys. ---------------------------------------------------- Die lykischen Staedte in ihrem abgeschlossenen Berglande oeffneten ihre Kueste der griechischen Ansiedlung nicht, aber schlossen sich darum doch nicht gegen den hellenischen Einfluss ab. Lykien ist die einzige kleinasiatische Landschaft, in welcher die fruehe Zivilisierung die Landessprache nicht beseitigt hat, und welche, fast wie die Roemer, in griechisches Wesen einging, ohne sich aeusserlich zu hellenisieren. Es bezeichnet ihre Stellung, dass die lykische Konfoederation als solche dem attischen Seebund sich angeschlossen und an die athenische Vormacht ihren Tribut entrichtet hat. Die Lykier haben nicht bloss ihre Kunst nach hellenischen Mustern geuebt, sondern wohl auch ihre politische Ordnung frueh in gleicher Weise geregelt. Die Umwandlung des einst Rhodos untertaenigen, aber nach dem Dritten Makedonischen Krieg unabhaengig gewordenen Staedtebundes in eine roemische Provinz, welche wegen des endlosen Haders unter den Verbuendeten von Kaiser Claudius verfuegt ward, wird das Vordringen des Hellenismus gefoerdert haben; im Verlauf der Kaiserzeit sind dann die Lykier vollstaendig zu Griechen geworden. Die pamphylischen Kuestenstaedte, wie Aspendos und Perge, griechische Gruendungen der aeltesten Zeit, spaeter sich selbst ueberlassen und unter guenstigen Verhaeltnissen gedeihlich entwickelt, hatten das aelteste Hellenentum in einer Weise sei es konserviert, sei es aus sich heraus eigenartig gestaltet, dass die Pamphylier nicht viel weniger als die benachbarten Lykier in Sprache und Schrift als selbstaendige Nation gelten konnten. Als dann Asien den Hellenen gewonnen ward, fanden sie allmaehlich den Rueckweg wie in die gemeine griechische Zivilisation so auch in die allgemeine politische Ordnung. Die Herren in dieser Gegend wie an der benachbarten kilikischen Kueste waren in hellenistischer Zeit teils die Aegypter, deren Koenigshaus verschiedenen Ortschaften in Pamphylien und Kilikien den Namen gegeben hat, teils die Seleukiden, nach denen die bedeutendste Stadt Westkilikiens Seleukeia am Kalykadnos heisst, teils die Pergamener, von deren Herrschaft Attaleia (Adalia) in Pamphylien zeugt. Dagegen hatten die Voelkerschaften in den Gebirgen Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens bis auf den Beginn der Kaiserzeit ihre Unabhaengigkeit der Sache nach behauptet. Hier ruhten die Fehden nie. Nicht bloss zu Lande hatten die zivilisierten Regierungen stets mit den Pisidiern und ihren Genossen zu schaffen, sondern es betrieben dieselben namentlich von dem westlichen Kilikien aus, wo die Gebirge unmittelbar an das Meer treten, noch eifriger als den Landraub das Gewerbe der Piraterie. Als bei dem Verfall der aegyptischen Seemacht die Suedkueste Kleinasiens voellig zur Freistatt der Seeraeuber ward, traten die Roemer ein und richteten die Provinz Kilikien, welche die pamphylische Kueste mit umfasste oder doch umfassen sollte, der Unterdrueckung des Seeraubs wegen ein. Aber was sie taten, zeigte mehr, was haette geschehen sollen, als dass wirklich etwas erreicht ward; die Intervention erfolgte zu spaet und zu unstetig. Wenn auch einmal ein Schlag gegen die Korsaren gefuehrt ward und roemische Truppen selbst in die isaurischen Gebirge eindrangen und tief im Binnenland die Piratenburgen brachen, zu rechter dauernder Festsetzung in diesen von ihr widerwillig annektierten Distrikten kam die roemische Republik nicht. Hier blieb dem Kaisertum noch alles zu tun uebrig. Antonius, wie er den Orient uebernahm, beauftragte einen tuechtigen galatischen Offizier, den Amyntas, mit der Unterwerfung der widerspenstigen pisidischen Landschaft ^7, und als dieser sich bewaehrte ^8, machte er denselben zum Koenig von Galatien, der militaerisch bestgeordneten und schlagfertigsten Landschaft Kleinasiens, und erstreckte zugleich sein Regiment von da bis zur Suedkueste, also auf Lykaonien, Pisidien, Isaurien, Pamphylien und Westkilikien, waehrend die zivilisierte Osthaelfte Kilikiens bei Syrien blieb. Auch als Augustus nach der Aktischen Schlacht die Herrschaft im Orient antrat, liess er den keltischen Fuersten in seiner Stellung. Derselbe machte auch wesentliche Fortschritte sowohl in der Unterdrueckung der schlimmen, in den Schlupfwinkeln des westlichen Kilikiens hausenden Korsaren wie auch in der Ausrottung der Landraeuber, toetete einen der schlimmsten dieser Raubherren, den Herrn von Derbe und Laranda im suedlichen Lykaonien, Antipatros, baute in Isauria sich seine Residenz und schlug die Pisidier nicht bloss hinaus aus dem angrenzenden phrygischen Gebiet, sondern fiel in ihr eigenes Land ein und nahm im Herzen desselben Kremna. Aber nach einigen Jahren (729 25) verlor er das Leben auf einem Zug gegen einen der westkilikischen Staemme, die Homonadenser; nachdem er die meisten Ortschaften genommen hatte und ihr Fuerst gefallen war, kam er um durch einen von dessen Gattin gegen ihn gerichteten Anschlag. Nach dieser Katastrophe uebernahm Augustus selbst das schwere Geschaeft der Pazifikation des inneren Kleinasiens. Wenn er dabei, wie schon bemerkt ward, das kleine pamphylische Kuestenland einem eigenen Statthalter zuwies und es von Galatien trennte, so ist dies offenbar deswegen geschehen, weil das zwischen der Kueste und der galatisch-lykaonischen Steppe liegende Gebirgsland so wenig botmaessig war, dass die Verwaltung des Kuestengebiets nicht fueglich von Galatien aus gefuehrt werden konnte. Roemische Truppen wurden nach Galatien nicht gelegt; doch wird das Aufgebot der kriegerischen Galater mehr zu bedeuten gehabt haben als bei den meisten Provinzialen. Auch hatten, da das westliche Kilikien damals unter Kappadokien gelegt ward, die Truppen dieses Lehnsfuersten sich an der Arbeit zu beteiligen. Die Zuechtigung zunaechst der Homonadenser fuehrte die syrische Armee aus; der Statthalter Publius Sulpicius Quirinius rueckte einige Jahre spaeter in ihr Gebiet, schnitt ihnen die Zufuhr ab und zwang sie, sich in Masse zu unterwerfen, worauf sie in die umliegenden Ortschaften verteilt und ihr ehemaliges Gebiet wuest gelegt wurde. Aehnliche Zuechtigungen erfuhren in den Jahren 36 und 52 die Kliten, ein anderer, in dem westlichen Kilikien naeher an der Kueste sitzender Stamm; da sie dem von Rom ihnen gesetzten Lehnsfuersten den Gehorsam verweigerten und das Land wie die See brandschatzten, und da die sogenannten Landesherren mit ihnen nicht fertig werden konnten, kamen beide Male die Reichstruppen aus Syrien herbei, um sie zu unterwerfen. Diese Nachrichten haben sich zufaellig erhalten; sicher sind zahlreiche aehnliche Vorgaenge verschollen. ------------------------------------------ ^7 Amyntas wurde noch im Jahre 715, bevor Antonius nach Asien zurueckging ueber die Pisidier gesetzt (App. civ. 5, 75), ohne Zweifel weil diese wieder einmal einen ihrer Raubzuege unternommen hatten. Daraus, dass er dort zuerst herrschte, erklaert es sich auch, dass er sich in Isaura seine Residenz baute (Strab. 12, 6, 3, p. 569). Galatien kam zunaechst an die Erben des Deiotarus (Dio 48, 33). Erst im Jahre 718 erhielt Amyntas Galatien, Lykaonien und Pamphylien (Dio 49, 32). ^8 Dass dies die Ursache war, weshalb diese Gegenden nicht unter roemische Statthalter gelegt wurden, sagt Strabon (14, 5, 5 p. 671), der nach Zeit und Ort diesen Verhaeltnissen nahestand, ausdruecklich: edokei pros apan to toio?to (fuer die Unterdrueckung der Raeuber und der Piraten) basileyesthai mallon to?s topoys /e/ thpo tois R/o/maiois /e/gemosin einai tois epi tas kriseis pempomenois, oi m/e/t’ aei pareinai emellon (wegen der Bereisung der conventus) m/e/te meth’ oplon (die allerdings dem spaeteren Legaten von Galatien fehlten). ------------------------------------------ Aber auch im Wege der Besiedelung griff Augustus die Pazifikation dieser Landschaft an. Die hellenistischen Regierungen hatten dieselbe sozusagen isoliert, nicht bloss an der Kueste ueberall Fuss behalten oder gefasst, sondern auch im Nordwesten eine Reihe von Staedten gegruendet, an der phrygischen Grenze Apollonia angeblich von Alexander selbst angelegt, Seleukeia Siderus und Antiocheia, beide aus der Seleukidenzeit, ferner in Lykaonien Laodikeia Katakekaumene und die wohl auch in der gleichen Zeit entstandene Hauptstadt dieser Landschaft Ikonion. Aber in dem eigentlichen Bergland findet sich keine Spur hellenistischer Niederlassung; und noch weniger hat der roemische Senat sich an diese schwierige Aufgabe gemacht. Augustus tat es; hier, und nur hier im ganzen griechischen Osten, begegnet eine Reihe von Kolonien roemischer Veteranen, offenbar bestimmt, dieses Gebiet der friedlichen Ansiedlung zu erobern. Von den eben genannten aelteren Ansiedlungen wurde Antiocheia mit Veteranen belegt und roemisch reorganisiert, neu angelegt in Lykaonien Parlais und Lystra, in Pisidien selbst das schon genannte Kremna so wie weiter suedlich Olbasa und Komama. Die spaeteren Regierungen setzten die begonnene Arbeit nicht mit gleicher Energie fort; doch wurde unter Claudius das eiserne Seleukeia Pisidiens zum claudischen gemacht, ferner im westkilikischen Binnenland Claudiopolis und nicht weit davon, vielleicht gleichzeitig, Germanicopolis ins Leben gerufen, auch Ikonion, in Augustus’ Zeit ein kleiner Ort, zu bedeutender Entwicklung gebracht. Die neu gegruendeten Staedte blieben freilich unbedeutend, schraenkten aber doch den Spielraum der freien Gebirgsbewohner in namhafter Weise ein, und der Landfriede muss endlich auch hier seinen Einzug gehalten haben. Sowohl die Ebene und die Bergterrassen Pamphyliens wie die Bergstaedte Pisidiens selbst, zum Beispiel Selge und Sagalassos, waren waehrend der Kaiserzeit gut bevoelkert und das Gebiet sorgfaeltig angebaut; die Reste maechtiger Wasserleitungen und auffallend grosser Theater, saemtlich Anlagen aus der roemischen Kaiserzeit, zeigen zwar nur handwerksmaessige Technik, aber Spuren eines reich entwickelten friedlichen Gedeihens. Ganz freilich ward die Regierung des Raubwesens in diesen Landschaften niemals Herr, und wenn in der frueheren Kaiserzeit die Heimsuchungen sich in maessigen Grenzen hielten, traten die Banden hier in den Wirren des dritten Jahrhunderts abermals als kriegfuehrende Macht auf. Sie gehen jetzt unter dem Namen der Isaurer und haben ihren hauptsaechlichen Sitz in den Gebirgen Kilikiens, von wo aus sie Land und Meer brandschatzen. Erwaehnt werden sie zuerst unter Severus Alexander. Dass sie unter Gallienus ihren Raeuberhauptmann zum Kaiser ausgerufen haben, wird eine Fabel sein; aber allerdings wurde unter Kaiser Probus ein solcher namens Lydios, der lange Zeit Lykien und Pamphylien gepluendert hatte, in der roemischen Kolonie Kremna, die er besetzt hatte, nach langer hartnaeckiger Belagerung durch eine roemische Armee bezwungen. In spaeterer Zeit finden wir um ihr Gebiet einen Militaerkordon gezogen und einen eigenen kommandierenden General fuer die Isaurer bestellt. Ihre wilde Tapferkeit hat sogar denen von ihnen, welche bei dem byzantinischen Hof Dienste nehmen mochten, eine Zeitlang eine Stellung daselbst verschafft, wie die Makedonier sie am Hofe der Ptolemaeer besessen hatten; ja einer aus ihrer Mitte, Zenon, ist als Kaiser von Byzanz gestorben ^9. ----------------------------------------------- ^9 In der grossen unbenannten Ruinenstaette von Saradschik im oberen Limyrostal im oestlichen Lykien (vgl. C. Ritter, Erdkunde. Bd. 19, Berlin 1859, S. 1172) steht ein bedeutender tempelfoermiger Grabbau, sicher nicht aelter als das 3. Jahrhundert n. Chr., an welchem in Relief zerstueckelte Menschenteile, Koepfe, Arme, Beine als Embleme angebracht sind; man moechte meinen, als Wappen eines zivilisierten Raeuberhauptmanns (Mitteilung von Benndorf). ----------------------------------------------- Die Landschaft Galatien endlich, in ferner Zeit die Hauptstaette der orientalischen Herrschaft ueber Vorderasien und in den beruehmten Felsskulpturen des heutigen Boghazkoei, einst der Koenigstadt Pteria, die Erinnerungen einer fast verschollenen Herrlichkeit bewahrend, war im Lauf der Jahrhunderte in Sprache und Sitte eine keltische Insel inmitten der Fluten der Ostvoelker geworden und ist dies in der inneren Organisation auch in der Kaiserzeit geblieben. Die drei keltischen Voelkerschaften, welche bei der grossen Wanderung der Nation um die Zeit des Krieges zwischen Pyrrhos und den Roemern in das innere Kleinasien gelangt waren und hier, wie im Mittelalter die Franken im Orient, zu einem festgegliederten Soldatenstaat sich zusammengeschlossen und nach laengerem Schweifen diesund jenseits des Halys ihre definitiven Sitze genommen hatten, hatten laengst die Zeiten hinter sich, wo sie von dort aus Kleinasien brandschatzten und mit den Koenigen von Asia und Pergamon im Kampfe lagen, falls sie nicht als Soeldner ihnen dienten; auch sie waren an der Uebermacht der Roemer zerschellt und ihnen in Asien nicht minder botmaessig geworden wie ihre Landsleute im Potal und an der Rhone und Seine. Aber trotz ihres mehrhundertjaehrigen Verweilens in Kleinasien trennte immer noch eine tiefe Kluft diese Okzidentalen von den Asiaten. Es war nicht bloss, dass sie ihre Landessprache und ihre Volksart festhielten, dass immer noch die drei Gaue jeder von seinen vier Erbfuersten regiert wurden und die von allen gemeinschaftlich beschickte Bundesversammlung in dem heiligen Eichenhain als hoechste Behoerde dem galatischen Lande vorstand, auch nicht, dass die ungebaendigte Roheit wie die kriegerische Tuechtigkeit sie von den Nachbarn zum Nachteil wie zum Vorteil unterschied; dergleichen Gegensaetze zwischen Kultur und Barbarei gab es in Kleinasien auch sonst, und die oberflaechliche und aeusserliche Hellenisierung, wie die Nachbarschaft, die Handelsbeziehungen, der von den Einwanderern uebernommene phrygische Kultus, das Soeldnertum sie im Gefolge hatten, wird in Galatien nicht viel spaeter eingetreten sein als zum Beispiel in dem benachbarten Kappadokien. Der Gegensatz ist anderer Art: die keltische und die hellenische Invasion haben in Kleinasien konkurriert, und zu dem nationalen Gegensatz ist der Stachel der rivalisierenden Eroberung hinzugetreten. Scharf trat dies zutage in der Mithradatischen Krise: dem Mordbefehl des Mithradates gegen die Italiker ging zur Seite die Niedermetzelung des gesamten galatischen Adels und dementsprechend haben in den Kriegen gegen den orientalischen Befreier der Hellenen die Roemer keinen treueren Bundesgenossen gehabt als die Galater Kleinasiens. Darum war der Erfolg der Roemer auch der ihrige und gab der Sieg ihnen in den Angelegenheiten Kleinasiens eine Zeitlang eine fuehrende Stellung. Das alte Vierfuerstentum wurde, es scheint durch Pompeius, abgeschafft. Einer der neuen Gaufuersten, der in den Mithradatischen Kriegen sich am meisten bewaehrt hatte, Deiotarus, brachte ausser seinem eigenen Gebiete Klein-Armenien und andere Stuecke des ehemaligen Mithradatischen Reiches an sich und ward auch den uebrigen galatischen Fuersten ein unbequemer Nachbar und der maechtigste unter den kleinasiatischen Dynasten. Nach dem Siege Caesars, dem er feindlich gegenuebergestanden hatte und den er auch durch die gegen Pharnakes geleistete Hilfe nicht fuer sich zu gewinnen vermochte, wurden ihm die mit oder ohne Einwilligung der roemischen Regierung gewonnenen Besitzungen groesstenteils wieder entzogen; der Caesarianer Mithradates von Pergamon, welcher von muetterlicher Seite dem galatischen Koenigshaus entsprossen war, erhielt das meiste von dem, was Deiotarus verlor und wurde ihm sogar in Galatien selbst an die Seite gestellt. Aber nachdem dieser kurz darauf im Taurischen Chersones sein Ende gefunden hatte und auch Caesar selbst nicht lange nachher ermordet worden war, setzte Deiotarus sich ungeheissen wieder in den Besitz des Verlorenen, und da er der jedesmal im Orient vorherrschenden roemischen Partei sich ebenso zu fuegen verstand, wie sie rechtzeitig zu wechseln, starb er hochbejahrt im Jahre 714 (40) als Herr von ganz Galatien. Seine Nachkommen wurden mit einer kleinen Herrschaft in Paphlagonien abgefunden; sein Reich, noch erweitert gegen Sueden hin durch Lykaonien und alles Land bis zur pamphylischen Kueste, kam, wie schon gesagt ward, im Jahre 718 (36) durch Antonius an Amyntas, welcher schon in Deiotarus’ letzten Jahren als dessen Sekretaer und Feldherr das Regiment gefuehrt zu haben scheint und als solcher vor der Schlacht von Philippi den Uebergang von den republikanischen Feldherrn zu den Triumvirn bewirkt hatte. Seine weiteren Schicksale sind schon erzaehlt. An Klugheit und Tapferkeit seinem Vorgaenger ebenbuertig, diente er erst dem Antonius, dann dem Augustus als hauptsaechliches Werkzeug fuer die Pazifikation des noch nicht untertaenigen kleinasiatischen Gebiets, bis er hier im Jahre 729 (25) seinen Tod fand. Mit ihm endigte das galatische Koenigtum und verwandelte sich dasselbe in die roemische Provinz Galatien. Gallograeker heissen die Bewohner desselben bei den Roemern schon in der letzten Zeit der Republik; sie sind, fuegt Livius hinzu, ein Mischvolk, wie sie heissen, und aus der Art geschlagen. Auch musste ein guter Teil derselben von den aelteren phrygischen Bewohnern dieser Landschaften abstammen. Mehr noch faellt ins Gewicht, dass die eifrige Goetterverehrung in Galatien und das dortige Priestertum mit den sakralen Institutionen der europaeischen Kelten nichts gemein hat; nicht bloss die Grosse Mutter, deren heiliges Symbol die Roemer der hannibalischen Zeit von den Tolistobogern erbaten und empfingen, ist phrygischer Art, sondern auch deren Priester gehoerten zum Teil wenigstens dem galatischen Adel an. Dennoch war noch in der roemischen Provinz in Galatien die innere Ordnung ueberwiegend die keltische. Dass noch unter Pius in Galatien die dem hellenischen Recht fremde strenge vaeterliche Gewalt bestand, ist ein Beweis dafuer aus dem Kreise des Privatrechts. Auch in den oeffentlichen Verhaeltnissen gab es in dieser Landschaft immer noch nur die drei alten Gemeinden der Tektosagen, der Tolistoboger, der Trokmer, die wohl ihren Namen die der drei Hauptoerter Ankyra, Pessinus und Tauion beisetzen, aber wesentlich doch nichts sind als die wohlbekannten gallischen Gaue, die des Hauptorts ja auch nicht entbehren. Wenn bei den Kelten Asiens die Auffassung der Gemeinde als Stadt frueher als bei den europaeischen das Uebergewicht gewinnt ^10 und der Name Ankyra rascher den der Tektosagen verdraengt als in Europa der Name Burdigala den der Bituriger, dort Ankyra sogar als Vorort der gesamten Landschaft sich die "Mutterstadt" (m/e/tropolis) nennt, so zeigt dies allerdings, wie das ja auch nicht anders sein konnte, die Einwirkung der griechischen Nachbarschaft und den beginnenden Assimilationsprozess, dessen einzelne Phasen zu verfolgen die uns gebliebene oberflaechliche Kunde nicht gestattet. Die keltischen Namen halten sich bis in die Zeit des Tiberius, nachher erscheinen sie nur vereinzelt in den vornehmen Haeusern. Dass die Roemer seit Einrichtung der Provinz wie in Gallien nur die lateinische, so in Galatien neben dieser nur die griechische Sprache im Geschaeftsverkehr zuliessen, versteht sich von selbst. Wie es frueher damit gehalten ward, wissen wir nicht, da vorroemische Schriftmaeler in dieser Landschaft ueberhaupt nicht begegnen. Als Umgangssprache hat die keltische sich auch in Asien mit Zaehigkeit behauptet ^11; doch gewann allmaehlich das Griechische die Oberhand. Im vierten Jahrhundert war Ankyra eines der Hauptzentren der griechischen Bildung; "die kleinen Staedte in dem griechischen Galatien", sagt der bei Vortraegen fuer das gebildete Publikum grau gewordene Literat Themistios, "koennen sich ja freilich mit Antiocheia nicht messen; aber die Leute eignen die Bildung sich eifriger an als die richtigen Hellenen, und wo sich der Philosophenmantel zeigt, haengen sie an ihm wie das Eisen am Magnet." Dennoch mag bis in eben diese Zeit, namentlich jenseits des Halys bei den offenbar viel spaeter hellenisierten Trokmern ^12, sich in den niederen Kreisen die Volkssprache gehalten haben. Es ist schon erwaehnt worden, dass nach dem Zeugnis des vielgewanderten Kirchenvaters Hieronymus noch am Ende des 4. Jahrhunderts der asiatische Galater die gleiche, wenn auch verdorbene Sprache redete, welche damals in Trier gesprochen ward. Dass als Soldaten die Galater, wenn sie auch mit den Okzidentalen keinen Vergleich aushielten, doch weit brauchbarer waren als die griechischen Asiaten, dafuer zeugt sowohl die Legion, welche Koenig Deiotarus aus seinen Untertanen nach roemischem Muster aufgestellt hatte und die Augustus mit dem Reiche uebernahm und in die roemische Armee unter dem bisherigen Namen einreihte, wie auch dass bei der orientalischen Rekrutierung der Kaiserzeit die Galater ebenso vorzugsweise herangezogen wurden wie im Okzident die Bataver ^13. ---------------------------------------------------- ^10 Das beruehmte Verzeichnis der der Gemeinde Ankyra gemachten Leistungen aus Tiberius’ Zeit (CIG 4039) bezeichnet die galatischen Gemeinden gewoehnlich mit ethnos, zuweilen mit polis. Spaeter verschwindet jene Benennung; aber in der vollen Titulatur, zum Beispiel der Inschrift CIG 4011 aus dem zweiten Jahrhundert, fuehrt Ankyra immer noch den Volksnamen: /e/ m/e/tropolis t/e/s Galatias Sebast/e/ Tekt/o/sag/o/n Agkyra. ^11 Nach Pausanias (10, 36, 1) heisst bei den Galatai yper PHrygias ph/o/n/e/ t/e/ epich/o/ri/o/ spisin die Scharlachbeere ?s; und Lukian (Alex. 51) berichtet von den Verlegenheiten des wahrsagenden Paphlagoniers, wenn ihm Syristi /e/ Keltisti Fragen vorgelegt wurden und nicht gleich dieser Sprache kundige Leute zur Hand waren. ^12 Wenn in dem Anm. 10 erwaehnten Verzeichnis aus Tiberius’ Zeit die Spenden nur selten drei Voelkern, meist zwei Voelkern oder zwei Staedten gegeben werden, so sind, wie G. Perrot (Exploration archeologique de la Galane et de la Bithynie. Paris 1862, S. 83) richtig bemerkt, die letzteren Ankyra und Pessinus und steht bei den Spenden hinter ihnen Tauion der Trokmer zurueck. Vielleicht gab es damals bei diesen noch keine Ortschaft, die als Stadt gelten konnte. ^13 Auch Cicero (Att. 6, S, 3) schreibt von seiner Armee in Kilikien: exercitum infirmum habebam, auxilia sane bona, sed ea Galatarum, Pisidarum, Lyciorum: haec enim sunt nostra robora. ---------------------------------------------------- Den aussereuropaeischen Hellenen gehoeren ferner noch die beiden grossen Eilande des oestlichen Mittelmeers Kreta und Kypros an sowie die zahlreichen des Inselmeers zwischen Griechenland und Kleinasien; auch die kyrenaeische Pentapolis an der gegenueberliegenden afrikanischen Kueste ist durch die umliegende Wueste von dem Binnenlande so geschieden, dass sie jenen griechischen Inseln einigermassen gleichgestellt werden kann. Indes der allgemeinen geschichtlichen Auffassung fuegen diese Elemente der ungeheuren, unter dem Szepter der Kaiser vereinigten Laendermasse wesentlich neue Zuege nicht hinzu. Die kleineren Inseln, frueher und vollstaendiger hellenisiert als der Kontinent, gehoeren ihrem Wesen nach mehr zum europaeischen Griechenland als zum kleinasiatischen Kolonialgebiet; wie denn des hellenischen Musterstaats Rhodos bei jenem schon mehrfach gedacht worden ist. In dieser Epoche werden die Inseln hauptsaechlich genannt, insofern es in der Kaiserzeit ueblich ward, Maenner aus den besseren Staenden zur Strafe nach denselben zu verbannen. Man waehlte, wo der Fall besonders schwer war, die Klippen wie Gyaros und Donussa; aber auch Andros, Kythnos, Amorgos, einst bluehende Zentren griechischer Kultur, waren jetzt Strafplaetze, waehrend in Lesbos und Samos nicht selten vornehme Roemer und selbst Glieder des kaiserlichen Hauses freiwillig laengeren Aufenthalt nahmen. Kreta und Kypros, deren alter Hellenismus unter der persischen Herrschaft oder auch in voelliger Isolierung die Fuehlung mit der Heimat verloren hatte, ordneten sich, Kypros als Dependenz Aegyptens, die kretischen Staedte autonom, in der hellenistischen und spaeter in der roemischen Epoche nach den allgemeinen Formen der griechischen Politie. In den kyrenaeischen Staedten ueberwog das System der Lagiden; wir finden in ihnen nicht bloss, wie in den eigentlich griechischen, die hellenischen Buerger und Metoeken, sondern es stehen neben beiden, wie in Alexandreia die Aegypter, die "Bauern", das heisst die eingeborenen Afrikaner, und unter den Metoeken bilden, wie ebenfalls in Alexandreia, die Juden eine zahlreiche und privilegierte Klasse. Den Griechen insgemein hat auch das roemische Kaiserregiment niemals eine Vertretung gewaehrt. Die augustische Amphiktyonie beschraenkte sich, wie wir sahen, auf die Hellenen in Achaia, Epirus und Makedonien. Wenn die hadrianischen Panhellenen in Athen sich als die Vertretung der saemtlichen Hellenen gerierten, so haben sie doch in die uebrigen griechischen Provinzen nur insofern uebergegriffen, als sie einzelnen Staedten in Asia sozusagen das Ehren- Hellenentum dekretierten; und dass sie dies taten, zeigt erst recht, dass die auswaertigen Griechengemeinden in jene Panhellenen keineswegs einbegriffen sind. Wenn in Kleinasien von Vertretung oder Vertretern der Hellenen die Rede ist, so ist damit in den vollstaendig hellenisch geordneten Provinzen Asia und Bithynia der Landtag und der Landtagsvorsteher dieser Provinzen gemeint, insofern diese aus den Deputierten der zu einer jeden derselben gehoerigen Staedte hervorgehen und diese saemtlich griechische Politien sind ^14; oder es werden in der nichtgriechischen Provinz Galatien die neben dem galatischen Landtag stehenden Vertreter der in Galatien verweilenden Griechen als Griechenvorsteher bezeichnet ^15. ---------------------------------------------------- ^14 Beschluesse der epi t/e/s Asias Ell/e/nes CIA 3487, 3957; ein Lykier geehrt ypo to? koino? t/o/n epi t/e/s Asias Ell/e/n/o/n kai ypo t/o/n en Pamphylia pole/o/n O. Benndorf, Reisen in Lykien und Karien. Wien 1884. Bd. 1, S. 122; Schreiben an die Hellenen in Asia CIG 3832, 3833; /o/ andres Ell/e/nes, in der Anrede an den Landtag von Pergamon (Aristeid. or. p. 517). Ein arxas to? koino? t/o/n en Bithynia Ell/e/n/o/n Perrot, Exploration, S. 32; Schreiben des Kaisers Alexander an dasselbe (dig. 49, 1, 25). Dio 51, 20: tois xenois, Ell/e/nas sphas epikalesas, eayt/o/ tina, tois men Asianois en Pergam/o/, tois de Bithynois en Nikomedeia temenisai epetrepse. ^15 Ausser den Galatarchen (Marquardt, Staatsverwaltung. Bd. 1, S. 515) begegnen uns in Galatien noch unter Hadrian Helladarchen (BCH 7, 1883, S. 18), welche hier nur gefasst werden koennen wie die Hellenarchen in Tanais. ---------------------------------------------------- Der staedtischen Konfoederation hatte die roemische Regierung in Kleinasien keine Veranlassung, besondere Hindernisse entgegenzustellen. In roemischer wie in vorroemischer Zeit haben neun Staedte der Troas gemeinschaftlich religioese Verrichtungen vollzogen und gemeinschaftliche Feste gefeiert ^16. Die Landtage der verschiedenen kleinasiatischen Provinzen, welche hier wie in dem gesamten Reich als feste Einrichtung von Augustus ins Leben gerufen sein werden, sind von denen der uebrigen Provinzen an sich nicht verschieden. Doch hat diese Institution sich hier in eigenartiger Weise entwickelt oder vielmehr denaturiert. Mit dem naechsten Zweck dieser Jahresversammlungen der staedtischen Deputierten einer jeden Provinz ^17, die Wuensche derselben dem Statthalter oder der Regierung zur Kenntnis zu bringen und ueberhaupt als Organ dieser Provinz zu dienen, verband sich hier zuerst die jaehrliche Festfeier fuer den regierenden Kaiser und das Kaisertum ueberhaupt: Augustus gestattete im Jahre 725 (29) den Landtagen von Asia und Bithynien an ihren Versammlungsorten Pergamon und Nikomedeia, ihm Tempel zu errichten und goettliche Ehre zu erweisen. Diese neue Einrichtung dehnte sich bald auf das ganze Reich aus, und die Verschmelzung der sakralen Institution mit der administrativen wurde ein leitender Gedanke der provinzialen Organisation der Kaiserzeit. Aber in Priesterund Festpomp und staedtischen Rivalitaeten hat diese Einrichtung doch nirgends sich so entwickelt wie in der Provinz Asia und analog in den uebrigen kleinasiatischen Provinzen und nirgends also neben und ueber die munizipale sich eine provinziale Ambition mehr noch der Staedte als der Individuen gestellt, wie sie in Kleinasien das gesamte oeffentliche Leben beherrscht. Der von Jahr zu Jahr in der Provinz bestellte Hohepriester (archiere?s) des neuen Tempels ist nicht bloss der vornehmste Wuerdentraeger der Provinz, sondern es wird auch in der ganzen Provinz das Jahr nach ihm bezeichnet ^18. Das Festund Spielwesen nach dem Muster der olympischen Feier, welches bei den Hellenen allen, wie wir sahen, mehr und mehr um sich griff, knuepfte in Kleinasien ueberwiegend an die Feste und Spiele des provinzialen Kaiserkultus an. Die Leitung derselben fiel dem Landtagspraesidenten, in Asia dem Asiarchen, in Bithynien dem Bithyniarchen und so weiter zu, und nicht minder trug er hauptsaechlich die Kosten des Jahrfestes, obwohl ein Teil derselben, wie die uebrigen dieses so glaenzenden wie loyalen Gottesdienstes, durch freiwillige Gaben und Stiftungen gedeckt oder auch auf die einzelnen Staedte repartiert wurden. Daher waren diese Praesidenturen nur reichen Leuten zugaenglich; die Wohlhabenheit der Stadt Tralleis wird dadurch bezeichnet, dass an Asiarchen - der Titel blieb auch nach Ablauf des Amtsjahrs - es nie daselbst fehle, die Geltung des Apostels Paulus in Ephesos durch seine Verbindung mit verschiedenen dortigen Asiarchen. Trotz der Kosten war dies eine viel umworbene Ehrenstellung, nicht wegen der daran geknuepften Privilegien, zum Beispiel der Befreiung von der Vormundschaft, sondern wegen ihres aeusseren Glanzes; der festliche Einzug in die Stadt, im Purpurgewand und den Kranz auf dem Haupt, unter Vortritt der das Rauchfass schwingenden Prozessionsknaben, war im Horizont der Kleinasiaten, was bei den Hellenen der Oelzweig von Olympia. Mehrfach ruehmt sich dieser oder jener vornehme Asiate, nicht bloss selber Asiarch gewesen zu sein, sondern auch von Asiarchen abzustammen. Wenn sich dieser Kultus anfaenglich auf die Provinzialhauptstaedte beschraenkte, so sprengte die munizipale Ambition, die namentlich in der Provinz Asia unglaubliche Verhaeltnisse annahm, sehr bald diese Schranken. Hier wurde schon im Jahre 23 dem damals regierenden Kaiser Tiberius sowie seiner Mutter und dem Senat ein zweiter Tempel von der Provinz dekretiert und nach langem Hader der Staedte durch Beschluss des Senats in Smyrna errichtet. Die anderen groesseren Staedte folgten bei spaeteren Gelegenheiten nach ^19. Hatte bis dahin die Provinz wie nur einen Tempel, so auch nur einen Vorsteher und einen Oberpriester gehabt, so mussten jetzt nicht bloss so viele Oberpriester bestellt werden, als es Provinzialtempel gab, sondern es wurden auch, da die Leitung des Tempelfestes und die Ausrichtung der Spiele nicht dem Oberpriester, sondern dem Landesvorsteher zustand und es den rivalisierenden Grossstaedten hauptsaechlich um die Feste und Spiele zu tun war, saemtlichen Oberpriestern zugleich der Titel und das Recht der Vorsteherschaft gegeben, so dass wenigstens in Asia die Asiarchie und das Oberpriestertum der Provinzialtempel zusammenfielen ^20. Damit traten der Landtag und die buergerlichen Geschaefte, von welchen die Institution ihren Ausgang genommen hatte, in den Hintergrund; der Asiarch war bald nichts mehr als der Ausrichter eines an die goettliche Verehrung der gewesenen und des gegenwaertigen Kaisers angeknuepften Volksfestes, weshalb dann auch die Gemahlin desselben, die Asiarchin, sich an der Feier beteiligen durfte und eifrig beteiligte. ------------------------------------------------------------ ^16 Das synedrion t/o/n ennea d/e/m/o/n (H. Schliemann, Troja. Leipzig 1883, S. 256) nennt sich anderswo Ilieis kai poleis ai koinono?sai t/e/s thysias kai toi ag/o/nos kai t/e/s paneg?re/o/s (daselbst, S. 254). Ein anderes Dokument desselben Bundes aus der Zeit des Antigonos bei J. G. Droysen, Geschichte des Hellenismus. 2. Aufl. Gotha 1877. Bd. 2, S. 382ff. Ebenso werden andere koina zu fassen sein, die auf einen engeren Kreis als die Provinz sich beziehen, wie das alte der dreizehn ionischen Staedte, das der Lesbier (Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 516), das der Phrygier auf den Muenzen von Apameia. Ihre magistratischen Praesidenten haben auch diese gehabt, wie denn kuerzlich sich ein Lesbiarch gefunden hat (Marquardt, a. a.O.) und ebenso die moesischen Hellenen unter einem Pontarchen standen. Doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass, wo der Archontat genannt wird, der Bund mehr ist als eine blosse Festgenossenschaft; die Lesbier sowohl wie die moesischen Fuenfstaedte moegen einen besonderen Landtag gehabt haben, dem diese Beamten vorstanden. Dagegen ist das koinon to? Yrgaleoy pedioy (W. M. Ramsay, Cities and bishoprics of Phrygia. Oxford 1895, S. 10), das neben mehreren d/e/moi steht, eine des Stadtrechts entbehrende Quasi-Gemeinde. ^17 Am deutlichsten tritt die Zusammensetzung der kleinasiatischen Landtage hervor in Strabons (14, 3, 3 p. 664) Bericht ueber die Lykiarchie und bei Aristeides’ (or. 26 p. 344) Erzaehlung seiner Wahl zu einem der asiatischen Provinzialpriestertuemer. ^18 Beispiele fuer Asia: CIG 3487; fuer Lykien: Benndorf, Reisen, Bd. 1, S. 71. Die lykische Bundesversammlung aber bezeichnet die Jahre nicht nach dem Archiereus, sondern nach dem Lykiarchen. ^19 Tac. ann. 4, 15 u. 55. Die Stadt, welche einen von dem Landtag der Provinz (dem koinon t/e/s Asias usw.) gewidmeten Tempel besitzt, fahrt deswegen das Ehrenpraedikat der den (Kaiser-) Tempel huetenden" (ne/o/koros); und wenn eine deren mehrere aufzuweisen hat, wird die Zahl beigesetzt. Man kann an diesem Institut deutlich erkennen, wie der Kaiserkultus seine volle Ausbildung in Kleinasien erhalten hat. Der Sache nach ist das Neokorat allgemein, auf jede Gottheit und jede Stadt anwendbar; titular, als Ehrenbeiname der Stadt, begegnet es mit verschwindenden Ausnahmen allein in dem kleinasiatischen Kaiserkultus - nur einige griechische Staedte der Nachbarprovinzen, wie Tripolis in Syrien, Thessalonike in Makedonien haben darin mitgemacht. ^20 So wenig die urspruengliche Verschiedenheit der Landtagspraesidentur und des provinzialen Oberpriestertums fuer den Kaiserkultus in Zweifel gezogen werden kann, so tritt doch nicht bloss bei jener der in Hellas, von wo die Organisation der koina ueberhaupt ausgeht, noch deutlich erkennbare magistratische Charakter des Vorstehers in Kleinasien voellig zurueck, sondern es scheint hier in der Tat da, wo das koinon mehrere sakrale Mittelpunkte hat, der Asiarch/e/s und der archiere?s t/e/s Asias sich verschmolzen zu haben. Die das buergerliche Amt scharf akzentuierende Titulatur strat/e/gos fuehrt der Praesident des koinon in Kleinasien nie, auch arxas to? koino? (Anm. 14) oder to? ethnoys (CIG 4380 k4 p. 1168) ist selten; die Komposita Asiarch/e/s, Lykiarch/e/s, analog dem Elladarch/e/s von Achaia, sind schon zu Strabons Zeit die gebraeuchliche Bezeichnung. Dass in den kleineren Provinzen, wie Galatien und Lykien der Archon und der Archiereus der Provinz getrennt geblieben sind, ist gewiss. Aber in Asien ist das Vorhandensein von Asiarchen fuer Ephesos und Smyrna inschriftlich festgestellt (Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 514), waehrend es doch nach dem Wesen der Institution nur einen Asiarchen fuer die ganze Provinz geben konnte. Auch ist hier die Agonothesie des Archiereus beglaubigt (Galenus zum Hippokrates, usu. part. 18, 2 p. 567 Kuehn: par’ /e/min en Pergam/o/ t/o/n archiere/o/n tas kaloymenas monomachias epitelo?nt/o/n), waehrend eben sie das Wesen des Asiarchats ist. Allem Anschein nach haben die Rivalitaeten der Staedte hier dahin gefuehrt, dass, nachdem es mehrere von der Provinz gewidmete Kaisertempel in verschiedenen Staedten gab, die Agonothesie dem effektiven Landtagspraesidenten genommen und dafuer dem Oberpriester jedes Tempels der titulare Asiarchat und die Agonothesie uebertragen ward. Dann erklaert sich auf den Muenzen der dreizehn ionischen Staedte (Mionnet, Bd. 3, 61, 1) der Asiarch/e/s kai archiere?s ig’ pole/o/n und kann auf ephesischen Inschriften derselbe Ti. Iulius Reginus bald Asiarch/e/s b’ na/o/n t/o/n en Ephes/o/ (Wood, Inscriptions from the great theatre, n. 18), bald archiere?s b’ na/o/n t/o/n en Ephes/o/ (daselbst, n. 8, 14, aehnlich 9) genannt werden. Nur auf diese Weise sind auch die Institutionen des vierten Jahrhunderts zu begreifen. Hier erscheint in jeder Provinz ein Oberpriester, in Asia mit dem Titel des Asiarchen, in Syrien mit dem des Syriarchen und so weiter. Wenn die Verschmelzung des Archon und des Archiereus in der Provinz Asia schon frueher begonnen hatte, so lag nichts naeher, als sie jetzt bei der Verkleinerung der Provinzen aeberall in dieser Weise zu kombinieren. ------------------------------------------------------------ Auch eine praktische und in Kleinasien durch das hohe Ansehen dieser Institution gesteigerte Bedeutung mag das provinziale Oberpriestertum fuer den Kaiserkultus gehabt haben durch die damit verknuepfte religioese Oberaufsicht. Nachdem der Landtag den Kaiserkultus einmal beschlossen und die Regierung eingewilligt hatte, folgten selbstverstaendlich die staedtischen Vertretungen nach; in Asia hatten bereits unter Augustus wenigstens alle Vororte der Gerichtssprengel ihr Caesareum und ihr Kaiserfest ^21. Recht und Pflicht des Oberpriesters war es, in seinem Sprengel die Ausfuehrung dieser provinzialen und munizipalen Dekrete und die Uebung des Kultus zu ueberwachen; was dies zu bedeuten hatte, erlaeutert die Tatsache, dass der freien Stadt Kyzikos in Asia unter Tiberius die Autonomie unter anderem auch darum aberkannt ward, weil sie den dekretierten Bau des Tempels des Gottes Augustus hatte liegenlassen - vielleicht eben, weil sie als freie Stadt nicht unter dem Landtag stand. Wahrscheinlich hat sogar diese Oberaufsicht, obwohl sie zunaechst dem Kaiserkultus galt, sich auf die Religionsangelegenheiten ueberhaupt erstreckt ^22. Als dann der alte und der neue Glaube im Reiche um die Herrschaft zu ringen begannen, ist deren Gegensatz wohl zunaechst durch das provinziale Oberpriestertum zum Konflikt geworden. Diese aus den vornehmen Provinzialen von dem Landtag der Provinz bestellten Priester waren durch ihre Traditionen wie durch ihre Amtspflichten weit mehr als die Reichsbeamten berufen und geneigt, auf Vernachlaessigung des anerkannten Gottesdienstes zu achten und, wo Abmahnung nicht half, da sie selber eine Strafgewalt nicht hatten, die nach buergerlichem Recht strafbare Handlung bei den Ortsoder den Reichsbehoerden zur Anzeige zu bringen und den weltlichen Arm zu Hilfe zu rufen, vor allem den Christen gegenueber die Forderungen des Kaiserkultus geltend zu machen. In der spaeteren Zeit schreiben die altglaeubigen Regenten diesen Oberpriestern sogar ausdruecklich vor, selbst und durch die ihnen unterstellten staedtischen Priester die Kontraventionen gegen die bestehende Glaubensordnung zu ahnden und weisen denselben genau die Rolle zu, welche unter den Kaisern des neuen Glaubens der Metropolit und seine staedtischen Bischoefe einnehmen ^23. Wahrscheinlich hat hier nicht die heidnische Ordnung die christlichen Institutionen kopiert, sondern umgekehrt die siegende christliche Kirche ihr hierarchisches Ruestzeug dem feindlichen Arsenal entnommen. Alles dies galt, wie bemerkt, fuer das ganze Reich; aber die sehr praktischen Konsequenzen der provinzialen Regulierung des Kaiserkultus, die religioese Aufsichtfuehrung und die Verfolgung der Andersglaeubigen, sind vorzugsweise in Kleinasien gezogen worden. ---------------------------------------------------------- ^21 CIG 3902b. ^22 Dion von Prusa (or. 35 p. 66 R.) nennt die Asiarchen und die analogen Archonten (ihre Agonothesie bezeichnet er deutlich, und auf sie fuehren auch die verdorbenen Worte to?s epon?moys t/o/n d?o /e/peir/o/n t/e/s esperas ol/e/s, wofuer wohl zu schreiben ist t/e/s eteras ol/e/s) to?s apant/o/n archontas t/o/n iere/o/n. Es fehlt bekanntlich bei der Bezeichnung der Provinzialpriester fast stehend die ausdrueckliche Beziehung auf den Kaiserkult; wenn sie in ihren Sprengeln die Rolle spielen sollten wie der Pontifex maximus in Rom, so hatte das seinen guten Grund. ^23 Maximinus stellte zu diesem Zweck dem Oberpriester der einzelnen Provinz militaerische Hilfe zur Verfuegung (Eus. hist. eccl. 8, 14, 9); und der beruehmte Brief Julians (epist. 49; vgl. epist. 63) an den damaligen Galatarchen gibt ein deutliches Bild der Obliegenheiten desselben. Er soll das ganze Religionswesen der Provinz beaufsichtigen; dem Statthalter gegenueber seine Selbstaendigkeit wahren, nicht bei ihm antichambrieren, ihm nicht gestatten mit militaerischer Eskorte im Tempel aufzutreten, ihn nicht vor, sondern in dem Tempel empfangen, innerhalb dessen er der Herr und der Statthalter Privatmann ist; von den Unterstuetzungen, die die Regierung fuer die Provinz ausgeworfen hat (30000 Scheffel Getreide und 60000 Sextarien Wein) den fuenften Teil an die in die Klientel der heidnischen Priester tretenden Armen spenden, das Uebrige sonst zu mildtaetigen Zwecken verwenden; in jeder Stadt der Provinz womoeglich mit Beihilfe der Privaten Verpflegungshaeuser (xenodocheia) nicht bloss fuer Heiden, sondern fuer jedermann ins Leben rufen und den Christen nicht ferner das Monopol der guten Werke gestatten; die saemtlichen Priester der Provinz durch Beispiel und Ermahnung ueberhaupt zum gottesfuerchtigen Wandel und zur Vermeidung des Besuchs der Theater und der Schenken anhalten und insbesondere zum fleissigen Besuch der Tempel mit ihrer Familie und ihrem Gesinde oder, wenn sie nicht zu bessern sind, sie absetzen. Es ist ein Hirtenbrief in bester Form, nur mit veraenderter Adresse und mit Zitaten aus Homer statt aus der Bibel. So deutlich diese Anordnungen den Stempel des bereits zusammenbrechenden Heidentums an sich tragen und so gewiss sie in dieser Ausdehnung der frueheren Epoche fremd sind, so erscheint doch das Fundament, die allgemeine Oberaufsicht des Oberpriesters der Provinz ueber das Kultwesen, keineswegs als eine neue Einrichtung. ---------------------------------------------------------- Neben dem Kaiserkultus fand auch die eigentliche Gottesverehrung in Kleinasien in bevorzugter Weise ihre Statt und namentlich alle ihre Auswuechse eine Freistatt. Das Unwesen der Asyle und der Wunderkuren hatte ganz besonders hier seinen Sitz. Unter Tiberius wurde die Beschraenkung der ersteren vom roemischen Senat angeordnet; der Heilgott Asklepios tat nirgends mehr und groessere Wunder als in seiner vielgeliebten Stadt Pergamon, die ihn geradezu als Zeus Asklepios verehrte und ihre Bluete in der Kaiserzeit zum guten Teil ihm verdankte. Die wirksamsten Wundertaeter der Kaiserzeit, der spaeter kanonisierte Kappadokier Apollonios von Tyana, sowie der paphlagonische Drachenmann Alexandros von Abonuteichos sind Kleinasiaten. Wenn das allgemeine Verbot der Assoziationen, wie wir sehen werden, in Kleinasien mit besonderer Strenge durchgefuehrt ward, so wird die Ursache wohl hauptsaechlich in den religioesen Verhaeltnissen zu suchen sein, die den Missbrauch solcher Vereinigungen dort besonders nahelegten. Die oeffentliche Sicherheit ruhte im wesentlichen auf dem Lande selbst. In der frueheren Kaiserzeit stand, abgesehen von dem das oestliche Kilikien einschliessenden syrischen Kommando, in ganz Kleinasien nur ein Detachement von 5000 Mann Auxiliartruppen, die in der Provinz Galatien garnisonierten ^24, nebst einer Flotte von 40 Schiffen; es war dies Kommando bestimmt, teils die unruhigen Pisidier niederzuhalten, teils die nordoestliche Reichsgrenze zu decken und die Kueste des Schwarzen Meeres bis zur Krim unter Aufsicht zu halten. Vespasian brachte diese Truppe auf den Stand eines Armeekorps von zwei Legionen und legte deren Staebe in die Provinz Kappadokien an den oberen Euphrat. Ausser diesen fuer die Grenzhut bestimmten Mannschaften gab es damals namhafte Garnisonen in Vorderasien nicht; in der kaiserlichen Provinz Lykien und Pamphylien zum Beispiel stand eine einzige Kohorte von 500 Mann, in den senatorischen Provinzen hoechstens einzelne aus der kaiserlichen Garde oder aus den benachbarten Kaiserprovinzen zu speziellen Zwecken abkommandierte Soldaten ^25. Wenn dies einerseits fuer den inneren Frieden dieser Provinzen auf das nachdruecklichste zeugt und den ungeheuren Abstand der kleinasiatischen Buergerschaften von den ewig unruhigen Hauptstaedten Syriens und Aegyptens deutlich vor Augen fuehrt, so erklaert es andererseits die schon in anderer Verbindung hervorgehobene Stabilitaet des Raeuberwesens in dem durchaus gebirgigen und im Innern zum Teil oeden Lande, namentlich an der mysisch-bithynischen Grenze und in den Bergtaelern Pisidiens und Isauriens. Eigentliche Buergerwehren gab es in Kleinasien nicht. Trotz des Florierens der Turnanstalten fuer Knaben, Juenglinge und Maenner blieben die Hellenen dieser Zeit in Asia so unkriegerisch wie in Europa ^26. Man beschraenkte sich darauf, fuer die Aufrechterhaltung der oeffentlichen Sicherheit staedtische Eirenarchen, Friedensmeister, zu kreieren und ihnen eine Anzahl zum Teil berittener staedtischer Gendarmen zur Verfuegung zu stellen, gedungene Mannschaften von geringem Ansehen, welche aber doch brauchbar gewesen sein muessen, da Kaiser Marcus es nicht verschmaehte, bei dem bitteren Mangel an gedienten Leuten waehrend des Markomannenkrieges diese kleinasiatischen Stadtsoldaten in die Reichstruppen einzureihen ^27. ------------------------------------------------- ^24 Diese Truppe kann nach der Stellung bei Josephus (bel. Iud. 2,16, 4) zwischen den nicht mit Garnison belegten Provinzen Asia und Kappadokien nur auf Galatien bezogen werden. Natuerlich gab sie auch die Detachements, welche in den abhaengigen Gebieten am Kaukasus standen, damals -unter Nerowie es scheint, auch die auf dem Bosporus selbst stehenden, wobei freilich auch das moesische Korps beteiligt war. ^25 Praetorianer stationaribus Ephesi: Eph. epigr. IV, n. 70. Ein Soldat in statione Nicomedensi: Plin. ep. ad Trai. 74. Ein Legionarcenturio in Byzantium: daselbst 77, 78. ^26 In dem kleinasiatischen Munizipalwesen kommt alles vor, nur nicht das Waffenwesen. Der smyrnaeische strat/e/gos epi t/o/n opl/o/n ist natuerlich eine Reminiszenz so gut wie der Kultus des Herakles oploph?lax (CIG 3162). ^27 Der Eirenarch von Smyrna sendet, um den Polykarpos zu verhaften, diese Gendarmen aus: ex/e/lth/o/n diogmitai kai ippeis meta t/o/n syn/e/th/o/n aytois opl/o/n, /o/s epi l/e/st/e/n trechontes (Acta mart., S. 39). Dass sie nicht die eigentliche soldatische Ruestung hatten, wird auch sonst bemerkt (Amm. 27, 9, 6: adbibitis semiermibus quibusdam - gegen die Isaurer - quos diogmitas appellaut). Von ihrer Verwendung im Markomannenkrieg berichtet der Biograph des Marcus c. 26: armavit et diogmitas und die Inschrift von Aezani in Phrygien CIG 3031 a 8 = Lebas-Waddington 992: parasch/o/n t/o/ kyr/o/ Kaisari s?mmachon di/o/gmeit/e/n par’ eayto?. ------------------------------------------------- Die Justizpflege sowohl der staedtischen Behoerden wie der Statthalter liess auch in dieser Epoche vieles zu wuenschen uebrig; doch bezeichnet das Eintreten der Kaiserherrschaft darin eine Wendung zum Besseren. Das Eingreifen der Reichsgewalt hatte unter der Republik sich auf die strafrechtliche Kontrolle der Reichsbeamten beschraenkt und diese besonders in spaeterer Zeit schwaechlich und parteiisch geuebt oder vielmehr nicht geuebt. Jetzt wurden nicht bloss in Rom die Zuegel schaerfer angezogen, indem die strenge Beaufsichtigung der eigenen Beamten von dem einheitlichen Militaerregiment unzertrennlich war und auch der Reichssenat zu schaerferer Ueberwachung der Amtspflege seiner Mandatare veranlasst wurde, sondern es wurde jetzt moeglich, die Missgriffe der Provinzialgerichte im Wege der neu eingefuehrten Appellation zu beseitigen oder auch, wo unparteiisches Gericht in der Provinz nicht erwartet werden konnte, den Prozess nach Rom vor das Kaisergericht zu ziehen ^28. Beides kam auch den senatorischen Provinzen zugute und ist allem Anschein nach ueberwiegend als Wohltat empfunden worden. ----------------------------------------------------------- ^28 In Knidos (BCH 7, 1883, S. 62) hatten im Jahre 741/42 (13/12) einige, wie es scheint, angesehene Buerger das Haus eines ihnen persoenlich Verfeindeten drei Naechte hindurch gestuermt; bei der Abwehr hatte einer der Sklaven des belagerten Hauses durch ein aus dem Fenster geworfenes Gefaess den einen der Angreifer getoetet. Die Besitzer des belagerten Hauses wurden darauf des Totschlags angeklagt, perhorreszierten aber, da sie die oeffentliche Meinung gegen sich hatten, das staedtische Gericht und verlangten die Entscheidung durch den Spruch des Kaisers Augustus. Dieser liess die Sache durch einen Kommissar untersuchen und sprach die Angeklagten frei, wovon er die Behoerde in Knidos in Kenntnis setzte mit der Bemerkung, dass sie die Angelegenheit nicht unparteiisch behandelt haetten, und sie anwies, sich nach seinem Spruche zu verhalten. Das ist allerdings, da Knidos eine freie Stadt war, ein Eingreifen in deren souveraene Rechte, wie auch in Athen Appellation an den Kaiser und sogar an den Prokonsul in hadrianischer Zeit statthaft war. Aber wer die Justizverhaeltnisse einer Griechenstadt dieser Epoche und dieser Stellung erwaegt, wird nicht zweifeln, dass durch derartiges Eingreifen wohl mancher ungerechte Spruch veranlasst, aber viel haeufiger ein solcher verhindert ward. ----------------------------------------------------------- Wie bei den Hellenen Europas, so ist in Kleinasien die roemische Provinz wesentlich ein Komplex staedtischer Gemeinden. Wie in Hellas werden auch hier die ueberkommenen Formen der demokratischen Politie im allgemeinen festgehalten, die Beamten zum Beispiel auch ferner von den Buergerschaften gewaehlt, ueberall aber der bestimmende Einfluss in die Haende der Begueterten gelegt und dem Belieben der Menge so wie dem ernstlichen politischen Ehrgeiz kein Spielraum gestattet. Unter den Beschraenkungen der munizipalen Autonomie ist den kleinasiatischen Staedten eigentuemlich, dass den schon erwaehnten Eirenarchen, den staedtischen Polizeimeister, spaeterhin der Statthalter aus einer von dem Rat der Stadt aufgestellten Liste von zehn Personen ernannte. Die Regierungskuratel der staedtischen Finanzverwaltung, die kaiserliche Bestellung eines nicht der Stadt selbst angehoerigen Vermoegenspflegers (curator rei publicae, logist/e/s), dessen Konsens die staedtischen Behoerden bei wichtigeren Vermoegenshandlungen einzuholen haben, ist niemals allgemein, sondern nach Beduerfnis fuer diese oder jene Stadt angeordnet worden, in Kleinasien aber entsprechend der Bedeutung seiner staedtischen Entwicklung besonders frueh, das heisst seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts, und besonders umfassend eingetreten. Wenigstens im 3. Jahrhundert mussten auch hier wie anderswo sonstige wichtige Beschluesse der Gemeindeverwaltung dem Statthalter zur Bestaetigung unterbreitet werden. Uniformierung der Gemeindeverfassung hat die roemische Regierung nirgends und am wenigsten in den hellenischen Landschaften durchgefuehrt; auch in Kleinasien herrschte darin grosse Mannigfaltigkeit und vermutlich vielfach das Belieben der einzelnen Buergerschaften, obwohl fuer die derselben Provinz angehoerigen Gemeinden das eine jede Provinz organisierende Gesetz allgemeine Normen vorschrieb. Was der Art von Institutionen als in Kleinasien verbreitet und vorherrschend diesem Landesteil eigentuemlich angesehen werden kann, traegt keinen politischen Charakter, sondern ist nur etwa fuer die sozialen Verhaeltnisse bezeichnend, wie die ueber ganz Kleinasien verbreiteten Verbaende teils der aelteren, teils der juengeren Buerger, die Gerusia und die Neoi, Ressourcen fuer die beiden Altersklassen mit entsprechenden Turnplaetzen und Festen ^29. Autonome Gemeinden gab es in Kleinasien von Haus aus bei weitem weniger als in dem eigentlichen Hellas, und namentlich die bedeutendsten kleinasiatischen Staedte haben diese zweifelhafte Auszeichnung niemals gehabt oder doch frueh verloren, wie Kyzikos unter Tiberius, Samos durch Vespasian. Kleinasien war eben altes Untertanengebiet und unter den persischen wie unter den hellenischen Herrschern an monarchische Ordnung gewoehnt; weniger als in Hellas fuehrte hier unnuetzes Erinnern und unklares Hoffen hinaus ueber den beschraenkten munizipalen Horizont der Gegenwart, und nicht vieles der Art stoerte den friedlichen Genuss des unter den bestehenden Verhaeltnissen moeglichen Lebensglueckes. ---------------------------------------------- ^29 Die in kleinasiatischen Inschriften oft erwaehnte Gerusia hat mit der von Lysimachos in Ephesos getroffenen gleichnamigen politischen Einrichtung (Strab. 14, 1, 21 p. 640; Wood, Ephesus. Inscriptions from the temple of Diana, n. 19) nichts weiter gemein; den Charakter derselben in roemischer Zeit bezeichnet teils Vitruvius (2, 8, 10): Croesi (damum) Sardiani civibus ad requiescendum aetatis otio seniorum collegio gerusiam dedicaverunt, teils die in der lykischen Stadt Sidyma kuerzlich gefundene Inschrift (Benndorf, Reisen, Bd. 1, S. 71), wonach Rat und Volk beschliessen, wie das Gesetz es fordert, eine Gerusia einzurichten und in diese 50 Buleuten und 50 andere Buerger einzuwaehlen, welche dann einen Gymnasiarchen der neuen Gerusia bestellen. Dieser auch sonst begegnende Gymnasiarch sowie der Hymnode der Gerusia (Menadier, Qua condicione Ephesii usi sint, p. 51) sind unter den uns bekannten Aemtern dieser Koerperschaft die einzigen fuer ihre Beschaffenheit charakteristischen. Analog, aber weniger angesehen, sind die Kollegien der neoi die auch ihre eigenen Gymnasiarchen haben. Zu den beiden Aufsehern der Turnplaetze fuer die erwachsenen Buerger machen den Gegensatz die Gymnasiarchen der Epheben (Menadier, p. 91). Gemeinschaftliche Mahlzeiten und Feste (auf die der Hymnode sich bezieht) fehlten natuerlich namentlich bei der Gerusia nicht. Sie ist keine Armenversorgung, aber auch kein der munizipalen Aristokratie reserviertes Kollegium charakteristisch fuer die Weise des buergerlichen Verkehrs der Griechen, bei welchen der Turnplatz etwa ist, was in unseren kleinen Staedten die Buergercasinos. ---------------------------------------------- Solchen Lebensglueckes gab es in Kleinasien unter dem roemischen Kaiserregiment die Fuelle. "Keine Provinz von allen", sagt ein in Smyrna unter den Antoninen lebender Schriftsteller, "hat so viele Staedte aufzuweisen wie die unsrige und keine solche wie unsere groessten. Ihr kommen zugute die reizende Gegend, die Gunst des Klimas, die mannigfaltigen Produkte, die Lage im Mittelpunkt des Reiches, ein Kranz ringsum befriedeter Voelker, die gute Ordnung, die Seltenheit der Verbrechen, die milde Behandlung der Sklaven, die Ruecksicht und das Wohlwollen der Herrscher." Asia hiess, wie schon gesagt ward, die Provinz der fuenfhundert Staedte, und wenn das wasserlose, zum Teil nur zur Weide geeignete Binnenland Phrygiens, Lykaoniens, Galatiens, Kappadokiens auch in jener Zeit nur duenn bevoelkert war, stand die uebrige Kueste hinter Asia nicht weit zurueck. Die dauernde Bluete der kulturfaehigen Landschaften Kleinasiens erstreckt sich nicht bloss auf die Staedte glaenzenden Namens, wie Ephesos, Smyrna, Laodikeia, Apameia; wo immer ein von der Verwuestung der anderthalb Jahrtausende, die uns von jener Zeit trennen, vergessener Winkel des Landes sich der Forschung erschliesst, da ist das erste und das maechtigste Gefuehl das Entsetzen, fast moechte man sagen die Scham ueber den Kontrast der elenden und jammervollen Gegenwart mit dem Glueck und dem Glanz der vergangenen Roemerzeit. Auf einer abgelegenen Bergspitze unweit der lykischen Kueste, da, wo nach der griechischen Fabel die Chimaera hauste, lag das alte Kragos, wahrscheinlich nur aus Balken und Lehmziegeln gebaut und darum spurlos verschwunden bis auf die zyklopische Festungsmauer am Fuss des Huegels. Unter der Kuppe breitet ein anmutiges fruchtbares Tal sich aus, mit frischer Alpenluft und suedlicher Vegetation, umgeben von Waldund wildreichen Bergen. Als unter Kaiser Claudius Lykien Provinz ward, verlegte die roemische Regierung die Bergstadt, das "gruene Kragos" des Horaz, in diese Ebene; auf dem Marktplatz der neuen Stadt Sidyma stehen noch die Reste des viersaeuligen, dem Kaiser damals gewidmeten Tempels und einer stattlichen Saeulenhalle, welche ein von dort gebuertiger, als Arzt zu Vermoegen gelangter Buerger in seiner Vaterstadt baute. Statuen der Kaiser und verdienter Mitbuerger schmueckten den Markt; es gab in der Stadt einen Tempel ihrer Schutzgoetter, der Artetuis und des Apollon, Baeder, Turnanstalten (gymnasia) fuer die aeltere wie fuer die juengere Buergerschaft; von den Toren zogen sich an der Hauptstrasse, die steil am Gebirge hinab nach dem Hafen Kalabatia fuehrte, zu beiden Seiten Reihen hin von steinernen Grabmonumenten, stattlicher und kostbarer als die Pompeiis und grossenteils noch aufrecht, waehrend die vermutlich wie die der Altstadt aus vergaenglichem Material gebauten Haeuser verschwunden sind. Auf den Stand und die Art der einstmaligen Bewohner gestattet einen Schluss ein kuerzlich dort aufgefundener, wahrscheinlich unter Commodus gefasster Gemeindebeschluss ueber die Konstituierung der Ressource fuer die aelteren Buerger; dieselbe wurde zusammengesetzt aus hundert zur Haelfte dem Stadtrat, zur Haelfte der uebrigen Buergerschaft entnommenen Mitgliedern, darunter nicht mehr als drei Freigelassene und ein Bastardkind, alle uebrigen in rechter Ehe erzeugt und zum Teil nachweislich alten und wohlhabenden Buergerhaeusern angehoerig. Einzelne dieser Familien sind zum roemischen Buergerrecht gelangt, eine sogar in den Reichssenat. Aber auch im Ausland blieb dieses senatorische Haus sowohl wie verschiedene aus Sidyma gebuertige auswaerts und selbst am kaiserlichen Hof beschaeftigte Aerzte der Heimat eingedenk, und mehrere derselben haben ihr Leben daselbst beschlossen; einer dieser angesehenen Stadtbuerger hat in einem nicht gerade vortrefflichen, aber sehr gelehrten und sehr patriotischen Elaborat die Legenden der Stadt und die sie betreffenden Weissagungen zusammengefasst und diese Memorabilien oeffentlich aufstellen lassen. Dies Kragos-Sidyma stimmte auf dem Landtag der kleinen lykischen Provinz nicht unter den Staedten erster Klasse, war ohne Theater, ohne Ehrentitel und ohne jene allgemeinen Feste, die in der damaligen Welt die Grossstadt bezeichnen, auch nach der Auffassung der Alten eine kleine Provinzialstadt und durchaus eine Schoepfung der roemischen Kaiserzeit. Aber im ganzen Vilajet Aidin ist heute kein Binnenort, der fuer zivilisierte Existenz auch nur entfernt diesem Bergstaedtchen, wie es war, an die Seite gestellt werden koennte. Was in diesem abgeschiedenen Fleck noch heute leben dig vor Augen steht, das ist in einer ungezaehlten Menge anderer Staedte unter der verwuestenden Mensc henhand bis auf geringe Reste oder auch spurlos verschwunden. Einen gewissen Ueberblick dieser Fuelle gewaehrt die den Staedten in Kupfer freigegebene Muenzpraegung der Kaiserzeit: keine Provinz kann in der Zahl der Muenzstaetten und der Mannigfaltigkeit der Darstellungen sich auch nur von weitem mit Asia messen. Freilich fehlt diesem Aufgehen aller Interessen in der heimatlichen Kleinstadt die Kehrseite so wenig in Kleinasien wie bei den europaeischen Griechen. Was ueber deren Gemeindeverwaltung gesagt ist, gilt in der Hauptsache auch hier. Der staedtischen Finanzwirtschaft, die sich ohne rechte Kontrolle weiss, fehlt Stetigkeit und Sparsamkeit und oft selbst die Ehrlichkeit; bei den Bauten werden bald die Kraefte der Stadt ueberschritten, bald auch das Noetigste unterlassen; die kleineren Buerger gewoehnen sich an die Spenden der Stadtkasse oder der vermoegenden Leute, an das freie Oel in den Baedern, an Buergerschmaeuse und Volksbelustigungen aus fremder Tasche, die guten Haeuser an die Klientel der Menge mit ihren demuetigen Huldigungen, ihren Bettelintrigen, ihren Spaltungen; Rivalitaeten bestehen wie zwischen Stadt und Stadt, so in jeder Stadt zwischen den einzelnen Kreisen und den einzelnen Haeusern; die Bildung von Armenvereinen und von freiwilligen Feuerwehren, wie sie im Okzident ueberall bestanden, wagt die Regierung in Kleinasien nicht einzufuehren, weil das Faktionswesen hier sich jeder Assoziation sofort bemaechtigt. Der stille See wird leicht zum Sumpf, und das Fehlen des grossen Wellenschlags der allgemeinen Interessen ist auch in Kleinasien deutlich zu spueren. Kleinasien, insbesondere Vorderasien, war eines der reichsten Gebiete des grossen Roemerstaats. Wohl hatte das Missregiment der Republik, die dadurch hervorgerufenen Katastrophen der mithradatischen Zeit, dann das Piratenunwesen, endlich die vieljaehrigen Buergerkriege, welche finanziell wenige Provinzen so schwer betroffen hatten wie diese, die Vermoegensverhaeltnisse der Gemeinden und der Einzelnen daselbst so vollstaendig zerruettet, dass Augustus zu dem aeussersten Mittel der Niederschlagung aller Schuldforderungen griff; auch machten mit Ausnahme der Rhodier alle Asiaten von diesem gefaehrlichen Heilmittel Gebrauch. Aber das wiedereintretende Friedensregiment glich vieles aus. Nicht ueberall - die Inseln des Aegaeischen Meers zum Beispiel haben sich nie seitdem wieder erholt -, aber in den meisten Orten waren, schon als Augustus starb, die Wunden wie die Heilmittel vergessen, und in diesem Zustand blieb das Land drei Jahrhunderte bis auf die Epoche der Gotenkriege. Die Summen, zu welchen die Staedte Kleinasiens angesetzt waren und die sie selbst, allerdings unter Kontrolle des Statthalters, zu repartieren und aufzubringen hatten, bildeten eine der bedeutendsten Einnahmequellen der Reichskasse. Wie die Steuerlast sich zu der Leistungsfaehigkeit der Besteuerten verhielt, vermoegen wir nicht zu konstatieren; eigentliche dauernde Ueberbuerdung aber vertraegt sich nicht mit den Zustaenden, in denen wir das Land bis gegen die Mitte des 3. Jahrhunderts finden. Mehr vielleicht noch die Schlaffheit des Regiments als absichtliche Schonung mag die fiskalische Beschraenkung des Verkehrs und die nicht bloss fuer den Besteuerten unbequeme Anziehung der Steuerschraube in Schranken gehalten haben. Bei grossen Kalamitaeten, namentlich bei den Erdbeben, welche unter Tiberius zwoelf bluehende Staedte Asias, vor allem Sardes, unter Pius eine Anzahl karischer und lykischer und die Inseln Kos und Rhodos entsetzlich heimsuchten, trat die Privatund vor allem die Reichshilfe mit grossartiger Freigebigkeit ein und spendete den Kleinasiaten den vollen Segen des Grossstaats, die Samtverbuergung aller fuer alle. Der Wegebau, den die Roemer bei der ersten Einrichtung der Provinz Asia durch Manius Aquillius in Angriff genommen hatten, ist in der Kaiserzeit in Kleinasien nur da ernstlich gefoerdert worden, wo groessere Besatzungen standen, namentlich in Kappadokien und dem benachbarten Galatien, seit Vespasian am mittleren Euphrat Legionslager eingerichtet hatte ^30. In den uebrigen Provinzen ist dafuer nicht viel geschehen, zum Teil ohne Zweifel in Folge der Schlaffheit des senatorischen Regiments; wo immer hier Wege von Staatswegen gebaut wurden, geschah es auf kaiserliche Anordnung ^31. -------------------------------------------------------- ^30 Die Meilensteine beginnen hier mit Vespasian (CIL III, 306) und sind seitdem zahlreich namentlich von Domitian bis auf Hadrian. ^31 Am deutlichsten zeigen dies die in der Senatsprovinz Bithynien unter Nero und Vespasian durch den kaiserlichen Prokurator ausgefuehrten Wegebauten (CIL III, 346; Eph. epigr. V, n. 96). Aber auch bei den Wegebauten in den senatorischen Provinzen Asia und Kypros wird der Senat nie genannt, und es wird dafuer dasselbe angenommen werden duerfen. Im dritten Jahrhundert ist hier wie ueberall der Bau auch der Reichsstrassen auf die Kommunen uebergegangen (Smyrna: CIL III, 471; Thyateira: BCH 1, 1877, S. 101; Paphos: CIL III, 218). -------------------------------------------------------- Diese Bluete Kleinasiens ist nicht das Werk einer Regierung von ueberlegener Einsicht und energischer Tatkraft. Die politischen Einrichtungen, die gewerblichen und kommerziellen Anregungen, die literarische und kuenstlerische Initiative gehoeren in Kleinasien durchaus den alten Freistaedten oder den Attaliden. Was die roemische Regierung dem Lande gegeben hat, war wesentlich der dauernde Friedensstand und die Duldung des Wohlstandes im Innern, die Abwesenheit derjenigen Regierungsweisheit, die jedes gesunde Paar Arme und jedes ersparte Geldstueck betrachtet als ihren unmittelbaren Zwecken von Rechts wegen verfallen - negative Tugenden keineswegs hervorragender Persoenlichkeiten, aber oftmals dem gemeinen Gedeihen erspriesslicher als die Grosstaten der selbstgesetzten Vormuender der Menschheit. Der Wohlstand Kleinasiens beruhte in schoenem Gleichgewicht ebenso auf der Bodenkultur wie auf der Industrie und dem Handel. Die Gunst der Natur ist insbesondere den Kuestenlandschaften in reichstem Masse zuteil geworden, und vielfach zeigt es sich, mit wie emsigem Fleiss auch unter schwierigeren Verhaeltnis sen, zum Beispiel in dem felsigen Tal des Eurymedon in Pamphylien von den Buergern von Selge, jedes irgend brauchbare Bodenstueck ausgenutzt ward. Die Erzeugnisse der kleinasiatischen Industrie sind zu zahlreich und zu mannigfaltig, um bei den einzelnen zu verweilen ^32; erwaehnt mag werden, dass die ungeheuren Triften des Binnenlandes mit ihren Schafund Ziegenherden Kleinasien zum Hauptland der Wollindustrie und der Weberei ueberhaupt gemacht haben - es genuegt zu erinnern an die milesische und die galatische, das ist die Angorawolle, die attalischen Goldstickereien, die nach nervischer, das heisst flandrischer Art in den Fabriken des phrygischen Laodikeia gefertigten Tuche. Dass in Ephesos fast ein Aufstand ausgebrochen waere, weil die Goldschmiede von dem neuen Christenglauben Beschaedigung ihres Absatzes von Heiligenbildern befuerchteten, ist bekannt. In Philadelpheia, einer bedeutenden Stadt Lydiens, kennen wir von den sieben Quartieren die Namen zweier: es sind die der Wollenweber und der Schuster. Wahrscheinlich tritt hier zu Tage, was bei den uebrigen Staedten unter aelteren und vornehmeren Namen sich versteckt, dass die bedeutenderen Staedte Asias durchgaengig nicht bloss eine Menge Handwerker, sondern auch eine zahlreiche Fabrikbevoelkerung in sich schlossen. Der Geldund Handelsverkehr ruhte in Kleinasien hauptsaechlich auf der eigenen Produktion. Der grosse auslaendische Import und Export Syriens und Aegyptens war hier in der Hauptsache ausgeschlossen, wenn auch aus den oestlichen Laendern mancherlei Artikel, zum Beispiel durch die galatischen Haendler eine betraechtliche Zahl von Sklaven nach Kleinasien eingefuehrt wurden ^33. Aber wenn die roemischen Kaufleute hier, wie es scheint, in jeder grossen und kleinen Stadt, selbst in Orten wie Ilion und Assos in Mysien, Prymnessos und Traianopolis in Phrygien, in solcher Zahl zu finden waren, dass ihre Vereine neben der Stadtbuergerschaft bei oeffentlichen Akten sich zu beteiligen pflegen; wenn in Hierapolis im phrygischen Binnenland ein Fabrikant (ergast/e/s) auf sein Grab schreiben liess, dass er zweiundsiebzigmal in seinem Leben um Kap Malea nach Italien gefahren sei, und ein roemischer Dichter den Kaufmann der Hauptstadt schildert, welcher nach dem Hafen eilt, um den Geschaeftsfreund aus dem nicht weit von Hierapolis entfernten Kibyra nicht in die Haende von Konkurrenten fallen zu lassen, so oeffnet sich damit ein Einblick in ein reges gewerbliches und kaufmaennisches Treiben nicht bloss in den Hoefen. Von dem stetigen Verkehr mit Italien zeugt auch die Sprache; unter den in Kleinasien gangbar gewordenen lateinischen Woertern ruehren nicht wenige aus solchem Verkehr her, wie denn in Ephesos sogar die Gilde der Wollenweber sich lateinisch benennt ^34. Lehrer aller Art und Aerzte kamen nach Italien und den uebrigen Laendern lateinischer Zunge vorzugsweise von hier und gewannen nicht bloss oftmals bedeutendes Vermoegen, sondern brachten dies auch in ihre Heimat zurueck; unter denen, welchen die Staedte Kleinasiens Bauwerke oder Stiftungen verdanken, nehmen die reich gewordenen Aerzte ^35 und Literaten einen hervorragenden Platz ein. Endlich die Auswanderung der grossen Familien nach Italien hat Kleinasien weniger und spaeter betroffen als den Okzident; aus Vienna und Narbo siedelte man leichter nach der Hauptstadt des Reiches ueber als aus den griechischen Staedten, und auch die Regierung war in frueherer Zeit nicht eben geneigt, die vornehmen Munizipalen Kleinasiens an den Hof zu ziehen und sie in die roemische Aristokratie einzufuehren. --------------------------------------------------- ^32 Die Christen des Kuestenstaedtchens Korykos im Rauhen Kilikien pflegten, gegen den allgemeinen Gebrauch, ihren Grabschriften regelmaessig den Stand beizusetzen. Auf den dort von Langlois und neuerdings von Duchesne (BCH 7,1883, S. 230f.) aufgenommenen Grabschriften finden sich ein Schreiber (notarios), ein Weinhaendler (oinemporos) zwei PHlhaendler (eleop/o/l/e/s) ein Gemuesehaendler (lachanop/o/l/e/s), ein Fruchthaendler (op/o/rop/o/l/e/s), zwei Kraemer (kap/e/los), fuenf Goldschmiede (ayrarios dreimal, chrysochoos zweimal), wovon einer auch Presbyter ist, vier Kupferschmiede (chalkotypos einmal, chalke?s dreimal), zwei Instrumentenmacher (armenoraphos), fuenf Toepfer (kerame?s), von denen einer als Arbeitgeber (ergodot/e/s) bezeichnet wird, ein anderer zugleich Presbyter ist ein Kleiderhaendler (imatiop/o/l/e/s) zwei Leinwandhaendler (linop/o/l/e/s)drei Weber (othoniakos), ein Wollarbeiter (ereoyrgos), zwei Schuster (kaligarios, kaltarios), ein Kuerschner (inioraphos, wohl fuer /e/nioraphos, pellio), ein Schiffer (na?kl/e/ros), eine Hebamme (iatrin/e/); ferner ein Gesamtgrab der hochansehnlichen Geldwechsler (s?sstema t/o/n eygenestat/o/n trapezit/o/n). So sah es daselbst im 5. und 6. Jahrhundert aus. ^33 Dieser fuer das 4. Jahrhundert bezeugte Verkehr (Amm. 22, 7 8; Claudianus in Eutr. 1, 59) ist ohne Zweifel aelter. Anderer Art ist es, dass, wie Philostratos (Vita Apoll. 8, 7, 12) angibt, die nicht griechischen Bewohner von Phrygien ihre Kinder an die Sklavenhaendler verkauften. ^34 Synergasia t/o/n lanari/o/n (Wood, Ephesus. City, n. 4). Auch auf den Inschriften von Korykos (Anm. 32) sind lateinische Handwerkerbenennungen haeufig. Die Stufe heisst grados den phrygischen Inschriften CIG 3900, 39021. ^35 Einer von diesen ist Xenophon, des Herakleitos Sohn, von Kos, bekannt aus Tacitus (ann. 12, 61. 67) und Plinius (nat. 29,1, 7) und einer Reihe von Denkmaelern seiner Heimat (BCH 5, 1881, S. 468). Als Leibarzt (archiatros, welcher Titel hier zuerst begegnet) des Kaisers Claudius gewann er solchen Einfluss, dass er mit seiner aerztlichen Taetigkeit die einflussreiche Stellung des kaiserlichen Kabinettssekretaer fuer die griechische Korrespondenz verband (epi t/o/n Ell/e/nikan apokrimat/o/n vgl. Suidas unter Dion?sios Alexandreys) und nicht bloss fuer seinen Bruder und Oheim das roemische Buergerrecht und Offiziersteilen von Ritterrang und fuer sich ausser dem Ritterpferd und dem Offiziersrang noch die Dekoration des Goldkranzes und des Speers bei dem britannischen Triumph erwirkte, sondern auch fuer seine Heimat die Steuerfreiheit. Sein Grabmal steht auf der Insel, und seine dankbaren Landsleute setzten ihm und den Seinigen Statuen und schlugen zu seinem Gedaechtnis Muenzen mit seinem Bildnis. Er ist es, der den todkranken Claudius durch weitere Vergiftung umgebracht haben soll und demgemaess, als ihm wie seinem Nachfolger gleich wert, auf seinen Denkmaelern nicht bloss wie ueblich "Kaiserfreund" (philosebastos) heisst, sondern speziell Freund des Claudius (philokla?dios) und des Nero (philoner/o/n, dies nach sicherer Restitution). Sein Bruder, dem er in dieser Stellung folgte, bezog ein Gehalt von 500000 Sesterzen (100000 Mark), versicherte aber dem Kaiser, dass er nur ihm zuliebe die Stellung angenommen haette, da seine Stadtpraxis ihm 100000 Sesterzen mehr eingetragen habe. Trotz der enormen Summen, die die Brueder ausser fuer Kos namentlich fuer Neapel aufgewendet hatten, hinterliessen sie ein Vermoegen von 30 Mill. Sesterzen (6« Mill. Mark). --------------------------------------------------- Wenn wir absehen von der wunderbaren Fruehbluete, in welcher das ionische Epos und die aeolische Lyrik, die Anfaenge der Geschichtschreibung und der Philosophie, der Plastik und der Malerei an diesen Gestaden keimten, so war in der Wissenschaft wie in der Kunstuebung die grosse Zeit Kleinasiens die der Attaliden, welche die Erinnerung jener noch groesseren Epoche treulich pflegte. Wenn Smyrna seinem Buerger Homeros goettliche Verehrung erwies, auch Muenzen auf ihn schlug und nach ihm nannte, so drueckt sich darin die Empfindung aus, die ganz Ionien und ganz Kleinasien beherrschte, dass die goettliche Kunst ueberhaupt in Hellas und im Besonderen in Ionien auf die Erde niedergestiegen sei. Wie frueh und in welchem Umfang fuer den Elementarunterricht in diesen Gegenden oeffentlich gesorgt worden ist, veranschaulicht ein denselben betreffender Beschluss der Stadt Teos ^36 in Lydien. Danach soll, nachdem die Kapitalschenkung eines reichen Buergers die Stadt dazu instand gesetzt hat, in Zukunft neben dem Turninspektor (gymnasiarch/e/s) weiter das Ehrenamt eines Schulinspektors (paidonomos) eingerichtet werden. Ferner sollen mit Besoldung angestellt werden drei Schreiblehrer mit Gehalten, je nach den drei Klassen, von 600, 550 und 500 Drachmen, damit im Schreiben saemtliche freie Knaben und Maedchen unterwiesen werden koennen; ebenfalls zwei Turnmeister mit je 500 Drachmen Gehalt, ein Musiklehrer mit Gehalt von 700 Drachmen, welcher die Knaben der beiden letzten Schuljahre und die aus der Schule entlassenen Juenglinge im Lautenschlagen und Zitherspielen unterweist, ein Fechtlehrer mit 300 und ein Lehrer fuer Bogenschiessen und Speerwerfen mit 250 Drachmen Besoldung. Die Schreibund der Musiklehrer sollen jaehrlich im Rathaus ein oeffentliches Examen der Schueler abhalten. Das ist das Kleinasien der Attalidenzeit; aber die roemische Republik hat deren Arbeit nicht fortgesetzt. Sie liess ihre Siege ueber die Galater nicht durch den Meissel verewigen, und die pergamenische Bibliothek kam kurz vor der Aktfischen Schlacht nach Alexandreia; viele der besten Keime sind in der Verwuestung der Mithradatischen und der Buergerkriege zugrunde gegangen. Erst in der Kaiserzeit regenerierte sich mit dem Wohlstande Kleinasiens wenigstens aeusserlich die Pflege der Kunst und vor allem der Literatur. Einen eigentlichen Primat, wie ihn als Universitaetsstadt Athen besass, im Kreise der wissenschaftlichen Forschung Alexandreia, fuer Schauspiel und Ballett die leichtfertige Hauptstadt Syriens, kann keine der zahlreichen Staedte Kleinasiens nach irgendeiner Richtung hin in Anspruch nehmen; aber die allgemeine Bildung ist wahrscheinlich nirgends weiter verbreitet und eingreifender gewesen. Den Lehrern und den Aerzten Befreiung von den mit Kosten verbundenen staedtischen Aemtern und Auftraegen zu gewaehren, muss in Asia frueh ueblich geworden sein; an diese Provinz ist der Erlass des Kaisers Pius gerichtet, welcher, um der fuer die staedtischen Finanzen offenbar sehr beschwerlichen Exemtion Schranken zu setzen, Maximalzahlen dafuer vorschreibt, zum Beispiel den Staedten erster Klasse gestattet, bis zu zehn Aerzten, fuenf Lehrmeistern der Rhetorik und fuenf der Grammatik diese Immunitaet zu gewaehren. Dass in dem Literatentum der Kaiserzeit Kleinasien in erster Reihe steht, beruht auf dem Rhetorenoder, nach dem spaeterhin ueblichen Ausdruck, dem Sophistenwesen der Epoche, das wir Neueren uns nicht leicht vergegenwaertigen. An die Stelle der Schriftstellerei, die ziemlich aufgehoert hat, etwas zu bedeuten, ist der oeffentliche Vortrag getreten, von der Art etwa unserer heutigen Universitaetsund akademischen Reden, ewig sich neu erzeugend und nur ausnahmsweise gelagert, einmal gehoert und beklatscht und dann auf immer vergessen. Den Inhalt gibt haeufig die Gelegenheit, der Geburtstag des Kaisers, die Ankunft des Statthalters, jedes oeffentliche oder private analoge Ereignis; noch haeufiger wird ohne jede Veranlassung ins Blaue hinein ueber alles geredet, was nicht praktisch und nicht lehrhaft ist. Politische Rede gibt es fuer diese Zeit ueberhaupt nicht, nicht einmal im roemischen Senat. Die Gerichtsrede ist den Griechen nicht mehr der Zielpunkt der Redekunst, sondern steht neben der Rede um der Rede willen als vernachlaessigte und plebejische Schwester, zu der sich ein Meister jener gelegentlich einmal herablaesst. Der Poesie, der Philosophie, der Geschichte wird entnommen, was sich gemeinplaetzig behandeln laesst, waehrend sie alle selbst ueberhaupt wenig und am wenigsten in Kleinasien gepflegt und noch weniger geachtet neben der reinen Wortkunst und von ihr durchseucht verkuemmern. Die grosse Vergangenheit der Nation betrachten diese Redner sozusagen als ihr Sondergut; sie verehren und behandeln den Homer einigermassen wie die Rabbiner die Buecher Moses, und auch in der Religion befleissigen sie sich eifrigster Orthodoxie. Getragen werden diese Vortraege durch alle erlaubten und unerlaubten Hilfsmittel des Theaters, die Kunst der Gestikulation und der Modulation der Stimme, die Pracht des Rednerkostuems, die Kunstgriffe des Virtuosentums, das Faktionswesen, die Konkurrenz, die Claque. Dem grenzenlosen Selbstgefuehl dieser Wortkuenstler entspricht die lebhafte Teilnahme des Publikums, welche derjenigen fuer die Rennpferde nur wenig nachsteht, und der voellig nach Theaterart dieser Teilnahme gegebene Ausdruck; und die Stetigkeit, womit dergleichen Exhibitionen in den groesseren Orten den Gebildeten vorgefuehrt werden, fuegt sie, ebenfalls wie das Theater, ueberall in die staedtischen Lebensgewohnheiten ein. Wenn vielleicht an den Eindruck, welchen in unseren bewegtesten Grossstaedten die obligaten Reden ihrer gelehrten Koerperschaften hervorrufen, sich dies untergegangene Phaenomen fuer unser Verstaendnis einigermassen anknuepfen laesst, so fehlt doch in den heutigen Verhaeltnissen ganz, was in der alten Welt weit die Hauptsache war: das didaktische Moment und die Verknuepfung des zwecklosen oeffentlichen Vortrags mit dem hoeheren Jugendunterricht. Wenn dieser heute, wie man sagt, den Knaben der gebildeten Klasse zum Professor der Philologie erzieht, so erzog er ihn damals zum Professor der Eloquenz, und zwar dieser Eloquenz. Denn die Schulung lief mehr und mehr darauf hinaus, dem Knaben die Fertigkeit beizubringen, ebensolche Vortraege, wie sie eben geschildert wurden, selber, womoeglich in beiden Sprachen, zu halten, und wer mit Nutzen den Kursus absolviert hatte, beklatschte in den analogen Leistungen die Erinnerung an die eigene Schulzeit. Diese Produktion umspannt zwar den Orient wie den Okzident; aber Kleinasien steht voran und gibt den Ton an. Als in der augustischen Zeit die Schulrhetorik in dem lateinischen Jugendunterricht der Hauptstadt Fuss fasste, waren die Haupttraeger neben Italienern und Spaniern zwei Kleinasiaten, Arellius Fuscus und Cestius Pius. Ebendaselbst, wo die ernsthafte Gerichtsrede sich in der besseren Kaiserzeit neben diesem Parasiten behauptete, weist ein geistvoller Advokat der flavischen Zeit auf die ungeheure Kluft hin, welche den Niketes von Smyrna und die andern in Ephesos und Mytilene beklatschten Redeschulmeister von Aeschines und Demosthenes trennt. Bei weitem die meisten und namhaftesten der gefeierten Rhetoren dieser Art sind von der Kueste Vorderasiens. Wie sehr fuer die Finanzen der kleinasiatischen Staedte die Schulmeisterlieferung fuer das ganze Reich ins Gewicht fiel, ist schon bemerkt worden. Im Laufe der Kaiserzeit steigt die Zahl und die Geltung dieser Sophisten bestaendig, und mehr und mehr gewinnen sie Boden auch im Okzident. Die Ursache davon liegt zum Teil wohl in der veraenderten Haltung der Regierung, die im zweiten Jahrhundert, insbesondere seit der nicht so sehr hellenisierenden als uebel kosmopolitisierenden hadrianischen Epoche, sich weniger ablehnend gegen das griechische und das orientalische Wesen verhielt als im ersten; hauptsaechlich aber in der immer zunehmenden Verallgemeinerung der hoeheren Bildung und der rasch sich vermehrenden Zahl der Anstalten fuer den hoeheren Jugendunterricht. Es gehoert also die Sophistik allerdings besonders nach Kleinasien und besonders in das Kleinasien des zweiten und dritten Jahrhunderts; nur darf in diesem Literatenprimat keine spezielle Eigentuemlichkeit dieser Griechen und dieser Epoche oder gar eine nationale Besonderheit gefunden werden. Die Sophistik sieht sich ueberall gleich, in Smyrna und Athen wie in Rom und Karthago; die Eloquenzmeister wurden verschickt wie die Lampenformen und das Fabrikat ueberall in gleicher Weise, nach Verlangen griechisch oder lateinisch, hergestellt, die Fabrikation dem Bedarf entsprechend gesteigert. Aber freilich lieferten diejenigen griechischen Landschaften, die an Wohlstand und Bildung voranstanden, diesen Exportartikel in bester Qualitaet und in groesster Quantitaet; von Kleinasien gilt dies fuer die Zeiten Sullas und Ciceros nicht minder wie fuer die Hadrians und der Antonine. -------------------------------------------------- ^36 Die Urkunde steht bei Dittenberger, SIG n. 349. Attalos II. machte eine aehnliche Stiftung in Delphi (BCH 5, 1881, S. 157). -------------------------------------------------- Indes ist auch hier nicht alles Schatten. Eben diese Landschaften besitzen zwar nicht unter den professionellen Sophisten, aber doch unter den Literaten anderer Richtung, die auch noch dort verhaeltnismaessig zahlreich sich finden, die besten Vertreter des Hellenismus, welche diese Epoche ueberhaupt aufweist, den Lehrer der Philosophie, Dion von Prusa, in Bithynien unter Vespasian und Traian und den Mediziner Galenos aus Pergamon, kaiserlicher Leibarzt am Hofe des Marcus und des Severus. Bei Galenos erfreut namentlich die feine Weise des Weltund des Hofmanns in Verbindung mit einer allgemeinen literarischen und philosophischen Bildung, wie sie bei den Aerzten dieser Zeit ueberhaupt haeufig hervortritt ^37. An Reinheit der Gesinnung und Klarheit ueber die Lage der Dinge gibt der Bithyner Dion dem Gelehrten von Chaeroneia nichts nach, an Gestaltungskraft, an Feinheit und Schlagfertigkeit der Rede, an ernstem Sinn bei leichter Form, an praktischer Energie ist er ihm ueberlegen. Die besten seiner Schriften, die Phantasien von dem idealen Hellenen vor der Erfindung der Stadt und des Geldes, die Ansprache an die Rhodier, die einzigen uebriggebliebenen Vertreter des echten Hellenismus, die Schilderung der Hellenen seiner Zeit in der Verlassenheit von Olbia wie in der Ueppigkeit von Nikomedeia und von Tarsos, die Mahnungen an den Einzelnen zu ernster Lebensfuehrung und an alle zu eintraechtigem Zusammenhalten sind das beste Zeugnis dafuer, dass auch von dem kleinasiatischen Hellenismus der Kaiserzeit das Wort des Dichters gilt: untergehend sogar ist’s immer dieselbige Sonne. ------------------------------------------ ^37 Ein Arzt aus Smyrna, Hermogenes, des Charidemos Sohn (CIG 3311), schrieb nicht bloss 77 Baende medizinischen Inhalts, sondern daneben, wie sein Grabstein berichtet, historische Schriften: ueber Smyrna, ueber Homers Vaterland, ueber Homers Weisheit, ueber die Staedtegruendungen in Asia, in Europa, auf den Inseln, Itinerarien von Asien und von Europa, ueber Kriegslisten, chronologische Tabellen ueber die Geschichte Roms und Smyrnas. Ein kaiserlicher Leibarzt Menekrates (CIG 6607), dessen Herkunft nicht angegeben wird, begruendete, wie seine roemischen Verehrer ihm bescheinigen, die neue logische und zugleich empirische Medizin (idias logik/e/s enargo?s iatrik/e/s ktist/e/s) in seinen auf 156 Baende sich belaufenden Schriften. ------------------------------------------ 9. Kapitel Die Euphratgrenze und die Parther Der einzige Grossstaat, mit welchem das Roemische Reich grenzte, war das Reich von Iran ^1, ruhend auf derjenigen Nationalitaet, die im Altertum wie heutzutage am bekanntesten ist unter dem Namen der Perser, staatlich zusammengefasst durch das altpersische Koenigsgeschlecht der Achaemeniden und seinen ersten Grosskoenig Kyros, religioes geeinigt durch den Glauben des Ahura Mazda und des Mithra. Keines der alten Kulturvoelker hat das Problem der nationalen Einigung gleich frueh und gleich vollstaendig geloest. Suedlich reichten die iranischen Staemme bis an den Indischen Ozean, noerdlich bis zum Kaspischen Meer; nordoestlich war die innerasiatische Steppe der stete Kampfplatz der sesshaften Perser und der nomadischen Staemme Turans. Oestlich schieden maechtige Grenzgebirge sie von den Indern. Im westlichen Asien trafen frueh drei grosse Nationen jede ihrerseits vordraengend auf einander: die von Europa aus auf die kleinasiatische Kueste uebergreifenden Hellenen, die von Arabien und Syrien aus in noerdlicher und nordoestlicher Richtung vorschreitenden und das Euphrattal wesentlich ausfuellenden aramaeischen Voelkerschaften, endlich die nicht bloss bis zum Tigris wohnenden, sondern selbst nach Armenien und Kappadokien vorgedrungenen Staemme von Iran, waehrend andersartige Urbewohner dieser weitgedehnten Landschaften unter diesen Vormaechten erlagen und verschwanden. Ueber dieses weite Stammgebiet ging in der Epoche der Achaemeniden, dem Hoehepunkt der Herrlichkeit Irans, die iranische Herrschaft nach allen Seiten, insbesondere aber nach Westen weit hinaus. Abgesehen von den Zeiten, wo Turan ueber Iran die Oberhand gewann und die Seldschuken und Mongolen den Persern geboten, ist eigentliche Fremdherrschaft ueber den Kern der iranischen Staemme nur zweimal gekommen, durch den grossen Alexander und seine naechsten Nachfolger und durch die arabischen Kalifen, und beide Male nur auf verhaeltnismaessig kurze Zeit; die oestlichen Landschaften, in jenem Fall die Parther, in diesem die Bewohner des alten Baktrien warfen nicht bloss bald das Joch des Auslaenders wieder ab, sondern verdraengten ihn auch aus dem stammverwandten Westen. ------------------------------------------------- ^1 Die Vorstellung, dass das Roemerund das Partherreich zwei nebeneinander stehende Grossstaaten sind und zwar die einzigen, die es gibt, beherrscht den ganzen roemischen Orient, namentlich die Grenzprovinzen. Greifbar tritt sie uns in der Johanneischen Apokalypse entgegen, in dem Nebeneinanderstellen wie des Reiters auf dem weissen Ross mit dem Bogen und des auf dem roten mit dem Schwert (6 2 3), so der Megistanen und der Chiliarchen (6, 15 vgl. 18, 23; 19, 18). Auch die Schlusskatastrophe ist gedacht als Ueberwaeltigung der Roemer durch die den Kaiser Nero zurueckfuehrenden Parther (c. 9,14;16,12) und Armageddon, was immer damit gemeint sein mag, als der Sammelplatz der Orientalen zu dem Gesamtangriff auf den Okzident. Allerdings deutet der im Roemischen Reich schreibende Verfasser diese wenig patriotischen Hoffnungen mehr an, als er sie ausspricht. ------------------------------------------------- Das durch die Parther regenerierte Perserreich fanden die Roemer vor, als sie in der letzten Zeit der Republik in Folge der Besetzung Syriens in unmittelbare Beruehrung mit Iran traten. Wir haben dieses Staats schon mehrfach frueherhin zu gedenken gehabt; hier ist der Ort, das Wenige zusammenzufassen, was ueber die Eigentuemlichkeit des auch fuer die Geschicke des Nachbarstaats so vielfach ausschlaggebenden Reiches sich erkennen laesst. Allerdings hat auf die meisten Fragen, die der Geschichtsforscher hier zu stellen hat, die Ueberlieferung keine Antwort. Die Okzidentalen geben ueber die inneren Verhaeltnisse ihrer parthischen Nachbarn und Feinde nur gelegentliche, in der Vereinzelung leicht irrefuehrende Notizen; und wenn die Orientalen es ueberhaupt kaum verstanden haben, die geschichtliche Ueberlieferung zu fixieren und zu bewahren, so gilt dies doppelt von der Arsakidenzeit, da diese den spaeteren Iranern mit der vorhergehenden Fremdherrschaft der Seleukiden zusammen als unberechtigte Usurpation zwischen der altund der neupersischen Herrschaftsperiode, den Achaemeniden und den Sassaniden gegolten hat; dies halbe Jahrtausend wird sozusagen aus der Geschichte Irans herauskorrigiert ^2 und ist wie nicht vorhanden. ---------------------------------------------- ^2 Dies gilt sogar einigermassen fuer die Chronologie. Die offizielle Historiographie der Sassaniden reduziert den Zeitraum zwischen dem letzten Dareios und dem ersten Sassaniden von 558 auf 266 Jahre (Tabari, Geschichte der Perser und Araber. Hrsg. v. Th. Noeldeke. Leiden 1879, S. 1). ---------------------------------------------- Der Standpunkt, den die Hofhistoriographen der Sassanidendynastie damit einnahmen, ist mehr der legitimistisch-dynastische des persischen Adels als derjenige der iranischen Nationalitaet. Freilich bezeichnen die Schriftsteller der ersten Kaiserzeit die Sprache der Parther, deren Heimat etwa dem heutigen Chorasan entspricht, als mitten inne stehend zwischen der medischen und der skythischen, das heisst als einen unreinen iranischen Dialekt; dem entsprechend galten sie als Einwanderer aus dem Land der Skythen und in diesem Sinne wird ihr Name auf fluechtige Leute gedeutet und der Gruender der Dynastie Arsakes zwar von einigen fuer einen Baktrer, von andern dagegen fuer einen Skythen von der Maeotis erklaert. Dass ihre Fuersten nicht in Seleukeia am Tigris ihre Residenz nahmen, sondern in der unmittelbaren Naehe bei Ktesiphon ihr Winterlager aufschlugen, wird darauf zurueckgefuehrt, dass sie die reiche Kaufstadt nicht mit skythischen Truppen haetten belegen wollen. Vieles in der Weise und den Ordnungen der Parther entfernt sich von der iranischen Sitte und erinnert an nomadische Lebensgewohnheiten: zu Pferde handeln und essen sie, und nie geht der freie Mann zu Fuss. Es laesst sich wohl nicht bezweifeln, dass die Parther, deren Namen allein von allen Staemmen dieser Gegend die heiligen Buecher der Perser nicht nennen, dem eigentlichen Iran fern stehen, in welchem die Achaemeniden und die Magier zu Hause sind. Der Gegensatz dieses Iran gegen das aus einem unzivilisierten und halb fremdartigen Distrikt herstammende Herrschergeschlecht und dessen naechstes Gefolge, dieser Gegensatz, den die roemischen Schriftsteller nicht ungern von den persischen Nachbarn uebernahmen, hat allerdings die ganze Arsakidenherrschaft hindurch bestanden und gegaert, bis er schliesslich ihren Sturz herbeifuehrte. Darum aber darf die Herrschaft der Arsakiden noch nicht als Fremdherrschaft gefasst werden. Dem parthischen Stamm und der parthischen Landschaft wurden keine Vorrechte eingeraeumt. Als Residenz der Arsakiden wird zwar auch die parthische Stadt Hekatompylos genannt; aber hauptsaechlich verweilten sie im Sommer in Ekbatana (Ramadan) oder auch in Rhagae gleich den Achaemeniden, im Winter, wie bemerkt, in der Lagerstadt Ktesiphon oder auch in Babylon an der aeussersten westlichen Grenze des Reiches. Das Erbbegraebnis in der Partherstadt Nisaea blieb; aber spaeter diente dafuer haeufiger Arbela in Assyrien. Die arme und ferne parthische Heimatlandschaft war fuer die ueppige Hofhaltung und die wichtigen Beziehungen zu dem Westen, besonders der spaeteren Arsakiden, in keiner Weise geeignet. Das Hauptland blieb auch jetzt Medien, eben wie unter den Achaemeniden. Mochten immer die Arsakiden skythischer Herkunft sein, mehr als auf das, was sie waren, kam darauf an, was sie sein wollten; und sie selber betrachteten und gaben sich durchaus als die Nachfolger des Kyros und des Dareios. Wie die sieben persischen Stammfuersten den falschen Achaemeniden beseitigt und durch die Erhebung des Dareios die legitime Herrschaft wiederhergestellt hatten, so mussten andere sieben die makedonische Fremdherrschaft gestuerzt und den Koenig Arsakes auf den Thron gesetzt haben. Mit dieser patriotischen Fiktion wird weiter zusammenhaengen, dass dem ersten Arsakes statt der skythischen die baktrische Heimat beigelegt ward. Die Tracht und die Etikette am Hof der Arsakiden war die des persischen; nachdem Koenig Mithradates I. seine Herrschaft bis zum Indus und Tigris ausgedehnt hatte, vertauschte die Dynastie den einfachen Koenigstitel mit dem des Koenigs der Koenige, wie ihn die Achaemeniden gefuehrt hatten, und die spitze skythische Kappe mit der hohen perlengeschmueckten Tiara; auf den Muenzen fuehrt der Koenig den Bogen wie Dareios. Auch die mit den Arsakiden in das Land gekommene, ohne Zweifel vielfach mit der alteinheimischen gemischte Aristokratie nahm persische Sitte und Tracht, meistens auch persische Namen an; von dem Partherheer, das mit Crassus stritt, heisst es, dass die Soldaten noch das struppige Haar nach skythischer Weise trugen, der Feldherr aber nach medischer Art mit in der Mitte gescheiteltem Haar und geschminktem Gesicht erschien. Die staatliche Ordnung, wie sie durch den ersten Mithradates festgestellt wurde, ist dementsprechend wesentlich diejenige der Achaemeniden. Das Geschlecht des Begruenders der Dynastie ist mit allem Glanz und mit aller Weihe angestammter und goettlich verordneter Herrschaft umkleidet: sein Name uebertraegt sich von Rechts wegen auf jeden seiner Nachfolger, und es wird ihm goettliche Ehre erwiesen; seine Nachfolger heissen darum auch Gottessoehne ^3 und ausserdem "Brueder des Sonnengottes und der Mondgoettin", wie noch heute der Schah von Persien die Sonne im Titel fuehrt; das Blut eines Gliedes des Koenigsgeschlechts auch nur durch Zufall zu vergiessen, ist ein Sakrilegium - alles Ordnungen, die mit wenigen Abminderungen bei den roemischen Caesaren wiederkehren und vielleicht zum Teil von diesen der aelteren Grossherrschaft entlehnt sind. ------------------------------------------- ^3 Die Unterkoenige der Persis heissen in der Titulatur stehend "Zag Alohin" (wenigstens sollen die aramaeischen Zeichen diesen vermutlich in der Aussprache persisch ausgedrueckten Worten entsprechen), Gottes Sohn (Mordtmann, Zeitschrift fuer Numismatik 4, 1877, S. 155 f.), und dem entspricht auf den griechischen Muenzen der Grosskoenige die Titulatur theopat/o/r. Auch die Bezeichnung "Gott" findet sich, wie bei den Seleukiden und den Sassaniden. Warum den Arsakiden ein Doppeldiadem beigelegt wird (Herodian 6, 2, 1), ist nicht aufgeklaert. ------------------------------------------- Obwohl die koenigliche Wuerde also fest an das Geschlecht geknuepft ist, besteht dennoch eine gewisse Koenigswahl. Da der neue Herrscher sowohl dem Kollegium der "Verwandten des koeniglichen Hauses" wie dem Priesterrat angehoeren muss, um den Thron besteigen zu koennen, so wird ein Akt stattgefunden haben, wodurch vermutlich eben diese Kollegien selbst den neuen Herrscher anerkannten ^4. Unter den "Verwandten" sind wohl nicht bloss die Arsakiden selbst zu verstehen, sondern die "sieben Haeuser" der Achaemenidenordnung, Fuerstengeschlechter, welchen nach dieser die Ebenbuertigkeit und der freie Eintritt bei dem Grosskoenig zukommt und die auch unter den Arsakiden aehnliche Privilegien gehabt haben werden ^5. Diese Geschlechter waren zugleich Inhaber von erblichen Kronaemtern ^6; die Suren zum Beispiel - der Name ist wie der Name Arsakes zugleich Personenund Amtbezeichnung -, das zweite Geschlecht nach dem Koenigshaus, setzten als Kronmeister jedesmal dem neuen Arsakes die Tiara aufs Haupt. Aber wie die Arsakiden selbst der parthischen Provinz angehoerten, so waren die Suren in Sakastane (Sedjistan) zu Hause und vielleicht Saker, also Skythen; ebenso stammten die Karen aus dem westlichen Medien, waehrend die hoechste Aristokratie unter den Achaemeniden rein persisch war. ------------------------------------------------------------ ^4 T/o/n Parthyai/o/n synedrion ph/e/sin (Poseid/o/nios) einai, sagt Strabon (11, 9, 3 p. 515), ditton, to men syggen/o/n, to de soph/o/n kai mag/o/n, ex /o/n amphoin to?s basileis kathistasthai (kathist/e/sin die Handschrift). Iust. 42, 4,1: Mithridates rex Parthorum . . . propter crudelitatem a senatu Parthico regno pellitur. ^5 In Aegypten, dessen Hofzeremoniell, wie wohl das der saemtlichen Staaten der Diadochen auf das von Alexander angeordnete und insofern auf das des Persischen Reiches zurueckgeht, scheint der gleiche Titel auch persoenlich verliehen worden zu sein (Franz, CIG III S. 270). Dass bei den Arsakiden das gleiche vorkam ist moeglich. Bei den griechisch redenden Untertanen des Arsakidenstaats scheint die Benennung megistanes, in dem urspruenglichen strengeren Gebrauch die Glieder der sieben Haeuser zu bezeichnen; es ist beachtenswert, dass megistanes und satrapae zusammengestellt werden (Sen. epist. 21; Ios. ant. Iud. 11, 3, 2; 20, 2, 3). Dass bei Hoftrauer der Perserkoenig die Megistanen nicht zur Tafel zieht (Suet. Gai. 5), legt die Vermutung nahe, dass sie das Vorrecht hatten, mit ihm zu speisen. Auch der Titel t/o/n pr/o/t/o/n phil/o/n findet sich bei den Arsakiden aehnlich wie am aegyptischen und am pontischen Hofe (BCH 7, 1883, S. 349). ^6 Ein koeniglicher Mundschenk der zugleich Feldherr ist, wird genannt bei Josephus (ant. Iud. 14, 13, 7 = bel. Iud. 1, 13, 1). Aehnliche Hofaemter kommen in den Diadochenstaaten haeufig vor. ------------------------------------------------------------ Die Verwaltung liegt in den Haenden der Unterkoenige oder der Satrapen; nach den roemischen Geographen der vespasianischen Zeit besteht der Staat der Parther aus achtzehn "Koenigreichen". Einige dieser Satrapien sind Sekundogenituren des Herrscherhauses; insbesondere scheinen die beiden nordwestlichen Provinzen, das atropatenische Medien (Aserbeidschan) und, sofern es in der Gewalt der Parther stand, Armenien, den dem zeitigen Herrscher naechststehenden Prinzen zur Verwaltung uebertragen worden zu sein ^7. Im uebrigen ragen unter den Satrapen hervor der Koenig der Landschaft Elymais oder von Susa, dem eine besondere Machtund Ausnahmestellung eingeraeumt war, demnaechst derjenige der Persis, des Stammlandes der Achaemeniden. Die wenn nicht ausschliessliche, so doch ueberwiegende und den Titel bedingende Verwaltungsform war im Partherreich, anders als in dem der Caesaren, das Lehnskoenigtum, so dass die Satrapen nach Erbrecht eintraten, aber der grossherrlichen Bestaetigung unterlagen ^8. Allem Anschein nach hat sich dies nach unten hin fortgesetzt, so dass kleinere Dynasten und Stammhaeupter zu dem Unterkoenig in demselben Verhaeltnis standen, wie dieser zu dem Grosskoenig ^9. Somit war das Grosskoenigtum der Parther aeusserst beschraenkt zu Gunsten der hohen Aristokratie durch die ihm anhaftende Gliederung der erblichen Landesverwaltung. Dazu passt recht wohl, dass die Masse der Bevoelkerung aus halb oder ganz unfreien Leuten bestand ^10 und Freilassung nicht statthaft war. In dem Heer, das gegen Antonius focht, sollen unter 50000 nur 400 Freie gewesen sein. Der vornehmste unter den Vasallen des Orodes, welcher als Feldherr desselben den Crassus schlug, zog ins Feld mit einem Harem von 200 Weibern und einer von 1000 Lastkamelen getragenen Bagage; er selber stellte 10000 Reiter zum Heer aus seinen Klienten und Sklaven. Ein stehendes Heer haben die Parther niemals gehabt, sondern zu allen Zeiten blieb hier die Kriegfuehrung angewiesen auf das Aufgebot der Lehnsfuersten und der ihnen untergeordneten Lehnstraeger sowie der grossen Masse der Unfreien, ueber welche diese geboten. ----------------------------------------- ^7 Tac. ann. 15, 2 u. 31. Wenn nach der Vorrede des Agathangelos (p. 109 Langlois) zur Zeit der Arsakiden der aelteste und tuechtigste Prinz die Landesherrschaft fuehrte, die drei ihm naechststehenden aber Koenige der Armenier, der Inder und der Massageten waren, so liegt hier vielleicht dieselbe Ordnung zu Grunde. Dass das parthisch-indische Reich, wenn es mit dem Hauptland verbunden war, ebenfalls als Sekundogenitur galt, ist sehr wahrscheinlich. ^8 Diese meint wohl Justinus (41, 2, 2): proximus maiestati regum praepositorum ordo est; ex hoc duces in bello, ex hoc in pace rectores habent. Den einheimischen Namen bewahrt die Glosse bei Hesychios: bistax o basile?s para Persais. Wenn bei Amm. 23, 6,14 die Vorsteher der persischen regiones vitaxae (schr. vistaxae), id est magistri equitum et reges et satrapae heissen, so hat er ungeschickt Persisches auf ganz Innerasien bezogen (vgl. Hermes 16, 1881, S. 613); uebrigens kann die Bezeichnung "Reiterfuehrer" fuer diese Unterkoenige darauf gehen, dass sie, wie die roemischen Statthalter, die hoechste Zivilund die hoechste Militaergewalt in sich vereinigten und die Armee der Parther ueberwiegend aus Reiterei bestand. ^9 Das lehrt die einem Gotarzes in der Inschrift von Kermanschahaen in Kurdistan (CIG 4674) beigelegte Titulatur satrap/e/s t/o/n satrap/o/n. Dem Arsakidenkoenig dieses Namens kann sie als solchem nicht beigelegt werden; wohl aber mag, wie Olshausen (Monatsbericht der Berliner Akademie 1878, S. 179) vermutet, damit diejenige Stellung bezeichnet werden, die ihm nach seinem Verzicht auf das Grosskoenigtum (Tac. ann. 11, 9) zukam. ^10 Noch spaeter heisst eine Reitertruppe im parthischen Heer die "der Freien" Ios. ant. Iud. 14, 13, 5 = bel. Iud. 1, 13, 3). ----------------------------------------- Allerdings fehlte das staedtische Element in der politischen Ordnung des Partherreichs nicht ganz. Zwar die aus der eigenen Entwicklung des Ostens hervorgegangenen groesseren Ortschaften sind keine staedtischen Gemeinwesen, wie denn selbst die parthische Residenz Ktesiphon im Gegensatz zu der benachbarten griechischen Gruendung Seleukeia ein Flecken genannt wird; sie hatten keine eigenen Vorsteher und keinen Gemeinderat, und die Verwaltung lag hier wie in den Landbezirken ausschliesslich bei den koeniglichen Beamten. Aber von den Gruendungen der griechischen Herrscher war ein freilich verhaeltnismaessig geringer Teil unter parthische Herrschaft gekommen. In den ihrer Nationalitaet nach aramaeischen Provinzen Mesopotamien und Babylonien hatte das griechische Staedtewesen unter Alexander und seinen Nachfolgern festen Fuss gefasst. Mesopotamien war mit griechischen Gemeinwesen bedeckt, und in Babylonien war die Nachfolgerin des alten Babylon, die Vorlaeuferin Bagdads, eine Zeit lang die Residenz der griechischen Koenige Asiens, Seleukeia am Tigris, durch ihre guenstige Handelslage und ihre Fabriken emporgeblueht zu der ersten Kaufstadt ausserhalb der roemischen Grenzen, angeblich von mehr als einer halben Million Einwohner. Ihre freie hellenische Ordnung, auf der ohne Zweifel ihr Gedeihen vor allem beruhte, wurde im eigenen Interesse auch von den parthischen Herrschern nicht angetastet, und die Stadt bewahrte sich nicht bloss ihren Stadtrat von 300 erwaehlten Mitgliedern, sondern auch griechische Sprache und griechische Sitte mitten im ungriechischen Osten. Freilich bildeten in diesen Staedten die Hellenen nur das herrschende Element; neben ihnen lebten zahlreiche Syrer, und als dritter Bestandteil gesellten sich dazu die nicht viel weniger zahlreichen Juden, so dass die Bevoelkerung dieser Griechenstaedte des Partherreichs, aehnlich wie die von Alexandreia, sich aus drei gesondert nebeneinander stehenden Nationalitaeten zusammensetzte. Zwischen diesen kam es, eben wie in Alexandreia, nicht selten zu Konflikten, wie zum Beispiel zur Zeit der Regierung des Gaius unter den Augen der parthischen Regierung die drei Nationen miteinander handgemein und schliesslich die Juden aus den groesseren Staedten ausgetrieben wurden. Insofern ist das Parthische Reich zu dem Roemischen das rechte Gegenstueck. Wie in diesem das orientalische Unterkoenigtum ausnahmsweise vorkommt, so in jenem die griechische Stadt; dem allgemeinen orientalisch-aristokratischen Charakter des Partherregiments tun die griechischen Kaufstaedte an der Westgrenze so wenig Eintrag wie die Lehnskoenigtuemer Kappadokien und Armenien dem staedtisch gegliederten Roemerstaat. Waehrend in dem Staat der Caesaren das roemisch-griechische staedtische Gemeinwesen weiter und weiter um sich greift und allmaehlich zur allgemeinen Verwaltungsform wird, so reisst die Staedtegruendung, das rechte Merkzeichen der hellenisch-roemischen Zivilisation, welche die griechischen Kaufstaedte und die Militaerkolonien Roms ebenso umspannt wie die grossartigen Ansiedlungen Alexanders und der Alexandriden, mit dem Eintreten des Partherregiments im Osten ploetzlich ab, und auch die bestehenden Griechenstaedte des Partherreichs verkuemmern im weiteren Lauf der Entwicklung. Dort wie hier draengt die Regel mehr und mehr die Ausnahmen zurueck. Irans Religion, mit ihrer dem Monotheismus sich naehernden Verehrung des "hoechsten der Goetter, der Himmel und Erde und die Menschen und fuer diese alles Gute geschaffen hat", mit ihrer Bildlosigkeit und Geistigkeit, mit ihrer strengen Sittlichkeit und Wahrhaftigkeit, ihrer Hinwirkung auf praktische Taetigkeit und energische Lebensfuehrung, hat die Gemueter ihrer Bekenner in ganz anderer und tieferer Weise gepackt, als die Religionen des Okzidents es je vermochten, und wenn vor der entwickelten Zivilisation weder Zeus noch Jupiter standgehalten haben, ist der Glaube bei den Parsen ewig jung geblieben, bis er einem anderen Evangelium, dem der Bekenner des Mohammed erlag oder doch vor ihm nach Indien entwich. Wie sich der alte Mazda-Glaube, zu dem die Achaemeniden sich bekannten und dessen Entstehung in die vorgeschichtliche Zeit faellt, zu demjenigen verhielt, den als Lehre des weisen Zarathustra die wahrscheinlich unter den spaeteren Achaemeniden entstandenen heiligen Buecher der Perser, das Awesta, verkuenden, ist nicht unsere Aufgabe darzustellen; fuer die Epoche, wo der Okzident mit dem Orient in Beruehrung steht, kommt nur die spaetere Religionsform in Betracht, wie sie, entstanden vielleicht im Osten Irans, in Baktrien, insbesondere vom Westen her, von Medien aus dem Okzident gegenuebertrat und in ihn eindrang. Enger aber als selbst bei den Kelten sind in Iran die nationale Religion und der nationale Staat miteinander verwachsen. Es ist schon hervorgehoben worden, dass das legitime Koenigtum im Iran zugleich eine religioese Institution, der oberste Herrscher des Landes als durch die oberste Landesgottheit besonders zum Regiment berufen und selbst gewissermassen goettlich gedacht wird. Auf den Muenzen nationalen Gepraeges erscheint regelmaessig der grosse Feueraltar und ueber ihm schwebend der gefluegelte Gott Ahura Mazda, neben ihm in kleinerer Gestalt und in betender Stellung der Koenig und dem Koenig gegenueber das Reichsbanner. Dem entsprechend geht auch die Uebermacht des Adels im Partherreich Hand in Hand mit der privilegierten Stellung des Klerus. Die Priester dieser Religion, die Magier, erscheinen schon in den Urkunden der Achaemeniden und in den Erzaehlungen Herodots und haben, wahrscheinlich mit Recht, den Okzidentalen immer als national persische Institution gegolten. Das Priestertum ist erblich und wenigstens in Medien, vermutlich auch in anderen Landschaften, galt die Gesamtheit der Priester, etwa wie die Leviten in dem spaeteren Israel, als ein besonderer Volksteil. Auch unter der Herrschaft der Griechen haben die alte Religion des Staates und das nationale Priestertum ihren Platz behauptet. Als der erste Seleukos die neue Hauptstadt seines Reiches, das schon erwaehnte Seleukeia gruenden wollte, liess er die Magier Tag und Stunde dafuer bestimmen, und erst nachdem diese Perser, nicht gern, das verlangte Horoskop gestellt hatten, vollzogen ihrer Anweisung gemaess der Koenig und sein Heer die feierliche Grundsteinlegung der neuen Griechenstadt. Also auch ihm standen beratend die Priester des Ahura Mazda zur Seite und sie, nicht die des hellenischen Olymp, wurden bei den oeffentlichen Angelegenheiten insoweit befragt, als diese goettliche Dinge betrafen. Selbstverstaendlich gilt dies um so mehr von den Arsakiden. Dass bei der Koenigswahl neben dem Adelsrat der der Priester mitwirkte, wurde schon bemerkt. Koenig Tiridates von Armenien, aus dem Haus der Arsakiden, kam nach Rom unter Geleit eines Gefolges von Magiern, und nach deren Vorschrift reiste und speiste er, auch in Gemeinschaft mit dem Kaiser Nero, der gern sich von den fremden Weisen ihre Lehre verkuenden und die Geister beschwoeren liess. Daraus folgt allerdings noch nicht, dass der Priesterstand als solcher auf die Fuehrung des Staats wesentlich bestimmend eingewirkt hat; aber keineswegs ist der Mazda- Glaube erst durch die Sassaniden wiederhergestellt worden; vielmehr ist bei allem Wechsel der Dynastien und bei aller eigenen Entwicklung die Landesreligion im Iran in ihren Grundzuegen die gleiche geblieben. Die Landessprache im Partherreich ist die einheimische Irans. Keine Spur fuehrt darauf, dass unter den Arsakiden jemals eine Fremdsprache in oeffentlichem Gebrauch gewesen ist. Vielmehr ist es der iranische Landesdialekt Babyloniens und die diesem eigentuemliche Schrift, wie beide vor und in der Arsakidenzeit unter dem Einfluss von Sprache und Schrift der aramaeischen Nachbarn sich entwickelten, welche mit der Benennung Pahlavi, das heisst Parthava, belegt und damit bezeichnet werden als die des Reiches der Parther. Auch das Griechische ist in demselben nicht Reichssprache geworden. Keiner der Herrscher fuehrt auch nur als zweiten Namen einen griechischen; und haetten die Arsakiden diese Sprache zu der ihrigen gemacht, so wuerden uns griechische Inschriften in ihrem Reiche nicht fehlen. Allerdings zeigen ihre Muenzen bis auf die Zeit des Claudius ausschliesslich ^11 und auch spaeter ueberwiegend griechische Aufschrift, wie sie auch keine Spur der Landesreligion aufweisen und im Fuss sich der oertlichen Praegung der roemischen Ostprovinzen anschliessen, ebenso die Jahrteilung so wie die Jahrzaehlung so beibehalten haben, wie sie unter den Seleukiden geregelt worden waren. Aber es wird dies vielmehr dahin aufzufassen sein, dass die Grosskoenige selber ueberhaupt nicht praegten ^12 und diese Muenzen, die ja wesentlich fuer den Verkehr mit den westlichen Nachbarn dienten, von den griechischen Staedten des Reiches auf den Namen des Landesherrn geschlagen worden sind. Die Bezeichnung des Koenigs auf diesen Muenzen als "Griechenfreund" (philell/e/n), die schon frueh begegnet ^13 und seit Mithradates I., das heisst seit der Ausdehnung des Staates bis an den Tigris, stehend wird, hat einen Sinn nur, wenn auf diesen Muenzen die parthische Griechenstadt redet. Vermutlich war der griechischen Sprache im Partherreich neben der persischen eine aehnliche sekundaere Stellung im oeffentlichen Gebrauch eingeraeumt, wie sie sie im Roemerstaat neben der lateinischen besass. Das allmaehliche Schwinden des Griechentums unter der parthischen Herrschaft laesst sich auf diesen staedtischen Muenzen deutlich verfolgen, sowohl in dem Auftreten der einheimischen Sprache neben und statt der griechischen wie auch in der mehr und mehr hervortretenden Sprachzerruettung ^14. ----------------------------------------- ^11 Die aelteste bekannte Muenze mit Pahlavischrift ist zu Claudius’ Zeit unter Volagasos I. geschlagen; sie ist zweisprachig und gibt dem Koenig griechisch den vollen Titel, aber nur den Namen Arsakes, iranisch bloss den einheimischen Individualnamen abgekuerzt (Vol.). ^12 Gewoehnlich beschraenkt man dies auf die Grosssilbermuenze und betrachtet das Kleinsilber und das meiste Kupfer als koenigliche Praegung. Indes damit wird dem Grosskoenig eine seltsame sekundaere Rolle in der Praegung zugeteilt. Richtiger wird wohl jene Praegung aufgefasst als ueberwiegend fuer das Ausland, diese als ueberwiegend fuer den inneren Verkehr bestimmt; die zwischen beiden Gattungen bestehenden Verschiedenheiten erklaeren sich auf diese Weise auch. ^13 Der erste Herrscher, der sie fuehrt, ist Phraapates um 188 v. Chr. (P. Gardner, Parthian coinage, S. 27). ^14 So steht auf den Muenzen des Gotarzes (unter Claudius): G/o/terz/e/s basile?s basile/o/n yos kekaloymenos Artabanoy. Auf den spaeteren ist die griechische Aufschrift oft ganz unverstaendlich. ----------------------------------------- Dem Umfang nach stand das Reich der Arsakiden weit zurueck nicht bloss hinter dem Weltstaat der Achaemeniden, sondern auch hinter dem ihrer unmittelbaren Vorgaenger, dem Seleukidenstaat. Von dessen urspruenglichem Gebiet besassen sie nur die groessere oestliche Haelfte; nach der Schlacht, in welcher Koenig Antiochos Sidetes, ein Zeitgenosse der Gracchen, gegen die Parther fiel, haben die syrischen Koenige nicht wieder ernstlich versucht, ihre Herrschaft jenseits des Euphrat geltend zu machen; aber das Land diesseits des Euphrat blieb den Okzidentalen. Von dem Persischen Meerbusen waren beide Kuesten, auch die arabische, im Besitz der Parther, die Schiffahrt auf demselben also vollstaendig in ihrer Gewalt; die uebrige arabische Halbinsel gehorchte weder den Parthern noch den ueber Aegypten gebietenden Roemern. Das Ringen der Nationen um den Besitz des Industals und der westlich und oestlich angrenzenden Landschaften zu schildern, soweit die gaenzlich zerrissene Ueberlieferung ueberhaupt eine Schilderung zulaesst, ist die Aufgabe unserer Darstellung nicht; aber die Hauptzuege dieses Kampfes, welcher dem um das Euphrattal gefuehrten stetig zur Seite geht, duerfen auch in diesem Zusammenhang um so weniger fehlen, als unsere Ueberlieferung uns nicht gestattet, die Verhaeltnisse Irans nach Osten in ihrem Eingreifen in die westlichen Beziehungen im einzelnen zu verfolgen und es daher notwendig erscheint, wenigstens die Grundlinien derselben uns zu vergegenwaertigen. Bald nach dem Tode des grossen Alexander wurde durch das Abkommen seines Marschalls und Teilerben Seleukos mit dem Gruender des Inderreiches, Tschandragupta oder griechisch Sandrakottos, die Grenze zwischen Iran und Indien gezogen. Danach herrschte der letztere nicht bloss ueber das Gangestal in seiner ganzen Ausdehnung und das gesamte noerdliche Vorderindien, sondern im Gebiet des Indus wenigstens ueber einen Teil des Hochtals des heutigen Kabul, ferner ueber Arachosien oder Afghanistan, vermutlich auch ueber das wueste und wasserarme Gedrosien, das heutige Belutschistan, sowie ueber das Delta und die Muendungen des Indus; die in Stein gehauenen Urkunden, durch welche Tschandraguptas Enkel, der glaeubige Buddhaverehrer Asoka, das allgemeine Sittengesetz seinen Untertanen einschaerfte, sind wie in diesem ganzen weit ausgedehnten Gebiet, so namentlich noch in der Gegend von Peschawar gefunden worden ^15. Der Hindukusch, der Parapanisos der Alten, und dessen Fortsetzung nach Osten und Westen schieden also mit ihrer gewaltigen, nur von wenigen Paessen durchsetzten Kette Iran und Indien. Aber langen Bestand hat dies Abkommen nicht gehabt. ---------------------------------------- ^15 Waehrend das Reich des Dareios, seinen Inschriften zufolge, die Gadara (die Gandara der Inder, Gandarai der Griechen, am Kabulfluss) und die Hindu (die Indusanwohner) in sich schliesst, werden die ersteren in einer der Inschriften des Asoka unter seinen Untertanen aufgefuehrt, und ein Exemplar seines grossen Edikts hat sich in Kapurdi Giri oder vielmehr in Schahbaz Garhi (Yusufzai- Distrikt) gefunden, nahezu sechs deutsche Meilen nordwestlich von der Muendung des Kabulflusses in den Indus bei Atak. Der Sitz der Regierung dieser nordwestlichen Provinzen von Asokas Reich war (nach der Inschrift CI Indicar. I p. 91) Takkhasi-la, Taxila der Griechen, etwa neun deutsche Meilen OSO von Atak, der Regierungssitz fuer die suedwestlichen Landschaften Udjdjeni (Ox/e/n/e/). Der oestliche Teil des Kabultals gehoerte also auf jeden Fall zu Asokas Reich. Dass der Khaiberpass die Grenze gebildet habe, ist nicht geradezu unmoeglich; wahrscheinlich aber gehoerte das ganze Kabultal zu Indien und machte die Grenze suedlich von Kabul die scharfe Linie der Sulaiman-Kette und weiter suedwestlich der Bolanpass. Von dem spaeteren indoskythischen Koenig Huvischka (Ooerke der Muenzen), der an der Yamuna in Mathura residiert zu haben scheint, hat sich eine Inschrift bei Wardak, nicht weit noerdlich von Kabul, gefunden (nach Mitteilungen Oldenbergs). ---------------------------------------- In der frueheren Diadochenzeit brachten die griechischen Herrscher des Reiches von Baktra, das von dem Seleukidenstaat geloest einen maechtigen Aufschwung nahm, das Grenzgebirge ueberschreitend einen grossen Teil des Industals in ihre Gewalt und setzten vielleicht noch weiter hinein in Vorderindien sich fest, so dass das Schwergewicht dieses Reiches sich aus dem westlichen Iran nach dem oestlichen Indien verschob und der Hellenismus dem Indertum wich. Die Koenige dieses Reiches heissen indische und fuehren spaeterhin ungriechische Namen; auf den Muenzen erscheint neben und statt der griechischen die einheimisch indische Sprache und Schrift, aehnlich wie in der parthisch-persischen Praegung neben dem Griechischen das Pahlavi emporkommt. Es trat dann eine Nation mehr in den Kampf ein: die Skythen oder, wie sie in Iran und in Indien heissen, die Saker brachen aus ihren Stammsitzen am Jaxartes ueber das Gebirge nach Sueden vor. Die baktrische Landschaft kam wenigstens grossenteils in ihre Gewalt, und etwa im letzten Jahrhundert der roemischen Republik muessen sie sich in dem heutigen Afghanistan und Belutschistan festgesetzt haben. Darum heisst in der fruehen Kaiserzeit die Kueste zu beiden Seiten der Indusmuendung um Minnagara Skythien und fuehrt im Binnenlande die westlich von Kandahar gelegene Landschaft der Dranger spaeter den Namen "Sakerland", Sakastane, das heutige Sedjistan. Diese Einwanderung der Skythen in die Landschaften des baktro-indischen Reiches hat dasselbe wohl eingeschraenkt und geschaedigt, etwa wie die ersten Wanderungen der Germanen das roemische, aber es nicht zerstoert; noch unter Vespasian hat ein wahrscheinlich selbstaendiger baktrischer Staat bestanden ^16. ----------------------------------------------------- ^16 Der Anm. 18 genannte aegyptische Kaufmann gedenkt c. 47 "des streitbaren Volks der Baktrianer, die ihren eigenen Koenig haben". Damals also war Baktrien von dem unter parthischen Fuersten stehenden Indusreich getrennt. Auch Strabon (11, 11, 1 p. 516) behandelt das baktrisch-indische Reich als der Vergangenheit angehoerig. ----------------------------------------------------- Unter den Juliern und den Claudiern scheinen dann an der Indusmuendung die Parther die Vormacht gewesen zu sein. Ein zuverlaessiger Berichterstatter aus augustischer Zeit fuehrt eben jenes Sakastane unter den parthischen Provinzen auf und nennt den Koenig der Saker-Skythen einen Unterkoenig der Arsakiden; als letzte parthische Provinz gegen Osten bezeichnet er Arachosien mit der Hauptstadt Alexandropolis, wahrscheinlich Kandahar. Ja, bald darauf, in vespasianischer Zeit, herrschen in Minnagara parthische Fuersten. Indes war dies fuer das Reich am Indusstrom mehr ein Wechsel der Dynastie als eine eigentliche Annexion an den Staat von Ktesiphon. Der Partherfuerst Gondopharos, den die christliche Legende mit dem Apostel der Parther und der Inder, dem heiligen Thomas, verknuepft ^17, hat allerdings von Minnagara aus bis nach Peschawar und Kabul hinauf geherrscht; aber diese Herrscher gebrauchen, wie ihre Vorherrscher im indischen Reich, neben der griechischen die indische Sprache und nennen sich Grosskoenige wie diejenigen von Ktesiphon; sie scheinen mit den Arsakiden darum nicht weniger rivalisiert zu haben, weil sie demselben Fuerstengeschlecht angehoerten ^18. ----------------------------------------------------- ^17 Wahrscheinlich ist er der Kaspar - in aelterer Tradition Gathaspar -, der unter den heiligen drei Koenigen aus dem Morgenland auftritt (Gutschmid, Rheinisches Museum N. F. 19, 1861, S. 162). ^18 Das bestimmteste Zeugnis der Partherherrschaft in diesen Gegenden findet sich in der unter Vespasian von einem aegyptischen Kaufmann aufgesetzten Kuestenbeschreibung des Roten Meeres c. 38: "Hinter der Indusmuendung im Binnenland liegt die Hauptstadt von Skythien Minnagara; beherrscht aber wird diese von den Parthern, die bestaendig einander verjagen (ypo Parth/o/n synech/o/s all/e/loys endi/o/kont/o/n). Dasselbe wird in etwas verwirrter Weise c. 41 wiederholt; es kann hier scheinen, als laege Minnagara in Indien selbst oberhalb Barygaza, und schon Ptolemaeos ist dadurch irregefuehrt worden; aber gewisshat der Schreiber, der ueber das Binnenland nur von Hoerensagen spricht, nur sagen wollen, dass eine grosse Stadt Minnagara im Binnenland nicht fern von Barygaza liege und von da viel Baumwolle nach Barygaza gefuehrt werde. Auch koennen die nach demselben Gewaehrsmann in Minnagara zahlreich begegnenden Spuren Alexanders nur am Indus, nicht in Gudjarat sich gefunden haben. Die Lage Minnagaras am unteren Indus, unweit Haiderabad, und die Existenz einer parthischen Herrschaft daselbst unter Vespasian erscheint hierdurch gesichert. Damit werden verbunden werden duerfen die Muenzen des Koenigs Gondopharos oder Hyndopherres, welcher in einer sehr alten christlichen Legende von dem Apostel der Parther und der Inder, dem heiligen Thomas, zum Christentum bekehrt wird und in der Tat der ersten roemischen Kaiserzeit anzugehoeren scheint (Sallet, Zeitschrift fuer Numismatik 6, 1879, S. 355; Gutschmid, Rheinisches Museum N. F. 19, 1861, S. 162); seines Brudersohns Abdagases (Sauet, a. a. O., S. 365), welcher mit dem parthischen Fuersten dieses Namens bei Tacitus (ann. 6, 36) identisch sein kann, auf jeden Fall einen parthischen Namen traegt, endlich des Koenigs Sanabaros, der kurz nach Hyndopherres regiert haben muss, vielleicht sein Nachfolger gewesen ist. Dazu gehoeren noch eine Anzahl anderer mit parthischen Namen, Arsakes, Pakoros, Vonones, bezeichneten Muenzen. Diese Praegung stellt sich entschieden zu der der Arsakiden (Sallet, a. a. O., S. 277); die Silberstuecke des Gondopharos und des Sanabaros - von den uebrigen gibt es fast nur Kupfer -entsprechen genau den Arsakidendrachmen. Allem Anschein nach gehoeren diese den Partherfuersten von Minnagara; dass neben der griechischen hier indische Aufschrift erscheint, wie bei den spaeten Arsakiden Pahlavischrift, passt dazu. Aber es sind dies nicht Muenzen von Satrapen, sondern, wie dies auch der Aegypter andeutet, mit den ktesiphontischen rivalisierender Grosskoenige; Hyndopherres nennt sich in sehr verdorbenem Griechisch basile?s basile/o/n megas aytokr und in gutem Indisch "Maharadja Radjadi Radja". Wenn, wie dies nicht unwahrscheinlich ist, in dem Mambaros oder Akabaros, den der Periplus c. 41. 52 als Herrscher der Kueste von Barygaza nennt, der Sanabaros der Muenzen steckt, so gehoert dieser in die Zeit Neros oder Vespasians und herrschte nicht bloss an der Indusmuendung, sondern auch ueber Gudjarat. Wenn ferner eine unweit Peschawar gefundene Inschrift mit Recht auf den Koenig Gondopharos bezogen wird, so muss dessen Herrschaft bis dort hinauf, wahrscheinlich bis nach Kabul hin sich erstreckt haben. Dass Corbulo im Jahre 60 die Gesandtschaft der von den Parthern abgefallenen Hyrkaner, damit sie von jenen nicht aufgegriffen wuerden, an die Kueste des Roten Meeres schickte, von wo sie, ohne parthisches Gebiet zu betreten, die Heimat erreichen konnten (Tac. 15, 25), spricht dafuer, dass das Industal damals dem Herrscher von Ktesiphon nicht botmaessig war. ----------------------------------------------------- Auf diese parthische Dynastie folgt dann in dem indischen Reich nach kurzer Zwischenzeit die in der indischen Ueberlieferung als die der Saker oder die des Koenigs Kanerku oder Kanischka bezeichnete, welche mit dem Jahre 78 n. Chr. beginnt und wenigstens bis in das dritte Jahrhundert bestanden hat ^19. Sie gehoeren zu den Skythen, deren Einwanderung frueher erwaehnt ward, und auf ihren Muenzen tritt an die Stelle der indischen die skythische Sprache ^20. So haben im Indusgebiet nach den Indern und den Hellenen in den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung Parther und Skythen das Regiment gefuehrt. Aber auch unter den auslaendischen Dynastien hat dort dennoch eine national-indische Staatenbildung sich vollzogen und behauptet und der parthisch-persischen Machtentwicklung im Osten eine nicht minder dauernde Schranke entgegengestellt wie der Roemerstaat im Westen. ------------------------------------------- ---------- ^19 Dass das Grosskoenigtum der Arsakiden von Minnagara nicht viel ueber die neronische Zeit hinaus bestanden hat, ist nach den Muenzen wahrscheinlich. Was fuer Herrscher auf sie gefolgt sind, ist fraglich. Die baktrisch-indischen Herrscher griechischen Namens gehoeren ueberwiegend, vielleicht saemtlich der voraugustischen Epoche an; auch manche einheimischen Namens, zum Beispiel Maues und Azes, fallen nach Sprache und Schrift (zum Beispiel der Form des m S2) vor diese Zeit. Dagegen sind die Muenzen der Koenige Kozulokadphises und Ooemokadphises und diejenigen der Sakerkoenige, des Kanerku und seiner Nachfolger, welche alle namentlich durch den bis dahin in der indischen Praegung nicht begegnenden Goldstater vom Gewicht des roemischen Aureus sich deutlich als einheitliche Praegung charakterisieren, allem Anschein nach spaeter als Gondopharos und Sanabaros. Sie zeigen, wie der Staat des Industals sich in immer steigendem Mass im Gegensatz gegen die Hellenen wie gegen die Iranier nationalindisch gestaltet hat. Die Regierung dieser Kadphises wird also zwischen die indo-parthischen Herrscher und die Dynastie der Saker fallen welche letztere mit dem Jahre 78 n. Chr. beginnt (Oldenberg in Sallets Zeitschrift fuer Numismatik 8, 1881, S. 292). In dem Schatz von Peschawar gefundene Muenzen dieser Sakerkoenige nennen merkwuerdigerweise griechische Goetter in verstuemmelter Form /E/rakilo, Sarapo, neben dem nationalen Boydo. Die spaetesten ihrer Muenzen zeigen den Einfluss der aeltesten Sassanidenpraegung und duerften der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts angehoeren (Sallet, Zeitschrift fuer Numismatik 6, 1879, S. 225). ^20 Die indo-griechischen und die indo-parthischen Herrscher, ebenso die Kadphises bedienen sich auf ihren Muenzen in grossem Umfang neben der griechischen der einheimischen indischen Sprache und Schrift; die Sakerkoenige dagegen haben niemals indische Sprache und indisches Alphabet gebraucht, sondern verwenden ausschliesslich die griechischen Buchstaben, und die nicht griechischen Aufschriften ihrer Muenzen sind ohne Zweifel skythisch. So steht auf Kanerkus Goldstuecken bald basile?s basile/o/n Kan/e/rkoy, bald rao nanorao kan/e/rki korano wo die ersten beiden Woerter eine skythisierte Form des indischen Rbdjbdi Rbdja sein werden, die beiden folgenden den Eigenund den Stammnamen (Guschana) des Koenigs enthalten (Oldenberg, a. a. O., S. 294). Also waren diese Saker in anderem Sinne Fremdherrscher in Indien als die baktrischen Hellenen und die Parther. Doch sind die unter ihnen in Indien gesetzten Inschriften nicht skythisch, sondern indisch. ----------------------------------------------------- Gegen Norden und Nordosten grenzte Iran mit Turan. Wie das westliche und suedliche Ufer des Kaspischen Meeres und die oberen Taeler des Oxos und Jaxartes der Zivilisation eine geeignete Staette bieten, so gehoert die Steppe um den Aralsee und das dahinter sich ausbreitende weite Flachland von Rechts wegen den schweifenden Leuten. Es sind unter diesen Nomaden wohl einzelne den Iraniern verwandte Voelkerschaften gewesen; aber auch diese haben keinen Teil an der iranischen Zivilisation, und es ist das bestimmende Moment fuer die geschichtliche Stellung Irans, dass es die Vormauer der Kulturvoelker bildet gegen diejenigen Horden, die als Skythen, Saken, Hunnen, Mongolen, Tuerken keine andere weltgeschichtliche Bestimmung zu haben scheinen als die der Kulturvernichtung. Baktra, das grosse Bollwerk Irans gegen Turan, hat in der nachalexandrischen Epoche unter seinen griechischen Herrschern laengere Zeit dieser Abwehr genuegt; aber es ist schon erwaehnt worden, dass es spaeterhin zwar nicht unterging, aber das Vordringen der Skythen nach Sueden nicht laenger zu hindern vermochte. Mit dem Rueckgang der baktrischen Macht ging die gleiche Aufgabe ueber auf die Arsakiden. Wie weit dieselben ihr entsprochen haben, ist schwierig zu sagen. In der ersten Kaiserzeit scheinen die Grosskoenige von Ktesiphon, wie suedlich vom Hindukusch so auch in den noerdlichen Landschaften, die Skythen zurueckgedraengt oder sich botmaessig gemacht zu haben; einen Teil des baktrischen Gebiets haben sie ihnen wieder entrissen. Aber welche und ob ueberhaupt dauernde Grenzen hier sich feststellten, ist zweifelhaft. Der Kriege der Parther und der Skythen wird oft gedacht. Die letzteren, hier zunaechst die Umwohner des Aralsees, die Vorfahren der heutigen Turkmenen, sind regelmaessig die Angreifenden, indem sie teils zu Wasser ueber das Kaspische Meer in die Taeler des Kyros und des Araxes einfallen, teils von ihrer Steppe aus die reichen Fluren Hyrkaniens und die fruchtbare Oase der Margiana (Merw) ausrauben. Die Grenzgebiete verstanden sich dazu, die willkuerliche Brandschatzung mit Tributen abzukaufen, welche regelmaessig in festen Terminen eingefordert wurden, wie heute die Beduinen Syriens von den Bauern daselbst die Kubba erheben. Das parthische Regiment also vermochte wenigstens in der frueheren Kaiserzeit so wenig wie das heutige tuerkische, hier dem friedlichen Untertan die Fruechte seiner Arbeit zu sichern und einen dauernden Friedensstand an der Grenze herzustellen. Auch fuer die Reichsgewalt selbst blieben diese Grenzwirren eine offene Wunde; oftmals haben sie in die Sukzessionskriege der Arsakiden so wie in ihre Streitigkeiten mit Rom eingegriffen. Wie das Verhaeltnis der Parther zu den Roemern sich gestaltet und die Grenzen der beiden Grossmaechte sich festgestellt hatten, ist seinerzeit dargelegt worden. Waehrend die Armenier mit den Parthern rivalisiert hatten und das Koenigtum am Araxes sich anschickte, in Vorderasien die Grosskoenigsrolle zu spielen, hatten die Parther im allgemeinen freundliche Beziehungen zu den Roemern unterhalten als den Feinden ihrer Feinde. Aber nach der Niederwerfung des Mithradates und des Tigranes hatten die Roemer, namentlich durch die von Pompeius getroffenen Organisationen, eine Stellung genommen, die mit ernstlichem und dauerndem Frieden zwischen den beiden Staaten sich schwer vertrug. Im Sueden stand Syrien jetzt unter unmittelbarer roemischer Herrschaft, und die roemischen Legionen hielten Wacht an dem Saume der grossen Wueste, die das Kuestenland vom Euphrattal scheidet. Im Norden waren Kappadokien und Armenien roemische Lehnsfuerstentuemer. Die nordwaerts an Armenien grenzenden Voelkerschaften, die Kolcher, Iberer, Albaner, waren damit notwendig dem parthischen Einfluss entzogen und, wenigstens nach roemischer Auffassung, ebenfalls roemische Lehnsstaaten. Das suedoestlich an Armenien angrenzende, durch den Araxes von ihm getrennte Klein-Medien oder Atropatene (Aserbeidschan) hatte schon den Seleukiden gegenueber unter seiner alteinheimischen Dynastie seine Nationalitaet behauptet und sogar sich selbstaendig gemacht; unter den Arsakiden erscheint der Koenig dieser Landschaft je nach Umstaenden als Lehnstraeger der Parther oder als unabhaengig von diesen durch Anlehnung an die Roemer. Somit reichte der bestimmende Einfluss Roms bis zum Kaukasus und zum westlichen Ufer des Kaspischen Meeres. Es lag hierin ein Uebergreifen ueber die durch die nationalen Verhaeltnisse angezeigten Grenzen. Das hellenische Volkstum hatte wohl an der Suedkueste des Schwarzen Meeres und im Binnenland in Kappadokien und Kommagene so weit Fuss gefasst, dass hier die roemische Vormacht an ihm einen Rueckhalt fand; aber Armenien ist auch unter der langjaehrigen roemischen Herrschaft immer ein ungriechisches Land geblieben, durch die Gemeinschaft der Sprache und des Glaubens, die zahlreichen Zwischenheiraten der Vornehmen, die gleiche Kleidung und gleiche Bewaffnung ^21 an den Partherstaat mit unzerreissbaren Banden geknuepft. Die roemische Aushebung und die roemische Besteuerung sind nie auf Armenien erstreckt worden; hoechstens bestritt das Land die Aufstellung und die Unterhaltung der eigenen Truppen und die Verpflegung der daselbst liegenden roemischen. Die armenischen Kaufleute vermittelten den Warentausch ueber den Kaukasus mit Skythien, ueber das Kaspische Meer mit Ostasien und China, den Tigris hinab mit Babylonien und Indien, nach Westen hin mit Kappadokien; nichts haette naeher gelegen, als das politisch abhaengige Land in das roemische Steuerund Zollgebiet einzuschliessen; dennoch ist nie dazu geschritten worden. Die Inkongruenz der nationalen und der politischen Zugehoerigkeit Armeniens bildet ein wesentliches Moment in dem durch die ganze Kaiserzeit sich hinziehenden Konflikt mit dem oestlichen Nachbarn. Man erkannte es wohl auf roemischer Seite, dass die Annektierung jenseits des Euphrat ein Uebergriff in das Stammgebiet der orientalischen Nationalitaet und fuer Rom kein eigentlicher Machtzuwachs war. Der Grund aber oder wenn man will die Entschuldigung dafuer, dass diese Uebergriffe dennoch sich fortsetzten, liegt darin, dass das Nebeneinanderstehen gleichberechtigter Grossstaaten mit dem Wesen der roemischen, man darf vielleicht sagen mit der Politik des Altertums ueberhaupt unvereinbar ist. Das roemische Reich kennt als Grenze genaugenommen nur das Meer oder das wehrlose Landgebiet. Dem schwaecheren, aber doch wehrhaften Staatswesen der Parther goennten die Roemer die Machtstellung nicht und nahmen ihm, worauf diese wieder nicht verzichten konnten; und darum ist das Verhaeltnis zwischen Rom und Iran durch die ganze Kaiserzeit eine nur durch Waffenstillstaende unterbrochene ewige Fehde um das linke Ufer des Euphrat. ------------------------------------------ ^21 Arrian, der als Statthalter von Kappadokien selbst ueber die Armenier das Kommando gefuehrt hatte (Alan. 29), nennt in der Taktik Armenier und Parther immer zusammen (4, 3; 44, 1 wegen der schweren Reiterei, der gepanzerten kontophoroi und der leichten Reiterei, der akrobolistai oder ippotoxotai; 35, 7 wegen der Pluderhosen), und wo er von Hadrians Einfuehrung der barbarischen Kavallerie in das roemische Heer spricht, fuehrt er die berittenen Schuetzen zurueck auf das Muster "der Parther oder Armenier" (44, 1). ------------------------------------------ In den von Lucullus und Pompeius mit den Parthern abgeschlossenen Vertraegen war die Euphratgrenze anerkannt, also Mesopotamien ihnen zugestanden worden. Aber dies hinderte die Roemer nicht, die Herrscher von Edessa in ihre Klientel aufzunehmen und, wie es scheint durch Erstreckung der Grenzen Armeniens gegen Sueden, einen grossen Teil des noerdlichen Mesopotamien wenigstens fuer ihre mittelbare Herrschaft in Anspruch zu nehmen. Deswegen hatte nach einigem Zaudern die parthische Regierung den Krieg gegen die Roemer in der Form begonnen, dass sie ihn den Armeniern erklaerte. Die Antwort darauf war der Feldzug des Crassus und nach der Niederlage bei Karrhae die Zurueckfuehrung Armeniens unter parthische Gewalt; man kann hinzusetzen: die Wiederaufnahme der Ansprueche auf die westliche Haelfte des Seleukidenstaats, deren Durchfuehrung freilich damals misslang. Waehrend des ganzen zwanzigjaehrigen Buergerkriegs, in dem die roemische Republik zugrunde ging und schliesslich der Prinzipat sich feststellte, dauerte der Kriegsstand zwischen Roemern und Parthern, und nicht selten griffen beide Kaempfe ineinander ein. Pompeius hatte vor der Entscheidungsschlacht versucht, den Koenig Orodes als Verbuendeten zu gewinnen; aber als dieser die Abtretung Syriens forderte, vermochte er es nicht ueber sich, die durch ihn selbst roemisch gewordene Provinz auszuliefern. Nach der Katastrophe hatte er dennoch sich dazu entschlossen; aber Zufaelligkeiten lenkten seine Flucht statt nach Syrien vielmehr nach Aegypten, wo er dann sein Ende fand. Die Parther schienen im Begriff, abermals in Syrien einzubrechen; und die spaeteren Fuehrer der Republikaner verschmaehten den Beistand der Landesfeinde nicht. Noch bei Caesars Lebzeiten hatte Caecilius Bassus, als er die Fahne des Aufstands in Syrien erhob, sofort die Parther herbeigerufen. Sie waren diesem Ruf auch gefolgt; des Orodes Sohn Pakoros hatte den Statthalter Caesars geschlagen und die von ihm in Apameia belagerte Truppe des Bassus befreit (709 45). Sowohl aus diesem Grunde, wie um fuer Karrhae Revanche zu nehmen, hatte Caesar beschlossen, im naechsten Fruehling persoenlich nach Syrien und ueber den Euphrat zu gehen; aber die Ausfuehrung dieses Planes verhinderte sein Tod. Als dann Cassius in Syrien ruestete, knuepfte er auch mit dem Partherkoenig an, und in der Entscheidungsschlacht bei Philippi (712 42) haben parthische berittene Schuetzen mit fuer die Freiheit Roms gestritten. Da die Republikaner unterlagen, verhielt der Grosskoenig zunaechst sich ruhig, und auch Antonius hatte wohl die Absicht, des Diktators Plaene auszufuehren, aber zunaechst mit der Ordnung des Orients genug zu tun. Der Zusammenstoss konnte nicht ausbleiben; der Angreifende war diesmal der Partherkoenig. Als im Jahre 713 (41) Caesar der Sohn in Italien mit den Feldherren und der Gemahlin des Antonius schlug und dieser in Aegypten bei der Koenigin Kleopatra untaetig verweilte, entsprach Orodes dem Draengen eines bei ihm im Exil lebenden Roemers, des Quintus Labienus, und sandte diesen, einen Sohn des erbitterten Gegners des Diktators Titus Labienus und ehemaligen Offizier im Heere des Brutus, sowie (713 41) seinen Sohn Pakoros mit einer starken Armee ueber die Grenze. Der Statthalter Syriens, Decidius Saxa, unterlag dem unvermuteten Angriff; die roemischen Besatzungen, grossenteils gebildet aus alten Soldaten der republikanischen Armee, stellten sich unter den Befehl ihres frueheren Offiziers; Apameia und Antiocheia, ueberhaupt alle Staedte Syriens mit Ausnahme der ohne Flotte nicht zu bezwingenden Inselstadt Tyros, unterwarfen sich; auf der Flucht nach Kilikien gab sich Saxa, um nicht gefangen zu werden, selber den Tod. Nach der Einnahme Syriens wandte sich Pakoros gegen Palaestina, Labienus nach der Provinz Asia; auch hier unterwarfen sich weithin die Staedte oder wurden mit Gewalt bezwungen, mit Ausnahme des karischen Stratonikeia. Antonius, durch die italischen Verwicklungen in Anspruch genommen, sandte seinen Statthaltern keinen Sukkurs, und fast zwei Jahre (Ende 713 bis Fruehjahr 715 41- 39) geboten in Syrien und einem grossen Teil Kleinasiens die parthischen Feldherren und der republikanische Imperator Labienus -der Parthiker, wie er mit schamloser Ironie sich nannte, nicht der Roemer, der die Parther, sondern der Roemer, der mit den Parthern die Seinigen ueberwand. Erst nachdem der drohende Bruch zwischen den beiden Machthabern abgewandt war, sandte Antonius ein neues Heer unter Fuehrung des Publius Ventidius Bassus, dem er das Kommando in den Provinzen Asia und Syrien uebergab. Der tuechtige Feldherr traf in Asia den Labienus allein mit seinen roemischen Truppen und schlug ihn rasch aus der Provinz hinaus. An der Scheide von Asia und Kilikien, in den Paessen des Taurus, wollte eine Abteilung der Parther die fliehenden Verbuendeten aufnehmen; aber auch sie wurden geschlagen, bevor sie sich mit Labienus vereinigen konnten, und darauf dieser auf der Flucht in Kilikien aufgegriffen und getoetet. Mit gleichem Glueck erstritt Ventidius die Paesse des Amanos an der Grenze von Kilikien und Syrien; hier fiel Pharnapates, der beste der parthischen Generale (715 39). Damit war Syrien vom Feinde befreit. Allerdings ueberschritt im Jahre darauf Pakoros noch einmal den Euphrat, aber nur um in einem entscheidenden Treffen bei Gindaros nordoestlich von Antiocheia (9. Juni 716 38) mit dem groessten Teil seines Heeres den Untergang zu finden. Es war ein Sieg, der den Tag bei Karrhae einigermassen aufwog und von dauernder Wirkung: auf lange hinaus haben die Parther nicht wieder ihre Truppen am roemischen Ufer des Euphrat gezeigt. Wenn es im Interesse Roms lag, die Eroberungen gegen Osten auszudehnen und die Erbschaft des grossen Alexander hier in ihrem vollen Umfang anzutreten, so lagen dafuer die Verhaeltnisse nie guenstiger als im Jahre 716 (38). Die Beziehungen der Zweiherrscher zueinander hatten zur rechten Zeit dafuer sich neu befestigt, und auch Caesar wuenschte damals wahrscheinlich aufrichtig eine ernstliche und glueckliche Kriegfuehrung seines Herrschaftsgenossen und neuen Schwagers. Die Katastrophe von Gindaros hatte bei den Parthern eine schwere dynastische Krise hervorgerufen. Koenig Orodes legte, tief erschuettert durch den Tod seines aeltesten und tuechtigsten Sohnes, das Regiment zu Gunsten seines zweitgeborenen, Phraates, nieder. Dieser fuehrte, um sich den Thron besser zu sichern, ein Regiment des Schreckens, dem seine zahlreichen Brueder und der alte Vater selbst so wie eine Anzahl der hohen Adligen des Reiches zum Opfer fielen; andere derselben traten aus und suchten Schutz bei den Roemern, unter ihnen der maechtige und angesehene Monaeses. Nie hat Rom im Orient ein Heer von gleicher Zahl und Tuechtigkeit gehabt wie in dieser Zeit: Antonius vermochte nicht weniger als sechzehn Legionen, gegen 70000 Mann roemischer Infanterie, gegen 40000 der Hilfsvoelker, 10000 spanische und gallische, 6000 armenische Reiter ueber den Euphrat zu fuehren; wenigstens die Haelfte derselben waren altgediente, aus dem Westen herangefuehrte Truppen, alle bereit, ihrem geliebten und verehrten Fuehrer, dem Sieger von Philippi, wo immer hin zu folgen und die glaenzenden Siege, die nicht durch, aber fuer ihn ueber die Parther bereits erfochten waren, unter seiner eigenen Fuehrung mit noch groesseren Erfolgen zu kroenen. In der Tat fasste Antonius die Aufrichtung eines asiatischen Grosskoenigtums nach dem Muster Alexanders ins Auge. Wie Crassus vor seinem Einruecken verkuendigt hatte, dass er die roemische Herrschaft bis nach Baktrien und Indien ausdehnen werde, so nannte Antonius den ersten Sohn, den die aegyptische Koenigin ihm gebar, mit dem Namen Alexanders. Er scheint geradezu beabsichtigt zu haben, einerseits mit Ausschluss der vollstaendig hellenisierten Provinzen Bithynien und Asia das gesamte Reichsgebiet im Osten, so weit es nicht schon unter abhaengigen Kleinfuersten stand, in diese Form zu bringen, andererseits alle einstmals von den Okzidentalen besetzten Landschaften des Ostens in Form von Satrapien sich untertaenig zu machen. Von dem oestlichen Kleinasien wurde der groesste Teil und der militaerische Primat dem streitbarsten der dortigen Fuersten, dem Galater Amyntas, zugewiesen. Neben dem galatischen standen die Fuersten von Paphlagonien, die von Galatien verdraengten Nachkommen des Delotarus; Polemon, der neue Fuerst im Pontos und der Gemahl der Enkelin des Antonius Pythodoris; ferner wie bisher die Koenige von Kappadokien und Kommagene. Einen grossen Teil Kilikiens und Syriens sowie Kypros und Kyrene vereinigte Antonius mit dem aegyptischen Staat, dem er also fast die Grenzen wiedergab, wie sie unter den Ptolemaeern gewesen waren, und wie er die Buhle Caesars, die Koenigin Kleopatra, zu der seinigen oder vielmehr zu seiner Gattin gemacht hatte, so erhielt ihr Bastard von Caesar, Caesarion, schon frueher anerkannt als Mitherrscher in Aegypten ^22, die Anwartschaft auf das alte Ptolemaeerreich, die auf Syrien ihr Bastard von Antonius, Ptolemaeos Philadelphos. Einem anderen Sohn, den sie dem Antonius geboren hatte, dem schon erwaehnten Alexander, ward fuer jetzt Armenien zugeteilt als Abschlagzahlung auf die ihm weiter zugedachte Herrschaft des Ostens. Mit diesem nach orientalischer Art geordneten Grosskoenigtum ^23 dachte er den Prinzipat ueber den Okzident zu vereinigen. Er selbst hat nicht den Koenigsnamen angenommen, vielmehr seinen Landsleuten und den Soldaten gegenueber nur diejenigen Titel gefuehrt, die auch Caesar zukamen. Aber auf Reichsmuenzen mit lateinischer Aufschrift heisst Kleopatra Koenigin der Koenige, ihre Soehne von Antonius wenigstens Koenige; den Kopf seines aeltesten Sohnes zeigen die Muenzen neben dem des Vaters, als verstaende die Erblichkeit sich von selbst; die Ehe und die Erbfolge der echten und der Bastardkinder wird von ihm behandelt, wie es bei den Grosskoenigen des Ostens Gebrauch ist oder, wie er selbst sagte, mit der goettlichen Freiheit seines Ahnherrn Herakles ^24; jenen Alexander und dessen Zwillingsschwester Kleopatra nannte er den ersteren Helios, die letztere Selene nach dem Muster eben dieser Grosskoenige, und wie einst der Perserkoenig dem fluechtigen Themistokles eine Anzahl asiatischer Staedte, so schenkte er dem zu ihm uebergetretenen Parther Monaeses drei Staedte Syriens. Auch in Alexander gingen der Koenig der Makedonier und der Koenig der Koenige des Ostens einigermassen nebeneinander her, und auch ihm war fuer das Lagerzelt von Gaugamela das Brautbett in Susa der Lohn; aber seine roemische Kopie zeigt in ihrer Genauigkeit ein starkes Element der Karikatur. ---------------------------------------- ^22 Als Mitherrscher Aegyptens ist der Bastard Caesars Ptolemaios o kai Kaisar theos philopat/o/r philom/e/t/o/r, wie seine Koenigsbenennung lautet (CIG 4717), eingetreten in dem aegyptischen Jahr 29. Aug. 711/12, wie die Jahresrechnung ausweist (Westher Bullettino dell’ Instituto 1866, S. 199; Krall, Wiener Studien 5, S. 313). Da er an den Platz des Gatten und Bruders seiner Mutter Ptolemaeos des Juengeren tritt, so wird dessen Beseitigung durch Kleopatra, deren naehere Umstaende nicht bekannt sind, eben damals erfolgt sein und den Anlass gegeben haben, ihn als Koenig von Aegypten zu proklamieren. Auch Dio (47, 31) setzt seine Ernennung in den Sommer des Jahres 712 vor die Schlacht von Philippi. Dieselbe ist also nicht Antonius’ Werk, sondern von den beiden Herrschern gemeinschaftlich genehmigt zu einer Zeit, wo ihnen daran gelegen sein musste, der Koenigin von Aegypten, die allerdings von Anfang an auf ihrer Seite gestanden hatte, entgegenzukommen. ^23 Das meint Augustus, wenn er sagt, dass er die grossenteils unter Koenige verteilten Provinzen des Orients wieder zum Reiche gebracht habe (Mop. Ancyr. 5, 41: provincias omnis, quae trans Hadrianum mare vergunt ad orientem, Cyrenasque, iam ex parte magna regibus eas possidentibus . . . reciperavi). ^24 Die Dezenz, die fuer Augustus ebenso charakteristisch ist wie fuer seinen Kollegen das Gegenteil, verleugnet sich auch hier nicht. Nicht bloss wurde in Betreff Caesarions die Vaterschaft, die der Diktator selbst so gut wie anerkannt hatte, spaeterhin offiziell verleugnet; auch die Kinder des Antonius von der Kleopatra, wo freilich nichts zu verleugnen war, sind wohl als Glieder des kaiserlichen Hauses betrachtet, aber nie foermlich als Kinder des Antonius anerkannt worden. Im Gegenteil heisst der Sohn der Tochter des Antonius von Kleopatra, der spaetere Koenig von Mauretanien Ptolemaeos in der athenischen Inschrift CIA III, 555 Enkel des Ptolemaeos; denn Ptolemaioy ekgonos kann in diesem Zusammenhang nicht wohl anders gefasst werden. Man erfand in Rom diesen muetterlichen Grossvater, um den wirklichen offiziell verschweigen zu koennen. Wer es vorzieht, was O. Hirschfeld vorschlaegt, ekgonos als Urenkel zu nehmen und auf den muetterlichen Urgrossvater zu beziehen, kommt zu demselben Resultat; denn dann ist der Grossvater uebergangen, weil die Mutter im Rechtssinne vaterlos war. Ob die Fiktion, die mir wahrscheinlicher ist, so weit ging, einen bestimmten Ptolemaeos zu bezeichnen, etwa dem im Jahre 712 gestorbenen letzten Lagiden das Leben zu verlaengern, oder ob man sich begnuegte, im allgemeinen den Vater zu fingieren, ist nicht zu entscheiden. Aber auch darin hielt man die Fiktion fest, dass der Sohn der Tochter des Antonius den Namen des fiktiven Grossvaters erhielt. Dass dabei der Herkunft von den Lagiden vor derjenigen von Massinissa der Vorzug gegeben ward, mag wohl mehr durch die Ruecksicht auf das kaiserliche Haus herbeigefuehrt sein, welches das Bastardkind als zugehoerig behandelte, als durch die hellenischen Neigungen des Vaters. ---------------------------------------- Ob Antonius gleich bei der Uebernahme des Regiments im Osten seine Stellung in dieser Weise aufgefasst, ist nicht zu entscheiden; vermutlich ist die Schaffung eines neuen orientalischen Grosskoenigtums in Verbindung mit dem okzidentalischen Prinzipat allmaehlich in ihm gereift und der Gedanke erst voellig zu Ende gedacht worden, nachdem er im Jahre 717 (37) bei seiner Rueckkehr aus Italien nach Asien abermals das Verhaeltnis mit der letzten Koenigin des Lagidenhauses angeknuepft hatte, um es nicht wieder zu zerreissen. Aber sein Naturell war solchem Unterfangen nicht gewachsen. Eine jener militaerischen Kapazitaeten, die dem Feind gegenueber und besonders in schwieriger Lage besonnen und kuehn zu schlagen wissen, fehlte ihm der staatsmaennische Wille, das sichere Erfassen und entschlossene Verfolgen des politischen Ziels. Haette der Diktator Caesar ihm die Unterwerfung des Ostens zur Aufgabe gestellt, so wuerde er sie wohl geloest haben; zum Herrscher taugte der Marschall nicht. Nach der Vertreibung der Parther aus Syrien verstrichen fast zwei Jahre (Sommer 716 bis Sommer 718 38-36), ohne dass irgendein Schritt zum Ziele getan ward. Antonius selbst, auch darin untergeordnet, dass er seinen Generalen bedeutende Erfolge ungern goennte, hatte den Besieger des Labienus und des Pakoros, den tuechtigen Ventidius sofort nach diesem letzten Erfolg entfernt und selbst den Oberbefehl uebernommen, um die armselige Ehre der Einnahme Samosatas, der Hauptstadt des kleinen syrischen Dependenzstaats Kommagene, zu verfolgen und zu verfehlen; aergerlich darueber verliess er den Osten, um in Italien mit seinem Schwager ueber die kuenftige Ordnung zu verhandeln oder mit seiner jungen Gattin Octavia sich des Lebens zu freuen. Seine Statthalter im Osten waren nicht untaetig. Publius Canidius Crassus ging von Armenien aus gegen den Kaukasus vor und unterwarf daselbst den Koenig der Iberer, Pharnabazos, und den der Albaner, Zober. Gaius Sossius nahm in Syrien die letzte noch zu den Parthern haltende Stadt Arados; er stellte ferner in Judaea die Herrschaft des Herodes wieder her und liess den von den Parthern eingesetzten Thronpraetendenten, den Hasmonaeer Antigonos, hinrichten. Die Konsequenzen des Sieges auf roemischem Gebiet wurden also gezogen und bis zum Kaspischen Meer und der syrischen Wueste die roemische Herrschaft zur Anerkennung gebracht. Aber die Kriegfuehrung gegen die Parther zu beginnen, hatte sich Antonius selbst vorbehalten, und er kam nicht. Als er endlich im Jahre 718 (36) sich nicht Octavias, sondern Kleopatras Armen entwand und die Heersaeulen in Marsch setzte, war bereits ein guter Teil der geeigneten Jahreszeit verstrichen. Noch viel auffallender als die Saeumnis ist die Richtung, welche Antonius waehlte. Frueher und spaeter haben alle Angriffskriege der Roemer gegen die Parther den Weg auf Ktesiphon eingeschlagen, die Hauptstadt des Reiches und zugleich an dessen Westgrenze gelegen, also fuer die am Euphrat oder am Tigris hinabmarschierenden Heere das natuerliche und naechste Operationsziel. Auch Antonius konnte, nachdem er durch das noerdliche Mesopotamien ungefaehr auf dem Wege, den Alexander beschritten hatte, an den Tigris gelangt war, am Fluss hinab auf Ktesiphon und Seleukeia vorruecken. Aber statt dessen ging er vielmehr in noerdlicher Richtung zunaechst nach Armenien und von da, wo er seine gesamten Streitkraefte vereinigte und namentlich durch die armenische Reiterei sich verstaerkte, in die Hochebene von Media Atropatene (Aserbeidschan). Der verbuendete Koenig von Armenien mag diesen Feldzugsplan wohl empfohlen haben, da die armenischen Herrscher zu allen Zeiten nach dem Besitz dieses Nachbarlandes strebten und Koenig Artavazdes von Armenien hoffen mochte, den gleichnamigen Satrapen von Atropatene jetzt zu bewaeltigen und dessen Gebiet zu dem seinigen zu fuegen. Aber Antonius selbst ist durch solche Ruecksichten unmoeglich bestimmt worden. Eher mochte er meinen, von Atropatene aus in das Herz des feindlichen Landes vordringen zu koennen und die alten persischen Residenzen Ekbatana und Rhagae als Marschziel betrachten. Aber wenn er dies plante, handelte er ohne Kenntnis des schwierigen Terrains und unterschaetzte durchaus die Widerstandskraft des Gegners, wobei die kurze fuer Operationen in diesem Gebirgsland verfuegbare Zeit und der spaete Beginn des Feldzugs schwer in die Waagschale fielen. Da ein geschickter und erfahrener Offizier, wie Antonius war, sich darueber schwerlich hat taeuschen koennen, so haben wahrscheinlich besondere politische Erwaegungen hier eingewirkt. Phraates’ Herrschaft wankte, wie gesagt ward; Monaeses, von dessen Treue Antonius sich versichert hielt und den er vielleicht an Phraates’ Stelle zu setzen hoffte, war dem Wunsche des Partherkoenigs gemaess in sein Vaterland zurueckgekehrt ^25; Antonius scheint auf eine Schilderhebung desselben gegen Phraates gezaehlt und in Erwartung dieses Buergerkrieges seine Armee in die inneren parthischen Provinzen gefuehrt zu haben. Es waere wohl moeglich gewesen, in dem befreundeten Armenien den Erfolg dieses Anschlags abzuwarten, und wenn danach weitere Operationen erforderlich waren, im folgenden Jahre wenigstens ueber die volle Sommerzeit zu verfuegen; aber dies Zuwarten missfiel dem hastigen Feldherrn. In Atropatene traf er nicht bloss auf den hartnaeckigen Widerstand des maechtigen und halb unabhaengigen Unterkoenigs, der in seiner Hauptstadt Praaspa oder Phraarta (suedlich vom Urmia-See, vermutlich am oberen Lauf des Djaghatu) entschlossen die Belagerung aushielt, sondern der feindliche Angriff brachte auch den Parthern, wie es scheint, den inneren Frieden. Phraates fuehrte ein stattliches Heer zum Entsatz der angegriffenen Stadt heran. Antonius hatte einen grossen Belagerungspark mitgefuehrt, aber ungeduldig vorwaerts eilend diesen in der Obhut von zwei Legionen unter dem Legaten Oppius Stauanus zurueckgelassen. So kam er seinerseits mit der Belagerung nicht vorwaerts; Koenig Phraates aber sandte unter eben jenem Monaeses seine Reitermassen in den Ruecken der Feinde gegen das muehsam nachrueckende Korps des Stauanus. Die Parther hieben die Deckungsmannschaft nieder, darunter den Feldherrn selbst, nahmen den Rest gefangen und vernichteten den gesamten Park von 300 Wagen. Damit war der Feldzug verloren. Der Armenier, an dem Erfolge des Feldzugs verzweifelnd, nahm seine Leute zusammen und ging heim. Antonius gab nicht sofort die Belagerung auf und schlug sogar das koenigliche Heer in offener Feldschlacht, aber die flinken Reiter entrannen ohne wesentlichen Verlust und es war ein Sieg ohne Wirkung. Ein Versuch, von dem Koenig wenigstens die Rueckgabe der alten und der neu verlorenen Adler zu erlangen und also wenn nicht mit Vorteil, doch mit Ehren Frieden zu schliessen, schlug fehl; so leichten Kaufs gab der Parther den sicheren Erfolg nicht aus der Hand. Er versicherte nur den Abgesandten des Antonius, dass, wenn die Roemer die Belagerung aufheben wuerden, er sie auf der Heimkehr nicht belaestigen werde. Diese weder ehrenvolle noch zuverlaessige feindliche Zusage wird Antonius schwerlich zum Aufbruch bestimmt haben. Es lag nahe, in Feindesland Winterquartier zu nehmen, zumal da die parthischen Truppen dauernden Kriegsdienst nicht kannten und voraussichtlich beim Einbrechen des Winters die meisten Mannschaften heimgegangen sein wuerden. Aber es fehlte ein fester Stuetzpunkt, und die Zufuhr in dem ausgesogenen Land war nicht gesichert, vor allen Dingen Antonius selbst einer solchen zaehen Kriegfuehrung nicht faehig. Also gab er die Maschinen preis, die die Belagerten sofort verbrannten und trat den schweren Rueckweg an, entweder zu frueh oder zu spaet. Fuenfzehn Tagemaersche (300 roemische Meilen) durch feindliches Land trennten das Heer von dem Araxes, dem Grenzfluss Armeniens, wohin trotz der zweideutigen Haltung des Herrschers allein der Rueckzug gerichtet werden konnte. Ein feindliches Heer von 40000 Berittenen gab trotz der gegebenen Zusage den Abziehenden das Geleit, und mit dem Abmarsch der Armenier hatten die Roemer den besten Teil ihrer Reiterei verloren. Die Lebensmittel und die Zugtiere waren knapp, die Jahreszeit weit vorgerueckt. Aber Antonius fand in der gefaehrlichen Lage seine Kraft und seine Kriegskunst wieder, einigermassen auch sein Kriegsglueck; er hatte gewaehlt, und der Feldherr wie die Truppen loesten die Aufgabe in ruehmlicher Weise. Haetten sie nicht einen ehemaligen Soldaten des Crassus bei sich gehabt, der, zum Parther geworden, Weg und Steg auf das genaueste kannte und sie statt durch die Ebene, auf der sie gekommen waren, auf Gebirgswegen zurueckfuehrte, die den Reiterangriffen weniger ausgesetzt waren - wie es scheint ueber die Berge um Tabriz -, so wuerde das Heer schwerlich an das Ziel gelangt sein; und haette nicht Monaeses, in seiner Art dem Antonius die Dankesschuld abtragend, ihn rechtzeitig von den falschen Zusicherungen und den hinterlistigen Anschlaegen seiner Landsleute in Kenntnis gesetzt, so waeren die Roemer wohl in einen der Hinterhalte gefallen, die ihnen mehrfach gelegt wurden. Antonius’ Soldatennatur trat in diesen schweren Tagen oftmals glaenzend hervor, in seiner geschickten Benutzung jedes guenstigen Moments, in seiner Strenge gegen die Feigen, in seiner Macht ueber die Soldatengemueter, in seiner treuen Fuersorge fuer die Verwundeten und die Kranken. Dennoch war die Rettung fast ein Wunder; schon hatte Antonius einen treuen Leibdiener angewiesen, im aeussersten Fall ihn nicht lebend in die Haende der Feinde fallen zu lassen. Unter stetigen Angriffen des tueckischen Feindes, in winterlich kalter Witterung, bald ohne genuegende Nahrung und oft ohne Wasser erreichten sie in siebenundzwanzig Tagen die schuetzende Grenze, wo der Feind von ihnen abliess. Der Verlust war ungeheuer; man rechnete auf jene siebenundzwanzig Tage achtzehn groessere Treffen, und in einem einzigen derselben zaehlten die Roemer 3000 Tote und 5000 Verwundete. Es waren eben die Besten und Bravsten, die die stetigen Nachhutsund Flankengefechte hinrafften. Das ganze Gepaeck, ein Drittel des Trosses, ein Viertel der Armee, 20000 Fusssoldaten und 4000 Reiter waren auf diesem medischen Feldzug zugrunde gegangen, zum grossen Teil nicht durch das Schwert, sondern durch Hunger und Seuchen. Auch am Araxes waren die Leiden der ungluecklichen Truppen noch nicht zu Ende. Artavazdes nahm sie als Freund auf und hatte auch keine andere Wahl; es waere wohl moeglich gewesen, hier zu ueberwintern. Aber die Ungeduld des Antonius litt dies nicht; der Marsch ging weiter, und bei der immer rauher werdenden Jahreszeit und dem Gesundheitszustand der Soldaten kostete dieser letzte Abschnitt der Expedition vom Araxes bis nach Antiocheia, obwohl kein Feind ihn behinderte, noch weitere 8000 Mann. Wohl ist dieser Feldzug ein letztes Aufleuchten dessen, was in Antonius’ Charakter brav und tuechtig war, aber politisch seine Katastrophe, um so mehr, als gleichzeitig Caesar durch die glueckliche Beendigung des sizilischen Krieges die Herrschaft im Okzident und das Vertrauen Italiens fuer jetzt und alle Zukunft gewann. ----------------------------------------------- ^25 Es ist an sich glaublich dass Antonius dem Phraates so lange wie moeglich die bevorstehende Invasion verbarg und darum bei Ruecksendung des Monaeses sich bereit erklaerte, auf Grund der Rueckgabe der verlorenen Feldzeichen Frieden zu schliessen (Plut. Ant. 37; Dio 49, 24; Florus 2, 20 [4, 101). Aber er wusste vermutlich, dass dies Anerbieten nicht wuerde angenommen werden, und ernst kann es ihm mit diesen Antraegen auf keinen Fall gewesen sein; ohne Zweifel wollte er den Krieg und den Sturz des Phraates. ----------------------------------------------- Die Verantwortung fuer den Misserfolg, den zu verleugnen er vergeblich versuchte, warf Antonius auf die abhaengigen Koenige von Kappadokien und Armenien, auf den letzteren insofern mit Recht, als dessen vorzeitiger Abmarsch von Praaspa die Gefahren und die Verluste des Rueckzugs wesentlich gesteigert hatte. Aber fuer den Feldzugsplan trug nicht er die Verantwortung, sondern Antonius ^26; und das Fehlschlagen der auf Monaeses gesetzten Hoffnungen, die Katastrophe des Stauanus, das Scheitern der Belagerung von Praaspa sind nicht durch den Armenier herbeigefuehrt worden. Die Unterwerfung des Ostens gab Antonius nicht auf, sondern brach im naechsten Jahre (719 35) abermals aus Aegypten auf. Die Verhaeltnisse lagen auch jetzt noch verhaeltnismaessig guenstig. Mit dem medischen Koenig Artavazdes wurde ein Freundschaftsbuendnis angeknuepft; derselbe war nicht bloss mit dem parthischen Oberherrn in Streit geraten, sondern grollte auch vor allem dem armenischen Nachbarn und durfte bei der wohlbekannten Erbitterung des Antonius gegen diesen darauf rechnen, an dem Feind seines Feindes eine Stuetze zu finden. Alles kam an auf das feste Einvernehmen der beiden Machthaber, des sieggekroenten Herrn des Westens und des geschlagenen Herrschers im Osten; und auf die Kunde hin, dass Antonius die Fortfuehrung des Krieges beabsichtige, begab sich seine rechtmaessige Gattin, die Schwester Caesars, von Italien nach dem Osten, um ihm neue Mannschaften zuzufuehren und das Verhaeltnis zu ihr und zu dem Bruder neu zu befestigen. Wenn Octavia gross genug dachte, trotz des Verhaeltnisses mit der aegyptischen Koenigin dem Gatten die Hand zur Versoehnung zu bieten, so muss auch Caesar, wie dies weiter die eben jetzt erfolgende Eroeffnung des Krieges an der italischen Nordostgrenze bestaetigt, damals noch bereit gewesen sein, das bestehende Verhaeltnis aufrechtzuerhalten. Beide Geschwister ordneten ihre persoenlichen Interessen denen des Gemeinwesens in hochherziger Weise unter. Aber wie laut das Interesse wie die Ehre dafuer sprachen, die hingereichte Hand anzunehmen, Antonius konnte es nicht ueber sich gewinnen, das Verhaeltnis zu der Aegypterin zu loesen; er wies die Gattin zurueck, und dies war zugleich der Bruch mit deren Bruder, und, wie man hinzusetzen kann, der Verzicht auf die Fortfuehrung des Krieges gegen die Parther. Nun musste, ehe daran gedacht werden konnte, die Herrschaftsfrage zwischen Antonius und Caesar erledigt werden. Antonius ging denn auch sofort aus Syrien nach Aegypten zurueck und unternahm in den folgenden Jahren nichts weiteres zur Ausfuehrung seiner orientalischen Eroberungsplaene; nur strafte er die, denen er die Schuld des Misserfolgs beimass. Den Koenig von Kappadokien, Ariarathes, liess er hinrichten ^27 und gab das Koenigreich einem illegitimen Verwandten desselben, dem Archelaos. Das gleiche Schicksal war dem Armenier zugedacht. Wenn Antonius, wie er sagte, zur Fortfuehrung des Krieges im Jahre 720 (34) in Armenien erschien, so hatte dies nur den Zweck, die Person des Koenigs, der sich geweigert hatte, nach Aegypten zu gehen, in die Gewalt zu bekommen: Dieser Akt der Rache wurde auf nichtswuerdige Weise im Wege der Ueberlistung ausgefuehrt und in nicht minder nichtswuerdiger Weise durch eine in Alexandreia aufgefuehrte Karikatur des kapitolinischen Triumphs gefeiert. Damals wurde der zum Herrn des Ostens bestimmte Sohn des Antonius, wie frueher angegeben ward, als Koenig von Armenien eingesetzt und mit der Tochter des neuen Bundesgenossen, des Koenigs von Medien, vermaehlt, waehrend der aelteste Sohn des gefangenen und einige Zeit spaeter auf Geheiss der Kleopatra hingerichteten Koenigs von Armenien, Artaxes, den die Armenier anstatt des Vaters zum Koenig ausgerufen hatten, landfluechtig zu den Parthern ging. Armenia und Media Atropatene waren hiermit in Antonius’ Gewalt oder ihm verbuendet; die Fortfuehrung des parthischen Krieges wurde wohl angekuendigt, blieb aber verschoben bis nach der Ueberwindung des westlichen Rivalen. Phraates seinerseits ging gegen Medien vor, anfangs ohne Erfolg, da die in Armenien stehenden roemischen Truppen den Medern Beistand leisteten; aber als im Verlauf der Ruestungen gegen Caesar Antonius seine Mannschaften von dort abrief, gewannen die Parther die Oberhand, ueberwanden die Meder und setzten in Medien so wie auch in Armenien den Koenig Artaxes ein, der, um die Hinrichtung des Vaters zu vergelten, saemtliche im Lande zerstreute Roemer greifen und toeten liess. Dass Phraates die grosse Fehde zwischen Antonius und Caesar, waehrend sie vorbereitet und ausgefochten ward, nicht voller ausnutzte, wurde wahrscheinlich wieder einmal durch die im eigenen Lande ausbrechenden Unruhen verhindert. Diese endigten damit, dass er ausgetrieben ward und zu den Skythen des Ostens ging; an seiner Stelle wurde Tiridates als Grosskoenig ausgerufen. Als die entscheidende Seeschlacht an der Kueste von Epirus geschlagen ward und dann in Aegypten die Katastrophe des Antonius sich vollzog, sass in Ktesiphon dieser neue Grosskoenig auf dem schwankenden Thron und schickten an der entgegengesetzten Reichsgrenze die Scharen Turans sich an, den frueheren Herrscher wieder an seine Stelle zu setzen, was ihnen bald darauf auch gelang. ------------------------------------------- ^26 Was darueber Strabon (11, 13, 4 p. 524) offenbar nach der von Antonius’ Waffengefaehrten Dellius und vermutlich auf dessen Geheiss aufgesetzten Darstellung dieses Krieges (vgl. das. 11, 13 3; Dio 49, 39) berichtet, ist ein recht klaeglicher Rechtfertigungsversuch des geschlagenen Generals. Wenn Antonius nicht den naechsten Weg nach Ktesiphon einschlug, so kann dafuer der Koenig Artavasdes nicht als falscher Wegweiser in Anspruch genommen werden; es war eine militaerische und wohl mehr noch eine politische Verrechnung des obersten Feldherrn. ^27 Die Tatsache der Absetzung und der Hinrichtung und die Zeit bezeugen Dio (49, 32) und Valerius Maximus (9, 15 ext. 2); die Ursache oder der Vorwand wird mit dem Armenischen Krieg zusammenhaengen. ------------------------------------------- Der kluge und klare Mann, dem die Liquidation der Unternehmungen des Antonius und die Feststellung des Verhaeltnisses der beiden Reichsteile zufiel, bedurfte ebensosehr der Maessigung wie der Energie. Es wuerde der schwerste Fehler gewesen sein, in Antonius’ Gedanken eingehend den Orient oder auch nur im Orient weiter zu erobern. Augustus erkannte dies; seine militaerischen Ordnungen zeigen deutlich, dass er zwar den Besitz der syrischen Kueste wie den der aegyptischen als ein unentbehrliches Komplement fuer das Reich des Mittelmeers betrachtete, aber auf binnenlaendischen Besitz daselbst keinen Wert legte. Indes Armenien war nun einmal seit einem Menschenalter roemisch und konnte, nach Lage der Verhaeltnisse, nur roemisch oder parthisch sein; die Landschaft war durch ihre Lage militaerisch fuer jede der Grossmaechte ein Ausfallstor in das Gebiet der anderen. Augustus dachte auch nicht daran, auf Armenien zu verzichten und es den Parthern zu ueberlassen; und wie die Dinge lagen, durfte er schwerlich daran denken. Wenn aber Armenien festgehalten ward, konnte man dabei nicht stehenbleiben; die oertlichen Verhaeltnisse noetigten die Roemer, weiter das Stromgebiet des Kyros, die Landschaften der Iberer an seinem oberen, der Albaner an seinem unteren Lauf, das heisst, die als Reiter wie zu Fuss kampftuechtigen Bewohner des heutigen Georgien und Schirwan, unter ihren massgebenden Einfluss zu bringen, das parthische Machtgebiet nicht noerdlich vom Araxes ueber Atropatene hinaus sich erstrecken zu lassen. Schon die Expedition des Pompeius hatte gezeigt, dass die Festsetzung in Armenien die Roemer notwendig einerseits bis an den Kaukasus, andrerseits bis an das Westufer des Kaspischen Meeres fuehrte. Die Ansaetze waren ueberall da. Antonius’ Legaten hatten mit den Iberern und den Albanern gefochten. Polemon, von Augustus in seiner Stellung bestaetigt, herrschte nicht bloss ueber die Kueste von Pharnakeia bis Trapezunt, sondern auch ueber das Gebiet der Kolcher an der Phasismuendung. Zu dieser allgemeinen Sachlage kamen die besonderen Verhaeltnisse des Augenblicks, welche es dem neuen Alleinherrscher Roms in dringendster Weise nahelegten, das Schwert den Orientalen gegenueber nicht bloss zu zeigen, sondern auch zu ziehen. Dass Koenig Artaxes, wie einst Mithradates, saemtliche Roemer innerhalb seiner Grenzen umzubringen befohlen hatte, konnte nicht unvergolten bleiben. Auch der landfluechtige Koenig von Medien hatte Hilfe jetzt bei Augustus gesucht, wie er sie sonst bei Antonius gesucht haben wuerde. Der Buergerund Praetendentenkrieg im Parthischen Reiche erleichterte nicht bloss den Angriff, sondern der vertriebene Herrscher Tiridates suchte gleichfalls Schutz bei Augustus und erklaerte sich bereit, als roemischer Vasall das Reich von Augustus zu Lehen zu nehmen. Die Rueckgabe der bei den Niederlagen des Crassus und der Antonianer in die Gewalt der Parther geratenen Roemer und der verlorenen Adler mochte an sich dem Herrscher der Kriegfuehrung nicht wert erscheinen; fallen lassen konnte der Wiederhersteller des roemischen Staates diese militaerische und politische Ehrenfrage nicht. Mit diesen Tatsachen musste der roemische Staatsmann rechnen; bei der Stellung, die Augustus im Orient nahm, war die Politik der Aktion ueberhaupt und durch die vorhergegangenen Misserfolge doppelt geboten. Ohne Zweifel war es wuenschenswert, die Ordnung der Dinge in Rom bald vorzunehmen; aber eine zwingende Noetigung, dies sofort zu tun, bestand fuer den unbestrittenen Alleinherrscher nicht. Er befand sich nach den entscheidenden Schlaegen von Aktion und Alexandreia an Ort und Stelle und an der Spitze eines starken und siegreichen Heeres; was einmal geschehen musste, geschah am besten gleich. Ein Herrscher vom Schlage Caesars waere schwerlich nach Rom zurueckgegangen, ohne in Armenien die Schutzherrschaft hergestellt, die roemische Suprematie bis zum Kaukasus und zum Kaspischen Meere zur Anerkennung gebracht und mit dem Parther abgerechnet zu haben. Ein Herrscher von Umsicht und Tatkraft haette die Grenzverteidigung im Osten gleich jetzt geordnet, wie die Verhaeltnisse es erforderten; es war von vornherein klar, dass die vier syrischen Legionen von zusammen 40000 Mann nicht genuegten, um die Interessen Roms zugleich am Euphrat, am Araxes und am Kyros zu wahren und dass die Milizen der abhaengigen Koenigreiche den Mangel der Reichstruppen nur verdeckten, nicht deckten. Armenien hielt durch politische und nationale Sympathie mehr zu den Parthern als zu den Roemern; die Koenige von Kommagene, Kappadokien, Galatien, Pontus neigten wohl umgekehrt mehr nach der roemischen Seite, aber sie waren unzuverlaessig und schwach. Auch die masshaltende Politik bedurfte zu ihrer Begruendung eines energischen Schwertschlags, zu ihrer Aufrechthaltung des nahen Arms einer ueberlegenen roemischen Militaermacht. Augustus hat weder geschlagen noch geschirmt; gewiss nicht, weil er ueber die Sachlage sich taeuschte, sondern weil es in seiner Art lag, das als notwendig Erkannte zoegernd und schwaechlich durchzufuehren und die Ruecksichten der inneren Politik auf das Verhaeltnis zum Ausland mehr als billig einwirken zu lassen. Das Unzulaengliche des Grenzschutzes durch die kleinasiatischen Klientelstaaten hat er wohl eingesehen; es gehoert in diesen Zusammenhang, dass er schon im Jahre 729 (25), nach dem Tode des Koenigs Amyntas, des Herrn im ganzen innern Kleinasien, diesem keinen Nachfolger gab, sondern das Land einem kaiserlichen Legaten unterstellte. Vermutlich sollten auch die benachbarten bedeutenderen Klientelstaaten, namentlich Kappadokien, in gleicher Weise nach dem Ableben der derzeitigen Inhaber in kaiserliche Statthalterschaften verwandelt werden. Dies war ein Fortschritt, insofern die Milizen dieser Landschaften damit der Reichsarmee inkorporiert und unter roemische Offiziere gestellt wurden; einen ernstlichen Druck auf die unsicheren Grenzlandschaften oder gar auf den benachbarten Grossstaat konnten diese Truppen nicht ausueben, wenn sie auch jetzt zu denen des Reiches zaehlten. Aber alle diese Erwaegungen wurden ueberwogen durch die Ruecksicht auf die Herabdrueckung der Ziffer des stehenden Heeres und der Ausgabe fuer das Heerwesen auf das moeglichst niedrige Mass. Ebenso ungenuegend waren den augenblicklichen Verhaeltnissen gegenueber die auf der Heimkehr von Alexandreia von Augustus getroffenen Massregeln. Er gab dem vertriebenen Koenig der Meder die Herrschaft von Klein-Armenien und dem parthischen Praetendenten Tiridates ein Asyl in Syrien, um durch jenen den in offener Feindseligkeit gegen Rom verharrenden Koenig Artaxes in Schach zu halten, durch diesen auf den Koenig Phraates zu druecken. Die mit diesem wegen der Rueckgabe der parthischen Siegestrophaeen angeknuepften Verhandlungen zogen sich ergebnislos hin, obwohl Phraates im Jahre 731 (23), um die Entlassung eines zufaellig in die Gewalt der Roemer geratenen Sohnes zu erlangen, die Rueckgabe zugesichert hatte. Erst als Augustus im Jahre 734 (20) sich persoenlich nach Syrien begab und Ernst zeigte, fuegten sich die Orientalen. In Armenien, wo eine maechtige Partei sich gegen den Koenig Artaxes erhoben hatte, warfen sich die Insurgenten den Roemern in die Arme und erbaten fuer des Artaxes juengeren, am kaiserlichen Hof erzogenen und in Rom lebenden Bruder Tigranes die kaiserliche Belehnung. Als des Kaisers Stiefsohn Tiberius Claudius Nero, damals ein 22jaehriger Juengling, mit Heeresmacht in Armenien einrueckte, wurde Koenig Artaxes von seinen eigenen Verwandten ermordet, und Tigranes empfing die koenigliche Tiara aus der Hand des kaiserlichen Vertreters, wie sie fuenfzig Jahre frueher sein gleichnamiger Grossvater von Pompeius empfangen hatte. Atropatene wurde wieder von Armenien getrennt und kam unter die Herrschaft eines ebenfalls in Rom erzogenen Herrschers, des Ariobarzanes, Sohnes des frueher erwaehnten Artavazdes; doch scheint dieser das Land nicht als roemisches, sondern als parthisches Lehnsreich erhalten zu haben. Ueber die Ordnung der Dinge in den Fuerstentuemern am Kaukasus erfahren wir nichts; aber da sie spaeter unter die roemischen Klientelstaaten gerechnet werden, so hat wahrscheinlich damals auch hier der roemische Einfluss obgesiegt. Selbst Koenig Phraates, jetzt vor die Wahl gestellt, sein Wort einzuloesen oder zu schlagen, entschloss sich schweren Herzens zu der die nationalen Gefuehle der Seinen empfindlich verletzenden Herausgabe der wenigen noch lebenden roemischen Kriegsgefangenen und der gewonnenen Feldzeichen. Unendlicher Jubel begruesste diesen, von dem Fuersten des Friedens errungenen unblutigen Sieg. Auch bestand nach demselben mit dem Partherkoenig laengere Zeit ein freundschaftliches Verhaeltnis, wie denn die unmittelbaren Interessen der beiden Grossstaaten sich wenig stiessen. In Armenien dagegen hatte die roemische Lehnsherrschaft, die nur auf sich selbst ruhte, der nationalen Opposition gegenueber einen schweren Stand. Nach dem fruehen Tode des Koenigs Tigranes schlugen dessen Kinder oder die unter ihrem Namen regierenden Staatsleiter sich selber zu dieser. Gegen sie wurde von den Roemerfreunden ein anderer Herrscher, Artavazdes, aufgestellt; aber er vermochte nicht gegen die staerkere Gegenpartei durchzudringen. Diese armenischen Wirren stoerten auch das Verhaeltnis zu den Parthern; es lag in der Sache, dass die antiroemisch gesinnten Armenier sich auf diese zu stuetzen suchten, und auch die Arsakiden konnten nicht vergessen, dass Armenien frueher eine parthische Sekundogenitur gewesen war. Unblutige Siege sind oft schwaechliche und gefaehrliche. Es kam so weit, dass die roemische Regierung im Jahre 748 (6) demselben Tiberius, der vierzehn Jahre zuvor den Tigranes als Lehnskoenig von Armenien eingesetzt hatte, den Auftrag erteilte, abermals mit Heeresmacht dort einzuruecken und die Verhaeltnisse noetigenfalls mit Waffengewalt zu ordnen. Aber das Zerwuerfnis in der kaiserlichen Familie, welches die Unterwerfung der Germanen unterbrochen hatte, griff auch hier ein und hatte die gleiche ueble Wirkung. Tiberius lehnte den Auftrag des Stiefvaters ab, und in Ermangelung eines geeigneten prinzlichen Feldherrn sah die roemische Regierung einige Jahre hindurch wohl oder uebel dem Schalten der antiroemischen Partei in Armenien unter Parthisches Schutz untaetig zu. Endlich im Jahre 753 (1) wurde dem aelteren Adoptivsohn des Kaisers, dem zwanzigjaehrigen Gaius Caesar, nicht bloss derselbe Auftrag erteilt, sondern es sollte, wie der Vater hoffte, die Unterwerfung Armeniens der Anfang groesserer Dinge sein, der Orientfeldzug des zwanzigjaehrigen Kronprinzen man moechte fast sagen die Alexanderfahrt fortsetzen. Vom Kaiser beauftragte oder dem Hofe nahestehende Literaten, der Geograph Isidoros, selber an der Euphratmuendung zu Hause, und der Vertreter der griechischen Gelehrsamkeit unter den Fuerstlichkeiten des Augustischen Kreises, Koenig Juba von Mauretanien, widmeten, jener seine im Orient selbst eingezogenen Erkundigungen, dieser literarische Kollektaneen ueber Arabien, dem jungen Prinzen, der vor Begierde zu brennen schien, mit der Eroberung Arabiens, ueber welche Alexander weggestorben war, einen vor laengerer Zeit dort eingetretenen Misserfolg des Augustfischen Regiments glaenzend zu begleichen. Zunaechst fuer Armenien war diese Sendung ebenso von Erfolg wie die des Tiberius. Der roemische Kronprinz und der parthische Grosskoenig Phraatakes trafen persoenlich auf einer Insel des Euphrat zusammen; die Parther gaben wieder einmal Armenien auf und die nahegerueckte Gefahr eines parthischen Krieges ward abgewandt, das gestoerte Einvernehmen wenigstens aeusserlich wiederhergestellt. Den Armeniern setzte Gaius den Ariobarzanes, einen Prinzen aus dem medischen Fuerstenhause, zum Koenig, und die Oberherrschaft Roms wurde abermals befestigt. Indes fuegten die antiroemisch gesinnten Armenier sich nicht ohne Widerstand; es kam nicht bloss zum Einruecken der Legionen, sondern auch zum Schlagen. Vor den Mauern des armenischen Kastells Artageira empfing der junge Kronprinz von einem parthischen Offizier durch tueckische List die Wunde (2 n. Chr.), an der er nach monatelangem Siechen hinstarb. Die Verschlingung der Reichsund der dynastischen Politik bestrafte sich aufs neue. Der Tod eines jungen Mannes aenderte den Gang der grossen Politik; die so zuversichtlich dem Publikum angekuendigte arabische Expedition fiel weg, nachdem ihr Gelingen dem Sohn des Kaisers nicht mehr den Weg zur Nachfolge ebnen konnte. Auch an weitere Unternehmungen am Euphrat wurde nicht mehr gedacht; das Naechste, die Besetzung Armeniens und die Wiederherstellung der Beziehungen zu den Parthern war erreicht, wie truebe Schatten auch durch den Tod des Kronprinzen auf diesen Erfolg fielen. Bestand hatte derselbe so wenig wie der der glaenzenderen Expedition des Jahres 734 (20). Die von Rom eingesetzten Herrscher Armeniens wurden bald von denen der Gegenpartei unter versteckter oder offener Beteiligung der Parther bedraengt oder verdraengt. Als der in Rom erzogene parthische Prinz Vonones auf den erledigten parthischen Thron berufen ward, hofften die Roemer an ihm eine Stuetze zu finden; allein eben deswegen musste er bald ihn raeumen, und an seine Stelle kam Koenig Artabanos von Medien, ein muetterlicherseits den Arsakiden entsprossener, aber dem skythischen Volke der Daker angehoeriger und in einheimischer Sitte aufgewachsener tatkraeftiger Mann (um 10 n. Chr.). Vonones ward damals von den Armeniern als Herrscher aufgenommen und damit diese unter roemischem Einfluss gehalten. Aber um so weniger konnte Artabanos seinen verdraengten Nebenbuhler als Nachbarfuersten dulden; die roemische Regierung haette, um den fuer seine Stellung in jeder Hinsicht ungeeigneten Mann zu halten, Waffengewalt gegen die Parther wie gegen seine eigenen Untertanen anwenden muessen. Tiberius, der inzwischen zur Regierung gekommen war, liess nicht sofort einruecken, und fuer den Augenblick siegte in Armenien die antiroemische Partei; aber es war nicht seine Absicht, auf das wichtige Grenzland zu verzichten. Im Gegenteil wurde die wahrscheinlich laengst beschlossene Einziehung des Koenigreichs Kappadokien im Jahre 17 zur Ausfuehrung gebracht: der alte Archelaos, der dort seit dem Jahre 718 (36) den Thron einnahm, ward nach Rom berufen und ihm hier angekuendigt, dass er aufgehoert habe zu regieren. Ebenso kam das kleine, aber wegen der Euphratuebergaenge wichtige Koenigreich Kommagene damals unter unmittelbare kaiserliche Verwaltung. Damit war die unmittelbare Reichsgrenze bis an den mittleren Euphrat vorgeschoben. Zugleich ging der Kronprinz Germanicus, der soeben am Rhein mit grosser Auszeichnung kommandiert hatte, mit ausgedehnter Machtvollkommenheit nach dem Osten, um die neue Provinz Kappadokien zu ordnen und das gesunkene Ansehen der Reichsgewalt wiederherzustellen. Auch diese Sendung kam bald und leicht zum Ziel. Germanicus, obwohl von dem Statthalter Syriens, Gnaeus Piso, nicht mit derjenigen Truppenmacht unterstuetzt, die er fordern durfte und gefordert hatte, ging nichtsdestoweniger nach Armenien und brachte durch das blosse Gewicht seiner Persoenlichkeit und seiner Stellung das Land zum Gehorsam zurueck. Den unfaehigen Vonones liess er fallen und setzte den Armeniern, den Wuenschen der roemisch gesinnten Vornehmen entsprechend, zum Herrscher einen Sohn jenes Polemon, den Antonius zum Koenig im Pontus gemacht hatte, den Zenon oder, wie er als Koenig von Armenien heisst, Artaxias; dieser war einerseits dem kaiserlichen Hause verbunden durch seine Mutter, die Koenigin Pythodoris, eine Enkelin des Triumvirn Antonius, andererseits nach Landesart erzogen, ein tuechtiger Waidmann und bei dem Gelag ein tapferer Zecher. Auch der Grosskoenig Artabanos kam dem roemischen Prinzen in freundschaftlicher Weise entgegen und bat nur um Entfernung seines Vorgaengers Vonones aus Syrien, um den zwischen diesem und den unzufriedenen Parthern sich anspinnenden Zettelungen zu steuern. Da Germanicus dieser Bitte entsprach und den unbequemen Fluechtling nach Kilikien schickte, wo er bald darauf bei einem Fluchtversuch umkam, stellten zwischen den beiden Grossstaaten die besten Beziehungen sich her. Artabanos wuenschte sogar, mit Germanicus am Euphrat persoenlich zusammenzukommen, wie dies auch Phraatakes und Gaius getan hatten; dies aber lehnte Germanicus ab, wohl mit Ruecksicht auf Tiberius’ leicht erregten Argwohn. Freilich fiel auf diese orientalische Expedition derselbe truebe Schatten wie auf die letztvorhergehende; auch von dieser kam der Kronprinz des Roemischen Reiches nicht lebend heim. Eine Zeitlang taten die getroffenen Einrichtungen ihren Dienst. So lange Tiberius mit sicherer Hand die Herrschaft fuehrte und so lange Koenig Artaxias von Armenien lebte, blieb im Orient Ruhe; aber in den letzten Jahren des alten Kaisers, als derselbe von seiner einsamen Insel aus die Dinge gehen liess und vor jedem Eingreifen zurueckscheute, und insbesondere nach dem Tode des Artaxias (um 34) begann das alte Spiel abermals. Koenig Artabanos, gehoben durch sein langes und glueckliches Regiment und durch vielfache, gegen die Grenzvoelker Irans erstrittene Erfolge und ueberzeugt, dass der alte Kaiser keine Neigung haben werde, einen schweren Krieg im Orient zu beginnen, bewog die Armenier, seinen eigenen aeltesten Sohn, den Arsakes, zum Herrscher auszurufen, das heisst die roemische Oberherrlichkeit mit der parthischen zu vertauschen. Ja er schien es geradezu auf den Krieg mit Rom anzulegen; er forderte die Verlassenschaft seines in Kilikien umgekommenen Vorgaengers und Rivalen Vonones von der roemischen Regierung, und seine Schreiben an diese sprachen ebenso unverhuellt aus, dass der Orient den Orientalen gehoere, wie sie die Greuel am kaiserlichen Hofe, die man in Rom sich nur im vertrautesten Kreise zuzufluestern wagte, bei ihrem rechten Namen nannten. Er soll sogar einen Versuch gemacht haben, sich in Besitz von Kappadokien zu setzen. Aber indem alten Loewen hatte er sich verrechnet. Tiberius war auch auf Capreae nicht bloss den Hofleuten furchtbar und nicht der Mann, sich und in sich Rom ungestraft verhoehnen zu lassen. Er sandte den Lucius Vitellius, den Vater des spaetem Kaisers, einen entschlossenen Offizier und geschickten Diplomaten, nach dem Orient mit aehnlicher Machtvollkommenheit, wie sie frueher Gaius Caesar und Germanicus gehabt hatten, und mit dem Auftrag, noetigenfalls die syrischen Legionen ueber den Euphrat zu fuehren. Zugleich wandte er das oft erprobte Mittel an, den Herrschern des Ostens durch Insurrektionen und Praetendenten in ihrem eigenen Lande zu schaffen zu machen. Dem Partherprinzen, den die armenischen Nationalen zum Herrscher ausgerufen hatten, stellte er einen Fuersten aus dem Koenigshaus der Iberer entgegen, den Mithradates, des Ibererkoenigs Pharasmanes Bruder, und wies diesen sowie den Fuersten der Albaner an, den roemischen Praetendenten fuer Armenien mit Heeresmacht zu unterstuetzen. Von den streitbaren und fuer jeden Werber leicht zugaenglichen transkaukasischen Sarmaten wurden grosse Scharen mit roemischem Golde fuer den Einfall in Armenien gedungen. Es gelang auch dem roemischen Praetendenten, seinen Nebenbuhler durch bestochene Hofleute zu vergiften und sich des Landes und der Hauptstadt Artaxata zu bemaechtigen. Artabanos sandte an des Ermordeten Stelle einen anderen Sohn, Orodes, nach Armenien und versuchte auch seinerseits transkaukasische Hilfstruppen zu beschaffen; aber nur wenige kamen nach Armenien durch, und die parthischen Reiterscharen waren der guten Infanterie der Kaukasusvoelker und den gefuerchteten sarmatischen berittenen Schuetzen nicht gewachsen. Orodes wurde in harter Feldschlacht ueberwunden und selbst im Zweikampf mit seinem Rivalen schwer verwundet. Da brach Artabanos selber nach Armenien auf. Nun aber setzte auch Vitellius die syrischen Legionen in Bewegung, um den Euphrat zu ueberschreiten und in Mesopotamien einzufallen; und dies brachte die lange gaerende Insurrektion im Partherreiche zum Ausbruch. Das energische und mit den Erfolgen selbst immer schroffere Auftreten des skythischen Herrschers hatte viele Personen und Interessen verletzt, insbesondere die mesopotamischen Griechen und die maechtige Stadtgemeinde von Seleukeia, welcher er ihre nach griechischer Art demokratische Gemeindeverfassung genommen hatte, ihm abwendig gemacht. Das roemische Gold naehrte die sich vorbereitende Bewegung. Unzufriedene Adlige hatten schon frueher sich mit der roemischen Regierung in Verbindung gesetzt und einen echten Arsakiden von dieser erbeten. Tiberius hatte des Phraates einzigen ueberlebenden, dem Vater gleichnamigen Sohn und, nachdem der alte roemisch gewoehnte Mann den Anstrengungen noch in Syrien erlegen war, an dessen Stelle einen ebenfalls in Rom lebenden Enkel des Phraates namens Tiridates geschickt. Der parthische Fuerst Sinnakes, der Fuehrer dieser Zettelungen, kuendigte jetzt dem Skythen den Gehorsam und pflanzte das Banner der Arsakiden auf. Vitellius ueberschritt mit den Legionen den Euphrat und in seinem Gefolge der neue Grosskoenig von roemischen Gnaden. Der parthische Statthalter von Mesopotamien, Ornospades, der einst als Verbannter unter Tiberius den pannonischen Krieg mitgemacht hatte, stellte sich und seine Truppen sofort dem neuen Herrn zur Verfuegung des Sinnakes Vater Abdagaeses lieferte den Reichsschatz aus; in kuerzester Zeit sah sich Artabanos von dem ganzen Lande verlassen und gezwungen, in seine skythische Heimat zu fluechten, wo er als unsteter Mann in den Waeldern herumirrte und mit seinem Bogen sich das Leben fristete, waehrend dem Tiridates von den nach parthischer Staatsordnung zur Kroenung des Herrschers berufenen Fuersten in Ktesiphon feierlich die Tiara aufs Haupt gesetzt ward. Indes die Herrschaft des von dem Reichsfeind geschickten neuen Grosskoenigs waehrte nicht lange. Das Regiment, welches weniger er fuehrte, ein junger unerfahrener und untuechtiger Mann, als die ihn zum Koenig gemacht hatten, vornehmlich Abdagaeses, rief bald Opposition hervor. Einige der vornehmsten Satrapen waren schon bei der Kroenungsfeier ausgeblieben und zogen den vertriebenen Herrscher wieder aus der Verbannung hervor; mit ihrem Beistand und den von seinen skythischen Landsleuten gestellten Mannschaften kehrte Artabanos zurueck, und schon im folgenden Jahre (36) war das ganze Reich mit Ausnahme von Seleukeia wieder in seiner Gewalt, Tiridates ein fluechtiger Mann und genoetigt, bei seinen roemischen Beschuetzern die Zuflucht zu heischen, die ihm nicht versagt werden konnte. Vitellius fuehrte die Legionen abermals an den Euphrat; aber da der Grosskoenig persoenlich erschien und sich zu allem Verlangten bereit erklaerte, falls die roemische Regierung von Tiridates abstehe, war der Friede bald geschlossen. Artabanos erkannte nicht bloss den Mithradates als Koenig von Armenien an, sondern brachte auch dem Bildnis des roemischen Kaisers die Huldigung dar, die von den Lehnsmannen gefordert zu werden pflegte, und stellte seinen Sohn Dareios den Roemern als Geisel. Darueber war der alte Kaiser gestorben; aber diesen so unblutigen wie vollstaendigen Sieg seiner Politik ueber die Auflehnung des Orients hat er noch erlebt. Was die Klugheit des Greises erreicht hatte, verdarb sofort der Unverstand des Nachfolgers. Abgesehen davon, dass er verstaendige Einrichtungen des Tiberius rueckgaengig machte, zum Beispiel das eingezogene Koenigreich Kommagene wiederherstellte, goennte sein toerichter Neid dem toten Kaiser den erreichten Erfolg nicht; den tuechtigen Statthalter von Syrien wie den neuen Koenig von Armenien lud er zur Verantwortung nach Rom vor, setzte den letzteren ab und schickte ihn, nachdem er ihn eine Zeitlang gefangen gehalten hatte, ins Exil. Selbstverstaendlich griff die parthische Regierung zu und nahm das herrenlose Armenien wiederum in Besitz ^28. Claudius hatte, als er im Jahre 41 zur Regierung kam, die getane Arbeit von neuem zu beginnen. Er verfuhr nach dem Beispiel des Tiberius. Mithradates, aus dem Exil zurueckgerufen, wurde wieder eingesetzt und angewiesen, mit Hilfe seines Bruders sich Armeniens zu bemaechtigen. Der damals zwischen den drei Soehnen des Koenigs Artabanos III. gefuehrte Bruderkrieg im Partherreich ebnete den Roemern den Weg. Nach der Ermordung des aeltesten Sohnes stritten Jahre lang Gotarzes und Vardanes um den Thron; Seleukeia, das schon dem Vater den Gehorsam aufgekuendigt hatte, trotzte sieben Jahre hindurch ihm und nachher den Soehnen; die Voelker Turans griffen wie immer auch in diesen Hader der Fuersten Irans ein. Mithradates vermochte mit Hilfe der Truppen seines Bruders und der Garnisonen der benachbarten roemischen Provinzen die parthisch Gesinnten in Armenien zu ueberwaeltigen und sich wieder zum Herrn daselbst zu machen ^29; das Land erhielt roemische Besatzung. Nachdem Vardanes sich mit dem Bruder verglichen und endlich Seleukeia wieder eingenommen hatte, machte er Miene, in Armenien einzuruecken; aber die drohende Haltung des roemischen Legaten von Syrien hielt ihn ab und sehr bald brach der Bruder den Vergleich und begann der Buergerkrieg aufs neue. Nicht einmal die Ermordung des tapferen und im Kampf mit den Voelkern Turans siegreichen Vardanes setzte demselben ein Ziel; die Gegenpartei wendete sich nun nach Rom und erbat sich von der dortigen Regierung den dort lebenden Sohn des Vonones, den Prinzen Meherdates, welcher dann auch vom Kaiser Claudius vor dem versammelten Senat den Seinigen zur Verfuegung gestellt und nach Syrien entlassen ward mit der Ermahnung, sein neues Reich gut und gerecht zu verwalten und der roemischen Schutzfreundschaft eingedenk zu bleiben (Jahr 49). Er kam nicht in die Lage, von diesen Ermahnungen Anwendung zu machen. Die roemischen Legionen, die ihm bis zum Euphrat das Geleit gaben, uebergaben ihn dort denen, die ihn gerufen hatten, dem Haupt des maechtigen Fuerstengeschlechts der Karen und den Koenigen Abgaros von Edessa und Izates von Adiabene. Der unerfahrene und unkriegerische Juengling war der Aufgabe so wenig gewachsen wie alle anderen von den Roemern aufgestellten parthischen Herrscher; eine Anzahl seiner namhaftesten Anhaenger verliessen ihn, so wie sie ihn kennenlernten und gingen zu Gotarzes; in der entscheidenden Schlacht gab der Fall des tapferen Karen den Ausschlag. Meherdates wurde gefangen und nicht einmal hingerichtet, sondern nur nach orientalischer Sitte durch Verstuemmelung der Ohren regierungsunfaehig gemacht. ---------------------------------------- ^28 Der Bericht ueber die Besitzergreifung Armeniens fehlt, aber die Tatsache geht aus Tac. ann. 11, 9 deutlich hervor. Wahrscheinlich gehoert hierher, was Josephus (bel. Iud. 20 3, 3) von der Absicht des Nachfolgers des Artabanos erzaehlt, gegen die Roemer Krieg zu fuehren wovon der Satrap von Adiabene, Izates, ihn vergebens abmahnt. Josephus nennt diesen Nachfolger wohl irrig Bardanes. Artabanos’ III. unmittelbarer Nachfolger war nach Tac. ann. 11, 8 sein gleichnamiger Sohn, den nebst seinem Sohn dann Gotarzes aus dem Wege raeumte; und dieser Artabanos IV. wird hier gemeint sein. ^29 Die Meldung des Petrus Patricius (fr. 3 Muell.), dass der Koenig Mithradates von Iberien den Abfall von Rom geplant, aber, um den Schein der Treue zu wahren, seinen Bruder Kotys an Claudius gesandt habe und dann, da dieser dem Kaiser von jenen Umtrieben Anzeige gemacht, abgesetzt und durch den Bruder ersetzt worden sei vertraegt sich nicht mit der gesicherten Tatsache, dass in Iberien wenigstens vom Jahr 35 (Tac. ann. 6, 32) bis zum Jahr 60 (Tac. ann. 14, 26) Pharasmanes, im Jahre 75 dessen Sohn Mithradates (CIL III, 6052) geherrscht hat. Ohne Zweifel hat Petrus den Mithradates von Iberien und den gleichnamigen Koenig des Bosporus zusammengeworfen und liegt hier die Erzaehlung zu Grunde, welche Tacitus (ann. 12, 18) voraussetzt. ---------------------------------------- Trotz dieser Niederlage der roemischen Politik im Partherreich blieb Armenien den Roemern, solange der schwache Gotarzes ueber die Parther herrschte. Aber sowie eine kraeftigere Hand die Zuegel der Herrschaft fasste und die inneren Kaempfe ruhten, ward auch der Kampf um jenes Land wieder aufgenommen. Koenig Vologasos, der nach dem Tode des Gotarzes und dem kurzen Regiment Vonones’ II, diesem seinem Vater im Jahre 51 sukzedierte ^30, bestieg den Thron ausnahmsweise in vollem Einverstaendnis mit seinen beiden Bruedern Pakoros und Tiridates. Er war ein faehiger und umsichtiger Regent - auch als Staedtegruender finden wir ihn und mit Erfolg bemueht, den Handel von Palmyra nach seiner Stadt Vologasias am unteren Euphrat zu lenken -, raschen und extremen Entschluessen abgeneigt und bemueht, mit dem maechtigen Nachbarn womoeglich Frieden zu halten. Aber die Rueckgewinnung Armeniens war der leitende politische Gedanke der Dynastie und auch er bereit, jede Gelegenheit zu seiner Verwirklichung zu benutzen. Diese Gelegenheit schien jetzt sich zu bieten. Der armenische Hof war der Schauplatz einer der entsetzlichsten Familientragoedien geworden, die die Geschichte verzeichnet. Der alte Koenig der Iberer, Pharasmanes, unternahm es, seinen Bruder, den Koenig von Armenien Mithradates, vom Thron zu stossen und seinen eigenen Sohn Rhadamistos an dessen Stelle zu setzen. Unter dem Vorwande eines Zerwuerfnisses mit dem Vater erschien Rhadamistos bei seinem Oheim und Schwiegervater und knuepfte mit angesehenen Armeniern Verhandlungen in jenem Sinne an. Nachdem er sich eines Anhangs versichert hatte, ueberzog Pharasmanes im Jahre 52 unter nichtigen Vorwaenden den Bruder mit Krieg und brachte auch das Land in seine oder vielmehr seines Sohnes Gewalt. Mithradates stellte sich unter den Schutz der roemischen Besatzung des Kastells Gorneae ^31. Diese anzugreifen wagte Rhadamistos nicht; aber der Kommandant Caelius Pollio war als nichtswuerdig und feil bekannt. Der unter ihm den Befehl fuehrende Centurio begab sich zu Pharasmanes, um ihn zur Zurueckrufung seiner Truppen zu bestimmen, was dieser wohl versprach, aber nicht hielt. Waehrend der Abwesenheit des Zweitkommandierenden noetigte Pollio den Koenig, der wohl ahnte, was ihm bevorstand, durch die Drohung, ihn im Stiche zu lassen, sich dem Rhadamistos in die Haende zu liefern. Von diesem wurde er umgebracht, mit ihm seine Gattin, des Rhadamistos’ Schwester und die Kinder derselben, weil sie im Anblick der Leichen ihrer Eltern in Jammergeschrei ausbrachen. Auf diese Weise gelangte Rhadamistos zur Herrschaft von Armenien. Die roemische Regierung durfte weder solchen, von ihren Offizieren mitverschuldeten Greueln zusehen noch dulden, dass einer ihrer Lehnstraeger den andern mit Krieg ueberzog. Nichtsdestoweniger erkannte der Statthalter von Kappadokien, Iulius Paelignus, den neuen Koenig von Armenien an. Auch im Rat des Statthalters von Syrien, Ummidius Quadratus, ueberwog die Meinung, dass es den Roemern gleichgueltig sein koenne, ob der Oheim oder der Neffe ueber Armenien herrsche; der nach Armenien mit einer Legion gesendete Legat erhielt nur den Auftrag, den Status quo bis auf weiteres aufrecht zu halten. Da hielt der Partherkoenig, in der Voraussetzung, dass die roemische Regierung sich nicht beeifern werde, fuer den Koenig Rhadamistos einzutreten, den Moment fuer geeignet, seine alten Ansprueche auf Armenien wieder aufzunehmen. Er belehnte mit Armenien seinen Bruder Tiridates, und die einrueckenden parthischen Truppen bemaechtigten sich fast ohne Schwertstreich der beiden Hauptstaedte Tigranokerta und Artaxata und des ganzen Landes. Als Rhadamistos einen Versuch machte, den Preis seiner Bluttaten festzuhalten, schlugen die Armenier selbst ihn zum Lande hinaus. Die roemische Besatzung scheint nach der Uebergabe von Gorneae Armenien verlassen zu haben; die aus Syrien in Marsch gesetzte Legion zog der Statthalter zurueck, um nicht mit den Parthern in Konflikt zu geraten. ---------------------------------------------------- ^30 Wenn die Muenzen, die freilich meistens nur nach der Bildnisaehnlichkeit sich scheiden lassen, richtig attributiert sind, so reichen die des Gotarzes bis Sel. 362 Daesius = n. Chr. 51, Juni und beginnen die des Volagasos (von Vonones II. kennen wir keine) mit Sel. 362 Gorpiaeus = n. Chr. 51, September (Gardner, Parthian coinage, S. 50, 51), was mit Tacitus (ann. 12, 14, 44) uebereinstimmt. ^31 Gorneae, bei den Armeniern Garhni, wie die Ruine (nahe, oestlich von Eriwan) noch jetzt genannt wird. Kiepert. ---------------------------------------------------- Als diese Kunde nach Rom kam (Ende 54), war Kaiser Claudius eben gestorben und regierten fuer den jungen siebzehnjaehrigen Nachfolger tatsaechlich die Minister Burrus und Seneca. Das Vorgehen des Vologasos konnte nur mit der Kriegserklaerung beantwortet werden. In der Tat sandte die roemische Regierung nach Kappadokien, das sonst Statthalterschaft zweiten Ranges und nicht mit Legionen belegt war, ausnahmsweise den konsularischen Legaten Gnaeus Domitius Corbulo. Er war als Schwager des Kaisers Gaius rasch vorwaerts gekommen, dann unter Claudius im Jahre 47 Legat von Untergermanien gewesen und galt seitdem als einer der damals nicht zahlreichen tuechtigen, die vielfach verfallene Disziplin energisch handhabenden Heerfuehrer, selbst eine herkulische Gestalt, jeder Strapaze gewachsen und nicht bloss dem Feind, sondern auch seinen eigenen Soldaten gegenueber von ruecksichtslosem Mut. Es schien ein Zeichen des Besserwerdens der Dinge, dass die Neronische Regierung das erste von ihr zu besetzende wichtige Kommando an ihn vergab. Der unfaehige syrische Legat von Syrien, Quadratus, wurde nicht abgerufen, aber angewiesen, zwei von seinen vier Legionen dem Statthalter der Nachbarprovinz zur Verfuegung zu stellen. Die Legionen alle wurden an den Euphrat herangezogen und die sofortige Schlagung der Bruecken ueber den Fluss angeordnet. Die beiden westlich zunaechst an Armenien grenzenden Landschaften Klein-Armenien und Sophene wurden zwei zuverlaessigen syrischen Fuersten, dem Aristobulos aus einem Seitenzweig des herodischen Hauses und dem Sohaemos aus der Herrscherfamilie von Hemesa zugeteilt und beide unter Corbulos Befehle gestellt. Der Koenig des damals noch uebrigen Restes des Judenstaats Agrippa und der Koenig von Kommagene Antiochos erhielten ebenfalls Marschbefehl. Indes zunaechst kam es nicht zum Schlagen. Die Ursache lag zum Teil in dem Zustand der syrischen Legionen; es war ein schlimmes Armutszeugnis fuer die bisherige Verwaltung, dass Corbulo die ihm ueberwiesenen Truppen geradezu als unbrauchbar bezeichnen musste. Die in den griechischen Provinzen ausgehobenen und garnisonierenden Legionen waren immer geringer gewesen als die okzidentalischen; jetzt hatte die entnervende Gewalt des Orients bei dem langen Friedensstand und der schlaffen Heereszucht dieselben voellig demoralisiert. Die Soldaten hielten mehr in den Staedten sich auf als in den Lagern; nicht wenige derselben waren des Waffentragens entwoehnt und wussten nichts von Lagerschlagen und Wachdienst; die Regimenter waren lange nicht ergaenzt und enthielten zahlreiche alte unbrauchbare Leute; Corbulo hatte zunaechst eine grosse Anzahl von Soldaten zu entlassen und in noch viel groesserer Zahl Rekruten auszuheben und auszubilden. Der Wechsel der bequemen Winterquartiere am Orontes mit denen in den rauben armenischen Bergen, die ploetzliche Einfuehrung unerbittlich strenger Lagerzucht fuehrte vielfach Erkrankungen herbei und veranlasste zahlreiche Desertionen. Trotz allem dem sah sich der Feldherr, als es Ernst ward, genoetigt, um Zusendung einer der besseren Legionen des Okzidents zu bitten. Unter diesen Umstaenden beeilte er sich nicht, seine Soldaten an den Feind zu bringen; indes waren doch dabei ueberwiegend politische Ruecksichten massgebend. Waere es die Absicht der roemischen Regierung gewesen, den parthischen Herrscher sofort aus Armenien zu vertreiben, und zwar nicht den Rhadamistos, mit dessen Blutschuld die Roemer keine Veranlassung hatten, sich zu beflecken, aber irgendeinen anderen Fuersten ihrer Wahl an dessen Stelle zu setzen, so haetten dazu die Streitkraefte Corbulos wohl sofort ausgereicht, da Koenig Vologasos, wieder einmal durch innere Unruhen abgezogen, seine Truppen aus Armenien weggefuehrt hatte. Aber dies lag nicht im Plane der Roemer; man wollte dort vielmehr das Regiment des Tiridates sich gefallen lassen und ihn nur zur Anerkennung der roemischen Oberherrlichkeit bestimmen und noetigenfalls zwingen; nur zu diesem Zweck sollten aeussersten Falls die Legionen marschieren. Es kam dies der Sache nach der Abtretung Armeniens an die Parther sehr nahe. Was fuer diese sprach und was sie verhinderte, ist frueher entwickelt worden. Wurde jetzt Armenien als parthische Sekundogenitur geordnet, so war die Anerkennung des roemischen Lehnsrechts wenig mehr als eine Formalitaet, genau genommen nichts als eine Deckung der militaerischen und politischen Ehre. Also hat die Regierung der frueheren neronischen Zeit, der notorisch an Einsicht und Energie wenige gleich kamen, beabsichtigt, sich Armeniens in schicklicher Weise zu entledigen; und es kann das nicht verwundern. Man schoepfte hier in der Tat in das Sieb. Der Besitz Armeniens war wohl im Jahre 20 v. Chr. durch Tiberius, dann durch Gaius im Jahre 2, durch Germanicus im Jahre 18, durch Vitellius im Jahre 36 im Lande selbst wie bei den Parthern zur Geltung und Anerkennung gebracht worden. Aber eben diese regelmaessig sich wiederholenden und regelmaessig von Erfolg gekroenten und doch niemals zu dauernder Wirkung gelangenden ausserordentlichen Expeditionen gaben den Parthern recht, wenn sie in den Verhandlungen unter Nero behaupteten, dass die roemische Oberherrschaft ueber Armenien ein leerer Name, das Land nun einmal parthisch sei und sein wolle. Zur Geltendmachung der roemischen Obergewalt bedurfte es immer wenn nicht der Kriegfuehrung, doch der Kriegdrohung, und die dadurch bedingte stetige Reibung machte den dauernden Friedensstand zwischen den beiden benachbarten Grossmaechten unmoeglich. Die Roemer hatten, wenn sie folgerichtig verfuhren, nur die Wahl, Armenien und das linke Euphratufer ueberhaupt entweder durch Beseitigung der bloss mittelbaren Herrschaft effektiv in ihre Gewalt zu bringen oder es soweit den Parthern zu ueberlassen, als dies mit dem obersten Grundsatz des roemischen Regiments, keine gleichberechtigte Grenzmacht anzuerkennen, sich vertrug. Augustus und die bisherigen Regenten hatten die erstere Alternative entschieden abgelehnt, und sie haetten also den zweiten Weg einschlagen sollen; aber auch diesen abzulehnen, hatten sie wenigstens versucht und das parthische Koenigshaus von der Herrschaft ueber Armenien ausschliessen wollen, ohne es zu koennen. Dies muessen die leitenden Staatsmaenner der frueheren neronischen Zeit als einen Fehler betrachtet haben, da sie Armenien den Arsakiden ueberliessen und sich auf das denkbar geringste Mass von Rechten daran beschraenkten. Wenn die Gefahren und die Nachteile, welche das Festhalten dieser nur aeusserlich dem Reich anhaftenden Landschaft dem Staate brachte, gegen diejenigen abgewogen wurden, welche die Partherherrschaft ueber Armenien fuer die Roemer nach sich zog, so konnte, zumal bei der geringen Offensivkraft des Parthischen Reiches, die Entscheidung wohl in dem letzteren Sinne gefunden werden: Unter allen Umstaenden aber war diese Politik konsequent und suchte das auch von Augustus verfolgte Ziel in klarerer und verstaendigerer Weise zu erreichen. Von diesem Standpunkt aus versteht man, weshalb Corbulo und Quadratus, statt den Euphrat zu ueberschreiten, mit Vologasos Verhandlungen anknuepften und nicht minder, dass dieser, ohne Zweifel von den wirklichen Absichten der Roemer unterrichtet, sich dazu verstand, in aehnlicher Weise wie sein Vorgaenger den Roemern sich zu beugen und ihnen als Friedenspfand eine Anzahl dem koeniglichen Hause nahestehender Geiseln zu ueberliefern. Die stillschweigend vereinbarte Gegenleistung dafuer war die Duldung der Herrschaft des Tiridates ueber Armenien und die Nichtaufstellung eines roemischen Praetendenten. So gingen einige Jahre in faktischem Friedensstand hin. Aber da Vologasos und Tiridates sich nicht dazu verstanden, um die Belehnung des letzteren mit Armenien bei der roemischen Regierung einzukommen ^32, ergriff Corbulo im Jahre 58 gegen Tiridates die Offensive. Eben die Politik des Zurueckweichens und Nachgehens bedurfte, wenn sie bei Freund und Feind nicht als Schwaeche erscheinen sollte, der Folie, also entweder der foermlichen und feierlichen Anerkennung der roemischen Obergewalt oder besser noch des mit den Waffen gewonnenen Sieges. ------------------------------------------ ^32 Noch nach dem Angriff beschwerte Tiridates sich, cur datis nuper obsidibus redintegrataque amicitia . . . vetere Armeniae possessione depelleretur, und Corbulo stellte ihm, falls er sich bittweise an den Kaiser wende, ein regnum stabile in Aussicht (Tac. ann. 12 37). Auch anderswo wird als der eigentliche Kriegsgrund die Weigerung des Lehnseides bezeichnet (Tac. ann. 12, 34). ------------------------------------------ Im Sommer des Jahres 58 fuehrte Corbulo eine leidlich schlagfaehige Armee von mindestens 30000 Mann ueber den Euphrat. Die Reorganisation und die Abhaertung der Truppen wurde durch die Kampagne selbst vollendet und das erste Winterquartier auf armenischem Boden genommen. Im Fruehjahr 59 ^33 begann er den Vormarsch in der Richtung auf Artaxata. Zugleich brachen in Armenien von Norden her die Iberer ein, deren Koenig Pharasmanes, um seine eigenen Frevel zu bedecken, seinen Sohn Rhadamistos hatte hinrichten lassen und nun weiter bemueht war, durch gute Dienste seine Verschuldung in Vergessenheit zu bringen; nicht minder ihre nordwestlichen Nachbarn, die tapferen Moscher, von Sueden Koenig Antiochos von Kommagene. Koenig Vologasos war durch den Aufstand der Hyrkaner an der entgegengesetzten Seite des Reiches festgehalten und konnte oder wollte in den Kampf nicht unmittelbar eingreifen. Tiridates leistete mutigen Widerstand; aber er vermochte nichts gegen die erdrueckende Uebermacht. Vergeblich versuchte er sich auf die Verbindungslinien der Roemer zu werfen, die ihre Beduerfnisse ueber das Schwarze Meer und den Hafen von Trapezus bezogen. Die Burgen Armeniens fielen unter den Angriffen der stuermenden Roemer, und die Besatzungen wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht. In einer Feldschlacht unter den Mauern von Artaxata geschlagen, gab Tiridates den ungleichen Kampf auf und ging zu den Parthern. Artaxata ergab sich und hier, im Herzen von Armenien, ueberwinterte das roemische Heer. Im Fruehjahr 60 brach Corbulo von dort auf, nachdem er die Stadt niedergebrannt hatte, und marschierte quer durch das Land auf dessen zweite Hauptstadt Tigranokerta oberhalb Nisibis im Tigrisgebiet. Der Schrecken ueber die Zerstoerung Artaxatas ging ihm voraus; ernstlicher Widerstand wurde nirgends geleistet; auch Tigranokerta oeffnete dem Sieger freiwillig die Tore, der hier in wohlberechneter Weise die Gnade walten liess. Tiridates machte noch einen Versuch, zurueckzukehren und den Kampf wieder aufzunehmen, wurde aber ohne besondere Anstrengung abgewiesen. Am Ausgang des Sommers 60 war ganz Armenien unterworfen und stand zur Verfuegung der roemischen Regierung. ------------------------------------------ ^33 Der Bericht bei Tacitus (ann. 13, 34-41) umfasst ohne Zweifel die Kampagnen der Jahre 58 und 59, da Tacitus unter dem Jahr 59 von dem armenischen Feldzug schweigt, unter dem Jahr 60 aber (ann. 14, 23) unmittelbar an 13, 41 anknuepft und offenbar nur einen einzigen Feldzug schildert, ueberhaupt, wo er in dieser Weise zusammenfasst, in der Regel antizipiert. Dass der Krieg nicht erst 59 angefangen haben kann, bestaetigt weiter die Tatsache, dass Corbulo die Sonnenfinsternis vom 30. April 59 auf armenischem Boden beobachtete (Plin. nat. 2, 70, 180); waere er erst 59 eingerueckt, so konnte er so frueh im Jahre kaum die feindliche Grenze ueberschritten haben. Einen Jahreinschnitt zeigt die Erzaehlung des Tacitus (ann. 13, 34-41) an sich nicht, wohl aber laesst sie bei seiner Art zu berichten die Moeglichkeit zu dass das erste Jahr mit dem Ueberschreiten des Euphrat und der Festsetzung in Armenien verging, also der c. 35 erwaehnte Winter der des Jahres 58/59 ist, zumal da bei der Beschaffenheit des Heeres eine derartige Kriegseinleitung wohl am Platze und bei dem kurzen armenischen Sommer es militaerisch zweckmaessig war, den Einmarsch und die eigentliche Kriegfuehrung also zu trennen. ------------------------------------------ Es ist begreiflich, dass man in Rom jetzt von Tiridates absah. Der Prinz Tigranes, ein Urenkel von vaeterlicher Seite Herodes’ des Grossen, von muetterlicher des Koenigs Archelaos von Kappadokien, auch dem alten armenischen Koenigshause von weiblicher Seite verwandt und ein Neffe eines der ephemeren Herrscher Armeniens aus den letzten Jahren des Augustus, in Rom erzogen und durchaus ein Werkzeug der roemischen Regierung, wurde jetzt (60) von Nero mit dem Koenigreich Armenien belehnt und auf des Kaisers Befehl von Corbulo in die Herrschaft eingesetzt. Im Lande blieb roemische Besatzung, 1000 Legionarier und dreibis viertausend Reiter und Infanterie der Auxilien. Ein Teil der Grenzlandschaften ward von Armenien abgetrennt und verteilt unter die benachbarten Koenige Polemon von Pontus und Trapezus, Aristobulos von Klein- Armenien, Pharasmanes von Iberien und Antiochos von Kommagene. Dagegen rueckte der neue Herr von Armenien, natuerlich mit Einwilligung der Roemer, in die angrenzende parthische Provinz Adiabene ein, schlug den dortigen Statthalter Monobazos und schien auch diese Landschaft vom parthischen Staat abreissen zu wollen. Diese Wendung der Dinge noetigte die parthische Regierung, aus ihrer Passivitaet herauszutreten; es handelte sich nun nicht mehr um die Wiedergewinnung Armeniens, sondern um die Integritaet des Parthischen Reiches. Die lange drohende Kollision zwischen den beiden Grossstaaten schien unvermeidlich. Vologasos bestaetigte in einer Versammlung der Grossen des Reiches den Tiridates wiederholt als Koenig von Armenien und sandte mit ihm den Feldherrn Monaeses gegen den roemischen Usurpator des Landes, der in Tigranokerta, welches die roemischen Truppen besetzt hielten, von den Parthern belagert ward. Vologasos selbst zog die parthische Hauptmacht in Mesopotamien zusammen und bedrohte (Anfang 61) Syrien. Corbulo, der nach Quadratus’ Tode zur Zeit in Kappadokien wie in Syrien das Kommando fuehrte, aber von der Regierung die Ernennung eines anderen Statthalters fuer Kappadokien und Armenien erbeten hatte, sandte vorlaeufig zwei Legionen nach Armenien, um Tigranes Beistand zu leisten, waehrend er selbst an den Euphrat rueckte, um den Partherkoenig zu empfangen. Indes es kam wieder nicht zum Schlagen, sondern zum Vertrag. Vologasos, wohl wissend, wie gefaehrlich das beginnende Spiel sei, erklaerte sich jetzt bereit, auf die vor dem Ausbruch des armenischen Krieges von den Roemern vergeblich angebotenen Bedingungen einzugehen und die Belehnung des Bruders durch den roemischen Kaiser zu gestatten. Corbulo ging auf den Vorschlag ein. Er liess den Tigranes fallen, zog die roemischen Truppen aus Armenien zurueck und liess es geschehen, dass Tiridates daselbst sich festsetzte, waehrend die parthischen Hilfstruppen ebenfalls abzogen; dagegen schickte Vologasos eine Gesandtschaft an die roemische Regierung und erklaerte die Bereitwilligkeit seines Bruders, das Land von Rom zu Lehen zu nehmen. Diese Massnahmen Corbulos waren bedenklicher Art ^34 und fuehrten zu einer ueblen Verwicklung. Der roemische Feldherr mag wohl mehr noch als die Staatsmaenner in Rom von der Nutzlosigkeit des Festhaltens von Armenien durchdrungen gewesen sein; aber nachdem die roemische Regierung den Tigranes als Koenig von Armenien eingesetzt hatte, durfte er nicht von sich aus auf die frueher gestellten Bedingungen zurueckgreifen, am wenigsten seine eigenen Eroberungen preisgeben und die roemischen Truppen aus Armenien zurueckziehen. Er war dazu um so weniger berechtigt, als er Kappadokien und Armenien nur interimistisch verwaltete und selbst der Regierung erklaert hatte, dass er nicht imstande sei, zugleich dort und in Syrien das Kommando zu fuehren; woraufhin der Konsular Lucius Caesennius Paetus zum Statthalter von Kappadokien ernannt und auch dorthin bereits unterwegs war. Der Verdacht ist kaum abzuweisen, dass Corbulo diesem die Ehre der schliesslichen Unterwerfung Armeniens nicht goennte und durch den faktischen Friedensschluss mit den Parthern vor seinem Eintreffen ein Definitivum herzustellen wuenschte. Die roemische Regierung lehnte denn auch die Antraege des Vologasos ab und bestand auf der Festhaltung Armeniens, das, wie der neue, im Laufe des Sommers 61 in Kappadokien eingetroffene Statthalter erklaerte, sogar in unmittelbare roemische Verwaltung genommen werden sollte. Ob die roemische Regierung in der Tat sich entschlossen hatte, so weit zu gehen, ist nicht auszumachen; aber es lag dies allerdings in der Konsequenz ihrer Politik. Die Einsetzung eines von Rom abhaengigen Koenigs war nur die Verlaengerung des bisherigen unhaltbaren Zustandes; wer die Abtretung Armeniens an die Parther nicht wollte, musste die Umwandlung des Koenigreichs in eine roemische Provinz ins Auge fassen. Der Krieg hatte also seinen Fortgang; es wurde darum auch eine der moesischen Legionen dem kappadokischen Heer zugesandt. Als Paetus eintraf, lagerten die beiden von Corbulo ihm zugewiesenen Legionen diesseits des Euphrat in Kappadokien; Armenien war geraeumt und musste wieder erobert werden. Paetus ging sofort an das Werk, ueberschritt bei Melitene (Malatia) den Euphrat, rueckte in Armenien ein und bezwang die naechsten Burgen an der Grenze. Indes die vorgerueckte Jahreszeit noetigte ihn bald, die Operationen einzustellen und auf die beabsichtigte Wiederbesetzung Tigranokertas fuer dies Jahr zu verzichten; doch nahm er, um im naechsten Fruehjahr den Marsch sogleich wieder aufzunehmen, nach Corbulos Beispiel die Winterquartiere in Feindesland bei Rhandeia, an einem Nebenfluss des Euphrat, dem Arsanias, unweit des heutigen Charput, waehrend der Tross und die Weiber und Kinder unweit davon in dem festen Kastell Arsamosata untergebracht wurden. Aber er hatte die Schwierigkeit des Unternehmens unterschaetzt. Die eine und die beste seiner Legionen, die moesische, war noch auf dem Marsch und ueberwinterte diesseits des Euphrat im pontischen Gebiet; die beiden anderen waren nicht diejenigen, welche Corbulo kriegen und siegen gelehrt hatte, sondern die frueheren syrischen des Quadratus, unvollzaehlig und ohne durchgreifende Reorganisation kaum brauchbar. Dabei stand er nicht wie Corbulo den Armeniern allein, sondern der Hauptmasse der Parther gegenueber; Vologasos hatte, als es mit dem Kriege Ernst ward, den Kern seiner Truppen aus Mesopotamien nach Armenien gefuehrt und den strategischen Vorteil, dass er die inneren und kuerzeren Linien beherrschte, verstaendig zur Geltung gebracht. Corbulo haette, zumal da er den Euphrat ueberbrueckt und am anderen Ufer Brueckenkoepfe angelegt hatte, diesen Abmarsch durch einen rechtzeitigen Einfall in Mesopotamien wenigstens erschweren oder doch wettmachen koennen; aber er ruehrte sich nicht aus seinen Stellungen und ueberliess es Paetus, sich der Gesamtmacht der Feinde zu erwehren, wie er konnte. Dieser war weder selber Militaer noch bereit, militaerischen Rat anzunehmen und zu befolgen, nicht einmal ein Mann von entschlossenem Charakter, uebermuetig und ruhmredig im Anlauf, verzagt und kleinmuetig gegenueber dem Misserfolg. Also kam, was kommen musste. Im Fruehling 62 griff nicht Paetus an, sondern Vologasos; die vorgeschobenen Truppen, welche den Parthern den Weg verlegen sollten, wurden von der Uebermacht erdrueckt; der Angriff verwandelte sich rasch in eine Belagerung der roemischen weit auseinandergezogenen Stellungen in dem Winterlager und dem Kastell. Die Legionen konnten weder vorwaerts noch zurueck; die Soldaten desertierten massenweise; die einzige Hoffnung ruhte auf Corbulos fern im noerdlichen Syrien, ohne Zweifel bei Zeugma, untaetig lagernden Legionen. In die Schuld der Katastrophe teilten sich beide Generale, Corbulo wegen des verspaeteten Aufbruchs zur Hilfe ^35, obwohl er dann, als er den ganzen Umfang der Gefahr erkannte, den Marsch nach Moeglichkeit beschleunigte, Paetus, weil er den kuehnen Entschluss, lieber unterzugehen als zu kapitulieren, nicht zu fassen vermochte und damit die nahe Rettung verscherzte; noch drei Tage laenger und die 5000 Mann, welche Corbulo heranfuehrte, haetten die ersehnte Hilfe gebracht. Die Bedingungen der Kapitulation waren freier Abzug fuer die Roemer und Raeumung Armeniens unter Auslieferung aller von ihnen besetzten Kastelle und aller in ihren Haenden befindlichen Vorraete, deren die Parther dringend benoetigt waren. Dagegen erklaerte Vologasos sich bereit, trotz dieses militaerischen Erfolges Armenien als roemisches Lehen fuer den Bruder von der kaiserlichen Regierung zu erbitten und deswegen Gesandte an Nero zu senden ^36. Die Maessigung des Siegers kann darauf beruhen, dass er von Corbulos Annaehern bessere Kunde hatte als die eingeschlossene Armee; aber wahrscheinlicher lag dem vorsichtigen Mann gar nichts daran, die Katastrophe des Crassus zu erneuern und wiederum roemische Adler nach Ktesiphon zu bringen. Die Niederlage einer roemischen Armee, das wusste er, war nicht die Ueberwaeltigung Roms und die reale Konzession, welche in der Anerkennung des Tiridates lag, ward durch die Nachgiebigkeit in der Form nicht allzu teuer erkauft. --------------------------------------- ^34 Aus der Darstellung des Tacitus (ann. 15, 6) sieht die Parteilichkeit und die Verlegenheit deutlich heraus. Die Auslieferung Armeniens an Tiridates auszusprechen, wagt er nicht und laesst sie den Leser nur schliessen. ^35 Das sagt Tacitus selbst (arm. 15, 10): nec a Corbulone properatum, quo gliscentibus periculis etiam subsidii laus augeretur, in naiver Unbefangenheit ueber den schweren Tadel, den dieses Lob in sich traegt. Wie parteiisch der ganze, auf Corbulos Depeschen beruhende Bericht gehalten ist, beweist unter anderem, dass dem Paetus in einem Atem die ungenuegende Verproviantierung des Lagers (15, 8) und die Uebergabe desselben trotz reichlicher Vorraete (15 16) zum Vorwurf gemacht und die letztere Tatsache daraus geschlossen wird, dass die abziehenden Roemer die nach der Kapitulation den Parthern auszuliefernden Vorraete lieber zerstoerten. Wie die Erbitterung gegen Tiberius in der Schoenfaerberei des Germanicus, so hat die gegen Nero in der des Corbulo ihren Ausdruck gefunden. ^36 Corbulos Angabe, dass Paetus in Gegenwart seiner Soldaten und der parthischen Abgesandten sich eidlich verpflichtet habe, bis zum Eintreffen der Antwort Neros keine Truppen nach Armenien zu schicken, erklaert Tacitus (ann. 15, 16) fuer unglaubwuerdig; der Sachlage entspricht sie, und es ist auch nicht dagegen gehandelt worden. --------------------------------------- Die roemische Regierung lehnte das Anerbieten des Partherkoenigs abermals ab und befahl die Fortsetzung des Krieges. Sie konnte nicht wohl anders; war die Anerkennung des Tiridates vor dem Wiederbeginn des Krieges bedenklich und nach der parthischen Kriegserklaerung kaum annehmbar, so erschien sie jetzt, als Konsequenz der Kapitulation von Rhandeia, geradezu als deren Ratifikation. Von Rom aus wurde die Wiederaufnahme des Kampfes gegen die Parther in energischer Weise betrieben. Paetus wurde abberufen; Corbulo, in dem die durch die schimpfliche Kapitulation erregte oeffentliche Meinung nur den Besieger Armeniens sah und den auch die, welche die Sachlage genau kannten und scharf beurteilten, nicht umhin konnten, als den faehigsten und fuer diesen Krieg einzig geeigneten Feldherrn zu bezeichnen, uebernahm wieder die Statthalterschaft von Kappadokien, aber zugleich das Kommando ueber saemtliche fuer diesen Feldzug verwendbare Truppen, welche noch weiter durch eine siebente, aus Pannonien herbeigerufene Legion verstaerkt wurden; demnach wurde alle Statthalter und Fuersten des Orients angewiesen, in militaerischen Angelegenheiten seinen Anordnungen Folge zu leisten, so dass seine Amtsgewalt derjenigen, welche den Kronprinzen Gaius und Germanicus fuer ihre Sendungen in den Orient beigelegt worden war, ziemlich gleichkam. Wenn diese Massregeln eine ernste Reparation der roemischen Waffenehre herbeifuehren sollten, so verfehlten sie ihren Zweck. Wie Corbulo die Sachlage ansah, zeigte schon das Abkommen, das er nicht lange nach der Katastrophe von Rhandeia mit dem Partherkoenig traf: dieser zog die parthischen Besatzungen aus Armenien zurueck, die Roemer raeumten die auf mesopotamischem Gebiet zum Schutz der Bruecken angelegten Kastelle. Fuer die roemische Offensive waren die parthischen Besatzungen in Armenien ebenso gleichgueltig wie die Euphratbruecken wichtig; sollte dagegen Tiridates als roemischer Lehnskoenig in Armenien anerkannt werden, so waren allerdings die letzteren ueberfluessig und parthische Besatzungen in Armenien unmoeglich. Im naechsten Fruehjahr 63 schritt Corbulo allerdings zu der ihm anbefohlenen Offensive und fuehrte die vier besten seiner Legionen bei Melitene ueber den Euphrat gegen die in der Gegend von Arsamosata stehende parthisch-armenische Hauptmacht. Aber aus dem Schlagen ward nicht viel; nur einige Schloesser armenischer, antiroemisch gesinnter Adliger wurden zerstoert. Dagegen fuehrte auch diese Begegnung zum Vertragen. Corbulo nahm die frueher von seiner Regierung zurueckgewiesenen parthischen Antraege an und zwar, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigte, in dem Sinne, dass Armenien ein fuer allemal eine parthische Sekundogenitur ward und die roemische Regierung, wenigstens nach dem Geiste des Abkommens, darauf einging, diese Krone in Zukunft nur an einen Arsakiden zu verleihen. Hinzugefuegt wurde nur, dass Tiridates sich verpflichten solle, in Rhandeia, eben da, wo die Kapitulation geschlossen worden war, oeffentlich unter den Augen der beiden Armeen das koenigliche Diadem vom Haupte zu nehmen und es vor dem Bildnis des Kaisers niederzulegen, gelobend, es nicht wieder aufzusetzen, bevor er es aus seiner Hand und zwar in Rom selbst empfangen haben werde. So geschah es (63). Durch diese Demuetigung wurde daran nichts geaendert, dass der roemische Feldherr, statt den ihm aufgetragenen Krieg zu fuehren, auf die von seiner Regierung verworfenen Bedingungen Frieden schloss ^37. Aber die frueher leitenden Staatsmaenner waren inzwischen gestorben oder zurueckgetreten und das persoenliche Regiment des Kaisers dafuer installiert, und auf das Publikum und vor allem auf den Kaiser persoenlich verfehlte der feierliche Akt in Rhandeia und das in Aussicht gestellte Schaugepraenge der Belehnung des parthischen Fuersten mit der Krone von Armenien in der Reichshauptstadt seine Wirkung nicht. Der Friede wurde ratifiziert und erfuellt. Im Jahre 66 erschien der parthische Fuerst versprochenermassen in Rom, geleitet von 3000 parthischen Reitern, als Geiseln die Kinder der drei Brueder so wie die des Monobazos von Adiabene heranfuehrend. Er begruesste kniefaellig seinen auf dem Markte der Hauptstadt auf dem Kaiserstuhl sitzenden Lehnsherrn und hier knuepfte dieser ihm vor allem Volke die koenigliche Binde um die Stirn. ------------------------------------------ ^37 Da nach Tacitus (ann. 15, 25; vgl. Dio 62, 22) Nero die Gesandten des Vologasos wohlwollend entliess und die Moeglichkeit einer Verstaendigung, wenn Tiridates persoenlich erscheine, durchblicken liess, so kann Corbulo in diesem Fall nach seinen Instruktionen gehandelt haben; aber eher moechte dies zu den im Interesse Corbulos hinzugesetzten Wendungen gehoeren. Dass bei dem Prozess, der diesem einige Jahre nachher gemacht ward, diese Vorgaenge zur Sprache gekommen sind, ist wahrscheinlich nach der Notiz, dass einer der Offiziere von der armenischen Kampagne sein Anklaeger wurde. Die Identitaet des Kohortenpraefekten Arrius Varus bei Tacitus (ann. 13, 9) und des Primipilen (hist. 3, 6) ist mit Unrecht bestritten worden; vgl. zu CIL V, 867. ------------------------------------------ Die von beiden Seiten zurueckhaltende, man moechte sagen friedliche Fuehrung des letzten, nominell zehnjaehrigen Krieges und der entsprechende Abschluss desselben durch den faktischen Uebergang Armeniens an die Parther unter Schonung der Suszeptibilitaeten des maechtigeren Westreiches trug gute Frucht. Armenien war unter der nationalen von den Roemern anerkannten Dynastie mehr von ihnen abhaengig als frueher unter den dem Lande aufgedrungenen Herrschern. Wenigstens in der zunaechst an den Euphrat grenzenden Landschaft Sophene blieb roemische Besatzung ^38. Fuer die Wiederherstellung von Artaxata wurde die Erlaubnis des Kaisers erbeten und gewaehrt, und der Bau von Kaiser Nero mit Geld und Arbeitern gefoerdert. Zwischen den beiden maechtigen Staaten, die der Euphrat voneinander schied, hat zu keiner Zeit ein gleich gutes Verhaeltnis bestanden wie nach dem Abschluss des Vertrages von Rhandeia in den letzten Jahren Neros und weiter unter den drei Herrschern des Flavischen Hauses. Noch andere Umstaende trugen dazu bei. Die transkaukasischen Voelkermassen, vielleicht gelockt durch ihre Beteiligung an den letzten Kriegen, waehrend welcher sie als Soeldner teils der Iberer, teils der Parther den Weg nach Armenien gefunden hatten, fingen damals an, vor allem die westlichen parthischen Provinzen, aber zugleich die oestlichen des Roemischen Reiches zu bedrohen. Wahrscheinlich um ihnen zu wehren, wurde unmittelbar nach dem Armenischen Kriege im Jahre 63 die Einziehung des sogenannten Pontischen Koenigreichs verfuegt, das heisst der Suedostecke der Kueste des Schwarzen Meeres mit der Stadt Trapezus und dem Phasisgebiet. Die grosse orientalische Expedition, welche Kaiser Nero eben anzutreten im Begriff war, als ihn die Katastrophe ereilte (68), und fuer welche er bereits die Kerntruppen des Westens teils nach Aegypten, teils an die Donau in Marsch gesetzt hatte, sollte freilich auch nach anderen Seiten hin die Reichsgrenze vorschieben ^39; aber der eigentliche Zielpunkt waren die Kaukasuspaesse oberhalb Tiflis und die am Nordabhang ansaessigen skythischen Staemme, zunaechst die Alanen ^40. Eben diese berannten einerseits Armenien, andererseits Medien. Jene Neronische Expedition richtete sich so wenig gegen die Parther, dass sie vielmehr aufgefasst werden konnte als diesen zur Hilfe unternommen; den wilden Horden des Nordens gegenueber war fuer die beiden Kulturstaaten des Westens und des Ostens gemeinsame Abwehr allerdings angezeigt. Vologasos lehnte freilich die freundschaftliche Aufforderung seines roemischen Kollegen, ihn ebenso wie der Bruder in Rom zu besuchen, in gleicher Freundschaftlichkeit ab, da ihn keineswegs geluestete, auch seinerseits als Lehnstraeger des roemischen Herrschers auf dem roemischen Markt zu figurieren; aber er erklaerte sich bereit, dem Kaiser sich vorzustellen, wenn dieser im Orient eintreffen werde, und nicht die Roemer, aber wohl die Orientalen haben Nero aufrichtig betrauert. Koenig Vologasos richtete an den Senat offiziell das Ersuchen, Neros Gedaechtnis in Ehren zu halten, und als spaeterhin ein Pseudo- Nero auftrat, fand er vor allem im Partherstaat Sympathien. ------------------------------------------ ^38 In Ziata (Charput) haben sich zwei Inschriften eines Kastells gefunden, welches eine der von Corbulo ueber den Euphrat gefuehrten Legionen, die 3. Gallica, dort auf Corbulos Geheiss im Jahre 64 anlegte (Eph. epigr. V, p. 25). ^39 Nero beabsichtigte inter reliqua bella auch einen aethiopischen (Plin. nat. 6, 29, 182, vgl. 184). Darauf beziehen sich die Truppensendungen nach Alexandreia (Tac. hist. 1, 31, 70). ^40 Als Zielpunkt der Expedition bezeichnen sowohl Tacitus (hist. 1, 6) wie Sueton (Nero 19) die kaspischen Tore, d. h. den Kaukasuspass zwischen Tiflis und Wladi-Kawkas bei Darial, welchen nach der Sage Alexander mit eisernen Pforten schloss (Plin. nat. 6, 11, 30; Ios. bel. Iud. 7, 7, 4; Prok. Pers. 1, 10). Sowohl nach dieser Lokalitaet wie nach der ganzen Anlage der Expedition kann dieselbe unmoeglich gegen die Albaner am westlichen Ufer des Kaspischen Meeres sich gerichtet haben; hier sowohl wie an einer anderen Stelle (arm. 2, 68: ad Armenios, inde Albanos Heniochosque) koennen nur die Alanen gemeint sein, die bei Josephus a. a. O. und sonst eben an dieser Stelle erscheinen und oefter mit den kaukasischen Albanern verwechselt worden sind. Verwirrt ist freilich auch der Bericht des Josephus. Wenn hier die Alanen mit Genehmigung des Koenigs der Hyrkaner durch die kaspischen Tore in Medien und dann in Armenien einfallen, so hat der Schreiber an das andere kaspische Tor oestlich von Rhagae gedacht; aber dies wird sein Versehen sein, da der letztere im Herzen des Parthischen Reichs gelegene Pass unmoeglich das Ziel der Neronischen Expedition gewesen sein kann und die Alanen nicht am oestlichen Ufer des Kaspischen Meeres, sondern nordwaerts vom Kaukasus sassen. Dieser Expedition wegen wurde die beste der roemischen Legionen, die 14., aus Britannien abgerufen, die freilich nur bis Pannonien kam (Tac. hist. 2, 11, vgl. 27. 66), und eine neue Legion, die 1. italische, von Nero gebildet (Suet. Nero 19). Man sieht daraus, in welchem Rahmen sie entworfen war. ------------------------------------------ Indes war es dem Parther nicht so sehr um die Freundschaft Neros zu tun als um die des roemischen Staates. Nicht bloss enthielt er sich waehrend der Krisen des Vierkaiserjahres jedes Uebergriffes ^41, sondern er bot Vespasian, den wahrscheinlichen Ausgang des schwebenden Entscheidungskampfes richtig schaetzend, noch in Alexandreia 40000 berittene Schuetzen zum Kampfe gegen Vitellius an, was natuerlich dankend abgelehnt ward. Vor allem aber fuegte er sich ohne weiteres den Anordnungen, welche die neue Regierung fuer den Schutz der Ostgrenze traf. Vespasian hatte selbst als Statthalter von Judaea die Unzulaenglichkeit der dort staendig verwendeten Streitkraefte kennengelernt; und als er diese Statthalterschaft mit der Kaisergewalt vertauschte, wurde nicht nur Kommagene wieder nach dem Vorgang des Tiberius aus einem Koenigreich eine Provinz, sondern es ward auch die Zahl der staendigen Legionen im roemischen Asien von vier auf sieben erhoeht, auf welche Zahl sie voruebergehend fuer den Parthischen und wieder fuer den Juedischen Krieg gebracht worden waren. Waehrend ferner es bis dahin in Asien nur ein einziges groesseres Militaerkommando, das des Statthalters von Syrien, gegeben hatte, wurden jetzt drei derartige Oberbefehlshaberstellen daselbst eingerichtet. Syrien, zu dem Kommagene hinzutrat, behielt wie bisher vier Legionen; die beiden bisher nur mit Truppen zweiter Ordnung besetzten Provinzen Palaestina und Kappadokien wurden die erste mit einer, die zweite mit zwei Legionen belegt ^42, Armenien blieb roemisches Lehnsfuerstentum im Besitz der Arsakiden; aber unter Vespasian stand roemische Besatzung jenseits der armenischen Grenze in dem iberischen Kastell Harmozika bei Tiflis ^43, und danach muss in dieser Zeit auch Armenien militaerisch in roemischer Gewalt gewesen sein. Alle diese Massregeln, so wenig sie auch nur eine Kriegsdrohung enthielten, richteten die Spitze gegen den oestlichen Nachbarn. Dennoch war Vologasos nach dem Fall Jerusalems der erste, der dem roemischen Kronprinzen seinen Glueckwunsch zu der Befestigung der roemischen Herrschaft in Syrien darbrachte, und die Einrichtung der Legionslager in Kommagene, Kappadokien und Klein-Armenien nahm er ohne Widerrede hin. Ja er regte sogar bei Vespasian jene transkaukasische Expedition wieder an und erbat die Sendung einer roemischen Armee gegen die Alanen unter Fuehrung eines der kaiserlichen Prinzen; obwohl Vespasian auf diesen weitaussehenden Plan nicht einging, so kann doch jene roemische Truppe in der Gegend von Tiflis kaum zu anderem Zweck hingeschickt worden sein als zur Sperrung des Kaukasuspasses und vertrat insofern dort auch die Interessen der Parther. Trotz der Verstaerkung der militaerischen Stellung Roms am Euphrat oder auch vielleicht infolge derselben - denn dem Nachbarn Respekt einzufloessen, ist auch ein Mittel, den Frieden zu erhalten - blieb der Friedensstand waehrend der gesamten Herrschaft der Flavier wesentlich ungestoert. Wenn, wie das zumal bei dem steten Wechsel der parthischen Dynasten nicht befremden kann, ab und zu Kollisionen eintraten und selbst Kriegswolken sich zeigten, so verschwanden sie wieder ebenso rasch ^44. Das Auftreten eines falschen Nero in den letzten Jahren Vespasians - es ist derjenige, der zu der Offenbarung Johannis den Anstoss gegeben hat - haette fast zu einer solchen Kollision gefuehrt. Der Praetendent, in Wirklichkeit ein gewisser Terentius Maximus aus Kleinasien, aber in Antlitz und Stimme und Kuensten dem Saengerkaiser taeuschend aehnlich, fand nicht bloss Zulauf in dem roemischen Gebiet am Euphrat, sondern auch Unterstuetzung bei den Parthern. Bei diesen scheinen damals, wie so oft, mehrere Herrscher miteinander im Kampfe gelegen und der eine von ihnen, Artabanos, weil Kaiser Titus sich gegen ihn erklaerte, die Sache des roemischen Praetendenten aufgenommen zu haben. Indes es hatte dies keine Folgen; vielmehr lieferte bald darauf die parthische Regierung den Praetendenten an Kaiser Domitianus aus ^45. Der fuer beide Teile vorteilhafte Handelsverkehr von Syrien nach dem unteren Euphrat, wo eben damals Koenig Vologasos nicht weit von Ktesiphon das neue Emporium Vologasias oder Vologasokerta ins Leben rief, wird das seinige dazu beigetragen haben, den Friedensstand zu foerdern. ------------------------------------------------ ^41 In welchem Zusammenhang er dem Vespasian den Kaisertitel verweigerte (Dio 66, 11), erhellt nicht; moeglicherweise unmittelbar nach dessen Schilderhebung, bevor er erkannt hatte, dass die Flavianer die staerkeren seien. Seine Verwendung fuer die Fuersten von Kommagene (Ios. bel. Iud. 7, 7, 3) war von Erfolg, also rein persoenlich, keineswegs ein Protest gegen die Umwandlung des Koenigreichs in eine Provinz. ^42 Die vier syrischen Legionen sind die 3. Gallica, die 6. ferrata (beide bisher in Syrien), die 4. Scythica (bisher in Moesien, aber bereits am Parthischen wie am Juedischen Kriege beteiligt) und die 16. Flavia (neu). Die eine Legion von Palaestina ist die 10. fretensis (bisher in Syrien). Die zwei von Kappadokien sind die 12. fulminata (bisher in Syriern von Titus nach Melitene gelegt. Ios. bel. Iud. 7, 1, 3) und die 15. Apollinaris (bisher in Pannonien, aber gleich der 4. Scythica am Parthischen wie am Juedischen Kriege beteiligt). Die Garnisonen wurden also so wenig wie moeglich gewechselt, nur zwei der schon frueher nach Syrien gerufenen Legionen dort fest stationiert und eine neu eingerichtete dorthin gelegt. Nach dem juedischen Kriege unter Hadrian wurde die 6. ferrata von Syrien nach Palaestina geschickt. ^43 In diese Zeit (vgl. CIL V, 6988) faellt auch wohl die kappadokische Statthalterschaft des C. Rutilius Gallicus, von der es heisst (Star. silv. 1, 4, 78): hunc . . . timuit . . . Armenia et patiens Latii iam pontis Araxes, vermutlich mit Beziehung auf einen von dieser roemischen Besatzung ausgefuehrten Brueckenbau. Dass Gallicus unter Corbulo gedient hat, ist bei dem Stillschweigen des Tacitus nicht wahrscheinlich. ^44 Dass, waehrend M. Ulpius Traianus, der Vater des Kaisers, Statthalter von Syrien war, unter Vespasian im Jahre 75 Krieg am Euphrat auszubrechen drohte, sagt Plinius in seiner Lobrede auf den Sohn c. 14, wahrscheinlich mit starker Uebertreibung; die Ursache ist unbekannt. ^45 Es gibt datierte und mit den Individualnamen der Koenige versehene Muenzen von (V)ologasos aus den Jahren 389 und 390 = 77-78; von Pakoros aus den Jahren 389-394 = 77-82 (und wieder 404-407 = 92-95); von Artabanos aus dem Jahr 392 = 80/81. Die entsprechenden geschichtlichen Daten sind, bis auf die Artabanos und Titus verknuepfende Notiz bei Zonaras (11, 18; vgl. Suet. Nero 57; Tac. hist. 1, 2), verschollen, aber die Muenzen deuten auf eine Epoche rascher Thronwechsel und, wie es scheint, simultaner Praegung streitender Praetendenten. ------------------------------------------------ Zu einem Konflikt kam es unter Traianus. In den frueheren Jahren seiner Regierung hatte er in den oestlichen Verhaeltnissen nichts Wesentliches geaendert, abgesehen von der Verwandlung der an der Grenze der syrischen Wueste bis dahin bestehenden beiden Klientelstaaten, des nabataeischen von Petra und des juedischen von Caesarea Paneas, in unmittelbar roemische Verwaltungsbezirke (106). Die Beziehungen zu dem damaligen Herrscher des Partherreiches, dem Koenig Pakoros, waren nicht die freundlichsten ^46, aber erst unter dessen Bruder und Nachfolger Chosroes kam es zum Bruch, und zwar wiederum ueber Armenien. Die Schuld davon trugen die Parther. Indem Traianus den erledigten armenischen Koenigsthron dem Sohn des Pakaros, Axidares, verlieh, hielt er sich innerhalb der Grenzen seines Rechts; aber Koenig Chosroes bezeichnete diese Persoenlichkeit als unfaehig zu regieren und setzte eigenmaechtig einen anderen Sohn des Pakoros, den Parthomasiris, an dessen Stelle zum Koenig ein ^47. Die Antwort darauf war die roemische Kriegserklaerung. Gegen Ausgang des Jahres 114 ^48 verliess Traianus die Hauptstadt, um sich an die Spitze der roemischen Truppen des Ostens zu stellen, die allerdings wieder in dem tiefsten Verfall sich befanden, aber von dem Kaiser schleunigst reorganisiert und ausserdem durch bessere, aus Pannonien herbeigezogene Legionen verstaerkt wurden ^49. In Athen trafen ihn Gesandte des Partherkoenigs; aber sie hatten nichts zu bieten als die Anzeige, dass Parthomasiris bereit sei, Armenien als roemisches Lehen entgegenzunehmen, und wurden abgewiesen. Der Krieg begann. In den ersten Gefechten am Euphrat zogen die Roemer den kuerzeren ^50, aber als der alte schlagfertige und sieggewohnte Kaiser im Fruehjahr des Jahres 115 selbst sich an die Spitze der Truppen stellte, unterwarfen sich ihm die Orientalen fast ohne Gegenwehr. Es kam hinzu, dass bei den Parthern wieder einmal der Buergerkrieg im Gange und gegen Chosroes ein Praetendent Manisaros aufgetreten war. Von Antiocheia aus marschierte der Kaiser an den Euphrat und weiter nordwaerts bis zu dem noerdlichsten Legionslager Satala in Klein-Armenien, von wo aus er in Armenien einrueckte und die Richtung auf Artaxata nahm. Unterwegs in Elegeia erschien Parthomasiris und nahm das Diadem vom Haupte, in der Hoffnung, durch diese Demuetigung, wie einst Tiridates, die Belehnung zu erwirken. Allein Traianus war entschlossen, auch diesen Lehnsstaat zur Provinz zu machen und ueberhaupt die oestliche Reichsgrenze zu verlegen. Dies erklaerte er dem Partherfuersten vor dem versammelten Heer und wies ihn an, mit seinem Gefolge sofort das Lager und das Reich zu raeumen; es kam darueber zu einem Auflauf, bei welchem der Praetendent das Leben verlor. Armenien ergab sich in sein Schicksal und wurde roemische Statthalterschaft. Auch die Fuersten der Kaukasusvoelker, der Albaner, der Iberer, weiter gegen das Schwarze Meer der Apsiler, der Kolcher, der Heniocher, der Lazen und anderer mehr, selbst die der transkaukasischen Sarmaten wurden in dem Lehnsverhaeltnis bestaetigt oder jetzt demselben unterworfen. Traianus rueckte darauf in das Gebiet der Parther ein und besetzte Mesopotamien. Auch hier fuegte sich alles ohne Schwertstreich; Batnae, Nisibis, Singara kamen in die Gewalt der Roemer; in Edessa nahm der Kaiser nicht bloss die Unterwerfung des Landesherrn Abgaros entgegen, sondern auch die der uebrigen Dynasten, und gleich Armenien wurde Mesopotamien roemische Provinz. Die Winterquartiere nahm Traianus abermals in Antiocheia, wo ein gewaltiges Erdbeben mehr Opfer forderte als der Feldzug des Sommers. Im naechsten Fruehjahr (116) ging Traian, "der Parthersieger", wie der Senat ihn jetzt begruesste, von Nisibis aus ueber den Tigris und besetzte, nicht ohne bei dem Uebergang und nachher Widerstand zu finden, die Landschaft Adiabene; dies wurde die dritte neue roemische Provinz, Assyria genannt. Weiter ging der Marsch den Tigris abwaerts nach Babylonien; Seleukeia und Ktesiphon fielen in die Haende der Roemer und mit ihnen der goldene Thronsitz des Koenigs und dessen Tochter; Traianus gelangte bis nach der persischen Satrapie Mesene und der grossen Kaufstadt an der Tigrismuendung Charax Spasinu. Auch dieses Gebiet scheint dem Reich in der Weise einverleibt worden zu sein, dass die neue Provinz Mesopotamien das gesamte von den beiden Fluessen umschlossene Gebiet umfasste. Mit sehnsuechtigen Gedanken soll Traianus hier sich die Jugend Alexanders gewuenscht haben, um von dem Ufersaum des Persischen Meeres aus seine Waffen in das indische Wunderland zu tragen. Indes, er erfuhr bald, dass er sie fuer naehere Gegner brauchte. Das grosse Partherreich hatte bisher dem Angriff kaum ernstlich die Stirn geboten und oftmals vergeblich um Frieden gebeten. Jetzt aber, auf dem Rueckweg in Babylon, trafen den Kaiser die Botschaften von dem Abfall Babyloniens und Mesopotamiens; waehrend er an der Tigrismuendung verweilte, hatte gegen ihn die gesamte Bevoelkerung dieser neuen Provinzen sich erhoben ^51; die Buerger von Seleukeia am Tigris, von Nisibis, ja von Edessa selbst machten die roemischen Besatzungen nieder oder verjagten sie und schlossen ihre Tore. Der Kaiser sah sich genoetigt, seine Truppen zu teilen und gegen die verschiedenen Herde des Aufstandes einzelne Korps zu schicken; eine dieser Legionen unter Maximus wurde mit ihrem Feldherrn in Mesopotamien umzingelt und niedergehauen. Doch ward der Kaiser der Insurgenten Herr, namentlich durch den schon im Dakischen Kriege erprobten Feldherrn Lusius Quietus, einen geborenen Maurenscheich. Seleukeia und Edessa wurden belagert und niedergebrannt. Traianus ging so weit, Parthien zum roemischen Vasallenstaat zu erklaeren und belehnte damit in Ktesiphon einen Parteigaenger Roms, den Parther Parthamaspates, obwohl die roemischen Soldaten nicht mehr als den westlichen Saum des grossen Reiches betreten hatten. Alsdann schlug er den Rueckweg nach Syrien ein auf dem Wege, den er gekommen war, unterwegs aufgehalten durch einen vergeblichen Angriff auf die Araber in Hatra, der Residenz des Koenigs der tapferen Staemme der mesopotamischen Wueste, deren gewaltige Festungswerke und prachtvolle Bauten noch heute in ihren Ruinen imponieren. Er beabsichtigte, den Krieg im naechsten Jahre fortzusetzen, also die Unterwerfung der Parther zur Wahrheit zu machen. Aber das Gefecht in der Wueste von Hatra, in welchem der sechzigjaehrige Kaiser tapfer mit den arabischen Reitern sich herumgeschlagen hatte, sollte sein letztes sein. Er erkrankte und starb auf der Heimreise (8. August 117), ohne seinen Sieg vollenden und die Siegesfeier in Rom abhalten zu koennen; es war in seinem Sinn, dass ihm noch nach dem Tode die Ehre des Triumphes zuteil ward und er daher der einzige der vergoetterten roemischen Kaiser ist, welcher auch als Gott noch den Siegestitel fuehrt. --------------------------------------------- ^46 Das beweist die abgerissene Notiz aus Arrian bei Suid. (u. d. W. epikl/e/ma): o de Pakoros o Parthyai/o/n basile?s kai alla tina epikl/e/mata p?phere Traian/o/ t/o/ basilei und die Aufmerksamkeit, welche in Plinius um das Jahr 112 geschriebenem Bericht an den Kaiser (epist. ad Trai. 74) den Beziehungen zwischen Pakoros und dem Dakerkoenig Decebalus gewidmet wird. Die Regierungszeit dieses parthischen Koenigs laesst sich nicht genuegend fixieren. Parthische Muenzen mit Koenigsnamen gibt es aus der ganzen Zeit Traians nicht; die Silberpraegung scheint waehrend derselben geruht zu haben. ^47 Dass Axidares (oder Exedares) ein Sohn des Pakoros und vor Parthomasiris Koenig von Armenien gewesen, aber durch Chosroes abgesetzt worden war, zeigen die Truemmer des Dionischen Berichts 68, 17; und darauf fuehren auch die beiden Arrianischen Fragmente (16 Mueller), das erste, wahrscheinlich aus einer Ansprache eines Vertreters der Interessen des Axidares an Traian: Axidar/e/n de oti archein chr/e/ Armenias, o? moi dokei einai se amphilogon, worauf wohl die gegen Parthomasiris vorliegenden Beschwerden folgten, und die Antwort, offenbar des Kaisers, dass es nicht des Axidares Sache sei, sondern seine, ueber Parthomasiris zu richten, weil er wie es scheint Axidares - zuerst den Vertrag gebrochen und dafuer gebuesst habe. Welche Verschuldung der Kaiser dem Axidares zur Last legt, erhellt nicht; aber auch bei Dio sagt Chosroes, dass er weder den Roemern noch den Parthern genuegt habe. ^48 Die Truemmer des Dionischen Berichts bei Xiphilinus und Zonaras zeigen deutlich, dass der parthische Feldzug in zwei Kampagnen zerfaellt, die erste (Dio 56, 17, 1 ; 18, 2; 23-25), welche durch das Konsulat des Pedo auf 115 fixiert wird (auch das Datum des Malalas p. 275 fuer das Erdbeben von Antiocheia 13. Dezember 164 der antiochenischen Aera = 115 n. Chr. stimmt ueberein), und die zweite (Dio 26-32, 3), welche durch die zwischen April und August dieses Jahres erfolgte (s. meine Notiz bei J. G. Droysen, Geschichte des Hellenismus. Bd. 3, 2. Aufl., Gotha 1877, S. 361) Erteilung des Titels Parthicus (28, 2) auf 116 fixiert wird. Dass c. 23 die Titel Optimus (erteilt im Laufe des Jahres 114) und Parthicus ausser der Zeitfolge erwaehnt werden, lehrt sowohl ihre Zusammenstellung wie die spaetere Wiederkehr der zweiten Ehre. Von den Fragmenten gehoeren die meisten in den ersten Feldzug, c. 22, 3 und wohl auch 22, 1, 2 in den zweiten. Die imperatorischen Akklamationen stehen nicht im Wege. Traianus war erweislich im Jahre 113 imp. VI (CIL VI, 960); im Jahre 114 imp. VII (CIL IX, 1558 und sonst); im Jahre 115 imp. IX (CIL IX, 5894 und sonst) und imp. XI (Fabretti 398, 289 und sonst); im Jahre 116 imp. XII (CIL VIII, 621; X, 1634) und XIII (CIL III D; XXVII). Dio bezeugt eine Akklamation aus dem Jahre 115 (68, 19) und eine aus dem Jahre 116 (68, 28); fuer beide ist reichlich Raum und kein Grund vorhanden, gerade imp. VII auf die Unterwerfung Armeniens zu beziehen, wie das versucht worden ist. ^49 Die drastische Schilderung der syrischen Armee Traians bei Fronto (p. 206 f. Naber) stimmt fast woertlich mit der der Armee des Corbulo bei Tac. ann. 13, 35. "Durch die lange Entwoehnung vom Kriegsdienst waren die roemischen Truppen ueberhaupt arg heruntergekommen (ad ignaviam redactus); aber die elendesten unter den Soldaten waren die syrischen, unbotmaessig, stoerrig, beim Appell unpuenktlich, nicht auf dem Posten zu finden, von Mittag an betrunken; selbst die Ruestung zu tragen ungewohnt und der Strapazen unfaehig und des einen Waffenstueckes nach dem andern sich entledigend, halb nackt wie die Leichten und Schuetzen. Ausserdem waren sie durch die erlittenen Schlappen so demoralisiert, dass sie beim ersten Anblick der Parther den Ruecken wandten und die Hoerner ihnen gleichsam galten als das Signal gebend zum Davonlaufen." In der gegensaetzlichen Schilderung Traians heisst es unter anderm: "er ging nicht durch die Zelte, ohne sich um den Soldaten genau zu bekuemmern, sondern zeigte seine Verachtung gegen den syrischen Luxus und sah sich die rohe Wirtschaft der Pannonier an (sed contemnere - so ist zu lesen - Syrorum munditias, introspicere Pannoniorum inscitias); so beurteilte er nach der Haltung (cultus) des Mannes seine Brauchbarkeit (ingenium)." Auch in dem orientalischen Heer des Severus werden die "europaeischen" und die syrischen Soldaten unterschieden (Dio 75, 12). ^50 Das zeigen die mala proelia in der angefuehrten Stelle Frontos und Dios Angabe (68, 19), dass Traianus Samosata ohne Kampf einnahm; also hatte die dort stationierte 16. Legion es verloren. ^51 Es mag sein, dass gleichzeitig auch Armenien abgefallen ist. Aber wenn Gutschmid (bei Dierauer in M. Buedingers Untersuchungen zur roemischen Kaisergeschichte. Bd. 1. Leipzig 1868, S. 179) den Meherdotes und Sanatrukios, welche Malalas als Koenige Persiens in dem Traianischen Kriege auffuehrt, zu Koenigen des wieder abfallenden Armenien macht, so wird dies erreicht durch eine Kette verwegener Korrekturen, die die Personenund die Voelkernamen ebenso verschieben wie den pragmatischen Zusammenhang umgestalten. Es finden sich allerdings in dem verwirrten Legendenknaeuel des Malalas wohl einige historische Tatsachen, zum Beispiel die Einsetzung des Parthamaspates (der hier Sohn des Koenigs Chosroes von Armenien ist) zum Koenig von Parthien durch Traian; und so moegen auch die Daten von Traians Abfahrt aus Rom im Oktober (114), seiner Landung in Seleukeia im Dezember und seinem Einzug in Antiocheia am 7. Januar (115) korrekt sein. Aber wie dieser Bericht vorliegt, kann der Geschichtschreiber ihn nur ablehnen, nicht rektifizieren. --------------------------------------------- Traianus hatte den Krieg mit den Parthern nicht gesucht, sondern er war ihm aufgenoetigt worden; nicht er, sondern Chosroes hatte das Abkommen ueber Armenien gebrochen, welches die letzten vierzig Jahre hindurch die Grundlage des Friedensstandes im Euphratgebiet gewesen war. Wenn es begreiflich ist, dass die Parther sich dabei nicht beruhigten, da die fortdauernde Lehnsherrschaft der Roemer ueber Armenien den Stachel zur Auflehnung in sich trug, so muss man auch andererseits anerkennen, dass auf dem bisherigen Wege nicht weitergegangen werden konnte, als Corbulo gegangen war; der unbedingte Verzicht auf Armenien und, was davon die notwendige Folge war, die Anerkennung des Partherstaats in voller Gleichberechtigung liegen nun einmal ausser dem Horizont der roemischen Politik, so gut wie die Aufhebung der Sklaverei und aehnliche zu jener Zeit undenkbare Gedanken. Wenn aber mit dieser Alternative nicht zu dauerhaftem Frieden gelangt werden konnte, so blieb in dem grossen Dilemma der roemischen Orientpolitik nur die andere uebrig, die Erstreckung der unmittelbaren roemischen Herrschaft auf das linke Ufer des Euphrat. Darum ward Armenien jetzt roemische Provinz und nicht minder Mesopotamien. Es war das nur sachgemaess. Die Verwandlung Armeniens aus einem roemischen Lehnsstaat mit roemischer Besatzung in eine roemische Statthalterschaft aenderte nach aussen hin nicht viel; die Parther konnten aus Armenien wirksam nur ausgewiesen werden, indem sie den Besitz der benachbarten Landschaft verloren; und vor allem fand die roemische Herrschaft wie die roemische Provinzialverfassung in dem halb griechischen Mesopotamien einen weit guenstigeren Boden als in dem durchaus orientalischen Armenien. Andere Erwaegungen kamen hinzu. Die roemische Zollgrenze in Syrien war uebel beschaffen, und den internationalen Verkehr von den grossen Handelsplaetzen Syriens nach dem Euphrat und dem Tigris ganz in die Gewalt zu bekommen, fuer den roemischen Staat ein wesentlicher Gewinn, wie denn auch Traianus sofort daran ging, die neuen Euphratund Tigriszoelle einzurichten ^52. Auch militaerisch war die Tigrisgrenze leichter zu verteidigen als die bisherige an der syrischen Wueste und weiter am Euphrat hinlaufende Grenzlinie. Die Umwandlung der Landschaft Adiabene jenseits des Tigris in eine roemische Provinz, wodurch Armenien Binnenprovinz ward, und die Umgestaltung des Parthischen Reiches selbst in einen roemischen Lehnsstaat sind Korollarien desselben Gedankens. Es soll in keiner Weise geleugnet werden, dass bei der Eroberungspolitik die Konsequenz ein bedenkliches Lob ist und dass Traianus nach seiner Art bei diesen Unternehmungen dem Streben nach aeusserlichem Erfolg mehr als billig nachgegeben und ueber das verstaendige Ziel hinausgegriffen hat; aber es geschieht ihm Unrecht, wenn sein Auftreten im Osten auf blinde Eroberungslust zurueckgefuehrt wird ^53. Er tat, was Caesar, wenn er gelebt haette, auch getan haben wuerde. Seine Politik ist nur die andere Seite derjenigen der Staatsmaenner Neros, und beide sind so entgegengesetzt wie gleich folgerichtig und gleich berechtigt. Die Folgezeit hat mehr der erobernden Politik recht gegeben als derjenigen der Nachgiebigkeit. ------------------------------------ ^52 Fronto p. 209 Naber: cum praesens Traianus Euphratis et Tigridis portoria equorum et camelorum trib[utaque ordinaret, Ma]cer (?) caesus est. Dies geht auf den Moment, wo, waehrend Traian an der Tigrismuendung verweilte, Babylonien und Mesopotamien abfielen. ^53 Ungefaehr mit gleichem Recht laesst Julian (Caes. p. 328) den Kaiser sagen dass er gegen die Parther die Waffen nicht ergriffen habe, bevor sie das Recht verletzt haetten, und wirft ihm Dio (68, 17) vor, den Krieg aus Ehrgeiz gefuehrt zu haben. ------------------------------------ Fuer den Augenblick freilich kam es anders. Die orientalischen Eroberungen Traians durchleuchten den trueben Abend des Roemerreiches wie die Blitzstrahlen die dunkle Nacht, aber wie diese bringen sie keinen neuen Morgen. Der Nachfolger fand sich vor die Wahl gestellt, das unfertige Werk der Unterwerfung der Parther zu vollenden oder fallen zu lassen. Ohne bedeutende Steigerung der Armee wie des Budgets konnte die Grenzerweiterung ueberall nicht durchgefuehrt werden; und die damit unvermeidlich gegebene Verschiebung des Schwerpunktes nach Osten war eine bedenkliche Staerkung des Reiches. Hadrian und Pius lenkten also voellig wieder ein in die Bahnen der frueheren Kaiserzeit. Den roemischen Lehnskoenig von Parthien, den Parthamaspates, liess Hadrian fallen und fand ihn in anderer Weise ab. Er raeumte Assyrien und Mesopotamien und gab diese Provinzen freiwillig dem frueheren Herrn zurueck. Nicht minder sandte er diesem die gefangene Tochter; das bleibende Zeichen des gewonnenen Sieges, den goldenen Thron von Ktesiphon, weigerte selbst der friedfertige Plus sich, den Parthern wieder auszuliefern. Hadrianus sowohl wie Pius waren ernstlich bemueht, mit dem Nachbarn in Frieden und Freundschaft zu leben, und zu keiner Zeit scheinen die Handelsbeziehungen zwischen den roemischen Entrepots an der syrischen Ostgrenze und den Kaufstaedten am Euphrat reger gewesen zu sein als in dieser Epoche. Armenien hoerte ebenfalls auf roemische Provinz zu sein und trat in seine fruehere Stellung zurueck als roemischer Lehnsstaat und parthische Sekundogenitur ^54. Abhaengig blieben gleichfalls die Fuersten der Albaner und Iberer am Kaukasus und die zahlreichen kleinen Dynasten in dem suedoestlichen Winkel des Schwarzen Meeres ^55. Roemische Besatzungen standen nicht bloss an der Kueste in Apsaros ^56 und am Phasis, sondern nachweislich unter Commodus in Armenien selbst unweit Artaxata; militaerisch gehoerten alle diese Staaten zum Sprengel des Kommandanten von Kappadokien ^57. Indes scheint diese ihrem Wesen nach sehr unbestimmte Oberhoheit ueberhaupt, und namentlich von Hadrian ^58, in einer Weise gehandhabt zu sein, dass sie mehr als ein Schutzrecht erschien denn als eigentliche Untertaenigkeit, und wenigstens die maechtigeren unter diesen Fuersten taten und liessen im wesentlichen, was ihnen gefiel. Das schon frueher hervorgehobene gemeinsame Interesse der Abwehr der wilden transkaukasischen Staemme trat in dieser Epoche noch bestimmter hervor und hat offenbar namentlich zwischen Roemern und Parthern als ein Band gedient. Gegen das Ende der Regierung Hadrians fielen die Alanen, im Einverstaendnis, wie es scheint, mit dem damaligen Koenig von Iberien, Pharasmanes II., dem es zunaechst oblag, ihnen den Kaukasuspass zu sperren, in die suedlichen Landschaften ein und pluenderten nicht bloss das Gebiet der Albaner und der Armenier, sondern auch die parthische Provinz Medien und die roemische Provinz Kappadokien; wenn es auch nicht zu gemeinschaftlicher Kriegfuehrung kam, sondern das Gold des damals in Parthien regierenden Herrschers Vologasos’ III. und die Mobilmachung der kappadokischen Armee von seiten der Roemer ^59 die Barbaren zur Umkehr bestimmten, so gingen die Interessen doch zusammen und die Beschwerde, welche die Parther in Rom ueber Pharasmanes von Iberien fuehrten, zeigt das Zusammenhalten der beiden Grossmaechte ^60. ----------------------------------------------- ^54 Unmoeglich kann Hadrian Armenien aus dem roemischen Lehnsverband entlassen haben. Die Notiz des Biographen (c. 21): Armeniis regem habere permisit, cum sub Traiano legatum habuissent fuehrt vielmehr auf das Gegenteil, und wir finden am Ende der Hadrianischen Regierung im Heer des Statthalters von Kappadokien das Kontingent der Armenier (Arr. Alan. 29). Pius hat nicht bloss die Parther durch seine Vorstellungen bestimmt, von der beabsichtigten Invasion Armeniens abzustehen (Vita 9), sondern auch Armenien in der Tat zu Lehen gegeben (Muenzen aus den Jahren 140-144, Eckhel 7, S. 15). Auch dass Iberien sicher unter Pius im Lehnsverband gestanden hat, weil sonst die Parther ueber deren Koenig nicht haetten in Rom Beschwerde fuehren koennen (Dio 69, 15), setzt das gleiche Lehnsverhaeltnis fuer Armenien voraus. Die Namen der armenischen Koenige dieser Zeit sind nicht bekannt. Wenn die proximae gentes, mit deren Herrschaft Hadrian den von Traian zum parthischen Koenig bestellten Partherfuersten entschaedigte (vita c. 5), in der Tat die Armenier sind, was nicht unwahrscheinlich ist, so liegt darin eine Bestaetigung sowohl der dauernden Abhaengigkeit Armeniens von Rom wie der fortdauernden Herrschaft der Arsakiden daselbst. Auch der A?r/e/lios Pakoros basileys megal/e/s Armenias der seinem in Rom verstorbenen Bruder Aurelius Merithates dort ein Grabmal errichtete (CIG 6559), gehoert seinem Namen nach zu dem Haus der Arsakiden. Schwerlich aber ist er der von Vologasos IV. einund von den Roemern abgesetzte Koenig von Armenien; waere dieser gefangen nach Rom gekommen, so wuerden wir es wissen, und es haette auch dieser kaum in einer roemischen Inschrift sich Koenig von Gross- Armenien nennen duerfen. ^55 Als belehnt von Traianus oder Hadrianus fuehrt Arrian (peripl. m. Eux. c. 15) auf die Heniocher und Machelonen (vgl. Dio 68,18; 71, 14); die Lazen (vgl. Suidas u. d. W. Dometianos), denen auch Pius einen Koenig setzte (vita 9); die Apsilen; die Absager; die Sanigen; diese alle innerhalb der bis Dioskurias = Sebastopolis reichenden Reichsgrenze; jenseits derselben im Bereich des bosporanischen Lehnstaats die Zicher oder Zincher (das. c. 27). ^56 Ausser Arrian (peripl. m. Eux. c. 7) bestaetigt dies der Offizier aus hadrianischer Zeit praepositus numerorum tendentium in Ponto Absaro (CIL X, 1202). ^57 Vgl. Anm. 63. Auch das im Jahre 185 in Valarschapat (Etschmiazin) unweit Artaxata garnisonierende Detachement wahrscheinlich von 1000 Mann (weil unter einem Tribun) gehoerte zu einer der kappadokischen Legionen (CIL III, 6052). ^58 Hadrians Bemuehung um die Freundschaft der orientalischen Lehnsfuersten wird oft hervorgehoben, nicht ohne Hindeutung darauf, dass er sich mehr als billig von ihnen habe gefallen lassen (vita c. 13, 17, 21). Pharasmanes von Iberien kam auf seine Einladung nicht nach Rom, folgte aber derjenigen des Pius (vita Hadr. 13, 21; vita Pii 9; Dio 69, 15, 2, welches Exzerpt unter Pius gehoert). ^59 Den merkwuerdigen Bericht des Statthalters von Kappadokien unter Hadrian, Flavius Arrianus, ueber die Mobilmachung der kappadokischen Armee gegen die "Skythen" besitzen wir noch unter dessen kleinen Schriften; er war selbst am Kaukasus und besichtigte die dortigen Paesse (Lyd. mag. 3, 53). ^60 Das lehren die Truemmer des Dionischen Berichts bei Xiphilin, Zonaras und in den Exzerpten; die richtige Lesung Alanoi statt Albanoi hat Zonaras bewahrt; dass die Alanen auch das Albanergebiet pluenderten, ergibt die Fassung der exc. urs. LXXII. ----------------------------------------------- Die Stoerungen des Status quo kamen wieder von parthischer Seite. Die Oberherrlichkeit der Roemer ueber Armenien hat in der Geschichte eine aehnliche Rolle gespielt wie die des deutschen Kaiserreiches ueber Italien; wesenlos wie sie war, wurde sie doch stets als Uebergriff empfunden und trug die Kriegsgefahr im Schosse. Schon unter Hadrian drohte der Konflikt; es gelang dem Kaiser, in einer persoenlichen Zusammenkunft mit dem Partherfuersten den Friedensstand zu wahren. Unter Pius schien abermals die parthische Invasion Armeniens bevorzustehen; seine ernste Abmahnung war zunaechst von Erfolg. Aber selbst dieser friedfertigste aller Kaiser, dem es mehr am Herzen lag, das Leben eines Buergers zu sparen als tausend Feinde zu toeten, musste in der letzten Zeit seiner Regierung sich auf den Angriff gefasst machen und die Heere des Orients verstaerken. Kaum hatte er die Augen geschlossen (161), als sich das lange drohende Gewitter entlud. Auf Befehl des Koenigs Vologasos IV. rueckte der persische Feldherr Chosroes ^61 in Armenien ein und setzte den Arsakidenprinzen Pakoros auf den Thron. Der Statthalter von Kappadokien, Severianus, tat, was seine Pflicht war, und fuehrte seinerseits die roemischen Truppen ueber den Euphrat. Bei Elegeia, eben da, wo ein Menschenalter zuvor der ebenfalls von den Parthern auf den armenischen Thron gesetzte Koenig Parthomasiris sich vor Traian vergeblich gedemuetigt hatte, stiessen die Heere aufeinander; das roemische wurde nicht bloss geschlagen, sondern in dreitaegigem Kampfe vernichtet; der unglueckliche Feldherr gab, wie einst Varus, sich selber den Tod. Die siegreichen Orientalen begnuegten sich nicht mit der Einnahme Armeniens, sondern ueberschritten den Euphrat und brachen in Syrien ein; auch das dort stehende Heer wurde geschlagen und man fuerchtete fuer die Treue der Syrer. Die roemische Regierung hatte keine Wahl. Da die Truppen des Orients auch bei dieser Gelegenheit ihre geringe Schlagfaehigkeit bewiesen und ueberdies durch die erlittene Niederlage geschwaecht und demoralisiert waren, wurden aus dem Westen, selbst vom Rhein her weitere Legionen nach dem Osten gesandt und in Italien selbst Aushebungen angeordnet. Der eine der beiden kurz vorher zur Regierung gelangten Kaiser, Lucius Verus, ging selbst nach dem Orient (162), um den Oberbefehl zu uebernehmen; und wenn er, weder kriegerisch noch auch nur pflichttreu, sich der Aufgabe nicht gewachsen zeigte und von seinen Taten im Orient kaum etwas anderes zu berichten ist, als dass er mit seiner Nichte daselbst Hochzeit machte und wegen seines Theaterenthusiasmus selbst von den Antiochenern ausgelacht ward, so fuehrten die Statthalter von Kappadokien und von Syrien, dort zuerst Statius Priscus, dann Martius Verus, hier Avidius Cassius ^62, die besten Generale dieser Epoche, die Sache Roms besser als der Traeger der Krone. Noch einmal, bevor die Heere aneinander kamen, boten die Roemer den Frieden; gern haette Marcus den schweren Krieg vermieden. Aber Vologasos wies die billigen Vorschlaege schroff zurueck; und diesmal war der friedfertige Nachbar auch der staerkere. Armenien wurde sofort wieder gewonnen; schon im Jahre 163 nahm Priscus die Hauptstadt Artaxata ein und zerstoerte sie. Nicht weit davon wurde die neue Landeshauptstadt, Kainepolis, armenisch Nor- Khalakh oder Valarschapat (Etschmiazin), von den Roemern erbaut und mit starker Besatzung belegt ^63. Im Jahre darauf wurde an Pakoros’ Stelle Sohaemos, der Abstammung nach auch ein Arsakide, aber roemischer Untertan und roemischer Senator, zum Koenig von Gross-Armenien ernannt ^64. Rechtlich also aenderte in Armenien sich nichts; doch wurden die Bande, die es an Rom knuepften, straffer angezogen. ------------------------------------------------- ^61 So heisst er bei Lukian hist. conscr. 21; wenn derselbe ihn Alex. 27 Othryades nennt, so schoepft er hier aus einem Historiker von dem Schlage derer, welche er in jener Schrift verspottet und von denen ein anderer denselben Mann als Oxyroes hellenisierte (hist. conscr. 18). ^62 Syrien verwaltete, als der Krieg ausbrach, L. Attidius Cornelianus (CIG 4661 vom Jahre 160; vita Marci 8; CIL III 129 vom Jahre 162), nach ihm Iulius Verus (CIL III, 199, wahrscheinlich vom Jahre 163), alsdann Avidius Cassius, vermutlich seit dem Jahre 164. Dass die uebrigen Provinzen des Ostens an Cassius’ Befehle gewiesen wurden (vit. soph. 1, 13; Dio 71, 3), aehnlich wie dies bei Corbulo als Legaten von Kappadokien geschehen war, kann sich nur auf die Zeit nach dem Abgang des Kaisers Verus beziehen; solange dieser den nominellen Oberbefehl fuehrte, ist dafuer kein Raum. ^63 Ein wahrscheinlich Dionisches Fragment (bei Suidas unter Martios) erzaehlt, dass Priscus in Armenien die Koin/e/ polis anlegte und mit roemischer Besatzung versah, sein Nachfolger Martius Verus die dort entstandene nationale Bewegung beschwichtigte und diese Stadt zur ersten Armeniens erklaerte. Dies ist Valarschapat (Oyalasarpat oder Oyaleroktist/e/ bei Agathangelos), seitdem die Hauptstadt Armeniens. Koin/e/ polis ist, wie mich Kiepert belehrt, schon von Stilting erkannt als abersetzung des armenischen Ntr-Khalakh, welche zweite Benennung Valarschapat bei den armenischen Autoren des fuenften Jahrhunderts stets neben der gewoehnlichen fuehrt. Moses von Khorene laesst nach Bardesanes die Stadt aus einer unter Koenig Tigran VI., der nach ihm 150-188 regiert, hierhin gefuehrten Judenkolonie entstehen; ihre Ummauerung und Benennung fuehrt er auf dessen Sohn Valarsch II. 188-208 zurueck. Dass die Stadt im Jahre 185 starke roemische Besatzung hatte, zeigt die Inschrift CIL III, 6052. ^64 Dass Sohaemos Achaemenide und Arsakide war (oder zu sein vorgab) und Koenigssohn und Koenig so wie roemischer Senator und Konsul, bevor er Koenig von Gross-Armenien ward, sagt sein Zeitgenosse Iamblichos (c. 10 des Auszugs bei Photios). Wahrscheinlich gehoert er der Dynastenfamilie von Hemesa an (Ios. ant. Iud. 20, 8, 4 und sonst). Wenn Iamblichos der Babylonier "unter ihm" schrieb, so kann dies wohl nur so verstanden werden, dass er seinen Roman in Artaxata verfasst hat. Dass Sohaemos vor Pakoros ueber Armenien geherrscht hat, wird nirgend gesagt und ist nicht wahrscheinlich, da weder Frontos Worte (p. 127 Naber) quod Sohaemo potius quam Vologaeso regnum Armeniae dedisset aut quod Pacorum regno privasset noch die des Fragments aus Dio (?) 71, 1: Martios Oy/e/ros ton THoykydid/e/n ekpempei katagagein Sosimon es Arm/e/nian auf Wiedereinsetzung fuehren, die Muenzen aber mit rex Armeniis datus (Eckhel 7, S. 91; vgl. vita Veri 7, 8) diese in der Tat ausschliessen. Den Vorgaenger des Pakoros kennen wir nicht und wissen nicht einmal, ob der Thron, den er einnahm, erledigt oder besetzt war. ------------------------------------------------- Ernster waren die Kaempfe in Syrien und Mesopotamien. Die Euphratlinie wurde von den Parthern hartnaeckig verteidigt; nach einem lebhaften Gefecht am rechten Ufer bei Sura wurde die Festung Nikephorion (Rakka) auf dem linken von den Roemern erstuermt. Noch heftiger wurde um den Uebergang bei Zeugma gestritten; aber auch hier blieb in der entscheidenden Schlacht bei Europos (Djerabis, suedlich von Biredjik) den Roemern der Sieg. Sie rueckten nun ihrerseits in Mesopotamien ein. Edessa wurde belagert, Dausara unweit davon erstuermt; die Roemer erschienen vor Nisibis; der parthische Feldherr rettete sich schwimmend ueber den Tigris. Die Roemer konnten von Mesopotamien aus den Marsch nach Babylon antreten. Die Satrapen verliessen teilweise die Fahnen des geschlagenen Grosskoenigs; Seleukeia, die grosse Kapitale der Hellenen am Euphrat, oeffnete den Roemern freiwillig die Tore, wurde aber spaeter, weil die Buergerschaft mit Recht oder mit Unrecht des Einverstaendnisses mit dem Feinde beschuldigt ward, von den Roemern niedergebrannt. Auch die parthische Hauptstadt Ktesiphon wurde genommen und zerstoert; mit gutem Grund konnte zu Anfang des Jahres 165 der Senat die beiden Herrscher als die parthischen Grosssieger begruessen. In dem Feldzug dieses Jahres drang Cassius sogar in Medien ein; indes namentlich die in diesen Gegenden ausbrechende Pest dezimierte die Truppen und noetigte zur Umkehr, beschleunigte vielleicht auch den Friedensschluss. Das Ergebnis des Krieges war die Abtretung des westlichen Strichs von Mesopotamien: die Fuersten von Edessa oder von Osrhoene traten in den roemischen Lehnsverband und die Stadt Karrhae, seit langem gut griechisch gesinnt, wurde Freistadt unter roemischem Schutz ^65. Dem Umfang nach war, zumal dem vollstaendigen Kriegserfolg gegenueber, der Gebietszuwachs maessig, dennoch aber von Bedeutung, insofern damit die Roemer Fuss fassten am linken Ufer des Euphrat. Im uebrigen wurden die besetzten Gebiete den Parthern zurueckgegeben und der Status quo wiederhergestellt. Im ganzen also gab man die zurueckhaltende, von Hadrian aufgenommene Politik jetzt wieder auf und lenkte ein in die Bahn des Traianus. Es ist dies um so bemerkenswerter, als der Regierung des Marcus gewiss nicht Ehrgeiz und Vergroesserungsstreben zum Vorwurf gemacht werden kann; was sie tat, tat sie notgedrungen und in bescheidenen Grenzen. ---------------------------------------------------- ^65 Dies zeigen die mesopotamischen Koenigsund Stadtmuenzen. Berichte ueber die Friedensbedingungen fehlen in unserer Ueberlieferung. ---------------------------------------------------- Den gleichen Weg ging weiter und entschiedener Kaiser Severus. Das Dreikaiserjahr 193 hatte zum Kriege zwischen den Legionen des Westens und denen des Ostens gefuehrt, und mit Pescennius Niger waren diese unterlegen. Die roemischen Lehnsfuersten des Ostens und nicht minder der Beherrscher der Parther, Vologasos V., des Sanatrukios Sohn, hatten, wie begreiflich, den Niger anerkannt und ihm sogar ihre Truppen zur Verfuegung gestellt; dieser hatte erst dankend abgelehnt, dann, als seine Sache eine ueble Wendung nahm, ihre Hilfe angerufen. Die uebrigen roemischen Lehnstraeger, vor allem der von Armenien, hielten sich vorsichtig zurueck; nur der Fuerst von Edessa, Abgaros, sandte den verlangten Zuzug. Die Parther versprachen Hilfe, und sie kam auch wenigstens aus den naechsten Distrikten, von dem Fuersten Barsemias von Hatra in der mesopotamischen Wueste und von jenseits des Tigris von dem Satrapen der Adiabener. Auch nach Nigers Tod (194) blieben diese Fremden nicht bloss in dem roemischen Mesopotamien, sondern forderten sogar das Herausziehen der daselbst stehenden roemischen Besatzungen und die Rueckgabe dieses Gebiets ^66. Darauf rueckte Severus in Mesopotamien ein und nahm die ganze ausgedehnte und wichtige Landschaft in Besitz. Von Nisibis aus wurde eine Expedition gegen den Araberfuersten von Hatra gefuehrt, der es indes nicht gelang, die feste Stadt zu nehmen; auch jenseits des Tigris gegen den Satrapen von Adiabene richteten die Generale des Severus nichts Bedeutendes aus ^67. Aber Mesopotamien, das heisst das ganze Gebiet zwischen Euphrat und Tigris bis zum Chaboras, wurde roemische Provinz und mit zwei dieser Gebietserweiterung wegen neu geschaffenen Legionen belegt. Das Fuerstentum Edessa blieb als roemische Lehnsherrschaft bestehen, war aber jetzt nicht mehr Grenzgebiet, sondern von unmittelbarem Reichsland umschlossen. Hauptstadt der neuen Provinz und Sitz des Statthalters wurde die ansehnliche und feste Stadt Nisibis, seitdem nach dem Namen des Kaisers genannt und als roemische Kolonie geordnet. Nachdem also von dem Parthischen Reiche ein wichtiger Gebietsteil abgerissen und gegen zwei von ihm abhaengige Satrapen Waffengewalt gebraucht worden war, machte sich der Grosskoenig mit den Truppen auf, um den Roemern entgegenzutreten. Severus bot die Hand zum Frieden und trat fuer Mesopotamien einen Teil von Armenien ab. Indes war damit die Waffenentscheidung nur vertagt. So wie Severus nach dem Westen aufgebrochen war, wohin die Verwicklung mit seinem Mitherrscher in Gallien ihn abrief, brachen die Parther den Frieden ^68 und rueckten in Mesopotamien ein; der Fuerst von Osrhoene ward vertrieben, das Land besetzt und der Statthalter Laetus, einer der vorzueglichsten Kriegsmaenner der Zeit, in Nisibis belagert. Er schwebte in grosser Gefahr, als Severus, nachdem Albinus unterlegen war, im Jahre 198 abermals im Orient eintraf. Damit wendete sich das Kriegsglueck. Die Parther wichen zurueck, und nun ergriff Severus die Offensive. Er rueckte in Babylonien ein und gewann Seleukeia und Ktesiphon; der Partherkoenig rettete sich mit wenigen Reitern durch die Flucht, der Kronschatz wurde die Beute der Sieger, die parthische Hauptstadt den roemischen Soldaten zur Pluenderung preisgegeben und ueber 100000 Gefangene auf den roemischen Sklavenmarkt gebracht. Besser freilich als der Partherstaat selbst wehrten sich die Araber in Hatra; vergeblich versuchte Severus in zwiefacher schwerer Belagerung, die Wuestenburg zu bezwingen. Aber im wesentlichen war der Erfolg der beiden Feldzuege der Jahre 198 und 199 ein vollstaendiger. Durch die Einrichtung der Provinz Mesopotamien und des grossen Kommandos daselbst verlor Armenien die Zwischenstellung, welche es bisher gehabt hatte; es konnte in den bisherigen Verhaeltnissen verbleiben und von der foermlichen Einverleibung abgesehen werden. Das Land behielt also seine eigenen Truppen, und die Reichsregierung hat sogar fuer dieselben spaeterhin einen Zuschuss aus der Reichskasse gezahlt ^69. -------------------------------------------------------- ^66 Der Anfang des ursinischen Exzerpts Dio 75, 1, 2 ist verwirrt. Oi Orrs/e/noi, heisst es, kai oi Adiab/e/noi apostantes kai Nisibin poliorko?ntes kai /e/tt/e/thentes ypo Seoy/e/roy epresbe?sano pros ayton meta ton to? Nigroy thanaton. Osrhoene war damals roemisch, Adiabene parthisch; von wem fallen die beiden Landschaften ab? und wessen Partei haben die Nisibener ergriffen? Dass deren Gegner vor Absendung der Gesandtschaft von Severus geschlagen worden, widerspricht dem Verlauf der Erzaehlung; denn weil ihre Gesandten dem Severus ungenuegende Anerbietungen machen, ueberzieht sie dieser mit Krieg. Wahrscheinlich ist die Unterstuetzung Nigers durch Untertanen der Parther und deren Gemeinschaft mit Nigers roemischem Parteigaenger nun genau als Abfall von Severus aufgefasst; dass die Leute nachher behaupten, sie haetten beabsichtigt, vielmehr Severus zu unterstuetzen, wird deutlich als Ausflucht bezeichnet. Die Nisibener moegen sich geweigert haben mitzutun und deshalb von den Anhaengern Nigers angegriffen worden sein. So erklaert es sich, was auch aus dem Xiphilinischen Auszug Dio 75, 2 erhellt, dass das linke Euphratufer fuer Severus Feindesland war, nicht aber Nisibis; roemisch braucht die Stadt darum damals nicht gewesen zu sein, vielmehr ist sie nach allen Spuren dies erst durch Severus geworden. ^67 Da die Kriege gegen die Araber und die Adiabener in der Tat gegen die Parther gerichtet waren, so war es in der Ordnung, dass dem Kaiser deswegen die Titel Parthicus Arabicus und Parthicus Adiabenicus erteilt wurden; sie finden sich auch, aber gewoehnlich bleibt Parthicus weg, offenbar weil, wie der Biograph des Severus sagt (c. 9), excusavit Parthicum nomen, ne Parthos lacesseret. Dazu stimmt die sicher in das Jahr 195 gehoerende Notiz bei Dio 75, 9, 6 ueber das friedliche Abkommen mit den Parthern und die Abtretung eines Stueckes von Armenien an sie. ^68 Dass auch Armenien in ihre Gewalt geriet, deutet Herodian 5, 9, 2 an; freilich ist seine Darstellung schief und fehlerhaft. ^69 Als bei dem Frieden im Jahre 218 das alte Verhaeltnis zwischen Rom und Armenien erneuert wurde, machte der Koenig von Armenien sich Aussicht auf Erneuerung der roemischen Jahresgelder (Dio 78, 27: to? Tiridatoy to arg?rion o kat’ etos para t/o/n R/o/mai/o/n eyrisketo elpisantos l/e/psesthai). Eigentliche Tributzahlung der Roemer an die Armenier ist fuer die severische und die vorseverische Zeit ausgeschlossen, stimmt auch keineswegs zu den Worten Dios; der Zusammenhang wird der bezeichnete sein. Im 4. und 5. Jahrhundert wurde das Kastell von Biriparach im Kaukasus, das den Darielpass sperrte, von den Persern, die seit dem Frieden von 364 hier die Herren spielten, mit roemischem Zuschuss unterhalten und dies ebenfalls als Tributzahlung aufgefasst (Lyd. mag. 3, 52, 53; Priscus fr. 31 Mueller). -------------------------------------------------------- Die weitere Entwicklung dieser Nachbarverhaeltnisse ist bedingt durch die Verschiebung der inneren Ordnung in den beiden Reichen. Wenn unter der Dynastie Nervas und nicht minder unter Severus dem oft von Buergerkrieg und Thronfehde zerrissenen Partherstaat die relativ stabile roemische Monarchie ueberlegen gegenuebergestanden hatte, so brach diese Ordnung nach Severus’ Tode zusammen, und fast ein Jahrhundert lang folgten sich in dem Westreich meist elende und durchaus ephemere Regenten, die dem Ausland gegenueber stetig schwankten zwischen Uebermut und Schwaeche. Waehrend also die Schale des Westens sank, stieg diejenige des Ostens. Wenige Jahre nach dem Tode des Severus (211) traf in Iran eine Umwaelzung ein, welche nicht bloss, wie so viele fruehere Krisen, den herrschenden Regenten stuerzte, nicht einmal bloss eine andere Dynastie an die Stelle der verkommenen Arsakiden ans Regiment rief, sondern die nationalen und religioesen Elemente zu gewaltigem Aufschwung entfesselnd an die Stelle der vom Hellenismus durchdrungenen Bastardzivilisation des Partherstaats die Staatsordnung, den Glauben, die Sitte und die Fuersten derjenigen Landschaft setzte, welche das alte Perserreich geschaffen hatte und seit dessen Uebergang an die parthische Dynastie wie die Graeber des Dareios und des Xerxes, so auch die Keime der Wiedergeburt des Volkes in sich bewahrte. Es erfolgte die Wiederherstellung des von Alexander niedergeworfenen Grosskoenigtums der Perser durch das Eintreten der Dynastie der Sassaniden. Werfen wir auf diese neue Gestaltung der Dinge einen Blick, bevor wir den Verlauf der roemisch-parthischen Beziehungen im Orient weiter verfolgen. Es ist schon ausgesprochen worden, dass die parthische Dynastie, obwohl in der Tat sie Iran dem Hellenismus entrissen hatte, doch der Nation sozusagen als illegitim galt. Artahschatr oder neupersisch Ardaschir, so berichtet die offizielle Historiographie der Sassaniden, trat auf, um das Blut des von Alexander ermordeten Dara zu raechen und um die Herrschaft an die legitime Familie zurueckzubringen und sie so wieder herzustellen, wie sie zur Zeit seiner Vorfahren, vor den Teilkoenigen gewesen war. In dieser Legende steckt ein gutes Stueck Wirklichkeit. Die Dynastie, welche von dem Grossvater Ardaschirs, Sasan, den Namen fuehrt, ist keine andere als die koenigliche der persischen Landschaft; Ardaschirs Vater Papak oder Pabek ^70 und eine lange Reihe seiner Ahnen hatten unter der Obergewalt der Arsakiden in diesem Stammlande der iranischen Nation das Szepter gefuehrt ^71, in Istachr, unweit des alten Persepolis, residiert und ihre Muenzen mit iranischer Sprache und iranischer Schrift und mit den heiligen Emblemen des persischen Landesglaubens bezeichnet, waehrend die Grosskoenige in dem halb griechischen Grenzland ihren Sitz hatten und ihre Muenzen in griechischer Sprache und griechischer Weise praegen liessen. Die Grundordnung des iranischen Staatensystems, das den Teilkoenigen uebergeordnete Grosskoenigtum, ist unter den beiden Dynastien ebensowenig eine verschiedene gewesen, wie die des Reiches Deutscher Nation unter den saechsischen und den schwaebischen Kaisern. Nur darum wird in jener offiziellen Version die Arsakidenzeit als die der Teilkoenige und Ardaschir als das erste gemeinsame Haupt von ganz Iran nach dem letzten Dareios bezeichnet, weil im alten Persischen Reich die persische Landschaft wie zu den uebrigen, so auch zu den Parthern sich verhaelt wie im roemischen Staat Italien zu den Provinzen, und der Perser dem Parther die Legitimation fuer das von Rechts wegen mit seiner Landschaft verbundene Grosskoenigtum bestritt ^72. ----------------------------------------------- ^70 Artaxares nennt seinen Vater Papakos in der Anm. 74 angefuehrten Inschrift Koenig; wie damit auszugleichen ist, dass nicht bloss die einheimische Legende (bei Agathias 2, 27) den Pabek zum Schuster macht, sondern auch der Zeitgenosse Dion (wenn in der Tat Zon. 12, 15 diese Worte aus ihm entlehnt hat) den Artaxares nennt ex aphan/o/n kai adox/o/n, wissen wir nicht. Natuerlich nehmen die roemischen Schriftsteller fuer den schwachen legitimen Arsakiden Partei gegen den gefaehrlichen Usurpator. ^71 Strabon (unter Tiberius) 15, 3, 24: n?n d’/e/d/e/ kath’ ayto?s synest/o/tes oi Persai basileas echoysin yp/e/kooys eterois basile?si, proteron men Makedosi, n?n de Parthyaiois. ^72 Wenn Noeldeke sagt (Tabari, S. 449): "Dass die Hauptlaender der Monarchie direkt der Krone unterworfen waren, bildete den Hauptunterschied des Sassanidenreichs vom arsakidischen, welches in den verschiedensten Provinzen wirkliche Koenige hatte", so wird die Macht des Grosskoenigtums ohne Zweifel durchaus durch die Persoenlichkeit des Inhabers bedingt und unter den ersten Sassaniden eine viel staerkere gewesen sein als unter den letzten verkommenen Arsakiden. Aber ein prinzipieller Gegensatz ist nicht erfindlich. Von Mithradates I. an, dem eigentlichen Gruender der Dynastie, nennt sich der arsakidische Herrscher "Koenig der Koenige", eben wie spaeter der sassanidische, waehrend Alexander der Grosse und die Seleukiden diesen Titel nie gefuehrt haben. Auch unter ihnen herrschten einzelne Lehnskoenige, zum Beispiel in der Persis (Anm. 71); aber die regelmaessige Form der Reichsverwaltung war das Lehnskoenigtum damals nicht und die griechischen Herrscher nannten sich nicht danach, so wenig wie die Caesaren wegen Kappadokien oder Numidien den Grosskoenigtitel annahmen. Die Satrapen des Arsakidenstaats sind wesentlich die Marzbanen der Sassaniden. Eher moegen die grossen Reichsaemter, welche in der sassanidischen Staatsordnung den Oberverwaltungsstellen der Diocletianisch- Konstantinischen Konstitution entsprechen und wahrscheinlich fuer diese das Vorbild gewesen sind, dem Arsakidenstaat gemangelt haben; dann wuerden allerdings beide sich aehnlich zueinander verhalten wie die Reichsordnung Augusts zu der Konstantins. Aber wir wissen zu wenig von der Arsakidenordnung, um dies mit Sicherheit zu behaupten. ----------------------------------------------- Wie dem Umfange nach das Sassanidenreich sich zu dem der Arsakiden verhielt, ist eine Frage, auf die die Ueberlieferung keine genuegende Antwort gibt. Die Provinzen des Westens sind, seit die neue Dynastie fest im Sattel sass, saemtlich derselben untertaenig geblieben und die Ansprueche, die die letztere gegen die Roemer erhob, gingen, wie wir sehen werden, weit hinaus ueber die Praetensionen der Arsakiden. Aber wie weit die Herrschaft der Sassaniden gegen den Osten gereicht hat und wann sie bis zum Oxos vorgedrungen ist, der spaeter als die legitime Grenze zwischen Iran und Turan gilt, entzieht sich unseren Blicken ^73. ------------------------------------------- ^73 Nach den in der arabischen Chronik des Tabari erhaltenen persischen Aufzeichnungen aus der letzten Sassanidenzeit erobert Ardaschir, nachdem er Ardawan eigenhaendig den Kopf abgehauen und den Titel Schahan-Schah, Koenig der Koenige, angenommen hat, zuerst Hamadhan (Ekbatana) in Grossmedien, dann Aserbeidschan (Atropatene), Armenien, Mosul (Adiabene); ferner Suristan oder Sawad (Babylonien). Von da geht er nach Istachr in seine persische Heimat zurueck und erobert dann, von neuem ausziehend, Sagistan, Gurgan (Hyrkanien), Abraschahr (Nisapur im Partherland), Marw (Margiane), Balch (Baktra) und Charizm (Chiwa) bis zu den aeussersten Grenzen von Chorasan. "Nachdem er viele Leute getoetet und ihre Koepfe nach dem Feuertempel der Anahedh (in Istachr) geschickt hatte, kehrte er von Marw nach Pars zurueck und liess sich in Gor (Feruzabad) nieder." Wieviel hiervon Legende ist, wissen wir nicht (vgl. Noeldeke, Tabari, S. 17, 116). ------------------------------------------- Das Staatssystem Irans hat infolge des Eintritts der neuen Dynastie sich nicht gerade prinzipiell umgestaltet. Die offizielle Titulatur des ersten Sassanidenherrschers, wie sie unter dem Felsrelief von Nakschi-Rustam in drei Sprachen gleichmaessig angegeben ist: "der Mazda-Diener Gott Artaxares, Koenig der Koenige der Arianer, goettlicher Abstammung" ^74, ist im wesentlichen die der Arsakiden, nur dass die iranische Nation, wie schon in der alteinheimischen Koenigstitulatur, und der einheimische Gott jetzt ausdruecklich genannt werden. Dass eine in der Persis heimische Dynastie an die Stelle einer urspruenglich stammfremden und nur nationalisierten trat, war ein Werk und ein Sieg nationaler Reaktion; aber den daraus sich ergebenden Konsequenzen setzte die Macht der Verhaeltnisse vielfach unuebersteigliche Schranken. Persepolis oder, wie es jetzt heisst, Istachr wird wieder dem Namen nach die Hauptstadt des Reiches, und neben den gleichartigen des Dareios verkuenden dort auf derselben Felsenwand die merkwuerdigen Bildwerke und noch merkwuerdigeren, eben erwaehnten Inschriften den Ruhm Ardaschirs und Schapurs; aber die Verwaltung konnte von dieser entlegenen Oertlichkeit aus nicht wohl gefuehrt werden, und ihr Mittelpunkt blieb auch ferner Ktesiphon. Den rechtlichen Vorzug der Perser, wie er unter den Achaemeniden bestanden hatte, nahm die neupersische Regierung nicht wieder auf; wenn Dareios sich "einen Perser, Sohn eines Persers, einen Arier aus arischem Stamm" nannte, so nannte Ardaschir sich, wie wir sahen, lediglich den Koenig der Arianer. Ob in die grossen Geschlechter, abgesehen von dem koeniglichen, persische Elemente neu eingefuehrt worden sind, wissen wir nicht; auf jeden Fall sind mehrere von ihnen geblieben, wie die Suren und die Karen; nur unter den Achaemeniden, nicht unter den Sassaniden sind dieselben ausschliesslich persisch gewesen. ------------------------------------------- ^74 Griechisch (CIG 4675) lautet der Titel: Masdasnos; (Mazda-Diener, als Eigenname behandelt) theos Artaxar/e/s basile?s basile/o/n Arian/o/n ek genoys the/o/n; genau damit stimmt der Titel seines Sohnes Sapor 1. (das. 4676), nur dass nach Arian/o/n eingeschoben ist kai Anarian/o/n, also die Erstreckung der Herrschaft auf das Ausland hervorgehoben wird. In der Titulatur der Arsakiden, soweit sie aus den griechischen und persischen Muenzaufschriften erhellt, kehren theos, basile?s basile/o/n, theopat/o/r (=ek genoys the/o/n) wieder, dagegen fehlt die Hervorhebung der Arianer und bezeichnenderweise der Mazda-Diener; daneben erscheinen zahlreiche andere den syrischen Koenigen entlehnte Titel, wie epiphan/e/s, nikat/o/r, , auch der roemische aytokrat/o/r. ------------------------------------------- Auch in religioeser Beziehung trat ein eigentlicher Wechsel nicht ein; wohl aber gewann der Glaube und gewannen die Priester unter den persischen Grosskoenigen einen Einfluss und eine Macht, wie sie sie unter den parthischen niemals besessen hatten. Es mag wohl sein, dass die zwiefache Propaganda fremder Kulte gegen Iran, des Buddhatums vom Osten her und des juedisch-christlichen Glaubens aus dem Westen, der alten Mazda-Religion eben durch die Fehde eine Regeneration brachte. Der Stifter der neuen Dynastie, Ardaschir, war, wie glaubhaft berichtet wird, ein eifriger Feueranbeter und nahm selbst die Weihen des Priestertums; darum, heisst es weiter, wurde von da an der Stand der Magier einflussreich und anmassend, waehrend er bis dahin keineswegs solche Ehre und solche Freiheit gehabt, sondern bei den Machthabern nicht eben viel gegolten hatte. "Seitdem ehren und verehren die Perser alle die Priester; die oeffentlichen Angelegenheiten werden nach ihren Ratschlaegen und Orakeln geordnet; jeder Vertrag und jeder Rechtsstreit unterliegt ihrer Aufsicht und ihrem Urteil und nichts erscheint den Persern recht und gesetzlich, was nicht von einem Priester bestaetigt worden ist." Dementsprechend begegnen wir einer Ordnung der geistlichen Verwaltung, die an die Stellung des Papstes und der Bischoefe neben dem Kaiser und den Fuersten erinnert. Jeder Kreis steht unter einem Obermagier (Magupat, Magierherr, neupersisch Mobedh) und diese alle wieder unter dem Obersten der Obermagier (Mobedhan-Mobedh), dem Abbild des "Koenigs der Koenige", und er ist es jetzt, der den Koenig kroent. Die Folgen dieser Priesterherrschaft blieben nicht aus: das starre Ritual, die beengenden Vorschriften ueber Schuld und Suehne, die in wuestes Orakelwesen und Zauberkunst sich aufloesende Wissenschaft haften zwar dem Parsentum von jeher an, sind aber doch vermutlich erst in dieser Epoche zu voller Entwicklung gelangt. Auch in dem Gebrauch der Landessprache und den Landesgebraeuchen zeigen sich die Spuren der nationalen Reaktion. Die groesste Griechenstadt des Partherreiches, die alte Seleukeia, blieb bestehen, aber sie heisst seitdem nicht nach dem Namen des griechischen Marschalls, sondern nach dem ihres neuen Herrn Beh, das heisst gut, Ardaschir. Die griechische Sprache, bisher, wenn auch zerruettet und nicht mehr alleinherrschend, doch immer noch in Gebrauch, verschwindet mit dem Eintritt der neuen Dynastie mit einem Schlag von den Muenzen, und nur auf den Inschriften der ersten Sassaniden begegnet sie noch eben und hinter der eigentlichen Landessprache. Die "Partherschrift", das Pahlavi, behauptet sich, aber neben sie tritt eine zweite, wenig verschiedene und zwar, wie die Muenzen beweisen, als eigentlich offizielle, wahrscheinlich die bis dahin in der persischen Provinz gebrauchte, so dass die aeltesten Denkmaeler der Sassaniden, aehnlich wie die der Achaemeniden, dreisprachig sind, etwa wie im deutschen Mittelalter Lateinisch, Saechsisch und Fraenkisch nebeneinander Anwendung gefunden haben. Nach Koenig Sapor I. (+ 272) verschwindet die Zwiesprachigkeit und behauptet die zweite Schreibweise allein den Platz, den Namen Pahlavi erbend. Das Jahr der Seleukiden und die dazu gehoerigen Monatsnamen verschwinden mit dem Wechsel der Dynastie; dafuer treten nach altem persischen Herkommen die Regentenjahre ein und die einheimischen persischen Monatsnamen ^75. Selbst die altpersische Legende wird auf das neue Persien uebertragen. Die noch vorhandene ’Geschichte von Ardaschir, Papaks Sohn’, welche diesen Sohn eines persischen Hirten an den medischen Hof geraten, dort Knechtsdienste tun und dann den Befreier seines Volkes werden laesst, ist nichts als das alte Maerchen vom Kyros auf die neuen Namen umgeschrieben. Ein anderes Fabelbuch der indischen Parsen weiss zu berichten, wie Koenig Iskander Rumi, das heisst "Alexander der Roemer", die heiligen Buecher Zarathustras habe verbrennen lassen, dann aber sie hergestellt worden seien von dem frommen Ardaviraf, als Koenig Ardaschir den Thron bestiegen habe. Hier steht der Roemer- Hellene gegen den Perser; den arsakidischen Bastard hat die Sage, wie billig, vergessen. ---------------------------------------- ^75 Frawardin, Ardhbehescht usw. (C. L. Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831, Bd. 2, S. 515). Merkwuerdigerweise haben wesentlich dieselben Monatsnamen sich in dem provinzialen Kalender der roemischen Provinz Kappadokien behauptet (Ideler, Bd. 1, S. 443); sie muessen aus der Zeit herruehren, wo dieselbe persische Satrapie war. ---------------------------------------- Im uebrigen werden die Zustaende wesentlich die alten geblieben sein. In militaerischer Beziehung namentlich sind die Heere auch der Sassaniden sicher keine stehenden und geschulten Truppen gewesen, sondern das Aufgebot der wehrfaehigen Mannschaften, in das mit der nationalen Bewegung wohl ein neuer Geist gefahren sein mag, aber das nach wie vor im wesentlichen auf dem adligen Rossdienst ruhte. Auch die Verwaltung blieb, wie sie war: der tuechtige Herrscher schritt mit unerbittlicher Strenge ein gegen den Strassenraeuber wie gegen den erpressenden Beamten und, verglichen wenigstens mit der spaeteren arabischen und der tuerkischen Herrschaft, befanden sich die Untertanen des Sassanidenreiches im Wohlstand und der Staatsschatz in Fuelle. Bedeutsam aber ist die Verschiebung der Stellung des neuen Reiches gegenueber dem roemischen. Die Arsakiden haben den Caesaren sich nie voellig ebenbuertig gefuehlt. Wie oft auch beide Staaten in Krieg und Frieden als gleichgewogene Maechte sich einander entgegentraten, wie entschieden die Anschauung der doppelten Grossmacht auch den roemischen Orient beherrscht, es bleibt der roemischen Macht ein aehnlicher Vorrang, wie ihn das Heilige Roemische Reich Deutscher Nation lange Jahrhunderte sehr zu seinem Schaden besessen hat. Unterwerfungsakte, wie sie gegenueber Tiberius und Nero die parthischen Grosskoenige auf sich nahmen, ohne durch die aeusserste Notwendigkeit dazu gezwungen zu sein, lassen sich umgekehrt nicht einmal denken. Deutlicher noch spricht die Unterlassung der Goldpraegung. Es kann nicht Zufall sein, dass nie unter dem Regiment der Arsakiden eine Goldmuenze geschlagen worden ist und gleich der erste Sassanidenherrscher die Goldpraegung geuebt hat; es ist dieselbe das greifbarste Zeichen der durch keine Vasallenpflichten beschraenkten Souveraenitaet. Dem Anspruch des Caesarenreiches, allein die Weltmuenze schlagen zu koennen, hatten die Arsakiden ohne Ausnahme sich wenigstens insoweit gefuegt, dass sie selber ueberhaupt sich der Praegung enthielten und diese in Silber und Kupfer den Staedten oder den Satrapen ueberliessen; die Sassaniden schlugen wieder Goldstuecke, auch wie Koenig Dareios. Das Grosskoenigtum des Ostens fordert endlich sein volles Recht; die Welt gehoert nicht ferner den Roemern allein. Mit der Unterwuerfigkeit der Orientalen und der Oberherrlichkeit der Okzidentalen ist es vorbei. Dem entsprechend tritt an die Stelle der bis dahin immer wieder zum Frieden zurueckwendenden Beziehungen zwischen Roemern und Parthern durch Generationen die erbitterte Fehde. Nachdem die neue Staatsordnung dargestellt worden ist, mit der das sinkende Rom bald zu ringen haben sollte, nehmen wir den Faden der Erzaehlung wieder auf. Severus’ Sohn und Nachfolger Antoninus, kein Krieger und Staatsmann wie sein Vater, aber von beidem eine wueste Karikatur, muss die Absicht gehabt haben, soweit bei solchen Persoenlichkeiten ueberhaupt von Absicht geredet werden kann, den Osten ganz in roemische Gewalt zu bringen. Es hielt nicht schwer, die Fuersten von Osrhoene und von Armenien, nachdem sie an den kaiserlichen Hof entboten worden waren, gefangen zu setzen und diese Lehen fuer eingezogen zu erklaeren. Aber schon auf die Kunde hin brach in Armenien ein Aufstand aus. Der Arsakidenprinz Tiridates wurde zum Koenig ausgerufen und rief den Schutz der Parther an. Darauf stellte sich Antoninus an die Spitze einer grossen Truppenmacht und erschien im Jahre 216 im Osten, um die Armenier und noetigenfalls auch die Parther niederzuwerfen. Tiridates selbst gab sogleich seine Sache verloren, obwohl die nach Armenien gesandte Abteilung dort nachher noch auf heftige Gegenwehr stiess, und fluechtete zu den Parthern. Die Roemer forderten die Auslieferung. Die Parther waren nicht geneigt, sich seinetwegen auf einen Krieg einzulassen, um so weniger als eben damals die beiden Soehne des Koenigs Vologasos V., Vologasos VI. und Artabanos, in erbitterter Thronfehde lagen. Der erstere fuegte sich, als die roemische Forderung gebieterisch wiederholt ward und lieferte den Tiridates aus. Darauf begehrte der Kaiser von dem inzwischen zur Anerkennung gelangten Artabanos die Hand seiner Tochter zu dem ausgesprochenen Zwecke, damit das Reich zu erheiraten und Orient und Okzident unter eine Herrschaft zu bringen. Die Zurueckweisung dieses wuesten Vorschlags ^76 war das Signal zum Krieg; die Roemer erklaerten ihn und ueberschritten den Tigris. Die Parther waren unvorbereitet; ohne Widerstand zu finden brannten die Roemer die Staedte und Doerfer in Adiabene nieder und zerstoerten mit ruchloser Hand sogar die alten Koenigsgraeber bei Arbela ^77. Aber fuer den naechsten Feldzug machte Artabanos die aeussersten Anstrengungen und stellte im Fruehjahr 217 eine gewaltige Heeresmacht in das Feld. Antoninus, der den Winter in Edessa zugebracht hatte, wurde, eben als er zu dieser zweiten Kampagne aufbrach, von seinen Offizieren ermordet. Sein Nachfolger Macrinus, unbefestigt im Regiment und wenig angesehen, dazu an der Spitze einer der Zucht und Haltung entbehrenden und durch den Kaisermord erschuetterten Armee, haette gern des mutwillig angezettelten und sehr ernsthafte Verhaeltnisse annehmenden Krieges sich entledigt. Er schickte dem Partherkoenig die Gefangenen zurueck und warf die Schuld fuer die begangenen Frevel auf den Vorgaenger. Aber Artabanos war damit nicht zufrieden; er forderte Ersatz fuer alle begangene Verwuestung und die Raeumung Mesopotamiens. So kam es bei Nisibis zur Schlacht, in der die Roemer den kuerzeren zogen. Dennoch gewaehrten die Parther, zum Teil weil ihr Aufgebot sich aufzuloesen Miene machte, vielleicht auch unter dem Einfluss des roemischen Goldes, den Frieden (218) auf verhaeltnismaessig guenstige Bedingungen: Rom zahlte eine ansehnliche Kriegsentschaedigung (50 Mill. Denare), behielt aber Mesopotamien; Armenien blieb dem Tiridates, aber dieser nahm es von den Roemern zum Lehen. Auch in Osrhoene wurde das alte Fuerstenhaus wieder eingesetzt. ---------------------------------------------- ^76 So erzaehlt der zuverlaessige Dio 78, 1; unbeglaubigt ist die Version Herodians 4, 11, dass Artabanos die Tochter zusagte und bei der Verlobungsfeier Antoninus auf die anwesenden Parther einhauen liess. ^77 Wenn an der Nennung der Kadusier in der Biographie c. 6 etwas Wahres ist, so veranlassten die Roemer diesen wilden, der Regierung nicht botmaessigen Stamm im Suedwesten des Kaspischen Meeres, gleichzeitig ueber die Parther herzufallen. ---------------------------------------------- Es ist dies der letzte Friedensvertrag, den die Arsakidendynastie mit Rom geschlossen hat. Fast unmittelbar nachher und vielleicht mit infolge dieses Pakts, der allerdings, wie die Verhaeltnisse lagen, von den Orientalen als eine Preisgebung der erfochtenen Siege durch die eigene Regierung angesehen werden konnte, begann die Insurrektion, welche den Staat der Parther in einen Staat der Perser umwandelte. Ihr Fuehrer, Koenig Ardaschir oder Artaxares (224-241), stritt manches Jahr mit den Anhaengern der alten Dynastie, bevor er vollen Erfolg hatte ^78; nach drei grossen Schlachten, in deren letzter Koenig Artabanos fiel, war er im eigentlichen Partherreich Herr und konnte in die mesopotamische Wueste einruecken, um die Araber von Hatra zu unterwerfen und von da aus gegen das roemische Mesopotamien vorzugehen. Aber die tapferen und unabhaengigen Araber wehrten sich, wie frueher gegen die roemische Invasion, so jetzt gegen die Perser in ihren gewaltigen Mauern mit gutem Erfolg, und Artaxares fand sich veranlasst, zunaechst gegen Medien und Armenien zu operieren, wo die Arsakiden sich noch behaupteten und auch die Soehne des Artabanos eine Zuflucht gefunden hatten. Erst um das Jahr 230 wandte er sich gegen die Roemer und erklaerte ihnen nicht bloss den Krieg, sondern forderte alle Provinzen zurueck, die einst zum Reich seiner Vorgaenger, des Dareios und des Xerxes, gehoert hatten, das heisst die Abtretung von ganz Asien. Den drohenden Worten Nachdruck zu geben, fuehrte er ein gewaltiges Heer ueber den Euphrat; Mesopotamien wurde besetzt und Nisibis belagert; die feindlichen Reiter zeigten sich in Kappadokien und in Syrien. Den roemischen Thron nahm damals Severus Alexander ein, ein Herrscher, an dem nichts kriegerisch war als der Name und fuer den in der Tat die Mutter Mamaea das Regiment fuehrte. Dringende, fast demuetige Friedensvorschlaege der roemischen Regierung blieben ohne Wirkung; es blieb nichts uebrig als der Gebrauch der Waffen. Die aus dem ganzen Reiche zusammengezogenen roemischen Heeresmassen wurden geteilt: der linke Fluegel nahm die Richtung auf Armenien und Medien, der rechte auf Mesene an der Euphratund Tigrismuendung, vielleicht in der Berechnung, dort wie hier auf den Anhang der Arsakiden sich stuetzen zu koennen; die Hauptarmee ging gegen Mesopotamien vor. Die Truppen waren zahlreich genug, aber ohne Zucht und Haltung; ein hochgestellter roemischer Offizier dieser Zeit bezeugt es selbst, dass sie verwoehnt und unbotmaessig waren, sich weigerten zu kaempfen, ihre Offiziere erschlugen und haufenweise desertierten. Die Hauptmacht kam gar nicht ueber den Euphrat ^79, da die Mutter dem Kaiser vorstellte, dass es nicht seine Sache sei, sich fuer seine Untertanen, sondern dieser, sich fuer ihn zu schlagen. Der rechte Fluegel, im Flachland von der persischen Hauptmacht angegriffen und von dem Kaiser im Stich gelassen, wurde aufgerieben. Als darauf der Kaiser dem nach Medien vorgedrungenen Fluegel Befehl erteilte, sich zurueckzuziehen, litt auch dieser stark bei dem winterlichen Rueckmarsch durch Armenien. Wenn es bei diesem ueblen Rueckzug der grossen orientalischen Armee nach Antiocheia blieb und zu keiner vollstaendigen Katastrophe kam, sogar Mesopotamien in roemischer Gewalt blieb, so scheint das nicht das Verdienst der roemischen Truppen oder ihrer Fuehrer zu sein, sondern darauf zu beruhen, dass das persische Aufgebot des Kampfes muede ward und nach Hause ging ^80. Aber sie gingen nicht auf lange, um so mehr, als bald darauf nach der Ermordung des letzten Sprossen der Severischen Dynastie die einzelnen Heerfuehrer und die Regierung in Rom um die Besetzung des roemischen Thrones zu schlagen begannen und somit darin einig waren, die Geschaefte der auswaertigen Feinde zu besorgen. Unter Maximinus (235-238) geriet das roemische Mesopotamien in Ardaschirs Gewalt und schickten die Perser abermals sich an, den Euphrat zu ueberschreiten ^81. Nachdem die inneren Wirren einigermassen sich beruhigt hatten und Gordian III., fast noch ein Knabe, unter dem Schutz des Kommandanten von Rom und bald seines Schwiegervaters Furius Timesitheus unbestritten im ganzen Reiche gebot, wurde in feierlicher Weise den Persern der Krieg erklaert, und im Jahre 242 rueckte eine grosse roemische Armee unter persoenlicher Fuehrung des Kaisers oder vielmehr seines Schwiegervaters in Mesopotamien ein. Sie hatte vollstaendigen Erfolg; Karrhae wurde wieder gewonnen, bei Resaina zwischen Karrhae und Nisibis das Heer des Perserkoenigs Schapur oder Sapor (reg. 241-272), welcher kurz vorher seinem Vater Ardaschir gefolgt war, auf das Haupt geschlagen, infolge dieses Sieges auch Nisibis besetzt. Ganz Mesopotamien war zurueckerobert; es wurde beschlossen, zum Euphrat zurueck und von da stromabwaerts gegen die feindliche Hauptstadt Ktesiphon zu marschieren. Ungluecklicherweise starb Timesitheus und sein Nachfolger, Marcus Iulius Philippus, ein geborener Araber aus der Trachonitis, benutzte die Gelegenheit, den jungen Herrscher zu beseitigen. Als das Heer den schwierigen Marsch durch das Tal des Chaboras nach dem Euphrat zurueckgelegt hatte, fanden, angeblich infolge der von Philippus getroffenen Anordnungen, die Soldaten in Kirkesion am Einfluss des Chaboras in den Euphrat die erwarteten Lebensmittel und Vorraete nicht vor und legten dies dem Kaiser zur Last. Nichtsdestoweniger wurde der Marsch in der Richtung auf Ktesiphon angetreten; aber schon auf der ersten Station bei Zaitha (etwas unterhalb Mejadin) erschlugen eine Anzahl aufstaendischer Gardisten den Kaiser (Fruehling oder Sommer 244) und riefen ihren Kommandanten Philippus an seiner Stelle zum Augustus aus. Der neue Herrscher tat, was der Soldat oder wenigstens der Gardist begehrte, und gab nicht bloss die beabsichtigte Expedition gegen Ktesiphon auf, sondern fuehrte auch die Truppen sogleich nach Italien zurueck. Die Erlaubnis dazu erkaufte er sich von dem ueberwundenen Feind durch die Abtretung von Mesopotamien und Armenien, also der Euphratgrenze. Indes erregte dieser Friedensschluss eine solche Erbitterung, dass der Kaiser es nicht wagte, denselben zur Ausfuehrung zu bringen und in den abgetretenen Provinzen die Besatzungen stehen liess ^82. Dass die Perser sich dies wenigstens vorlaeufig gefallen liessen, gibt das Mass dessen, was sie damals vermochten. Nicht die Orientalen, sondern die Goten, die fuenfzehn Jahre hindurch wuetende Pest und die Zwietracht der miteinander um die Krone hadernden Korpsfuehrer brachen die letzte Kraft des Reiches. ---------------------------------------------- ^78 Die spaeterhin rezipierte Chronologie setzt den Beginn der Sassanidendynastie auf das Seleukidenjahr 538 = 1. Oktober 226/27 n. Chr. oder das vierte (volle) Jahr des seit Fruehling 222 regierenden Severus Alexander (Agathias 4, 24). Nach anderen Daten zaehlte Koenig Ardaschir das Jahr Herbst 223/24 n. Chr. als sein erstes, nahm also wohl in diesem den Grosskoenigtitel an (Noeldeke, Tabari, S. 410). Die letzte bis jetzt bekannte datierte Muenze des aelteren Systems ist vom Jahre 539. Als Dion schrieb, zwischen 230 und 234, war Artabanos tot und sein Anhang ueberwaeltigt, und wurde das Einruecken des Artaxares in Mesopotamien und Syrien erwartet. ^79 Der Kaiser blieb wahrscheinlich in Palmyra; wenigstens gedenkt eine palmyrenische Inschrift CIG 4483 der epid/e/mia theo? Alexandroy. ^80 Die unvergleichlich schlechten Berichte ueber diesen Krieg (der relativ beste ist der aus gemeinschaftlicher Quelle bei Herodian, Zonaras und Synkellos p. 674 vorliegende) entscheiden nicht einmal die Frage, wer in diesen Kaempfen Sieger blieb. Waehrend Herodian von einer beispiellosen Niederlage der Roemer spricht, feiern die lateinischen Quellen, die Biographie sowohl wie Victor, Eutrop und Rufius Festus, den Alexander als den Besieger des Artaxerxes oder Xerxes, und nach diesen letzteren ist auch der weitere Verlauf der Dinge guenstig. Die Vermittlung gibt Herodian (6, 6, 5) an die Hand. Nach den armenischen Berichten (Gutschmid, ZDMG 31, 1877, S. 47) haben die Arsakiden mit Unterstuetzung der Kaukasusvoelker sich in Armenien noch bis zum Jahre 237 gegen Ardaschir behauptet; diese Diversion mag richtig und auch den Roemern zugute gekommen sein. ^81 Den besten Bericht geben, aus derselben Quelle schoepfend, Synkellos (p. 683) und Zonaras (12, 18). Damit stimmen die Einzelangaben Ammians (23, 5; 7, 17) und so ziemlich der gefaelschte Brief Gordians an den Senat in der Biographie c. 27, aus dem die Erzaehlung c. 26 unkundig hergestellt ist; Antiocheia war in Gefahr, aber nicht in den Haenden der Perser. ^82 So stellt Zon. 12, 19 den Hergang dar; damit stimmt Zos. hist. 3, 32, und auch der spaetere Verlauf der Dinge zeigt Armenien nicht geradezu im persischen Besitz. Wenn nach Euagr. 5, 7 damals bloss Klein-Armenien roemisch blieb, so mag das insofern nicht unrichtig sein, als die Abhaengigkeit des Lehnskoenigs von Gross-Armenien nach dem Frieden wohl nur eine nominelle war. ---------------------------------------------- Es wird hier, wo der roemische Orient im Ringen mit dem persischen auf sich selber angewiesen ist, am Platz sein, eines merkwuerdigen Staates zu gedenken, der, durch und fuer den Wuestenhandel geschaffen, jetzt fuer kurze Zeit in der politischen Geschichte eine fuehrende Rolle uebernimmt. Die Oase Palmyra, in der einheimischen Sprache Thadmor, liegt auf halbem Wege zwischen Damaskos und dem Euphrat. Von Bedeutung ist sie lediglich als Zwischenstation zwischen dem Euphratgebiet und dem Mittelmeer und hat auch diese Bedeutung erst spaet gewonnen und frueh wieder verloren, so dass Palmyras Bluetezeit ungefaehr mit derjenigen Periode zusammenfaellt, die wir hier schildern. Ueber das Emporkommen der Stadt fehlt es an jeder Ueberlieferung ^83. Erwaehnt wird sie zuerst bei Gelegenheit des Aufenthaltes des Antonius in Syrien im Jahre 713 (41), wo dieser einen vergeblichen Versuch machte, sich ihrer Reichtuemer zu bemaechtigen; auch die dort gefundenen Denkmaeler - die aelteste datierte palmyrenische Inschrift ist vom Jahre 745 (9) - reichen schwerlich viel weiter zurueck. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ihr Aufbluehen mit der Festsetzung der Roemer im syrischen Kuestenland zusammenhaengt. So lange die Nabataeer und die Staedte der Osrhoene nicht unmittelbar roemisch waren, hatten die Roemer ein Interesse daran, eine andere direkte Verbindung mit dem Euphrat herzustellen, und diese fuehrte dann notwendig ueber Palmyra. Eine roemische Gruendung ist Palmyra nicht; als Veranlassung fuer jenen Raubzug nahm Antonius die Neutralitaet der zwischen den beiden Grossstaaten den Verkehr vermittelnden Kaufleute, und die roemischen Reiter kehrten unverrichteter Sache um vor der Schuetzenkette, die die Palmyrener dem Angriff entgegenstellten. Aber schon in der ersten Kaiserzeit muss die Stadt zum Reiche gerechnet worden sein, da die fuer Syrien ergangenen Steuerverordnungen des Germanicus und des Corbulo auch fuer Palmyra zur Anwendung kamen; in einer Inschrift vom Jahre 80 begegnet eine claudische Phyle daselbst; seit Hadrian nennt sich die Stadt Hadriana Palmyra, und im dritten Jahrhundert bezeichnet sie sich sogar als Kolonie. ---------------------------------------------- ^83 Der biblische Bericht (1. Koen. 9, 18) ueber die Erbauung der Stadt Thamar in Idumaea durch Koenig Salomo ist nur durch ein freilich altes Missverstaendnis auf Thadmor uebertragen worden; immer enthaelt die irrige Beziehung desselben auf diese Stadt bei den spaeteren Juden (Chron. 2, 8, 4 und die griechische Uebersetzung von 1. Koen. 9, 4) das aelteste Zeugnis fuer deren Existenz (Hitzig, ZDMG 8, 1854, S. 222). ---------------------------------------------- Indes war die Reichsuntertaenigkeit der Palmyrener anderer Art als die gewoehnliche und einigermassen dem Klientelverhaeltnis der abhaengigen Koenigreiche aehnlich. Noch in Vespasians Zeit heisst Palmyra ein Zwischengebiet zwischen den beiden Grossmaechten und wurde bei jedem Zusammenstoss der Roemer und der Parther gefragt, welche Politik die Palmyrener einhalten wuerden. Den Schluessel fuer die Sonderstellung muessen wir in den Grenzverhaeltnissen und den fuer den Grenzschutz getroffenen Ordnungen suchen. Die syrischen Truppen, soweit sie am Euphrat selbst standen, haben ihre Hauptstellung bei Zeugma, Biredjik gegenueber an der grossen Euphratpassage, gehabt. Weiter stromabwaerts schiebt sich zwischen das unmittelbar roemische und das parthische Gebiet das von Palmyra, das bis zum Euphrat reicht und die naechste bedeutende Uebergangsstelle bei Sura gegenueber der mesopotamischen Stadt Nikephorion (spaeter Kallinikon, heute er-Rakka) einschliesst. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die Hut dieser wichtigen Grenzfestung sowie die Sicherung der Wuestenstrasse zwischen dem Euphrat und Palmyra, auch wohl eines Teils der Strasse von Palmyra nach Damaskos, der Gemeinde Palmyra ueberlassen ward und dass sie also berechtigt und verpflichtet war, die fuer diese nicht geringe Aufgabe erforderlichen militaerischen Einrichtungen zu treffen ^84. Spaeterhin sind wohl die Reichstruppen naeher an Palmyra herangezogen und ist eine der syrischen Legionen nach Danava zwischen Palmyra und Damaskos, die arabische nach Bostra gelegt worden; seit Severus Mesopotamien mit dem Reich vereinigt hatte, waren sogar hier beide Ufer des Euphrat in roemischer Gewalt und endigte das roemische Gebiet am Euphrat nicht mehr bei Sura, sondern bei Kirkesion an der Muendung des Chaboras in den Euphrat oberhalb Mejadin. Auch wurde damals Mesopotamien stark mit Reichstruppen belegt. Aber die mesopotamischen Legionen standen an der grossen Strasse im Norden bei Resaina und Nisibis, und auch die syrischen und die arabischen Truppen machten die Mitwirkung der palmyrenischen nicht entbehrlich. Es mag sogar die Hut von Kirkesion und dieses Teils des Euphratufers eben den Palmyrenern anvertraut worden sein. Erst nach dem Untergang Palmyras und vielleicht in Ersatz desselben ist Kirkesion ^85 von Diocletian zu der starken Festung gemacht worden, die seitdem hier der Stuetzpunkt der Grenzverteidigung gewesen ist. ----------------------------------------------------- ^84 Ausdruecklich berichtet wird dies nirgends; aber alle Umstaende sprechen dafuer. Dass die roemisch-parthische Grenze, bevor die Roemer auf dem linken Euphratufer sich festsetzten, am rechten wenig unterhalb Sura war, sagt am bestimmtesten Plinius (nat. 5, 26, 89: a Sura proxime est Philiscum - vgl. Anm. 85 - oppidum Parthorum ad Euphratem; ab eo Seleuciam dierum decem navigatio), und hier ist sie bis zur Einrichtung der Provinz Mesopotamien unter Severus geblieben. Die Palmyrene des Ptolemaeos (5, 15, 24, 25) ist eine Landschaft Koilesyriens, die einen guten Teil des Gebiets suedlich von Palmyra zu umfassen scheint, sicher aber bis an den Euphrat reicht und Sura einschliesst; andere staedtische Zentren ausser Palmyra scheinen nicht aufgefuehrt zu werden und nichts im Wege zu stehen, diesen grossen Distrikt als Stadtgebiet zu fassen. Namentlich solange Mesopotamien parthisch war, aber auch nachher noch hat mit Ruecksicht auf die angrenzende Wueste ein dauernder Grenzschutz hier nicht fehlen koennen; wie denn im 4. Jahrhundert nach Ausweis der Notitia die Palmyrene stark besetzt war, die noerdliche von den Truppen des Dux von Syrien, Palmyra selbst und die suedliche Haelfte von denen des Dux von Phoenike. Dass in der frueheren Kaiserzeit hier keine roemischen Truppen gestanden haben, ist durch das Schweigen der Schriftsteller und das Fehlen der in Palmyra selbst zahlreichen Inschriften verbuergt. Wenn in der Peutingerschen Tafel unter Sura vermerkt ist: "fines exercitus Syriatici et commercium barbarorum", d. h. "hier endigen die roemischen Besatzungen, und hier ist der Zwischenort fuer den Barbarenverkehr", so ist damit nur gesagt, was in spaeterer Zeit Ammian (23, 3, 7: Callinicum mumimentum robustum et commercandi opimitate gratissimum) und noch Kaiser Honorius (Cod. Iust. 4, 63, 4) wiederholen, dass Kallinikon zu den wenigen, dem roemisch-barbarischen Grenzhandel freigegebenen Entrepots gehoert; aber nicht einmal fuer die Entstehungszeit der Tafel folgt daraus, dass damals Reichstruppen dort standen, da ja die Palmyrener im allgemeinen auch zur syrischen Armee gehoerten und bei dem exercitus Syriaticus an sie gedacht sein kann. Es muss die Stadt eine eigene Truppenmacht aufgestellt haben, aehnlich wie die Fuersten von Numidien und von Pantikapaeon. Dadurch allein wird auch sowohl das Abweisen der Truppen des Antonius wie das Verhalten der Palmyrener in den Wirren des 3. Jahrhunderts verstaendlich, nicht minder das Auftreten der numeri Palmyrenorum unter den militaerischen Neuerungen derselben Epoche. ^85 Amm. 23, 5, 2: Cercusium .. . Diocletiaenus exiguum ante hoc et suspectum muris turribusque circumdedit celsis, . . . ne vagarentur per Syriam Persae ita ut paucis ante annis cum magnis provinciarum contigerat damnis. Vgl. Prok. aed. 2, 6. Vielleicht ist dieser Ort nicht verschieden von dem PHalga oder PHaliga des Isidorus von Charax (mans. Parth. 1; Stephanus v. Byzanz, Ethnika, unter diesem Wort) und dem Plinianischen Philiscum (Anm. 84). ----------------------------------------------------- Die Spuren dieser Sonderstellung Palmyras sind auch in den Institutionen nachweisbar. Das Fehlen des Kaisernamens auf den palmyrenischen Muenzen ist wohl nicht aus ihr zu erklaeren, sondern daraus, dass die Gemeinde fast nur kleine Scheidemuenze ausgegeben hat. Deutlich aber spricht die Behandlung der Sprache. Von der sonst bei den Roemern fast ausnahmslos befolgten Regel, in dem unmittelbaren Gebiet nur den Gebrauch der beiden Reichssprachen zu gestatten, ist Palmyra ausgenommen. Hier hat diejenige Sprache, welche im uebrigen Syrien und nicht minder seit dem Exil in Judaea die gewoehnliche im privaten Verkehr, aber auf diesen beschraenkt war, sich im oeffentlichen Gebrauch behauptet, solange die Stadt ueberhaupt bestanden hat. Wesentliche Verschiedenheiten des palmyrenischen Syrisch von dem der uebrigen oben genannten Gegenden lassen sich nicht nachweisen; die nicht selten arabisch oder juedisch, auch persisch geformten Eigennamen zeigen die starke Voelkermischung, und zahlreiche griechisch-roemische Lehnwoerter die Einwirkung der Okzidentalen. Es wird spaeterhin Regel, dem syrischen Text einen griechischen beizufuegen, welcher in einem Beschluss des palmyrenischen Gemeinderats vom Jahre 137 dem palmyrenischen nach-, spaeter gewoehnlich voransteht; aber bloss griechische Inschriften eingeborener Palmyrener sind seltene Ausnahmen. Sogar in Weihinschriften, welche Palmyrener ihren heimischen Gottheiten in Rom gesetzt haben ^86, und in Grabschriften der in Afrika oder Britannien verstorbenen palmyrenischen Soldaten ist die palmyrenische Fassung zugefuegt. Ebenso wurde in Palmyra zwar das roemische Jahr wie im uebrigen Reiche der Datierung zugrunde gelegt, aber die Monatsnamen sind nicht die im roemischen Syrien offiziell rezipierten makedonischen, sondern diejenigen, welche in demselben wenigstens bei den Juden im gemeinen Verkehr galten und ausserdem bei den unter assyrischer und spaeter persischer Herrschaft lebenden aramaeischen Staemmen in Gebrauch waren ^87. ----------------------------------------------- ^86 Von den sieben bis jetzt ausserhalb Palmyra gefundenen Dedikationen an den palmyrenischen Malach Belos haben die drei in Rom zum Vorschein gekommenen (CIL VI, 51, 710; CIG 6015) neben griechischem oder lateinischem auch palmyrenischen Text, zwei afrikanische (CIL VIII, 2497, 8795 add.) und zwei dakische (Archaeologisch-epigraphische Mitteilungen aus Oesterreich 6, 1882, 109, 111) bloss lateinischen. Die eine der letzteren ist von einem offenbar aus Palmyra gebuertigen Duoviralen von Sarmizegetusa, P. Aelius Theimes, gesetzt diis patriis Malagbel et Bebellahamon et Benefal et Manavat. ^87 Woher diese Monatsnamen ruehren, ist dunkel; sie treten zuerst in der assyrischen Keilschrift auf, sind aber nicht assyrischen Ursprungs. Infolge der assyrischen Herrschaft sind sie dann in dem Bereich der syrischen Sprache in Gebrauch geblieben. Abweichungen finden sich; der zweite Monat, der Dios der griechisch redenden Syrer, unser November, heisst bei den Juden Markeschwan, bei den Palmyrenern Kanun (Waddington 25746). Uebrigens sind diese Monatsnamen, soweit sie innerhalb des Roemischen Reiches zur Anwendung kommen, wie die makedonischen dem Julianischen Kalender angepasst, so dass nur die Monatsbenennung differiert, der Jahranfang (1. Oktober) des syrisch-roemischen Jahres auf die griechischen wie auf die aramaeischen Benennungen gleichmaessig Anwendung findet. ----------------------------------------------- Die munizipale Ordnung ist im wesentlichen nach dem Muster der griechischen des Roemerreichs gestaltet; die Beziehungen fuer Beamte und Rat ^88 und selbst diejenige der Kolonie werden in den palmyrenischen Texten meistenteils aus den Reichssprachen beibehalten. Aber auch in der Verwaltung behielt der Distrikt eine groessere Selbstaendigkeit, als sie sonst den Stadtgemeinden zukommt. Neben den staedtischen Beamten finden wir wenigstens im dritten Jahrhundert die Stadt Palmyra mit ihrem Gebiet unter einem besonderen "Hauptmann" senatorischen Ranges und roemischer Bestell ung, aber gewaehlt aus dem angesehensten Geschlecht des Ortes; Septimios Hairanes, des Odaenathos Sohn, ist der Sache nach ein Fuerst der Palmyrener ^89, der von dem Legaten von Syrien wohl nicht anders abhaengig war als die Klientelfuersten von den benachbarten Reichstatthaltern ueberhaupt. Wenige Jahre spaeter begegnen wir seinem Sohn ^90 Septimios Odaenathos in der gleichen, ja im Rang noch gesteigerten erbfuerstlichen Stellung ^91. ----------------------------------------------- ^88 Zum Beispiel Archon, Grammateus, Proedros, Syndikos, Dekaprotoi. ^89 Dies lehrt die Inschrift von Palmyra CIG 4491, 4492 = Waddington 2600 = Vogue 22, diesem Hairanes im Jahre 251 gesetzt von einem Soldaten der in Arabien stehenden Legion. Sein Titel ist griechisch o lamprotatos synkl/e/tikos exarchos (= princeps) Palmyr/e/n/o/n, palmyrenisch "erlauchter Senator, Haupt von Thadmor". Die Grabschrift (CIG 4507 = Waddington 2621 = Vogue 21) des Vaters des Hairanes, Septimios Odaenathos, Sohnes des Hairanes, Enkels des Vaballathos, Urenkels des Nassoros, gibt auch ihm schon senatorischen Rang. ^90 Allerdings wird der Vater dieses Odaenathos nirgends genannt; aber es ist so gut wie sicher, dass er der Sohn des eben genannten Hairanes ist und den Namen von seinem Grossvater fuehrt. Auch Zosimus (hist. 1, 39) nennt ihn einen von den Vorfahren her von der Regierung ausgezeichneten Palmyrener (andra Palmyr/e/non kai ek progon/o/n t/e/s para t/o/n basile/o/n axi/o/thenta tim/e/s). ^91 In der Inschrift Waddington 2603 = Vogue 23, die die Zunft der Goldund Silberarbeiter von Palmyra im Jahre 257 dem Odaenathos setzt, heisst es o lamprotatos ypatikos, also vir consularis, und griechisch despot/e/s, syrisch mbran. Die erstere Bezeichnung ist kein Amtstitel, sondern eine Angabe der Rangklasse; so steht vir consularis nicht selten hinter dem Namen ganz wie vir clarissimus (CIL X., p. 1117 und sonst) und findet sich o lamprotatos ypatikos neben und vor verschiedenartigen Amtstiteln, zum Beispiel dem des Prokonsuls von Afrika (CIG 2979 wo lamprotatos fehlt), des kaiserlichen Legaten von Pontus und Bithynien (CIG 3747 3748, 3771) und von Palaestina (CIG 4151), des Statthalters von Lykien und Pamphylien (CIG 4272); erst in nachkonstantinischer Zeit wird es mit dem Namen der Provinz verbunden als Amtstitel verwendet (z. B. CIG 2596, 4266 e). Hieraus ist also fuer die Rechtsstellung des Odaenathos nichts zu entnehmen. Ebenso darf in der syrischen Bezeichnung des Herrn nicht gerade der Herrscher gefunden werden; sie wird auch einem Prokurator gegeben (Waddington 2606 = Vogue 25). ----------------------------------------------- Nicht minder bildete Palmyra einen abgeschlossenen Zollbezirk, in welchem die Zoelle nicht von Staats-, sondern von Gemeindewegen verpachtet wurden ^92. ----------------------------------------------- ^92 Syrien bildete in der Kaiserzeit ein eigenes Reichszollgebiet und es ward der Reichszoll nicht bloss an der Kueste, sondern auch an der Euphratgrenze, insonderheit bei Zeugma erhoben. Daraus folgt mit Notwendigkeit, dass auch weiter suedwaerts, wo der Euphrat nicht mehr in roemischer Gewalt war, an der roemischen Ostgrenze aehnliche Zoelle eingerichtet waren. Nun hat ein Beschluss des Rats von Palmyra vom Jahre 137 gelehrt, dass die Stadt und ihr Gebiet einen eigenen Zollbezirk bildeten und von allen einoder ausgehenden Waren zu Gunsten der Stadt der Zoll erhoben ward. Dass dies Gebiet ausserhalb des Reichszolles stand, ist wahrscheinlich, einmal weil, wenn eine das palmyrenische Gebiet einschliessende Reichszollinie bestanden haette, deren Erwaehnung in jener ausfuehrlichen Verfuegung nicht wohl fehlen koennte: zweitens weil eine von den Reichszollinien eingeschlossene Gemeinde des Reiches schwerlich das Recht gehabt hat, an ihrer Gebietsgrenze in diesem Umfang Zoelle zu erheben. Man wird also in der Zollerhebung der Gemeinde Palmyra dieselbe Sonderstellung zu erkennen haben, welche ihr in militaerischer Hinsicht beigelegt werden muss. Vielleicht ist ihr dagegen zu Gunsten der Reichskasse eine Auflage gemacht worden, etwa die Ablieferung einer Quote des Zollertrages oder auch ein erhoehter Tribut. Aehnliche Einrichtungen wie fuer Palmyra moegen auch fuer Bostra und Petra bestanden haben; denn zollfrei sind die Waren sicher auch hier nicht eingegangen und nach Plin. nat. 12, 14, 65 scheint von dem arabischen, ueber Gaza ausgehenden Weihrauch Reichszoll nur in Gaza an der Kueste erhoben zu sein. Die Traegheit der roemischen Verwaltung ist staerker als die Fiskalitaet; sie mag die unbequemen Landgrenzzoelle oefter von sich auf die Gemeinden abgewaelzt haben. --------------------------------------------------- Die Bedeutung Palmyras ruht auf dem Karawanenverkehr. Die Haeupter der Karawanen (synodiarchai), welche von Palmyra nach den grossen Entrepots am Euphrat gingen, nach Vologasias, der schon erwaehnten parthischen Gruendung unweit der Staette des alten Babylon, und nach Forath oder Charax Spasinu, Zwillingsstaedten an der Muendung nahe am Persischen Meerbusen, erscheinen in den Inschriften als die angesehensten Stadtbuerger ^93 und bekleiden nicht bloss die Aemter ihrer Heimat, sondern zum Teil Reichsaemter; auch die Grosshaendler (archemporoi) und die Zunft der Goldund Silberarbeiter zeugen von der Bedeutung der Stadt fuer den Handel und die Fabrikation, nicht minder fuer ihren Wohlstand die noch heute stehenden Tempel der Stadt und die langen Saeulenreihen der staedtischen Hallen so wie die massenhaften reich verzierten Grabmaeler. Dem Feldbau ist das Klima wenig guenstig - der Ort liegt nahe an der Nordgrenze der Dattelpalme und fuehrt nicht von dieser seinen griechischen Namen; aber es finden sich in der Umgegend die Reste grosser unterirdischer Wasserleitungen und ungeheurer, kuenstlich aus Quadern angelegter Wasserreservoirs, mit deren Hilfe der jetzt aller Vegetation bare Boden einst eine reiche Kultur kuenstlich entwickelt haben muss. Dieser Reichtum und diese auch in der Roemerherrschaft nicht ganz beseitigte nationale Eigenart und administrative Selbstaendigkeit erklaeren einigermassen Palmyras Rolle um die Mitte des dritten Jahrhunderts in der grossen Krise, zu deren Darlegung wir jetzt uns zurueckwenden. ---------------------------------------------- ^93 Diese Karawanen (synodiai) erscheinen auf den palmyrenischen Inschriften als feste Genossenschaften, die dieselben Fahrten ohne Zweifel in bestimmten Intervallen unter ihrem Vormann (synodiarch/e/s, Waddington 2589, 2590, 2596) unternehmen; so setzen einem solchen eine Bildsaeule "die mit ihm nach Vologesias hinab gegangenen Kaufleute" (oi s?n ayt/o/ katelthontes eis Ologesiada enporoi, Waddington 2599 vom Jahre 247) oder "herauf von Forath (vgl. Plin. nat. 6, 28, 145) und Vologasias" (oi synanabantes met’ ayto? emporoi apo PHorathoy ke Ologasiados, Waddington 2589 vom Jahre 142) oder "herauf von Spasinu Charax" (oi s?n ayt/o/ anabantes apo Stasinoy CHarakos, Waddington 2596 vom Jahre 193; aehnlich 2590 vom Jahre 155). Alle diese Fuehrer sind vornehme, mit Ahnenreihen ausgestattete Maenner; ihre Ehrendenkmaeler stehen in der grossen Kolonnade neben denen der Koenigin Zenobia und ihrer Familie. Besonders merkwuerdig ist einer derselben, Septimius Vorodes, von dem es eine Reihe von Ehrenbasen aus den Jahren 2b2-267 gibt (Waddington 2606-2610); auch er war Karawanenhaupt (anakomisanta t/e/s synodias ek t/o/n idi/o/n kai marthyr/e/thenta ypo t/o/n archempor/o/n, Waddington 2606 a; also bestritt er die Kosten der Rueckreise fuer die ganze Begleitung und wurde wegen dieser Freigebigkeit von den Grosshaendlern oeffentlich belobt). Aber er bekleidete auch nicht bloss die staedtischen Aemter des Strategen und Agoranomen, sondern war sogar kaiserlicher Prokurator zweiter Klasse (ducenarius) und Argapetes (Anm. 102). ---------------------------------------------- Nachdem Kaiser Decius im Jahre 251 gegen die Goten in Europa gefallen war, ueberliess die Regierung des Reiches, wenn es ueberhaupt damals ein Reich und eine Regierung noch gab, den Osten voellig seinem Schicksal. Waehrend die Piraten vom Schwarzen Meer her weit und breit die Kuesten und selbst das Binnenland verheerten, ging auch der Perserkoenig Sapor wieder angriffsweise vor. Wenn sein Vater sich damit begnuegt hatte, sich den Herrn von Iran zu nennen, so hat er zuerst wie nach ihm die folgenden Herrscher sich bezeichnet als den Grosskoenig von Iran und Nicht-Iran und damit gleichsam das Programm seiner Eroberungspolitik hingestellt. Im Jahre 252 oder 253 besetzte er Armenien, oder es unterwarf sich ihm freiwillig, ohne Zweifel mitergriffen von jenem Aufflammen des alten Perserglaubens und Perserwesens; der rechtmaessige Koenig Tiridates suchte Zuflucht bei den Roemern, die uebrigen Glieder des koeniglichen Hauses stellten sich unter die Fahnen des Persers ^94. Nachdem also Armenien persisch geworden war, ueberschwemmten die Scharen der Orientalen Mesopotamien, Syrien und Kappadokien; sie verwuesteten weit und breit das platte Land, aber die Bewohner der groesseren Staedte wiesen den Angriff der auf Belagerung wenig eingerichteten Feinde ab, voran die tapferen Edessener. Im Okzident war inzwischen wenigstens eine anerkannte Regierung hergestellt worden. Der Kaiser Publius Licinius Valerianus, ein rechtschaffener und wohlgesinnter Herrscher, aber kein entschlossener und schwierigen Verhaeltnissen gewachsener Charakter, erschien endlich im Osten und begab sich nach Antiocheia. Von da aus ging er nach Kappadokien, das die persischen Streif scharen raeumten. Aber die Pest dezimierte sein Heer, und er zoegerte lange, den entscheidenden Kampf in Mesopotamien aufzunehmen. Endlich entschloss er sich, dem schwer bedraengten Edessa Hilfe zu bringen, und ueberschritt mit seinen Scharen den Euphrat. Hier, unweit Edessa, trat die Katastrophe ein, welche fuer den roemischen Orient ungefaehr das zu bedeuten hat, was fuer den Okzident der Sieg der Goten an der Donaumuendung und der Fall des Decius: die Gefangennahme des Kaisers Valerianus durch die Perser (Ende 259 oder Anfang 260) ^95. Ueber die naeheren Umstaende gehen die Berichte auseinander. Nach der einen Version wurde er, als er mit einer schwachen Schar versuchte, nach Edessa zu gelangen, von den weit ueberlegenen Persern umzingelt und gefangen. Nach einer andern gelangte er, wenn auch geschlagen, in die belagerte Stadt, fuerchtete aber, da er keine ausreichende Hilfe brachte und die Lebensmittel nur um so rascher zu Ende gingen, den Ausbruch einer Militaerinsurrektion und lieferte sich darum freiwillig dem Feind in die Haende. Nach einer dritten knuepfte er, aufs aeusserste bedraengt, Verhandlungen wegen der Uebergabe Edessas mit Sapor an; da der Perserkoenig es ablehnte, mit Gesandten zu verhandeln, erschien er persoenlich im feindlichen Lager und ward wortbruechigerweise zum Gefangenen gemacht. --------------------------------------------- ^94 Nach dem griechischen Bericht (Zon. 12, 21) fluechtet Koenig Tiridates zu den Roemern, seine Soehne aber treten auf die Seite der Perser; nach dem armenischen wird Koenig Chosroes von seinen Bruedern ermordet und des Chosroes Sohn Tiridates zu den Roemern gefluechtet (Gutschmid ZDMG 31, 1877, S. 48). Vielleicht ist der letztere vorzuziehen. ^95 Den einzigen festen chronologischen Anhalt geben die alexandrinischen Muenzen, nach welchen Valerianus zwischen 29. August 259 und 28. August 260 gefangen ward. Dass er nach seiner Gefangennahme nicht mehr als Kaiser galt, erklaert sich, da die Perser ihn zwangen, seinen ehemaligen Untertanen Befehle in ihrem Interesse zu erteilen (Dio Forts. fr. 3). --------------------------------------------- Welche immer von diesen Erzaehlungen der Wahrheit am naechsten kommen mag, der Kaiser ist in feindlicher Gefangenschaft gestorben ^96, und die Folge dieser Katastrophe war der Verlust des Orients an die Perser. Vor allem Antiocheia, die groesste und reichste Stadt des Ostens, geriet zum ersten Mal, seit sie roemisch war, in die Gewalt des Landesfeindes, und zum guten Teil durch die Schuld der eigenen Buerger. Ein vornehmer Antiochener, Mareades, den wegen unterschlagener oeffentlicher Gelder der Rat ausgestossen hatte, fuehrte die persische Armee nach seiner Vaterstadt; mag es auch Fabel sein, dass die Buergerschaft im Theater selbst von den anrueckenden Feinden ueberrascht ward, daran ist kein Zweifel, dass sie nicht bloss keinen Widerstand leistete, sondern ein grosser Teil der niederen Bevoelkerung, teils mit Ruecksicht auf Mareades, teils in der Hoffnung auf Anarchie und Raub, das Eindringen der Perser gern sah. So wurde die Stadt mit allen ihren Schaetzen die Beute des Feindes und entsetzlich in derselben gehaust, freilich auch Mareades, wir wissen nicht warum, von Koenig Sapor zum Feuertode verurteilt ^97. Das gleiche Schicksal erlitten ausser zahllosen kleineren Ortschaften die Hauptstaedte von Kilikien und Kappadokien, Tarsos und Caesarea, letztere angeblich eine Stadt von 400000 Einwohnern. Die endlosen Zuege der Gefangenen, die wie das Vieh einmal am Tage zur Traenke gefuehrt wurden, bedeckten die Wuestenstrassen des Ostens. Auf der Heimkehr sollen die Perser, um eine Schlucht rascher zu ueberschreiten, sie mit den Leibern der mitgefuehrten Gefangenen ausgefuellt haben. Glaublicher ist es, dass der grosse "Kaiserdamm" (Bend-i-Kaiser) bei Sostra (Schuschter) in Susiana, durch welchen noch heute das Wasser des Pasitigris den hoeher gelegenen Gegenden zugefuehrt wird, von diesen Gefangenen gebaut ward; wie ja auch Kaiser Neros Architekten die Hauptstadt von Armenien bauen geholfen und ueberhaupt auf diesem Gebiet die Okzidentalen stets ihre Ueberlegenheit behauptet haben. Auf eine Gegenwehr des Reiches stiessen die Perser nirgends; aber Edessa hielt sich noch immer, und auch Caesarea hatte sich tapfer verteidigt und war nur durch Verrat gefallen. Die oertliche Gegenwehr ging allmaehlich hinaus ueber die Abwehr hinter den staedtischen Waellen, und die durch die weite Ausdehnung des eroberten Gebiets herbeigefuehrte Aufloesung der persischen Haufen war dem kuehnen Parteigaenger guenstig. Einem selbstbestellten roemischen Fuehrer, Kallistos ^98, gelang ein gluecklicher Handstreich: mit den Schiffen, die er in den kilikischen Haefen zusammengebracht hatte, fuhr er nach Pompeiopolis, das die Perser eben belagerten, waehrend sie gleichzeitig Lykaonien brandschatzten, erschlug mehrere Tausend Mann und bemaechtigte sich des koeniglichen Harems. Dies bestimmte den Koenig, unter dem Vorwand einer nicht aufzuschiebenden Festfeier, sofort nach Hause zu gehen, in solcher Eile, dass er, um nicht aufgehalten zu werden, von den Edessenern freien Durchzug durch ihr Gebiet gegen alles von ihm erbeutete roemische Goldgeld erkaufte. Den von Antiocheia heimkehrenden Scharen brachte der Fuerst von Palmyra, Odaenathos, bevor sie den Euphrat ueberschritten, empfindliche Verluste bei. Aber kaum war die dringendste Persergefahr beseitigt, als unter den sich selbst ueberlassenen Heerfuehrern des Ostens zwei der namhaftesten, der die Kasse und das Depot der Armee in Samosata verwaltende Offizier Fulvius Macrianus ^99 und der oben genannte Kallistos, dem Sohne und Mitregenten und jetzt alleinigen Herrscher Gallienus, fuer den freilich der Osten und die Perser nicht da waren, den Gehorsam aufkuendigten und, selbst die Annahme des Purpurs verweigernd, die beiden Soehne des ersteren Fulvius Macrianus und Fulvius Quietus zu Kaisern ausriefen (261). Dies Auftreten der beiden angesehenen Feldherrn bewirkte, dass in Aegypten und im ganzen Osten, mit Ausnahme von Palmyra, dessen Fuerst fuer Gallienus eintrat, die beiden jungen Kaiser zur Anerkennung gelangten. Der eine von ihnen, Macrianus, ging mit seinem Vater nach dem Westen ab, um auch hier dies neue Regiment einzusetzen. Aber bald wandte sich das Glueck: in Illyricum verlor Macrianus, nicht gegen Gallienus, sondern gegen einen anderen Praetendenten, Schlacht und Leben. Gegen den in Syrien zurueckgebliebenen Bruder wandte sich Odaenathos; bei Hemesa, wo die Heere aufeinandertrafen, antworteten die Soldaten des Quietus auf die Aufforderung, sich zu ergeben, dass sie alles eher ueber sich ergehen lassen wuerden, als einem Barbaren sich in die Haende zu liefern. Nichtsdestoweniger verriet der Feldherr des Quietus, Kallistos, seinen Herrn an den Palmyrener ^100, und also endete auch dessen kurzes Regiment. ----------------------------------------------------- ^96 Die besseren Berichte wissen nur davon, dass Valerianus in persischer Gefangenschaft starb. Dass Sapor ihn beim Besteigen des Pferdes als Schemel benutzte (Lact. mort. pers. 5; Oros. hist. 7, 22, 4; Aur. Vict. epit. 33) und schliesslich ihn schinden liess (Lact. a.a.O.; Agathias 4, 23; Cedrenus p. 454), ist eine christliche Erfindung, die Vergeltung fuer die von Valerian angeordnete Christenverfolgung. ^97 Die Tradition, wonach Mareades (so Amm. 23, 5, 3; Mariades Malalas 12 p. 295; Mariadnes Forts. des Dio fr. 1) oder, wie er hier heisst, Cyriades sich zum Augustus ausrufen liess (vit. trig. tyr. 1), ist schwach beglaubigt; sonst koennte darin wohl die Veranlassung gefunden werden, weshalb Sapor ihn hinrichten liess. ^98 Kallistos heisst er in der einen wohl auf Dexippus zurueckgehenden Ueberlieferung bei Synkellos p. 716 und Zon. 12, 23, dagegen Ballista in den Kaiserbiographien und bei Zon. 12, 24. ^99 Er war nach dem zuverlaessigsten Bericht procurator summarum (epi t/o/n katholoy log/o/n basile/o/s: Dionysios bei Eus. 7, 10, 5), also Finanzminister mit Ritterrang; der Fortsetzer des Dio (fr. 3 Muell.) drueckt dies in der Sprache der spaeteren Zeit aus mit kom/e/s t/o/n th/e/sayr/o/n kai ephest/o/s t/e/ agora to? sitoy. ^100 Wenigstens nach dem Bericht, der den Kaiserbiographien zu Grunde liegt (vita Gallieni 3 und sonst). Nach Zon. 12, 24, dem einzigen Schriftsteller, der ausserdem das Ende des Kallistos erwaehnt, liess Odaenathos denselben toeten. ----------------------------------------------------- Damit tritt Palmyra im Orient an den ersten Platz. Gallienus, durch die Barbaren des Westens und die ueberall dort ausbrechenden Militaerinsurrektionen mehr als ausreichend beschaeftigt, gab dem Fuersten von Palmyra, der in der eben erzaehlten Krise allein ihm die Treue bewahrt hatte, eine beispiellose, indes unter den obwaltenden Umstaenden wohl erklaerliche Ausnahmestellung: er wurde als Erbfuerst oder, wie er jetzt heisst, Koenig von Palmyra zugleich zwar nicht Mitherrscher, aber selbstaendiger Statthalter des Kaisers fuer den Osten ^101. Die oertliche Verwaltung von Palmyra fuehrte unter ihm ein anderer Palmyrener, zugleich als kaiserlicher Prokurator und als sein Stellvertreter ^102. Somit lag die gesamte Reichsgewalt, soweit sie ueberhaupt im Osten noch bestand, in der Hand des "Barbaren", und so rasch wie glaenzend stellte dieser mit seinen Palmyrenern, welche durch die Truemmer der roemischen Heerkoerper und das Aufgebot des Landes verstaerkt wurden, die Herrschaft Roms wieder her. Asien und Syrien waren schon vom Feinde geraeumt. Odaenathos ging ueber den Euphrat, machte endlich den tapferen Edessenern Luft und nahm den Persern die eroberten Staedte Nisibis und Karrhae wieder ab (264). Wahrscheinlich ist auch Armenien damals wieder unter roemische Botmaessigkeit zurueckgebracht worden ^103. Sodann ergriff er, zuerst wieder seit Gordianus, die Offensive gegen die Perser und marschierte auf Ktesiphon. In zwei verschiedenen Feldzuegen wurde die Hauptstadt des Persischen Reiches von ihm umstellt und die Umgegend verheert, mit den Persern unter den Mauern derselben gluecklich gefochten ^104. Selbst die Goten, deren Raubzuege bis in das Binnenland sich erstreckten, wichen zurueck, als er nach Kappadokien aufbrach. Eine Machtentwicklung dieser Art war ein Segen fuer das bedraengte Reich und zugleich eine ernste Gefahr. Odaenathos beobachtete freilich gegen den roemischen Oberherrn alle schuldigen Formen und sandte die gefangenen feindlichen Offiziere und die Beutestuecke nach Rom an den Kaiser, der es nicht verschmaehte, daraufhin zu triumphieren; aber in der Tat war der Orient unter Odaenathos nicht viel weniger selbstaendig als der Westen unter Postumus, und es begreift sich, dass die roemisch gesinnten Offiziere dem palmyrenischen Vizekaiser Opposition machten ^105 und einerseits die Rede ist von Versuchen des Odaenathos, sich den Persern anzuschliessen, die nur an Sapors Uebermut gescheitert sein sollen ^106, andererseits Odaenathos’ Ermordung in Hemesa im Jahre 266/67 auf Anstiften der roemischen Regierung zurueckgefuehrt ward ^107. Indes der eigentliche Moerder war ein Brudersohn des Odaenathos und Beweise fuer die Beteiligung der Regierung liegen nicht vor. Auf jeden Fall aenderte das Verbrechen in der Lage der Dinge nichts. Die Gattin des Verstorbenen, die Koenigin Bat Zabbai oder griechisch Zenobia, eine schoene und kluge Frau von maennlicher Tatkraft ^108, nahm kraft des erblichen Fuerstenrechts fuer ihren und Odaenathos’ noch im Knabenalter stehenden Sohn Vaballathos oder Athenodoros ^109 - der aeltere, Herodes, war mit dem Vater umgekommen - die Stellung des Verstorbenen in Anspruch und drang in der Tat damit sowohl in Rom wie im Orient durch; die Regierungsjahre des Sohnes werden gezaehlt vom Tode des Vaters. Fuer den nicht regierungsfaehigen Sohn trat die Mutter in Rat und Tat ein ^110, und sie beschraenkte sich auch nicht darauf, den Besitzstand zu wahren, sondern ihr Mut oder ihr Uebermut strebten nach der Herrschaft ueber das gesamte Reichsgebiet griechischer Zunge. In dem Kommando ueber den Orient, welches dem Odaenathos uebertragen und von ihm auf seinen Sohn vererbt war, mag wohl dem Rechte nach die Obergewalt ueber Kleinasien und Aegypten mitbegriffen gewesen sein; aber tatsaechlich hatte Odaenathos nur Syrien und Arabien und etwa noch Armenien, Kilikien, Kappadokien in der Gewalt gehabt. Jetzt forderte ein einflussreicher Aegypter, Timagenes, die Koenigin auf, Aegypten zu besetzen; dem entsprechend entsandte sie ihren Oberfeldherrn Zabdas mit einem Heer, angeblich 70000 Mann, an den Nil. Das Land widersetzte sich energisch; aber die Palmyrener schlugen das aegyptische Aufgebot und bemaechtigten sich Aegyptens. Ein roemischer Admiral, Probus, versuchte sie wieder zu vertreiben und ueberwand sie auch, so dass sie nach Syrien aufbrachen; aber als er ihnen bei dem aegyptischen Babylon unweit Memphis den Weg zu verlegen suchte, wurde er durch die bessere Ortskunde des palmyrenischen Feldherrn Timagenes geschlagen und gab sich selber den Tod ^111. Als um die Mitte des Jahres 270 nach Kaiser Claudius’ Tode Aurelianus an seine Stelle trat, geboten die Palmyrener ueber Alexandreia. Auch in Kleinasien machten sie Anstalt, sich festzusetzen; ihre Besatzungen waren bis nach Ankyra in Galatien vorgeschoben und selbst in Kalchedon, Byzanz gegenueber; hatten sie versucht, die Herrschaft ihrer Koenigin zur Geltung zu bringen. Alles dies geschah, ohne dass die Palmyrener der roemischen Regierung absagten, ja wahrscheinlich in der Weise, dass das von der roemischen Regierung dem Fuersten von Palmyra uebertragene Regiment des Ostens auf diese Weise verwirklicht ward und man die roemischen Offiziere, die sich der Ausdehnung der palmyrenischen Herrschaft widersetzten, der Auflehnung gegen die kaiserlichen Anordnungen zieh; die in Alexandreia geschlagenen Muenzen nennen Aurelianus und Vaballathos nebeneinander und geben nur dem ersteren den Augustustitel. Der Sache nach loeste freilich hier der Osten sich vom Reiche ab, und in Ausfuehrung einer dem elenden Gallienus durch die Not abgezwungenen Anordnung wurde dasselbe gehaelftet. ---------------------------------------------- ^101 Dass Odaenathos so wie nach ihm sein Sohn Vaballathos (abgesehen natuerlich von der Zeit nach dem Bruche mit Aurelianus) keineswegs Augusti waren (wie die vita Gallieni 12 faelschlich angibt), zeigt sowohl das Fehlen des Augustusnamens auf den Muenzen wie auch der nur fuer einen Untertan moegliche Titel v(ir) c(onsularis) = y(patikos), den wie der Vater (Anm. 91) so auch der Sohn noch fuehrt. Die Statthalterstellung wird auf den Muenzen des Sohnes mit im(perator) d(ux) R(omanorum) = ayt(okrat/o/r) s(trat/e/gos) bezeichnet; uebereinstimmend damit sagen Zonaras (12, 23 und abermals 12, 24) und Synkellos (p. 716), dass Gallienus den Odaenathos wegen eines Sieges ueber die Perser und den Ballista zum strat/e/gos t/e/s e/o/as oder pas/e/s anatol/e/s; bestellte; der Biograph des Gallienus c. 10, dass er obtinuit totius Orientis imperium. Damit werden alle asiatischen Provinzen und Aegypten gemeint sein das hinzugefuegte imperator = aytokrat/o/r (vgl. vit. trig. tyr. 15, 6; post reditum de Perside - Herodes des Odaenathos Sohn - cum patre imperator est appellatus) soll ohne Zweifel die von der gewoehnlichen statthalterlichen verschiedene, freiere Handhabung der Gewalt ausdruecken. Dazu tritt weiter der jetzt foermlich angenommene Titel seines Koenigs von Palmyra (trig. tyr.15, 2: adsumpto nomine regali), welchen auch der Sohn nicht auf den aegyptischen, aber wohl auf den syrischen Muenzen fuehrt. Dass Odaenathos in einer im August 271, also nach seinem Tode und waehrend des Krieges der Seinigen mit Aurelian gesetzten Inschrift wahrscheinlich melekh malke, "Koenig der Koenige" heisst (Vogue 28), gehoert zu den revolutionaeren Demonstrationen dieses Zeitraumes und macht fuer die fruehere Zeit keinen Beweis. ^102 Die zahlreichen Inschriften des Septimius Vorodes, gesetzt in den Jahren 262 bis 267 (Waddington 2606-2610), also bei Lebzeiten Odaenaths, bezeichnen ihn saemtlich als kaiserlichen Prokurator zweiter Klasse (ducenarius), daneben aber teils mit dem Titel argapet/e/s, welches persische, aber auch bei den Juden gangbare Wort "Burgherr", "Vizekoenig" bedeutet (Levy, ZDMG 18, 1864, S. 90; Noeldeke, das. 24, 1869, S. 107), teils als dikaiodot/e/s t/e/s m/e/tropol/o/nias, was ohne Zweifel, wenn nicht sprachlich, so doch sachlich dasselbe Amt ist. Vermutlich ist darunter dasjenige zu verstehen, weshalb Odaenaths Vater das "Haupt von Thadmor" heisst (Anm. 89): der fuer das Kriegsrecht wie fuer die Rechtspflege kompetente Einzelvorsteher von Palmyra; nur dass, seit der erweiterten Stellung Odaenaths, dieser Posten als Unteramt von einem Manne ritterlichen Ranges bekleidet wird. Der Vermutung Sachaus (ZDMG 35, 1881, S. 738), dass dieser Vorodes der "Wurud" einer Kupfermuenze aus hiesigen Kabinetts und beide mit dem zugleich mit dem Vater umgebrachten aelteren Sohn des Odaenathos Herodes identisch seien, stehen ernstliche Bedenken entgegen. Herodes und Orodes sind verschiedene Namen (in der palmyrenischen Inschrift Waddington 2610 stehen beide nebeneinander); der Sohn eines Senators kann nicht fueglich ein Ritteramt bekleiden; ein mit seinem Bildnis muenzender Prokurator ist selbst fuer diese exzeptionellen Verhaeltnisse nicht denkbar. Wahrscheinlich ist die Muenze ueberhaupt nicht palmyrenisch. "Sie ist", schreibt mir v. Sallet, "wahrscheinlich aelter als Odaenathos und gehoert wohl einem Arsakiden des 2. Jahrhunderts n. Chr.; sie zeigt einen Kopf mit einem dem sassanidischen aehnlichen Kopfputz; die Rueckseite, S C im Lorbeerkranz, scheint den Muenzen von Antiocheia nachgeahmt." Wenn spaeter, nach dem Bruch mit Rom im Jahre 271, in einer Inschrift von Palmyra (Waddington 2611) zwei Feldherren der Palmyrener unterschieden werden, o megas strat/e/lat/e/s, der auch geschichtlich bekannte Zabdas, und o enthade strat/e/lat/e/s Zabbaeos, so ist der letztere vermutlich eben der Argapetes. ^103 Dafuer spricht die Sachlage; Zeugnisse fehlen. In den Kaiserbiographien dieser Epoche pflegen die Armenier unter den von Rom unabhaengigen Grenzvoelkern aufgefuehrt zu werden (Val. Max. 6; vit. trig. tyr. 30, 7, 18; Aur. Vict. 11, 27, 28, 41); aber dies gehoert zu ihren voellig unzuverlaessigen, dekorativen Bestandteilen. ^104 Dieser bescheidenere Bericht (Eutr. 9, 10; vita Gall. 10; vit. trig. tyr. 15, 4; Zos. hist. 1, 39, der allein die zweimalige Expedition bezeugt) wird dem, der die Einnahme der Stadt meldet (Synkellos p. 716), vorgehen muessen. ^105 Dies zeigen die Erzaehlungen ueber den Carinus (Dios Forts. p. 8) und ueber den Rufinus (Anm. 107). Dass nach Odaenathos’ Tode ein auf Gallienus’ Geheiss gegen die Perser agierender Feldherr, Heraclianus von Zenobia, angegriffen und ueberwunden ward (vita Gall. 13, 5), ist an sich nicht unmoeglich, da ja die Fuersten von Palmyra das Oberkommando im ganzen Osten von Rechts wegen besassen und eine solche Aktion, auch wenn sie von Gallienus veranlasst war, behandelt werden konnte als dagegen verstossend, und es wuerde dies das gespannte Verhaeltnis deutlich bezeichnen; aber der Gewaehrsmann ist so schlecht, dass darauf wenig zu geben ist. ^106 Das lehrt die charakteristische Erzaehlung des Petrus fr. 10, welches vor fr. 11 zu stellen ist. ^107 Die Erzaehlung des Fortsetzers des Dio fr. 7, dass der alte Odaenathos als des Hochverrats verdaechtig von einem (sonst nicht erwaehnten) Rufinus getoetet und der juengere, als er diesen bei dem Kaiser Gallienus verklagt habe, auf die Erklaerung des Rufinus, dass der Klaeger das gleiche Schicksal verdiene, abgewiesen sei, kann so, wie sie liegt, nicht richtig sein. Aber Waddingtons Vorschlag, dem Gallienus den Gallus zu substituieren und in dem Klaeger den Gatten Zenobias zu erkennen, ist nicht statthaft, da der Vater dieses Odaenathos Hairanes war, bei diesem fuer eine derartige Exekution gar kein Grund vorliegt und das Exzerpt in seiner ganzen Beschaffenheit unzweifelhaft auf Gallienus geht. Vielmehr wird der alte Odaenathos der Gemahl der Zenobia sein und der Schriftsteller dem Vaballathos, auf dessen Namen geklagt ward, irrig den Vaternamen beigelegt haben. ^108 Alle Einzelheiten, die in unseren Erzaehlungen ueber die Zenobia umlaufen, stammen aus den Kaiserbiographien; und wiederholen wird sie nur, wer diese Quelle nicht kennt. ^109 Den Namen Vaballathos geben, ausser den Muenzen und den Inschriften, Pol. Silv. chron. p. 243 meiner Ausgabe und der Biograph des Aurelianus c. 38, indem er die Angabe, dass Odaenathos zwei Soehne, Timolaus und Herennianus, hinterlassen habe, als unrichtig bezeichnet. In der Tat scheinen diese beiden, lediglich in den Kaiserbiographien auftretenden Personen nebst allem, was daran haengt, von dem Skribenten erfunden, auf den die Durchfaelschung dieser Biographien zurueckgeht. Auch Zosimus (hist. 1, 59) weiss nur von einem mit der Mutter in Gefangenschaft geratenen Sohn. ^110 Ob Zenobia fuer sich die formelle Mitregierung in Anspruch genommen hat, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. In Palmyra nennt sie sich selbst noch nach dem Bruch mit Rom bloss basiliss/e/ (Waddington 2611, 2628). Im uebrigen Reich mag sie den Titel Augusta, Sebast/e/ in Anspruch genommen haben; denn wenn auch Muenzen der Zenobia aus der Zeit vor dem Bruch mit Rom fehlen, so kann doch einerseits die alexandrinische Inschrift mit basiliss/e/s kai basile/o/s prostaxant/o/n (Eph. epigr. IV, p. 25 n. 33) keinen Anspruch machen auf offizielle Redaktion und gibt andrerseits die Inschrift von Byblos CIG 4503 b = Waddington zu 2611 in der Tat der Zenobia den Titel Sebast/e/ neben Claudius oder Aurelian, waehrend sie denselben dem Vaballathos versagt. Dies ist auch insofern begreiflich, als Augusta eine Ehren-, Augustus eine Amtsbezeichnung ist, also dem Weibe wohl eingeraeumt werden konnte, was man dem Mann versagte. ^111 So erzaehlt Zosimus (hist. 1, 44) den Hergang, mit dem Zonaras (12, 27) und Synkellos (p. 721) im wesentlichen stimmen. Der Bericht im Leben des Claudius c. 11 ist mehr verschoben als eigentlich widersprechend; die erste Haelfte ist nur durch die Nennung des Saba angedeutet; die Erzaehlung beginnt mit dem erfolgreichen Versuch des Timagenes, den Angriff des Probus (hier Probatus) abzuwehren. Was ich darueber bei A. v. Sallet (Die Fuersten von Palmyra, Berlin 1866, S. 44) aufgestellt habe, ist nicht haltbar. ---------------------------------------------- Der kraeftige und umsichtige Kaiser, dem jetzt die Herrschaft zugefallen war, brach sofort mit der palmyrenischen Nebenregierung, was dann zur Folge haben musste und hatte, dass Vaballathos von den Seinen selber zum Kaiser ausgerufen ward. Aegypten wurde schon im Ausgang des Jahres 270 durch den tapferen Feldherrn Probus, den spaeteren Nachfolger Aurelians, nach harten Kaempfen wieder zum Reiche gebracht ^112. Freilich zahlte diesen Sieg die zweite Stadt des Reiches Alexandreia fast mit ihrer Existenz, wie dies in einem folgenden Abschnitt dargelegt werden soll. Schwieriger war die Bezwingung der entlegenen syrischen Oase. Alle anderen orientalischen Kriege der Kaiserzeit sind hauptsaechlich von dort heimischen Reichstruppen gefuehrt worden; hier, wo der Okzident den abgefallenen Osten abermals zu unterwerfen hatte, schlugen wieder einmal, wie in der Zeit der freien Republik, Okzidentalen gegen Orientalen ^113, die Soldaten vom Rhein und der Donau mit denen der syrischen Wueste. Gegen den Ausgang des Jahres 271, wie es scheint, begann die gewaltige Expedition. Ohne auf Gegenwehr zu treffen, gelangte das roemische Heer bis an die Grenze von Kappadokien; hier leistete die Stadt Tyana, die die kilikischen Paesse sperrte, ernstlichen Widerstand. Nachdem sie gefallen war und Aurelian durch milde Behandlung der Bewohner sich den Weg zu weiteren Erfolgen geebnet hatte, ueberschritt er den Taurus und gelangte durch Kilikien nach Syrien. Wenn Zenobia, wie nicht zu bezweifeln ist, auf taetige Unterstuetzung von seiten des Perserkoenigs gerechnet hatte, so fand sie sich getaeuscht. Der hochbetagte Koenig Schapur griff nicht in diesen Krieg ein und die Herrscherin des roemischen Ostens blieb auf ihre eigenen Streitkraefte angewiesen, von denen vielleicht auch noch ein Teil auf die Seite des legitimen Augustus trat. In Antiocheia vertrat die palmyrenische Hauptmacht unter dem Feldherrn Zabdas dem Kaiser den Weg; auch Zenobia selbst war anwesend. Ein glueckliches Gefecht gegen die ueberlegene palmyrenische Reiterei am Orontes lieferte Aurelian die Stadt in die Haende, welche nicht minder wie Tyana volle Verzeihung empfing - gerechterweise erkannte er an, dass die Reichsuntertanen kaum eine Schuld traf, wenn sie dem von der roemischen Regierung selbst zum Oberkommandanten bestellten palmyrenischen Fuersten sich gefuegt hatten. Die Palmyrener zogen ab, nachdem sie bei der Vorstadt von Antiocheia, Daphne, ein Rueckzugsgefecht geliefert hatten, und schlugen die grosse Strasse ein, die von der Hauptstadt Syriens nach Hemesa und von da durch die Wueste nach Palmyra fuehrt. Aurelianus forderte die Koenigin auf, sich zu unterwerfen, hinweisend auf die namhaften in den Kaempfen am Orontes erlittenen Verluste. Es seien das ja nur Roemer, antwortete die Koenigin; noch gaben die Orientalen sich nicht ueberwunden. Bei Hemesa ^114 stellte sie sich zu der entscheidenden Schlacht. Sie war lang und blutig; die roemische Reiterei unterlag und loeste fluechtend sich auf; aber die Legionen entschieden und der Sieg blieb den Roemern. Schwieriger als der Kampf war der Marsch. Die Entfernung von Hemesa nach Palmyra betraegt in gerader Richtung 18 deutsche Meilen, und wenn auch in jener Epoche der hochgesteigerten syrischen Zivilisation die Gegend nicht in dem Grade wuest war wie heutzutage, so bleibt der Zug Aurelians dennoch eine bedeutende Leistung, zumal da die leichten Reiter des Feindes das roemische Heer auf allen Seiten umschwaermten. Indes Aurelian gelangte zum Ziel und begann die Belagerung der festen und wohl verproviantierten Stadt; schwieriger als diese selbst war die Herbeifuehrung der Lebensmittel fuer das belagernde Heer. Endlich sank der Fuerstin der Mut, und sie entwich aus der Stadt, um Hilfe bei den Persern zu suchen. Doch das Glueck stand dem Kaiser weiter bei. Die nachsetzenden roemischen Reiter nahmen sie mit ihrem Sohne gefangen, als sie eben am Euphrat angelangt das rettende Boot besteigen wollte, und die durch ihre Flucht entmutigte Stadt kapitulierte (272). Aurelianus gewaehrte auch hier wie in diesem ganzen Feldzug den unterworfenen Buergerschaften volle Verzeihung. Aber ueber die Koenigin und ihre Beamten und Offiziere erging ein strenges Strafgericht. Zenobia verschmaehte es nicht, nachdem sie mit maennlicher Tatkraft jahrelang die Herrschaft gefuehrt hatte, jetzt die Frauenprivilegien anzurufen und die Verantwortung auf ihre Berater zu werfen, von denen nicht wenige, unter ihnen der gefeierte Gelehrte Cassius Longinus, unter dem Henkerbeil endigten. Sie selbst durfte in dem Triumphzug des Kaisers nicht fehlen, und sie ging nicht den Weg Kleopatras, sondern zog in goldenen Ketten zur Schau der roemischen Menge vor dem Wagen des Siegers auf das roemische Kapitol. Aber bevor Aurelianus seinen Sieg feiern konnte, hatte er ihn zu wiederholen. Wenige Monate nach der Uebergabe erhoben sich die Palmyrener abermals, erschlugen die kleine dort garnisonierende roemische Besatzung und riefen einen gewissen Antiochos ^115 zum Herrscher aus, indem sie zugleich versuchten, den Statthalter von Mesopotamien, Marcellinus, zur Auflehnung zu bestimmen. Die Kunde erreichte den Kaiser, als er eben den Hellespont ueberschritten hatte. Er kehrte sofort um und stand, frueher als es Freund oder Feind geahnt hatte, abermals vor den Mauern der insurgierten Stadt. Die Empoerer waren darauf nicht gefasst gewesen; es gab diesmal keine Gegenwehr, aber auch keine Gnade. Palmyra wurde zerstoert, das Gemeinwesen aufgeloest, die Mauern geschleift, die Prunkstuecke des herrlichen Sonnentempels in den Tempel uebertragen, den in Erinnerung an diesen Sieg der Kaiser dem Sonnengott des Ostens in Rom erbaute. Nur die verlassenen Hallen und Mauern blieben, wie sie zum Teil noch heute stehen. Das geschah im Jahre 273 ^116. Die Bluete Palmyras war eine kuenstliche, erzeugt durch die dem Handel gewiesenen Strassen und die grossen dadurch bedingten oeffentlichen Bauten. Jetzt zog die Regierung von der ungluecklichen Stadt ihre Hand ab. Der Handel suchte und fand andere Bahnen; da Mesopotamien damals als roemische Provinz betrachtet ward und bald auch wieder zum Reich kam, ebenfalls das Nabataeergebiet bis zu dem Hafen von Aelana in roemischer Hand war, so konnte diese Zwischenstation entbehrt werden und mag der Verkehr sich dafuer nach Bostra oder Beroea (Aleppo) gezogen haben. Dem kurzen meteorartigen Aufleuchten Palmyras und seiner Fuersten folgte unmittelbar die Oede und Stille, die seither bis auf den heutigen Tag ueber dem kuemmerlichen Wuestendorf und seinen Kolonnadenruinen lagert. ------------------------------------------- ^112 Die Zeitbestimmung beruht darauf, dass die Usurpationsmuenzen des Vaballathos schon in seinem fuenften aegyptischen Regierungsjahr, das heisst 29. August 270/71 aufhoeren; dass sie sehr selten sind, spricht fuer den Anfang des Jahres. Damit stimmt wesentlich ueberein, dass die Erstuermung des Prucheion (das uebrigens kein Stadtteil war, sondern eine Lokalitaet dicht bei der Stadt nach der Seite der grossen Oase: Hier. vita Hilar. 33, 34, vol. 2 p. 32 Vall.) von Eusebius in der Chronik in das 1. Jahr des Claudius, von Ammian (22, 16, 15) unter Aurelian gesetzt wird; der genaueste Bericht bei Eusebius (hist. eccl. 7, 32) ist nicht datiert. Die Rueckeroberung Aegyptens durch Probus steht nur in der Biographie desselben (c. 9); sie kann so, wie sie erzaehlt wird, verlaufen sein, aber moeglich ist es auch, dass in dieser durch und durch verfaelschten Quelle die Timagenes-Geschichte mutatis mutandis auf den Kaiser uebertragen ist. ^113 Das hat wohl der von Zosimus (hist. 1, 52) ausgezogene Bericht ueber die Schlacht von Hemesa hervorheben wollen, indem er unter den Truppen Aurelians die Dalmatiner, Moeser, Pannonier, Noriker, Raeter, Mauretaner und die Garde aufzaehlt. Wenn er diesen die Truppen von Tyana und einige Abteilungen aus Mesopotamien, Syrien, Phoenike, Palaestina zugesellt, so geht dies ohne Zweifel auf die kappadokischen Besatzungen, die nach der Einnahme von Tyana sich angeschlossen hatten, und auf einige bei dem Einruecken Aurelians in Syrien zu ihm uebergegangene roemisch gesinnte Abteilungen der Armeen des Ostens. ^114 Aus Versehen setzt Eutropius (9, 13) die entscheidende Schlacht haud longe ab Antiochia; gesteigert ist dasselbe bei Rufius c. 24 (von dem Hier. chron. a. Abr. 2289 abhaengt) und bei Synkellos p. 721 durch den Zusatz apud Immas, en Immais, welcher 33 roemische Meilen von Antiocheia auf der Strasse nach Chalkis zu liegende Ort von Hemesa weit abliegt. Die beiden Hauptberichte bei Zosimus und dem Biographen Aurelians stimmen in allem wesentlichen ueberein. ^115 Diesen Namen haben Zos. hist. 1, 60 und Pol. Silv. chron. p. 243; der Achilleus des Biographen Aurelians c. 31 scheint eine Verwechslung mit dem Usurpator der diocletianischen Zeit. Dass gleichzeitig auch in Aegypten ein Parteigaenger der Zenobia und zugleich Raeuberhauptmann namens Firmus sich gegen die Regierung erhoben hat, ist wohl moeglich, beruht aber nur auf den Kaiserbiographien, und die hinzugefuegten Details klingen sehr bedenklich. ^116 Die Chronologie dieser Ereignisse steht nicht voellig fest. Die Seltenheit der syrischen Muenzen Vaballaths als Augustus beweisen, dass dem Bruch mit Aurelian (Ende 270) die Ueberwaeltigung bald nachfolgte. Nach den datierten Inschriften des Odaenathos und der Zenobia vom August 271 (Waddington 2611) stand damals die Herrschaft der Koenigin noch aufrecht. Da eine Expedition dieser Art nach den klimatischen Verhaeltnissen nicht wohl anders als im Fruehling stattfinden kann, so wird die erste Einnahme Palmyras im Fruehjahr 272 erfolgt sein. Die juengste (bloss palmyrenische) Inschrift, die wir von da kennen (Vogue 116) ist vom August 272. In diese Zeit mag die Insurrektion fallen, die zweite Einnahme und die Zerstoerung etwa in den Fruehling 273 (wonach 6, 154 A. zu berichtigen ist). ------------------------------------------- Das ephemere Reich von Palmyra ist in seinem Entstehen wie in seinem Fall eng mit den Beziehungen der Roemer zu dem nicht roemischen Osten verwachsen, aber nicht minder ein Stueck der allgemeinen Reichsgeschichte. Denn wie das Westreich des Postumus, so ist das Ostreich der Zenobia eine jener Massen, in die damals das gewaltige Ganze sich schien aufloesen zu sollen. Wenn waehrend seines Bestehens seine Leiter dem Ansturm der Perser ernstlich Schranken zu setzen versuchten, ja ihre Machtentwicklung eben darauf beruhte, so hat es bei seinem Zusammenbrechen nicht bloss bei denselben Persern Rettung gesucht, sondern wahrscheinlich sind infolge des Abfalls der Zenobia Armenien und Mesopotamien den Roemern verlorengegangen und hat auch nach der Unterwerfung Palmyras der Euphrat wieder eine Zeitlang die Grenze gemacht. An ihm angelangt, hoffte die Koenigin Aufnahme bei den Persern zu finden; und ueber ihn hinueber die Legionen zu fuehren, unterliess Aurelianus, da Gallien nebst Britannien und Spanien damals noch der Regierung die Anerkennung verweigerten. Er und sein Nachfolger Probus kamen nicht dazu, diesen Kampf aufzunehmen. Aber als im Jahre 282 nach dem vorzeitigen Ende des letzteren die Truppen den naechsthoechsten Befehlshaber Marcus Aurelius Carus zum Kaiser ausriefen, war es das erste Wort des neuen Herrschers, dass die Perser dieser Wahl gedenken sollten, und er hat es gehalten. Sogleich rueckte er mit dem Heere in Armenien ein und stellte dort die fruehere Ordnung wieder her. An der Landesgrenze kamen ihm persische Gesandte entgegen, die sich bereit erklaerten, alles Billige zu gewaehren ^117; aber sie wurden kaum angehoert, und der Marsch ging unaufhaltsam weiter. Auch Mesopotamien wurde abermals roemisch und die parthischen Residenzstaedte Seleukeia und Ktesiphon einmal mehr von den Roemern besetzt, ohne dass diese auf nachhaltigen Widerstand getroffen waeren, wozu der damals im Persischen Reiche wuetende Bruderkrieg das seinige beitrug ^118. Der Kaiser war eben ueber den Tigris gegangen und im Begriff, in das Herz des feindlichen Landes einzudringen, als er auf gewaltsame Weise, vermutlich durch Moerderhand, den Tod und damit auch der Feldzug sein Ende fand. Sein Nachfolger aber erlangte im Frieden die Abtretung von Armenien und Mesopotamien ^119; obwohl Carus wenig ueber ein Jahr den Purpur trug, wurde die Reichsgrenze des Severus durch ihn wiederhergestellt. ----------------------------------------------- ^117 Es lehrt nichts fuer die Stellung der Armenier, dass in uebrigens durchaus apokryphen Schilderungen (vita Valer. 6; vita Aurel. 27, 28) die Armenier nach der Katastrophe Valerians zu den Persern halten und in der letzten Krise der Palmyrener als Bundesgenossen der Zenobia neben den Persern erscheinen; beides sind selbstverstaendliche Konsequenzen aus der allgemeinen Lage der Dinge. Dass Aurelian Armenien so wenig wie Mesopotamien unterwarf, dafuer spricht in diesem Falle teils das Schweigen der Quellen, teils die Nachricht des Synesios (regn. 17), dass Kaiser Carinus (vielmehr Carus) in Armenien hart an der Grenze des persischen Gebiets eine persische Gesandtschaft kurzerhand abgefertigt und, durch deren Bericht erschreckt, der junge Perserkoenig sich zu jeder Konzession bereit erklaert habe. Wie diese Erzaehlung auf Probus bezogen werden kann, wie v. Gutschmid meint (ZDMG 31, 1877, S. 50), sehe ich nicht ein; zu Carus’ persischer Expedition dagegen passt sie recht gut. ^118 Die Wiedereroberung Mesopotamiens berichtet nur der Biograph c. 8; aber bei dem Ausbruch des Perserkrieges unter Diocletian ist dasselbe roemisch. Der inneren Unruhen im Perserreich wird ebendaselbst gedacht; auch wird in einem im Jahre 289 gehaltenen Vortrag (Paneg. 3, 17) der Krieg erwaehnt, den gegen den Koenig von Persien - es war dies Bahram II. - der eigene Bruder Ormies oder vielmehr Hormizd fuehrt adscitis Sacis et Ruffis (?) et Gellis (vgl. Noeldeke, Tabari, S. 479). Wir haben ueberhaupt ueber diesen wichtigen Feldzug nur einige abgerissene Notizen. ^119 Das sagt deutlich Mamertinus (Paneg. 2, 7, vgl. 2, 10; 3, 6) in der im Jahre 289 gehaltenen Rede: Syriam velut amplexu suo tegebat Eupbrates antequam Diocletiano sponte (das heisst, ohne dass Diocletian zu den Waffen zu greifen brauchte, wie dann weiter ausgefuehrt wird) se dederent regna Persarum; ferner ein anderer Lobredner aus dem Jahre 296 (Paneg. 5, 3): Partho ultra Tagrim reducto. Wendungen wie die bei Aur. Vict. Caes. 39, 33, dass Galerius relictis finibus nach Mesopotamien marschiert sei, oder dass Narseh nach Ruf. Fest. 25 im Frieden Mesopotamien abtrat, koennen dagegen nicht geltend gemacht werden; ebensowenig, dass orientalische Quellen die roemische Besitznahme von Nisibis in 609 Sel. = 297/98 n. Chr. setzen (Noeldeke, Tabari, S. 50). Waere dies richtig, so koennte der genaue Bericht ueber die Friedensverhandlungen von 297 bei Petrus Patricius fr. 14 unmoeglich von der Abtretung Mesopotamiens schweigen und bloss der Regulierung des Grenzverkehrs Erwaehnung tun. ----------------------------------------------- Einige Jahre darauf (293) bestieg ein neuer Herrscher, Narseh, des Koenigs Schapur Sohn, den Thron von Ktesiphon, und erklaerte im Jahre 296 wegen des Besitzes von Mesopotamien und Armenien den Roemern den Krieg ^120. Diocletianus, der damals die oberste Leitung wie des Reiches ueberhaupt, so namentlich des Orients hatte, beauftragte mit der Fuehrung desselben seinen Reichsgehilfen Galerius Maximianus, einen rohen, aber tapferen Feldherrn. Der Anfang war unguenstig. Die Perser fielen in Mesopotamien ein und gelangten bis nach Karrhae; gegen sie fuehrte der Caesar die syrischen Legionen bei Nikephorion ueber den Euphrat; zwischen diesen beiden Positionen stiessen die Armeen aufeinander, und die weit schwaechere roemische unterlag. Es war ein harter Schlag und der junge Feldherr musste schwere Vorwuerfe ueber sich ergehen lassen; aber er verzagte nicht. Fuer den naechsten Feldzug wurden aus dem ganzen Reich Verstaerkungen herangezogen und beide Regenten rueckten persoenlich in das Feld; Diocletian nahm Stellung in Mesopotamien mit der Hauptmacht, waehrend Galerius, verstaerkt durch die inzwischen herangezogenen illyrischen Kerntruppen, mit einem Heer von 25000 Mann in Armenien dem Feind entgegentrat und ihm eine entscheidende Niederlage beibrachte. Das Lager und der Schatz, ja selbst der Harem des Grosskoenigs fielen den Kriegern in die Haende, und mit Not entging Narseh selbst der Gefangenschaft. Um nur die Frauen und die Kinder wieder zu erlangen, erklaerte der Koenig sich bereit, auf jede Bedingung Frieden zu schliessen; sein Abgesandter Apharban beschwor den Roemer, des Persers zu schonen: die beiden Reiche, das Roemische und das Persische, seien gleichsam die beiden Augen der Welt und keines koenne des anderen entbehren. Es haette in der Macht der Roemer gestanden, ihren orientalischen Provinzen eine mehr hinzuzufuegen; der vorsichtige Herrscher begnuegte sich mit der Regulierung der Besitzverhaeltnisse im Nordosten. Mesopotamien blieb selbstverstaendlich im roemischen Besitz; der wichtige Handelsverkehr mit dem benachbarten Ausland wurde unter strenge staatliche Kontrolle gestellt und wesentlich nach der festen Stadt Nisibis gewiesen, dem Stuetzpunkt der roemischen Grenzwacht im oestlichen Mesopotamien. Als Grenze der unmittelbaren roemischen Herrschaft wurde der Tigris anerkannt, jedoch in der Ausdehnung, dass das ganze suedliche Armenien bis zum See Thospitis (Vansee) und zum Euphrat, also das gesamte obere Tigristal zum Roemischen Reich gehoeren solle. Eigentliche Provinz ward dies Vorland von Mesopotamien nicht, sondern nach der bisherigen Weise als roemische Satrapie Sophene verwaltet. Einige Dezennien spaeter ward hier die starke Festung Amida (Diarbekr) angelegt, seitdem die Hauptburg der Roemer im Gebiet des oberen Tigris. Zugleich ward die Grenze zwischen Armenien und Medien neu reguliert und die Lehnsherrlichkeit Roms ueber jenes Land wie ueber Iberien abermals bestaetigt. Bedeutende Gebietsabtretungen legte der Friede den Besiegten nicht auf, aber er stellte eine den Roemern guenstige Grenze her, welche auf laengere Zeit hinaus in diesen vielumstrittenen Gebieten die beiden Reiche schied ^121. Die Politik Traians erhielt damit ihre vollstaendige Durchfuehrung; allerdings verschob sich auch eben damals der Schwerpunkt der roemischen Herrschaft aus dem Westen nach dem Osten. ----------------------------------------------- ^120 Dass Narseh in das damals roemische Armenien einbrach, sagt Amm. 23, 5, 11; fuer Mesopotamien folgt dasselbe aus Eutr. 9, 24. Noch am 1. Maerz 296 bestand der Friede oder war doch die Kriegserklaerung im Okzident nicht bekannt (Paneg. 5, 10). ^121 Die Differenzen in den ausnahmsweise guten Berichten namentlich des Petrus Patricius fr. 14 und Ammians (25, 7, 9) sind wohl nur formaler Art. Dass der Tigris die eigentliche Reichsgrenze sein sollte, wie Priscus sagt, schliesst nicht aus, zumal bei der eigentuemlichen Beschaffenheit seines Oberlaufs, dass dieselbe dort teilweise darueber hinausgriff; vielmehr scheinen die fuenf vorher bei Petrus genannten Distrikte eben als transtigritanische und von der folgenden allgemeinen Bestimmung auszunehmende aufgefuehrt zu werden. Die Distrikte, welche Priscus hier und, ausdruecklich als transtigritanische, Ammian auffuehren - es sind dies bei beiden Arzanene, Karduene und Zabdicene, bei Priscus Sophene und Intilene ("vielmehr Ingiline, armenisch Angel, jetzt Egil": Kiepen), bei Ammian Moxoene und Rehimene (?) - koennen unmoeglich alle vor dem Frieden, wo doch Armenien schon Romano iuri obnoxia war (Amm. 23, 5, 11), von den Roemern als persische betrachtet worden sein; ohne Zweifel bildeten die westlicheren derselben schon damals einen Teil des roemischen Armeniens und stehen hier nur insofern, als sie infolge des Friedens dem Reiche als Satrapie Sophene einverleibt wurden. Dass es sich hier nicht um die Grenze der Abtretung, sondern um die des unmittelbaren Reichsgebiets handelte, zeigt der Folgesatz, der die Grenze zwischen Armenien und Medien feststellt. ----------------------------------------------- 10. Kapitel Syrien und das Nabataeerland Sehr allmaehlich haben die Roemer sich dazu entschlossen, nach der westlichen auch der oestlichen Haelfte der Kuesten des Mittelmeeres sich zu bemaechtigen; nicht an dem Widerstand, auf den sie hier verhaeltnismaessig in geringem Masse trafen, sondern an der wohlbegruendeten Scheu vor den denationalisierenden Konsequenzen dieser Eroberungen hat es gelegen, dass sie so lange wie moeglich sich nur bemuehten, in jenen Gegenden den entscheidenden politischen Einfluss zu bewahren, und dass die eigentliche Einverleibung wenigstens Syriens und Aegyptens erst stattfand, als der Staat schon fast eine Monarchie war. Wohl wurde dadurch das Roemerreich geographisch geschlossen, das Mittelmeer, Roms eigentliche Basis, seit es eine Grossmacht war, nach allen Seiten hin ein roemischer Binnensee, Schiffahrt und Handel auf und an demselben zum Segen aller Anwohner staatlich geeinigt. Aber der geographischen Geschlossenheit zur Seite ging die nationale Zweiteilung. Durch Griechenland und Makedonien waere der Roemerstaat nie binational geworden, so wenig wie die Griechenstaedte Neapolis und Massalia Kampanien und die Provence hellenisiert haben. Aber wenn in Europa und Afrika das griechische Gebiet gegenueber der geschlossenen Masse des lateinischen verschwindet, so gehoert, was von dem dritten Erdteil mit dem von Rechts wegen dazu gehoerigen Niltal in diesen Kulturkreis hineingezogen ward, ausschliesslich den Griechen, und namentlich Antiocheia und Alexandreia sind die rechten Traeger der in Alexander ihren Hoehepunkt erreichenden hellenischen Entwicklung, Mittelpunkte hellenischen Lebens und hellenischer Bildung und Grossstaedte wie Rom auch. Nachdem in dem vorhergehenden Kapitel der die ganze Kaiserzeit ausfuellende Kampf des Ostens und des Westens in und um Armenien und Mesopotamien dargestellt worden ist, wenden wir uns dazu, die Verhaeltnisse der syrischen Landschaften zu schildern, wie sie gleichzeitig sich gestalteten. Gemeint ist das Gebiet, das der Bergstock Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens von Kleinasien, die oestliche Fortsetzung desselben Gebirges und der Euphrat von Armenien und Mesopotamien, die arabische Wueste von dem Parthischen Reiche und von Aegypten scheiden; nur schien es angemessen, die eigenartigen Schicksale Judaeas in einem besonderen Abschnitt zu behandeln. Der Verschiedenheit der politischen Entwicklung unter dem Kaiserregiment entsprechend soll zunaechst von dem eigentlichen Syriens dem noerdlichen Teil dieses Gebiets und von der unter dem Libanos sich hinziehenden phoenikischen Kueste, weiter von dem Hinterlande Palaestinas, dem Gebiet der Nabataeer gesprochen werden. Was ueber Palmyra zu sagen war, hat schon im vorigen Kapitel seinen Platz gefunden. Seit der Teilung der Provinzen zwischen dem Kaiser und dem Senat hat Syrien unter kaiserlicher Verwaltung gestanden und ist im Orient, wie Gallien im Westen, der Schwerpunkt der kaiserlichen zivilen und militaerischen Verwaltung gewesen. Diese Statthalterschaft war von Anfang an von allen die angenehmste und wurde dies im Lauf der Zeit nur noch in hoeherem Grade. Ihr Inhaber fuehrte, gleich den Statthaltern der beiden Germanien, das Kommando ueber vier Legionen, und waehrend den Kommandanten der Rheinarmee die Verwaltung der inneren gallischen Landschaften abgenommen ward und schon in ihrem Nebeneinanderstehen eine gewisse Beschraenkung lag, behielt der Statthalter von Syrien auch die Zivilverwaltung der ganzen grossen Provinz ungeschmaelert und fuehrte lange Zeit in ganz Asien allein ein Kommando ersten Ranges. Unter Vespasian erhielt er zwar an den Statthaltern von Palaestina und von Kappadokien zwei ebenfalls Legionen befehligende Kollegen; andererseits aber wuchsen durch die Einziehung des Koenigreichs Kommagene und bald darauf auch der Fuerstentuemer im Libanos deren Gebiete seiner Verwaltung zu. Erst im Laufe des zweiten Jahrhunderts trat eine Schmaelerung seiner Befugnisse ein, indem Hadrian eine der vier Legionen dem Statthalter von Syrien nahm und sie dem von Palaestina ueberwies. Den ersten Platz in der roemischen Militaerhierarchie hat erst Severus dem syrischen Statthalter entzogen. Nachdem dieser die Provinz, die wie einst ihren Statthalter Vespasian, so damals den Niger zum Kaiser hatte machen wollen, unter Widerstreben namentlich der Hauptstadt Antiocheia unterworfen hatte, verfuegte er die Teilung derselben in eine noerdliche und eine suedliche Haelfte und gab dem Statthalter jener, der sogenannten Syria Koile, zwei, dem Statthalter dieser, der Provinz Syrophoenicia, eine Legion. Auch insofern darf Syrien mit Gallien zusammengestellt werden, als dieser kaiserliche Verwaltungsbezirk schaerfer als die meisten sich in befriedete Landschaften und schutzbeduerftige Grenzdistrikte schied. Wenn die ausgedehnte Kueste Syriens und die westlichen Landschaften ueberhaupt feindlichen Angriffen nicht ausgesetzt waren und die Deckung an der Wuestengrenze gegen die schweifenden Beduinen den arabischen und juedischen Fuersten und spaeterhin den Truppen der Provinz Arabien, auch den Palmyrenern, mehr oblag als den syrischen Legionen, so erforderte, namentlich bevor Mesopotamien roemisch ward, die Euphratgrenze eine aehnliche Bewachung gegen die Parther wie der Rhein gegen die Germanen. Aber wenn die syrischen Legionen an der Grenze zur Verwendung kamen, so konnte man doch auch in dem westlichen Syrien ihrer nicht entraten ^1. Die Rheintruppen waren allerdings auch der Gallier wegen da; dennoch durften die Roemer mit berechtigtem Stolz sagen, dass fuer die grosse Hauptstadt Galliens und die drei gallischen Provinzen eine unmittelbare Besatzung von 1200 Mann ausreiche. Aber fuer die syrische Bevoelkerung und insbesondere fuer die Hauptstadt des roemischen Asiens genuegte es nicht, die Legionen am Euphrat aufzustellen. Nicht bloss am Saum der Wueste, sondern auch in den Schlupfwinkeln der Gebirge hausten in der Nachbarschaft der reichen Aecker und der grossen Staedte, nicht in dem Grade wie heutzutage, aber doch auch damals stetig, verwegene Raeuberbanden und pluenderten, oft als Kaufleute oder Soldaten verkleidet, die Landhaeuser und die Doerfer. Aber auch die Staedte selbst, vor allem Antiocheia, verlangten, wie Alexandreia, eigene Besatzung. Ohne Zweifel ist dies der Grund gewesen, weshalb eine Teilung in Zivilund Militaerbezirke, wie sie fuer Gallien schon Augustus verfuegte, in Syrien niemals auch nur versucht worden ist und weshalb die grossen, auf sich selbst stehenden Lageransiedlungen, aus denen zum Beispiel Mainz am Rhein, Leon in Spanien, Chester in England hervorgegangen sind, im roemischen Orient gaenzlich fehlen. Ohne Zweifel aber ist dies auch der Grund, weshalb die syrische Armee in Zucht und Geist so sehr zurueckstand gegen die der Westprovinzen; weshalb die stramme Disziplin, wie sie in den militaerischen Standlagern des Okzidents gehandhabt ward, in den staedtischen Kantonnements des Ostens nie Fuss fassen konnte. Wo der stehenden Truppe neben ihrer naechsten Bestimmung noch die Aufgabe der Polizei zufaellt, wirkt dies an sich demoralisierend, und nur zu oft wird, wo sie unruhige staedtische Massen in Zucht halten soll, vielmehr ihre eigene Disziplin dadurch untergraben. Die frueher geschilderten syrischen Kriege liefern dazu den unerfreulichen Kommentar; keiner derselben fand eine kriegsfaehige Armee vor und regelmaessig bedurfte es erst herangezogener okzidentalischer Truppen, um dem Kampfe die Wendung zu geben. ---------------------------------------------------- ^1 Die Standquartiere der syrischen Legionen genau zu bestimmen, vermoegen wir nicht; doch ist, was hier gesagt ist, wesentlich gesichert. Unter Nero stand die 10. Legion in Raphaneae suedwestlich von Hamath (Ios. bel. Iud. 7, 1, 3) und ebendaselbst oder doch ungefaehr in dieser Gegend unter Tiberius die 6. (Tac. ann. 2, 79); wahrscheinlich in oder bei Antiocheia die 12. unter Nero (Ios. bel. Iud. 2, 18, 9). Wenigstens eine Legion stand am Euphrat; fuer die Zeit vor der Einziehung Kommagenes bezeugt dies Ios. bel. Iud. 7, 1, 3, und spaeterhin hatte eine der syrischen Legionen ihr Hauptquartier in Samosata (Ptol. geogr. 5; 15, 11; Inschrift aus Severus’ Zeit CIL VI, 1409; Itin. Anton. Aug. p. 186). Wahrscheinlich hatten die Staebe der meisten syrischen Legionen ihren Sitz in den westlichen Distrikten und geht die immer wiederkehrende Beschwerde, dass das Lagern in den Staedten die syrische Armee zerruette, hauptsaechlich auf diese Einrichtung. Ob in der besseren Zeit an dem Wuestensaum eigentliche Legionshauptquartiere bestanden haben, ist zweifelhaft; bei den Grenzposten daselbst haben auch Detachements der Legionen Verwendung gefunden, und namentlich ist der besonders unruhige Distrikt zwischen Damaskos und Bostra stark mit Legionaeren belegt worden, die einerseits das Kommando von Syrien stellte, andererseits das arabische seit Einrichtung desselben durch Traian. ---------------------------------------------------- Syrien im engeren Sinne und seine Nebenlaender, das ebene Kilikien und Phoenike haben unter den roemischen Kaisern eine Geschichte im eigentlichen Sinne nicht gehabt. Die Bewohner dieser Landschaften gehoeren dem gleichen Stamme an wie die Bewohner Judaeas und Arabiens, und die Stammvaeter der Syrer und der Phoeniker haben in ferner Zeit an einem Orte gesessen mit denen der Juden und der Araber und eine Sprache geredet. Aber wenn die letzteren an ihrer Eigenart und an ihrer Sprache festgehalten haben, so haben die Syrer und die Phoeniker sich hellenisiert, schon bevor sie unter roemische Herrschaft gelangten. Es vollzog sich diese Hellenisierung durchgaengig in der Bildung von hellenischen Politien. Den Grund dazu hatte freilich die einheimische Entwicklung gelegt, namentlich an der phoenikischen Kueste die alten und grossen Kaufstaedte. Aber vor allem hat die Staatenbildung Alexanders und der Alexandriden, eben wie die der roemischen Republik, zu ihrem Fundament nicht den Stamm, sondern die Stadtgemeinde; nicht das altmakedonische Erbfuerstentum, sondern die griechische Politie hat Alexander in den Osten getragen, und nicht aus Staemmen, sondern aus Staedten gedachte er und gedachten die Roemer ihr Reich zusammenzusetzen. Der Begriff der autonomen Buergerschaft ist ein dehnbarer und die Autonomie Athens und Thebens eine andere als die der makedonischen und der syrischen Stadt, eben wie im roemischen Kreis die Autonomie des freien Capua einen anderen Inhalt hatte als die der latinischen Pflanzstaedte der Republik oder gar der Stadtgemeinden des Kaiserreichs; aber der Grundgedanke ist ueberall das sich selbst verwaltende, in seinem Mauerring souveraene Buergertum. Nach dem Sturz des Perserreichs ist Syrien nebst dem benachbarten Mesopotamien als die militaerische Verbindungsbruecke zwischen dem Westen und dem Osten wie kein anderes Land mit makedonischen Ansiedlungen bedeckt worden; die dort in weitester Ausdehnung uebernommenen, sonst im ganzen Alexanderreich nirgends also sich wiederfindenden makedonischen Ortsnamen beweisen es, dass hier der Kern der hellenischen Eroberer des Ostens angesiedelt wurde und dass Syrien fuer diesen Staat das Neu-Makedonien werden sollte; wie denn auch, solange das Reich Alexanders eine Zentralregierung behielt, diese dort ihren Sitz gehabt hat. Den syrischen Reichsstaedten hatten dann die Wirren der letzten Seleukidenzeit zu groesserer Selbstaendigkeit verholfen. Diese Einrichtungen fanden die Roemer vor. Unmittelbar vom Reich verwaltete, nicht staedtische Distrikte gab es schon nach der von Pompeius vorgenommenen Organisation in Syrien wahrscheinlich gar nicht, und wenn die abhaengigen Fuerstentuemer in der ersten Epoche der roemischen Herrschaft einen grossen Teil des suedlichen Binnenlandes der Provinz umfassten, so waren diese meist gebirgigen und schwach bewohnten Distrikte doch von untergeordneter Bedeutung. Im ganzen genommen blieb den Roemern in Syrien fuer die Hebung der staedtischen Entwicklung nicht viel zu tun uebrig, weniger als in Kleinasien. Eigentliche Staedtegruendung ist daher aus der Kaiserzeit fuer Syrien kaum zu berichten. Die wenigen Kolonien, welche hier angelegt worden sind, wie unter Augustus Berytus und wahrscheinlich auch Heliopolis, haben keinen anderen Zweck gehabt als die nach Makedonien gefuehrten, naemlich die Unterbringung der Veteranen. Wie sich die Griechen und die aeltere Bevoelkerung in Syrien zueinander stellten, laesst sich schon an den oertlichen Benennungen deutlich verfolgen. Landschaften und Staedte tragen hier der Mehrzahl nach griechische Namen, grossenteils, wie bemerkt, der makedonischen Heimat entlehnte wie Pieria, Anthemus, Arethusa, Beroea, Chalkis, Edessa, Europos, Kyrrhos, Larisa, Pella, andere benannt nach Alexander oder den Gliedern des seleukidischen Hauses, wie Alexandreia, Antiocheia, Seleukis und Seleukeia, Apameia, Laodikeia, Epiphaneia. Die alten einheimischen Namen behaupten sich wohl daneben, wie Beroea, zuvor aramaeisch Chaleb, auch Chalybon, Edessa oder Hierapolis, zuvor Mabog, auch Bambyke, Epiphaneia, zuvor Hamat, auch Amathe genannt wird. Aber meistens traten die aelteren Benennungen vor den fremden zurueck und nur wenige Landschaften und groessere Orte wie Kommagene, Samosata, Hemesa, Dam askos entbehren neugeschoepfter griechischer Namen. Das oestliche Kilikien hat wenig makedonische Gruendungen aufzuweisen; aber die Hauptstadt Tarsos hat sich frueh und vollstaendig hellenisiert und ist lange vor der roemischen Zeit eines der Zentren der hellenischen Bildung geworden. Etwas anderes ist es in Phoenike: die altberuehmten Kaufstaedte Arados, Byblos, Berytos, Sidon, Tyros haben die einheimischen Namen nicht eigentlich abgelegt; aber wie auch hier das Griechische die Oberhand gewann, zeigt die hellenisierende Umbildung eben dieser Namen, und noch deutlicher, dass Neu-Arados uns nur unter dem griechischen Namen Antarados bekannt ist, ebenso die von den Tyriern, den Sidoniern und den Aradiern gemeinschaftlich an dieser Kueste gegruendete neue Stadt nur unter dem Namen Tripolis, und beide ihre heutigen Benennungen Tartus und Tarabulus aus den griechischen entwickelt haben. Schon in der Seleukidenzeit tragen die Muenzen im eigentlichen Syrien ausschliesslich, die der phoenikischen Staedte weit ueberwiegend griechische Aufschrift; und von Anfang der Kaiserzeit an steht die Alleinherrschaft des Griechischen hier fest ^2. ---------------------------------------------------- ^2 Von Byblos gibt es eine Muenze aus Augustus’ Zeit mit griechischer und phoenikischer Aufschrift (Imhoof-Blumer, Monnaies grecques, Leipzig 1883, S. 443). ---------------------------------------------------- Nur die nicht bloss durch weite Wuestenstrecken geschiedene, sondern auch eine gewisse politische Selbstaendigkeit bewahrende Oase Palmyra macht, wie wir sahen, hierin eine Ausnahme. Aber in dem Verkehr blieben die einheimischen Idiome. In den Bergen des Libanos und des Antilibanos, wo auch in Hemesa (Roms), Chalkis, Abila (beide zwischen Berytus und Damaskos) kleine Fuerstenhaeuser einheimischen Ursprungs bis gegen das Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. schalteten, hat die einheimische Sprache in der Kaiserzeit wahrscheinlich die Alleinherrschaft gehabt, wie denn in den schwer zugaenglichen Gebirgen der Drusen die Sprache Arams erst in neuerer Zeit dem Arabischen gewichen ist. Aber vor zwei Jahrtausenden war dieselbe in der Tat in ganz Syrien die Sprache des Volkes ^3. Dass bei den doppelnamigen Staedten im gewoehnlichen Leben die syrische Benennung ebenso ueberwog wie in der Literatur die griechische, zeigt sich darin, dass heute Beroea-Chalybon Haleb (Aleppo), Epiphaneia-Amathe Hama, Hierapolis-Bambyke-Mabog Membidj, Tyros mit seinem phoenikischen Namen Sur genannt wird; dass die uns aus den Urkunden und den Schriftstellern nur als Heliopolis bekannte syrische Stadt ihren uralten einheimischen Namen Baalbek noch heute fuehrt, ueberhaupt allgemein die heutigen Ortsnamen nicht aus den griechischen, sondern aus den aramaeischen hervorgegangen sind. ---------------------------------------------------- ^3 Johannes Chrysostomos aus Antiocheia (t 407) weist mehrfach (De sanctis martyros. Opera. Paris 1718 ff. Vol. 2, p. 651; homil. 19, a. a. O., p. 188) hin auf die eterophonia, die barbaros phon/e/ des laos im Gegensatz zu der Sprache der Gebildeten. ---------------------------------------------------- Ebenso zeigt der Kultus das Fortleben des syrischen Volkstums. Die Syrer von Beroea bringen ihre Weihgeschenke mit griechischer Aufschrift dem Zeus Malbachos, die von Apameia dem Zeus Belos, die von Berytus als roemische Buerger dem Jupiter Balmarcodes, alles Gottheiten, an denen weder Zeus noch Jupiter wirklichen Teil hatten. Jener Zeus Belos ist kein anderer als der in Palmyra in syrischer Sprache verehrte Malach Belos. Wie lebendig die heimische Goetterverehrung in Syrien gewesen und geblieben ist, dafuer legt das deutlichste Zeugnis ab, dass die Dame von Hemesa, die durch ihre Verschwaegerung mit dem Severischen Hause fuer ihren Tochtersohn im Anfang des 3. Jahrhunderts die Kaiserwuerde erlangte, nicht damit zufrieden, dass der Knabe Oberpontifex des roemischen Volkes hiess, ihn auch anhielt, sich den Oberpriester des heimischen Sonnengottes Elagabalus vor allen Roemern zu titulieren. Die Roemer mochten die Syrer besiegen; aber die roemischen Goetter haben in ihrer eigenen Heimat vor den syrischen das Feld geraeumt. Nicht minder sind die zahlreichen auf uns gekommenen syrischen Eigennamen ueberwiegend ungriechisch und Doppelnamen nicht selten; der Messias heisst auch Christos, der Apostel Thomas auch Didymos, die von Petrus wiedererweckte Frau aus Joppe das "Reh", Tabitha oder Dorkas. Aber fuer die Literatur und vermutlich auch fuer den Geschaeftsverkehr und den Verkehr der Gebildeten war das syrische Idiom so wenig vorhanden wie im Westen das keltische; in diesen Kreisen herrschte ausschliesslich das Griechische, abgesehen von dem auch im Osten fuer das Militaer geforderten Latein. Ein Literat aus der zweiten Haelfte des zweiten Jahrhunderts, den der frueher erwaehnte Koenig von Armenien Sohaemos an seinen Hof zog, hat einen Roman, der in Babylon spielt, einiges ueber seine eigene Lebensgeschichte eingelegt, das diese Verhaeltnisse erlaeutert. Er sei, sagt er, ein Syrer, aber nicht von den eingewanderten Griechen, sondern von Vaterund Mutterseite einheimischer Abkunft, Syrer nach Sprache und Sitte, auch babylonischer Sprache und persischer Magie kundig. Aber eben dieser, das hellenische Wesen in gewissem Sinne ablehnende Mann fuegt hinzu, dass er hellenische Bildung sich angeeignet habe, und ist ein angesehener Jugendlehrer in Syrien und ein namhafter Romanschriftsteller der spaeteren griechischen Literatur geworden ^4. --------------------------------------------- ^4 Der Auszug des Photios aus dem Roman des Iamblichos c. 11, welcher den Verfasser irrig zu einem Babylonier macht, wird durch das Scholion dazu wesentlich berichtigt und ergaenzt. Der Geheimschreiber der Grosskoenigs, der unter den traianischen Gefangenen nach Syrien kommt, dort des Iamblichos Erzieher wird und ihn in der "barbarischen Weisheit" unterweist, ist natuerlich eine Figur des in Babylon spielenden Romans, den Iamblichos von diesem seinem Lehrmeister vernommen haben will; aber charakteristisch fuer die Zeit ist der armenische Hofliterat und Prinzenerzieher (denn als "guten Rhetor" hat ihn doch wohl Sohaemos nach Valarschapat berufen) selbst, der kraft seiner magischen Kunst nicht bloss den Fliegenzauber und die Geisterbeschwoerung versteht, sondern auch dem Verus den Sieg ueber Vologasos vorhersagt und zugleich Geschichten, wie sie auch in ’Tausendundeiner Nacht’ stehen koennten, den Griechen griechisch erzaehlt. --------------------------------------------- Wenn spaeterhin das syrische Idiom wieder zur Schriftsprache geworden ist und eine eigene Literatur entwickelt hat, so ist dies nicht auf eine Ermannung des Nationalgefuehls zurueckzufuehren, sondern auf das unmittelbare Beduerfnis der christlichen Propaganda: jene syrische Literatur, ausgegangen von der Uebersetzung der christlichen Bekenntnisschriften in das Syrische, blieb gebannt in den Kreis der spezifischen Bildung des christlichen Klerus und nahm daher von der allgemeinen hellenischen Bildung nur den kleinen Bruchteil auf, den die Theologen jener Zeit ihren Zwecken zutraeglich oder doch damit vertraeglich fanden ^5; ein hoeheres Ziel als die Uebertragung der griechischen Klosterbibliothek auf die Maronitenkloester hat diese Schriftstellerei nicht erreicht und wohl auch nicht erstrebt. Sie reicht auch schwerlich weiter zurueck als in das zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung und hat ihren Mittelpunkt nicht in Syrien, sondern in Mesopotamien, namentlich in Edessa ^6, wo wahrscheinlich, anders als in dem aelteren roemischen Gebiet, sich die Anfaenge einer vorchristlichen Literatur in der Landessprache entwickelt hatten. --------------------------------------------- ^5 Die syrische Literatur besteht fast ausschliesslich aus Uebersetzungen griechischer Werke. Unter den Profanschriften stehen in erster Reihe Aristotelische und Plutarchische Traktate, dann praktische Schriften juristischen oder agronomischen Inhalts und populaere Unterhaltungsbuecher wie der Alexanderroman, Aesops Fabeln, Menanders Sentenzen. ^6 Die syrische Uebersetzung des Neuen Testaments, der aelteste uns bekannte syrische Sprachtext, ist wahrscheinlich in Edessa entstanden; die strati/o/tai der Apostelgeschichte heissen hier "Roemer". --------------------------------------------- Unter den mannigfaltigen Bastardformen, welche der Hellenismus in seiner zugleich zivilisierenden und degenerierenden Propaganda angenommen hat, ist die syrohellenische wohl diejenige, in welcher die beiden Elemente am meisten im Gleichgewicht standen, vielleicht aber zugleich diejenige, die die Gesamtentwicklung des Reiches am entschiedensten beeinflusst hat. Die Syrer empfingen wohl die griechische Staedteordnung und eigneten sich hellenische Sprache und Sitte an; dennoch hoerten sie nie auf, sich als Orientalen zu fuehlen oder vielmehr als Traeger einer doppelten Zivilisation. Nirgends vielleicht ist dies schaerfer ausgesprochen als in dem kolossalen Grabtempel, welchen im ersten Anfang der Kaiserzeit Koenig Antiochos von Kommagene sich auf einem einsamen Berggipfel unweit des Euphrat errichtet hat. Er nennt in der ausfuehrlichen Grabschrift sich einen Perser; im persischen Gewande, wie das Herkommen seines Geschlechts es erheischt, soll der Priester des Heiligtums ihm die Gedaechtnisopfer darbringen; aber wie die Perser nennt er auch die Hellenen die gesegneten Wurzeln seines Geschlechts und fleht den Segen aller Goetter der Persis wie der Maketis, das heisst des persischen wie des makedonischen Landes auf seine Nachkommen herab. Denn er ist der Sohn eines einheimischen Koenigs vom Geschlecht der Achaemeniden und einer griechischen Fuerstentochter aus dem Hause des Seleukos, und dem entsprechend schmueckten das Grabmal in langer Doppelreihe die Abbilder einerseits seiner vaeterlichen Ahnen bis auf den ersten Dareios, andererseits seiner muetterlichen bis zu dem Marschall Alexanders. Die Goetter aber, die er verehrt, sind zugleich persisch und griechisch, Zeus Oromasdes, Apollon Mithras Helios Hermes, Artagnes Herakles Ares, und dieses letzteren Bild zum Beispiel traegt die Keule des griechischen Heros und zugleich die persische Tiara. Dieser persische Fuerst, der zugleich sich einen Freund der Hellenen und als loyaler Untertan des Kaisers einen Freund der Roemer nennt, wie nicht minder jener von Marcus und Lucius auf den Thron von Armenien berufene Achaemenide Sohaemos, sind echte Vertreter der einheimischen, die persischen Erinnerungen und die roemisch-hellenische Gegenwart gleichmaessig im Sinne tragenden Aristokratie des kaiserlichen Syriens. Aus solchen Kreisen ist der persische Mithraskult in den Okzident gelangt. Aber die Bevoelkerung, welche zugleich unter diesem persischen oder sich persisch nennenden Grossadel und unter dem Regiment der makedonischen und spaeter der italienischen Herren stand, war in Syrien wie in Mesopotamien und in Babylonien aramaeisch; sie erinnert vielfach an die heutigen Rumaenen gegenueber den vornehmen Sachsen und Magyaren. Sicher waren sie das verderbteste und das verderbendste Element in dem roemischhellenischen Voelkerkonglomerat. Von dem sogenannten Caracalla, der als Sohn eines afrikanischen Vaters und einer syrischen Mutter in Lyon geboren war, wird gesagt, dass er die Laster dreier Staemme in sich vereinigt habe, die gallische Leichtfertigkeit, die afrikanische Wildheit und die syrische Spitzbueberei. Diese Durchdringung des Orients und des Hellenismus, die nirgends so vollstaendig wie in Syrien sich vollzogen hat, tritt uns ueberwiegend in der Gestalt entgegen, dass in der Mischung das Gute und Edle zugrunde geht. Indes ist dies nicht ueberall der Fall; die spaetere Entwicklung der Religion wie der Spekulation, das Christentum und der Neuplatonismus, sind aus der gleichen Paarung hervorgegangen; wenn mit jenem der Osten in den Westen dringt, so ist dieser die Umgestaltung der okzidentalischen Philosophie im Sinn und Geist des Ostens, eine Schoepfung zunaechst des Aegypters Plotinos (204 bis 270) und seines bedeutendsten Schuelers, des Tyriers Malchos oder Porphyrios (233 bis nach 300), und dann vorzugsweise in den Staedten Syriens gepflegt. Beide welthistorischen Bildungen zu eroertern, ist hier nicht der Platz; vergessen aber duerfen sie auch bei der Wuerdigung der syrischen Verhaeltnisse nicht werden. Die syrische Art findet ihren eminenten Ausdruck in der Hauptstadt des Landes und vor Konstantinopels Gruendung des roemischen Ostens ueberhaupt, der Volkszahl nach in dieser Epoche nur hinter Rom und Alexandreia und etwa noch dem babylonischen Seleukeia zurueckstehend, Antiocheia, bei welchem es erforderlich scheint, einen Augenblick zu verweilen. Die Stadt, eine der juengsten Syriens und heutzutage von geringer Bedeutung, ist nicht durch die natuerlichen Verkehrsverhaeltnisse Grossstadt geworden, sondern eine Schoepfung monarchischer Politik. Die makedonischen Eroberer haben sie ins Leben gerufen zunaechst aus militaerischen Ruecksichten, als geeignete Zentralstelle fuer eine Herrschaft, die zugleich Kleinasien, das Euphratgebiet und Aegypten umspannte und auch dem Mittelmeer nahe sein wollte ^7. Das gleiche Ziel und die verschiedenen Wege der Seleukiden und der Lagiden finden ihren treuen Ausdruck in der Gleichartigkeit und dem Gegensatz von Antiocheia und Alexandreia; wie dieses fuer die Seemacht und die maritime Politik der aegyptischen Herrscher, so ist Antiocheia der Mittelpunkt fuer die kontinentale Orientmonarchie der Herrscher Asiens. Zu verschiedenen Malen haben die spaeteren Seleukiden hier grosse Neugruendungen vorgenommen, so dass die Stadt, als sie roemisch wurde, aus vier selbstaendigen und ummauerten Bezirken bestand, die wieder alle eine gemeinsame Mauer einschloss. Auch an Einwanderern aus der Ferne fehlte es nicht. Als das eigentliche Griechenland unter die Herrschaft der Roemer geriet und Antiochos der Grosse vergeblich versucht hatte, diese dort zu verdraengen, gewaehrte er wenigstens den auswandernden Euboeern und Aetolern in seiner Residenz eine Freistatt. Wie in der Hauptstadt Aegyptens ist auch in derjenigen Syriens den Juden ein gewissermassen selbstaendiges Gemeinwesen und eine privilegierte Stellung eingeraeumt worden, und ihre Stellung als Zentren der juedischen Diaspora ist nicht das schwaechste Element in der Entwicklung beider Staedte geworden. Einmal zur Residenz und zum Sitz der obersten Verwaltung eines grossen Reiches gemacht, blieb Antiocheia auch in roemischer Zeit die Hauptstadt der asiatischen Provinzen Roms. Hier residierten die Kaiser, wenn sie im Orient verweilten, und regelmaessig der Statthalter von Syrien; hier wurde die Reichsmuenze fuer den Osten geschlagen und hier vornehmlich, daneben in Damaskos und in Edessa befanden sich die Reichswaffenfabriken. Freilich hatte die Stadt fuer das Roemerreich ihre militaerische Bedeutung verloren und unter den veraenderten Verhaeltnissen wurde die schlechte Verbindung mit dem Meer als ein grosser Uebelstand empfunden, nicht so sehr wegen der Entfernung als weil der Hafen, die zugleich mit Antiocheia angelegte Stadt Seleukeia, fuer den grossen Verkehr wenig geeignet war. Ungeheure Summen haben die roemischen Kaiser von den Flaviern an bis auf Constantius aufgewandt, um in die diese Oertlichkeit umgebenden Felsenmassen die erforderlichen Docks mit den Zuzugs-Kanaelen zu brechen und genuegende Molen herzustellen; aber die Kunst der Ingenieure, welcher an der Muendung des Nil die hoechsten Wuerfe gluecklich gelangen, rang in Syrien vergeblich mit den unueberwindlichen Schwierigkeiten des Terrains. Selbstverstaendlich hat die groesste Stadt Syriens an der Fabrikation und dem Handel dieser Provinz, wovon noch weiter die Rede sein wird, sich lebhaft beteiligt; dennoch war sie mehr ein Sitz der Verzehrenden als der Erwerbenden. Im ganzen Altertum gab es keine Stadt, in welcher das Geniessen des Lebens so sehr die Hauptsache, und dessen Pflichten so beilaeufig waren wie in "Antiocheia bei Daphne", wie die Stadt bezeichnend genannt wird, etwa wie wenn wir sagen wuerden "Wien beim Prater". Denn Daphne ^8 ist der Lustgarten, eine deutsche Meile von der Stadt, von zwei Meilen im Umkreis, beruehmt durch seine Lorbeerbaeume, wonach er heisst, durch seine alten Zypressen, die noch die christlichen Kaiser zu schonen befahlen, seine fliessenden und springenden Wasser, seinen glaenzenden Apollotempel und die prachtvolle vielbesuchte Festfeier des 10. August. Die ganze Umgegend der Stadt, die zwischen zwei bewaldeten Bergzuegen in dem Tale des wasserreichen Orontes, drei deutsche Meilen aufwaerts von der Muendung desselben liegt, ist noch heute trotz aller Vernachlaessigung ein bluehender Garten und einer der anmutigsten Flecke der Erde. Der Stadt selbst tat es an Pracht und Glanz der oeffentlichen Anlagen im ganzen Reiche keine zuvor. Die Hauptstrasse, welche in der Ausdehnung von 36 Stadien, nahezu einer deutschen Meile, mit einer bedeckten Saeulenhalle zu beiden Seiten und in der Mitte einem breiten Fahrweg, die Stadt in gerader Richtung laengs des Flusses durchschnitt, ist in vielen antiken Staedten nachgeahmt worden, aber hat ihresgleichen nicht einmal in dem kaiserlichen Rom. Wie in jedem guten Hause in Antiocheia das Wasser lief ^9, so wandelte man in jenen Hallen durch die ganze Stadt zu allen Jahrzeiten geschuetzt vor Regen wie vor Sonnenglut, auch des Abends in erleuchteten Strassen, was sonst von keiner Stadt des Altertums berichtet wird ^10. ------------------------------------------- ^7 Dies sagt Diodor (20, 47) von der Vorlaeuferin Antiocheias, der nur etwa eine Meile weiter flussaufwaerts angelegten Stadt Antigoneia. Antiocheia ist fuer das Syrien der alten Zeit ungefaehr gewesen, was fuer das heutige Aleppo ist, der Knotenpunkt des inneren Verkehrs; nur dass bei jener Gruendung, wie schon die gleichzeitige Anlage des Hafens von Seleukeia beweist, die unmittelbare Verbindung mit dem Mittelmeer beabsichtigt und daher die Anlage weiter nach Westen gelegt ward. ^8 Der Raum zwischen Antiocheia und Daphne war mit Landhaeusern und Vignen gefuellt (Lib. or. 2 p. 213 Reiske), und es gab hier auch eine Vorstadt Herakleia oder auch Daphne (K. O. Mueller, Antiquitates Antiochiae, S. 44; vgl. vita Veri 7); aber wenn Tac. ann. 2, 83 diese Vorstadt Epidaphne nennt, so ist dies einer seiner seltsamsten Schnitzer. Plinius (nat. 5, 21, 79) sagt korrekt: Antiochia Epidaphnes cognominata. ^9 "Womit wir vornehmlich alle schlagen", sagt der Antiochener Libanios in der unter Constantius gehaltenen Lobrede auf seine Heimat (or. 1, 354 R.), nachdem er die Quellen der Daphne und die von dort nach der Stadt gefuehrten Leitungen geschildert hat, "das ist die Bewaesserung unserer Stadt; wenn sonst auch jemand es mit uns aufnehmen mag, so geben sie alle nach, sowie die Rede kommt auf das Wasser, seine Fuelle wie seine Trefflichkeit. In den oeffentlichen Baedern hat jeder Strom das Mass eines Flusses, in den privaten manche das gleiche, die uebrigen nicht viel weniger. Wer die Mittel hat, ein neues Bad anzulegen, tut dies unbesorgt um hinreichenden Zufluss und braucht nicht zu fuerchten, dass, wenn fertig, es ihm trocken liegen werde. Deshalb ist jeder Stadtbezirk [es gab deren achtzehn] auf die besondere Eleganz seiner Badeanstalt bedacht; es sind diese Bezirksbadeanstalten um so viel schoener als die allgemeinen, als sie kleiner sind als diese, und die Bezirksgenossen wetteifern immer die einen, die anderen zu uebertreffen. Man ermisst die Fuelle der fliessenden Wasser an der Menge der (guten) Wohnhaeuser; denn soviel der Wohnhaeuser, soviel sind auch der fliessenden Wasser, ja sogar in den einzelnen Haeusern oft mehrere; und auch die Mehrzahl der Werkstaetten hat den gleichen Vorzug. Darum schlagen wir uns auch nicht an den oeffentlichen Brunnen darum, wer zuerst zum Schoepfen kommt, an welchem Uebelstand so viele ansehnliche Staedte leiden, wo um die Brunnen ein heftiges Gedraenge ist und Laerm um die zerbrochenen Kruege. Bei uns fliessen die oeffentlichen Brunnen zur Zierde, da jeder innerhalb der Tueren sein Wasser hat. Und es ist dies Wasser so klar, dass der Eimer leer scheint, und so anmutend, dass es zum Trinken einladet." ^10 "Das Sonnenlicht", sagt derselbe Redner p. 363, "loesen andere Lichter ab, Leuchten, die das aegyptische Illuminationsfest hinter sich lassen; und bei uns unterscheidet sich die Nacht vom Tage nur durch die Verschiedenheit der Beleuchtung; die fleissigen Haende finden keinen Unterschied und schmieden weiter und wer da will, singt und tanzt, so dass Hephaestos und Aphrodite hier in die Nacht sich teilen." Bei dem Strassensport, den der Prinz Gallus sich gestattete, waren die antiochenischen Laternen ihm sehr unbequem (Amm. 14, 1, 9). ------------------------------------------- Aber in diesem ueppigen Treiben fanden die Musen sich nicht zurecht; der Ernst der Wissenschaft und die nicht minder ernste Kunst haben in Syrien und namentlich in Antiocheia niemals rechte Pflege gefunden. Wie vollkommen analog Aegypten und Syrien sonst sich entwickelt hatten, so scharf war ihr Gegensatz in literarischer Hinsicht: diesen Teil der Erbschaft des grossen Alexanders traten die Lagiden allein an. Pflegten sie die hellenische Literatur und foerderten wissenschaftliche Forschung in aristotelischem Sinn und Geist, so haben die besseren Seleukiden wohl durch ihre politische Stellung den Griechen den Orient erschlossen - Seleukos’ I. Sendung des Megasthenes nach Indien an Koenig Tschandragupta und die Erkundung des Kaspischen Meeres durch seinen Zeitgenossen, den Admiral Patrokles, haben in dieser Hinsicht Epoche gemacht; aber von unmittelbarem Eingreifen in die literarischen Interessen von seiten der Seleukiden weiss die Geschichte der griechischen Literatur nichts weiter zu melden, als dass Antiochos der sogenannte Grosse den Dichter Euphorion zu seinem Bibliothekar gemacht hat. Vielleicht darf die Geschichte der lateinischen Literatur fuer Berytus, die lateinische Insel im Meer des orientalischen Hellenismus, den Ernst wissenschaftlicher Arbeit in Anspruch nehmen. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Reaktion gegen die literarisch modernisierende Tendenz der julisch-claudischen Epoche und die Zurueckfuehrung der Sprache und der Schriften der republikanischen Zeit in die Schule wie in die Literatur ausgegangen ist von einem dem Mittelstand angehoerigen Berytier, dem Marcus Valerius Probus, welcher in den zurueckgebliebenen Schulen seiner entlegenen Heimat noch an den alten Klassikern sich gebildet hatte und dann in energischer, mehr kritisch schriftstellerischer als eigentlich lehrender Taetigkeit fuer den Klassizismus der spaeteren Kaiserzeit den Grund legte. Dasselbe Berytos ist spaeter der Sitz des Studiums der fuer die Beamtenlaufbahn erforderlichen Rechtswissenschaft fuer den ganzen Osten geworden und die ganze Kaiserzeit hindurch geblieben. In der hellenischen Literatur sind freilich die Poesie des Epigramms und der Witz des Feuilletons in Syrien zu Hause; mehrere der namhaftesten griechischen Kleindichter, wie Meleagros und Philodemos von Gadara und Antipatros von Sidon, sind Syrer und in sinnlichem Reiz wie in raffinierter Verskunst unuebertroffen; und der Vater der Feuilletonliteratur ist Menippos von Gadara. Aber diese Leistungen liegen meistens vor und zum Teil betraechtlich vor der Kaiserzeit. In der griechischen Literatur dieser Epoche ist keine Landschaft so geringfuegig vertreten wie die syrische, und Zufall ist dies schwerlich, wenngleich bei der universalen Stellung des Hellenismus in der Kaiserzeit auf die Heimat der einzelnen Schriftsteller nicht allzu viel Gewicht gelegt werden darf. Dagegen hatte die in dieser Epoche um sich greifende untergeordnete Schriftstellerei, die gedankenund formlosen Liebes-, Raeuber-, Piraten-, Kuppler-, Wahrsagerund Traumgeschichten und die Fabelreisen wahrscheinlich eben hier ihren Hauptsitz. Unter den Kollegen des schon genannten Iamblichos, Verfassers der babylonischen Geschichte, werden die Landsleute desselben zahlreich gewesen sein; die Beruehrung dieser griechischen Literatur mit der gleichartigen orientalischen ist wohl ohne Zweifel durch die Syrer vermittelt worden. Das Luegen brauchten die Griechen freilich nicht von den Orientalen zu lernen; aber die nicht mehr plastische, sondern phantastische Fabulierung ihrer spaeteren Zeit ist aus Scheherazades Fuellhorn, nicht aus dem Scherz der Chariten erwachsen. Vielleicht nicht zufaellig macht die Satire dieser Zeit, indem sie den Homer als den Vater der Luegenreisen betrachtet, denselben zu einem Babylonier mit eigentlichem Namen Tigranes. Abgesehen von dieser Unterhaltungslektuere, deren auch die sich einigermassen schaemten, die damit schreibend oder lesend die Zeit verdarben, ist aus diesen Gegenden kaum ein anderer hervorragender Name zu nennen als der Zeitgenosse jenes Iamblichos, der Kommagener Lukianos. Auch er hat nichts geschrieben als in Nachahmung des Menippos Essays und Feuilletons, recht nach syrischer Art, witzig und lustig in der persoenlichen Persiflage, aber wo diese zu Ende ist, unfaehig, die ernste Wahrheit lachend zu sagen oder gar die Plastik der Komik zu handhaben. Diesem Volke galt nur der Tag. Keine griechische Landschaft hat so wenig Denksteine aufzuweisen wie Syrien; das grosse Antiocheia, die dritte Stadt des Reiches, hat, um von dem Lande der Hieroglyphen und der Obelisken nicht zu reden, weniger Inschriften hinterlassen als manches kleine afrikanische oder arabische Dorf. Mit Ausnahme des Rhetors Libanios aus der Zeit Julians, welcher auch mehr bekannt ist als bedeutend, hat diese Stadt der Literatur keinen einzigen Schriftstellernamen geliefert. Nicht mit Unrecht nannte der tyanitische Messias des Heidentums oder sein fuer ihn redender Apostel die Antiochener ein ungebildetes und halb barbarisches Volk und meinte, dass Apollon wohl tun werde, sie auch wie ihre Daphne zu verwandeln; denn in Antiocheia verstaenden wohl die Zypressen zu fluestern, aber nicht die Menschen zu reden. In dem kuenstlerischen Kreis hat Antiocheia eine fuehrende Stellung nur gehabt in Betreff des Theaters und der Spiele ueberhaupt. Die Vorstellungen, welche das antiochenische Publikum fesselten, waren, nach der Sitte dieser Zeit, weniger eigentlich dramatische als rauschende Musikauffuehrungen, Ballette, Tierhetzen und Fechterspiele. Das Klatschen oder Zischen dieses Publikums entschied den Ruf des Taenzers im ganzen Reich. Die Jockeys und die sonstigen Circusund Theaterhelden kamen vorzugsweise aus Syrien ^11. Die Ballettaenzer und die Musiker sowie die Gaukler und Possenreisser, welche Lucius Verus von der - seinerseits in Antiocheia abgemachten - orientalischen Kampagne nach Rom zurueckbrachte, haben in der Geschichte des italischen Schauspielwesens Epoche gemacht. Mit welcher Leidenschaft das Publikum in Antiocheia diesem Vergnuegen sich hingab, dafuer ist charakteristisch, dass der Ueberlieferung nach die schwerste Katastrophe, welche in dieser Periode ueber Antiocheia gekommen ist, die Einnahme durch die Perser im Jahre 260, die Buerger der Stadt im Theater ueberraschte und von der Hoehe des Berges, an welchen dasselbe angelehnt war, die Pfeile in die Reihen der Zuschauer flogen. In Gaza, der suedlichsten Stadt Syriens, wo das Heidentum an dem beruehmten Marnas-Tempel eine feste Burg besass, liefen am Ende des 4. Jahrhunderts bei den Rennspielen die Pferde eines eifrigen Heiden und eines eifrigen Christen, und als dabei "Christus den Marnas schlug", da, erzaehlt der heilige Hieronymus, liessen zahlreiche Heiden sich taufen. ---------------------------------------------- ^11 Die merkwuerdige Reichsbeschreibung aus der Zeit des Constantius (C. Mueller, Geographi Graeci Minores. Bd. 2, S. 513 f.), die einzige derartige Schrift, worin die gewerblichen Zustaende eine gewisse Beruecksichtigung finden, sagt von Syrien in dieser Hinsicht: "Antiocheia hat alles, was man begehrt, in Fuelle, vor allem aber seine Rennspiele. Rennspiele haben auch Laodikeia, Berytos, Tyros, Kaesareia (in Palaestina). Nach auswaerts sendet Laodikeia Jockeys, Tyros und Berytos Schauspieler, Caesareia Taenzer (pantomimi), Heliopolis am Libanos Floetenblaeser (choraulae), Gaza Musiker (auditores, womit akroamata inkorrekt wiedergegeben ist), Askalon Ringkaempfer (athletae), Kastabala (eigentlich schon in Kilikien) Faustkaempfer." ---------------------------------------------- In Zuegellosigkeit der Sitte wetteiferten zwar die Grossstaedte des Roemischen Reiches alle; aber der Preis gebuehrt hierin wahrscheinlich Antiocheia. Der ehrbare Roemer, den der derbe Sittenmaler der traianischen Zeit schildert, wie er seiner Heimat den Ruecken wendet, weil sie eine Griechenstadt geworden, setzt hinzu, dass von dem Unrat die Achaeer der geringste Teil seien; laengst habe der syrische Orontes sich in den Tiberfluss ergossen und seine Sprache und seine Art, seine Musikanten, Harfenistinnen, Triangelschlaegerinnen und die Scharen seiner Freudenmaedchen ueber Rom ergossen. Von der syrischen Floetistin, der Ambubaia ^12, sprachen die Roemer Augusts wie wir von der Pariser Kokotte. In den syrischen Staedten, sagt schon in der letzten Zeit der roemischen Republik Poseidonios, ein bedeutender, selbst in dem syrischen Apameia heimischer Schriftsteller, haben die Buerger der harten Arbeit sich entwoehnt; man denkt dort nur an Schmausen und Zechen, und alle Reunionen und Kraenzchen dienen diesem Zweck; an der koeniglichen Tafel wird jedem Gast ein Kranz aufgesetzt und dieser dann mit babylonischen Parfuems besprengt; Floetenspiel und Harfenschlagen schallt durch die Gassen; die Turnanstalten sind in Warmbaeder verwandelt - mit letzterem ist die wahrscheinlich in Syrien zuerst aufgekommene und spaeterhin allgemein gewordene Einrichtung der sogenannten Thermen gemeint, die im wesentlichen eine Verbindung von Turnund Warmbadanstalten waren. Vierhundert Jahre spaeter ging es in Antiocheia nicht anders zu. Nicht so sehr um des Kaisers Bart entspann sich der Zank zwischen Julian und diesen Staedtern, sondern weil er in dieser Stadt der Kneipen, die, wie er sich ausdrueckt, nichts im Sinne habe als Tanzen und Trinken, den Wirten die Preise regulierte. Von dieser wuesten und sinnlichen Wirtschaft ist auch und vor allem das religioese Wesen der syrischen Landschaft durchdrungen. Der Kultus der syrischen Goetter war oft eine Sukkursale des syrischen Bordells ^13. ----------------------------------------------------- ^12 Von dem syrischen Wort abbuba Pfeife. ^13 Das Schriftchen Lukians von der zu Hierapolis vom ganzen Orient verehrten syrischen Goettin gibt eine Probe der wilden und wolluestigen Fabulierung, welche dem syrischen Kultus eigen ist. In dieser Erzaehlung - der Quelle von Wielands ’Kombabus’ - wird die Selbstverstuemmelung ironisiert, wie sie den Frommen als ein Akt hoher Moralitaet und gottseligen Glaubens galt. ----------------------------------------------------- Es wuerde ungerecht sein, die roemische Regierung fuer diese syrischen Zustaende verantwortlich zu machen; sie sind dieselben unter dem Diadochenregiment gewesen und auf die Roemer nur vererbt. Aber in der Geschichte dieser Zeit ist das syrohellenische Element ein wesentlicher Faktor, und obwohl sein indirekter Einfluss bei weitem mehr ins Gewicht faellt, hat dasselbe doch auch mehrfach unmittelbar in der Politik sich bemerklich gemacht. Von eigentlicher politischer Parteiung kann bei den Antiochenern dieser und jeder Zeit noch weniger die Rede sein als bei den Buergerschaften der uebrigen Grossstaedte des Reiches; aber im Mokieren und Raesonnieren haben sie es allem Anschein nach allen uebrigen, selbst den auch hierin mit ihnen wetteifernden Alexandrinern zuvorgetan. Revolution gemacht haben sie nie, aber jeden Praetendenten, den die syrische Armee aufstellte, bereitwillig und ernstlich unterstuetzt, den Vespasianus gegen Vitellius, den Cassius gegen Marcus, den Niger gegen Severus, immer bereit, wo sie Rueckhalt zu haben meinten, der bestehenden Regierung den Gehorsam aufzukuendigen. Das einzige Talent, das ihnen unwidersprochen zukommt, die Meisterschaft des Spottens, uebten sie nicht bloss gegen die Schauspieler ihrer Buehne, sondern nicht minder gegen die in der Residenz des Orients verweilenden Herrscher, und der Spott war ganz der gleiche gegen den Akteur wie gegen den Kaiser: er galt der persoenlichen Erscheinung und den individuellen Eigentuemlichkeiten, gleich als ob ihr Landesherr auch nur da sei, um sie mit seiner Rolle zu amuesieren. So bestand zwischen dem Publikum von Antiocheia und den Herrschern, namentlich denjenigen, die laengere Zeit daselbst verweilten, Hadrian, Verus, Marcus, Severus, Julian, sozusagen ein dauernder Hohnkrieg, aus welchem ein Aktenstueck, die Replik des letztgenannten Kaisers gegen die antiochenischen "Bartspoetter", noch heute erhalten ist. Wenn dieser kaiserliche Literat den Spottreden mit Spottschriften begegnete, so haben zu anderen Zeiten die Antiochener ihre schlimmen Reden und ihre uebrigen Suenden schwerer zu buessen gehabt. So entzog ihnen Hadrian das Recht der Silberpraegung, Marcus das Versammlungsrecht und schloss auf einige Zeit das Theater. Severus nahm sogar der Stadt den Primat von Syrien und uebertrug diesen auf das in stetem Nachbarkrieg mit der Hauptstadt stehende Laodikeia; und wenn diese beiden Anordnungen bald wieder zurueckgenommen wurden, so ist die Teilung der Provinz, welche bereits Hadrian angedroht hatte, unter Severus, wie gesagt ward, zur Ausfuehrung gekommen, und nicht zum wenigsten deswegen, weil die Regierung die unbotmaessige Grossstadt demuetigen wollte. Selbst den schliesslichen Untergang hat diese Stadt sich herangespottet. Als im Jahre 540 der Perserkoenig Chosroes Nuschirwan vor den Mauern Antiocheias erschien, wurde er von den Zinnen derselben nicht bloss mit Pfeilschuessen empfangen, sondern mit den ueblichen unflaetigen Spottrufen; und dadurch gereizt, erstuermte der Koenig nicht bloss die Stadt, sondern fuehrte auch ihre Einwohner hinweg in das von ihm unweit Ktesiphon angelegte Neu-Antiocheia. Die glaenzende Seite der syrischen Zustaende ist die oekonomische; in Fabrikation und Handel nimmt Syrien neben Aegypten unter den Provinzen des roemischen Kaiserreichs den ersten Platz ein und behauptet in gewisser Beziehung auch vor Aegypten den Vorrang. Die Bodenkultur gedieh unter dem dauernden Friedensstand und unter der einsichtigen, namentlich auf Hebung der Bewaesserung gerichteten Verwaltung in einem Umfang, der die heutige Zivilisation beschaemt. Freilich sind manche Teile Syriens noch heute von ueppigster Fuelle; das Tal des unteren Orontes, den reichen Garten um Tripolis mit seinen Palmengruppen, Orangenhainen, Granatund Jasmingebueschen, die fruchtbare Kuestenebene nordund suedwaerts von Gaza haben weder die Beduinen noch die Paschas bis jetzt vermocht zu veroeden. Aber ihr Werk ist dennoch nicht gering anzuschlagen. Apameia im mittleren Tal des Orontes, jetzt eine Felsenwildnis ohne Fluren und Baeume, wo die duerftigen Herden auf den spaerlichen Weideplaetzen von den Raeubern des Gebirges dezimiert werden, ist weit und breit mit Ruinen besaet, und es ist urkundlich bezeugt, dass unter dem Statthalter Syriens Quirinius, demselben, den die Evangelien nennen, diese Stadt mit Einschluss des Gebiets 117000 freie Einwohner gezaehlt hat. Ohne Frage ist einst das ganze Tal des wasserreichen Orontes - schon bei Hemesa ist er 30 bis 40 Meter breit und 1« bis 3 Meter tief - eine grosse Kulturstaette gewesen. Aber auch von den Strichen, die jetzt voellige Wueste sind und wo dem heutigen Reisenden das Leben und Gedeihen des Menschen unmoeglich scheint, war ein betraechtlicher Teil ehemals das Arbeitsfeld ruehriger Arme. Oestlich von Hemesa, wo jetzt kein gruenes Blatt und kein Tropfen Wasser ist, haben sich massenweise die schweren Basaltplatten ehemaliger Oelpressen gefunden. Waehrend heute nur in den quelligen Taelern des Libanos spaerliche Oliven wachsen, muessen einst die Oelwaelder weit ueber das Orontestal hinausgegangen sein. Wer jetzt von Hemesa nach Palmyra reist, fuehrt das Wasser auf dem Ruecken der Kamele mit sich, und diese ganze Wegstrecke ist bedeckt mit den Resten einstmaliger Villen und Doerfer ^14. Den Marsch Aurelians auf dieser Strecke vermoechte jetzt keine Armee zu unternehmen. Von dem, was heutzutage Wueste heisst, ist ein guter Teil vielmehr Verwuestung der gesegneten Arbeit besserer Zeiten. "Ganz Syrien", sagt eine Erdbeschreibung aus der Mitte des 4. Jahrhunderts, "hat Ueberfluss an Getreide, Wein und Oel." Aber ein eigentliches Exportland fuer die Bodenfruechte, wie Aegypten und Afrika, ist Syrien auch im Altertum nicht gewesen, wenn auch die edlen Weine, zum Beispiel der von Damaskos nach Persien, die von Laodikeia, Askalon, Gaza nach Aegypten und von da aus bis nach Aethiopien und Indien versandt wurden, und auch die Roemer den Wein von Byblos, von Tyros, von Gaza zu schaetzen wussten. ------------------------------------------------------ ^14 Der oesterreichische Ingenieur Joseph Tschernik (Ergaenzungsheft 44 zu Petermanns geographischen Mittheilungen, 1875, S. 3, 9) fand Basaltplatten von Oelpressen nicht bloss auf dem wuesten Plateau bei Kala’at el-Hossn zwischen Hemesa und dem Meer, sondern auch in der Zahl von ueber zwanzig oestlich von Hemesa bei el-Ferklus, wo der Basalt selbst nicht vorkommt, sowie ebendaselbst zahlreiche gemauerte Terrassen und Ruinenhuegel; Terrassierungen auf der ganzen Strecke von 16 Meilen zwischen Hemesa und Palmyra. K. E. Sachau (Reise in Syrien und Mesopotamien. Leipzig 1883, S. 23, 55) fand Reste von Wasserleitungen an verschiedenen Stellen der Strasse von Damaskos nach Palmyra. Die in den Fels gehauenen Zisternen von Arados, deren schon Strabon (16, 2, 13 p. 753) gedenkt, tun noch heute ihren Dienst (J. E. Renan, Mission de Phenicie. Paris 1874, S. 40). ------------------------------------------------------ Weit mehr ins Gewicht fielen fuer die allgemeine Stellung der Provinz die syrischen Fabriken. Eine Reihe von Industrien, die eben fuer den Export in Betracht kommen, sind hier heimisch, insbesondere von Leinen, von Purpur, von Seide, von Glas. Die Flachsweberei, von alters her in Babylonien zu Hause, ist von da frueh nach Syrien verpflanzt worden; "ihr Leinen", sagt jene Erdbeschreibung, "versenden Skytopolis (in Palaestina), Laodikeia, Byblos, Tyros, Berytos in die ganze Welt", und in dem Tarifgesetz Diocletians werden dem entsprechend als feine Leinenwaren die der drei erstgenannten Staedte neben denen des benachbarten Tarsos und aegyptischen aufgefuehrt, und die syrischen haben vor allen den Vorrang. Dass der Purpur von Tyros, so viele Konkurrenten ihm auch entstanden, stets den ersten Platz behauptet hat, ist bekannt; und neben der tyrischen gab es in Syrien zahlreiche ebenfalls beruehmte Purpurfaerbereien an der Kueste oberund unterhalb Tyros, in Sarepta, Dora, Caesarea, selbst im Binnenland, in dem palaestinensischen Neapolis und in Lydda. Die Rohseide kam in dieser Epoche aus China und vorzugsweise ueber das Kaspische Meer, also nach Syrien; verarbeitet ward sie hauptsaechlich in den Fabriken von Berytos und von Tyros, in welchem letzteren Orte besonders auch die viel gebrauchte und hoch bezahlte Purpurseide hergestellt ward. Die Glasfabriken von Sidon behaupteten in der Kaiserzeit ihren uralten Ruf, und zahlreiche Glasgefaesse unserer Museen tragen den Stempel eines sidonischen Fabrikanten. Zu dem Vertrieb dieser Waren, die ihrer Natur nach dem Weltmarkt angehoerten, kam weiter die ganze Warenmasse, welche aus dem Orient auf den Euphratstrassen in das Abendland gelangte. Freilich wendete der arabische und der indische Import in dieser Zeit sich von dieser Strasse ab und nahm hauptsaechlich den Weg ueber Aegypten; aber nicht bloss der mesopotamische Verkehr blieb notwendig den Syrern, sondern es standen auch die Emporien der Euphratmuendung in regelmaessigem Karawanenverkehr mit Palmyra und bedienten sich also der syrischen Haefen. Wie bedeutend dieser Verkehr mit den oestlichen Nachbarn war, zeigt nichts so deutlich wie die gleichartige Silberpraegung im roemischen Orient und im parthischen Babylonien; in den Provinzen Syrien und Kappadokien praegte die roemische Regierung Silber, abweichend von der Reichswaehrung, auf die Sorten und auf den Fuss des Nachbarreiches. Die syrische Fabrikation selbst, zum Beispiel von Leinen und Seide, ist eben durch den Import der gleichartigen babylonischen Handelsartikel angeregt worden, und wie diese, so sind auch die Lederund die Pelzwaren, die Salben, die Spezereien, die Sklaven des Orients waehrend der Kaiserzeit zu einem sehr betraechtlichen Teil ueber Syrien nach Italien und ueberhaupt dem Westen gekommen. Das aber ist diesen Ursitzen des Handelsverkehrs immer geblieben, dass die sidonischen Maenner und ihre Landesgenossen, hierhin sehr verschieden von den Aegyptern, ihre Waren nicht bloss den Auslaendern verkauften, sondern sie ihnen selber brachten, und wie die Schiffskapitaene in Syrien einen hervorragenden und geachteten Stand bildeten ^15, so waren syrische Kaufleute und syrische Faktoreien in der Kaiserzeit ungefaehr ebenso ueberall zu finden wie in den fernen Zeiten, von denen Homer erzaehlt. Die Tyrier hatten derzeit Faktoreien in den beiden grossen Importhaefen Italiens, Ostia und Puteoli, und wie diese selbst in ihren Urkunden ihre Anstalten als die groessten und stattlichsten dieser Art bezeichnen, so wird in der oefter angefuehrten Erdbeschreibung Tyros fuer Handel und Verkehr der erste Platz des Orients genannt ^16; ebenso hebt Strabon bei Tyros und bei Arados die ungewoehnlich hohen, aus vielen Stockwerken bestehenden Haeuser als eine Besonderheit hervor. Aehnliche Faktoreien haben auch Berytos und Damaskos und gewiss noch viele andere syrische und phoenikische Handelsstaedte in den italienischen Haefen gehabt ^17. Dem entsprechend finden wir namentlich in der spaeteren Kaiserzeit syrische, vornehmlich apamenische Kaufleute nicht bloss in ganz Italien ansaessig, sondern ebenso in allen groesseren Emporien des Okzidents, in Salonae in Dalmatien, Apulum in Dakien, Malaca in Spanien, vor allem aber in Gallien und Germanien, zum Beispiel in Bordeaux, Lyon, Paris, Orleans, Trier, so dass wie die Juden so auch diese syrischen Christen nach ihren Gebraeuchen leben und in ihren Konventen sich ihres Griechischen bedienen ^18. Nur auf dieser Grundlage werden die frueher geschilderten Zustaende der Antiochener und der syrischen Staedte ueberhaupt verstaendlich. Die vornehme Welt daselbst besteht aus den reichen Fabrikanten und Kaufleuten, die Masse der Bevoelkerung sind die Arbeiter und die Schiffer ^19, und wie spaeter der im Orient erworbene Reichtum nach Genua und Venedig, so stroemte damals der Handelsgewinn des Okzidents zurueck nach Tyros und Apameia. Bei dem ausgedehnten Handelsgebiet, welches diesen Grosshaendlern offenstand, und bei den im ganzen maessigen Grenzund Binnenzoellen brachte schon der syrische, einen grossen Teil der gewinnbringendsten und transportabelsten Artikel umfassende Export ungeheure Kapitalien in ihre Haende; und ihr Geschaeft beschraenkte sich nicht auf die heimatlichen Waren ^20. Welches Wohlleben einstmals hier geherrscht hat, das lehren nicht die duerftigen Ueberbleibsel der untergegangenen grossen Staedte, aber die mehr verlassene als verwuestete Landschaft am rechten Ufer des Orontes von Apameia an bis zu der Wendung des Flusses gegen das Meer. In diesem Strich von etwa 20 bis 25 deutschen Meilen Laenge stehen heute noch die Ruinen von gegen hundert Ortschaften, ganze noch erkennbare Strassen, die Gebaeude, mit Ausnahme der Daecher, ausgefuehrt in massivem Steinbau, die Wohnhaeuser von Saeulenhallen umgeben, mit Galerien und Balkonen geschmueckt, Fenster und Portale reich und oft geschmackvoll dekoriert mit Steinarabesken, dazu Gartenund Badeanlagen, Wirtschaftsraeume im Erdgeschoss, Staelle, in den Felsen gehauene Weinund Oelpressen ^21, auch grosse, ebenfalls in den Felsen gehauene Grabkammern mit Sarkophagen gefuellt und mit saeulengeschmueckten Eingaengen. Spuren oeffentlichen Lebens begegnen nirgends; es sind die Landwohnungen der Kaufleute und der Industriellen von Apameia und Antiocheia, deren gesicherter Wohlstand und solider Lebensgenuss aus diesen Truemmern spricht. Es gehoeren diese Ansiedlungen voellig gleichfoermigen Charakters durchaus der spaeten Kaiserzeit an, die aeltesten dem Anfang des vierten Jahrhunderts, die spaetesten der Mitte des sechsten, unmittelbar vor dem Ansturm des Islam, dem auch dieses bluehende und gedeihliche Leben erlegen ist. Christliche Symbole und biblische Sprueche begegnen ueberall und ebenso stattliche Kirchen und kirchliche Anlagen. Indes hat diese Kulturentwicklung nicht erst unter Konstantin begonnen, sondern in jenen Jahrhunderten nur sich gesteigert und konsolidiert. Sicher sind jenen Steinbauten aehnliche, weniger dauerhafte Villenund Gartenanlagen vorausgegangen. Die Regeneration des Reichsregiments nach den wuesten Wirren des dritten Jahrhunderts drueckt in dem Aufschwung sich aus, den die syrische Kaufmannswelt damals nahm; aber bis zu einem gewissen Grade wird dies uns gebliebene Abbild derselben auch auf die fruehere Kaiserzeit bezogen werden duerfen. ------------------------------------------------------ 15 In Arados, einer zu Strabons Zeit (16, 2, 13 p. 753) sehr volkreichen Stadt, erscheint unter Augustus ein proboylos t/o/n nayarch/e/sani/o/n (CIG 4736 h, besser bei Renan, Mission de Phinicie, S. 31). 16 Totius orbis descriptio c. 24: nulla forte civitas Orientis est eius spissior in negotio. Die Urkunden der statio (CIG 5853; CIL X, 1601) geben von diesen Faktoreien ein lebendiges Bild. Sie dienen zunaechst religioesen Zwecken, das heisst fuer den Kult der tyrischen Goetter am fremden Ort; zu diesem Zwecke wird in der groesseren Station von Ostia von den tyrischen Schiffern und Kaufleuten eine Abgabe erhoben und aus deren Ertrag der kleineren ein jaehrlicher Zuschuss von 1000 Sesterzen gewaehrt, der fuer die Miete des Lokals verwendet wird; die uebrigen Kosten werden von den Tyriern in Puteoli, ohne Zweifel durch freiwillige Beitraege, aufgebracht. 17 Fuer Berytos beweist dies die Puteolaner Inschrift CIL X,1634; fuer Damaskos legt es die dem Jupiter optimus maximus Damascensus daselbst gesetzte X, 1576 wenigstens nahe. Uebrigens zeigt sich auch hier, mit wie gutem Grund Puteoli Klein-Delos heisst. Auf Delos begegnen in der letzten Zeit seiner Bluete, das heisst etwa in dem Jahrhundert vor dem Mithradatischen Krieg, die syrischen Faktoreien und die syrischen Kulte in ganz gleicher Weise und in noch groesserer Fuelle: wir finden dort die Gilde der Herakleisten von Tyros (to koinon t/o/n Tyri/o/n /E/rakleist/o/n empor/o/n kai naykl/e/r/o/n CIG 2271), der Poseidoniasten von Berytos (to koinon B/e/ryti/o/n Poseid/o/niast/o/n empor/o/n kai naykl/e/r/o/n kai egdoche/o/n, BCH 7, 1883, S. 468), der Verehrer des Adad und der Atargatis von Hierapolis (BCH 6, 1882, S. 495f.), abgesehen von den zahlreichen Denksteinen syrischer Kaufleute. Vgl. Homolle, BCH 8, 1884, S. 110f. 18 Indem Salvianus (gegen 450) den gallischen Christen zu Gemuete fuehrt, dass sie um nichts besser seien als die Heiden, weist er hin (gub. 4, 14, 69) auf die nichtswuerdigen negotiatorum et Syricorum omnium turbae, quae maiorem ferme civitatum universarum partem occupaverunt. Gregor von Tours erzaehlt, dass Koenig Guntchram in Orleans von der gesamten Buergerschaft eingeholt wird und gefeiert, wie in lateinischer Sprache so auch auf hebraeisch und auf syrisch (8, 1: hinc lingua Syrorum, hinc Latinorum, hinc ... Judaeorum in diversis laudibus varie concrepabat) und dass nach Erledigung des Bischofsitzes von Paris ein syrischer Kaufmann denselben sich zu verschaffen wusste und die dazu gehoerigen Stellen an seine Landsleute vergab (10, 26: omnem scholam decessoris sui abiciens Syros de genere suo ecclesiasticae domui ministros esse statuit). Sidonius (um 450) schildert die verkehrte Welt von Ravenna (epist. 1, 8) mit den Worten: fenerantur clerici, Syri psallunt ; negotiatores militant, monachi negotiantur. Usque hodie, sagt Hieronymus (in Ezech. 27, vol. 5 p. 513 Vall.) permanet in Syris ingenitus negotiationis ardor, qui per totum mundum lucri cupiditate discurrunt et tantam mercandi habent vesaniam, ut occupato nunc orbe Romano (geschrieben gegen Ende des 4. Jahrhunderts) inter gladios et miserorum neces quaerant divitias et paupertatem periculis fugiant. Andere Belege gibt L. Friedlaender, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms. Bd. 2, 5. Aufl. S. 67. Ohne Bedenken wird man die zahlreichen Inschriften des Okzidents hinzufuegen duerfen, welche von Syrern herruehren, auch wenn diese sich nicht ausdruecklich als Kaufleute bezeichnen. Belehrend ist dafuer das Coemeterium der kleinen norditalischen Landstadt Concordia aus dem 5. Jahrhundert; die auf demselben bestatteten Auslaender sind alle Syrer, meist Apamener (CIL III, p. 1060); ebenso gehoeren alle in Trier gefundenen griechischen Inschriften Syrern (CIG 9891, 9892, 9893). Diese Inschriften sind nicht bloss in syrischer Weise datiert, sondern zeigen auch Besonderheiten des dortigen dialektischen Griechisch (Hermes 19, 1884, S. 423). Dass diese syrisch-christliche, zu dem Gegensatz des orientalischen und okzidentalischen Klerus in Beziehung stehende Diaspora mit der juedischen nicht zusammengeworfen werden darf, zeigt der Bericht bei Gregorius deutlich; sie hat offenbar viel hoeher gestanden und durchgaengig den besseren Staenden angehoert. 19 Das ist zum Teil noch heute so. Die Zahl der Seidenarbeiter in Hoems wird auf 3000 angeschlagen (Tschernik a. a. O.) ^20 Eine der aeltesten, das heisst nach Severus und vor Diocletian gesetzten Grabschriften dieser Art ist die lateinisch-griechische, unweit Lyon gefundene (Wilmanns 2498 vgl. Lebas-Waddington 2329) eines THaimos o kai Ioylianos Saadoy (lateinisch Thaemus Iulianus Sati fil.), gebuertig aus Atheila (de vico Athelani) unweit Kanatha in Syrien (noch jetzt ’Atil unweit Kanawat im Hauran) und Decurio in Kanatha, ansaessig in Lyon (patran leip/o/n /e/ke t/o/d’ epi ch/o/r/o/) und hier Grosshaendler fuer aquitanische Waren (es prasin ech/o/n enporion agorasm/o/n meston ek Akoyitani/e/s /o/d’ epi Loygoydynoi/o/ - negotiatori Luguduni et prov. Aquitanica). Danach muessen diese syrischen Kaufleute nicht allein mit syrischen Waren gehandelt, sondern mit ihrem Kapital und ihrer Geschaeftskenntnis den Grosshandel ueberhaupt betrieben haben. ^21 Charakteristisch ist das lateinische Epigramm an einem Kelterhause CIL III, 188 in dieser Heimat der "apamenischen Traube" (vita Elagabali c. 21). ------------------------------------------------------ Die Verhaeltnisse der Juden in der roemischen Kaiserzeit sind so eigenartig und man moechte sagen so wenig abhaengig von der Provinz, die in der frueheren Kaiserzeit mit ihrem, in der spaeteren vielmehr mit dem wiedererweckten Namen der Philistaeer oder Palaestinenser benannt ward, dass es, wie schon gesagt ward, angemessen erschien, diese in einem besonderen Abschnitt zu behandeln. Das Wenige, was ueber das Land Palaestina zu bemerken ist, insbesondere die nicht unbedeutende Beteiligung der Kuestenund zum Teil auch der binnenlaendischen Staedte an der syrischen Industrie und dem syrischen Handel, ist in der darueber gegebenen Auseinandersetzung miterwaehnt worden. Die juedische Diaspora hatte schon vor der Zerstoerung des Tempels sich in einer Weise erweitert, dass Jerusalem, auch als es noch stand, mehr ein Symbol als eine Heimat war, ungefaehr wie die Stadt Rom fuer die sogenannten roemischen Buerger der spaeteren Zeit. Die Juden von Antiocheia und Alexandreia und die zahlreichen aehnlichen Gemeinschaften minderen Rechts und geringeren Ansehens haben sich selbstverstaendlich an dem Handel und Verkehr ihrer Wohnsitze beteiligt. Ihr Judentum kommt dabei nur etwa insofern in Betracht, als die Gefuehle gegenseitigen Hasses und gegenseitiger Verachtung, wie sie seit Zerstoerung des Tempels und den mehrfach sich wiederholenden national-religioesen Kriegen zwischen Juden und Nichtjuden sich entwickelt oder vielmehr gesteigert hatten, auch in diesen Kreisen ihre Wirkung geuebt haben werden. Da die im Ausland sich aufhaltenden syrischen Kaufleute sich zunaechst fuer den Kultus ihrer heimatlichen Gottheiten zusammenfanden, so kann der syrische Jude in Puteoli den dortigen syrischen Kaufmannsgilden nicht wohl angehoert haben; und wenn der Kult der syrischen Goetter im Ausland mehr und mehr Anklang fand, so zog, was den uebrigen Syrern zugute kam, zwischen den mosaisch-glaeubigen Syrern und den Italikern eine Schranke mehr. Schlossen sich diejenigen Juden, die eine Heimat ausser Palaestina gefunden hatten, ausserhalb derselben nicht ihren Wohnsitz-, sondern ihren Religionsgenossen an, wie das nicht hat anders sein koennen, so verzichteten sie damit auf die Geltung und die Duldung, welche den Alexandrinern und den Antiochenern und so weiter im Ausland entgegenkam, und wurden genommen, wie sie sich gaben, als Juden. Die palaestinensischen Juden des Okzidents aber waren zum groessten Teil nicht hervorgegangen aus der kaufmaennischen Emigration, sondern kriegsgefangene Leute oder Nachkommen solcher und in jeder Hinsicht heimatlos; die Pariastellung, welche die Kinder Abrahams vor allem in der roemischen Hauptstadt einnahmen, der Betteljude, dessen Hausrat in dem Heubuendel und dem Schacherkorb besteht und dem kein Verdienst zu gering und zu gemein ist, knuepft an den Sklavenmarkt an. Unter diesen Umstaenden begreift es sich, weshalb im Okzident die Juden waehrend der Kaiserzeit neben den Syrern eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Die religioese Gemeinschaft der kaufmaennischen und der Proletariereinwanderung drueckte auf die Gesamtheit der Juden noch neben der allgemeinen mit ihrer Stellung verbundenen Zuruecksetzung. Mit Palaestina aber hat jene wie diese Diaspora wenig zu schaffen. Es bleibt noch ein Grenzgebiet zu betrachten, von dem nicht haeufig die Rede ist und das dennoch wohl Beruecksichtigung verdient: es ist die roemische Provinz Arabia. Sie fuehrt ihren Namen mit Unrecht; der Kaiser, der sie eingerichtet hat, Traianus, war ein Mann grosser Taten, aber noch groesserer Worte. Die arabische Halbinsel, weiche das Euphratgebiet wie das Niltal voneinander scheidet, regenarm, ohne Fluesse, allerseits mit felsiger und hafenarmer Kueste, ist fuer den Ackerbau wie fuer den Handel wenig geeignet und in alter Zeit zum weitaus groessten Teil den nicht sesshaften Wuestenbewohnern zum unbestrittenen Erbteil verblieben. Insonderheit die Roemer, welche ueberhaupt in Asien wie in Aegypten besser als irgendeine andere der wechselnden Vormaechte es verstanden haben, ihren Besitz zu beschraenken, haben niemals auch nur versucht, die arabische Halbinsel zu unterwerfen. Ihre wenigen Unternehmungen gegen den suedoestlichen Teil derselben, den produktenreichsten und wegen der Beziehung zu Indien auch fuer den Handel wichtigsten, werden bei der Eroerterung der aegyptischen Verkehrsverhaeltnisse ihre Darstellung finden. Das roemische Arabien umfasst schon als roemischer Klientelstaat und vor allem als roemische Provinz nur einen maessigen Teil vom Norden der Halbinsel, ausserdem aber das Land suedlich und oestlich von Palaestina zwischen diesem und der grossen Wueste bis ueber Bostra hinaus. Mit diesem betrachten wir die zu Syrien gehoerige Landschaft zwischen Bostra und Damaskos, die jetzt nach dem Haurangebirge benannt zu werden pflegt, nach der alten Bezeichnung Trachonitis und Batanaea. Diese ausgedehnten Gebiete sind fuer die Zivilisation nur unter besonderen Verhaeltnissen zu gewinnen. Das eigentliche Steppenland (Hamad) oestlich von der Gegend, mit der wir uns hier beschaeftigen, bis zum Euphrat ist nie von den Roemern in Besitz genommen worden und aller Kultur unfaehig; nur die schweifenden Wuestenstaemme, wie heute zum Beispiel die Aneze, durchziehen dasselbe, um ihre Rosse und ihre Kamele im Winter am Euphrat, im Sommer in den Gebirgen suedlich von Bostra zu weiden und oft mehrmals im Jahre die Trift zu wechseln. Schon auf einem hoeheren Grade der Kultur stehen westwaerts der Steppe die sesshaften Hirtenstaemme, die namentlich Schafzucht in grosser Ausdehnung betreiben. Aber auch fuer den Ackerbau ist in diesen Strecken vielfach Raum. Die rote Erde des Hauran, zersetzte Lava, erzeugt im Urzustand viel wilden Roggen, wilde Gerste und wilden Hafer und bestellt den schoensten Weizen. Einzelne Tieftaeler mitten zwischen den Steinwuesten, wie das "Saatfeld", die Ruhbe, in der Trachonitis, sind die fruchtbarsten Strecken in ganz Syrien; ohne dass gepfluegt, geschweige denn geduengt wird, traegt der Weizen durchschnittlich achtzig-, die Gerste hundertfaeltig und 26 Halme von einem Weizenkorn sind keine Seltenheit. Dennoch bildet sich hier kein fester Wohnsitz, da in den Sommermonaten die grosse Hitze und der Mangel an Wasser und Weide die Bewohner zwingt, nach den Gebirgsweiden des Hauran zu wandern. Aber auch an Gelegenheit zu fester Ansiedelung fehlt es nicht. Das von dem Baradafluss in vielfachen Armen durchstroemte Gartenrevier um die Stadt Damaskos und die fruchtbaren, noch heute volkreichen Bezirke, die dasselbe nach Osten, Norden und Sueden einschliessen, waren in alter wie in neuer Zeit die Perle Syriens. Die Ebene um Bostra, namentlich westlich davon die sogenannte Nukra, ist heute fuer Syrien die Kornkammer, obgleich durch Regenmangel durchschnittlich jede vierte Ernte verlorengeht und die aus der nahen Wueste oftmals einbrechenden Heuschrecken eine unvertilgbare Landplage bleiben. Wo immer die Wasserlaeufe der Gebirge in die Ebene gefuehrt werden, blueht unter ihnen das frische Leben auf. "Die Fruchtbarkeit dieser Landschaft", sagt ein genauer Kenner, "ist unerschoepflich; und noch heutigentags, wo die Nomaden dort weder Baum noch Strauch uebrig gelassen haben, gleicht das Land, so weit das Auge reicht, einem Garten." Auch auf den Lavaplateaus der gebirgigen Strecken haben die Lavastroeme nicht wenige Stellen (Ka’ im Auran genannt) fuer den Anbau freigelassen. Diese Naturbeschaffenheit hat regelmaessig die Landschaft den Hirten und den Raeubern ueberliefert. Die notwendige Unstetigkeit eines grossen Teils der Bevoelkerung fuehrt zu ewigen Fehden namentlich um die Weideplaetze und zu stetigen Ueberfaellen derjenigen Gegenden, die sich fuer feste Ansiedlung eignen; mehr noch als anderswo bedarf es hier der Bildung solcher staatlicher Gewalten, die imstande sind, in weiterem Umfange Ruhe und Frieden zu schaffen, und fuer diese fehlt in der Bevoelkerung die rechte Unterlage. Es gibt in der weiten Welt kaum eine Landschaft, wo gleich wie in dieser die Zivilisation nicht aus sich selbst erwachsen, sondern allein durch uebermaechtige Eroberung von aussen her ins Leben gerufen werden kann. Wenn Militaerstationen die schweifenden Staemme der Wueste eindaemmen und diejenigen innerhalb der Kulturgrenze zum friedlichen Hirtenleben zwingen, wenn in die kulturfaehigen Gegenden Kolonisten gefuehrt und die Wasser der Berge von Menschenhand in die Ebene geleitet werden, so, aber auch nur so, gedeiht hier froehliches und reichliches Leben. Die vorroemische Zeit hatte diesen Landschaften solchen Segen nicht gebracht. Die Bewohner des gesamten Gebiets gehoeren bis gegen Damaskos hin zu dem arabischen Zweig des grossen semitischen Stammes; die Personennamen wenigstens sind durchgaengig arabisch. Es begegneten sich in demselben, wie in dem noerdlichen Syrien, orientalische und okzidentalische Zivilisation; doch hatten bis zu der Kaiserzeit beide nur geringe Fortschritte gemacht. Die Sprache und die Schrift, deren die Nabataeer sich bedienen, sind die Syriens und der Euphratlaender und koennen nur von dort her den Eingeborenen zugekommen sein. Andererseits erstreckte die griechische Festsetzung in Syrien sich zum Teil wenigstens auch auf diese Landschaften. Die grosse Handelsstadt Damaskos war mit dem uebrigen Syrien griechisch geworden. Auch in das transjordanische Gebiet, insbesondere in die noerdliche Dekapolis hatten die Seleukiden die griechische Staedtegruendung getragen; weiter suedlich war hier wenigstens das alte Rabbath Ammon durch die Lagiden die Stadt Philadelpheia geworden. Aber weiter abwaerts und in den oestlichen, an die Wueste grenzenden Strichen hatten die nabataeischen Koenige nicht viel mehr als dem Namen nach den syrischen oder den aegyptischen Alexandriden gehorcht, und Muenzen oder Inschriften und Bauwerke, welche dem vorroemischen Hellenismus beigelegt werden koennten, sind hier nirgends zum Vorschein gekommen. Als Syrien roemisch ward, war Pompeius bemueht, das hellenische Staedtewesen, das er vorfand, zu festigen; wie denn die Staedte der Dekapolis spaeterhin von dem Jahre 690/1 (64/63), in dem Palaestina zum Reich gekommen war, ihre Jahre zaehlten ^22. Hauptsaechlich aber blieb in diesem Gebiet das Regiment wie die Zivilisierung den beiden Vasallenstaaten, dem juedischen und dem arabischen, ueberlassen. ----------------------------------------------------- ^22 Dass die Dekapolis und die Reorganisation des Pompeius wenigstens bis nach Kanata (Kerak) nordwestlich von Bostra reichte, steht durch die Zeugnisse der Schriftsteller und durch die nach der pompeianischen Aera datierten Muenzen fest (Waddington zu 2412 d). Wahrscheinlich gehoeren derselben Stadt die Muenzen mit dem Namen Gabeinia Kanatha und Daten derselben Aera (Reichard, Zeitschrift fuer Numismatik 7,1880, S. 53); es wuerde danach dieser Ort zu den zahlreichen von Gabinius restituierten gehoeren (Ios. ant. Iud. 14, 5, 3). Waddington freilich (zu 2329) gibt diese Muenzen, so weit er sie kannte, dem zweiten Ort dieses Namens, dem heutigen Kanawat, der eigentlichen Hauptstadt des Hauran, nordwaerts von Bostra; aber es ist wenig wahrscheinlich, dass Pompeius’ und Gabinius’ Organisation sich so weit ostwaerts erstreckt hat. Vermutlich ist diese zweite Stadt juenger und benannt nach der ersten, der oestlichsten der Dekapolis. ----------------------------------------------------- Von dem Koenig der Juden, Herodes und seinem Hause, wird anderweitig noch die Rede sein; hier haben wir seiner Taetigkeit zu gedenken fuer die Ausdehnung der Zivilisation gegen Osten. Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich ueber beide Ufer des Jordan in seiner ganzen Ausdehnung, nordwaerts bis wenigstens nach Chelbon, nordwestlich von Damaskos, suedlich bis an das Tote Meer, waehrend die Landschaft weiter oestlich zwischen seinem Reich und der Wueste dem Araberkoenig ueberwiesen war. Er und seine Nachkommen, die hier noch nach der Einziehung der Herrschaft von Jerusalem bis auf Traian das Regiment fuehrten und spaeterhin in Ceasarea Paneas im suedlichen Libanos residierten, waren energisch bemueht, die Eingeborenen zu zaehmen. Die aeltesten Zeugnisse einer gewissen Kultur in diesen Gegenden sind wohl die Hoehlenstaedte, von denen im Buch der Richter die Rede ist, grosse unterirdische, durch Luftloecher bewohnbar gemachte Samtverstecke mit Gassen und Brunnen, geeignet, Menschen und Herden zu bergen, schwer zu finden und auch gefunden schwer zu bezwingen. Ihr blosses Dasein zeigt die Vergewaltigung der friedlichen Bewohner durch die unsteten Soehne der Steppe. "Diese Striche", sagt Josephus, wo er die Zustaende im Hauran unter Augustus schildert, "wurden bewohnt von wilden Staemmen ohne Staedte und ohne feste Aecker, welche mit ihren Herden unter der Erde in Hoehlen mit schmalem Eingang und weiten verschlungenen Gassen hausten, aber mit Wasser und Vorraeten reichlich versehen, schwer zu bezwingen waren." Einzelne dieser Hoehlenstaedte fassen bis 400 Koepfe. Ein merkwuerdiges Edikt des ersten oder zweiten Agrippa, wovon sich Bruchstuecke in Kanatha (Kanawat) gefunden haben, fordert die Einwohner auf, von ihren "Tierzustaenden" zu lassen und das Hoehlenleben mit zivilisierter Existenz zu vertauschen. Die nicht ansaessigen Araber lebten hauptsaechlich vom Auspluendern teils der benachbarten Bauern, teils der durchziehenden Karawanen; die Unsicherheit wurde dadurch gesteigert, dass der kleine Fuerst Zenodoros von Abila nordwaerts Damaskos im Antilibanos, dem Augustus die Aufsicht ueber den Trachon uebertragen hatte, es vorzog, mit den Raeubern gemeinschaftliche Sache zu machen, und sich an ihrem Gewinn im stillen beteiligte. Eben infolgedessen wies der Kaiser dies Gebiet dem Herodes zu, und dessen ruecksichtsloser Energie gelang einigermassen die Baendigung dieser Raeuberwirtschaft. Der Koenig scheint an der Ostgrenze eine Linie befestigter und koeniglichen Kommandanten (eparchoi) unterstellter Militaerposten eingerichtet zu haben. Er haette noch mehr erreicht, wenn das nabataeische Gebiet den Raeubern nicht eine Freistatt geboten haette; es war dies eine der Ursachen der Entzweiung zwischen ihm und seinem arabischen Kollegen ^23. Die hellenisierende Tendenz tritt auf diesem Gebiete ebenso stark und minder unerfreulich hervor wie in seinem Regiment in der Heimat. Wie alle Muenzen des Herodes und der Herodeer griechis ch sind, so traegt im transjordanischen Land zwar das aelteste Denkmal mit Inschrift, das wir kennen, der Tempel des Baalsamin bei Kanatha, eine aramaeische Dedikation; aber die dort aufgestellten Ehrenbasen, darunter eine fuer Herodes den Grossen ^24, sind zweisprachig oder bloss griechisch; unter seinen Nachfolgern herrscht das Griechische allein. ----------------------------------------- ^23 Die "fluechtigen Leute aus der Tetrarchie des Philippos", welche im Heer des Tetrarchen von Galilaea Herodes Antipas dienen und in der Schlacht gegen den Araber Aretas zum Feinde uebergehen (Ios. ant. Iud. 18, 5, 1), sind ohne Zweifel auch aus der Trachonitis ausgetriebene Araber. ^24 Waddington 2366 = Vogue, Inscriptions du Haouran, n. 3. Zweisprachig ist auch die aelteste Grabschrift dieser Gegend aus Suweda, Waddington 2320 = Vogue n. 1, die einzige im Hauran, die das stumme Jota ausdrueckt. Die Aufschriften sind auf beiden Denkmaelern so angebracht, dass nicht zu bestimmen ist, welche Sprache voransteht. ----------------------------------------- Neben dem juedischen stand der schon frueher erwaehnte "Koenig von Nabat", wie er selber sich nennt. Die Residenz dieser Araberfuersten war die "Felsenstadt", aramaeisch Sela, griechisch Petra, eine mittwegs zwischen dem Toten Meere und der nordoestlichen Spitze des Arabischen Meerbusens gelegene Felsenburg, von jeher ein Stapelplatz fuer den Verkehr Indiens und Arabiens mit dem Mittelmeergebiet. Von der arabischen Halbinsel besassen diese Herrscher die noerdliche Haelfte; ihre Gewalt erstreckte sich am Arabischen Meerbusen bis nach Leuke Kome gegenueber der aegyptischen Stadt Berenike, im Binnenland wenigstens bis in die Gegend des alten Thaema ^25. Noerdlich von der Halbinsel reichte ihr Gebiet bis nach Damaskos, das unter ihrem Schutze stand ^26, und selbst ueber Damaskos hinaus ^27 und umschloss wie mit einem Guertel das gesamte palaestinensische Syrien. Nach der Besitznahme Judaeas stiessen die Roemer feindlich mit ihnen zusammen, und Marcus Scaurus fuehrte eine Expedition gegen Petra. Damals ist es nicht zu ihrer Unterwerfung gekommen; aber bald nachher muss dieselbe erfolgt sein ^28. Unter Augustus ist ihr Koenig Obodas ebenso reichsuntertaenig ^29 wie der Judenkoenig Herodes und leistet gleich diesem Heerfolge bei der roemischen Expedition gegen das suedliche Arabien. Seit jener Zeit muss der Schutz der Reichsgrenze im Sueden wie im Osten von Syrien bis hinauf nach Damaskos zunaechst in der Hand dieses Araberkoenigs gelegen haben. Mit dem juedischen Nachbarn lag er in bestaendiger Fehde. Augustus, erzuernt darueber, dass der Araber statt bei dem Lehnsherrn gegen Herodes Recht zu suchen, diesem mit den Waffen entgegengetreten war und dass des Obodas Sohn Harethath oder griechisch Aretas nach dem Tode des Vaters, statt die Belehnung abzuwarten, ohne weiteres die Herrschaft angetreten hatte, war im Begriff, diesen abzusetzen und sein Gebiet mit dem juedischen zu vereinigen; aber das Missregiment des Herodes in seinen spaeteren Jahren hielt ihn davon zurueck, und so wurde (um 747 7) Aretas bestaetigt. Einige Dezennien spaeter begann derselbe wieder auf eigene Hand Krieg gegen seinen Schwiegersohn, den Fuersten von Galilaea, Herodes Antipas, wegen der Verstossung seiner Tochter zu Gunsten der schoenen Herodias. Er behielt die Oberhand, aber der erzuernte Lehnsherr Tiberius befahl dem Statthalter von Syrien die Exekution gegen ihn. Schon waren die Truppen auf dem Marsche, als Tiberius starb (37); und sein Nachfolger Gaius, der dem Antipas nicht wohl wollte, verzieh dem Araber. Des Aretas Nachfolger Koenig Maliku oder Malchos focht unter Nero und Vespasian in dem Juedischen Krieg als roemischer Vasall und vererbte die Herrschaft auf seinen Sohn Rabel, den Zeitgenossen Traians, den letzten dieser Regenten. Namentlich nach der Einziehung des Staates von Jerusalem und der Reduzierung der ansehnlichen Herrschaft des Herodes auf das wenig schlagfertige Koenigreich von Caesarea Paneas war unter den syrischen Klientelstaaten der arabische der ansehnlichste, wie er denn auch zu dem Jerusalem belagernden Roemerheere unter den koeniglichen das staerkste Kontingent stellte. Des Gebrauchs der griechischen Sprache hat dieser Staat sich auch unter roemischer Oberhoheit enthalten; die unter der Herrschaft seiner Koenige geschlagenen Muenzen tragen, von Damaskos abgesehen, nur aramaeische Aufschrift. Aber es zeigen sich die Anfaenge geordneter Zustaende und zivilisierten Regiments. Die Praegung selbst hat wahrscheinlich erst begonnen, nachdem der Staat unter roemische Klientel gekommen war. Der arabisch-indische Verkehr mit dem Mittelmeergebiet bewegt sich zum grossen Teil auf der von Leuke Kome ueber Petra nach Gaza laufenden, von den Roemern ueberwachten Karawanenstrasse ^30. Die Fuersten des Nabataeerreiches bedienen sich, aehnlich wie die Gemeinde Palmyra, fuer die Beamten griechischer Aemterbezeichnungen, wie zum Beispiel des Eparchenund des Strategentitels. Wenn unter Tiberius die durch die Roemer bewirkte gute Ordnung Syriens und die durch die militaerische Besetzung herbeigefuehrte Sicherheit der Ernten ruehmend hervorgehoben wird, so ist dies zunaechst zu beziehen auf die in den Klientelstaaten von Jerusalem oder nachher von Caesarea Paneas und von Petra getroffenen Einrichtungen. ----------------------------------------- ^25 Bei Medain Salih oder Hidjr, suedlich von Teima, dem alten Thaema, sind kuerzlich von den Reisenden Doughty und Huber eine Reihe nabataeischer Inschriften aufgefunden worden, die, grossenteils datiert, von der Zeit des Augustus bis zum Tode Vespasians reichen. Lateinische Inschriften fehlen, und die wenigen griechischen sind spaetester Zeit; allem Anschein nach ist bei der Umwandlung des Nabataeischen Reiches in eine roemische Provinz, was von dem inneren Arabien zu jenem gehoerte, von den Roemern aufgegeben worden. ^26 Die Stadt Damaskos unterwarf sich freiwillig unter den letzten Seleukiden um die Zeit der Diktatur Sullas dem damaligen Koenig der Nabataeer, vermutlich dem Aretas mit dem Scaurus schlug (Ios. ant. Iud. 13, 15). Auch die Muenzen mit der Aufschrift basile?s Aretoy philell/e/nos; (Eckhel 3, 330; Luynes, Revue numismatique N. S. 3, 1858, S. 311) sind vielleicht in Damaskos geschlagen, als dies von den Nabataeern abhaengig war; die Jahreszahl auf einer derselben ist zwar nicht mit Sicherheit bezogen, fuehrt aber vermutlich in die letzte Zeit der roemischen Republik. Wahrscheinlich hat diese Abhaengigkeit der Stadt von den nabataeischen Koenigen fortbestanden, solange es ueberhaupt solche gab. Daraus, dass die Stadt Muenzen mit den Koepfen der roemischen Kaiser gepraegt hat, folgt wohl die Abhaengigkeit von Rom und daneben die Selbstverwaltung, aber nicht die Unabhaengigkeit von dem roemischen Lehnsfuersten; die derartigen Schutzverhaeltnisse sind so mannigfaltig gestaltet dass diese Ordnungen wohl sich miteinander vertragen konnten. Fuer die Fortdauer des Nabataeerregiments spricht teils, dass der Ethnarch des Koenigs Aretas in Damaskos den Apostel Paulus, wie dieser im 2. Brief an die Korinther (11, 32) schreibt, verhaften lassen wollte, teils die seit kurzem festgestellte Tatsache (Anm. 27), dass die Herrschaft der Nabataeer nordoestlich von Damaskos noch unter Traian fortdauerte. Indem man umgekehrt davon ausging, dass, wenn Aretas in Damaskos herrscht, die Stadt nicht roemisch sein kann hat man auf verschiedenen Wegen versucht, jenen Vorgang im Leben des Paulus chronologisch zu fixieren. Man hat an die Verwicklung zwischen Aretas und der roemischen Regierung in den letzten Jahren des Tiberius gedacht; aber wie diese verlief, ist es nicht wahrscheinlich, dass sie in dem Besitzstand des Aretas eine dauernde Veraenderung herbeigefuehrt hat. Melchior de Vogue (Melanges d’archeologie orientale. Paris 1869, S. 33) hat darauf hingewiesen dass zwischen Tiberius und Nero - genauer zwischen den Jahren 33 und 62 (F. C. Saulcy, Numismatique de la Terre-Sainte. Paris 1874, S. 36) - Kaisermuenzen von Damaskos fehlen und das Regiment der Nabataeer daselbst in diese Zwischenzeit gesetzt, indem er annahm, dass Kaiser Gaius wie so vielen anderen Lehnsfuersten, auch dem Araber seine Huld erwiesen und ihn mit Damaskos belehnt habe. Aber derartige Unterbrechungen der Praegung treten haeufig auf und fordern keine so tiefgreifende Erklaerung. Man wird wohl darauf verzichten muessen, an dem Schalten des Nabataeerkoenigs in Damaskos fuer die Lebensgeschichte des Paulus einen chronologischen Haltpunkt zu finden und ueberhaupt Paulus Aufenthalt in dieser Stadt der Zeit nach zu definieren. Wenn der auf jeden Fall stark verschobenen Darstellung des Vorgangs in der Apostelgeschichte 9 insoweit zu trauen ist, ging Paulus nach Damaskos vor der Bekehrung, um die Christenverfolgung, in welcher Stephanos umgekommen war, dort fortzusetzen, und beschlossen dann, als er bekehrt in Damaskos vielmehr fuer die Christen eintrat die dortigen Juden ihn umzubringen, wobei also vorausgesetzt werden muss, dass der Beamte des Aretas, aehnlich wie Pilatus, der Ketzer- Verfolgung der Juden Raum gab. Aus den zuverlaessigen Angaben des Galaterbriefes folgt ferner, dass die Bekehrung bei Damaskos stattfand (denn dies zeigt das ypestrepsa) und Paulus von da nach Arabien ging; ferner dass er drei Jahre nach der Bekehrung zum ersten und siebzehn Jahre nach derselben zum zweiten Mal nach Jerusalem kam, wonach die apokryphen Berichte der Apostelgeschichte ueber seine Jerusalemreisen zu berichtigen sind (E. Zeller, Die Apostelgeschichte kritisch untersucht. Stuttgart 1854, S. 216). Aber weder ist die Zeit des Todes des Stephanos genau bestimmbar, noch viel weniger der Zeitraum zwischen diesem und der Flucht des bekehrten Paulus aus Damaskos, noch die Zwischenzeit zwischen seiner zweiten Reise nach Jerusalem und der Abfassung des Galaterbriefes, noch das Jahr der Abfassung desselben selbst. ^27 Die kuerzlich bei Dmer, nordoestlich von Damaskos auf der Strasse nach Palmyra, gefundene nabataeische Inschrift (Sachau, ZDMG 38, 1884 S. 535), datiert aus dem Monat Ijjar des Jahres 405 nach roemischer (d. h. seleukidischer) Zaehlung und dem 24. Jahr des Koenigs Rabel, des letzten nabataeischen, also aus dem Mai 94 n. Chr., hat gezeigt, dass dieser Distrikt bis auf die Einziehung dieses Reiches unter der Herrschaft der Nabataeer geblieben ist. Uebrigens scheinen die Herrschaftsgebiete hier geographisch durcheinander gewuerfelt gewesen zu sein; so stritten um das Gebiet von Gamala am See Genezareth der Tetrarch von Galilaea und der Nabataeerkoenig (Ios. ant. Iud. 18, 5, 1). ^28 Vielleicht durch Gabinius (App. Syr. 51). ^29 Strab. 16, 4, 21 p. 779. Die Muenzen dieser Koenige zeigen indes den Kaiserkopf nicht. Aber dass im Nabataeischen Reiche nach roemischen Kaiserjahren datiert werden konnte, beweist die nabataeische Inschrift von Hebraen (M. de Vogue, l’Architecture civile et religieuse dans la Syrie centrale. 2 Bde. Paris 1865-77. Inscr. n. 1), datiert vom 7. Jahr des Claudius, also vom Jahre 47. Hebran, wenig noerdlich von Bostra, scheint auch spaeter zu Arabien gerechnet worden zu sein (Lebas-Waddington 2287), und nabataeische Inschriften oeffentlichen Inhalts begegnen ausserhalb des Nabataeerstaats nicht; die wenigen der Art aus der Trachonitis sind privater Natur. ^30 "Leuke Kome im Lande der Nabataeer", sagt Strabon unter Tiberius (16, 4, 23 p. 780), "ist ein grosser Handelsplatz, wohin und von wo die Karawanenhaendler (kam/e/lemporoi) mit so zahlreichen Leuten und Kamelen sicher und bequem von und nach Petra gehen, dass sie in nichts von Heerlagern sich unterscheiden." Auch der unter Vespasian schreibende aegyptische Kaufmann erwaehnt in seiner Kuestenbeschreibung des Roten Meeres c. 19 "den Hafen und die Festung (phro?rion) Leuke Kome von wo der Weg nach Petra fuehrt zum Koenig der Nabataeer Malichas. Er kann als Handelsplatz gelten fuer die auf nicht eben grossen Schiffen dorthin aus Arabien verschifften Waren. Darum wird dorthin ein Einnehmer geschickt (apostelletai) des Eingangszolls von einem Viertel des Wertes und der Sicherheit wegen ein Centurio (ekatontarch/e/s) mit Mannschaft." Da ein roemischer Reichsangehoeriger hier des Schickens von Beamten und Soldaten erwaehnt, so koennen dies nur roemische sein; auch passt fuer das Heer des Nabataeerkoenigs der Centurio nicht und ist die Steuerreform ganz die roemische. Dass ein Klientelstaat in das Gebiet der Reichssteuer eingezogen wird, kommt auch sonst, zum Beispiel in den Alpengegenden vor. Die Strasse von Petra nach Gaza erwaehnt Plinius nat. 6, 28, 144. ----------------------------------------- Unter Traianus trat an die Stelle dieser beiden Klientelstaaten die unmittelbare roemische Herrschaft. Im Anfang seiner Regierung starb Koenig Agrippa II., und es wurde sein Gebiet mit der Provinz Syrien vereinigt. Nicht lange darauf, im Jahre 106, loeste der Statthalter Aulus Cornelius Palma das bisherige Reich der Koenige von Nabat auf und machte aus dem groesseren Teil desselben die roemische Provinz Arabia, waehrend Damaskos zu Syrien kam und was der Nabataeerkoenig im Binnenland Arabiens besessen hatte, von den Roemern aufgegeben ward. Die Einrichtung Arabiens wird als Unterwerfung bezeichnet, und auch die Muenzen, welche die Besitzergreifung von Arabien feiern, sprechen dafuer, dass die Nabataeer sich zur Wehr setzten, wie denn ueberhaupt die Beschaffenheit ihres Gebiets sowie ihr bisheriges Verhalten eine relative Selbstaendigkeit dieser Fuersten annehmen lassen. Aber nicht in dem Kriegserfolg darf die geschichtliche Bedeutung dieser Vorgaenge gesucht werden; die beiden ohne Zweifel zusammengehoerigen Einziehungen waren nicht mehr als vielleicht mit militaerischer Gewalt durchgefuehrte Verwaltungsakte, und die Tendenz, diese Gebiete der Zivilisation und speziell dem Hellenismus zu gewinnen, wird dadurch nur gesteigert, dass die roemische Regierung die Arbeit selbst auf sich nimmt. Der Hellenismus des Orients, wie ihn Alexander zusammengefasst hat, war eine streitende Kirche, eine politisch, religioes, wirtschaftlich, literarisch vordringende, durchaus erobernde Macht. Hier an dem Saum der Wueste, unter dem Druck des antihellenischen Judentums und gehandhabt von dem geistlosen und unsteten Seleukidenregiment, hatte er bisher wenig ausgerichtet. Aber jetzt das Roemertum durchdringend, entwickelt er eine treibende Kraft, welche sich zu der frueheren verhaelt wie die Macht der juedischen und der arabischen Lehnsfuersten zu derjenigen des Roemischen Reiches. In diesem Lande, wo alles darauf ankam und ankommt, durch Aufstellung einer ueberlegenen und staendigen Militaermacht den Friedensstand zu schirmen, war die Einrichtung eines Legionslagers in Bostra unter einem Kommandanten senatorischen Ranges ein epochemachendes Ereignis. Von diesem Mittelpunkt aus wurden an den zweckmaessigen Stellen die erforderlichen Posten eingerichtet und mit Besatzung versehen. Beispielsweise verdient Erwaehnung das Kastell -von Namara (Nemara), einen starken Tagemarsch jenseits der Grenzen des eigentlich bewohnbaren Berglandes, inmitten der Steinwueste, aber gebietend ueber den einzigen, innerhalb derselben befindlichen Brunnen und die daran sich anschliessenden bei der schon erwaehnten Oase von Ruhbe und weiterhin am Djebel Ses; diese Besatzungen zusammen beherrschen das gesamte Vorland des Hauran. Eine andere Reihe von Kastellen, dem syrischen Kommando und zunaechst dem der bei Danava postierten Legion unterstellt und in gleichmaessigen Distanzen von drei zu drei Stunden angelegt, sicherte die Strasse von Damaskos nach Palmyra; das am besten bekannte davon, das zweite in der Reihe, ist das von Dmer, ein laengeres Viereck von je 300 und 350 Schritt, auf jeder Seite mit sechs Tuermen und einem fuenfzehn Schritte breiten Portal versehen und umfasst von einer einstmals aussen mit schoenen Quadern bekleideten Ringmauer von sechzehn Fuss Dicke. Niemals war eine solche Aegide ueber dieses Land gebreitet worden. Es wurde nicht eigentlich denationalisiert. Die arabischen Namen bleiben bis in die spaeteste Zeit hinab, wenngleich nicht selten, eben wie in Syrien, dem oertlichen ein roemisch-hellenischer beigefuegt wird: so nennt sich ein Scheich "Adrianos oder Soaidos, Sohn des Malechos" ^31. Auch der einheimische Kultus bleibt unangetastet: die Hauptgottheit der Nabataeer, der Dusaris, wird wohl mit dem Dionysos geglichen, aber regelmaessig unter seinem oertlichen Namen auch ferner verehrt, und bis in spaete Zeit feiern die Bostrener zu seinen Ehren die Dusarien ^32. In gleicher Weise werden in der Provinz Arabia dem Aumu oder dem Helios, dem Vasaeathu, dem Theandritos, dem Ethaos auch ferner Tempel geweiht und Opfer dargebracht. Die Staemme und die Stammordnung bleiben nicht minder: die Inschriften nennen Reihen von "Phylen" einheimischen Namens und oefter Phylarchen oder Ethnarchen. Aber neben der hergebrachten Weise schreitet die Zivilisierung und die Hellenisierung vorwaerts. Wenn aus vortraianischer Zeit im Bereich des Nabataeerstaats kein griechisches Denkmal nachgewiesen werden kann, so ist umgekehrt daselbst kein nachtraianisches in der Landessprache gefunden worden ^33; allem Anschein nach hat die Reichsregierung den Schriftgebrauch des Aramaeischen gleich bei der Einziehung unterdrueckt, obwohl dasselbe sicher die eigentliche Landessprache blieb, wie dies ausser den Eigennamen auch der "Dolmetsch der Steuereinnehmer" bezeugt. ------------------------------------------------------------ ^31 Waddington 2196: Adriano? to? kai Soaidoy Malechoy ethnarchoy strat/e/go? nomad/o/n to mn/e/mion. ^32 Epiphanius (haeres. 51 p. 483 Dind.) fuehrt aus, dass der 25. Dezember, der Geburtstag Christi, schon in Rom in dem Saturnalienfest, in Alexandreia in dem (auch im Dekret von Kanopos erwaehnten) Fest der Kikellia und in anderen heidnischen Kulturen in analoger Art festlich begangen worden sei. "Dies geschieht in Alexandreia in dem sogenannten Jungfrauenheiligtum (Korion) . .. und wenn man die Leute fragt, was dies Mysterium bedeute, so antworten und sagen sie, dass heute in dieser Stunde die Jungfrau den Ewigen (ton ai/o/na) geboren habe. Dies geschieht in gleicher Weise in Petra, der Hauptstadt von Arabia, in dem dortigen Tempel, und in arabischer Sprache besingen sie die Jungfrau, welche sie auf arabisch Chaamu nennen, das heisst das Maedchen, und den aus ihr Geborenen Dusares, das heisst den Eingeborenen des Herrn." Der Name Chaamu ist vielleicht verwandt mit dem Aumu oder Aumos der griechischen Inschriften dieser Gegend, der mit Ye?s anik/e/tos /E/lios geglichen wird (Waddington 2392-2395, 2441, 2455, 2456). ^33 Dabei ist abgesehen von der merkwuerdigen, in Harran unweit Zorava gefundenen arabisch-griechischen Inschrift (man beachte die Folge) vom Jahre 568 n. Chr., gesetzt von dem Phylarchen Asaraelos, Sohn des Talemos (Waddington 2464). Dieser Christ ist ein Vorlaeufer Mohammeds. ------------------------------------------------------------ Ueber die Hebung des Ackerbaues fehlen uns redende Zeugen; aber wenn auf der ganzen oestlichen und suedlichen Abdachung des Hauran von den Spitzen des Gebirges bis zur Wueste hin die Steine, mit denen diese vulkanische Ebene einst besaet war, zu Haufen geworfen oder in langen Zeilen geschichtet und so die herrlichsten Aecker gewonnen sind, so darf man darin die Hand der einzigen Regierung erkennen, die dieses Land so regiert hat, wie es regiert werden kann und regiert werden sollte. In der Ledja, einem dreizehn Stunden langen und acht bis neun breiten Lavaplateau, das jetzt fast menschenleer ist, wuchsen einst Reben und Feigen zwischen den Lavastroemen; quer durch dasselbe fuehrt die Bostra mit Damaskos verbindende Roemerstrasse; in der Ledja und um sie zaehlt man die Ruinen von 12 groesseren und 39 kleineren Ortschaften. Erweislich ist auf Geheiss desselben Statthalters, der die Provinz Arabia eingerichtet hat, der maechtige Aquaedukt angelegt worden, welcher das Wasser vom Gebirge des Hauran nach Kanatha (Kerak) in der Ebene fuehrte, und nicht weit davon ein aehnlicher in Arrha (Raha), Bauten Traians, die neben dem Hafen von Ostia und dem Forum von Rom genannt werden duerfen. Fuer das Aufbluehen des Handelsverkehrs spricht die Wahl selbst der Hauptstadt der neuen Provinz. Bostra bestand unter der nabataeischen Regierung und es hat sich dort eine Inschrift des Koenigs Malichu gefunden; aber seine militaerische und kommerzielle Bedeutung beginnt mit dem Eintritt des unmittelbaren roemischen Regiments. "Bostra", sagt Wetzstein, "hat unter allen ostsyrischen Staedten die guenstigste Lage; selbst Damaskos, welches seine Groesse der Menge seines Wassers und seiner durch den oestlichen Trachon geschuetzten Lage verdankt, wird Bostra nur unter einer schwachen Regierung ueberstrahlen, waehrend letzteres unter einem starken und weisen Regiment sich in wenigen Jahrzehnten zu einer maerchenhaften Bluete emporschwingen muss. Es ist der grosse Markt fuer die syrische Wueste, das arabische Hochgebirge und die Peraea, und seine langen Reihen steinerner Buden legen noch jetzt in der Veroedung Zeugnis ab von der Realitaet einer frueheren und der Moeglichkeit einer kuenftigen Groesse." Die Reste der von dort ueber Salchat und Ezrak zum Persischen Meerbusen fuehrenden roemischen Strasse beweisen, dass Bostra neben Petra und Palmyra den Verkehr vom Osten zum Mittelmeer vermittelte. Diese Stadt hat wahrscheinlich schon Traian hellenisch konstituiert; wenigstens heisst sie seitdem "das neue traianische Bostra", und die griechischen Muenzen beginnen mit Plus, waehrend spaeter infolge der Erteilung des Kolonialrechts durch Alexander die Aufschrift lateinisch wird. Auch Petra hat schon unter Hadrian griechische Stadtverfassung gehabt und noch einzelne andere Ortschaften spaeterhin Stadtrecht empfangen; ueberwogen aber hat in diesem Arabergebiet bis in die spaeteste Zeit der Stamm und das Stammdorf. Aus der Mischung nationaler und griechischer Elemente entwickelte sich in diesen Landschaften in dem halben Jahrtausend zwischen Traian und Mohammed eine eigenartige Zivilisation. Es ist uns davon ein volleres Abbild erhalten als von anderen Gestaltungen der antiken Welt, indem die zum grossen Teil aus dem Felsen herausgearbeiteten Anlagen von Petra und die bei dem Mangel des Holzes ganz aus Stein aufgefuehrten Bauwerke im Hauran, verhaeltnismaessig wenig beschaedigt durch die mit dem Islam hier wieder in ihr altes Unrecht eingesetzte Beduinenherrschaft, zu einem betraechtlichen Teil noch heute vorhanden sind und auf die Kunstfertigkeit und Lebensweise jener Jahrhunderte helles Licht werfen. Der oben erwaehnte Tempel des Baalsamin von Kanatha, sicher unter Herodes gebaut, zeigt in seinen urspruenglichen Teilen eine voellige Verschiedenheit von der griechischen Architektur und in der architektonischen Anlage merkwuerdige Analogien mit dem Tempelbau desselben Koenigs in Jerusalem, waehrend die bei diesem vermiedenen bildlichen Darstellungen hier keineswegs fehlen. Aehnliches ist auch bei den in Petra gefundenen Denkmaelern beobachtet worden. Spaeter ging man weiter. Wenn unter den juedischen und den nabataeischen Herrschern die Kultur nur langsam sich von den Einfluessen des Orients loeste, so scheint mit der Verlegung der Legion nach Bostra hier eine neue Zeit begonnen zu haben. "Das Bauen", sagt ein vortrefflicher franzoesischer Beobachter, Melchior de Vogue, "erhielt damit einen Anstoss, der nicht wieder zum Stillstand kam. Ueberall erhoben sich Haeuser, Palaeste, Baeder, Tempel, Theater, Aquaedukte, Triumphbogen; Staedte stiegen aus dem Boden binnen weniger Jahre mit der regelmaessigen Anlage, den symmetrisch gefuehrten Saeulenreihen, die die Staedte ohne Vergangenheit bezeichnen und fuer diesen Teil Syriens waehrend der Kaiserzeit gleichsam die unvermeidliche Uniform sind." Die oestliche und suedliche Abdachung des Hauran weist ungefaehr dreihundert derartige veroedete Staedte und Doerfer auf, waehrend dort jetzt nur fuenf neue Ortschaften vorhanden sind; einzelne von jenen, zum Beispiel Busan, zaehlen bis 800 einbis zweistoeckige Haeuser, durchaus aus Basalt gebaut, mit wohlgefuegten, ohne Zement verbundenen Quadermauern, meist ornamentierten, oft auch mit Inschriften versehenen Tueren, die flache Decke gebildet durch Steinbalken, welche von Steinbogen getragen und oben durch eine Zementlage regenfrei gestellt werden. Die Stadtmauer wird gewoehnlich nur durch die zusammengeschlossenen Rueckseiten der Haeuser gebildet und ist durch zahlreiche Tuerme geschuetzt. Die duerftigen Rekolonisierungsversuche der neuesten Zeiten finden die Haeuser bewohnbar vor; es fehlt nur die fleissige Menschenhand oder vielmehr der starke Arm, der sie beschuetzt. Vor den Toren liegen die oft unterirdischen oder mit kuenstlichem Steindach versehenen Zisternen, von denen manche noch heute, wo diese Staedtewueste zum Weideland geworden ist, von den Beduinen im Stande gehalten werden, um daraus im Sommer ihre Herden zu traenken. Die Bauweise und die Kunstuebung haben wohl einzelne Ueberreste der aelteren orientalischen Weise bewahrt, zum Beispiel die haeufige Grabform des mit einer Pyramide gekroenten Wuerfels, vielleicht auch die oft dem Grabmal beigefuegten, noch heute in ganz Syrien haeufigen Taubentuerme, ist aber, im ganzen genommen, die gewoehnliche griechische der Kaiserzeit. Nur hat das Fehlen des Holzes hier eine Entwicklung des Steinbogens und der Kuppel hervorgerufen, die technisch wie kuenstlerisch diesen Bauten einen originellen Charakter verleiht. Im Gegensatz zu der anderswo ueblichen gewohnheitsmaessigen Wiederholung der ueberlieferten Formen herrscht hier eine den Beduerfnissen und den Bedingungen selbstaendig genuegende, in der Ornamentik masshaltende, durchaus gesunde und rationelle und auch der Eleganz nicht entbehrende Architektur. Die Grabstaetten, welche in die oestlich und westlich von Petra aufsteigenden Felswaende und in deren Seitentaeler eingebrochen sind, mit ihren oft in mehreren Reihen uebereinandergestellten dorischen oder korinthischen Saeulenfassaden und ihren an das aegyptische Theben erinnernden Pyramiden und Propylaeen sind nicht kuenstlerisch erfreulich, aber imponierend durch Masse und Reichtum. Nur ein reges Leben und ein hoher Wohlstand hat also fuer seine Toten zu sorgen vermocht. Diesen architektonischen Denkmaelern gegenueber befremdet es nicht, wenn die Inschriften eines Theaters in dem "Dorf" (k/o/m/e/) Sakkaea, eines "theaterfoermigen Odeons" in Kanatha Erwaehnung tun und ein Lokalpoet von Namara in der Batanaea sich selber feiert als den "Meister der herrlichen Kunst stolzen ausonischen Lieds" ^34. Also ward an dieser Ostgrenze des Reiches der hellenischen Zivilisation ein Grenzgebiet gewonnen, das mit dem romanisierten Rheinland zusammengestellt werden darf; die Bogenund Kuppelbauten Ostsyriens halten wohl den Vergleich aus mit den Schloessern und Grabmaelern der Edlen und der Kaufherren der Belgica. ----------------------------------------------------- ^34 Aysoni/o/n mo?s/e/s ypsinooy pr?tanis. G. Kaibel, Epigrammata Graeca. Berlin 1878, 440. ----------------------------------------------------- Aber es kam das Ende. Von den aus dem Sueden hierher einwandernden Araberstaemmen schweigt die geschichtliche Ueberlieferung der Roemer, und was die spaeten Aufzeichnungen der Araber ueber die der Ghassaniden und deren Vorlaeufer berichten, ist wenigstens chronologisch kaum zu fixieren ^35. Aber die Sabaeer, nach denen der Ort Borechath (Breka noerdlich von Kanawat) genannt wird, scheinen in der Tat suedarabische Auswanderer zu sein; und diese sassen hier bereits im 3. Jahrhundert. Sie und ihre Genossen moegen in Frieden gekommen und unter roemischer Aegide sesshaft geworden sein, vielleicht sogar die hochentwickelte und ueppige Kultur des suedwestlichen Arabien nach Syrien getragen haben. Solange das Reich fest zusammenhielt und jeder dieser Staemme unter seinem Scheich stand, gehorchten alle dem roemischen Oberherrn. Aber um den unter einem Koenig geeinigten Arabern oder, wie sie jetzt heissen, Sarazenen des Perserreiches besser zu begegnen, unterwarf Justinian waehrend des Persischen Krieges im Jahre 531 saemtliche Phylarchen der den Roemern untertaenigen Sarazenen dem Arethas, des Gabala Sohn, und verlieh diesem den Koenigstitel, was bis dahin, wie hinzugesetzt wird, niemals geschehen war. Dieser Koenig der saemtlichen in Syrien ansaessigen Araberstaemme war noch des Reiches Lehnstraeger; aber indem er seine Landsleute abwehrte, bereitete er zugleich ihnen die Staette. Ein Jahrhundert spaeter, im Jahre 637, unterlag Arabien und Syrien dem Islam. ----------------------------------------------------- ^35 Nach den arabischen Berichten wanderten die Benu Salih aus der Gegend von Mekka (um 190 n. Chr. nach den Ansetzungen von A. P. Caussin de Perceval, Essai sur l’histoire des Arabes avant l’Islamisme. Bd. 1. Paris 1847, S. 212) nach Syrien und siedelten sich hier an neben den Benu-Samaida, in denen Waddington die phyl/e/ Somaith/e/n/o/n einer Inschrift von Suweda (n. 2308) wiederfindet. Die Ghassaniden, die (nach Caussin um 205) von Batn-Marr ebenfalls nach Syrien in dieselbe Gegend einwanderten, wurden von den Salihiten auf Anweisung der Roemer gezwungen, Tribut zu zahlen und entrichteten diesen eine Zeitlang, bis sie (nach demselben um das Jahr 292) die Salihiten ueberwanden und ihr Fuehrer Thalaba, Sohn Amts, von den Roemern als Phylarch anerkannt ward. Diese Erzaehlung mag richtige Elemente enthalten; aber massgebend bleibt immer der im Text wiedergegebene Bericht Prokops (Pers. 1, 17). Die Phylarchen einzelner Provinzen, von Arabia (d. h. Provinz Bostra: nov. 102 c. 1) und von Palaestina (d. h. Provinz Petra: Prok. Pers. 1, 19) sind aelter, aber wohl nicht um viel. Waere ein Oberscheich dieser Art in vorjustinianischer Zeit von den Roemern anerkannt worden, so wuerden die roemischen Schriftsteller und die Inschriften davon wohl die Spuren aufweisen; aber aus vorjustinianischer Zeit fehlt es an solchen. ----------------------------------------------------- 11. Kapitel Judaea und die Juden Die Geschichte des juedischen Landes ist so wenig die Geschichte des juedischen Volkes wie die Geschichte des Kirchenstaates die der Katholiken; es ist ebenso erforderlich, beides zu sondern wie beides zusammen zu erwaegen. Die Juden im Jordanland, mit welchen die Roemer zu schaffen hatten, waren nicht dasjenige Volk, das unter seinen Richtern und Koenigen mit Moab und Edom schlug und den Reden des Amos und Hosea lauschte. Die durch die Fremdherrschaft ausgetriebene und durch den Wechsel der Fremdherrschaft wieder zurueckgefuehrte kleine Gemeinde frommer Exulanten, welche ihre neue Einrichtung damit begann, die Reste der in den alten Sitzen zurueckgebliebenen Stammgenossen schroff zurueckzuweisen und zu der unversoehnlichen Fehde zwischen Juden und Samaritern den Grund zu legen, das Ideal nationaler Exklusivitaet und priesterlicher Geistesfesselung, hatte lange vor der roemischen Zeit unter dem Regiment der Seleukiden die sogenannte mosaische Theokratie entwickelt, ein geistliches Kollegium mit dem Erzpriester an der Spitze, welches bei der Fremdherrschaft, sich beruhigend und auf staatliche Gestaltung verzichtend, die Besonderheit der Seinigen wahrte und unter der Aegide der Schutzmacht dieselben beherrschte. Dies den Staat ignorierende Festhalten der nationalen Eigenart in religioesen Formen ist die Signatur des spaeteren Judentums. Wohl ist jeder Gottesbegriff in seiner Bildung volkstuemlich; aber kein anderer Gott ist so von Haus aus der Gott nur der Seinen gewesen wie Jahve, und keiner es so ohne Unterschied von Zeit und Ort geblieben. Jene in das Heilige Land Zurueckwandernden, welche nach den Satzungen Mosis zu leben meinten, und in der Tat lebten nach den Satzungen Ezras und Nehemias, waren von den Grosskoenigen des Orients und spaeter von den Seleukiden gerade ebenso abhaengig geblieben, wie sie es an den Wassern Babylons gewesen waren. Ein politisches Element haftet dieser Organisation nicht mehr an als der armenischen oder der griechischen Kirche unter ihren Patriarchen im tuerkischen Reich; kein freier Luftzug staatlicher Entwicklung geht durch diese klerikale Restauration; keine der schweren und ernsten Verpflichtungen des auf sich selbst gestellten Gemeinwesens behinderte die Priester des Tempels von Jerusalem in der Herstellung des Reiches Jahves auf Erden. Der Gegenschlag blieb nicht aus. Jener Kirchenunstaat konnte nur dauern, solange eine weltliche Grossmacht ihm als Schirmherr oder auch als Buettel diente. Als das Reich der Seleukiden verfiel, ward durch die Auflehnung gegen die Fremdherrschaft, die eben aus dem begeisterten Volksglauben ihre besten Kraefte zog, wieder ein juedisches Gemeinwesen geschaffen. Der Erzpriester von Salem wurde vom Tempel auf das Schlachtfeld gerufen. Das Geschlecht der Hasmonaeer stellte nicht bloss das Reich Sauls und Davids ungefaehr in seinen alten Grenzen wieder her, sondern diese kriegerischen Hohenpriester erneuerten auch einigermassen das ehemalige, wahrhaft staatliche, den Priestern gebietende Koenigtum. Aber dasselbe, von jener Priesterherrschaft zugleich das Erzeugnis und der Gegensatz, war nicht nach dem Herzen der Frommen. Die Pharisaeer und die Sadduzaeer schieden sich und begannen sich zu befehden. Weniger Glaubenssaetze und rituelle Differenzen standen hier sich einander entgegen als einerseits das Verharren bei einem lediglich die religioesen Ordnungen und Interessen festhaltenden, im uebrigen fuer die Unabhaengigkeit und die Selbstbestimmung der Gemeinde gleichgueltigen Priesterregiment, andererseits das Koenigtum, hinstrebend zu staatlicher Entwicklung und bemueht, in dem politischen Ringen, dessen Schauplatz damals das Syrische Reich war, dem juedischen Volke durch Schlagen und Vertragen wieder seinen Platz zu verschaffen. Jene Richtung beherrschte die Menge, diese ueberwog in der Intelligenz und in den vornehmen Klassen; ihr bedeutendster Vertreter ist Koenig Iannaeos Alexandros, der waehrend seiner ganzen Regierung nicht minder mit den syrischen Herrschern in Fehde lag wie mit seinen Pharisaeern. Obwohl sie eigentlich nur der andere und in der Tat der natuerlichere und maechtigere Ausdruck des nationalen Aufschwungs ist, beruehrte sie sich doch in ihrem freieren Denken und Handeln mit dem hellenischen Wesen und galt insbesondere den frommen Gegnern als fremdlaendisch und unglaeubig. Aber die Bewohner Palaestinas waren nur ein Teil, und nicht der bedeutendste Teil der Juden; die babylonischen, syrischen, kleinasiatischen, aegyptischen Judengemeinden waren den palaestinensischen auch nach der Regeneration durch die Makkabaeer weit ueberlegen. Mehr als die letztere hat die juedische Diaspora in der Kaiserzeit zu bedeuten gehabt; und sie ist eine durchaus eigenartige Erscheinung. Die Judenansiedlungen ausserhalb Palaestina sind nur in untergeordnetem Grade aus demselben Triebe entwickelt wie die der Phoeniker und der Hellepen. Von Haus aus ein ackerbauendes und fern von der Kueste wohnendes Volk, sind ihre Ansiedlungen im Ausland eine unfreie und verhaeltnismaessig spaete Bildung, eine Schoepfung Alexanders oder seiner Marschaelle ^1. An jenen immensen, durch Generationen fortgesetzten griechischen Staedtegruendungen, wie sie in gleichem Umfang nie vorher und nie nachher vorgekommen sind, haben die Juden einen hervorragenden Anteil gehabt, so seltsam es auch war, eben sie bei der Hellenisierung des Orients zur Beihilfe zu berufen. Vor allem gilt dies von Aegypten. Die bedeutendste unter allen von Alexander geschaffenen Staedten, Alexandreia am Nil, ist seit den Zeiten des ersten Ptolemaeers, der nach der Einnahme Palaestinas eine Masse seiner Bewohner dorthin uebersiedelte, fast ebenso sehr eine Stadt der Juden wie der Griechen, die dortige Judenschaft an Zahl, Reichtum, Intelligenz, Organisation der jerusalemitischen mindestens gleich zu achten. In der ersten Kaiserzeit rechnete man auf acht Millionen Aegypter eine Million Juden, und ihr Einfluss reichte vermutlich ueber dieses Zahlenverhaeltnis hinaus. Dass wetteifernd damit in der syrischen Reichshauptstadt die Judenschaft in aehnlicher Weise organisiert und entwickelt worden war, wurde schon bemerkt. Von der Ausdehnung und der Bedeutung der Juden Kleinasiens zeugt unter anderem der Versuch, den unter Augustus die ionischen Griechenstaedte, es scheint nach gemeinschaftlicher Verabredung, machten, ihre juedischen Gemeindegenossen entweder zum Ruecktritt von ihrem Glauben oder zur vollen Uebernahme der buergerlichen Lasten zu noetigen. Ohne Zweifel gab es selbstaendig organisierte Judenschaften in saemtlichen neuhellenischen Gruendungen ^2 und daneben in zahlreichen althellenischen Staedten, selbst im eigentlichen Hellas, zum Beispiel in Korinth. Die Organisierung vollzog sich durchaus in der Weise, dass den Juden ihre Nationalitaet mit den von ihnen selbst daraus gezogenen weitreichenden Konsequenzen gewahrt, nur der Gebrauch der griechischen Sprache von ihnen gefordert ward. So wurden bei dieser damals von oben herab dem Orient aufgeschmeichelten oder aufgezwungenen Graezisierung die Juden der Griechenstaedte griechisch redende Orientalen. ------------------------------------------------------- ^1 Ob die Rechtsstellung der Juden in Alexandreia mit Recht von Josephus (c. Ap. 2, 4) auf Alexander zurueckgefuehrt wird, ist insofern zweifelhaft, als, soweit wir wissen, nicht er, sondern der erste Ptolemaeer massenweise Juden dort ansiedelte (Ios. ant. Iud. 12, 1; App. Syr. 50). Die merkwuerdige Gleichartigkeit, mit der die Judenschaften in den verschiedenen Diadochenstaaten sich gestaltet haben, muss, wenn sie nicht auf Alexanders Anordnungen beruht, auf das Rivalisieren und Imitieren bei der Staedtegruendung zurueckgefuehrt werden. Dass Palaestina bald aegyptisch, bald syrisch war, hat bei diesen Ansiedlungen ohne Zweifel wesentlich mitgewirkt. ^2 Der Judengemeinde in Smyrna gedenkt eine kuerzlich daselbst gefundene Inschrift (Reinach, Revue des Etudes Juives, 1883, S. 161): Roypheina Ioydaia archisynag/o/gos kateske?asen to ensorion tois apeletherois kai thremmasin m/e/denos alloy echoysian echontos thapsai tina. ei de tis tolm/e/sei, d/o/sei t/o/ ier/o/tat/o/ tamei/o/ d/e/narioys aph, kai t/o/ ethnei t/o/n Ioydai/o/n d/e/narioys a. Ta?t/e/s t/e/s epigraph/e/s to antigraphon apokeitai eis to archeion. Einfache Kollegien werden in Strafandrohungen dieser Art nicht leicht mit dem Staat oder der Gemeinde auf eine Linie gestellt. ------------------------------------------------------- Dass bei den Judengemeinden der makedonischen Staedte die griechische Sprache nicht bloss im natuerlichen Wege des Verkehrs zur Herrschaft gelangt, sondern eine ihnen auferlegte Zwangsbestimmung ist, scheint aus der Sachlage sich mit Notwendigkeit zu ergeben. In aehnlicher Weise hat spaeterhin Traian mit kleinasiatischen Kolonisten Dakien romanisiert. Ohne diesen Zwang haette die aeusserliche Gleichfoermigkeit der Staedtegruendung nicht durchgefuehrt, dies Material fuer die Hellenisierung ueberhaupt nicht verwendet werden koennen. Dass die heiligen Schriften der Juden schon unter den ersten Ptolemaeern in das Griechische uebertragen wurden, mag wohl so wenig Veranstaltung der Regierung gewesen sein wie die Bibeluebersetzung Luthers; aber im Sinne derselben lag allerdings die sprachliche Hellenisierung der aegyptischen Juden, und sie vollzog sich merkwuerdig rasch. Wenigstens im Anfang der Kaiserzeit, wahrscheinlich lange vorher war die Kenntnis des Hebraeischen unter den alexandrinischen Juden ziemlich so selten wie heutzutage in der christlichen Welt die der Ursprachen der heiligen Originale; es wurde mit den Uebersetzungsfehlern der sogenannten siebzig Alexandriner ungefaehr ebenso argumentiert wie von unseren Frommen mit den Uebersetzungsfehlern Luthers. Die nationale Sprache der Juden war in dieser Epoche ueberall aus dem lebendigen Verkehr verschwunden und behauptete sich nur, etwa wie im katholischen Religionsgebiet die lateinische, im kirchlichen Gebrauch. In Judaea selbst war sie ersetzt worden durch die der hebraeischen freilich verwandte aramaeische Volkssprache Syriens; die Judenschaften ausserhalb Judaeas, mit denen wir uns beschaeftigen, hatten das semitische Idiom vollstaendig abgelegt, und erst lange nach dieser Epoche ist jene Reaktion eingetreten, welche schulmaessig die Kenntnis und den Gebrauch derselben allgemeiner bei den Juden zurueckgefuehrt hat. Die literarischen Arbeiten, die sie waehrend dieser Epoche in grosser Zahl geliefert haben, sind in der besseren Kaiserzeit alle griechisch. Wenn die Sprache allein die Nationalitaet bedingte, so waere fuer diese Zeit von den Juden wenig zu berichten. Aber mit diesem anfaenglich vielleicht schwer empfundenen Sprachzwang verbindet sich die Anerkennung der besonderen Nationalitaet mit allen ihren Konsequenzen. Ueberall in den Staedten der Alexandermonarchie bildete sich die Stadtbewohnerschaft aus den Makedoniern, das heisst den wirklich makedonischen oder den ihnen gleichgeachteten Hellenen. Neben diesen stehen, ausser den Fremden, die Eingeborenen, in Alexandreia die Aegypter, in Kyrene die Libyer und ueberhaupt die Ansiedler aus dem Orient, welche zwar auch keine andere Heimat haben als die neue Stadt, aber nicht als Hellenen anerkannt werden. Zu dieser zweiten Kategorie gehoeren die Juden; aber ihnen, und nur ihnen, wird es gestattet, sozusagen eine Gemeinde in der Gemeinde zu bilden und, waehrend die uebrigen Nichtbuerger von den Behoerden der Buergerschaft regiert werden, bis zu einem gewissen Grad sich selbst zu regieren ^3. "Die Juden", sagt Strabon, "haben in Alexandreia ein eigenes Volkshaupt (ethnarch/e/s), welches dem Volke (ethnos) vorsteht und die Prozesse entscheidet und ueber Vertraege und Ordnungen verfuegt, als beherrsche es eine selbstaendige Gemeinde." Es geschah dies, weil die Juden eine derartige spezifische Jurisdiktion als durch ihre Nationalitaet oder, was auf dasselbe hinauskommt, ihre Religion gefordert bezeichneten. Weiter nahmen die allgemeinen staatlichen Ordnungen auf die national-religioesen Bedenken der Juden in ausgedehntem Umfang Ruecksicht und halfen nach Moeglichkeit durch Exemptionen aus. Das Zusammenwohnen trat wenigstens haeufig hinzu; in Alexandreia zum Beispiel waren von den fuenf Stadtquartieren zwei vorwiegend von Juden bewohnt. Es scheint dies nicht das Ghettosystem gewesen zu sein, sondern eher ein durch die anfaengliche Ansiedlung begruendetes und dann von beiden Seiten festgehaltenes Herkommen, wodurch nachbarlichen Konflikten einigermassen vorgebeugt ward. --------------------------------------------- ^3 Wenn die alexandrinischen Juden spaeter behaupteten, den alexandrinischen Makedoniern rechtlich gleichgestellt zu sein (Ios. c. Ap. 2, 4; bel. Iud. 2, 18, 7), so war dies eine Entstellung des wahren Sachverhaeltnisses. Sie waren Schutzgenossen zunaechst der Phyle der Makedonier, wahrscheinlich der vornehmsten von allen, und darum nach Dionysos benannt (Theophilus ad Autolycum 2, 7), und weil das Judenquartier ein Teil dieser Phyle war, macht Josephus in seiner Weise sie selbst zu Makedoniern. Die Rechtsstellung der Bevoelkerung der Griechenstaedte dieser Kategorie erhellt am deutlichsten aus der Nachricht Strabons (bei Ios. ant. Iud. 14, 7, 2) ueber die vier Kategorien derjenigen von Kyrene: Stadtbuerger, Landleute (ge/o/rgoi), Fremde und Juden. Sieht man von den Metoeken ab, die ihre rechtliche Heimat auswaerts haben, so bleiben als heimatberechtigte Kyrenaeer die vollberechtigten Buerger, also die Hellenen und was man als solche gelten liess, und die zwei Kategorien der vom aktiven Buergerrecht Ausgeschlossenen, die Juden, die eine eigene Gemeinde bilden, und die Untertanen, die Libyer, welchen die Autonomie fehlt. Dies konnte leicht so verschoben werden, dass die beiden privilegierten Kategorien auch als gleichberechtigt erschienen. --------------------------------------------- So kamen die Juden dazu, bei der makedonischen Hellenisierung des Orients eine hervorragende Rolle zu spielen; ihre Gefuegigkeit und Brauchbarkeit einerseits, ihre unnachgiebige Zaehigkeit andererseits muessen die sehr realistischen Staatsmaenner, die diese Wege wiesen, bestimmt haben, sich zu solchen Einrichtungen zu entschliessen. Nichtsdestoweniger bleibt die ausserordentliche Ausdehnung und Bedeutung der juedischen Diaspora gegenueber der engen und geringen Heimat wie einerseits eine Tatsache, so andererseits ein Problem. Man wird dabei nicht uebersehen duerfen, dass die palaestinensischen Juden fuer die des Auslandes nicht mehr als den Kern geliefert haben. Das Judentum der aelteren Zeit ist nichts weniger als exklusiv, vielmehr von missionarem Eifer nicht minder durchgedrungen wie spaeterhin das Christentum und der Islam. Das Evangelium weiss von den Rabbis, welche Meer und Land durchziehen, um einen Proselyten zu machen; die Zulassung der halben Proselyten, denen die Beschneidung nicht zugemutet, aber dennoch eine religioese Gemeinschaft gewaehrt wird, ist ein Zeugnis dieses Bekehrungseifers wie zu gleicher Zeit eines seiner wirksamsten Mittel. Motive sehr verschiedener Art kamen dieser Propaganda zustatten. Die buergerlichen Privilegien, welche die Lagiden und die Seleukiden den Juden erteilten, muessen eine grosse Zahl nichtjuedischer Orientalen und Halbhellenen veranlasst haben, sich in den Neustaedten der privilegierten Kategorie der Nichtbuerger anzuschliessen. In spaeterer Zeit kam der Verfall des traditionellen Landesglaubens der juedischen Propaganda entgegen. Zahlreiche Personen besonders der gebildeten Staende, deren glaeubige und sittliche Empfindung von dem, was die Griechen, und noch mehr von dem, was die Aegypter Religion nannten, sich schaudernd oder spottend abwandte, suchten Zuflucht in der einfacheren und reineren, der Vielgoetterei und dem Bilderdienst absagenden juedischen Lehre, welche den aus dem Niederschlag der philosophischen Entwicklung den gebildeten und halbgebildeten Kreisen zugefuehrten religioesen Anschauungen weit entgegenkam. Es gibt ein merkwuerdiges griechisches Moralgedicht, wahrscheinlich aus der spaeteren Epoche der roemischen Republik, welches aus den mosaischen Buechern in der Weise geschoepft ist, dass es die monotheistische Lehre und das allgemeine Sittengesetz aufnimmt, aber alles dem Nichtjuden Anstoessige und alle unmittelbare Opposition gegen die herrschende Religion vermeidet, offenbar bestimmt, fuer dies denationalisierte Judentum weitere Kreise zu gewinnen. Insbesondere die Frauen wandten sich mit Vorliebe dem juedischen Glauben zu. Als die Behoerden von Damaskos im Jahre 66 die gefangenen Juden umzubringen beschlossen, wurde verabredet, diesen Beschluss geheim zu halten, damit die den Juden ergebene weibliche Bevoelkerung nicht die Ausfuehrung verhindere. Sogar im Okzident, wo die gebildeten Kreise sonst dem juedischen Wesen abgeneigt waren, machten vornehme Damen schon frueh eine Ausnahme; die aus edlem Geschlecht entsprossene Gemahlin Neros, Poppaea Sabina, war, wie durch andere minder ehrbare Dinge, so auch stadtkundig durch ihren frommen Judenglauben und ihr eifriges Judenprotektorat. Foermliche Uebertritte zum Judentum kamen nicht selten vor; das Koenigshaus von Adiabene zum Beispiel, Koenig Izates und seine Mutter Helena sowie sein Bruder und Nachfolger wurden in der Zeit des Tiberius und des Claudius in aller Form Juden. Sicher gilt von allen jenen Judenschaften, was von der antiochenischen ausdruecklich bemerkt wird, dass sie zum grossen Teil aus uebergetretenen bestanden. Diese Verpflanzung des Judentums auf den hellenischen Boden unter Aneignung einer fremden Sprache vollzog sich, wie sehr sie auch unter Festhaltung der nationalen Individualitaet stattfand, nicht ohne in dem Judentum selbst eine seinem Wesen zuwiderlaufende Tendenz zu entwickeln und bis zu einem gewissen Grad dasselbe zu denationalisieren. Wie maechtig die inmitten der Griechen lebenden Judenschaften von den Wellen des griechischen Geisteslebens erfasst wurden, davon traegt die Literatur des letzten Jahrhunderts vor und des ersten nach Christi Geburt die Spuren. Sie ist getraenkt von juedischen Elementen, und es sind mit die hellsten Koepfe und die geistreichsten Denker, welche entweder als Hellenen in das juedische oder als Juden in das hellenische Wesen den Eingang suchen. Nikolaos von Damaskos, selber ein Heide und ein namhafter Vertreter der aristotelischen Philosophie, fuehrte nicht bloss als Literat und Diplomat des Koenigs Herodes bei Agrippa wie bei Augustus die Sache seines juedischen Patrons und der Juden, sondern es zeigt auch seine historische Schriftstellerei einen sehr ernstlichen und fuer jene Epoche bedeutenden Versuch, den Orient in den Kreis der okzidentalischen Forschung hineinzuziehen, waehrend die noch erhaltene Schilderung der Jugendjahre des ihm auch persoenlich nahegetretenen Kaisers Augustus ein denkwuerdiges Zeugnis der Liebe und der Verehrung ist, welche der roemische Herrscher in der griechischen Welt fand. Die Abhandlung vom Erhabenen, geschrieben in der ersten Kaiserzeit von einem unbekannten Verfasser, eine der feinsten uns aus dem Altertum erhaltenen aesthetischen Arbeiten, ruehrt sicher wenn nicht von einem Juden, so doch von einem Manne her, der Homeros und Moses gleichmaessig verehrte ^4. Eine andere, ebenfalls anonyme Schrift ueber das Weltganze, gleichfalls ein in seiner Art achtbarer Versuch, die Lehre des Aristoteles mit der der Stoa zu verschmelzen, ist vielleicht auch von einem Juden geschrieben, sicher dem angesehensten und hoechstgestellten Juden der neronischen Zeit, dem Generalstabschef des Corbulo und des Titus, Tiberius Alexandros gewidmet. Am deutlichsten tritt uns die Vermaehlung der beiden Geisteswelten entgegen in der juedisch-alexandrinischen Philosophie, dem schaerfsten und greifbarsten Ausdruck einer das Wesen des Judentums nicht bloss ergreifenden, sondern auch angreifenden religioesen Bewegung. Die hellenische Geistesentwicklung lag im Kampf mit den nationalen Religionen aller Art, indem sie deren Anschauungen entweder negierte oder auch mit anderem Inhalt erfuellte, die bisherigen Goetter aus den Gemuetern der Menschen austrieb und auf die leeren Plaetze entweder nichts setzte oder die Gestirne und abstrakte Begriffe. Diese Angriffe trafen auch die Religion der Juden. Es bildete sich ein Neujudentum hellenischer Bildung, das mit Jehova nicht ganz so arg, aber doch nicht viel anders verfuhr als die gebildeten Griechen und Roemer mit Zeus und Jupiter. Das Universalmittel der sogenannten allegorischen Deutung, wodurch insbesondere die Philosophen der Stoa die heidnischen Landesreligionen ueberall in hoeflicher Weise vor die Tuere gesetzt hatten, passte fuer die Genesis ebenso gut und ebenso schlecht wie fuer die Goetter der Ilias; wenn Moses mit Abraham eigentlich den Verstand, mit Sarah die Tugend, mit Noah die Gerechtigkeit gemeint hatte, wenn die vier Stroeme des Paradieses die vier Kardinaltugenden waren, so konnte der aufgeklaerteste Hellene an die Thora glauben. Aber eine Macht war dies Pseudojudentum auch, und der geistige Primat der Judenschaft Aegyptens tritt vor allem darin hervor, dass diese Richtung vorzugsweise ihre Vertreter in Alexandreia gefunden hat. ----------------------------------------------------- ^4 Pseudo-Longinus peri ?psoys: "Weit besser als der Goetterkrieg ist bei Homeros die Schilderung der Goetter in ihrer Vollkommenheit und echten Groesse und Reinheit, wie die des Poseidon (Ilias 13,18 f.). Ebenso schreibt der Gesetzgeber der Juden, kein geringer Mann (oych o tych/o/n an/e/r), nachdem er die goettliche Gewalt in wuerdiger Weise erfasst und zum Ausdruck gebracht hat, gleich zu Anfang der Gesetze (Gen. 1, 3): Es sprach der Gott - was? es werde Licht! und es ward Licht; es werde die Erde! und die Erde ward." ----------------------------------------------------- Trotz der innerlichen Scheidung, welche bei den palaestinensischen Juden sich vollzogen und nur zu oft geradezu zum Buergerkrieg gesteigert hatte, trotz der Versprengung eines grossen Teils der Judenschaft in das Ausland, trotz des Eindringens fremder Massen in dieselbe und sogar des destruktiven hellenistischen Elements in ihren innersten Kern blieb die Gesamtheit der Juden in einer Weise vereinigt, fuer welche in der Gegenwart nur etwa der Vatikan und die Kaaba eine gewisse Analogie bieten. Das heilige Salem blieb die Fahne, Zions Tempel das Palladium der gesamten Judenschaft, mochten sie den Roemern oder den Parthern gehorchen, aramaeisch oder griechisch reden, ja an den alten Jahve glauben oder an den neuen, der keiner war. Dass der Schirmherr dem geistlichen Oberhaupt der Juden eine gewisse weltliche Macht zugestanden hatte, bedeutete fuer die Judenschaft ebensoviel, der geringe Umfang dieser Macht ebensowenig wie seiner Zeit fuer die Katholiken der sogenannte Kirchenstaat. Jedes Mitglied einer juedischen Gemeinde hatte jaehrlich nach Jerusalem ein Didrachmon als Tempelschoss zu entrichten, welcher regelmaessiger einging als die Staatssteuern; jedes war verpflichtet, wenigstens einmal in seinem Leben dem Jehovah persoenlich an dein Orte zu opfern, der ihm allein in der Welt wohlgefaellig war. Die theologische Wissenschaft blieb gemeinschaftlich; die babylonischen und die alexandrinischen Rabbiner haben daran sich nicht minder beteiligt wie die von Jerusalem. Das unvergleichlich zaehe Gefuehl der nationalen Zusammengehoerigkeit, wie es in der rueckkehrenden Exulantengemeinde sich festgesetzt und dann jene Sonderstellung der Juden in der Griechenwelt mit durchgesetzt hatte, behauptete sich trotz Zerstreuung und Spaltung. Am bemerkenswertesten ist das Fortleben des Judentums selbst in den davon in der inneren Religion losgeloesten Kreisen. Der namhafteste, fuer uns der einzige deutlich greifbare Vertreter dieser Richtung in der Literatur, Philon, einer der vornehmsten und reichsten Juden aus der Zeit des Tiberius, steht in der Tat zu seiner Landesreligion nicht viel anders als Cicero zu der roemischen; aber er selbst glaubte, nicht sie aufzuloesen, sondern sie zu erfuellen. Auch ihm ist, wie jedem anderen Juden, Moses die Quelle aller Wahrheit, seine geschriebene Weisung bindendes Gesetz, seine Empfindung Ehrfurcht und Glaeubigkeit. Es ist dies sublimierte Judentum dem sogenannten Goetterglauben der Stoa doch nicht voellig identisch. Die Koerperlichkeit des Gottes verschwindet fuer Philon, aber die Persoenlichkeit nicht, und es misslingt ihm vollstaendig, was das Wesen der hellenischen Philosophie ist, die Goettlichkeit in die Menschenbrust zu verlegen; es bleibt die Anschauung, dass der suendhafte Mensch abhaenge von einem vollkommenen, ausser und ueber ihm stehenden Wesen. Ebenso fuegt das neue Judentum sich dem nationalen Ritualgesetz weit unbedingter als das neue Heidentum. Der Kampf des alten und des neuen Glaubens ist in dem juedischen Kreise deswegen von anderer Art als in dem heidnischen, weil der Einsatz ein groesserer war; das reformierte Heidentum streitet nur gegen den alten Glauben, das reformierte Judentum wuerde in seiner letzten Konsequenz das Volkstum aufheben, welches in dem Ueberfluten des Hellenismus mit der Verfluechtigung des Landesglaubens notwendig verschwand, und scheut deshalb davor zurueck, diese Konsequenz zu ziehen. Daher ist auf griechischem Boden und in griechischer Sprache, wenn nicht das Wesen, doch die Form des alten Glaubens mit beispielloser Hartnaeckigkeit festgehalten und verteidigt worden, verteidigt auch von denen, die im Wesen vor dem Hellenismus kapitulieren. Philon selbst hat, wie weiterhin erzaehlt werden soll, fuer die Sache der Juden gestritten und gelitten. Darum aber hat auch die hellenistische Richtung im Judentum auf dieses selbst nie uebermaechtig eingewirkt, niemals vermocht, dem nationalen Judentum entgegenzutreten, kaum dessen Fanatismus zu mildern und die Verkehrtheiten und Frevel desselben zu hemmen. In allen wesentlichen Dingen, insbesondere dem Druck und der Verfolgung gegenueber, verschwinden die Differenzen des Judentums, und wie unbedeutend der Rabbinerstaat war, die religioese Gemeinschaft, der er vorstand, war eine ansehnliche, unter Umstaenden eine furchtbare Macht. Diesen Verhaeltnissen fanden die Roemer sich gegenueber, als sie im Orient die Herrschaft antraten. Die Eroberung zwingt dem Eroberer nicht minder die Hand als dem Eroberten. Das Werk der Jahrhunderte, die makedonischen Stadteinrichtungen konnten weder die Arsakiden noch die Caesaren ungeschehen machen; weder Seleukeia am Euphrat noch Antiocheia und Alexandreia konnten von den nachfolgenden Regierungen angetreten werden unter der Wohltat des Inventars. Wahrscheinlich hat der dortigen juedischen Diaspora gegenueber der Begruender des Kaiserregiments sich, wie in so vielen anderen Dingen, die Politik der ersten Lagiden zur Richtschnur genommen und das Judentum des Orients in seiner Sonderstellung eher gefoerdert als gehindert; und dies Verfahren ist dann fuer seine Nachfolger durchgaengig massgebend gewesen. Es ist schon erzaehlt worden, dass die vorderasiatischen Gemeinden unter Augustus den Versuch machten, ihre juedischen Mitbuerger bei der Aushebung gleichmaessig heranzuziehen und ihnen die Einhaltung des Sabbaths nicht ferner zu gestatten; Agrippa aber entschied gegen sie und hielt den Status quo zu Gunsten der Juden aufrecht oder stellte vielmehr die bisher wohl nur von einzelnen Statthaltern oder Gemeinden der griechischen Provinzen nach Umstaenden zugelassene Befreiung der Juden vom Kriegsdienst und das Sabbathprivilegium vielleicht jetzt erst rechtlich fest. Augustus wies ferner die Statthalter von Asia an, die strengen Reichsgesetze ueber Vereine und Versammlungen gegen die Juden nicht zur Anwendung zu bringen. Aber die roemische Regierung hat es nicht verkannt, dass die den Juden im Orient eingeraeumte exempte Stellung mit der unbedingten Verpflichtung der Reichsangehoerigen zur Erfuellung der vom Staat geforderten Leistungen sich nicht vereinigen liess, dass die garantierte Sonderstellung der Judenschaft den Rassenhass und unter Umstaenden den Buergerkrieg in die einzelnen Staedte trug, dass das fromme Regiment der Behoerden von Jerusalem ueber alle Juden des Reiches eine bedenkliche Tragweite hatte und dass in allem diesem fuer den Staat eine praktische Schaedigung und eine prinzipielle Gefahr lag. Der innerliche Dualismus des Reiches drueckt in nichts sich schaerfer aus als in der verschiedenen Behandlung der Juden in dem lateinischen und dem griechischen Sprachgebiet. Im Okzident sind die autonomen Judenschaften niemals zugelassen worden. Man tolerierte wohl daselbst die juedischen Religionsgebraeuche wie die syrischen und die aegyptischen oder vielmehr etwas weniger als diese; der Judenkolonie in der Vorstadt Roms jenseits des Tiber zeigte Augustus sich guenstig und liess bei seinen Spenden den, der des Sabbaths wegen sich versaeumt hatte, nachtraeglich zu. Aber er persoenlich vermied jede Beruehrung wie mit dem aegyptischen so auch mit dem juedischen Kultus, und wie er selbst in Aegypten dem heiligen Ochsen aus dem Wege gegangen war, so billigte er es durchaus, dass sein Sohn Gaius, als er nach dem Orient ging, bei Jerusalem vorbeiging. Unter Tiberius wurde sogar im Jahre 19 in Rom und ganz Italien der juedische Kultus zugleich mit dem aegyptischen untersagt und diejenigen, die sich nicht dazu verstanden, ihn oeffentlich zu verleugnen und die heiligen Geraete ins Feuer zu werfen, aus Italien ausgewiesen, soweit sie nicht als tauglich fuer den Kriegsdienst in Strafkompanien verwendet werden konnten, wo dann nicht wenige ihrer religioesen Skrupel wegen dem Kriegsgericht verfielen. Wenn, wie wir nachher sehen werden, eben dieser Kaiser im Orient jedem Konflikt mit dem Rabbi fast aengstlich aus dem Wege ging, so zeigt sich hier deutlich, dass er, der tuechtigste Herrscher, den das Reich gehabt hat, die Gefahren der juedischen Immigration ebenso deutlich erkannte wie die Unbilligkeit und die Unmoeglichkeit, da, wo das Judentum bestand, es zu beseitigen ^5. Unter den spaeteren Regenten aendert, wie wir im weiteren Verlauf finden werden, in der Hauptsache die ablehnende Haltung gegen die Juden des Okzidents sich nicht, obwohl sie im uebrigen mehr dem Beispiel des Augustus folgen als dem des Tiberius. Man hinderte die Juden nicht, die Tempelsteuer in der Form freiwilliger Beitraege einzuziehen und nach Jerusalem zu senden. Es wurde ihnen nicht gewehrt, wenn sie einen Rechtshandel lieber vor einen juedischen Schiedsrichter brachten als vor ein roemisches Gericht. Von zwangsweiser Aushebung zum Dienst, wie Tiberius sie anordnete, ist auch im Okzident spaeterhin nicht weiter die Rede. Aber eine oeffentlich anerkannte Sonderstellung und oeffentlich anerkannte Sondergerichte haben die Juden im heidnischen Rom und ueberhaupt im lateinischen Westen niemals erhalten. Vor allem aber haben im Okzident, abgesehen von der Hauptstadt, die der Natur der Sache nach auch den Orient mit repraesentierte und schon in der ciceronischen Zeit eine zahlreiche Judenschaft in sich schloss, die Judengemeinden in der frueheren Kaiserzeit nirgends besondere Ausdehnung oder Bedeutung gehabt ^6. Nur im Orient gab die Regierung von vornherein nach oder vielmehr, sie versuchte nicht, die bestehenden Verhaeltnisse zu aendern und den daraus resultierenden Gefahren vorzubeugen; und so haben denn auch, wie die heiligen Buecher der Juden der lateinischen Welt erst in lateinischer Sprache durch die Christen bekannt geworden sind, die grossen Judenbewegungen der Kaiserzeit sich durchaus auf den griechischen Osten beschraenkt. Hier wurde kein Versuch gemacht, mit der rechtlichen Sonderstellung des Juden die Quelle des Judenhasses allmaehlich zu verstopfen, aber ebensowenig, von Laune und Verkehrtheiten einzelner Regenten abgesehen, dem Judenhass und den Judenhetzen von Seiten der Regierung Vorschub getan. In der Tat ist die Katastrophe des Judentums nicht aus der Behandlung der juedischen Diaspora im Orient hervorgegangen. Lediglich die in verhaengnisvoller Weise sich entwickelnden Beziehungen des Reichsregiments zu dem juedischen Rabbistaat haben nicht bloss die Zerstoerung des Gemeinwesens von Jerusalem herbeigefuehrt, sondern weiter die Stellung der Juden im Reiche ueberhaupt erschuettert und verschoben. Wir wenden uns dazu, die Vorgaenge in Palaestina unter der roemischen Herrschaft zu schildern. ---------------------------------------------------- ^5 Der Jude Philon schreibt die Behandlung der Juden in Italien auf Rechnung des Seianus (leg. 24; in Flacc. 1), die der Juden im Osten auf die des Kaisers selbst. Aber Josephus fuehrt vielmehr, was in Italien geschah, zurueck auf einen Skandal in der Hauptstadt, welchen drei juedische fromme Schwindler und eine zum Judentum bekehrte vornehme Dame gegeben hatten, und Philon selbst gibt zu, dass Tiberius nach Seians Sturz den Statthaltern nur gewisse Milderungen in dem Verfahren gegen die Juden aufgegeben habe. Die Politik des Kaisers und die seiner Minister den Juden gegenueber war im wesentlichen dieselbe. ^6 Agrippa II., der die juedischen Ansiedlungen im Ausland aufzaehlt (bei Philon leg. ad Gaium 36), nennt keine Landschaft westlich von Griechenland, und unter den in Jerusalem weilenden Fremden, die die Apostelgeschichte 2, 5 f. verzeichnet, sind aus dem Westen nur Roemer genannt. ---------------------------------------------------- Die Zustaende im suedlichen Syrien waren von den Feldherrn der Republik, Pompeius und seinen naechsten Nachfolgern, in der Weise geordnet worden, dass die groesseren Gewalten, die dort anfingen sich zu bilden, wieder herabgedrueckt und das ganze Land in einzelne Stadtgebiete und Kleinherrschaften aufgeloest wurde. Am schwersten waren davon die Juden betroffen worden; nicht bloss hatten sie allen hinzugewonnenen Besitz, namentlich die ganze Kueste, herausgeben muessen, sondern Gabinius hatte sogar den alten Bestand des Reiches in fuenf selbstaendig sich verwaltende Kreise aufgeloest und dem Hohenpriester Hyrkanos seine weltlichen Befugnisse entzogen. Damit war also wie einerseits die Schutzmacht, so andererseits die reine Theokratie wieder hergestellt. Indes aenderte dies sich bald. Hyrkanos oder vielmehr der fuer ihn regierende Minister, der Idumaeer Antipatros ^7, gelangte wohl schon durch Gabinius selbst, dem er bei seinen parthischen und aegyptischen Unternehmungen sich unentbehrlich zu machen verstand, wiederum zu der fuehrenden Stellung im suedlichen Syrien. Nach der Pluenderung des Tempels von Jerusalem durch Crassus ward der dadurch veranlasste Aufstand der Juden hauptsaechlich durch ihn gedaempft. Es war fuer ihn eine guenstige Fuegung, dass die juedische Regierung nicht genoetigt ward, in die Krisis zwischen Caesar und Pompeius, fuer welchen sie wie der ganze Osten sich erklaert hatte, handelnd einzugreifen. Dennoch waere wohl, nachdem der Bruder und Rivale des Hyrkanos, Aristobulos, sowie dessen Sohn Alexander, wegen ihres Eintretens fuer Caesar, durch die Pompeianer ihr Leben verloren hatten, nach Caesars Sieg der zweite Sohn Antigonos von diesem in Judaea als Herrscher eingesetzt worden. Aber als Caesar, nach dem entscheidenden Sieg nach Aegypten gekommen, sich in Alexan dreia in einer gefaehrlichen Lage befand, war es vornehmlich Antipatros, der ihn aus dieser befreite, und dies schlug durch; Antigonos musste zurueckstehen hinter der neueren, aber wirksameren Treue. Nicht am wenigsten hat Caesars persoenliche Dankbarkeit die foermliche Restauration des Judenstaates gefoerdert. Das Juedische Reich erhielt die beste Stellung, die dem Klientelstaat gewaehrt werden konnte, voellige Freiheit von Abgaben an die Roemer ^8 und von militaerischer Besatzung und Aushebung ^9, wogegen allerdings auch die Pflichten und die Kosten der Grenzverteidigung von der einheimischen Regierung zu uebernehmen waren. Die Stadt Ioppe und damit die Verbindung mit dem Meer wurde zurueckgegeben, die Unabhaengigkeit der inneren Verwaltung sowie die freie Religionsuebung garantiert, die bisher verweigerte Wiederherstellung der von Pompeius geschleiften Festungswerke Jerusalems gestattet (707 47). Also regierte unter dem Namen des Hasmonaeerfuersten ein Halbfremder - denn die Idumaeer standen zu den eigentlichen, von Babylon zurueckgewanderten Juden ungefaehr wie die Samariter - den Judenstaat unter dem Schutz und nach dem Willen Roms. Die nationalgesinnten Juden waren dem neuen Regiment nichts weniger als geneigt. Die alten Geschlechter, die im Rat von Jerusalem fuehrten, hielten im Herzen zu Aristobulos und nach dessen Tode zu seinem Sohn Antigonos. In den Bergen Galilaeas fochten die Fanatiker ebenso gegen die Roemer wie gegen die eigene Regierung; als Antipatros’ Sohn Herodes den Fuehrer dieser wilden Schar, Ezekias, gefangengenommen und hatte hinrichten lassen, zwang der Priesterrat von Jerusalem unter dem Vorwand verletzter Religionsvorschriften den schwachen Hyrkanos, den Herodes zu verbannen. Dieser trat darauf in das roemische Heer ein und leistete dem Caesarischen Statthalter von Syrien gegen die Insurrektion der letzten Pompeianer gute Dienste. Aber als nach der Ermordung Caesars die Republikaner im Osten die Oberhand gewannen, war Antipatros wieder der erste, der dem Staerkeren nicht bloss sich fuegte, sondern sich die neuen Machthaber verpflichtete durch rasche Beitreibung der von ihnen auferlegten Kontribution. So kam es, dass der Fuehrer der Republikaner, als er aus Syrien abzog, den Antipatros in seiner Stellung beliess und dem Sohne desselben, Herodes, sogar ein Kommando in Syrien anvertraute. Als dann Antipatros starb, wie man sagt, von einem seiner Offiziere vergiftet, glaubte Antigonos, der bei seinem Schwager, dem Fuersten Ptolemaeos von Chalkis, Aufnahme gefunden hatte, den Augenblick gekommen, um den schwachen Oheim zu beseitigen. Aber die Soehne des Antipatros, Phasael und Herodes, schlugen seine Schar aufs Haupt, und Hyrkanos verstand sich dazu, ihnen die Stellung des Vaters zu gewaehren, ja sogar den Herodes, indem er ihm seine Enkelin Mariamme verlobte, gewissermassen in das regierende Haus aufzunehmen. Inzwischen unterlagen die Fuehrer der republikanischen Partei bei Philippi. Die Opposition in Jerusalem hoffte nun den Sturz der verhassten Antipatriden bei den Siegern zu erwirken; aber Antonius, dem das Schiedsgericht zufiel, wies deren Deputationen erst in Ephesos, dann in Antiocheia, zuletzt in Tyros entschieden ab, ja liess die letzten Gesandten hinrichten, und bestaetigte Phasael und Herodes foermlich als "Vierfuersten" ^10 - der Juden (723 41). ------------------------------------------ ^7 Antipatros begann seine Laufbahn als Statthalter (strat/e/gos) von Idumaea (Ios. ant. Iud. 14, 1, 3), und heisst dann Verwalter des Juedischen Reiches (o t/o/n Ioydai/o/n epimel/e/t/e/s daselbst 14, 8, 1), das heisst etwa erster Minister. Mehr liegt auch nicht in der gegen Rom wie gegen Herodes adulatorisch gefaerbten Erzaehlung des Josephus (ant. Iud. 14, 8, 5; bel. Iud. 1, 10, 3), dass Caesar dem Antipatros die Wahl ueberlassen habe, seine Machtstellung (dynasteia) selbst zu bestimmen und, da dieser ihm die Entscheidung anheimstellt, ihn zum Verwalter (epitropos) von Judaea bestellt habe. Dies ist nicht, wie Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 408 will, die (damals noch gar nicht bestehende) roemische Prokuratur der Kaiserzeit, sondern ein formell von dem juedischen Ethnarchen verliehenes Amt, eine epitrop/e/, wie die bei Ios. bel. Iud. 2, 18, 6 erwaehnte. In den Aktenstuecken aus Caesars Zeit vertritt die Juden allein der Erzpriester und Ethnarch Hyrkanos; Caesar gab dem Antipatros, was dem Untertanen eines abhaengigen Staats gewaehrt werden konnte, das roemische Buergerrecht und die personale Immunitaet (Ios. ant. Iud. 14, 8, 3; bel. Iud. 1, 9, 5), aber er machte ihn nicht zum Beamten Roms. Dass Herodes, aus Judaea vertrieben, von dem Roemern eine roemische Offizierstellung etwa in Samaria erhalten hat, ist glaublich; aber die Bezeichnungen strat/e/gos t/e/s Koil/e/s Syrias; (Ios. ant. Iud. 14 9, 5 c. 11, 4) oder strat/e/gos Koil/e/s Syrias kai Samarias; (bel. Iud. 1, 10, 8) sind mindestens irrefuehrend, und ebenso inkorrekt nennt derselbe Schriftsteller den Herodes spaeter deswegen, weil er tois epitrpe?oysi t/e/s Syrias; als Ratgeber dienen soll (ant. Iud. 15, 10, 3), sogar Syrias ol/e/s epitropon (bel. Iud. 1, 20, 4, wo Marquardts Aenderung [Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 408 Koil/e/s den Sinn zerstoert). ^8 In dem Dekret Caesars bei Josephus (ant. Iud. 14, 10, 5 u. 6) ist die aus Epiphanius sich ergebende Lesung die einzig moegliche: danach wird das Land von der (durch Pompeius auferlegten: Ios. ant. Iud. 14, 4, 4) Steuer, vom zweiten Jahr der laufenden Verpachtung an, befreit und weiter verordnet, dass die Stadt Joppe, die damals aus roemischem Besitz in juedischen ueberging, zwar auch ferner den vierten Teil der Feldfruechte in Sidon an die Roemer abliefern, aber dafuer dem Hyrkanos ebenfalls in Sidon als Aequivalent jaehrlich 20675 Scheffel Getreide gewaehrt werden sollen, woneben die Joppenser auch noch den Zehnten an Hyrkanos entrichten. Auch zeigt die ganze sonstige Erzaehlung, dass der juedische Staat seitdem von Tributzahlung frei ist; dass Herodes von den der Kleopatra zugewiesenen Distrikten, die er ihr abpachtet, phoros zahlt (ant. Iud. 15, 4, 2 u. 4. c. 5, 3), bestaetigt nur die Regel. Wenn App. civ. 5, 75 unter den von Antonius mit Tribut belegten Koenigen den Herodes fuer Idumaea und Samaria auffuehrt, so fehlt Judaea auch hier nicht ohne guten Grund; und auch fuer diese Nebenlaender kann ihm der Tribut von Augustus erlassen sein. Der detaillierte und zuverlaessige Bericht ueber die Schatzung, die Quirinius anordnet, zeigt mit voelliger Klarheit, dass das Land bis dahin von roemischer Steuer frei war. ^9 In demselben Dekret heisst es: kai op/o/s m/e/deis m/e/te arch/o/n m/e/te strat/e/gos /e/ presbeyt/e/s en tois orois t/o/n Ioydai/o/n anista (’vielleicht synista Wilamowitz) symmapsian kai strati/o/tas exi/e/ (so Wilamowitz fuer exei), /e/ ta chr/e/mata to?t/o/n anep/e/reastoys (vgl. 14, 10, 2: paracheimasian de kai chr/e/mata prattesthai oth dokimaz/o/). Dies entspricht im wesentlichen der Formel des wenig aelteren Freibriefs fuer Termessos (CIL I, 204): nei quis magistratu prove magistratu legatus ne[ive] quis alius meilites in oppidum Thermesum . . . agrumve . . . hiemandi caussa introducito . . . nisei senatus nominatim utei Thermesum . . . in hibernacula meilites deducantur decreverit. Der Durchmarsch ist demnach gestattet. In dem Privilegium fuer Judaea scheint ausserdem noch die Aushebung untersagt gewesen zu sein. ^10 Dieser Titel, der zunaechst das kollegialische Vierfuerstentum bezeichnet, wie es bei den Galatern herkoemmlich war, ist dann allgemeiner fuer die Samt-, ja auch fuer die Einherrschaft, immer aber als im Rang dem koeniglichen nachstehend verwendet worden. In dieser Weise erscheint er ausser in Galanen auch in Syrien vielleicht seit Pompeius, sicher seit Augustus. Die Nebeneinanderstellung eines Ethnarchen und zweier Tetrarchen, wie sie im Jahre 713 (41) fuer Judaea nach Josephus (ant. Iud. 14, 13, 1; bel. Iud. 1, 12, 5) angeordnet ward, begegnet sonst nicht wieder; analog ist Pheroras Tetrarch der Peraea unter seinem Bruder Herodes (bel. Iud. 1, 24, 5). ------------------------------------------ Bald rissen die Wendungen der grossen Politik den juedischen Staat noch einmal in ihre Wogen. Der Herrschaft der Antipatriden machte im folgenden Jahre (714 40) die Invasion der Parther zunaechst ein Ende. Der Praetendent Antigonos schlug sich zu ihnen und bemaechtigte sich Jerusalems und fast des ganzen Gebiets. Hyrkanos ging als Gefangener zu den Parthern, Phasael, Antipatros’ aeltester Sohn, gleichfalls gefangen, gab sich im Kerker den Tod. Mit genauer Not barg Herodes die Seinigen in einem Felsenschloss am Saume Judaeas und ging selbst fluechtig und Hilfe bittend zuerst nach Aegypten und, da er hier Antonius nicht mehr fand, zu den beiden eben damals in neuer Eintracht schaltenden Machthabern (724 40) nach Rom. Bereitwillig gestattete man ihm, was ja nur im roemischen Interesse lag, das Juedische Reich fuer sich zurueckzugewinnen; er kam nach Syrien zurueck, soweit es auf die Roemer ankam, als anerkannter Herrscher und sogar ausgestattet mit dem koeniglichen Titel. Aber gleich wie ein Praetendent hatte er das Land nicht so sehr den Parthern als den Patrioten zu entreissen. Vorzugsweise mit Samaritern und Idumaeern und gedungenen Soldaten schlug er seine Schlachten und gelangte endlich durch die Unterstuetzung der roemischen Legionen auch in den Besitz der lange verteidigten Hauptstadt. Die roemischen Henker befreiten ihn gleichfalls von seinem langjaehrigen Nebenbuhler Antigonos, seine eigenen raeumten auf unter den vornehmen Geschlechtern des Rats von Jerusalem. Aber die Tage der Bedraengnis waren mit seiner Installation noch keineswegs vorueber. Antonius’ unglueckliche Expedition gegen die Parther blieb fuer Herodes ohne Folgen, da die Sieger es nicht wagten, in Syrien einzuruecken; aber schwer litt er unter den immer sich steigernden Anspruechen der aegyptischen Koenigin, die damals mehr als Antonius den Osten beherrschte; ihre frauenhafte Politik, zunaechst gerichtet auf die Erweiterung ihrer Hausmacht und vor allem ihrer Einkuenfte, erreichte zwar bei Antonius bei weitem nicht alles, was sie begehrte, aber sie entriss dem Koenig der Juden doch einen Teil seiner wertvollsten Besitzungen an der syrischen Kueste und in dem aegyptisch-syrischen Zwischengebiet, ja selbst die reichen Balsampflanzungen und Palmenhaine von Jericho und legte ihm schwere finanzielle Lasten auf. Um den Rest seiner Herrschaft zu behaupten, musste er die neuen syrischen Besitzungen der Koenigin entweder selber abpackten oder fuer andere minder zahlungsfaehige Paechter garantieren. Nach all diesen Bedraengnissen und in Erwartung noch aergerer und ebensowenig abweisbarer Anforderungen war der Ausbruch des Krieges zwischen Antonius und Caesar fuer ihn eine Hoffnung, und dass Kleopatra in ihrer egoistischen Verkehrtheit ihm die taetige Teilnahme an dem Kriege erliess, weil er seine Truppen brauche, um ihre syrischen Einkuenfte beizutreiben, ein weiterer Gluecksfall, da dies ihm die Unterwerfung unter den Sieger erleichterte. Das Glueck kam ihm noch weiter bei dem Parteiwechsel entgegen: er konnte eine Schar getreuer Gladiatoren des Antonius abfangen, die aus Kleinasien durch Syrien nach Aegypten marschierten, um ihrem Herrn Beistand zu leisten. Indem er, bevor er sich zu Caesar nach Rhodos begab, um seine Begnadigung zu erwirken, den letzten maennlichen Spross des Makkabaeerhauses, den achtzigjaehrigen Hyrkanos, dem das Haus des Antipatros seine Stellung verdankte, fuer alle Faelle hinrichten liess, uebertrieb er in der Tat die notwendige Vorsicht. Caesar tat, was die Politik ihn tun hiess, zumal da fuer die beabsichtigte aegyptische Expedition die Unterstuetzung des Herodes von Wichtigkeit war; er bestaetigte den gern Besiegten in seiner Herrschaft und erweiterte sie teils durch die Rueckgabe der von Kleopatra ihm entrissenen Besitzungen, teils durch weitere Gaben: die ganze Kueste von Gaza bis zum Stratonsturm, dem spaeteren Caesarea, die zwischen Judaea und Galilaea sich einschiebende samaritanische Landschaft und eine Anzahl von Staedten oestlich vom Jordan gehorchten seitdem dem Herodes. Mit der Konsolidierung der roemischen Monarchie war auch das juedische Fuerstentum weiteren aeusseren Krisen entzogen. Vom roemischen Standpunkt aus erscheint das Verhalten der neuen Dynastie in einer Weise korrekt, dass dem Betrachtenden dabei die Augen uebergehen. Sie tritt ein zuerst fuer Pompeius, dann fuer Caesar den Vater, dann fuer Cassius und Brutus, dann fuer die Triumvirn, dann fuer Antonius, endlich fuer Caesar den Sohn; die Treue wechselt wie die Parole. Dennoch ist diesem Verhalten die Folgerichtigkeit und Festigkeit nicht abzusprechen. Die Parteiungen, die die herrschende Buergerschaft zerrissen, ob Republik oder Monarchie, ob Caesar oder Antonius, gingen die abhaengigen Landschaften, vor allem die des griechischen Ostens, in der Tat nichts an. Die Entsittlichung, die mit allem revolutionaeren Regimentswechsel verbunden ist, die entweihende Vermengung der inneren Treue und des aeusseren Gehorsams, kam in diesem Fall in grellster Weise zum Vorschein; aber der Pflichterfuellung, wie sie das roemische Gemeinwesen von seinen Untertanen beanspruchte, hatte Koenig Herodes in einer Ausdehnung genuegt, welcher edlere und grossartigere Naturen allerdings nicht faehig gewesen sein wuerden. Den Parthern gegenueber hat er stets, auch in bedenklichen Lagen, fest zu den einmal erkorenen Schutzherren gehalten. Vom Standpunkt der inneren juedischen Politik aus ist das Regiment des Herodes die Beseitigung der Theokratie und insofern eine Fortsetzung, ja eine Steigerung des Regiments der Makkabaeer, als die Trennung des staatlichen und des Kirchenregiments in schneidendster Schaerfe durchgefuehrt wird in dem Gegensatz zwischen dem allmaechtigen, aber fremdgeborenen Koenig, und dem machtlosen, oft und willkuerlich gewechselten Erzpriester. Freilich wurde dem juedischen Hochpriester die koenigliche Stellung eher verziehen als dem fremden und priesterlicher Weihe unfaehigen Mann; und wenn die Hasmonaeer die Unabhaengigkeit des Judentums nach aussen hin vertraten, trug der Idumaeer seine koenigliche Macht ueber die Juden von dem Schirmherrn zu Lehen. Die Rueckwirkung dieses unloesbaren Konflikts auf eine tief leidenschaftliche Natur tritt in dem ganzen Lebenslauf des Mannes uns entgegen, der viel Leid bereitet, aber vielleicht nicht weniger empfunden hat. Immer sichern die Energie, die Stetigkeit, die Fuegsamkeit in das Unvermeidliche, die militaerische und politische Geschicklichkeit, wo dafuer Raum war, dem Judenkoenig einen gewissen Platz in dem Gesamtbild einer merkwuerdigen Epoche. Das fast vierzigjaehrige Regiment des Herodes - er starb im Jahre 750 (4) - im einzelnen zu schildern, wie es die dafuer in grosser Ausfuehrlichkeit erhaltenen Berichte gestatten, ist nicht die Aufgabe des Geschichtschreibers von Rom. Es gibt wohl kein Koenigshaus irgendeiner Zeit, in welchem die Blutfehde zwischen Eltern und Kindern, zwischen Gatten und Geschwistern in gleicher Weise gewuetet hat; Kaiser Augustus und seine Statthalter in Syrien wandten schaudernd sich ab von dem Anteil an dem Mordwerk, der ihnen angesonnen ward; nicht der mindest entsetzliche Zug in diesem Greuelbild ist die voellige Zwecklosigkeit der meisten, in der Regel auf grundlosen Verdacht verfuegten Exekutionen und die stetig nachfolgende verzweifelnde Reue des Urhebers. Wie kraeftig und verstaendig der Koenig das Interesse seines Landes, soweit er konnte und durfte, wahrnahm, wie energisch er nicht bloss in Palaestina, sondern im ganzen Reich mit seinen Schaetzen und mit seinem nicht geringen Einfluss fuer die Juden eintrat -die den Juden guenstige Entscheidung Agrippas in dem grossen kleinasiatischen Reichshandel hatten sie wesentlich ihm zu verdanken -, Liebe und Treue fand er wohl in Idumaea und Samaria, aber nicht bei dem Volke Israel; hier war und blieb er nicht so sehr der mit vielfacher Blutschuld beladene, als vor allem der fremde Mann. Wie es eine der Haupttriebfedern jenes Hauskrieges ist, dass er in seiner Gattin aus hasmonaeischem Geschlecht, der schoenen Mariamne, und in deren Kindern mehr die Juden als die Seinen sah und fuerchtete, so hat er es selbst ausgesprochen, dass er sich zu den Griechen ebenso hingezogen fuehle, wie von den Juden abgestossen. Es ist bezeichnend, dass er die Soehne, denen er zunaechst die Nachfolge zudachte, in Rom erziehen liess. Waehrend er aus seinen unerschoepflichen Reichtuemern die Griechenstaedte des Auslandes mit Gaben ueberhaeufte und mit Tempeln schmueckte, baute er fuer die Juden wohl auch, aber nicht im juedischen Sinne. Die Circusund Theaterbauten in Jerusalem selbst wie die Tempel fuer den Kaiserkultus in den juedischen Staedten galten dem frommen Israeliten als Aufforderung zur Gotteslaesterung. Dass er den Tempel in Jerusalem in einen Prachtbau verwandelte, geschah halb gegen den Willen der Frommen; wie sehr sie den Bau bewunderten, dass er an demselben einen goldenen Adler anbrachte, wurde ihm mehr veruebelt als alle von ihm verfuegten Todesurteile und fuehrte zu einem Volksaufstand, dem der Adler zum Opfer fiel und dann freilich auch die Frommen, die ihn abrissen. Herodes kannte das Land genug, um es nicht auf das aeusserste kommen zu lassen; wenn es moeglich gewesen waere, dasselbe zu hellenisieren, der Wille dazu haette ihm nicht gefehlt. An Tatkraft stand der Idumaeer hinter den besten Hasmonaeern nicht zurueck. Der grosse Hafenbau beim Stratonsturm oder, wie die von Herodes voellig umgebaute Stadt seitdem heisst, bei Caesarea, gab der hafenarmen Kueste zuerst das, was sie brauchte, und die ganze Kaiserzeit hindurch ist die Stadt ein Hauptemporium des suedlichen Syriens geblieben. Was sonst die Regierung zu leisten vermag, Entwicklung der natuerlichen Hilfsquellen, Eintreten bei Hungersnot und anderen Kalamitaeten, vor allen Dingen Sicherheit des Landes nach innen und aussen, das hat Herodes geleistet. Der Raeuberunfug wurde abgestellt und die in diesen Gegenden so ungemein schwierige Verteidigung der Grenze gegen die streifenden Staemme der Wueste mit Strenge und Folgerichtigkeit durchgefuehrt. Dadurch wurde die roemische Regierung bewogen, ihm noch weitere Gebiete zu unterstellen, Ituraea, Trachonitis, Auranitis, Batanaea. Seitdem erstreckte sich seine Herrschaft, wie dies schon erwaehnt ward, geschlossen ueber das transjordanische Land bis gegen Damaskos und zum Hermongebirge; soviel wir erkennen koennen, hat es nach jenen weiteren Zuweisungen in dem ganzen bezeichneten Gebiet keine Freistadt und keine von Herodes unabhaengige Herrschaft mehr gegeben. Die Grenzverteidigung selbst traf mehr den arabischen Koenig als den der Juden; aber soweit sie ihm oblag, bewirkte die Reihe wohlversehener Grenzkastelle auch hier einen Landfrieden, wie man ihn bisher in diesen Gegenden nicht gekannt hatte. Man begreift es, dass Agrippa, nachdem er die Hafenund die Kriegsbauten des Herodes besichtigt hatte, in ihm einen gleichstrebenden Gehilfen bei dem grossen Organisationswerk des Reiches erkannte und ihn in diesem Sinne behandelte. Dauernden Bestand hatte sein Reich nicht. Herodes selbst teilte es in seinem Testament unter drei seiner Soehne, und Augustus bestaetigte die Verfuegung im wesentlichen, indem er nur den wichtigen Hafen Gaza und die transjordanischen Griechenstaedte unmittelbar unter den syrischen Statthalter stellte. Die noerdlichen Reichsteile wurden von dem Hauptland abgetrennt; das zuletzt von Herodes erworbene Gebiet suedlich von Damaskos, die Batanaea mit den dazu gehoerigen Distrikten erhielt Philippos, Galilaea und die Peraea, das heisst das transjordanische Gebiet, soweit es nicht griechisch war, Herodes Antipas, beide als Tetrarchen; diese beiden Kleinfuerstentuemer haben anfangs getrennt, dann unter Herodes des "Grossen" Urenkel Agrippa II. vereinigt, mit geringen Unterbrechungen bis unter Traianus fortbestanden. Wir haben ihres Regiments bei der Schilderung des oestlichen Syriens und Arabiens bereits gedacht. Hier mag nur hinzugefuegt werden, dass diese Herodeer, wenn nicht mit der Energie, doch im Sinn und Geist des Stifters der Dynastie weiterregierten. Die von ihnen eingerichteten Staedte Caesarea, das alte Paneas, im noerdlichen Gebiet und Tiberias in Galilaea sind ganz in der Art des Herodes hellenisch geordnet; charakteristisch ist die Aechtung, welche die juedischen Rabbis wegen eines bei der Anlage von Tiberias gefundenen Grabes ueber die unreine Stadt verhaengten. Das Hauptland, Judaea nebst Samaria noerdlich und Idumaea suedlich, bekam nach dem Willen des Vaters Archelaos. Aber den Wuenschen der Nation entsprach diese Erbfolge nicht. Die Orthodoxen, das heisst die Pharisaeer, beherrschten so gut wie ausschliesslich die Masse, und wenn bisher die Furcht des Herrn einigermassen niedergehalten war durch die Furcht vor dem ruecksichtslos energischen Koenig, so stand doch der Sinn der grossen Majoritaet der Juden darauf, unter der Schirmherrschaft Roms das reine gottselige Priesterregiment wieder herzustellen, wie es einst die persischen Beamten eingerichtet hatten. Unmittelbar nach dem Tode des alten Koenigs hatten die Massen in Jerusalem sich zusammengerottet, um die Beseitigung des von Herodes ernannten Hohenpriesters und die Ausweisung der Unglaeubigen aus der heiligen Stadt zu verlangen, wo eben das Passah gefeiert werden sollte; Archelaos hatte sein Regiment damit beginnen muessen, auf diese Massen einhauen zu lassen; man zaehlte eine Menge Tote, und die Festfeier unterblieb. Der roemische Statthalter von Syrien - derselbe Varus, dessen Unverstand bald darauf den Roemern Germanien kostete -, dem es zunaechst oblag, waehrend des Interregnums die Ordnung im Lande aufrecht zu halten, hatte diesen in Jerusalem meuternden Haufen gestattet, nach Rom, wo eben ueber die Besetzung des juedischen Thrones verhandelt ward, eine Deputation von fuenfzig Personen zu entsenden, um die Abschaffung des Koenigtums zu erbitten, und als Augustus diese vorliess, gaben achttausend hauptstaedtische Juden ihr das Geleit zum Tempel des Apollo. Die fanatisierten Juden daheim fuhren inzwischen fort, sich selber zu helfen; die roemische Besatzung, die in den Tempel gelegt war, wurde mit stuermender Hand angegriffen, und fromme Raeuberscharen erfuellten das Land; Varus musste die Legionen ausruecken lassen und mit dem Schwert die Ruhe wieder herstellen. Es war eine Warnung fuer den Oberherrn, eine nachtraegliche Rechtfertigung fuer Koenig Herodes’ gewalttaetiges, aber wirksames Regiment. Aber mit der ganzen Schwaechlichkeit, welche er namentlich in spaeteren Jahren so oft bewies, wies Augustus allerdings die Vertreter jener fanatischen Massen mit ihrem Begehren ab, uebergab aber, im wesentlichen das Testament des Herodes ausfuehrend, die Herrschaft in Jerusalem dem Archelaos, gemindert um den koeniglichen Titel, den Augustus dem unerprobten jungen Mann zur Zeit nicht zugestehen mochte, ferner gemindert um die noerdlichen Gebiete und mit der Abnahme der Grenzverteidigung auch in der militaerischen Stellung herabgedrueckt. Dass auf Augustus’ Veranlassung die unter Herodes hochgespannten Steuern herabgesetzt wurden, konnte die Stellung des Vierfuersten wenig bessern. Archelaos’ persoenliche Unfaehigkeit und Unwuerdigkeit brauchten kaum noch hinzuzutreten, um ihn unmoeglich zu machen; wenige Jahre darauf (6 n. Chr.) sah Augustus selbst sich genoetigt, ihn abzusetzen. Nun tat er nachtraeglich jenen Meuterern ihren Willen: das Koenigtum wurde abgeschafft und das Land einerseits in unmittelbare roemische Verwaltung genommen, andererseits, soweit neben dieser ein inneres Regiment zugelassen ward, dasselbe dem Senat von Jerusalem uebergeben. Bei diesem Verfahren moegen allerdings teils frueher in Betreff der Erbfolge von Augustus dem Herodes gegebene Zusicherungen mitbestimmend gewesen sein, teils die mehr und mehr hervortretende und im allgemeinen wohl gerechtfertigte Abneigung der Reichsregierung gegen groessere, einigermassen selbstaendig sich bewegende Klientelstaaten. Was in Galatien, in Kappadokien, in Mauretanien kurz vorher oder bald nachher geschah, erklaert, warum auch in Palaestina das Reich des Herodes ihn selbst kaum ueberdauerte. Aber wie in Palaestina das unmittelbare Regiment geordnet ward, war es auch administrativ ein arger Rueckschritt gegen das Herodische; vor allem aber lagen hier die Verhaeltnisse so eigenartig und so schwierig, dass die allerdings von der Priesterpartei selbst hartnaeckig erstrebte und schliesslich erlangte unmittelbare Beruehrung der regierenden Roemer und der regierten Juden weder diesen noch jenen zum Segen gereichte. Judaea wurde somit im Jahre 6 n. Chr. eine roemische Provinz zweiten Ranges ^11 und ist, abgesehen von der ephemeren Restauration des jerusalemischen Koenigreichs unter Claudius in den Jahren 41-44, seitdem roemische Provinz geblieben. An die Stelle des bisherigen lebenslaenglichen und, unter Vorbehalt der Bestaetigung durch die roemische Regierung, erblichen Landesfuersten trat ein vom Kaiser auf Widerruf ernannter Beamter aus dem Ritterstand. Der Sitz der roemischen Verwaltung wurde, wahrscheinlich sofort, die von Herodes nach hellenischem Muster umgebaute Hafenstadt Caesarea. Die Befreiung des Landes von roemischer Besatzung fiel selbstverstaendlich weg, aber, wie durchgaengig in den Provinzen zweiten Ranges, bestand die roemische Truppenmacht nur aus einer maessigen Zahl von Reiterund Fussabteilungen der geringeren Kategorie; spaeterhin lagen dort eine Ala und fuenf Kohorten, etwa 3000 Mann. Diese Truppen wurden vielleicht von dem frueheren Regiment uebernommen, wenigstens zum grossen Teil im Lande selbst, jedoch meist aus Samaritanern und syrischen Griechen gebildet ^12. Legionarbesatzung erhielt die Provinz nicht, und auch in den Judaea benachbarten Gebieten stand hoechstens eine von den vier syrischen Legionen. Nach Jerusalem kam ein staendiger roemischer Kommandant, der in der Koenigsburg seinen Sitz nahm, mit einer schwachen staendigen Besatzung; nur waehrend der Passahzeit, wo das ganze Land und unzaehlige Fremde nach dem Tempel stroemten, lag eine staerkere Abteilung roemischer Soldaten in einer zum Tempel gehoerigen Halle. Dass mit der Einrichtung der Provinz die Steuerpflichtigkeit Rom gegenueber eintrat, folgt schon daraus, dass die Kosten der Landesverteidigung damit auf die Reichsregierung uebergingen. Nachdem diese bei der Einsetzung des Archelaos eine Herabsetzung der Abgaben veranlasst hatte, ist es wenig wahrscheinlich, dass sie bei der Einziehung des Landes eine sofortige Erhoehung derselben in Aussicht nahm; wohl aber wurde, wie in jedem neu erworbenen Gebiet, zu einer Revision der bisherigen Katastrierung geschritten ^13. ------------------------------------------- ^11 Die Angabe des Josephus, dass Judaea zur Provinz Syrien gezogen und dessen Statthalter unterstellt worden sei (ant. Iud. 17 fin.: to? de Archelaoy ch/o/ras ypotelo?s prosnem/e/theis/e/s t/e/ S?r/o/n; 18, 1, 1 : eis t/e/n Ioydai/o/n prosth/e/k/e/n t/e/s Syrias; 4, 6) scheint unrichtig zu sein; vielmehr bildete Judaea wahrscheinlich seitdem eine eigene prokuratorische Provinz. Genaue Unterscheidung zwischen dem rechtlichen und dem faktischen Eingreifen des syrischen Statthalters darf man bei Josephus nicht erwarten. Dass derselbe die neue Provinz ordnete und die erste Schatzung leitete, entscheidet nicht ueber die Frage, welche Einrichtung ihr gegeben ward. Wo die Juden sich ueber ihren Prokurator bei dem Statthalter von Syrien beschweren und dieser gegen denselben einschreitet, ist allerdings der Prokurator von dem Legaten abhaengig; aber wenn L. Vitellius dies tat (Ios. ant. Iud. 18, 4, 2), so griff dessen Macht eben ausserordentlicherweise hinaus ueber die Provinz (Tac. ann. 6, 32; Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 822), und in dem andern Fall zeigen die Worte des Tacitus (12, 54): quia Claudius ius statuendi etiam de procuratoribus dederat, dass der Statthalter von Syrien kraft seiner allgemeinen Kompetenz ein solches Urteil nicht haette faellen koennen. Sowohl das ius gladii dieser Prokuratoren (Ios. bel. Iud. 2, 8, 1: mechri to? kteinein lab/o/n para to? Kaisaros exoysian, ant. Iud. 18, 1, 1; /e/g/e/somenos Ioydai/o/n t/e/ epi pasin exoysia) wie ihr ganzes Auftreten beweisen, dass sie nicht zu denen gehoerten, die unter einem kaiserlichen Legaten stehend nur finanzielle Geschaefte besorgten, sondern vielmehr wie die Prokuratoren von Noricum und Raetia auch fuer Rechtspflege und Heerbefehl die hoechste Instanz bildeten. Also hatten die Legaten von Syrien dort nur die Stellung wie die von Pannonien in Noricum und der obergermanische in Raetien. Dies entspricht auch der allgemeinen Entwicklung der Verhaeltnisse: alle groesseren Koenigreiche sind bei der Einziehung nicht den benachbarten grossen Statthalterschaften zugelegt worden, deren Machtfuelle zu steigern nicht in der Tendenz dieser Epoche liegt, sondern zu selbststaendigen, meist zuerst ritterlichen Statthalterschaften gemacht worden. ^12 Nach Josephus (ant. Iud. 20, 8, 7, genauer als bel. Iud. 2, 13, 7) bestand der groesste Teil der roemischen Truppen in Palaestina aus Caesareern und Sebastenern. Die ala Sebastenorum focht im Juedischen Kriege unter Vespasian (Ios. bel. Iud. 2, 12, 5). Vgl. Eph. epigr. V, p. 194. Alae und cohortes Iudaeorum gibt es nicht. ^13 Die Einkuenfte des Herodes beliefen sich nach Josephus (ant. Iud. 17, 11, 4) auf etwa 1200 Talente, wovon auf Batanaea mit den Nebenlaendern etwa 100, auf Galilaea und Peraea 200, das uebrige auf den Anteil des Archelaos entfallen; dabei ist wohl das aeltere hebraeische Talent (zu etwa 7830 Mark) gemeint, nicht, wie F. Hultsch (Griechische und roemische Metrologie. z. Aufl. Berlin 1882, S. 605) annimmt, das Denartalent (zu etwa 5220 Mark), da die Einkuenfte desselben Gebiets unter Claudius bei demselben Josephus (ant. Iud. 19, 8, 2) auf 12 Mill. Denare (etwa 10 Mill. Mark) angesetzt werden. Den Hauptposten darin bildete die Bodenabgabe, deren Hoehe wir nicht kennen; in syrischer Zeit betrug sie wenigstens zeitweilig den dritten Teil vom Getreide und die Haelfte von Wein und Oel (1. Makk. 10, 30), zu Caesars Zeit fuer Joppe ein Viertel der Frucht (Anm. 8), woneben dann noch der Tempelzehnte stand. Dazu kamen eine Anzahl anderer Steuern und Zoelle, Auktionsabgaben, Salzsteuer, Wegeund Brueckengelder u. dgl. m.; diese sind es, auf welche die Zoellner der Evangelien sich beziehen. ------------------------------------------- Fuer die einheimischen Behoerden wurden in Judaea, wie ueberall, soweit moeglich die Stadtgemeinden zum Fundament genommen. Samaria oder, wie die Stadt jetzt heisst, Sebaste, das neu angelegte Caesarea und die sonstigen in dem ehemaligen Reich des Archelaos enthaltenen staedtischen Gemeinden verwalteten unter Aufsicht der roemischen Behoerde sich selbst. Auch das Regiment der Hauptstadt mit dem grossen dazugehoerigen Gebiet wurde in aehnlicher Weise geordnet. Schon in vorroemischer Zeit unter den Seleukiden hatte sich, wie wir sahen, in Jerusalem ein Rat der Aeltesten gebildet, das Synhedrion oder judaisiert der Sanhedrin. Den Vorsitz darin fuehrte der Hochpriester, welchen der jedesmalige Herr des Landes, wenn er nicht etwa selber Hochpriester war, auf Zeit bestellte. Dem Kollegium gehoerten die gewesenen Hochpriester und angesehene Gesetzkundige an. Diese Versammlung, in der das aristokratische Element ueberwog, funktionierte als hoechste geistliche Vertretung der gesamten Judenschaft, und, soweit diese davon nicht zu trennen war, auch als die weltliche Vertretung insbesondere der Gemeinde von Jerusalem. Zu einer geistlichen Institution mosaischer Satzung hat das Synhedrion von Jerusalem erst der spaetere Rabbinismus durch fromme Fiktion umgestempelt. Er entsprach wesentlich dem Rat der griechischen Stadtverfassung, trug aber allerdings seiner Zusammensetzung wie seinem Wirkungskreise nach einen mehr geistlichen Charakter, als er den griechischen Gemeindevertretungen zukommt. Diesem Synhedrion und seinem Hochpriester, den jetzt als Vertreter des kaiserlichen Landesherrn der Prokurator ernannte, liess oder uebertrug die roemische Regierung diejenige Kompetenz, welche in den hellenischen Untertanengemeinden den staedtischen Behoerden und den Gemeinderaeten zukam. Sie liess mit gleichgueltiger Kurzsichtigkeit dem transzendentalen Messianismus der Pharisaeer freien Lauf und dem bis zum Eintreffen des Messias fungierenden, keineswegs transzendentalen Landeskonsistorium ziemlich freies Schalten in Angelegenheiten des Glaubens, der Sitte und des Rechts, wo die roemischen Interessen dadurch nicht geradezu beruehrt wurden. Insbesondere betraf dies die Rechtspflege. Zwar soweit es sich dabei um roemische Buerger handelte, wird die Justiz in Zivilwie in Kriminalsachen den roemischen Gerichten sogar schon vor der Einziehung des Landes vorbehalten gewesen sein. Aber die Ziviljustiz ueber die Juden blieb auch nach derselben hauptsaechlich der oertlichen Behoerde. Die Kriminaljustiz ueber dieselben uebte diese wahrscheinlich im allgemeinen konkurrierend mit dem roemischen Prokurator; nur Todesurteile konnte sie nicht anders vollstrecken lassen als nach Bestaetigung durch den kaiserlichen Beamten. Im wesentlichen waren diese Anordnungen die unabweisbaren Konsequenzen der Abschaffung des Fuerstentums, und indem die Juden diese erbaten, erbaten sie in der Tat jene mit. Gewiss war es auch die Absicht der Regierung, Haerte und Schroffheit bei der Durchfuehrung soweit moeglich zu vermeiden. Publius Sulpicius Quirinius, dem als Statthalter von Syrien die Einrichtung der neuen Provinz uebertragen ward, war ein angesehener und mit den Verhaeltnissen des Orients genau vertrauter Beamter, und alle Einzelberichte bestaetigen redend oder schweigend, dass man die Schwierigkeiten der Verhaeltnisse kannte und darauf Ruecksicht nahm. Die oertliche Praegung der Kleinmuenze, wie sie frueher die Koenige geuebt hatten, ging jetzt auf den Namen des roemischen Herrschers; aber der juedischen Bilderscheu wegen wurde nicht einmal der Kopf des Kaisers auf die Muenze gesetzt. Das Betreten des inneren Tempelraumes blieb jedem Nichtjuden untersagt bei Todesstrafe ^14. Wie ablehnend Augustus sich persoenlich gegen die orientalischen Kulte verhielt, er verschmaehte es hier sowenig wie in Aegypten, sie in ihrer Heimat mit dem Kaiserregiment zu verknuepfen; prachtvolle Geschenke des Augustus, der Livia und anderer Glieder des kaiserlichen Hauses schmueckten das Heiligtum der Juden, und nach kaiserlicher Stiftung rauchte taeglich dort dem "hoechsten Gott" das Opfer eines Stiers und zweier Laemmer. Die roemischen Soldaten wurden angewiesen, wenn sie in Jerusalem Dienst hatten, die Feldzeichen mit den Kaiserbildern in Caesarea zu lassen, und als ein Statthalter unter Tiberius davon abging, entsprach die Regierung schliesslich den flehenden Bitten der Frommen und liess es bei dem alten. Ja als auf einer Expedition gegen die Araber die roemischen Truppen durch Jerusalem marschieren sollten, erhielten sie infolge der Bedenken der Priester gegen die Bilder an den Feldzeichen eine andere Marschroute. Als ebenjener Statthalter dem Kaiser an der Koenigsburg in Jerusalem Schilde ohne Bildwerke weihte und die Frommen auch daran Aergernis nahmen, befahl Tiberius dieselben abzunehmen und an dem Augustustempel in Caesarea aufzuhaengen. Das Festgewand des Hohenpriesters, das sich auf der Burg in roemischem Gewahrsam befand und daher vor der Anlegung erst sieben Tage lang von solcher Entweihung gereinigt werden musste, wurde den Glaeubigen auf ihre Beschwerde ausgeliefert und der Kommandant der Burg angewiesen, sich nicht weiter um dasselbe zu bekuemmern. Allerdings konnte von der Menge nicht verlangt werden, dass sie darum die Folgen der Einverleibung weniger schwer empfand, weil sie selbst dieselbe herbeigefuehrt hatte. Auch soll nicht behauptet werden, dass die Einziehung des Landes fuer die Bewohner ohne Bedrueckung abging und dass sie keinen Grund hatten, sich zu beschweren; diese Einrichtungen sind nirgends ohne Schwierigkeiten und Ruhestoerungen durchgefuehrt worden. Ebenso wird die Anzahl der Unrechtfertigkeiten und Gewalttaetigkeiten, welche einzelne Statthalter begingen, in Judaea nicht geringer gewesen sein als anderswo. Schon im Anfang der Regierung des Tiberius klagten die Juden wie die Syrer ueber Steuerdruck; insbesondere der langjaehrigen Verwaltung des Pontius Pilatus werden von einem nicht unbilligen Beurteiler alle ueblichen Beamtenfrevel zur Last gelegt. Aber Tiberius hat, wie derselbe Jude sagt, in den dreiundzwanzig Jahren seiner Regierung die althergebrachten heiligen Gebraeuche aufrecht gehalten und in keinem Teil sie beseitigt oder verletzt. Es ist dies um so mehr anzuerkennen, als derselbe Kaiser im Okzident so nachdruecklich wie kein anderer gegen die Juden einschritt und also die in Judaea von ihm bewiesene Langmut und Zurueckhaltung nicht auf persoenliche Beguenstigung des Judentums zurueckgefuehrt werden kann. --------------------------------------------------------------- ^14 An der Marmorschranke (dr?phaktos), welche den inneren Tempelraum abgrenzte, standen deswegen Warnungstafeln in lateinischer und griechischer Sprache (Ios. bel. Iud. 5, 5, 2; 6, 2, 4; ant. Iud. 15, 11, 5). Eine der letzteren, die kuerzlich wiedergefunden ist (Revue archeologique 23, 1872, S. 220) und jetzt in dem oeffentlichen Museum von Konstantinopel sich befindet, lautet: m/e/th? ena allogen/e/ eispore?esthai entos to? peri to ieron tryphaktoy kai periboloy. os d’an l/e/phd/e/, eayt/o/ aitios estai dia to exakoloythein thanaton. Das Iota im Dativ ist vorhanden, die Schrift gut und passend fuer fruehe Kaiserzeit. Diese Tafeln sind schwerlich von den juedischen Koenigen gesetzt, die kaum einen lateinischen Text hinzugefuegt haben wuerden und auch keine Ursache hatten, mit dieser sonderbaren Anonymitaet den Tod in Aussicht zu stellen. Wenn sie von der roemischen Regierung aufgestellt wurden, erklaert sich beides; auch sagt Titus bei Ios. bel. Iud. 6, 2, 4 in einer Ansprache an die Juden: oych /e/meis to?s yperbantas ymin anairein epetrepsamen, kan R/o/maios tis /e/; - Traegt die Tafel wirklich Spuren von Axthieben, so stammen diese von den Soldaten des Titus. --------------------------------------------------------------- Trotz allem dem entwickelten sich gegen die roemische Regierung die prinzipielle Opposition wie die gewaltsame Selbsthilfe der Glaeubigen beide schon in dieser Zeit des Friedens. Die Steuerzahlung ward nicht etwa bloss, weil sie drueckte, sondern als gottlos angefochten. "Ist es erlaubt", fragt der Rabbi im Evangelium, "dem Caesar den Zensus zu zahlen?" Die ironische Antwort, die er empfing, genuegte doch nicht allen; es gab Heilige, wenn auch wohl nicht in grosser Zahl, welche sich verunreinigt meinten, wenn sie eine Muenze mit dem Kaiserbild anruehrten. Dies war etwas Neues, ein Fortschritt der Oppositionstheologie; die Koenige Seleukos und Antiochos waren doch auch nicht beschnitten gewesen und hatten ebenfalls Tribut empfangen in Silberstuecken ihres Bildnisses. Also war die Theorie; die praktische Anwendung davon machte allerdings nicht der hohe Rat von Jerusalem, in welchem unter dem Einfluss der Reichsregierung die gefuegigeren Vornehmen des Landes stimmfuehrend waren, aber Judas der Galilaeer aus Gamala am See von Genezareth, welcher, wie Gamaliel diesem hohen Rat spaeter in Erinnerung brachte, "in den Tagen der Schatzung aufstand, und hinter ihm erhob sich das Volk zum Abfall". Er sprach es aus, was alle dachten, dass die sogenannte Schatzung die Knechtschaft und es eine Schande sei fuer den Juden, einen anderen Herrn ueber sich zu erkennen als den Herrn Zebaoth; dieser aber helfe nur denen, die sich selber huelfen. Wenn nicht viele seinem Ruf zu den Waffen folgten, und er nach wenigen Monaten auf dem Blutgeruest endigte, so war der heilige Tote den unheiligen Siegern gefaehrlicher als der Lebende. Er und die Seinigen gelten den spaeteren Juden neben den Sadduzaeern, Pharisaeern und Essaeern als die vierte "Schule"; damals hiessen sie die Eiferer, spaeter nennen sie sich die Sicarier, die Messermaenner. Ihre Lehre ist einfach: Gott allein ist Herr, der Tod gleichgueltig, die Freiheit eines und alles. Diese Lehre blieb, und des Judas Kinder und Enkel wurden die Fuehrer der spaeteren Insurrektionen. Wenn die roemische Regierung der Aufgabe, diese explosiven Elemente nach Moeglichkeit niederzuhalten, unter den ersten beiden Regenten im ganzen genommen geschickt und geduldig genuegt hatte, so fuehrte der zweite Thronwechsel hart an die Katastrophe. Derselbe ward wie im ganzen Reich, so auch von den Juden in Jerusalem wie in Alexandreia mit Jubel begruesst und nach dem menschenscheuen und unbeliebten Greise der neue jugendliche Herrscher Gaius dort wie hier in ueberschwenglicher Weise gefeiert. Aber rasch entwickelte sich aus nichtswuerdigen Anlaessen ein furchtbares Zerwuerfnis. Ein Enkel des ersten Herodes und der schoenen Mariamne, nach dem Beschuetzer und Freunde seines Grossvaters Herodes Agrippa genannt, unter den zahlreichen in Rom lebenden orientalischen Fuerstensoehnen ungefaehr der geringfuegigste und heruntergekommenste, aber dennoch oder eben darum der Guenstling und der Jugendfreund des neuen Kaisers, bis dahin lediglich bekannt durch seine Liederlichkeit und seine Schulden, hatte von seinem Beschuetzer, dem er zuerst die Nachricht von dem Tode des Tiberius hatte ueberbringen koennen, eines der vakanten juedischen Kleinfuerstentuemer zum Geschenk und dazu den Koenigstitel erhalten. Dieser kam im Jahre 38 auf der Reise in sein neues Reich nach der Stadt Alexandreia, wo er wenige Monate vorher als ausgerissener Wechselschuldner versucht hatte, bei den juedischen Bankiers zu borgen. Als er im Koenigsgewand mit seinen praechtig staffierten Trabanten sich dort oeffentlich zeigte, regte dies begreiflicherweise die nichtjuedische und den Juden nichts weniger als wohlwollende Bewohnerschaft der grossen spottund skandallustigen Stadt zu einer entsprechenden Parodie an, und bei dieser blieb es nicht. Es kam zu einer grimmigen Judenhetze. Die zerstreut liegenden Judenhaeuser wurden ausgeraubt und verbrannt, die im Hafen liegenden juedischen Schiffe gepluendert, die in den nicht juedischen Quartieren betroffenen Juden misshandelt und erschlagen. Aber gegen die rein juedischen Quartiere vermochte man mit Gewalt nichts auszurichten. Da gerieten die Fuehrer auf den Einfall, die Synagogen, auf die es vor allem abgesehen war, soweit sie noch standen, saemtlich zu Tempeln des neuen Herrschers zu weihen und Bildsaeulen desselben in allen, in der Hauptsynagoge eine solche auf einem Viergespann, aufzustellen. Dass Kaiser Gaius so ernsthaft, wie sein verwirrter Geist es vermochte, sich fuer einen wirklichen und leibhaftigen Gott hielt, wusste alle Welt, und die Juden und der Statthalter auch. Dieser, Avillius Flaccus, ein tuechtiger Mann und unter Tiberius ein vortrefflicher Verwalter, aber jetzt gelaehmt durch die Ungnade, in welcher er bei dem neuen Kaiser stand und jeden Augenblick der Abberufung und der Anklage gewaertig, verschmaehte es nicht, die Gelegenheit zu seiner Rehabilitierung zu benutzen ^15. Er befahl nicht bloss durch Edikt, der Aufstellung der Statuen in den Synagogen kein Hindernis in den Weg zu legen, sondern er ging geradezu auf die Judenhetze ein. Er verordnete die Abschaffung des Sabbaths. Er erklaerte weiter in seinen Erlassen, dass diese geduldeten Fremden sich unerlaubter Weise des besten Teils der Stadt bemaechtigt haetten; sie wurden auf ein einziges der fuenf Quartiere beschraenkt und alle uebrigen Judenhaeuser dem Poebel preisgegeben, waehrend die ausgetriebenen Bewohner massenweise obdachlos am Strande lagen. Kein Widerspruch wurde auch nur angehoert; achtunddreissig Mitglieder des Rats der Aeltesten, welcher damals anstatt des Ethnarchen der Judenschaft vorstand ^16, wurden im offenen Circus vor allem Volke gestaeupt. Vierhundert Haeuser lagen in Truemmern; Handel und Wandel stockte; die Fabriken standen still. Es blieb keine Hilfe als bei dem Kaiser. Vor ihm erschienen die beiden alexandrinischen Deputationen, die der Juden gefuehrt von dem frueher erwaehnten Philon, einem Gelehrten der neujuedischen Richtung und mehr sanftmuetigen als tapferen Herzens, der aber doch fuer die Seinen in dieser Bedraengnis getreulich eintrat; die der Judenfeinde gefuehrt von Apion, auch einem alexandrinischen Gelehrten und Schriftsteller, der "Weltschelle", wie Kaiser Tiberius ihn nannte, voll grosser Worte und noch groesserer Luegen, von dreistester Allwissenheit ^17 und unbedingtem Glauben an sich selbst, wenn nicht der Menschen, doch ihrer Nichtswuerdigkeit kundig, ein gefeierter Meister der Rede wie der Volksverfuehrung, schlagfertig, witzig, unverschaemt und unbedingt loyal. Das Ergebnis der Verhandlung stand von vornherein fest; der Kaiser liess die Parteien vor, waehrend er die Anlagen in seinen Gaerten besichtigte, aber statt den Flehenden Gehoer zu geben, legte er ihnen spoettische Fragen vor, die die Judenfeinde, aller Etikette zum Trotz, mit lautem Gelaechter begleiteten, und da er bei guter Laune war, beschraenkte er sich darauf, sein Bedauern auszusprechen, dass diese im uebrigen guten Leute so ungluecklich organisiert seien, seine angeborene Gottesnatur nicht begreifen zu koennen, womit es ihm ohne Zweifel ernst war. Apion also bekam Recht, und ueberall, wo es den Judenfeinden beliebte, wandelten die Synagogen sich um in Tempel des Gaius. ------------------------------------------------------ ^15 Der besondere Hass des Gaius gegen die Juden (Philo leg. 20) ist nicht die Ursache, sondern die Folge der alexandrinischen Judenhetze gewesen. Da also auch das Einverstaendnis der Fuehrer der Judenhetze mit dem Statthalter (Philo in Flacc. 4) so, wie die Juden meinten, nicht bestanden haben kann, weil der Statthalter nicht fueglich glauben konnte, durch Preisgebung der Juden sich dem neuen Kaiser zu empfehlen, so entsteht allerdings die Frage, warum die Fuehrer der Judenfeinde eben diesen Moment fuer die Judenhetze waehlten und vor allem, warum der Statthalter, dessen Trefflichkeit Philo so nachdruecklich anerkennt, dieselbe zuliess und wenigstens in ihrem weiteren Verlauf sich an ihr beteiligte. Wahrscheinlich sind die Dinge so hergegangen, wie sie oben erzaehlt sind: der Judenhass und Judenneid gaerten seit langem in Alexandreia (Ios. bel. Iud. 2, 18, 9; Philo leg. 18); der Wegfall des alten strengen Regiments und die augenscheinliche Ungnade, in welcher der Praefekt bei Gaius stand, gaben Raum fuer den Krawall; die Ankunft Agrippas gab den Anlass; die geschickte Verwandlung der Synagogen in Tempel des Gaius stempelte die Juden zu Kaiserfeinden, und nachdem dies geschehen war, wird Flaccus allerdings die Verfolgung aufgegriffen haben, um sich dadurch bei dem Kaiser zu rehabilitieren. ^16 Als Strabon in Aegypten war in der frueheren augusteischen Zeit, standen die Juden in Alexandreia unter einem Ethnarchen (geogr. 17, 1, 13 p. 798 und bei Ios. ant. Iud. 14, 7, 2). Als dann unter Augustus der Ethnarchos oder Genarchos, wie er auch heisst, starb, trat an seine Stelle ein Rat der Aeltesten (Philo leg. 10); doch "untersagte Augustus", wie Claudius angibt (Ios. ant. Iud. 19, S, 2), "den Juden nicht die Bestellung von Ethnarchen", was wohl heissen soll, dass die Wahl eines Einzelvorstehers nur fuer diesmal unterlassen, nicht ein fuer allemal abgeschafft ward. Unter Gaius gab es offenbar nur Aelteste der Judenschaft; und auch unter Vespasian begegnen diese (Ios. bel. Iud. 7, 10, 1). Ein Archon der Juden in Antiocheia wird genannt bei Ios. bel. Iud. 7, 3, 3. ^17 Apion redete und schrieb ueber alles und jedes, ueber die Metalle und die roemischen Buchstaben, ueber die Magie und von den Hetaeren, ueber aegyptische Urgeschichte und Apicius’ Kochrezepte, vor allem aber machte er Glueck mit seinen Vortraegen ueber Homer, die ihm das Ehrenbuergerrecht in zahlreichen griechischen Staedten erwarben. Er hatte entdeckt, dass Homeros darum mit dem unpassenden Worte m/e/nis seine Ilias begonnen habe, weil die ersten beiden Buchstaben als Ziffern die Buecherzahl der beiden von ihm zu schreibenden Epen darstellen; er nannte den Gastfreund in Ithaka, bei dem er das Brettspiel der Freier erkundet habe; ja er hatte Homeros selbst aus der Unterwelt beschworen, um ihn um seine Heimat zu befragen, derselbe sei auch gekommen und habe sie ihm gesagt, aber ihn verpflichtet, sie anderen nicht zu verraten. ------------------------------------------------------ Aber es blieb nicht bei diesen durch die alexandrinische Strassenjugend eingeleiteten Dedikationen. Im Jahre 39 bekam der Statthalter von Syrien, Publius Petronius, vom Kaiser den Befehl, mit seinen Legionen in Jerusalem einzuruecken und in dem Tempel die Bildsaeule des Kaisers aufzurichten. Der Statthalter, ein ehrbarer Beamter aus der Schule des Tiberius, erschrak; die Juden aus dem ganzen Lande, Maenner und Frauen, Greise und Kinder, stroemten zu ihm, erst nach Ptolemais in Syrien, dann nach Tiberias in Galilaea, ihn um seine Vermittlung anzuflehen, dass das Entsetzliche unterbleiben moege; die Aecker im ganzen Lande wurden nicht bestellt, und die verzweifelten Massen erklaerten, lieber den Tod durch das Schwert oder den Hunger dulden, als diesen Greuel mit Augen sehen zu wollen. In der Tat wagte der Statthalter die Ausfuehrung zu verzoegern und Gegenvorstellungen zu machen, obwohl er wusste, dass es dabei um seinen Kopf ging. Zugleich ging jener Koenig Agrippa persoenlich nach Rom, um von seinem Freunde die Ruecknahme des Befehls zu erwirken. In der Tat stand der Kaiser von seinem Begehren ab, man sagt infolge einer von dem juedischen Fuersten geschickt benutzten Weinlaune. Aber er beschraenkte zugleich die Konzession auf den einzigen Tempel von Jerusalem und sandte nichtsdestoweniger dem Statthalter wegen seines Ungehorsams das Todesurteil zu, das allerdings, zufaellig verspaetet, nicht mehr zur Ausfuehrung kam. Gaius war entschlossen, die Renitenz der Juden zu brechen; das angeordnete Einruecken der Legionen zeigt, dass er diesmal die Folgen seines Befehls im Voraus erwogen hatte. Seit jenen Vorgaengen hatten die bereitwillig gottglaeubigen Aegypter seine volle Liebe, so wie die stoerrigen und einfaeltigen Juden den entsprechenden Hass; hinterhaeltig wie er war und gewohnt zu begnadigen, um spaeter zu widerrufen, musste das Aergste nur verschoben erscheinen. Er war im Begriff, nach Alexandreia abzugehen, um dort persoenlich den Weihrauch seiner Altaere entgegenzunehmen, und an der Statue, die er in Jerusalem sich aufzustellen gedachte, wurde, so sagt man, in aller Stille gearbeitet, als im Januar 41 der Dolch des Chaerea unter anderem auch den Tempel des Jehova von dem Unhold befreite. Aeussere Folgen hinterliess die kurze Leidenszeit nicht; mit dem Gott sanken seine Altaere. Aber dennoch sind die Spuren davon nach beiden Seiten hin geblieben. Die Geschichte, die hier erzaehlt wird, ist die des steigenden Hasses zwischen Juden und Nichtjuden, und darin bezeichnet die dreijaehrige Judenverfolgung unter Gaius einen Abschnitt und einen Fortschritt. Der Judenhass und die Judenhetzen sind so alt wie die Diaspora selbst; diese privilegierten und autonomen orientalischen Gemeinden innerhalb der hellenischen mussten sie so notwendig entwickeln wie der Sumpf die boese Luft. Aber eine Judenhetze wie die alexandrinische des Jahres 38, motiviert durch das mangelhafte Hellenentum und dirigiert zugleich von der hoechsten Behoerde und dem niedrigen Poebel, hat die aeltere griechische wie roemische Geschichte nicht aufzuweisen. Der weite Weg vom boesen Wollen des Einzelnen zur boesen Tat der Gesamtheit war hiermit durchschritten, und es war gezeigt, was die also Gesinnten zu wollen und zu tun hatten und unter Umstaenden auch zu tun vermochten. Dass diese Offenbarung auch auf juedischer Seite empfunden ward, ist nicht zu bezweifeln, obwohl wir dies mit Dokumenten nicht zu belegen vermoegen ^18. Aber weit tiefer als die alexandrinische Judenhetze haftete in den Gemuetern der Juden die Bildsaeule des Gottes Gaius im Allerheiligsten. Es war das schon einmal dagewesen: auf das gleiche Unterfangen des Koenigs von Syrien, Antiochos Epiphanes, war die Makkabaeererhebung gefolgt und die siegreiche Wiederherstellung des freien nationalen Staats. Jener Epiphanes, der Antimessias, welcher den Messias herbeifuehrt, wie der Prophet Daniel ihn, allerdings nachtraeglich, gezeichnet hatte, war seitdem jedem Juden das Urbild der Greuel; es war nicht gleichgueltig, dass die gleiche Vorstellung mit gleichem Recht sich an einen roemischen Kaiser knuepfte oder vielmehr an das Bild des roemischen Herrschers ueberhaupt. Seit jenem verhaengnisvollen Erlass kam die Sorge nicht zur Ruhe, dass ein anderer Kaiser das Gleiche befehlen koenne, und insofern allerdings mit Recht, als nach der Ordnung des roemischen Staatswesens diese Verfuegung lediglich von dem augenblicklichen Gutfinden des augenblicklich Regierenden abhing. Mit gluehenden Farben zeichnet sich dieser juedische Hass des Kaiserkultus und des Kaisertums selbst in der Apokalypse Johannis, fuer die hauptsaechlich deswegen Rom das feile Weib von Babylon und der gemeine Feind der Menschheit ist ^19. Noch minder gleichgueltig war die naheliegende Parallele der Konsequenzen. Mattathias von Modein war auch nicht mehr gewesen als Judas der Galilaeer, die Erhebung der Patrioten gegen den Syrerkoenig ungefaehr ebenso hoffnungslos wie die Insurrektion gegen das Untier jenseits des Meeres. Historische Parallelen in praktischer Anwendung sind gefaehrliche Elemente der Opposition; nur zu rasch geriet der Bau langjaehriger Regierungsweisheit ins Schwanken. ----------------------------------------------------------- ^18 Die Schriften Philons, welche diese ganze Katastrophe uns mit unvergleichlicher Aktualitaet vorfuehren, schlagen diesen Ton nirgends an; aber auch abgesehen davon, dass dieser reiche und bejahrte Mann mehr ein guter Mensch als ein guter Hasser war, versteht es sich von selbst, dass diese Konsequenzen der Vorgaenge von juedischer Seite nicht oeffentlich dargelegt wurden. Was die Juden dachten und fuehlten, wird man nicht nach dem beurteilen duerfen, was sie namentlich in ihren griechisch geschriebenen Schriften zu sagen zweckmaessig fanden. Wenn das Buch der Weisheit und das dritte Makkabaeerbuch in der Tat gegen die alexandrinische Judenverfolgung gerichtet sind (Hausrath, Neutestamentliche Zeitgeschichte. Bd. 2, S. 259 f.), was uebrigens nichts weniger als gewiss ist, so sind sie womoeglich noch zahmer gehalten als die Schriften Philons. ^19 Dies duerfte die richtige Auffassung der juedischen Vorstellungen sein, in denen ueberhaupt die positiven Tatsachen regelmaessig ins Allgemeine verfliessen. In den Erzaehlungen vom Antimessias und vom Antichrist finden sich keine positiven Momente, die auf Kaiser Gaius passten; den Namen Armillus, den der Targum jenem beilegt, darauf zurueckzufuehren, dass Kaiser Gaius zuweilen Frauenarmbaender (armillae) trug (Suet. Gai. 52), kann ernsthaft nicht vertreten werden. In der Johanneischen Apokalypse, der klassischen Offenbarung juedischen Selbstgefuehls und Roemerhasses, knuepft sich das Bild des Antimessias vielmehr an Nero, der sein Bild nicht ins Allerheiligste hat stellen lassen. Diese Schrift gehoert bekanntlich einer Zeit und einer Richtung an, fuer die das Christentum noch wesentlich eine juedische Sekte war; die Auserwaehlten und vom Engel Gezeichneten sind alle Juden, je 12000 aus jedem der zwoelf Staemme, und haben den Vortritt vor der "grossen Menge der sonstigen Gerechten", das heisst der Judengenossen (Offbg. 7; vgl. 12, 1). Geschrieben ist sie erwiesenermassen nach Neros Sturz, und als dessen Rueckkehr aus dem Orient erwartet wurde. Nun trat freilich ein falscher Nero unmittelbar nach dem Tode des wirklichen auf und wurde im Anfang des folgenden Jahres hingerichtet (Tac. hist. 2, 8. 9); aber an diesen denkt Johannes nicht, da der recht genaue Bericht nicht, wie Johannes, dabei der Parther erwaehnt, und fuer Johannes zwischen dem Sturze Neros und seiner Rueckkehr ein betraechtlicher Zeitraum, auch die letztere noch in der Zukunft liegt. Sein Nero ist derjenige, der unter Vespasian im Euphratgebiet Anhang fand, den Koenig Artabanos unter Titus anerkannte und sich anschickte, mit Heeresmacht in Rom wieder einzusetzen, und den endlich die Parther um das Jahr 88 nach laengeren Verhandlungen an Domitian auslieferten. Auf diese Vorgaenge passt die Apokalypse mit voelliger Genauigkeit. Andererseits kann in einer Schrift dieses Schlages daraus, dass nach 11, 1, 2 nur der Vorhof, nicht aber das Allerheiligste des Tempels von Jerusalem in die Gewalt der Heiden gegeben ist, unmoeglich auf den damaligen Stand der Belagerung geschlossen werden; hier ist im einzelnen alles Phantasmagorie und dies gewiss entweder beliebig gegriffen oder, wenn man das vorzieht, angesponnen etwa an eine den roemischen Soldaten, die nach der Zerstoerung in Jerusalem lagerten, gegebene Order, das ehemalige Allerheiligste nicht zu betreten. Die Grundlage der Apokalypse ist unbestritten die Zerstoerung des irdischen Jerusalem und die dadurch erst gegebene Aussicht auf dessen dereinstige ideale Wiederherstellung; unmoeglich laesst sich an die Stelle der erfolgten Schleifung der Stadt die blosse Erwartung der Einnahme setzen. Wenn also es von den sieben Koepfen des Drachen heisst: basileis epta eisin. oi pente epesan, o eis estin, o allos o?p/o/ /e/lthen, kai otan elth/e/ oligon dei meinai (17, 10), so sind vermutlich die fuenf Augustus, Tiberius, Gaius, Claudius, Nero, der sechste Vespasian, der siebente unbestimmt; "das Tier, welches war und nicht ist, und selber der achte, aber aus den sieben ist", ist natuerlich Nero. Der unbestimmte Siebente ist ungeschickt, wie so vieles in dieser grandiosen, aber widerspruchsvollen und oft sich uebel verwickelnden Phantasmagorie, ist aber hingesetzt, nicht, weil die Siebenzahl gebraucht ward, die ja leicht durch Caesar zu gewinnen war, sondern weil der Schreiber Bedenken trug, das kurze Regiment des letzten Herrschers und dessen Sturz durch den rueckkehrenden Nero unmittelbar von dem regierenden Kaiser auszusagen. Unmoeglich aber kann man, wie es nach anderen Renan tut, mit Einrechnung Caesars in dem sechsten Kaiser, "welcher ist", Nero erkennen, der gleich nachher bezeichnet wird als der, welcher "war und nicht ist", und in dem siebenten, welcher "noch nicht gekommen ist und nicht lange herrschen wird", sogar den nach Renans Ansicht zur Zeit herrschenden hochbejahrten Galba. Dass dieser ueberhaupt so wenig, wie Otho und Vitellius, in eine solche Reihe gehoert, leuchtet ein. Aber wichtiger ist es, der gangbaren Auffassung entgegenzutreten, als richte sich die Polemik gegen die Neronische Christenverfolgung und die Belagerung oder die Zerstoerung Jerusalems, waehrend sie doch durchaus ihre Spitze kehrt gegen das roemische Provinzialregiment ueberhaupt und insbesondere den Kaiserkultus. Wenn von den sieben Kaisern Nero allein (mit seinem Zahlenausdruck) genannt wird, so geschieht dies nicht, weil er der schlimmste der sieben war, sondern weil die Nennung des regierenden Kaisers unter Prophezeihung eines baldigen Endes seiner Regierung in einer publizierten Schrift ihr Bedenkliches hatte und einige Ruecksicht gegen den einen "der ist" sich auch fuer einen Propheten ziemt. Neros Name war preisgegeben, ueberdies die Legende seiner Heilung und seiner Wiederkehr in aller Munde; dadurch ist er fuer die Apokalypse der Repraesentant der roemischen Kaiserherrschaft und der Antichrist geworden. Was das Untier des Meeres und sein Ebenbild und Werkzeug, das Untier des Landes, verschulden, ist nicht die Vergewaltigung der Stadt Jerusalem (11, 2), welche nicht als ihre Missetat erscheint, sondern vielmehr als ein Stueck des Weltgerichts (wobei auch die Ruecksicht auf den regierenden Kaiser im Spiel gewesen sein kann), sondern die goettliche Verehrung, welche die Heiden dem Untier des Meeres zollen (13, 8: proskyn/e/soysin ayton pantes oi katoiko?ntes epi t/e/s g/e/s) und welche das Untier des Landes - das darum auch der Pseudoprophet heisst - fuer das des Meeres fordert und erzwingt (13, 12: :poiei t/e/n g/e/n kai to?s kateyko?ntas en ayt/e/ ina proskyn/e/soysin to th/e/rion to pr/o/ton, o? etherape?th/e/ /e/ pl/e/g/e/ t/e/s machair/e/s epi t/e/s g/e/s); vor allem wird ihm vorgerueckt das Begehren, jenem ein Bild zu machen (13, 14: leg/o/n tois katoiko?sin epi t/e/s g/e/s poi/e/sai ekonan t/o/ th/e/ri/o/ os echei t/e/n pl/e/g/e/n t/e/s machair/e/s kai ez/e/sen, vgl. 14, 9; 16, 2; 19, 20). Das ist deutlich teils das Kaiserregiment jenseits des Meeres, teils die Statthalterschaft auf dem asiatischen Kontinent, nicht dieser oder jener Provinz oder gar dieser oder jener Person, sondern die Kaiservertretung ueberhaupt, wie die Provinzialen Asiens und Syriens sie kannten. Wenn Handel und Wandel geknuepft erscheint an den Gebrauch des charagma des Untiers des Meeres (13, 16, 17), so liegt der Abscheu gegen Bild und Schrift des Kaisergeldes deutlich zugrunde, allerdings phantastisch umgestaltet, wie ja auch der Satanas das Kaiserbildnis reden macht. Eben diese Statthalter erschienen nachher (17) als die zehn Hoerner, welche dem Untier an seinem Abbild beigelegt werden, und heissen hier ganz richtig die "zehn Koenige, welche die Koenigswuerde nicht haben, aber Macht wie die Koenige"; mit der Zahl, die aus der Vision Daniels uebernommen ist, darf man es freilich nicht genau nehmen. Bei den Blutgerichten, die ueber die Gerechten ergangen sind, denkt Johannes an die regulaere Justiz wegen verweigerter Anbetung des Kaiserbildes, wie die Briefe des Plinius sie schildern (13, 15: poi/e/s/e/ ina osoi ean m/e/ proskyn/e/s/o/sin t/e/n eikona to? th/e/rioy apoktanth/o/sin; vgl. 6, 9; 20, 4). Wenn hervorgehoben wird, dass diese Blutgerichte besonders haeufig in Rom vollzogen wurden (17, 6; 18, 24), so ist damit die Vollstreckung der Verurteilung zum Fechtoder zum Tierkampf gemeint, welche am Gerichtsort oft nicht stattfinden konnte und bekanntlich vorzugsweise eben in Rom erfolgte (Mod. dig. 48, 19, 31); die Neronischen Hinrichtungen wegen angeblicher Brandstiftung gehoeren formell nicht einmal zu den Religionsprozessen, und nur Voreingenommenheit kann das in Rom vergossene Maertyrerblut, von dem Johannes spricht, auf diese Vorgaenge ausschliesslich oder vorzugsweise beziehen. Die gangbaren Vorstellungen von den sogenannten Christenverfolgungen leiden unter der mangelhaften Anschauung der im Roemischen Reich bestehenden Rechtsnorm und Rechtspraxis; in der Tat war die Verfolgung der Christen stehend wie die der Raeuber, und kamen nur diese Bestimmungen bald milder oder auch nachlaessiger, bald schaerfer zur Anwendung, wurden auch wohl einmal von oben herab besonders eingeschaerft. Den "Krieg gegen die Heiligen" haben erst die Spaeteren, denen Johannes’ Worte nicht genuegten, hineininterpoliert (13, 7). Die Apokalypse ist ein merkwuerdiges Zeugnis des nationalen und religioesen Hasses der Juden gegen das okzidentalische Regiment; aber man verschiebt und verflacht die Tatsachen, wenn man, wie dies namentlich Renan tut, den Neronischen Schauerroman mit diesen Farben illustriert. Der juedische Volkshass wartete, um zu entstehen, nicht auf die Eroberung von Jerusalem und machte, wie billig, keinen Unterschied zwischen dem guten und dem schlechten Caesar; sein Antimessias heisst wohl Nero, aber nicht minder Vespasianus oder Marcus. ----------------------------------------------------------- Die Regierung des Claudius lenkte nach beiden Seiten hin in die Bahnen des Tiberius ein. In Italien wiederholte sich zwar nicht gerade die Ausweisung der Juden, da man von der Undurchfuehrbarkeit dieser Massregel sich ueberzeugen musste, aber doch das Verbot der gemeinschaftlichen Ausuebung ihres Kultus ^20, was freilich ungefaehr auf dasselbe hinaus und wohl ebensowenig zur Durchfuehrung kam. Neben diesem Intoleranzedikt wurden im entgegengesetzten Sinn durch eine das ganze Reich umfassende Verfuegung die Juden von denjenigen oeffentlichen Verpflichtungen befreit, welche mit ihren religioesen Ueberzeugungen sich nicht vertrugen, womit namentlich hinsichtlich des Kriegsdienstes wohl nur nachgegeben ward, was auch bisher schon nicht hatte erzwungen werden koennen. Die in diesem Erlass am Schluss ausgesprochene Mahnung an die Juden, nun auch ihrerseits groessere Maessigung zu beobachten und sich der Beschimpfung Andersglaeubiger zu enthalten, zeigt, dass es auch von juedischer Seite an Ausschreitungen nicht gefehlt hatte. In Aegypten wie in Palaestina wurden die religioesen Ordnungen wenigstens im ganzen so, wie sie vor Gaius bestanden hatten, wiederum hergestellt, wenn auch in Alexandreia die Juden schwerlich alles, was sie besessen hatten, zurueck erhielten ^21; die aufstaendischen Bewegungen, die dort wie hier ausgebrochen oder doch im Ausbrechen waren, verschwanden damit von selbst. In Palaestina ging Claudius sogar ueber das System des Tiberius hinaus und ueberwies wieder das ganze ehemalige Gebiet des Herodes einem einheimischen Fuersten, eben jenem Agrippa, der zufaellig auch mit Claudius befreundet und bei den Krisen seines Antritts ihm nuetzlich geworden war. Es war sicher Claudius’ Absicht, das zur Zeit des Herodes befolgte System wieder aufzunehmen und die Gefahren der unmittelbaren Beruehrung zwischen Roemern und Juden zu beseitigen. Aber Agrippa, leichtlebig und auch als Fuerst in steter Finanzbedraengnis, uebrigens gutmuetig und mehr darauf bedacht, es seinen Untertanen als dem fernen Schutzherrn recht zu machen, gab mehrfach bei der Regierung Anstoss, zum Beispiel durch die Verstaerkung der Mauern von Jerusalem, deren Weiterfuehrung ihm untersagt ward; und die mit den Roemern haltenden Staedte Caesarea und Sebaste sowie die roemisch organisierten Truppen waren ihm abgeneigt. Als er frueh und ploetzlich im Jahre 44 starb, erschien es bedenklich, die politisch wie militaerisch wichtige Stellung seinem einzigen, siebzehnjaehrigen Sohn zu uebertragen, und die eintraeglichen Prokurationen aus der Hand zu geben, entschlossen die Maechtigen des Kabinetts sich auch nicht gern. Die Claudische Regierung hatte hier, wie anderswo, das Richtige gefunden, aber nicht die Energie, dasselbe von Nebenruecksichten absehend durchzufuehren. Ein juedischer Fuerst mit juedischen Soldaten konnte das Regiment in Judaea fuer die Roemer handhaben; der roemische Beamte und die roemischen Soldaten verletzten wahrscheinlich noch oefter durch Unkunde der juedischen Anschauungen als durch absichtliches Zuwiderhandeln, und was sie immer beginnen mochten, von ihnen war es den Glaeubigen ein Aergernis und der gleichgueltigste Vorgang ein Religionsfrevel. Die Forderung, sich gegenseitig zu verstehen und zu vertragen, war nach beiden Seiten hin ebenso gerechtfertigt an sich wie die Ausfuehrung unmoeglich. Vor allen Dingen aber war ein Konflikt zwischen dem juedischen Landesherrn und seinen Untertanen fuer das Reich ziemlich indifferent; jeder Konflikt zwischen den Roemern und den Juden in Jerusalem erweiterte den Abgrund, der sich zwischen den Voelkern des Okzidents und den mit ihnen zusammenlebenden Hebraeern auftat; und nicht in den Haendeln Palaestinas, sondern in der Unvertraeglichkeit der vom Schicksal nun doch einmal zusammengekoppelten Reichsgenossen verschiedener Nationalitaet lag die Gefahr. ---------------------------------------------------- ^20 Dass Suetonius (Claud. 25) als Anstifter der bestaendigen Unruhen in Rom, die diese Massregel (nach ihm die Ausweisung aus Rom; im Gegensatz zu Dio 60, 6) zunaechst hervorgerufen haetten, einen gewissen Chrestus nennt, ist aufgefasst worden als Missverstaendnis der durch Christus unter Juden und Judengenossen hervorgerufenen Bewegung, ohne zureichenden Grund. Die Apostelgeschichte (18, 2) spricht nur von Ausweisung der Juden. Allerdings ist es nicht zu bezweifeln dass bei der damaligen Stellung der Christen zum Judentum auch sie unter das Edikt fielen. ^21 Wenigstens scheinen die Juden daselbst spaeter nur das vierte der fuenf Stadtquartiere in Besitz gehabt zu haben (Ios. bel. Iud. 2, 18, 8). Auch wuerden wohl, wenn die geschleiften 400 Haeuser ihnen in so eklatanter Weise wieder zurueckgegeben worden waeren, die alle den Juden erwiesenen kaiserlichen Beguenstigungen betonenden juedischen Schriftsteller Philon und Josephus darueber nicht schweigen. ---------------------------------------------------- So trieb das Schiff unaufhaltsam in den Strudel hinein. Bei dieser unseligen Fahrt halfen alle Beteiligten, die roemische Regierung und ihre Verwalter, die juedischen Behoerden und das juedische Volk. Die erstere bewies freilich fortwaehrend den Willen, allen billigen und unbilligen Anspruechen der Juden so weit wie moeglich entgegenzukommen. Als im Jahre 44 der Prokurator wieder in Jerusalem eintraf, wurde die Ernennung des Hohenpriesters und die Verwaltung des Tempelschatzes, die mit dem Koenigtum und insofern auch mit der Prokuratur verbunden waren, ihm abgenommen und einem Bruder des verstorbenen Koenigs Agrippa, dem Koenig Herodes von Chalkis, sowie nach dessen Tode im Jahre 48 seinem Nachfolger, dem schon genannten juengeren Agrippa, uebertragen. Einen roemischen Soldaten, der bei der befohlenen Pluenderung eines juedischen Dorfes eine Thorarolle zerrissen hatte, liess der roemische Oberbeamte auf die Klage der Juden hin hinrichten. Selbst die hoeheren Beamten traf nach Umstaenden die ganze Schwere der roemischen Kaiserjustiz; als zwei nebeneinander fungierende Prokuratoren bei dem Hader der Samariter und der Galilaeer sich fuer und wider beteiligt und ihre Soldaten gegeneinander gefochten hatten, wurde der kaiserliche Statthalter von Syrien, Ummidius Quadratus, mit ausserordentlicher Vollmacht nach Palaestina geschickt, um zu strafen und zu richten, und in der Tat der eine der Schuldigen in die Verbannung gesandt, ein roemischer Kriegstribun namens Celer in Jerusalem selbst oeffentlich enthauptet. Aber neben diesen Exempeln der Strenge stehen andere der mitschuldigen Schwaeche; in eben diesem Prozess entging der zweite mindestens ebenso schuldige Prokurator Antonius Felix der Bestrafung, weil er der Bruder des maechtigen Bedienten Pallas war und der Gemahl der Schwester des Koenigs Agrippa. Mehr noch als die Amtsmissbraeuche einzelner Verwalter muss es der Regierung zur Last gelegt werden, dass sie die Beamtenmacht und die Truppenzahl in einer so beschaffenen Provinz nicht verstaerkte und fortfuhr, die Besatzung fast ausschliesslich aus der Provinz zu rekrutieren. Unbedeutend wie die Provinz war, war es eine arge Kopflosigkeit und eine uebel angebrachte Sparsamkeit, sie nach der hergebrachten Schablone zu behandeln; rechtzeitige Entfaltung einer erdrueckenden Uebermacht und unnachsichtige Strenge, ein Statthalter hoeheren Ranges und ein Legionslager haetten der Provinz wie dem Reiche grosse Opfer an Geld und Blut und Ehre erspart. Aber mindestens nicht geringer ist die Schuld der Juden. Das Hohenpriesterregiment, so weit es reichte - und die Regierung war nur zu geneigt, in allen inneren Angelegenheiten ihm freie Hand zu lassen -, ist, auch nach den juedischen Berichten, zu keiner Zeit so gewalttaetig und nichtswuerdig gefuehrt worden wie in der von Agrippas Tod bis zum Ausbruch des Krieges. Der bekannteste und einflussreichste dieser Priesterherrscher ist Ananias, des Nebedaeus Sohn, die "uebertuenchte Wand", wie Paulus ihn nannte, als dieser geistliche Richter seine Schergen ihn auf den Mund schlagen hiess, weil er sich vor dem Gericht zu verteidigen wagte. Es wird ihm zur Last gelegt, dass er den Statthalter bestach und dass er durch entsprechende Interpretation der Schrift den niedrigen Geistlichen die Zehntgarben entfremdete ^22. Als einer der Hauptanstifter des Krieges zwischen den Samaritern und den Galilaeern hat er vor dem roemischen Richter gestanden. Nicht weil die ruecksichtslosen Fanatiker in den herrschenden Kreisen ueberwogen, sondern weil diesen Anzettlern der Volksauflaeufe und Anordnern der Ketzergerichte die moralische und religioese Autoritaet abging, wodurch die Gemaessigten in besseren Zeiten die Menge gelenkt hatten, und weil sie die Nachgiebigkeit der roemischen Behoerden in den inneren Angelegenheiten missverstanden und missbrauchten, vermochten sie es nicht, zwischen der Fremdherrschaft und der Nation in friedlichem Sinn zu vermitteln. Eben unter ihrem Schalten wurden die roemischen Behoerden mit den wildesten und unvernuenftigsten Forderungen bestuermt und kam es zu Volksbewegungen von grausiger Laecherlichkeit. Der Art ist jene Sturmpetition, welche das Blut eines roemischen Soldaten wegen einer zerrissenen Gesetzrolle verlangte und erhielt. Ein anderes Mal entstand ein Volksauflauf, der vielen Menschen das Leben kostete, weil ein roemischer Soldat dem Tempel einen Koerperteil in unschicklicher Entbloessung gezeigt hatte. Auch der beste der Koenige haette dergleichen Wahnwitz nicht unbedingt abwenden koennen; aber selbst der geringste Fuerst wuerde der fanatischen Menge nicht so voellig steuerlos gegenuebergestanden haben, wie diese Priester. ---------------------------------------------------- ^22 Es handelte sich, wie es scheint, darum, ob die Gabe der zehnten Garbe an Aaron den Priester (Num. 18, 28), dem Priester ueberhaupt oder dem Hohenpriester zukomme (H. Ewald; Geschichte des Volkes Israel. 3. Aufl. Goettingen 1864-68. Bd. 6, S. 635). ---------------------------------------------------- Das eigentliche Ergebnis war das stetige Anschwellen der neuen Makkabaeer. Man hat sich gewoehnt, den Ausbruch des Krieges in das Jahr 66 zu setzen; mit gleichem und vielleicht besserem Recht koennte man dafuer das Jahr 44 nennen. Seit dem Tode Agrippas haben die Waffen in Judaea nicht geruht, und neben den oertlichen Fehden, die Juden und Juden miteinander ausfechten, geht bestaendig der Krieg her der roemischen Truppen gegen die ausgetretenen Leute in den Gebirgen, die Eifrigen, wie die Juden sie nannten, nach roemischer Bezeichnung die Raeuber. Die Benennungen trafen beide zu; auch hier spielten neben den Fanatikern die verkommenen oder verkommenden Elemente der Gesellschaft ihre Rolle - war es doch nach dem Sieg einer der ersten Schritte der Zeloten, die im Tempel bewahrten Schuldbriefe zu verbrennen. Jeder der tuechtigeren Prokuratoren, von dem ersten Cuspius Fadus an, saeubert von ihnen das Land, und immer ist die Hydra gewaltiger wieder da. Fadus’ Nachfolger Tiberius Julius Alexander, selbst einer juedischen Familie entsprossen, ein Neffe des oben genannten alexandrinischen Gelehrten Philon, liess zwei Soehne Judas’ des Galilaeers, Jakob und Simon, an das Kreuz schlagen; das war der Same des neuen Mattathias. Auf den Gassen der Staedte predigten die Patrioten laut den Krieg, und nicht wenige folgten in die Wueste; den Friedfertigen aber und Verstaendigen, die sich weigerten mitzutun, zuendeten diese Banden die Haeuser an. Griffen die Soldaten dergleichen Banditen auf, so fuehrten sie wieder angesehene Leute als Geiseln in die Berge; und sehr oft verstand die Behoerde sich dazu, jene zu entlassen, um diese zu befreien. Gleichzeitig begannen in der Hauptstadt die "Messermaenner" ihr unheimliches Handwerk; sie mordeten wohl auch um Geld - als ihr erstes Opfer wird der Priester Jonathan genannt, als ihr Auftraggeber dabei der roemische Prokurator Felix -, aber womoeglich zugleich als Patrioten roemische Soldaten oder roemisch gesinnte Landsleute. Wie haetten bei diesen Stimmungen die Wunder und Zeichen ausbleiben sollen und diejenigen, die betrogen oder betruegend die Massen damit fanatisierten? Unter Cuspius Fadus fuehrte der Wundermann Theudas seine Getreuen dem Jordan zu, versichernd, dass die Wasser vor ihnen sich spalten wuerden und die nachsetzenden roemischen Reiter verschlingen, wie zu den Zeiten des Koenigs Pharao. Unter Felix verhiess ein anderer Wundertaeter, nach seiner Heimat der Aegypter genannt, dass die Mauern Jerusalems einstuerzen wuerden, wie auf Josuas Posaunenstoss die von Jericho; und daraufhin folgten ihm 4000 Messermaenner bis auf den Oelberg. Eben in der Unvernunft lag die Gefahr. Die grosse Masse der juedischen Bevoelkerung waren kleine Bauern, die im Schweisse ihres Angesichts ihre Felder pfluegten und ihr Oel pressten, mehr Dorfleute als Staedter, von geringer Bildung und gewaltigem Glauben, eng verwachsen mit den Freischaren in den Gebirgen und voll Ehrfurcht vor Jehova und seinen Priestern in Jerusalem wie voll Abscheu gegen die unreinen Fremden. Der Krieg war da, nicht ein Krieg zwischen Macht und Macht um die Uebergewalt, nicht einmal eigentlich ein Krieg der Unterdrueckten gegen die Unterdruecker um Wiedergewinnung der Freiheit; nicht verwegene Staatsmaenner ^23, fanatische Bauern haben ihn begonnen und gefuehrt und mit ihrem Blute bezahlt. Es ist eine weitere Etappe in der Geschichte des nationalen Hasses; auf beiden Seiten schien das fernere Zusammenleben unmoeglich und begegnete man sich in dem Gedanken der gegenseitigen Ausrottung. ---------------------------------------------------- ^23 Es ist nichts als eitel Schwindel, wenn der Staatsmann Josephus in der Vorrede zu seiner Geschichte des Krieges so tut, als haetten die Juden Palaestinas einerseits auf die Erhebung der Euphratlaender, andererseits auf die Unruhen in Gallien und die drohende Haltung der Germanen und auf die Krisen des Vierkaiserjahres gerechnet. Der Juedische Krieg war laengst in vollem Gange, als Vindex gegen Nero auftrat und die Druiden wirklich taten, was hier den Rabbis beigelegt wird; und wieviel auch die juedische Diaspora in den Euphratlaendern bedeutete, eine juedische Expedition von dort gegen die Roemer des Ostens war ungefaehr ebenso undenkbar wie aus Aegypten und Kleinasien. Es sind wohl einige Freischaerler von da gekommen, wie zum Beispiel einige Fuerstensoehne des eifrig juedischen Koenigshauses von Adiabene (Ios. bel. Iud. 2, 19, 2; 6, 6, 4) und von den Insurgenten Bittgesandtschaften dorthin gegangen (das. 6, 6, 2); aber selbst Geld ist von daher den Juden schwerlich in bedeutendem Umfang zugeflossen. Dies charakterisiert den Verfasser mehr als den Krieg. Wenn es begreiflich ist, dass der juedische Insurgentenfuehrer und spaetere Hofmann der Flavier sich gern den in Rom internierten Parthern gleichstellte so ist es weniger zu entschuldigen, dass die neuere Geschichtschreibung aehnliche Wege wandelt und, indem sie diese Vorgaenge als Bestandteile der roemischen Hofund Stadtgeschichte oder auch der roemisch-parthischen Haendel aufzufassen bemueht ist, durch dieses stumpfe Hineinziehen der sogenannten grossen Politik die furchtbare Notwendigkeit dieser tragischen Entwicklung verdunkelt. ---------------------------------------------------- Die Bewegung, durch welche die Auflaeufe zum Krieg wurden, ging von Caesarea aus. In dieser urspruenglich griechischen, dann von Herodes nach dem Muster der Alexanderkolonien umgeschaffenen und zur ersten Hafenstadt Palaestinas entwickelten Stadtgemeinde wohnten Griechen und Juden, ohne Unterschied der Nation und der Konfession buergerlich gleichberechtigt, die letzteren an Zahl und Besitz ueberlegen. Aber die Hellenen daselbst, nach dem Muster der Alexandriner und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck der Vorgaenge des Jahres 38, bestritten im Wege der Beschwerde bei der obersten Stelle den juedischen Gemeindegenossen das Buergerrecht. Der Minister Neros ^24, Burrus (+ 62), gab ihnen Recht. Es war arg, in einer auf juedischem Boden und von einer juedischen Regierung geschaffenen Stadt das Buergerrecht zum Privilegium der Hellenen zu machen; aber es darf nicht vergessen werden, wie sich die Juden gegen die Roemer eben damals verhielten, und wie nahe sie es den Roemern legten, die roemische Hauptstadt und das roemische Hauptquartier der Provinz in eine rein hellenische Stadtgemeinde umzuwandeln. Die Entscheidung fuehrte, wie begreiflich, zu heftigen Strassentumulten, wobei hellenischer Hohn und juedischer Uebermut namentlich in dem Kampf um den Zugang zur Synagoge sich ungefaehr die Waage gehalten zu haben scheinen; die roemischen Behoerden griffen ein, selbstverstaendlich zu Ungunsten der Juden. Diese verliessen die Stadt, wurden aber von dem Statthalter genoetigt zurueckzukehren und dann in einem Strassenauflauf saemtlich erschlagen (6. August 66). Dies hatte die Regierung allerdings nicht befohlen und sicher auch nicht gewollt; es waren Maechte entfesselt, denen sie selbst nicht mehr zu gebieten vermochte. ------------------------------------------------------------ ^24 Josephus (ant. Iud. 20, 8, 9) macht ihn freilich zum Sekretaer Neros fuer die griechische Korrespondenz, obwohl er ihn, wo er roemischen Quellen folgt (20, 8, 2), richtig als Praefekten bezeichnet; aber sicher ist derselbe gemeint. Paidag/o/gos heisst er bei ihm wie bei Tac. ann. 13, 2 rector imperatoriae iuventae. ------------------------------------------------------------ Wenn hier die Judenfeinde die Angreifenden waren, so waren dies in Jerusalem die Juden. Allerdings versichern deren Vertreter in der Erzaehlung dieser Vorgaenge, dass der derzeitige Prokurator von Palaestina, Gessius Florus, um der Anklage wegen seiner Missverwaltung zu entgehen, durch das Uebermass der Peinigung eine Insurrektion habe hervorrufen wollen; und es ist kein Zweifel, dass die damaligen Statthalter in Nichtswuerdigkeit und Bedrueckung das uebliche Mass betraechtlich ueberschritten. Aber wenn Florus einen solchen Plan in der Tat verfolgt hat, so misslang er. Denn nach eben diesen Berichten beschwichtigten die Besonnenen und Besitzenden unter den Juden und mit ihnen der mit dem Tempelregiment betraute und eben damals in Jerusalem anwesende Koenig Agrippa II. - er hatte inzwischen die Herrschaft von Chalkis mit derjenigen von Batanaea vertauscht -, die Massen insoweit, dass die Zusammenrottungen und das Einschreiten dagegen sich innerhalb des seit Jahren landesueblichen Masses hielten. Aber gefaehrlicher als der Strassenunfug und die Raeuberpatrioten der Gebirge waren die Fortschritte der juedischen Theologie. Das fruehere Judentum hatte in liberaler Weise den Fremden die Pforten seines Glaubens geoeffnet; es wurden zwar in den inneren Tempel nur die eigentlichen Religionsgenossen, aber als Proselyten des Tores in die aeusseren Hallen jeder ohne weiteres zugelassen und auch dem Nichtjuden gestattet, hier zum Herrn Jehova seinerseits zu beten und Opfer darzubringen. So wurde, wie schon erwaehnt ward, auf Grund einer Stiftung des Augustus taeglich daselbst fuer den roemischen Kaiser geopfert. Diese Opfer von Nichtjuden untersagte der derzeitige Tempelmeister, des oben genannten Erzpriesters Ananias Sohn Eleazar, ein junger, vornehmer, leidenschaftlicher Mann, persoenlich unbescholten und brav und insofern der volle Gegensatz seines Vaters, aber durch seine Tugenden gefaehrlicher als dieser durch seine Laster. Vergeblich wies man ihm nach, dass dies ebenso beleidigend fuer die Roemer wie gefaehrlich fuer das Land und dem Herkommen schlechterdings zuwider sei; es blieb bei der verbesserten Froemmigkeit und der Ausschliessung des Landesherrn vom Gottesdienst. Seit langem hatte das glaeubige Judentum sich gespalten in diejenigen, die ihr Vertrauen auf den Herrn Zebaoth allein setzten und die Roemerherrschaft ertrugen, bis es ihm gefallen werde, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, und in die praktischeren Maenner, welche dieses Himmelreich mit eigener Hand zu begruenden entschlossen waren und des Beistandes des Herrn der Heerscharen bei dem frommen Werke sich versichert hielten, oder, mit den Schlagwoertern, in die Pharisaeer und die Zeloten. Die Zahl und das Ansehen der letzteren war in bestaendigem Steigen. Es wurde ein alter Spruch entdeckt, dass um diese Zeit ein Mann von Judaea ausgehen werde und die Weltherrschaft gewinnen; man glaubte das um so eher, weil es so sehr absurd war und das Orakel trug nicht wenig dazu bei, die Massen weiter zu fanatisieren. Die gemaessigte Partei erkannte die Gefahr und entschloss sich, die Fanatiker mit Gewalt niederzuschlagen; sie bat um Truppen bei den Roemern in Caesarea und bei Koenig Agrippa. Von dort kam keine Unterstuetzung; Agrippa sandte eine Anzahl Reiter. Dagegen stroemten die Patrioten und die Messermaenner in die Stadt, unter ihnen der wildeste, Manahem, auch einer der Soehne des oft genannten Judas von Galilaea. Sie waren die Staerkeren und bald Herren in der Stadt. Auch die Handvoll roemischer Soldaten, welche die an den Tempel anstossende Burg besetzt hielten, wurde rasch ueberwaeltigt und niedergemacht. Der benachbarte Koenigspalast, mit den dazugehoerigen gewaltigen Tuermen, wo der Anhang der Gemaessigten, eine Anzahl Roemer unter dem Tribunen Metilius und die Soldaten des Agrippa lagen, hielt ebensowenig stand. Den letzteren wurde auf ihr Verlangen zu kapitulieren der freie Abzug bewilligt, den Roemern aber verweigert; als sie sich endlich gegen Zusicherung des Lebens ergaben, wurden sie erst entwaffnet und dann niedergemacht mit einziger Ausnahme des Offiziers, der sich beschneiden zu lassen versprach und so als Jude begnadigt ward. Auch die Fuehrer der Gemaessigten, unter ihnen der Vater und der Bruder Eleazars, wurden die Opfer der Volkswut, die den Roemergenossen noch grimmiger grollte als den Roemern. Eleazar selbst erschrak vor seinem Siege; zwischen den beiden Fuehrern der Fanatiker, ihm und Manahem, kam es nach dem Sieg, vielleicht wegen der gebrochenen Kapitulation, zum blutigen Handgemenge; Manahem wurde gefangen und hingerichtet. Aber die heilige Stadt war frei und das in Jerusalem lagernde roemische Detachement vernichtet; die neuen Makkabaeer hatten gesiegt wie die alten. So hatten, angeblich am selben Tag, dem 6. August 66, die Nichtjuden in Caesarea die Juden, die Juden in Jerusalem die Nichtjuden niedergemetzelt; und damit war nach beiden Seiten hin das Signal gegeben, in diesem patriotischen und gottgefaelligen Werke fortzufahren. In den benachbarten griechischen Staedten entledigten sich die Hellenen der Judenschaften nach dem Muster von Caesarea. Beispielsweise wurden in Damaskos saemtliche Juden zunaechst ins Gymnasium gesperrt und auf die Kunde von einem Misserfolg der roemischen Waffen vorsichtigerweise saemtlich umgebracht. Gleiches oder aehnliches geschah in Askalon, in Skytopolis, Hippos, Gadara, ueberall, wo die Hellenen die Staerkeren waren. In dem ueberwiegend von Syrern bewohnten Gebiet des Koenigs Agrippa rettete dessen energisches Dazwischentreten den Juden von Caesarea Paneas und sonst das Leben. In Syrien folgten Ptolemais, Tyros und mehr oder minder die uebrigen griechischen Gemeinden; nur die beiden groessten und zivilisiertesten Staedte Antiocheia und Apameia sowie Sidon schlossen sich aus. Dem ist es wohl zu verdanken, dass diese Bewegung sich nicht nach Vorderasien fortpflanzte. In Aegypten kam es nicht bloss zu einem Volksauflauf, der zahlreiche Opfer forderte, sondern die alexandrinischen Legionen selbst mussten auf die Juden einhauen. Im notwendigen Rueckschlag dieser Judenvesper ergriff die in Jerusalem siegreiche Insurrektion sofort ganz Judaea und organisierte sich ueberall unter aehnlicher Misshandlung der Minoritaeten, uebrigens aber mit Raschheit und Energie. Es war notwendig, schleunigst einzuschreiten und die weitere Ausbreitung des Brandes zu verhindern; auf die erste Kunde marschierte der roemische Statthalter von Syrien, Gaius Cestius Gallus, mit seinen Truppen gegen die Insurgenten. Er fuehrte etwa 20000 Mann roemischer Soldaten und 13000 der Klientelstaaten heran, ungerechnet die zahlreichen syrischen Milizen, nahm Joppe ein, dessen ganze Buergerschaft niedergemacht ward, und stand schon im September vor, ja in Jerusalem selbst. Aber die gewaltigen Mauern des Koenigspalastes und des Tempels vermochte er nicht zu brechen und nutzte ebensowenig die mehrfach gebotene Gelegenheit, durch die gemaessigte Partei in den Besitz der Stadt zu gelangen. Ob nun die Aufgabe unloesbar oder er ihr nicht gewachsen war, er gab bald die Belagerung auf und erkaufte sogar den beschleunigten Rueckzug mit der Aufopferung seines Gepaecks und seiner Nachhut. Zunaechst blieb also oder kam Judaea mit Einschluss von Idumaea und Galilaea in die Hand der erbitterten Juden; auch die samaritanische Landschaft ward zum Anschluss genoetigt. Die ueberwiegend hellenischen Kuestenstaedte Anthedon und Gaza wurden zerstoert, Caesarea und die anderen Griechenstaedte mit Muehe behauptet. Wenn der Aufstand nicht ueber die Grenzen Palaestinas hinausging, so war daran nicht bloss die Regierung Schuld, sondern die nationale Abneigung der Syrohellenen gegen die Juden. Die Regierung in Rom nahm die Dinge ernst, wie sie es waren. Anstatt des Prokurators wurde ein kaiserlicher Legat nach Palaestina gesandt, Titus Flavius Vespasianus, ein besonnener Mann und ein erprobter Soldat. Er erhielt fuer die Kriegfuehrung zwei Legionen des Westens, welche infolge des Parthischen Krieges sich zufaellig noch in Asien befanden, und diejenige syrische, die bei der ungluecklichen Expedition des Cestius am wenigsten gelitten hatte, waehrend die syrische Armee unter dem neuen Statthalter Gaius Licinius Mucianus - Gallus war rechtzeitig gestorben - durch Zuteilung einer anderen Legion auf dem Stande blieb, den sie vorher hatte ^25. Zu diesen Buergertruppen und deren Auxilien kam die bisherige Besatzung von Palaestina, endlich die Mannschaften der vier Klientelkoenige der Kommagener, der Hemesener, der Juden und der Nabataeer, zusammen etwa 50000 Mann, darunter 15000 Koenigssoldaten ^26. Im Fruehling des Jahres 67 wurde dieses Heer bei Ptolemais zusammengezogen und rueckte in Palaestina ein. Nachdem die Insurgenten von der schwachen roemischen Besatzung der Stadt Askalon nachdruecklich abgewiesen waren, hatten sie nicht weiter die Staedte angegriffen, die es mit den Roemern hielten; die Hoffnungslosigkeit, welche die ganze Bewegung durchdringt, drueckt sich aus in dem sofortigen Verzicht auf jede Offensive. Als dann die Roemer zum Angriff uebergingen, traten sie ihnen gleichfalls nirgends im offenen Felde entgegen, ja sie machten nicht einmal Versuche, den einzelnen angegriffenen Plaetzen Entsatz zu bringen. Allerdings teilte auch der vorsichtige Feldherr der Roemer seine Truppen nicht, sondern hielt wenigstens die drei Legionen durchaus zusammen. Dennoch war, da in den meisten einzelnen Ortschaften die oft wohl nur kleine Zahl der Fanatiker die Buergerschaften terrorisierte, der Widerstand hartnaeckig und die roemische Kriegfuehrung weder glaenzend noch rasch. Vespasian verwendete den ganzen ersten Feldzug (67) darauf, die Festungen der kleinen Landschaft Galilaea und die Kueste bis nach Askalon in seine Gewalt zu bringen; allein vor dem Staedtchen Jotapata lagerten die drei Legionen fuenfundvierzig Tage. Den Winter 67/68 lag eine Legion in Skytopolis an der Suedgrenze von Galilaea, die beiden anderen in Caesarea. Inzwischen waren in Jerusalem die verschiedenen Faktionen aneinandergeraten und lagen im heftigsten Kampf; die guten Patrioten, die zugleich fuer buergerliche Ordnung waren, und die noch besseren, welche das Schreckensregiment teils in fanatischer Spannung, teils in Gesindellust herbeifuehren und ausnutzen wollten, schlugen sich in den Gassen der Stadt und waren nur darin einig, dass jeder Versuch der Versoehnung mit den Roemern ein todeswuerdiges Verbrechen sei. Der roemische Feldherr, vielfach aufgefordert, diese Zerruettung zu benutzen, blieb dabei, nur schrittweise vorzugehen. Im zweiten Kriegsjahr liess er zunaechst das transjordanische Gebiet, namentlich die wichtigen Staedte Gadara und Gerasa besetzen und setzte sich dann bei Emmaus und Jericho, von wo aus er im Sueden Idumaea, im Norden Samaria okkupieren liess, so dass Jerusalem im Sommer des Jahres 68 von allen Seiten umstellt war. Die Belagerung sollte eben beginnen, als die Nachricht von dem Tode Neros eintraf. Damit war von Rechts wegen das dem Legaten erteilte Mandat erloschen und Vespasian stellte in der Tat, politisch nicht minder vorsichtig wie militaerisch, bis auf neue Verhaltungsbefehle die Operationen ein. Bevor diese von Galba eintrafen, war die gute Jahreszeit zu Ende. Als das Fruehjahr 69 herankam, war Galba gestuerzt und schwebte die Entscheidung zwischen dem Kaiser der roemischen Leibgarde und dem der Rheinarmee. Erst nach Vitellius’ Sieg, im Juni 69, nahm Vespasian die Operationen wieder auf und besetzte Hebron; aber sehr bald kuendigten die saemtlichen Heere des Ostens jenem die Treue auf und riefen den bisherigen Legaten von Judaea zum Kaiser aus. Den Juden gegenueber wurden zwar die Stellungen bei Emmaus und Jericho behauptet, allein wie die germanischen Legionen den Rhein entbloesst hatten, um ihren Feldherrn zum Kaiser zu machen, so ging auch der Kern der Armee von Palaestina teils mit dem Legaten von Syrien, Mucianus, nach Italien ab, teils mit dem neuen Kaiser und dessen Sohn Titus nach Syrien und weiter nach Aegypten, und erst, nachdem Ende 69 der Sukzessionskrieg beendigt und Vespasians Herrschaft im ganzen Reiche anerkannt war, beauftragte dieser seinen Sohn mit der Beendigung des Juedischen Krieges. ---------------------------------------------------- ^25 Wie die Besatzungsverhaeltnisse in Syrien geordnet worden sind, nachdem im Jahre 63 der Parthische Krieg beendigt war, ist nicht voellig klar. Am Ende desselben standen sieben Legionen im Orient, die vier urspruenglich syrischen 3. Gallica, 6. Ferrata, 10. Fretensis, 12. Fulminata und drei aus dem Okzident herangefuehrte, die 4. Scythica aus Moesien, die 5. Macedonica wahrscheinlich ebendaher (wofuer wohl eine obergermanische Legion nach Moesien ging, die 15. Apollinaris aus Pannonien. Da ausser Syrien damals keine asiatische Provinz mit Legionen belegt war und der Statthalter von Syrien gewiss in Friedenszeiten nie mehr als vier Legionen gehabt hat, so ist das syrische Heer ohne Zweifel damals auch auf diesen Stand zurueckgefuehrt worden oder hat doch darauf zurueckgefuehrt werden sollen. Die vier Legionen, die danach in Syrien bleiben sollten, waren, wie dies ja auch am naechsten liegt, die vier alten syrischen; denn die 3. war im Jahre 70 eben von Syrien nach Moesien marschiert (Suet. Vesp. 6; Tac. hist. 2, 74) und dass die 6., 10., 12. zum Heere des Cestius gehoerten, folgt aus Ios. bel. Iud. 2, 18, 9; 19, 7; 7, 1, 3. Als dann der Juedische Krieg ausbrach, wurden wieder sieben Legionen fuer Asien bestimmt und zwar vier fuer Syrien (Tac. hist. 1, 10), drei fuer Palaestina; die drei hinzutretenden Legionen sind eben die fuer den Parthischen Krieg verwendeten, die 4., 5., 15., welche vielleicht damals noch auf dem Rueckmarsch in ihre alten Quartiere begriffen waren. Die 4. ist wahrscheinlich damals definitiv nach Syrien gekommen wo sie fortan geblieben ist; dagegen gab das syrische Heer die 10. an Vespasian ab, vermutlich, weil diese bei dem Feldzuge des Cestius am wenigsten gelitten hatte. Dazu bekam er die 5. und die 15. Die 5. und die 10. Legion kamen von Alexandreia (Ios. bel. Iud. 3, 1, 3; 4, 2); aber dass sie aus Aegypten herangefuehrt seien, ist nicht gut denkbar, nicht bloss weil die 10. eine der syrischen war, sondern vor allem, weil der Landmarsch von Alexandreia am Nil nach Ptolemais mitten durch das insurgierte Gebiet am Anfang des Juedischen Krieges so von Josephus nicht haette erzaehlt werden koennen. Vielmehr ging Titus zu Schiff von Achaia nach Alexandreia am Issischen Meerbusen, dem heutigen Alexandrette, und fuehrte die beiden Legionen von da nach Ptolemais. Die 15. mag der Marschbefehl irgendwo in Kleinasien getroffen haben, da Vespasian, doch wohl, um sie zu uebernehmen, nach Syrien zu Lande ging (Ios. bel. Iud. 3, 1 u. 3). Zu diesen drei Legionen, mit denen Vespasian den Krieg begann, kam unter Titus noch eine weitere der syrischen, die 12. Von den vier Legionen, die Jerusalem einnahmen, blieben die beiden bisher syrischen im Orient, die 10. in Judaea, die 12. in Kappadokien, waehrend die 5. nach Moesien, die 15. nach Pannonien zurueckkehrte (Ios. bel. Iud. 7, 1, 3; 5, 3). ^26 Zu den drei Legionen gehoerten fuenf Alen und achtzehn Kohorten und das aus einer Ala und fuenf Kohorten bestehende Heer von Palaestina. Diese Auxilien zaehlten demnach 3000 Alarier und (da unter den 23 Kohorten zehn 1000 Mann stark waren, dreizehn 720 Mann oder wohl eher nur 480 Mann; denn statt des befremdenden exakosioys erwartet man vielmehr triakosioys exakonta) 16240 (oder, wenn 720 festgehalten wird, 19360) Kohortalen. Dazu kamen je 1000 Reiter der vier Koenige und 5000 arabische, je 2000 Bogenschuetzen der uebrigen drei Koenige. Dies gibt zusammen, die Legion zu 6000 Mann gerechnet, 52240 Mann, also gegen 60000, wie Josephus (bel. Iud. 3, 4, 2) sagt. Da die Abteilungen aber also alle nach der hoechstmoeglichen Normalstaerke berechnet sind, wird die effektive Gesamtzahl kaum auf 50000 angesetzt werden duerfen. Diese Zahlen des Josephus erscheinen im wesentlichen zuverlaessig ebenso wie die analogen fuer das Heer des Cestius (bel. Iud. 2, 18, 9); dagegen sind seine auf Schaetzung beruhenden Ziffern durchgaengig nach dem Stil bemessen, dass das kleinste Dorf in Galilaea 15000 Einwohner zaehlt (bel. Iud. 3, 3, 2) und geschichtlich so unbrauchbar wie die Ziffern Falstaffs. Nur selten, zum Beispiel bei der Belagerung Jotapatas, erkennt man Rapportzahlen. ---------------------------------------------------- So hatten die Insurgenten in Jerusalem vom Sommer 66 bis zum Fruehling 70 voellig freies Schalten. Was die Vereinigung von religioesem und nationalem Fanatismus, das edle Verlangen, den Sturz des Vaterlandes nicht zu ueberleben und das Bewusstsein begangener Verbrechen und unausbleiblicher Strafe, das wilde Durcheinanderwogen aller edelsten und aller gemeinsten Leidenschaften in diesen vier Jahren des Schreckens ueber die Nation gebracht hat, wird dadurch vor allem entsetzlich, dass die Fremden dabei nur die Zuschauer gewesen sind, unmittelbar alles Unheil durch Juden ueber Juden gekommen ist. Die gemaessigten Patrioten wurden von den Eiferern mit Hilfe des Aufgebotes der rohen und fanatischen Bewohner der idumaeischen Doerfer bald (Ende 68) ueberwaeltigt und ihre Fuehrer erschlagen. Die Eiferer herrschten seitdem und es loesten sich alle Bande buergerlicher, religioeser und sittlicher Ordnung. Den Sklaven wurde die Freiheit gewaehrt, die Hohenpriester durch das Los bestellt, die Ritualgesetze eben von diesen Fanatikern, deren Kastell der Tempel war, mit Fuessen getreten und verhoehnt, die Gefangenen in den Kerkern niedergemacht und bei Todesstrafe untersagt, die Umgebrachten zu bestatten. Die verschiedenen Fuehrer fochten mit ihren Sonderhaufen gegeneinander: Johannes von Giskala mit seiner aus Galilaea herangefuehrten Schar; Simon, des Gioras Sohn, aus Gerasa, der Fuehrer einer in dem Sueden gebildeten Patriotenschar und zugleich der gegen Johannes sich auflehnenden Idumaeer; Eleazar, Simons Sohn, einer der Vorkaempfer gegen Cestius Gallus. Der erste behauptete sich in der Tempelhalle, der zweite in der Stadt, der dritte im Allerheiligsten des Tempels, und taeglich ward in den Strassen der Stadt zwischen Juden und Juden gefochten. Die Eintracht kam einzig durch den gemeinsamen Feind; als der Angriff begann, stellte sich Eleazars kleine Schar unter die Befehle des Johannes, und obwohl Johannes im Tempel, Simon in der Stadt fortfuhren, die Herren zu spielen, stritten sie, unter sich hadernd, Schulter an Schulter gegen die Roemer. Die Aufgabe auch fuer die Angreifer war nicht leicht. Zwar genuegte das Heer, das anstatt der nach Italien entsendeten Detachements bedeutenden Zuzug aus den aegyptischen und den syrischen Truppen erhalten hatte, fuer die Einschliessung vollauf; und trotz der langen Frist, welche den Juden gewaehrt worden war, um sich auf die Belagerung vorzubereiten, waren die Vorraete unzureichend, um so mehr, als ein Teil derselben in den Strassenkaempfen zugrunde gegangen war und, da die Belagerung um das Passahfest begann, zahlreiche deswegen nach Jerusalem gekommene Auswaertige mit eingeschlossen waren. Indes wenn auch die Masse der Bevoelkerung bald Not litt, was die Wehrmannschaften brauchten, nahmen sie, wo sie es fanden, und wohl versehen, wie sie waren, fuehrten sie den Kampf ohne Ruecksicht auf die hungernden und bald verhungernden Massen. Zu blosser Blockade konnte der junge Feldherr sich nicht entschliessen; eine mit vier Legionen in dieser Weise zu Ende gefuehrte Belagerung brachte ihm persoenlich keinen Ruhm, und auch das neue Regiment brauchte eine glaenzende Waffentat. Die Stadt, sonst ueberall durch unzugaengliche Felsenhaenge verteidigt, war allein an der Nordseite angreifbar; auch hier war es keine leichte Arbeit, die dreifache, aus den reichen Tempelschaetzen ohne Ruecksicht auf die Kosten hergestellte Wallmauer zu bezwingen und weiter innerhalb der Stadt die Burg, den Tempel und die gewaltigen drei Herodestuerme einer starken, fanatisierten und verzweifelten Besatzung abzuringen. Johannes und Simon schlugen nicht bloss die Stuerme entschlossen ab, sondern griffen oft die schanzenden Mannschaften mit gutem Erfolg an und zerstoerten oder verbrannten die Belagerungsmaschinen. Aber die Ueberzahl und die Kriegskunst entschieden fuer die Roemer. Die Mauern wurden erstuermt, darauf die Burg Antonia; sodann gingen nach langem Widerstand erst die Tempelhallen in Flammen auf und weiter am 10. Ab (August) der Tempel selbst mit allen darin seit sechs Jahrhunderten aufgehaeuften Schaetzen. Endlich wurde nach monatelangem Strassenkampf am 8. Elul (September) auch in der Stadt der letzte Widerstand gebrochen und das heilige Salem geschleift. Fuenf Monate hatte die Blutarbeit gewaehrt. Das Schwert und der Pfeil und mehr noch der Hunger hatten zahllose Opfer gefordert; die Juden erschlugen jeden des Ueberlaufens auch nur Verdaechtigen und zwangen Weiber und Kinder, in der Stadt zu verhungern; ebenso erbarmungslos liessen auch die Roemer die Gefangenen ueber die Klinge springen oder kreuzigten sie. Die uebriggebliebenen Kaempfer und namentlich die beiden Fuehrer wurden einzeln aus den Kloaken, in die sie sich gerettet hatten, hervorgezogen. Am Toten Meer, eben da, wo einstmals Koenig David und die Makkabaeer in hoechster Bedraengnis eine Zuflucht gefunden hatten, hielten sich die Reste der Insurgenten noch auf Jahre hinaus in den Felsenschloessern Machaerus und Massada, bis endlich als die letzten der freien Juden Judas, des Galilaeers Enkel, Eleazar und die Seinigen erst ihren Frauen und Kindern und dann sich selbst den Tod gaben. Das Werk war getan. Dass Kaiser Vespasianus, ein tuechtiger Soldat, es nicht verschmaeht hat, wegen eines solchen unvermeidlichen Erfolgs ueber ein kleines, laengst untertaeniges Volk als Sieger auf das Kapitol zu ziehen und dass der aus dem Allerheiligsten des Tempels heimgebrachte siebenarmige Kandelaber auf dem Ehrenbogen, den der Reichssenat dem Titus auf dem Markte der Kampfstadt errichtete, noch heute zu schauen ist ^27, gibt keine hohe Vorstellung von dem kriegerischen Sinn dieser Zeit. Freilich ersetzte der tiefe Widerwille, den die Okzidentalen gegen das Judenvolk hegten, einigermassen, was der kriegerischen Glorie mangelte, und wenn den Kaisern der Judenname zu schlecht war, um ihn so sich beizulegen wie die der Germanen und der Parther, so hielten sie es nicht unter ihrer Wuerde, dem Poebel der Hauptstadt die Siegesschadenfreude dieses Triumphes zu bereiten. --------------------------------------------- ^27 Dieser Bogen ist dem Titus nach seinem Tode vom Reichssenat gesetzt. Ein anderer, ihm waehrend seiner kurzen Regierung von demselben Senat im Circus gewidmeter (CIL VI, 944) gibt sogar mit ausdruecklichen Worten als Grund der Denkmalerrichtung an: "weil er nach Vorschrift und Anweisung und unter der Oberleitung des Vaters das Volk der Juden bezwang und die bis auf ihn von allen Feldherren, Koenigen und Voelkern entweder vergeblich belagerte oder gar nicht angegriffene Stadt Hierusolyma zerstoert hat." Die historische Kunde dieses seltsamen Schriftstueckes, welches nicht bloss Nebukadnezar und Antiochos Epiphanes, sondern den eigenen Pompeius ignoriert, steht auf gleicher Hoehe mit der Ueberschwenglichkeit des Preises einer recht gewoehnlichen Waffentat. --------------------------------------------- Dem Werk des Schwertes folgte die politische Wendung. Die von den frueheren hellenischen Staaten eingehaltene und von den Roemern uebernommene, in der Tat ueber die blosse Toleranz gegen fremde Art und fremden Glauben weit hinausgehende Politik, die Judenschaft insgemein als nationale und religioese Samtgemeinschaft anzuerkennen, war unmoeglich geworden. Zu deutlich waren in der juedischen Insurrektion die Gefahren zu Tage getreten, welche diese nationalreligioese, einerseits streng konzentrierte, andererseits ueber den ganzen Osten sich verbreitende und selbst in den Westen verzweigte Vergesellschaftung in sich trug. Der zentrale Kultus wurde demzufolge ein fuer allemal beseitigt. Dieser Entschluss der Regierung steht zweifellos fest und hat nichts gemein mit der nicht mit Sicherheit zu beantwortenden Frage, ob die Zerstoerung des Tempels absichtlich oder zufaellig erfolgt ist; wenn auf der einen Seite die Unterdrueckung des Kultus nur die Schliessung des Tempels erforderte und das praechtige Bauwerk verschont werden konnte, so haette andererseits, waere der Tempel zufaellig zugrunde gegangen, der Kultus auch in einem wieder erbauten fortgefuehrt werden koennen. Freilich wird es immer wahrscheinlich bleiben, dass hier nicht der Zufall des Krieges gewaltet hat, sondern fuer die veraenderte Politik der roemischen Regierung gegenueber dem Judentum die Flammen des Tempels das Programm waren ^28. Deutlicher noch als in den Vorgaengen in Jerusalem zeichnet sich dieselbe in der gleichzeitig auf Anordnung Vespasians erfolgten Schliessung des Zentralheiligtums der aegyptischen Judenschaft, des Oniastempels unweit Memphis im heliopolitanischen Distrikt, welcher seit Jahrhunderten neben dem von Jerusalem stand etwa wie neben dem Alten Testament die Uebersetzung durch die alexandrinischen Siebzig; auch er wurde seiner Weihgeschenke entkleidet und die Gottesverehrung in demselben untersagt. --------------------------------------------- ^28 Die Erzaehlung des Josephus, dass Titus mit seinem Kriegsrat beschloss, den Tempel nicht zu zerstoeren, erregt durch ihre offenbare Absichtlichkeit Bedenken, und da die Benutzung des Tacitus in Sulpicius Severus’ Chronik von Bernays vollstaendig erwiesen ist, so kann allerdings wohl in Frage kommen, ob nicht dessen gerade entgegengesetzter Bericht (chron. 2, 30, 6), dass der Kriegsrat beschlossen habe, den Tempel zu zerstoeren, aus Tacitus herruehrt und ihm, obwohl er Spuren christlicher Ueberarbeitung zeigt, der Vorzug zu geben ist. Dies empfiehlt sich weiter dadurch, dass die an Vespasian gerichtete Dedikation der Argonautica des Dichters Valerius Flaccus den Sieger von Solyma feiert, der die Brandfackeln schleudert. --------------------------------------------- In weiterer Ausfuehrung der neuen Ordnung der Dinge verschwanden das Hohepriestertum und das Synhedrion von Jerusalem und verlor damit die Judenschaft des Reiches ihr aeusserliches Oberhaupt und ihre bis dahin in religioesen Fragen allgemein kompetente Oberbehoerde. Die bisher wenigstens tolerierte Jahressteuer eines jeden Juden ohne Unterschied des Wohnorts an den Tempel fiel allerdings nicht weg, wurde aber mit bitterer Parodie auf den kapitolinischen Jupiter und dessen Vertreter auf Erden, den roemischen Kaiser, uebertragen. Bei der Beschaffenheit der juedischen Einrichtungen schloss die Unterdrueckung des zentralen Kultus die Aufloesung der Gemeinde Jerusalem in sich. Die Stadt ward nicht bloss zerstoert und niedergebrannt, sondern blieb auch in Truemmern liegen, wie einst Karthago und Korinth; ihre Feldmark, Gemeindewie Privatland, wurde kaiserliche Domaene ^29. Was von der Buergerschaft der volkreichen Stadt dem Hunger oder dem Schwert entgangen war, kam unter den Hammer des Sklavenmarktes. In den Truemmern der zerstoerten Stadt schlug die Legion ihr Lager auf, welche mit ihren spanischen und thrakischen Auxilien fortan im juedischen Lande garnisonieren sollte. Die bisherigen in Palaestina selbst rekrutierten Provinzialtruppen wurden anderswohin verlegt. In Emmaus, in der naechsten Naehe von Jerusalem, wurde eine Anzahl roemischer Veteranen angesiedelt, Stadtrecht aber auch dieser Ortschaft nicht verliehen. Dagegen wurde das alte Sichem, der religioese Mittelpunkt der samaritanischen Gemeinde, vielleicht schon seit Alexander dem Grossen eine griechische Stadt, jetzt in den Formen der hellenischen Politie unter dem Namen Flavia Neapolis reorganisiert. Die Landeshauptstadt Caesarea, bis dahin griechische Stadtgemeinde, erhielt als "erste Flavische Kolonie" roemische Ordnung und lateinische Geschaeftssprache. Es waren dies Ansaetze zur okzidentalischen Munizipalisierung des juedischen Landes. Nichtsdestoweniger blieb das eigentliche Judaea, wenn auch entvoelkert und verarmt, nach wie vor juedisch; wessen die Regierung sich zu dem Lande versah, zeigt schon die durchaus anomal dauernde militaerische Belegung, die, da Judaea nicht an der Reichsgrenze lag, nur zur Niederhaltung der Einwohner bestimmt gewesen sein kann. ------------------------------------------------------ ^29 Dass der Kaiser dies Land fuer sich nahm (idian ayt/o/ t/e/n ch/o/ran phylatt/o/n) sagt Josephus (bel. Iud. 7, 6, 6); dazu stimmt nicht sein Befehl pasan g/e/n apothosthai t/o/n Ioydai/o/n (a. a. O.), worin wohl ein Irrtum oder ein Schreibfehler steckt. Zu der Expropriierung passt es, dass im Gnadenweg einzelnen juedischen Grundbesitzern anderswo Land angewiesen ward (Ios. vit. 16). uebrigens ist das Gebiet wohl als Ausstattung fuer die dort stationierende Legion verwendet worden (Eph. epigr. II, n. 696; Tac. ann. 13, 54). ------------------------------------------------------ Auch die Herodeer ueberdauerten nicht lange den Untergang Jerusalems. Koenig Agrippa II., der Herr von Caesarea Paneas und von Tiberias, hatte den Roemern in dem Krieg gegen seine Landsleute getreue Heerfolge geleistet und selbst aus demselben wenigstens militaerisch ehrenvolle Narben aufzuweisen; ueberdies hielt seine Schwester Berenike, eine Kleopatra im Kleinen, mit dem Rest ihrer viel in Anspruch genommenen Reize das Herz des Bezwingers von Jerusalem gefangen. So blieb er persoenlich im Besitz der Herrschaft; aber nach seinem Tode, etwa dreissig Jahre spaeter, ging auch diese letzte Erinnerung an den juedischen Staat in die roemische Provinz Syrien auf. In der Ausuebung ihrer Religionsgebraeuche wurden den Juden weder in Palaestina noch anderswo Hindernisse in den Weg gelegt. Selbst ihren religioesen Unterricht und die daran sich anknuepfenden Versammlungen ihrer Gesetzlehrer und Gesetzkundigen liess man in Palaestina wenigstens gewaehren und hinderte nicht, dass diese Rabbinervereinigungen versuchten, sich einigermassen an die Stelle des ehemaligen Synhedrion von Jerusalem zu setzen und in den Anfaengen des Talmud ihre Lehre und ihre Gesetze zu fixieren. Obwohl einzelne nach Aegypten und Kyrene gefluechtete Teilnehmer an dem juedischen Aufstand dort Unruhen hervorriefen, wurden die Judenschaften ausserhalb Palaestina, so viel wir sehen, in ihrer bisherigen Stellung belassen. Gegen die Judenhetze, welche eben um die Zeit der Zerstoerung Jerusalems in Antiocheia dadurch hervorgerufen ward, dass die dortigen Juden von einem ihrer abgefallenen Glaubensgenossen oeffentlich der Absicht geziehen worden waren, die Stadt anzuzuenden, schritt der Vertreter des Statthalters von Syrien energisch ein und gestattete nicht, wie es im Werke war, dass man die Juden noetigte, den Landesgoettern zu opfern und den Sabbath nicht zu halten. Titus selbst, als er nach Antiocheia kam, wies die dortigen Fuehrer der Bewegung mit ihrer Bitte, die Juden auszuweisen oder mindestens ihre Privilegien zu kassieren, auf das bestimmteste ab. Man scheute davor zurueck, dem juedischen Glauben als solchem den Krieg zu erklaeren und die weitverzweigte Diaspora auf das aeusserste zu treiben; es war genug, dass das Judentum in seiner politischen Repraesentation aus dem Staatswesen getilgt war. Die Wendung in der seit Alexander gegen das Judentum eingehaltenen Politik lief im wesentlichen darauf hinaus, dieser religioesen Gemeinschaft die einheitliche Leitung und die aeusserliche Geschlossenheit zu entziehen und ihren Leitern eine Macht aus der Hand zu winden, welche sich nicht bloss ueber das Heimatland der Juden, sondern ueber die Judenschaften insgemein innerhalb und ausserhalb des Roemischen Reiches erstreckte und allerdings im Orient dem einheitlichen Reichsregiment Eintrag tat. Die Lagiden wie die Seleukiden und nicht minder die roemischen Kaiser der Julisch-Claudischen Dynastie hatten sich dies gefallen lassen; aber die unmittelbare Herrschaft der Okzidentalen ueber Judaea hatte den Gegensatz der Reichsund dieser Priestergewalt in dem Grade verschaerft, dass die Katastrophe mit unausbleiblicher Notwendigkeit eintrat und ihre Konsequenzen zog. Vom politischen Standpunkt aus kann wohl die Schonungslosigkeit der Kriegfuehrung getadelt werden, welche uebrigens diesem Krieg ziemlich mit allen aehnlichen der roemischen Geschichte gemein ist, aber schwerlich die infolge desselben verfuegte religioes-politische Aufloesung der Nation. Wenn den Institutionen, welche zur Bildung einer Partei, wie die der Zeloten war, gefuehrt hatten und mit einer gewissen Notwendigkeit fuehren mussten, die Axt an die Wurzel gelegt ward, so geschah nur, was richtig und notwendig war, wie schwer und individuell ungerecht auch der einzelne davon getroffen werden mochte. Vespasianus, der die Entscheidung gab, war ein verstaendiger und masshaltender Regent. Es handelte sich nicht um eine Glaubens- , sondern um eine Machtfrage; der juedische Kirchenstaat als Haupt der Diaspora vertrug sich nicht mit der Unbedingtheit des weltlichen Grossstaates. Von der allgemeinen Norm der Toleranz hat die Regierung sich auch in diesem Fall nicht entfernt, nicht gegen das Judentum, sondern gegen den Hohenpriester und das Synhedrion den Krieg gefuehrt. Ganz hat auch die Tempelzerstoerung diesen ihren Zweck nicht verfehlt. Es gab nicht wenige Juden und noch mehr Judengenossen, namentlich in der Diaspora, welche mehr an dem juedischen Sittengesetz und an dem juedischen Monotheismus hielten als an der streng nationalen Glaubensform; die ganze ansehnliche Sekte der Christen hatte sich innerlich vom Judentum geloest und stand zum Teil in offener Opposition zu dem juedischen Ritus. Fuer diese war der Fall Jerusalems keineswegs das Ende der Dinge, und innerhalb dieser ausgedehnten und einflussreichen Kreise erreichte die Regierung einigermassen, was sie mit der Aufloesung der Zentralstelle der juedischen Gottesverehrung beabsichtigte. Die Scheidung des den Nationen gemeinen Christenglaubens von dem nationaljuedischen, der Sieg der Anhaenger des Paulus ueber diejenigen des Petrus, wurde durch den Wegfall des juedischen Zentralkults wesentlich gefoerdert. Aber bei den Juden von Palaestina, da, wo man zwar nicht hebraeisch, aber doch aramaeisch sprach, und bei dem Teil der Diaspora, der fest an Jerusalem hing, wurde durch die Zerstoerung des Tempels der Riss zwischen dem Judentum und der uebrigen Welt vertieft. Die national-religioese Geschlossenheit, die die Regierung beseitigen wollte, wurde in diesem verengten Kreis durch den gewaltsamen Versuch, sie zu zerschlagen, vielmehr neu gefestigt und zunaechst zu weiteren verzweifelten Kaempfen getrieben. Nicht volle fuenfzig Jahre nach der Zerstoerung Jerusalems, im Jahre 116 ^30, erhob sich die Judenschaft am oestlichen Mittelmeer gegen die Reichsregierung. Der Aufstand, obwohl von der Diaspora unternommen, war rein nationaler Art, in seinen Hauptsitzen Kyrene, Kypros, Aegypten, gerichtet auf die Austreibung der Roemer wie der Hellenen und, wie es scheint, die Begruendung eines juedischen Sonderstaats. Er verzweigte sich bis in das asiatische Gebiet und ergriff Mesopotamien und Palaestina selbst. Wo die Aufstaendischen siegreich waren, fuehrten sie den Krieg mit derselben Erbitterung wie die Sicarier in Jerusalem; sie erschlugen, wen sie ergriffen - der Geschichtschreiber Appian, ein geborener Alexandriner, erzaehlt, wie er vor ihnen um sein Leben laufend mit genauer Not nach Pelusion entkam -, und oftmals toeteten sie die Gefangenen unter qualvollen Martern oder zwangen sie, gleich wie einst Titus die in Jerusalem gefangenen Juden, als Fechter im Kampfspiel zur Augenweide der Sieger zu fallen. In Kyrene sollen also 220000, auf Kypros gar 240000 Menschen von ihnen umgebracht worden sein. Andererseits erschlugen in Alexandreia, das selbst nicht in die Haende der Juden gefallen zu sein scheint ^31, die belagerten Hellenen, was von Juden damals in der Stadt war. Die naechste Ursache der Erhebung ist nicht klar. Das Blut der Zeloten, die nach Alexandreia und Kyrene sich gefluechtet und dort ihre Glaubenstreue mit dem Tode unter dem roemischen Henkersbeil besiegelt hatten, mag nicht umsonst geflossen sein; der Parthische Krieg, waehrenddessen der Aufstand begann, hat ihn insofern gefoerdert, als die in Aegypten stehenden Truppen wahrscheinlich auf den Kriegsschauplatz berufen wurden. Allem Anschein nach war es ein Ausbruch der seit der Tempelzerstoerung gleich dem Vulkan im Verborgenen gluehenden und in unberechenbarer Weise in Flammen aufschlagenden religioesen Erbitterung der Judenschaft, von der Art, wie der Orient sie zu allen Zeiten erzeugt hat und erzeugt; wenn wirklich die Insurgenten einen Juden zum Koenig ausriefen, so hat diese Erhebung sicher, wie die in der Heimat, in der grossen Masse der geringen Leute ihren Herd gehabt. Dass diese Judenerhebung zum Teil zusammenfiel mit dem frueher erzaehlten Befreiungsversuch der kurz vorher von Kaiser Traianus unterworfenen Voelkerschaften, waehrend dieser im fernen Osten an der Euphratmuendung stand, gab ihr sogar eine politische Bedeutung; wenn die Erfolge dieses Herrschers ihm am Schluss seiner Laufbahn unter den Haenden zerrannen, so hat die juedische Insurrektion namentlich in Palaestina und Mesopotamien dazu das ihrige beigetragen. Um den Aufstand niederzuschlagen, mussten ueberall die Truppen marschieren; gegen den "Koenig" der kyrenaeischen Juden Andreas oder Lukuas und die Insurgenten in Aegypten sandte Traianus den Quintus Marcius Turbo mit Heer und Flotte, gegen die Aufstaendischen in Mesopotamien, wie schon gesagt ward, den Lusius Quietus, zwei seiner erprobtesten Feldherrn. Den geschlossenen Truppen Widerstand zu leisten, vermochten die Aufstaendischen nirgends, wenngleich der Kampf in Afrika wie in Palaestina sich bis in die erste Zeit Hadrians fortspann, und es ergingen ueber diese Diaspora aehnliche Strafgerichte wie frueher ueber die Juden Palaestinas. Dass Traianus die Juden in Alexandreia vernichtet hat, wie Appian sagt, ist schwerlich ein unrichtiger, wenn auch vielleicht ein allzu schroffer Ausdruck dessen, was dort geschah; fuer Kypros ist es bezeugt, dass seitdem kein Jude die Insel auch nur betreten durfte und selbst den schiffbruechigen Israeliten dort der Tod erwartete. Waere ueber diese Katastrophe unsere Ueberlieferung so ausgiebig wie ueber die jerusalemische, so wuerde sie wohl als deren Fortsetzung und Vollendung erscheinen und gewissermassen auch als ihre Erklaerung; dieser Aufstand zeigt das Verhaeltnis der Diaspora zu dem Heimatland und den Staat im Staate, zu dem das Judentum sich entwickelt hatte. ---------------------------------------------------------- ^30 Eusebius (hist. eccl. 4, 2) setzt den Ausbruch in das 18., also nach seiner Rechnung (in der Chronik) das vorletzte Jahr Traians, und damit stimmt auch Dio 68, 32. ^31 Eusebius selbst (bei Synkellos) sagt nur: Adrianos Ioydaioyskata Alexandre/o/n stasiazontas ekolasen. Die armenische und die lateinische Uebersetzung scheinen daraus irrig eine Wiederherstellung des von den Juden zerstoerten Alexandreia gemacht zu haben, von welcher auch Eusebius in der Kirchengeschichte 4, 2 und Dio 68. 32 nichts wissen. ---------------------------------------------------------- Zu Ende war auch mit dieser zweiten Niederwerfung die Auflehnung des Judentums gegen die Reichsgewalt nicht. Man kann nicht sagen, dass diese dasselbe weiter provoziert hat; gewoehnliche Verwaltungsakte, wie sie im ganzen Reiche unweigerlich hingenommen wurden, trafen die Hebraeer da, wo die volle Widerstandskraft des nationalen Glaubens ihren Sitz hatte, und riefen dadurch, wahrscheinlich zur Ueberraschung der Regieren den selbst, eine Insurrektion hervor, die in der Tat ein Krieg war. Wenn Kaiser Hadrianus, als seine Rundreise durch das Reich ihn auch nach Palaestina fuehrte, im Jahre 130 die zerstoerte heilige Stadt der Juden als roemische Kolonie wieder aufzurichten beschloss, tat er sicher diesen nicht die Ehre an, sie zu fuerchten, und dachte nicht an religioese-politische Propaganda, sondern er verfuegte fuer dies Legionslager, was kurz vorher oder bald nachher auch am Rhein, an der Donau, in Afrika geschah, die Verknuepfung desselben mit einer zunaechst aus den Veteranen sich rekrutierenden Stadtgemeinde, welche ihren Namen Aelia Capitolina teils von ihrem Stifter, teils von dem Gott empfing, welchem damals statt des Jehova die Juden zinsten. Aehnlich verhaelt es sich mit dem Verbot der Beschneidung; es erging, wie spaeter bemerkt werden wird, wahrscheinlich gar nicht in der Absicht, damit dem Judentum als solchem den Krieg zu machen. Begreiflicherweise fragten die Juden nicht nach den Motiven jener Stadtgruendung und dieses Verbots, sondern empfanden beides als einen Angriff auf ihren Glauben und ihr Volktum, und antworteten darauf mit einem Aufstand, der, anfangs von den Roemern vernachlaessigt, dann durch Intensitaet und Dauer in der Geschichte der roemischen Kaiserzeit seinesgleichen nicht hat. Die gesamte Judenschaft des Inund des Auslandes geriet in Bewegung und unter stuetzte mehr oder minder offen die Insurgenten am Jordan ^32, sogar Jerusalem fiel ihnen in die Haende ^33 und der Statthalter Syriens, ja Kaiser Hadrianus selbst erschienen auf dem Kampfplatz. Den Krieg leiteten, bezeichnend genug, der Priester Eleazar ^34 und der Raeuberhauptmann Simon, zugenannt Bar-Kokheba, das ist der Sternensohn, als der Bringer himmlischer Hilfe, vielleicht als Messias. Von der finanziellen Macht und der Organisation der Insurgenten zeugen die durch mehrere Jahre auf den Namen dieser beiden geschlagenen Silberund Kupfermuenzen. Nachdem eine genuegende Truppenzahl zusammengezogen war, gewann der erprobte Feldherr Sextus Iulius Severus die Oberhand, aber nur in allmaehlichem und langsamem Vorschreiten; ganz wie in dem Vespasianischen Krieg kam es zu keiner Feldschlacht, aber ein Platz nach dem andern kostete Zeit und Blut, bis endlich nach dreijaehriger Kriegfuehrung ^35 die letzte Burg der Insurgenten, das feste Bether unweit Jerusalem, von den Roemern erstuermt ward. Die in guten Berichten ueberlieferten Zahlen von 50 genommenen Festungen, 985 besetzten Doerfern, 580000 Gefallenen sind nicht unglaublich, da der Krieg mit unerbittlicher Grausamkeit gefuehrt und die maennliche Bevoelkerung wohl ueberall niedergemacht ward. ---------------------------------------------------------- ^32 Dies zeigen die Ausdruecke Dios 69, 13: oi apantachoy g/e/s Ioydaioi und pas/e/s /o/s eipein kinoymen/e/s epi to?t/o/ t/e/s oikoymen/e/s. ^33 Wenn nach dem Zeitgenossen Appian (Syr. 50) Hadrian abermals die Stadt zerstoerte (kateskapse), so beweist das sowohl die vorhergehende wenigstens einigermassen vollendete Anlage der Kolonie wie auch deren Einnahme durch die Insurgenten. Nur dadurch auch erklaert sich der grosse Verlust, den die Roemer erlitten (Fronto Parth. p. 218 Nab.: Hadriano Imperium obtinente quantum militum a Iudaeis . . . caesum; Dio 69, 14); und es passt wenigstens gut dazu, dass der Statthalter von Syrien, Publicius Marcellus, seine Provinz verliess, um seinem Kollegen Tineius Rufus (Eus. hist. eccl. 4, 6; B. Borghesi, Oeuvres completes. Bd. 3, S. 64) in Palaestina Hilfe zu bringen (CIG 4033, 4C34). ^34 Dass die Muenzen mit diesem Namen dem hadrianischen Aufstand angehoeren, ist jetzt erwiesen (v. Sallet, Zeitschrift fuer Numismatik 5, 1878, S. 110); dies ist also der Rabbi Eleazar aus Modein der juedischen Berichte (Ewald, Geschichte des Volkes Israel, Bd. 7, S. 418; E. Schuerer, Lehrbuch der neutestamentlichen Zeitgeschichte. Jena 1874, S. 357). Dass der Simon, den dieselben Muenzen teils mit Eleazar zusammen, teils allein nennen, der Bar- Kokheba des Justinus Martyr und des Eusebius sei ist mindestens sehr wahrscheinlich. ^35 Dio (69, 12) nennt den Krieg langwierig (o?t’ oligochronios); Eusebius setzt in der Chronik den Anfang auf das 16., das Ende auf das 18. oder 19. Jahr Hadrians; die Insurgentenmuenzen sind datiert vom ersten oder vom zweiten Jahr "der Befreiung Israels". Zuverlaessige Daten haben wir nicht; die rabbinische Tradition (Schaerer, Lehrbuch, S. 361) ist dafuer nicht brauchbar. ---------------------------------------------------------- Infolge dieses Aufstandes ward selbst der Name des besiegten Volkes beseitigt: die Provinz hiess fortan nicht mehr wie frueher Judaea, sondern mit dem alten Herodotischen Namen das Syrien der Philistaeer oder Syria Palaestina. Das Land blieb veroedet; die neue Hadriansstadt bestand, aber gedieh nicht. Den Juden wurde bei Todesstrafe untersagt, Jerusalem auch nur zu betreten, die Besatzung verdoppelt; das beschraenkte Gebiet zwischen Aegypten und Syrien, zu dem von dem transjordanischen nur ein kleiner Streifen am Toten Meer gehoerte und das nirgends die Reichsgrenze beruehrte, war seitdem mit zwei Legionen belegt. Trotz aller dieser Gewaltmassregeln blieb die Landschaft unruhig, zunaechst wohl infolge des mit der Nationalsache laengst verflochtenen Raeuberwesens; Pius liess gegen die Juden marschieren und auch unter Severus ist die Rede von einem Krieg gegen Juden und Samariter. Aber zu groesseren Bewegungen unter den Juden ist es nach dem Hadrianischen Krieg nicht wieder gekommen. Es muss anerkannt werden, dass diese wiederholten Ausbrueche des in den Gemuetern der Juden gaerenden Grolls gegen die gesamte nicht juedische Mitbuergerschaft die allgemeine Politik der Regierung nicht aenderten. Wie Vespasian so hielten auch die folgenden Kaiser den Juden gegenueber nicht bloss im wesentlichen den allgemeinen Standpunkt der politischen und religioesen Toleranz fest, sondern die fuer die Juden erlassenen Ausnahmegesetze waren und blieben hauptsaechlich darauf gerichtet, sie von denjenigen allgemeinen Buergerpflichten, welche mit ihrer Sitte und ihrem Glauben sich nicht vertrugen, zu entbinden und werden darum auch geradezu als Privilegien bezeichnet ^36. --------------------------------------- ^36 Biographie Alexanders c. 22: Iudaeis privilegia reservavit, Christianos esse passus est. Deutlich tritt hier die bevorzugte Stellung der Juden vor den Christen zutage, welche allerdings wieder darauf beruht, dass jene eine Nation darstellen, diese nicht. --------------------------------------- Rechtlich scheint seit Claudius’ Zeit, dessen Unterdrueckung des juedischen Kultus in Italien wenigstens die letzte derartige Massregel ist, von der wir wissen, den Juden der Aufenthalt und die freie Religionsuebung in dem gesamten Reich zugestanden zu haben. Es waere kein Wunder gewesen, wenn jene Aufstaende in den afrikanischen und syrischen Landschaften zur Austreibung der dort ansaessigen Juden ueberhaupt gefuehrt haetten; aber dergleichen Beschraenkungen sind, wie wir sahen, nur lokal, zum Beispiel fuer Kypros verfuegt worden. Der Hauptsitz der Juden blieben immer die griechischen Provinzen; auch in der einigermassen zweisprachigen Hauptstadt, deren zahlreiche Judenschaft eine Reihe von Synagogen umfasste, bildete diese einen Teil der griechischen Bevoelkerung Roms. Ihre Grabschriften in Rom sind ausschliesslich griechisch; in der aus dieser Judenschaft entwickelten roemischen Christengemeinde ist das Taufbekenntnis bis in spaete Zeit hinab griechisch gesprochen worden und die ersten drei Jahrhunderte hindurch die Schriftstellerei ausschliesslich griechisch gewesen. Aber restriktive Massregeln gegen die Juden scheinen auch in den lateinischen Provinzen nicht getroffen worden zu sein; durch und mit dem Hellenismus ist das juedische Wesen in den Okzident eingedrungen, und es fanden auch in diesem sich Judengemeinden, obwohl sie an Zahl und Bedeutung selbst jetzt noch, wo die gegen die Diaspora gerichteten Schlaege die Judengemeinden des Ostens schwer beschaedigt hatten, weit hinter diesen zurueckstanden. Politische Privilegien folgten aus der Tolerierung des Kultus an sich nicht. An der Anlegung ihrer Synagogen und Proseuchen wurden die Juden nicht gehindert, ebensowenig an der Bestellung eines Vorstehers fuer dieselbe (archisynag/o/gos) sowie eines Kollegiums der Aeltesten (archontes) mit einem Oberaeltesten (geroysiarch/e/s) an der Spitze. Obrigkeitliche Befugnisse sollten mit diesen Stellungen nicht verknuepft sein; aber bei der Untrennbarkeit der juedischen Kirchenordnung und der juedischen Rechtspflege uebten die Vorsteher, wie im Mittelalter die Bischoefe, wohl ueberall eine wenn auch nur faktische Jurisdiktion. Auch waren die Judenschaften der einzelnen Staedte nicht allgemein als Koerperschaften anerkannt, sicher zum Beispiel die roemische nicht; doch bestanden an vielen Orten auf Grund lokaler Privilegien dergleichen korporative Verbaende mit Ethnarchen oder, wie sie jetzt meistens heissen, Patriarchen an der Spitze. Ja in Palaestina finden wir im Anfang des dritten Jahrhunderts wiederum einen Vorsteher der gesamten Judenschaft, der kraft erblichen Priesterrechts ueber seine Glaubensgenossen fast wie ein Herrscher schaltet und selbst ueber Leib und Leben Gewalt hat und welchen die Regierung wenigstens toleriert ^37. Ohne Frage war dieser Patriarch fuer die Juden der alte Hohepriester, und es hatte also unter den Augen und unter dem Druck der Fremdherrschaft das hartnaeckige Volk Gottes sich abermals rekonstituiert und insoweit Vespasians Werk zuschanden gemacht. ----------------------------------------------------------- ^37 Um zu erklaeren, dass auch in der Knechtschaft die Juden eine gewisse Selbstverwaltung haben fuehren koennen, schreibt Origenes (um das Jahr 226) an Africanus c. 14: "Wieviel vermag auch jetzt, wo die Roemer herrschen und die Juden ihnen den Zins (to didrachmon) zahlen, der Vol ksvorsteher (o ethnarch/e/s) bei ihnen mit Zulassung des Kaisers (sthgch/o/ro?ntos Kaisaros). Auch Gerichte finden heimlich statt nach dem Gesetze, und es wird sogar manchmal auf den Tod erkannt. Das habe ich, der ich lange im Lande dieses Volkes gelebt, selber erfahren und erkundet." Der Patriarch von Judaea tritt schon in dem auf Hadrians Namen gefaelschten Briefe in der Biographie des Tyrannen Saturninus auf (c. 8), in den Verordnungen zuerst im Jahre 392 (Cod. Theod. 16, 8, 8). Patriarchen als Vorsteher einzelner juedischer Gemeinden, wofuer das Wort seiner Bedeutung nach besser passt, begegnen schon in den Verordnungen Konstantins des Ersten (Cod. Theod. 16, 8, 1 u. 2). ----------------------------------------------------------- In Betreff der Heranziehung der Juden zu den oeffentlichen Leistungen war die Befreiung vom Kriegsdienst als unvereinbar mit ihren religioesen Grundsaetzen laengst anerkannt und blieb es. Die besondere Kopfsteuer, welcher sie unterlagen, die alte Tempelabgabe, konnte als Kompensation fuer diese Befreiung angesehen werden, wenn sie auch nicht in diesem Sinn auferlegt worden war. Fuer andere Leistungen, wie zum Beispiel fuer Uebernahme von Vormundschaften und Gemeindeaemtern, werden sie wenigstens seit Severus’ Zeit im allgemeinen als faehig und pflichtig betrachtet, diejenigen aber, welche ihrem "Aberglauben" zuwiderlaufen, ihnen erlassen ^38, wobei in Betracht kommt, dass der Ausschluss von den Gemeindeaemtern mehr und mehr aus einer Zuruecksetzung zu einem Privilegium ward. Selbst bei Staatsaemtern mag in spaeterer Zeit aehnlich verfahren worden sein. ---------------------------------------------------- ^38 Diese Regel stellen mit Berufung auf einen Erlass des Severus die Juristen des dritten Jahrhunderts auf (Dig. 27, 1, 15, 6; 50, 2, 3, 3). Nach der Verordnung vom Jahre 321 (Cod. Theod. 16, 8, 3) erscheint dies sogar als ein Recht, nicht als eine Pflicht der Juden, so dass es von ihnen abhing, das Amt zu uebernehmen oder abzulehnen. ---------------------------------------------------- Der einzige ernstliche Eingriff der Staatsgewalt in die juedischen Gebraeuche betrifft die Zeremonie der Beschneidung; indes ist gegen diese wahrscheinlich nicht vom religioes-politischen Standpunkt aus eingeschritten worden, sondern es sind diese Massnahmen mit dem Verbot der Kastrierung verknuepft gewesen und zum Teil wohl aus Missverstaendnis der juedischen Weise hervorgegangen. Die immer mehr um sich greifende Unsitte der Verstuemmelung zog zuerst Domitian in den Kreis der strafbaren Verbrechen; als Hadrian die Vorschrift schaerfend die Kastrierung unter das Mordgesetz stellte, scheint auch die Beschneidung als Kastrierung aufgefasst worden zu sein ^39, was allerdings von den Juden als ein Angriff auf ihre Existenz empfunden werden musste und empfunden ward, obwohl dies vielleicht nicht damit beabsichtigt war. Bald nachher, wahrscheinlich infolge des dadurch mitveranlassten Aufstandes, gestattete Pius die Beschneidung fuer Kinder juedischer Herkunft, waehrend uebrigens selbst die des unfreien Nichtjuden und des Proselyten nach wie vor fuer alle dabei Beteiligten die Strafe der Kastration nach sich ziehen sollte. Dies war insofern auch von politischer Wichtigkeit, als dadurch der foermliche Uebertritt zum Judentum ein strafbares Verbrechen wurde; und wahrscheinlich ist das Verbot eben in diesem Sinne nicht erlassen, aber aufrecht erhalten worden ^40. Zu dem schroffen Abschliessen der Judenschaft gegen die Nichtjuden wird dasselbe das seinige beigetragen haben. ---------------------------------------------------- ^39 Die analoge Behandlung der Kastration in dem Hadrianischen Erlass Dig. 48, 8, 4, 2 und der Beschneidung bei Paulus sent. 5, 22, 3; 4 und Mod. dig. 48, 8, 11 pr. legen diese Auffassung nahe. Auch dass Severus ludaeos fieri sub gravi poena vetuit (vita 17), wird wohl nichts sein als die Einschaerfung dieses Verbots. ^40 Die merkwuerdige Nachricht bei Origenes (c. Cels. 2, 13; geschrieben um 250) zeigt, dass die Beschneidung des Nichtjuden von Rechts wegen die Todesstrafe nach sich zog, obwohl es nicht klar ist, inwiefern dies auf Samariter oder Sicarier Anwendung fand. ---------------------------------------------------- Blicken wir zurueck auf die Geschichte des Judentums in der Epoche von Augustus bis auf Diocletian, so erkennen wir eine durchgreifende Umgestaltung seines Wesens wie seiner Stellung. Dasselbe tritt in diese Epoche ein als eine um das beschraenkte Heimatland fest geschlossene nationale und religioese Macht, welche selbst dem Reichsregiment in und ausserhalb Judaea mit der Waffe in der Hand sich entgegenstellt und auf dem Gebiet des Glaubens eine gewaltige propagandistische Macht entwickelt. Man kann es verstehen, dass die roemische Regierung die Verehrung des Jahve und den Glauben des Moses nicht anders dulden wollte, als wie auch der Kultus des Mithra und der Glaube des Zornaster Duldung fand. Die Reaktion gegen dies geschlossene und auf sich selbst stehende Judentum waren die von Vespasian und Hadrian gegen das juedische Land, von Traianus gegen die Juden der Diaspora gefuehrten zerschmetternden Schlaege, deren Wirkung weit hinaus reicht ueber die unmittelbare Zerstoerung der bestehenden Gemeinschaft und die Herabdrueckung des Ansehens und der Macht der Judenschaft. In der Tat sind das spaetere Christentum wie das spaetere Judentum die Konsequenzen dieser Reaktion des Westens gegen den Osten. Die grosse propagandistische Bewegung, welche die tiefere religioese Anschauung vom Osten in den Westen trug, ward auf diese Weise, wie schon gesagt ward, aus den engen Schranken der juedischen Nationalitaet befreit; wenn sie die Anlehnung an Moses und die Propheten keineswegs aufgab, loeste sie sich doch notwendig von dem in Scherben gegangenen Regiment der Pharisaeer. Die christlichen Zukunftsideale wurden universell, seit es ein Jerusalem auf Erden nicht mehr gab. Aber wie der erweiterte und vertiefte neue Glaube, der mit seinem Wesen auch den Namen wechselte, aus diesen Katastrophen hervorging, so nicht minder die verengte und verstockte Altglaeubigkeit, die sich, wenn nicht mehr in Jerusalem, so in dem Hass gegen diejenigen zusammenfand, die dasselbe zerstoert hatten, und mehr noch in dem gegen die freiere und hoehere aus dem Judentum das Christentum entwickelnde geistige Bewegung. Die aeussere Macht der Judenschaft war gebrochen und Erhebungen, wie sie in der mittleren Kaiserzeit stattgefunden haben, begegnen spaeterhin nicht wieder; mit dem Staat im Staate waren die roemischen Kaiser fertiggeworden, und indem das eigentlich gefaehrliche Moment, die propagandistische Ausbreitung, auf das Christentum ueberging, waren die Bekenner des alten Glaubens, die dem neuen Bunde sich verschlossen, fuer die weitere allgemeine Entwicklung beseitigt. Aber wenn die Legionen Jerusalem zerstoeren konnten, das Judentum selbst konnten sie nicht schleifen; und was nach der einen Seite Heilmittel war, uebte nach der andern die Wirkung des Giftes. Das Judentum blieb nicht bloss, sondern es ward auch ein anderes. Es liegt eine tiefe Kluft zwischen dem Judentum der aelteren Zeit, das fuer seinen Glauben Propaganda macht, dessen Tempelvorhof die Heiden erfuellen, dessen Priester taeglich fuer Kaiser Augustus opfern, und dem starren Rabbinismus, der ausser Abrahams Schoss und dem mosaischen Gesetz von der Welt nichts weiss noch wissen will. Fremde waren die Juden immer gewesen und hatten es sein wollen; aber das Gefuehl der Entfremdung steigerte sich jetzt in ihnen selbst wie gegen sie in entsetzlicher Weise, und schroff zog man nach beiden Seiten hin dessen gehaessige und schaedliche Konsequenzen. Von dem geringschaetzigen Spott des Horatius gegen den aufdringlichen Juden aus dem roemischen Ghetto ist ein weiter Schritt zu dem feierlichen Groll, welchen Tacitus hegt gegen diesen Abschaum des Menschengeschlechts, dem alles Reine unrein und alles Unreine rein ist; dazwischen liegen jene Aufstaende des verachteten Volkes und die Notwendigkeit dasselbe zu besiegen und fuer seine Niederhaltung fortwaehrend Geld und Menschen aufzuwenden. Die in den kaiserlichen Verordnungen stets wiederkehrenden Verbote der Misshandlung des Juden zeigen, dass jene Worte der Gebildeten, wie billig, von den Niederen in Taten uebersetzt wurden. Die Juden ihrerseits machten es nicht besser. Sie wendeten sich ab von der hellenischen Literatur, die jetzt als befleckend galt, und lehnten sogar sich auf gegen den Gebrauch der griechischen Bibeluebersetzung; die immer steigende Glaubensreinigung wandte sich nicht bloss gegen die Griechen und die Roemer, sondern ebensosehr gegen die "halben Juden" von Samaria und gegen die christlichen Ketzer; die Buchstabenglaeubigkeit gegenueber den heiligen Schriften stieg bis in die schwindelnde Hoehe der Absurditaet, und vor allem stellte ein womoeglich noch heiligeres Herkommen sich fest, in dessen Fesseln alles Leben und Denken erstarrte. Die Kluft zwischen jener Schrift vom Erhabenen, die den Land und Meer erschuetternden Poseidon Homers und den die leuchtende Sonne erschaffenden Jehova nebeneinander zu stellen wagt, und den Anfaengen des Talmud, welche dieser Epoche angehoeren, bezeichnet den Gegensatz zwischen dem Judentum des ersten und dem des dritten Jahrhunderts. Das Zusammenleben der Juden und Nichtjuden erwies sich mehr und mehr als ebenso unvermeidlich wie unter den gegebenen Verhaeltnissen unertraeglich; der Gegensatz in Glaube, Recht und Sitte verschaerfte sich, und die gegenseitige Hoffart wie der gegenseitige Hass wirkten nach beiden Seiten hin sittlich zerruettend. Die Ausgleichung wurde in diesen Jahrhunderten nicht bloss nicht gefoerdert, sondern ihre Verwirklichung immer weiter in die Ferne gerueckt, je mehr ihre Notwendigkeit sich herausstellte. Diese Erbitterung, diese Hoffart, diese Verachtung, wie sie damals sich festsetzten, sind freilich nur das unvermeidliche Aufgehen einer vielleicht nicht minder unvermeidlichen Saat; aber die Erbschaft dieser Zeiten lastet auf der Menschheit noch heute. 12. Kapitel Aegypten Die beiden Reiche von Aegypten und Syrien, die so lange in jeder Hinsicht miteinander gerungen und rivalisiert hatten, fielen ungefaehr um die gleiche Zeit widerstandslos in die Gewalt der Roemer. Wenn dieselben auch von dem angeblichen oder wirklichen Testament Alexanders II. (+ 673 81) keinen Gebrauch machten und das Land damals nicht einzogen, so standen doch die letzten Herrscher des Lagidenhauses anerkanntermassen in roemischer Klientel; bei Thronstreitigkeiten entschied der Senat, und seit der roemische Statthalter von Syrien, Aulus Gabinius, den Koenig Ptolemaeos Auletes mit seinen Truppen nach Aegypten zurueckgefuehrt hatte (699 55; vgl. 4, 160), haben die roemischen Legionen das Land nicht wieder verlassen. Wie die uebrigen Klientelkoenige nahmen auch die Herrscher Aegyptens an den Buergerkriegen auf Mahnung der von ihnen anerkannten oder ihnen mehr imponierenden Regierung teil; und wenn es unentschieden bleiben muss, welche Rolle Antonius in dem phantastischen Ostreich seiner Traeume dem Heimatland des allzu sehr von ihm geliebten Weibes zugedacht hat, so gehoert doch Antonius’ Regiment in Alexandreia sowohl wie der letzte Kampf in dem letzten Buergerkrieg vor den Toren dieser Stadt ebensowenig zu der Spezialgeschichte Aegyptens wie die Schlacht von Aktion zu der von Epirus. Wohl aber gab diese Katastrophe und der damit verknuepfte Tod der letzten Fuerstin der Lagidendynastie den Anlass dazu, dass Augustus den erledigten Thron nicht wieder besetzte, sondern das Koenigreich Aegypten in eigene Verwaltung nahm. Diese Einziehung des letzten Stueckes der Kueste des Mittelmeeres in die unmittelbare roemische Administration und der zeitlich und pragmatisch damit zusammenfallende Abschluss der neuen Monarchie bezeichnen dieser fuer die Verfassung, jene fuer die Verwaltung des ungeheuren Reiches den Wendepunkt, das Ende der alten und den Anfang einer neuen Epoche. Die Einverleibung Aegyptens in das Roemische Reich vollzog sich insofern in abweichender Weise, als das sonst den Staat beherrschende Prinzip der Dyarchie, das heisst des gemeinschaftlichen Regiments der beiden hoechsten Reichsgewalten, des Prinzeps und des Senats, von einigen untergeordneten Bezirken abgesehen, allein auf Aegypten keine Anwendung fand, sondern in diesem Lande ^1 dem Senat als solchem sowie jedem einzelnen seiner Mitglieder jede Beteiligung bei dem Regiment abgeschnitten, ja sogar den Senatoren und den Personen senatorischen Ranges das Betreten dieser Provinz untersagt ward ^2. Man darf dies nicht etwa in der Art auffassen, als waere Aegypten mit dem uebrigen Reich nur durch eine Personalunion verknuepft; der Prinzeps ist nach dem Sinn und Geist der Augustischen Ordnung ein integrierendes und dauernd funktionierendes Element des roemischen Staatswesens ebenso wie der Senat, und seine Herrschaft ueber Aegypten geradeso ein Teil der Reichsherrschaft wie die Herrschaft des Prokonsuls von Afrika ^3. Eher mag man sich das staatsrechtliche Verhaeltnis in der Weise verdeutlichen, dass das britische Reich in derselben Verfassung sich befinden wuerde, wenn Ministerium und Parlament nur fuer das Mutterland in Betracht kaemen, die Kolonien dagegen dem absoluten Regiment der Kaiserin von Indien zu gehorchen haetten. Welche Motive den neuen Monarchen dazu bestimmten, gleich im Beginn seiner Alleinherrschaft diese tief einschneidende und zu keiner Zeit angefochtene Einrichtung zu treffen und wie dieselbe in die allgemeinen politischen Verhaeltnisse eingegriffen hat, gehoert der allgemeinen Geschichte des Reiches an; hier haben wir darzulegen, wie unter der Kaiserherrschaft die inneren Verhaeltnisse Aegyptens sich gestalteten. -------------------------------------------------------- ^1 Diesen Ausschluss des Mitregiments des Senats wie der Senatoren bezeichnet Tacitus (hist. 1, 11) mit den Worten, dass Augustus Aegypten ausschliesslich durch seine persoenlichen Diener verwalten lassen wollte (domi retinere; vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 963). Prinzipiell gilt diese abweichende Gestaltung des Regiments fuer die saemtlichen nicht von Senatoren verwalteten Provinzen, deren Vorsteher auch anfaenglich vorzugsweise praefecti hiessen (CIL V, p. 809, 902). Aber bei der ersten Teilung der Provinzen zwischen Kaiser und Senat gab es deren wahrscheinlich keine andere als eben Aegypten; und auch nachher trat der Unterschied hier insofern schaerfer hervor, als die saemtlichen uebrigen Provinzen dieser Kategorie keine Legionen erhielten. Denn in dem Eintreten der ritterlichen Legionskommandanten statt der senatorischen, wie es in Aegypten Regel war, findet der Ausschluss des Senatorenregiments den greifbarsten Ausdruck. ^2 Diese Bestimmung gilt nur fuer Aegypten, nicht fuer die uebrigen von Nichtsenatoren verwalteten Gebiete. Wie wesentlich sie der Regierung erschien, erkennt man aus dem zu ihrer Sicherung aufgebotenen konstitutionellen und religioesen Apparat (vit. trig. tyr. c. 22). ^3 Die gangbare Behauptung, dass provincia fuer die nicht von Senatoren verwalteten Distrikte nur abusiv gesetzt werde, ist nicht begruendet. Privateigentum des Kaisers war Aegypten ebensosehr oder ebensowenig wie Gallien und Syrien - sagt doch Augustus selber (Mon. Ancyr. 5, 24): Aegyptum imperio populi Romani adieci und legte dem Statthalter, da er als Ritter nicht pro praetore sein konnte, durch besonderes Gesetz die gleiche prozessualische Kompetenz bei, wie sie die roemischen Praetoren hatten (Tac. ann. 12, 60). -------------------------------------------------------- Was im allgemeinen von allen hellenischen oder hellenisierten Gebieten gilt, dass die Roemer, indem sie sie zum Reiche zogen, die einmal bestehenden Einrichtungen konservierten und nur, wo es schlechterdings notwendig erschien, Modifikationen eintreten liessen, das findet in vollem Umfang Anwendung auf Aegypten. Wie Syrien so war Aegypten, als es roemisch ward, ein Land zwiefacher Nationalitaet; auch hier stand neben und ueber dem Einheimischen der Grieche, jener der Knecht, dieser der Herr. Aber rechtlich und tatsaechlich waren die Verhaeltnisse der beiden Nationen in Aegypten von denen Syriens voellig verschieden. Syrien stand wesentlich schon in der vorroemischen und durchaus in der roemischen Epoche nur mittelbar unter der Landesregierung; es zerfiel teils in Fuerstentuemer, teils in autonome Stadtbezirke und wurde zunaechst von den Landesherren oder Gemeindebehoerden verwaltet. In Aegypten ^4 dagegen gibt es weder Landesfuersten noch Reichsstaedte nach griechischer Art. Die beiden Verwaltungskreise, in welche Aegypten zerfaellt, das "Land" (/e/ ch/o/ra) der Aegypter mit seinen urspruenglich sechsunddreissig Bezirken (nomoi) und die beiden griechischen Staedte Alexandreia in Unterund Ptolemais in Oberaegypten ^5 sind streng gesondert und scharf sich entgegengesetzt und doch eigentlich kaum verschieden. Der Landwie der Stadtbezirk ist nicht bloss territorial abgegrenzt, sondern jener wie dieser auch Heimatbezirk; die Zugehoerigkeit zu einem jeden ist unabhaengig vom Wohnort und erblich. Der Aegypter aus dem chemmitischen Nomos gehoert demselben mit den Seinigen ebenso an, wenn er seinen Wohnsitz in Alexandreia hat, wie der in Chemmis wohnende Alexandriner der Buergerschaft von Alexandreia. Der Landbezirk hat zu seinem Mittelpunkt immer eine staedtische Ansiedlung, der chemmitische zum Beispiel die um den Tempel des Chemmis oder des Pan erwachsene Stadt Panopolis, oder, wie dies in griechischer Auffassung ausgedrueckt wird, es hat jeder Nomos seine Metropolis; insofern kann jeder Landbezirk auch als Stadtbezirk gelten. Wie die Staedte sind auch die Nomen in der christlichen Epoche die Grundlage der episkopalen Sprengel geworden. Die Landbezirke ruhen auf den in Aegypten alles beherrschenden Kultusordnungen; Mittelpunkt fuer einen jeden ist das Heiligtum einer bestimmten Gottheit und gewoehnlich fuehrt er von dieser oder von dem heiligen Tier derselben den Namen; so heisst der chemmitische Bezirk nach dem Gott Chemmis oder nach griechischer Gleichung dem Pan, andere Bezirke nach dem Hund, dem Loewen, dem Krokodil. Aber auch umgekehrt fehlt den Stadtbezirken der religioese Mittelpunkt nicht; Alexandreias Schutzgott ist Alexander, der Schutzgott von Ptolemais der erste Ptolemaeos, und die Priester, die dort wie hier fuer diesen Kult und den ihrer Nachfolger eingesetzt sind, sind fuer beide Staedte die Eponymen. Dem Landbezirk fehlt voellig die Autonomie: die Verwaltung, die Besteuerung, die Rechtspflege liegen in der Hand der koeniglichen Beamten ^6 und die Kollegialitaet, das Palladium des griechischen wie des roemischen Gemeinwesens, ist hier in allen Stufen schlechthin ausgeschlossen. Aber in den beiden griechischen Staedten ist es auch nicht viel anders. Es gibt wohl eine in Phylen und Demen eingeteilte Buergerschaft, aber keinen Gemeinderat ^7; die Beamten sind wohl andere und anders benannte als die der Nomen, aber auch durchaus Beamte koeniglicher Ernennung und ebenfalls ohne kollegialische Einrichtung. Erst Hadrian hat einer aegyptischen Ortschaft, dem von ihm zum Andenken an seinen im Nil ertrunkenen Liebling angelegten Antinoopolis, Stadtrecht nach griechischer Art gegeben und spaeterhin Severus, vielleicht ebensosehr den Antiochenern zum Trutz als zu Nutz der Aegypter, der Hauptstadt Aegyptens und der Stadt Ptolemais und noch mehreren anderen aegyptischen Gemeinden zwar keine staedtischen Magistrate, aber doch einen staedtischen Rat bewilligt. Bis dahin nennt sich zwar im offiziellen Sprachgebrauch die aegyptische Stadt Nomos, die griechische Polis, aber eine Polis ohne Archonten und Buleuten ist ein inhaltloser Name. So ist es auch in der Praegung. Die aegyptischen Nomen haben das Praegerecht nicht gehabt; aber noch weniger hat Alexandreia jemals Muenzen geschlagen. Aegypten ist unter allen Provinzen der griechischen Reichshaelfte die einzige, welche keine andere Muenze als Koenigsmuenze kennt. Auch in roemischer Zeit war dies nicht anders. Die Kaiser stellten die unter den letzten Lagiden eingerissenen Missbraeuche ab: Augustus beseitigte die unreelle Kupferpraegung derselben, und als Tiberius die Silberpraegung wieder aufnahm, gab er dem aegyptischen Silbergeld ebenso reellen Wert wie dem uebrigen Provinzialcourant des Reiches ^8. Aber der Charakter der Praegung blieb im wesentlichen der gleiche ^9. Es ist ein Unterschied zwischen Nomos und Polis wie zwischen dem Gott Chemmis und dem Gott Alexander; in administrativer Hinsicht ist eine Verschiedenheit nicht da. Aegypten bestand aus einer Mehrzahl aegyptischer und einer Minderzahl griechischer Ortschaften, welche saemtlich der Autonomie entbehrten und saemtlich unter unmittelbarer und absoluter Verwaltung des Koenigs und der von diesem ernannten Beamten standen. ------------------------------------------------------------- ^4 Selbstverstaendlich ist hier das Land Aegypten gemeint, nicht die den Lagiden unterworfenen Besitzungen. Kyrene war aehnlich geordnet. Aber auf das suedliche Syrien und die uebrigen, laengere oder kuerzere Zeit in aegyptischer Gewalt stehenden Territorien ist das eigentlich aegyptische Regiment niemals angewandt worden. ^5 Dazu kommt weiter Naukratis, die aelteste schon vor den Ptolemaeern in Aegypten gegruendete Griechenstadt; ferner Paraetonion, das freilich gewissermassen schon ausserhalb der Grenzen Aegyptens liegt. ^6 Eine gewisse gemeinschaftliche Aktion, aehnlich derjenigen; wie sie auch von den Regionen und den vici der sich selbst verwaltenden Stadtgemeinden geuebt wird hat natuerlich nicht gefehlt: dahin gehoert, was von Agoranomie und Gymnasiarchie in den Nomen begegnet, ebenso die Setzung von Ehrendenkmaelern und dergleichen mehr, was uebrigens alles nur in geringem Umfang und meist erst spaet sich zeigt. Nach dem Edikt des Alexander (CIG 4957, Z. 34) scheinen die Strategen von dem Statthalter nicht eigentlich ernannt, sondern nur nach angestellter Pruefung bestaetigt worden zu sein; wer den Vorschlag gehabt hat, wissen wir nicht. ^7 Deutlich treten die Verhaeltnisse hervor in der im Anfang der Regierung des Pius dem bekannten Redner Aristeides von den aegyptischen Griechen gesetzten Inschrift (CIG 4679); als Dedikanten werden genannt /e/ polis t/o/n Alexandre/o/n kai Ermo?polis /e/ megal/e/ kai /e/ boyl/e/ /e/ Antinoe/o/n ne/o/n Ell/e/n/o/n kai oi en t/o/ Delta t/e/s Aig?ptoy kai oi ton TH/e/baikon nomon oiko?ntes Ell/e/nes.. Also nur Antinoopolis, die Stadt der "neuen Hellenen", hat eine Bule; Alexandreia erscheint ohne diese, aber als griechische Stadt in der Gesamtheit. Ausserdem beteiligten sich bei dieser Widmung die im Delta und die in Thebae lebenden Griechen, von den aegyptischen Staedten einzig Gross- Hermopolis, wobei wahrscheinlich die unmittelbare Nachbarschaft von Antinoopolis eingewirkt hat. Ptolemais legt Strabon (17, 1, 42 p. 813) ein s?st/e/ma politikon en t/o/ Ell/e/nik/o/ trop/o/ bei; aber schwerlich darf man dabei an mehr denken, als was der Hauptstadt nach ihrer uns genauer bekannten Verfassung zustand, also namentlich an die Teilung der Buergerschaft in Phylen. Dass die vorptolemaeische Griechenstadt Naukratis die Bule, die sie ohne Zweifel gehabt hat, in ptolemaeischer Zeit behalten hat, ist moeglich, kann aber fuer die Ptolemaeischen Ordnungen nicht entscheiden. Dios Angabe (51, 17), dass Augustus die uebrigen aegyptischen Staedte bei ihrer Ordnung beliess, den Alexandrinern aber wegen ihrer Unzuverlaessigkeit den Gemeinderat nahm, beruht wohl auf Missverstaendnis, um so mehr, als danach Alexandreia zurueckgesetzt erscheint gegen die sonstigen aegyptischen Gemeinden, was durchaus nicht zutrifft. ^8 Die aegyptische Goldpraegung hoerte natuerlich mit der Einziehung des Landes auf, da es im Roemischen Reiche nur Reichsgold gibt. Auch mit dem Silber hat Augustus es ebenso gehalten und als Herr von Aegypten lediglich Kupfer und auch dies nur in maessigen Quantitaeten schlagen lassen. Zuerst Tiberius praegte seit 27/28 n. Chr. Silbermuenze fuer die aegyptische Zirkulation, dem Anschein nach als Zeichengeld, da die Stuecke ungefaehr dem Gewicht nach 4, dem Silbergehalt nach 1 roemischen Denar entsprechen (Feuardent, Numismatique de la Egypte ancienne. Bd. 2, S. XI). Aber da im legalen Kurs die alexandrinische Drachme als Obolus (also als Sechstel, nicht als Viertel; vergleiche Roemisches Muenzwesen, S. 43, 723) des roemischen Denars angesetzt wurde (Hermes 5, 1870, S. 136) und das provinziale Silber gegenueber dem Reichssilber immer verlor, ist vielmehr das alexandrinische Tetradrachmon vom Silberwert eines Denars zum Kurswert von 2s Denar angesetzt worden. Demnach ist bis auf Commodus, von wo ab das alexandrinische Tetradrachmon wesentlich Kupfermuenze ist, dasselbe gerade ebenso Wertmuenze gewesen wie das syrische Tetradrachmon und die kappadokische Drachme; man hat nur jenem den alten Namen und das alte Gewicht gelassen. ^9 Dass Kaiser Hadrianus unter anderen seiner aegyptisierenden Launen auch den Nomen so wie seiner neuen Antinoopolis fuer einmal das Praegerecht gab, was dann nachher noch ein paar Mal geschehen ist, aendert an der Regel nichts. ------------------------------------------------------------- Es war hiervon eine Folge, dass Aegypten allein unter allen roemischen Provinzen keine allgemeine Vertretung gehabt hat. Der Landtag ist die Gesamtrepraesentation der sich selber verwaltenden Gemeinden der Provinz. In Aegypten aber gab es solche nicht; die Nomen waren lediglich kaiserliche oder vielmehr koenigliche Verwaltungsbezirke, und Alexandreia stand nicht bloss so gut wie allein, sondern war ebenfalls ohne eigentliche munizipale Organisation. Der an der Spitze der Landeshauptstadt stehende Priester konnte wohl sich "Oberpriester von Alexandreia und ganz Aegypten" nennen und hat eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Asiarchen und dem Bithyniarchen Kleinasiens; aber die tiefe Verschiedenheit der Organisationen wird dadurch doch nur verdeckt. Die Herrschaft traegt dementsprechend in Aegypten einen ganz anderen Charakter als in dem uebrigen schliesslich unter dem Kaiserregiment zusammengefassten Gebiet der griechischen und der roemischen Zivilisation. In diesem verwaltet durchgaengig die Gemeinde; der Herrscher des Reiches ist genau genommen nur der gemeinsame Vorsteher der zahlreichen mehr oder minder autonomen Buergerschaften, und neben den Vorzuegen der Selbstverwaltung treten ihre Nachteile und Gefahren ueberall hervor. In Aegypten ist der Herrscher Koenig, der Landesbewohner sein Untertan, die Verwaltung die der Domaene. Diese prinzipiell ebenso von oben herab absolut gefuehrte wie auf das gleiche Wohlergehen aller Untertanen ohne Unterschied des Ranges und des Vermoegens gerichtete Verwaltung ist die Eigenart des Lagidenregiments, entwickelt wahrscheinlich mehr aus der Hellenisierung der alten Pharaonenherrschaft als aus der staedtisch geordneten Weltherrschaft, wie der grosse Makedonier sie gedacht hatte und wie sie am vollkommensten in dem syrischen Neu-Makedonien zur Durchfuehrung gelangte. Das System forderte einen in eigener Person nicht bloss heerfuehrenden, sondern in taeglicher Arbeit verwaltenden Koenig, eine entwickelte und streng disziplinierte Beamtenhierarchie, ruecksichtslose Gerechtigkeit gegen Hohe und Niedere; und wie diese Herrscher, nicht durchaus ohne Grund, sich wohl den Namen des Wohltaeters (eyerget/e/s) beilegten, so darf die Monarchie der Lagiden zusammengestellt werden mit der friderizianischen, von der sie in den Grundzuegen sich nicht entfernte. Allerdings hatte die Kehrseite, das unvermeidliche Zusammenbrechen des Systems in unfaehiger Hand, auch Aegypten erfahren. Aber die Norm blieb; und der augustische Prinzipat neben der Senatsherrschaft ist nichts als die Vermaehlung des Lagidenregiments mit der alten staedtischen und buendischen Entwicklung. Eine weitere Folge dieser Regierungsform ist die namentlich vom finanziellen Standpunkt aus unzweifelhafte Ueberlegenheit der aegyptischen Verwaltung ueber diejenige der uebrigen Provinzen. Man kann die vorroemische Epoche bezeichnen als das Ringen der finanziell dominierenden Macht Aegyptens mit dem raeumlich den uebrigen Osten erfuellenden asiatischen Reich; in der roemischen setzt sich dies in gewissem Sinn darin fort, dass die kaiserlichen Finanzen insbesondere durch den ausschliesslichen Besitz Aegyptens denen des Senats ueberlegen gegenueberstehen. Wenn es der Zweck des Staates ist, den moeglichst grossen Betrag aus dem Gebiet herauszuwirtschaften, so sind in der alten Welt die Lagiden die Meister der Staatskunst schlechthin gewesen. Insonderheit waren sie auf diesem Gebiet die Lehrmeister und die Vorbilder der Caesaren. Wie viel die Roemer aus Aegypten zogen, vermoegen wir nicht mit Bestimmtheit zu sagen. In der persischen Zeit hatte Aegypten einen Jahrestribut von 700 babylonischen Talenten Silbers, etwa 4 Mill. Mark entrichtet; die Jahreseinnahme der Ptolemaeer aus Aegypten oder vielmehr aus ihren Besitzungen ueberhaupt betrug in ihrer glaenzendsten Periode 12800 aegyptische Silbertalente oder 57 Mill. Mark und ausserdem 1« Mill. Artaben = 591000 Hektoliter Weizen; am Ende ihrer Herrschaft reichlich 6000 Talente oder 23 Mill. Mark. Die Roemer bezogen aus Aegypten jaehrlich den dritten Teil des fuer den Konsum von Rom erforderlichen Korns, 20 Mill. roemische Scheffel ^10 = 1740000 Hektoliter; indes ist ein Teil davon sicher aus den eigentlichen Domaenen geflossen, ein anderer vielleicht gegen Entschaedigung geliefert worden, waehrend andererseits die aegyptischen Steuern wenigstens zu einem grossen Teil in Geld angesetzt waren, so dass wir nicht imstande sind, die aegyptische Einnahme der roemischen Reichskasse auch nur annaehernd zu bestimmen. Aber nicht bloss durch ihre Hoehe ist sie fuer die roemische Staatswirtschaft von entscheidender Bedeutung gewesen, sondern weil sie als Vorbild diente zunaechst fuer den kaiserlichen Domanialbesitz in den uebrigen Provinzen, ueberhaupt aber fuer die gesamte Reichsverwaltung, wie dies bei deren Darlegung auseinanderzusetzen ist. --------------------------------------------- ^10 Diese Ziffer gibt die sogenannte Epitome Victors c. 1 fuer die Zeit Augusts. Nachdem diese Abgabe auf Konstantinopel uebergegangen war, gingen dahin unter Justinian (ed. 13 c. 8) jaehrlich 8 Mill. Artaben (denn diese sind nach c. 6 zu verstehen) oder 26 2/3 Mill. roemischer Scheffel (Hultsch, Metrologie, S. 628), wozu dann noch die von Diocletian eingefuehrte gleichartige Abgabe an die Stadt Alexandreia hinzutritt. Den Schiffern wurden fuer den Transport nach Konstantinopel jaehrlich 8000 Solidi = 100000 Mark aus der Staatskasse gezahlt. --------------------------------------------- Aber wenn die kommunale Selbstverwaltung in Aegypten keine Staette hat und in dieser Hinsicht zwischen den beiden Nationen, aus welchen dieser Staat ebenso wie der syrische sich zusammensetzt, eine reale Verschiedenheit nicht besteht, so ist zwischen ihnen in anderer Beziehung eine Schranke aufgerichtet, wozu Syrien keine Parallele bietet. Nach der Ordnung der makedonischen Eroberer disqualifizierte die aegyptische Ortsangehoerigkeit fuer saemtliche oeffentliche Aemter und fuer den besseren Kriegsdienst. Wo der Staat seinen Buergern Zuwendungen machte, beschraenkten sich diese auf die der griechischen Gemeinden ^11; die Kopfsteuer dagegen zahlten lediglich die Aegypter, und auch von den Gemeindelasten, die die Eingesessenen des einzelnen aegyptischen Bezirkes treffen, sind die daselbst ansaessigen Alexandriner befreit ^12. Obwohl im Fall des Vergehens der Ruecken des Aegypters wie des Alexandriners buesste, so durfte doch dieser sich ruehmen, und tat es auch, dass ihn der Stock treffe und nicht wie jenen die Peitsche ^13. Sogar die Gewinnung des besseren Buergerrechts war den Aegyptern untersagt ^14. Die Buergerverzeichnisse der zwei grossen von den beiden Reichsgruendern geordneten und benannten Griechenstaedte in Unterund Oberaegypten fassten die herrschende Bevoelkerung in sich, und der Besitz des Buergerrechts einer dieser Staedte war in dem Aegypten der Ptolemaeer dasselbe, was der Besitz des roemischen Buergerrechts im Roemischen Reich. Was Aristoteles dem Alexander empfahl, den Hellenen ein Herrscher (/e/gem/o/n), den Barbaren ein Herr zu sein, jene als Freunde und Genossen zu versorgen, diese wie die Tiere und die Pflanzen zu nutzen, das haben die Ptolemaeer in vollem Umfang praktisch durchgefuehrt. Der Koenig, groesser und freier als sein Lehrmeister, trug den hoeheren Gedanken im Sinne der Umwandlung der Barbaren in Hellenen oder wenigstens der Ersetzung der barbarischen Ansiedlungen durch hellenische, und diesem gewaehrten die Nachfolger fast ueberall und namentlich in Syrien breiten Spielraum ^15. In Aegypten geschah das gleiche nicht. Wohl suchten dessen Herrscher mit den Eingeborenen namentlich auf dem religioesen Gebiet Fuehlung zu halten und wollten nicht als Griechen ueber die Aegypter, viel eher als irdische Goetter ueber die Untertanen insgemein herrschen; aber damit vertrug sich die ungleiche Berechtigung der Untertanen durchaus, eben wie die rechtliche und faktische Bevorzugung des Adels ein ebenso wesentlicher Teil des friderizianischen Regiments war wie die gleiche Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe. ------------------------------------------ ^11 Wenigstens schloss Kleopatra bei einer Getreideverteilung in Alexandreia die Juden aus (Ios. c. Ap. 2, 5), um so viel mehr also die Aegypter. ^12 Das Edikt des Alexander (CIG 4957) Z. 33 f. befreit die en t/e/ ch/o/ra (nicht en t/e/ polei) ihrer Geschaefte wegen wohnhaften eggeneis Alexandreis von den leitoyrgiai ch/o/rikai. ^13 "Es bestehen", sagt der alexandrinische Jude Philon (in Flacc. 10), "hinsichtlich der koerperlichen Zuechtigung (t/o/n mastig/o/n) Unterschiede in unserer Stadt nach dem Stande der zu Zuechtigenden: die Aegypter werden mit anderer Geissel gezuechtigt und von anderen, die Alexandriner aber mit Stoecken (spathais; spath/e/ ist die Rispe des Palmblatts) und von den alexandrinischen Stocktraegern" (spath/e/phoroi, etwa bacillarius). Er beklagt sich nachher bitter, dass die Aeltesten seiner Gemeinde, wenn sie einmal gehauen werden sollten, nicht wenigstens mit den anstaendigen Buergerpruegeln (tais eleytheri/o/terais kai politik/o/terais mastixin) bedacht worden seien. ^14 Ios. c. Ap. 2, 4: monois Aigyptiois oi k?rioi n?n R/o/maioi t/e/s oikoymen/e/s metalambanein /e/stinoso?n politeias apeir/e/kasin. 6: Aegyptiis neque regum quisquam videtur ius civitatis fuisse largitus neque nunc quilibet imperatorum (vgl. Eph. epigr. V, p. 13). Derselbe rueckt seinem Widersacher vor (2, 3, 4), dass er, ein geborener Aegypter, seine Heimat verleugnet und sich fuer einen Alexandriner ausgegeben habe. Einzelausnahmen werden dadurch nicht ausgeschlossen. ^15 Auch die alexandrinische Wissenschaft hat im Sinne des Koenigs gegen diesen Satz (Plut. de fort. Alex. 1, 6) protestiert; Eratosthenes bezeichnete die Zivilisation als nicht den Hellenen allein eigen und nicht allen Barbaren abzusprechen, zum Beispiel nicht den Indern, den Arianern, den Roemern, den Karthagern; die Menschen seien vielmehr zu teilen in "gute" und "schlechte" (Strabon 1. fin. p. 66). Aber von dieser Theorie ist auf die aegyptische Rasse auch unter den Lagiden keine praktische Anwendung gemacht worden. ------------------------------------------ Wie die Roemer im Orient ueberhaupt das Werk der Griechen fortsetzten, so blieb auch die Ausschliessung der einheimischen Aegypter von der Gewinnung des griechischen Buergerrechts nicht bloss bestehen, sondern wurde auf das roemische Buergerrecht ausgedehnt. Der aegyptische Grieche dagegen konnte das letztere ebenso wie jeder andere Nichtbuerger gewinnen. Der Eintritt freilich in den Senat wurde ihm so wenig gestattet wie dem roemischen Buerger aus Gallien, und diese Beschraenkung ist viel laenger fuer Aegypten als fuer Gallien in Kraft geblieben ^16; erst im Anfang des dritten Jahrhunderts wurde in einzelnen Faellen davon abgesehen, und als Regel hat sie noch im fuenften gegolten. In Aegypten selbst wurden die Stellungen der Oberbeamten, das heisst der fuer die ganze Provinz fungierenden, und ebenso die Offizierstellen den roemischen Buergern in der Form vorbehalten, dass als Qualifikation dafuer das Ritterpferd verlangt ward; es war dies durch die allgemeine Reichsordnung gegeben, und aehnliche Privilegien hatten ja in Aegypten unter den frueheren Lagiden die Makedonier gegenueber den sonstigen Griechen besessen. Die Aemter zweiten Ranges blieben unter roemischer Herrschaft wie bisher den aegyptischen Aegyptern verschlossen und wurden mit Griechen besetzt, zunaechst den Buergern von Alexandreia und Ptolemais. Wenn im Reichskriegsdienst fuer die erste Klasse das roemische Buergerrecht gefordert wurde, so liess man doch bei den in Aegypten selbst stationierten Legionen auch den aegyptischen Griechen nicht selten in der Weise zu, dass ihm bei der Aushebung das roemische Buergerrecht verliehen ward. Fuer die Kategorie der Auxiliartruppen unterlag die Zulassung der Griechen keiner Beschraenkung; die Aegypter aber sind auch hierfuer wenig oder gar nicht, dagegen fuer die unterste Klasse, die in der ersten Kaiserzeit noch aus Sklaven gebildete Flottenmannschaft, spaeterhin in betraechtlicher Zahl verwendet worden. Im Lauf der Zeit hat die Zuruecksetzung der eingeborenen Aegypter wohl in ihrer Strenge nachgelassen und sind dieselben oefter zum griechischen und mittels dessen auch zum roemischen Buergerrecht gelangt; im ganzen aber ist das roemische Regiment einfach die Fortsetzung wie der griechischen Herrschaft so auch der griechischen Exklusivitaet gewesen. Wie das makedonische Regiment sich mit Alexandreia und Ptolemais begnuegt hatte, so hat auch das roemische einzig in dieser Provinz nicht eine einzige Kolonie gegruendet ^17. --------------------------------------------- ^16 Auch die Zulassung zu den ritterlichen Stellungen war wenigstens erschwert: non est ex albo iudex patre Aegyptio (CIL IV, 1943; vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 919, A. 2; Eph. epigr. V, p. 13 n. 2). Doch begegnen frueh einzelne Alexandriner in ritterlichen Aemtern wie Tiberius Julius Alexander (Anm. 21). ^17 Wenn die Worte des Plinius (nat. 5, 31, 128) genau sind, dass die Pharos-Insel vor dem Hafen von Alexandreia eine colonia Caesaris dictatoris sei (vgl. 5, 221), so hat der Diktator auch hier ueber Aristoteles hinaus wie Alexander gedacht. Darueber aber kann kein Zweifel sein, dass nach der Einziehung Aegyptens es dort nie eine roemische Kolonie gegeben hat. --------------------------------------------- Auch die Sprachordnung ist in Aegypten wesentlich unter den Roemern geblieben, wie die Ptolemaeer sie festgestellt hatten. Abgesehen von dem Militaer, bei dem das Lateinische allein herrschte, ist fuer den Verkehr der oberen Stellen die Geschaeftssprache die griechische. Der einheimischen Sprache, die von den semitischen wie von den arischen Sprachen radikal verschieden, am naechsten vielleicht derjenigen der Berber in Nordafrika verwandt ist, und der einheimischen Schrift haben die roemischen Herrscher und ihre Statthalter sich nie bedient, und wenn schon unter den Ptolemaeern den aegyptisch geschriebenen Aktenstuecken griechische Uebersetzung beigefuegt werden musste, so gilt fuer diese ihre Nachfolger mindestens dasselbe. Allerdings blieb es den Aegyptern unverwehrt, soweit es ihnen nach dem Ritual erforderlich oder sonst zweckmaessig erschien, sich der Landessprache und ihrer altgeheiligten Schriftzeichen zu bedienen; es musste auch in diesem alten Heim des Schriftgebrauchs im gewoehnlichen Verkehr nicht bloss bei Privatkontrakten, sondern selbst bei Steuerquittungen und aehnlichen Schriftstuecken die dem grossen Publikum allein gelaeufige Landessprache und die uebliche Schrift zugelassen werden. Aber es war dies eine Konzession und der herrschende Hellenismus bemueht, sein Reich zu erweitern. Das Bestreben, den im Lande herrschenden Anschauungen und Ueberlieferungen auch im Griechischen einen allgemein gueltigen Ausdruck zu schaffen, hat der Doppelnamigkeit in Aegypten eine Ausdehnung gegeben wie nirgend sonst. Alle aegyptischen Goetter, deren Namen nicht selbst den Griechen gelaeufig wurden, wie der der Isis, wurden mit entsprechenden oder auch nicht entsprechenden griechischen geglichen; vielleicht die Haelfte der Ortschaften, eine Menge von Personen fuehren sowohl eine einheimische wie eine griechische Benennung. Allmaehlich drang hierin die Hellenisierung durch. Die alte heilige Schrift begegnet auf den erhaltenen Denkmaelern zuletzt unter Kaiser Decius um die Mitte des 3., ihre gelaeufigere Abart zuletzt um die Mitte des 5. Jahrhunderts; aus dem gemeinen Gebrauch sind beide betraechtlich frueher verschwunden. Die Vernachlaessigung und der Verfall der einheimischen Elemente der Zivilisation drueckt sich darin aus. Die Landessprache selbst behauptete sich noch lange nachher in den abgelegenen Orten und den niederen Schichten und ist erst im 17. Jahrhundert voellig erloschen, nachdem sie, die Sprache der Kopten, gleich wie die syrische, infolge der Einfuehrung des Christentums und der auf die Hervorrufung einer volkstuemlich-christlichen Literatur gerichteten Bemuehungen, in der spaeteren Kaiserzeit eine beschraenkte Regeneration erfahren hatte. In dem Regiment kommt vor allem in Betracht die Unterdrueckung des Hofes und der Residenz, die notwendige Folge der Einziehung des Landes durch Augustus. Es blieb wohl, was bleiben konnte. Auf den in der Landessprache, also bloss fuer Aegypter geschriebenen Inschriften heissen die Kaiser wie die Ptolemaeer Koenige von Oberund Unteraegypten und die Auserwaehlten der aegyptischen Landesgoetter, daneben freilich auch, was bei den Ptolemaeern nicht geschehen war, Grosskoenige ^18. Die Zeiten zaehlte man in Aegypten wie bisher nach dem landueblichen Kalender und seinem auf die roemischen Herrscher uebergehenden Koenigsjahr; den goldenen Becher, den in jedem Juni der Koenig in den schwellenden Nil warf, warf jetzt der roemische Vizekoenig. Aber damit reichte man nicht weit. Der roemische Herrscher konnte die mit seiner Reichsstellung unvereinbare Rolle des aegyptischen Koenigs nicht durchfuehren. Mit der Vertretung durch einen Untergebenen machte der neue Landesherr gleich bei dem ersten nach Aegypten gesandten Statthalter unbequeme Erfahrungen; der tuechtige Offizier und talentvolle Poet, der es nicht hatte lassen koennen, auch seinen Namen den Pyramiden einzuschreiben, wurde deswegen abgesetzt und ging daran zugrunde. Es war unvermeidlich, hier Schranken zu setzen. Die Geschaefte, deren Erledigung nach dem Alexandersystem nicht minder dem Fuersten persoenlich oblag ^19 wie nach der Ordnung des roemischen Prinzipats, mochte der roemische Statthalter fuehren wie der einheimische Koenig; Koenig durfte er weder sein noch scheinen ^20. Es ward das in der zweiten Stadt der Welt sicher tief und schwer empfunden. Der blosse Wechsel der Dynastie waere nicht allzu sehr ins Gewicht gefallen. Aber ein Hof wie der der Ptolemaeer, geordnet nach dem Zeremoniell der Pharaonen, Koenig und Koenigin in ihrer Goettertracht, der Pomp der Festzuege, der Empfang der Priesterschaften und der Gesandten, die Hofbankette, die grossen Zeremonien der Kroenung, der Eidesleistung, der Vermaehlung, der Bestattung, die Hofaemter der Leibwaechter und des Oberleibwaechters (archis/o/matoph?lax), des einfuehrenden Kammerherrn (eisanggele?s), des Obertafelmeisters (archedeatros), des Oberjaegermeisters (archikyn/e/gos), die Vettern und Freunde des Koenigs, die Dekorierten - das alles ging fuer die Alexandriner ein fuer alle Mal unter mit der Verlegung des Herrschersitzes vom Nil an den Tiber. Nur die beiden beruehmten alexandrinischen Bibliotheken blieben dort mit allem ihrem Zubehoer und Personal als Rest der alten koeniglichen Herrlichkeit. Ohne Frage buesste Aegypten bei der Depossedierung seiner Regenten sehr viel mehr ein als Syrien; freilich waren beide Voelkerschaften in der machtlosen Lage, dass sie hinnehmen mussten, was ihnen angesonnen ward, und an eine Auflehnung fuer die verlorene Weltmachtstellung ist hier so wenig wie dort auch nur gedacht worden. ------------------------------------------ ^18 Augustus’ Titulatur lautet bei den aegyptischen Priestern folgendermassen: "Der schoene Knabe, lieblich durch Liebenswuerdigkeit, der Fuerst der Fuersten, auserwaehlt von Ptah und Nun dem Vater der Goetter, Koenig von Oberaegypten und Koenig von Unteraegypten, Herr der beiden Laender, Autokrator, Sohn der Sonne, Herr der Diademe, Kaisar, ewig lebend, geliebt von Ptah und Isis"; wobei die beiden Eigennamen Autokrator Kaisar aus dem Griechischen beibehalten sind. Der Augustustitel kommt zuerst bei Tiberius in aegyptischer Uebersetzung (ntixu), mit beibehaltenem griechischem Sebastos zuerst unter Domitian vor. Die Titulatur des schoenen lieblichen Knaben, welche in besserer Zeit nur den zu Mitregenten erklaerten Kindern gegeben zu werden pflegt, ist spaeterhin stereotyp geworden und findet sich wie fuer Caesarion und Augustus, so auch fuer Tiberius, Claudius, Titus, Domitian verwendet. Wichtiger ist es, dass abweichend von der aelteren Titulatur, wie sie zum Beispiel griechisch auf der Inschrift von Rosette sich findet (CIG 4697), bei den Caesaren von Augustus an der Titel hinzutritt "Fuerst der Fuersten", womit ohne Zweifel deren, den frueheren Koenigen fehlende Grosskoenigstellung ausgedrueckt werden soll. ^19 Wenn die Leute wuessten, pflegte Koenig Seleukos zu sagen (Plus. an seni 11), was es fuer eine Last ist, so viele Briefe zu schreiben und zu lesen, so wuerden sie das Diadem, wenn es zu ihren Fuessen laege, nicht aufheben. ^20 Dass derselbe andere Abzeichen trug als die Offiziere ueberhaupt (Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S. 271), wird aus vita Hadr. 4 schwerlich gefolgert werden duerfen. ------------------------------------------ Die Verwaltung des Landes liegt, wie schon gesagt ward, in den Haenden des "Stellvertreters", das heisst des Vizekoenigs; denn obwohl der neue Landesherr, mit Ruecksicht auf seine Stellung im Reiche, sowohl fuer sich wie fuer seine hoeher gestellten Vertreter der koeniglichen Benennungen auch in Aegypten sich enthielt, so hat er doch der Sache nach durchaus als Nachfolger der Ptolemaeer die Herrschaft gefuehrt, und die gesamte zivile wie militaerische Obergewalt ist in seiner und seines Vertreters Hand vereinigt. Dass weder Nichtbuerger noch Senatoren diese Stellung bekleiden durften, ist schon bemerkt worden; Alexandrinern, wenn sie zum Buergerrecht und ausnahmsweise zum Ritterpferd gelangt waren, ist sie zuweilen uebertragen worden ^21. Im uebrigen stand dieses Amt unter den nicht senatorischen an Rang und Einfluss anfaenglich allen uebrigen voran und spaeterhin einzig der Kommandantur der kaiserlichen Garde nach. Ausser den eigentlichen Offizieren, wobei nur der Ausschluss des Senators und die dadurch bedingte niedrigere Titulatur des Legionskommandanten (praefectus statt legatus) von der allgemeinen Ordnung sich entfernt, fungieren neben und unter dem Statthalter und gleichfalls fuer ganz Aegypten ein oberster Beamter fuer die Justiz und ein oberster Finanzverwalter, beide ebenfalls roemische Buerger vom Ritterrang und, wie es scheint, nicht dem Verwaltungsschema der Ptolemaeer entlehnt, sondern nach einem auch in anderen kaiserlichen Provinzen angewandten Verfahren dem Statthalter zuund untergeordnet ^22. ------------------------------------------------- ^21 So hat Tiberius Julius Alexander, ein alexandrinischer Jude, in den letzten Jahren Neros diese Statthalterschaft gefuehrt; allerdings gehoerte er einer sehr reichen und vornehmen, selbst mit dem kaiserlichen Hause verschwaegerten Familie an und hatte im Partherkrieg sich als Generalstabschef Corbulos ausgezeichnet, welche Stellung er bald nachher in dem Juedischen Krieg des Titus abermals uebernahm. Er muss einer der tuechtigsten Offiziere dieser Epoche gewesen sein. Ihm ist die pseudo-aristotelische, offenbar von einem andern alexandrinischen Juden verfasste Schrift peri kosmo? gewidmet (J. Bernays, Gesammelte Abhandlungen. Bd. 2, S. 278). ^22 Unverkennbar sind der iuridicus Aegypti (CIL X, 6976; auch missus in Aegyptum ad iurisdictionem Bull. dell’ Inst. 1856, S. 142; iuridicus Alexandreae CIL VI, 1564; VIII, 8925, 8934; Dig. 1, 20, 2) und der idiologus ad Aegyptum (CIL X, 4862; procurator ducenarius Alexandriae idiulogu Eph. epigr. V, p. 30 und CIG 3751; o gn/o/m/o/n to? idioy logoy CIG 4957 v. 44 vgl. v. 39) den neben den Legaten der kaiserlichen Provinzen stehenden Hilfsbeamten fuer die Rechtspflege (legati iuridici) und die Finanzen (procuratores provinciae) nachgebildet (Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, 2. Aufl., S. 223, A. 5). Dass sie fuer das ganze Land bestellt und dem praefectus Aegypti untergeordnet waren, sagt Strabon (17, 1, 12 p. 797) ausdruecklich und fordert auch die oeftere Erwaehnung Aegyptens in der Titulatur sowie die Wendung in dem Edikt CIG 4957 v. 39. Ausschliesslich aber war ihre Kompetenz nicht; "viele Prozesse", sagt Strabon, "entscheidet der rechtsprechende Beamte" (dass es Vormuender gab, lehrt Dig. 1, 20, 2), und nach demselben liegt es dem Idiologos namentlich ob, die bona vacantia et caduca fuer den Fiskus einzuziehen. Dies schliesst nicht aus, dass der roemische iuridicus an die Stelle des aelteren Dreissigergerichts mit dem archidikast/e/s an der Spitze (Diodor 1, 75) getreten ist, welcher aegyptisch ist und nicht mit dem alexandrinischen archidikast/e/s verwechselt werden darf, uebrigens vielleicht schon vor der roemischen Zeit beseitigt worden ist, und dass der Idiologos hervorgegangen ist aus einem in Aegypten bestehenden Anrecht des Koenigs auf die Erbschaften, wie es im uebrigen Reiche in gleicher Ausdehnung nicht vorkam; welches letztere Lumbroso (Recherchen, S. 285) sehr wahrscheinlich gemacht hat. ------------------------------------------------- Alle uebrigen Beamten fungieren nur fuer einzelne Bezirke und sind in der Hauptsache aus der ptolemaeischen Ordnung uebernommen. Dass die Vorsteher der drei Provinzen Unter-, Mittelund Oberaegypten, abgesehen vom Kommando mit dem gleichen Geschaeftskreis, wie der Statthalter ausgestattet, in augustischer Zeit aus den aegyptischen Griechen, spaeterhin wie die eigentlichen Oberbeamten aus der roemischen Ritterschaft genommen wurden, ist bemerkenswert als ein Symptom der im Verlauf der Kaiserzeit sich steigernden Zurueckdraengung des einheimischen Elements in der Magistratur. Unter diesen oberen und mittleren Behoerden stehen die Lokalbeamten, die Vorsteher der aegyptischen wie der griechischen Staedte nebst den sehr zahlreichen, bei dem Hebungswesen und den mannigfaltigen, auf den Geschaeftsverkehr gelegten Abgaben beschaeftigten Subalternen und wieder in dem einzelnen Bezirk die Vorsteher der Unterbezirke und der Doerfer, welche Stellungen mehr als Lasten denn als Ehren angesehen und den Ortsangehoerigen oder Ortsansaessigen, jedoch mit Ausschluss der Alexandriner, durch den Oberbeamten auferlegt werden; die wichtigste darunter, die Vorstandschaft des Nomos, wird auf je drei Jahre von dem Statthalter besetzt. Die oertlichen Behoerden der griechischen Staedte waren der Anzahl wie der Titulatur nach andere; in Alexandreia namentlich fungierten vier Oberbeamten, der Priester Alexanders 23, der Stadtschreiber (thpomn/e/matographos) ^24, der Oberrichter (archidikast/e/s) und der Nachtwaechtermeister (nykterinos strat/e/gos). Dass sie angesehener waren als die Strategen der Nomen, versteht sich von selbst und zeigt deutlich das dem ersten alexandrinischen Beamten zustehende Purpurgewand. uebrigens ruehren sie ebenfalls aus der Ptolemaeerzeit her und werden wie die Nomenvorsteher aus den Eingesessenen von der roemischen Regierung auf Zeit ernannt. Roemische Beamte kaiserlicher Ernennung finden sich unter diesen staedtischen Vorstehern nicht. Aber der Priester des Museion, der zugleich der Praesident der alexandrinischen Akademie der Wissenschaften ist und auch ueber die bedeutenden Geldmittel dieser Anstalt verfuegt, wird vom Kaiser ernannt; ebenso werden die Aufsicht ueber das Alexandergrab und die damit verbundenen Baulichkeiten und einige andere wichtige Stellungen in der Hauptstadt Aegyptens von der Regierung in Rom mit Beamten von Ritterrang besetzt ^25. --------------------------------------------------- ^23 Der ek/e/g/e/t/e/s, nach Strabon (17, 1, 12 p. 797) der erste staedtische Beamte in Alexandreia unter den Ptolemaeern wie unter den Roemern und berechtigt, den Purpur zu tragen, ist sicher identisch mit dem Jahrpriester in dem Testament Alexanders des in solchen Dingen sehr wohl unterrichteten Alexanderromans (3, 33 p. 149 Mueller). Wie der Exegetes neben seiner wohl im religioesen Sinn zu fassenden Titulatur die epimeleia t/o/n t/e/ polei chr/e/sim/o/n hat, so ist jener Priester des Romans epimelist/e/s t/e/s pole/o/s. So wenig wie den Purpur und den goldenen Kranz wird der Romanschreiber auch die Besoldung von einem Talent und die Erblichkeit erfunden haben; die letztere, bei welcher auch Lumbroso (L’Egitto al tempo dei Greci e Romani. 1882, S. 152) an den ex/e/g/e/t/e/s enarchos der alexandrinischen Inschriften (CIG 4688, 4976 c) erinnert, ist vermutlich in der Weise zu denken, dass ein gewisser Kreis von Personen durch Erbrecht berufen war und der Statthalter aus diesen den Jahrpriester bestellte. Dieser Priester Alexanders (sowie der folgenden aegyptischen Koenige, nach dem Stein von Kanopos und dem von Rosette CIG 4697) war unter den frueheren Lagiden fuer die alexandrinischen Akte eponym, waehrend spaeter wie unter den Roemern dafuer die Koenigsnamen eintreten. Nicht verschieden von ihm ist wohl auch der "Oberpriester von Alexandreia und ganz Aegypten" einer stadtroemischen Inschrift aus hadrianischer Zeit (CIG 5900: archierei Alexandreias kai Aig?ptoy pas/e/s Deyki/o/ Ioyli/o/ Oy/e/stin/o/ kai epistatei to? moyseioy kai epi t/o/n en R/o/m/e/ bibliosth/e/k/o/n R/o/maik/o/n te kai Ell/e/nik/o/n kai epi t/e/s paideias Adriano?, epistolei toi ayto? aytokratoros); die eigentliche Titulatur ex/e/g/e/t/e/s wurde, da sie gewoehnlich den Kuester bezeichnet, ausserhalb Aegyptens vermieden. Sollte, was die Fassung der Inschrift nahe legt, das Oberpriestertum damals dauernd gewesen sein, so wiederholt sich bekanntlich der Uebergang von der Jaehrigkeit zu der wenigstens titularen, nicht selten auch reellen Lebenslaenglichkeit ueberhaupt bei den Sacerdotien der Provinzen, zu denen dieses alexandrinische zwar nicht gehoert, aber deren Stelle es in Aegypten vertritt. Dass das Priestertum und die Vorstandschaft des Museums zwei verschiedene Aemter sind, zeigt die Inschrift selbst. Dasselbe lehrt die Inschrift eines koeniglichen Oberarztes aus guter Lagidenzeit, der daneben sowohl Exeget ist wie Vorsteher des Museums (CHr?sermon /E/rakleitoy Alexandrea ton sthggen/e/ basile/o/s Ptolemaioy kai ex/e/g/e/t/e/n kai epi t/o/n iatr/o/n kai epistat/e/n to? Mo?seioy). Aber beide Denkmaeler legen zugleich nahe, dass die Stellung des ersten Beamten von Alexandreia und die Vorstandschaft des Museums haeufig demselben Manne uebertragen worden sind, obwohl in roemischer Zeit jene vom Praefekten, diese vom Kaiser vergeben ward. ^24 Nicht zu verwechseln mit dem gleichartigen Amt, das Philon (in Flacc. 16) erwaehnt und Lukianos (apolog. 12) bekleidete; dies ist kein staedtisches, sondern eine Subalternstelle bei der Praefektur von Aegypten, lateinisch a commentariis oder ab actis. ^25 Dies ist der procurator Neaspoleos et mausolei Alexandriae (CIL VIII, 8934; Henzen 6929). Beamte gleicher Art und gleichen Ranges, deren Kompetenz aber nicht klar erhellt, sind der procurator ad Mercurium Alexandreae (CIL X, 3847) und der procurator Alexandreae Pelusii (CIL VI, 1624). Auch der Pharus steht unter einem kaiserlichen Freigelassenen (CIL VI, 8582). --------------------------------------------------- Selbstverstaendlich sind Alexandriner und Aegypter in diejenigen Praetendentenbewegungen hineingezogen worden, die vom Orient ausgingen, und haben dabei regelmaessig mitgemacht; auf diese Weise sind hier Vespasian, Cassius, Niger, Macrianus, Vaballathus, der Sohn der Zenobia, Probus zu Herrschern ausgerufen worden. Die Initiative aber haben in allen diesen Faellen weder die Buerger von Alexandreia ergriffen noch die wenig angesehenen aegyptischen Truppen, und die meisten dieser Revolutionen, auch die misslungenen, haben fuer Aegypten keine besonders empfindlichen Folgen gehabt. Aber die an den Namen der Zenobia sich knuepfende Bewegung ist fuer Alexandreia und fuer ganz Aegypten fast ebenso verhaengnisvoll geworden wie fuer Palmyra. In Stadt und Land standen die palmyrenisch und roemisch Gesinnten mit den Waffen und der Brandfackel in der Hand sich gegenueber. An der Suedgrenze rueckten die barbarischen Blemyer ein, wie es scheint im Einverstaendnis mit dem palmyrenisch gesinnten Teil der Bewohner Aegyptens, und bemaechtigten sich eines grossen Teils von Oberaegypten ^26. In Alexandreia war der Verkehr zwischen den beiden feindlichen Quartieren aufgehoben, selbst Briefe zu befoerdern, war schwierig und gefaehrlich ^27. Die Gassen starrten von Blut und von unbegrabenen Leichen. Die dadurch erzeugten Seuchen wueteten noch aerger als das Schwert; und damit keines der vier Rosse des Verderbens mangele, versagte auch der Nil und gesellte sich die Hungersnot zu den uebrigen Geisseln. Die Bevoelkerung schmolz in der Weise zusammen, dass, wie ein Zeitgenosse sagt, es frueher in Alexandreia mehr Greise gab als nachher Buerger. Als der von Claudius gesandte Feldherr Probus endlich die Oberhand gewann, warfen sich die palmyrenisch Gesinnten, darunter die Mehrzahl der Ratsmitglieder, in das feste Kastell Prucheion in der unmittelbaren Naehe der Stadt; und obwohl, als Probus den Austretenden Schonung des Lebens verhiess, die grosse Mehrzahl sich unterwarf, harrte doch ein betraechtlicher Teil der Buergerschaft bis zum Aeussersten aus in dem Kampf der Verzweiflung. Die Festung, endlich durch Hunger bezwungen (270), wurde geschleift und lag seitdem oede; die Stadt aber verlor ihre Mauern. In dem Lande haben die Blemyer sich noch jahrelang behauptet; erst Kaiser Probus hat Ptolemais und Koptos ihnen wieder entrissen und sie aus dem Lande hinausgeschlagen. Der Notstand, den diese durch eine Reihe von Jahren sich hinziehenden Unruhen hervorgerufen haben muessen, mag dann wohl die einzige nachweislich in Aegypten entstandene Revolution ^28 zum Ausbruch gebracht haben. Unter der Regierung Diocletians lehnten sich, wir wissen nicht warum und wozu, sowohl die eingeborenen Aegypter wie die Buergerschaft von Alexandreia gegen die bestehende Regierung auf. Es wurden Gegenkaiser aufgestellt, Lucius Domitius Domitianus und Achilleus, falls nicht etwa beide Namen dieselbe Persoenlichkeit bezeichnen; die Empoerung waehrte drei bis vier Jahre; die Staedte Busiris im Delta und Koptos unweit Theben wurden von den Truppen der Regierung zerstoert und schliesslich unter der eigenen Fuehrung Diocletians im Fruehjahr 297 die Hauptstadt nach achtmonatlicher Belagerung bezwungen. Von dem Herunterkommen des reichen, aber durchaus auf den inneren und aeusseren Frieden angewiesenen Landes zeugt nichts so deutlich wie die im Jahre 302 erlassene Verfuegung desselben Diocletian, dass ein Teil des bisher nach Rom gesandten aegyptischen Getreides in Zukunft der alexandrinischen Buergerschaft zugute kommen solle ^29. Allerdings gehoert dies zu den Massregeln, welche die Dekapitalisierung Roms bezweckten; aber den Alexandrinern, die zu beguenstigen dieser Kaiser wahrlich keine Ursache hatte, waere die Lieferung nicht zugewandt worden, wenn sie sie nicht dringend gebraucht haetten. ------------------------------------------------- ^26 Auf die Allianz der Palmyrener und der Blemyer deutet die Notiz der vita Firmi c. 3 und dass nach Zosimus (hist. 1, 71) Ptolemais zu den Blemyern abfiel (vgl. Eus. hist. eccl. 7, 32). Aurelian hat mit diesen nur verhandelt (vita 34. 41); Probus erst warf sie wieder aus Aegypten (Zos. a. a. O.; vita 17). ^27 Wir besitzen noch dergleichen Briefe, von dem damaligen Bischof der Stadt Dionysios (+ 265), an die in der feindlichen Stadthaelfte abgesperrten Gemeindeglieder gerichtet (Eus. hist. eccl. 7, 21, 22 vgl. 32). Wenn es darin heisst: "leichter kommt man vom Orient in den Okzident als von Alexandreia nach Alexandreia" und /e/ mesaitat/e/ t/e/s pole/o/s odos, also die von der Lochiasspitze quer durch die Stadt laufende, mit Saeulenhallen besetzte Strasse (vgl. Lumbroso, L’Egitto, S. 137) mit der Wueste zwischen Aegypten und dem Gelobten Lande verglichen wird, so scheint es fast, als habe Severus Antoninus seine Drohung ausgefuehrt, eine Mauer quer durch die Stadt zu ziehen und militaerisch zu besetzen (Dio 77, 23). Die Schleifung der Mauern nach der Niederwerfung des Aufstandes (Amm. 22,16,15) wuerde dann auf ebendiesen Bau zu beziehen sein. ^28 Die angeblich aegyptischen Tyrannen Aemilianus, Firmus, Saturninus sind als solche wenigstens nicht beglaubigt. Die sogenannte Lebensbeschreibung des zweiten ist nichts als die arg entstellte Katastrophe des Prucheion. ^29 Chr. Pasch. p. 514; Prok. hist. 26; Gothofred zu Cod. Theod. 14, 26, 2. Staendige Kornverteilungen sind schon frueher in Alexandreia eingerichtet worden, aber, wie es scheint, nur fuer altersschwache Personen, und vermutlich fuer Rechnung der Stadt, nicht des Staats (Eus. hist. eccl. 7, 21). ------------------------------------------------- Wirtschaftlich ist Aegypten bekanntlich vor allem das Land des Ackerbaues. Zwar ist die "schwarze Erde" - das bezeichnet der einheimische Landesname Chemi - nur ein schmaler Doppelstreifen zu beiden Seiten des maechtigen, von der letzten Stromschnelle bei Syene, der Suedgrenze des eigentlichen Aegyptens, auf 120 Meilen in breiter Fuelle durch die rechts und links sich ausdehnende gelbe Wueste zum Mittellaendischen Meer stroemenden Nils; nur an seinem letzten Ende breitet die "Gabe des Flusses", das Nildelta, zwischen den mannigfaltigen Armen seiner Muendung sich zu beiden Seiten weiter aus. Auch der Ertrag dieser Strecken haengt Jahr fuer Jahr ab von dem Nil und den sechzehn Ellen seiner Schwelle, den den Vater umspielenden sechzehn Kindern, wie die Kunst der Griechen den Flussgott darstellt; mit gutem Grund nennen die Araber die niedrigen Ellen mit den Namen der Engel des Todes, denn erreicht der Fluss die volle Hoehe nicht, so trifft das ganze aegyptische Land Hunger und Verderben. Im allgemeinen aber vermag Aegypten, wo die Bestellungskosten verschwindend niedrig sind, der Weizen hundertfaeltig traegt und auch die Gemuesezucht, der Weinbau, die Baumkultur, namentlich die Dattelpalme, und die Viehzucht guten Ertrag bringen, nicht bloss eine dichte Bevoelkerung zu ernaehren, sondern auch reichlich Getreide in das Ausland zu senden. Dies fuehrte dazu, dass nach der Einsetzung der Fremdherrschaft dem Lande selbst von seinem Reichtum nicht viel verblieb. Ungefaehr wie in persischer Zeit und wie heutzutage schwoll damals der Nil und fronten die Aegypter hauptsaechlich fuer das Ausland, und zunaechst dadurch spielt Aegypten in der Geschichte des kaiserlichen Rom eine wichtige Rolle. Nachdem Italiens eigener Getreidebau gesunken und Rom die groesste Stadt der Welt geworden war, bedurfte dasselbe der stetigen Zufuhr billigen ueberseeischen Getreides; und vor allem durch die Loesung der nicht leichten wirtschaftlichen Aufgabe, die hauptstaedtische Zufuhr finanziell moeglich zu machen und sicherzustellen hat der Prinzipat sich befestigt. Diese Loesung ruhte auf dem Besitz Aegyptens, und insofern hier der Kaiser ausschliesslich gebot, hielt er durch Aegypten das Land Italien mit seinen Dependenzen in Schach. Als Vespasianus die Herrschaft ergriff, sandte er seine Truppen nach Italien, er selbst aber ging nach Aegypten und bemaechtigte sich Roms durch die Kornflotte. Wo immer ein roemischer Regent daran gedacht hat oder haben soll, den Sitz der Regierung nach dem Osten zu verlegen, wie uns von Caesar, Antonius, Nero, Geta erzaehlt wird, da richten sich die Gedanken wie von selber nicht nach Antiocheia, obwohl dies damals die regelmaessige Residenz des Ostens war, sondern nach der Geburtsstaette und der festen Burg des Prinzipats, nach Alexandreia. Deshalb war denn auch die roemische Regierung auf die Hebung des Feldbaues in Aegypten eifriger bedacht als irgendwo sonst. Da derselbe von der Nilueberschwemmung abhaengig ist, ward es moeglich, durch systematisch durchgefuehrte Wasserbau ten, kuenstliche Kanaele, Daemme, Reservoirs die fuer den Feldbau geeignete Flaeche bedeutend zu erweitern. In den guten Zeiten Aegyptens, des Heimatlandes der Messschnur und des Kunstbaus, war dafuer viel geschehen, aber diese segensreichen Anlagen unter den letzten elenden und finanziell bedraengten Regierungen in argen Verfall geraten. So fuehrte die roemische Besitznahme sich wuerdig damit ein, dass Augustus durch die in Aegypten stehenden Truppen die Nilkanaele einer durchgreifenden Reinigung und Erneuerung unterwarf. Wenn zur Zeit der roemischen Besitzergreifung die volle Ernte einen Stand des Flusses von vierzehn Ellen erfordert hatte und bei ach t Ellen Missernte eintrat, so genuegten spaeter, nachdem die Kanaele in Stand gesetzt waren, schon zwoelf Ellen fuer eine volle Ernte und gaben acht Ellen noch einen genuegenden Ertrag. Jahrhunderte nachher hat Kaiser Probus Aegypten nicht bloss von den Aethiopen befreit, sondern auch die Wasserbauten am Nil wieder instand gesetzt. Es darf ueberhaupt angenommen werden, dass die besseren Nachfolger Augusts in aehnlichem Sinne administrierten und dass, zumal bei der durch Jahrhunderte kaum unterbrochenen inneren Ruhe und Sicherheit, der aegyptische Ackerbau unter dem roemischen Prinzipat in dauerndem Flor gestanden hat. Welche Rueckwirkung diese Verhaeltnisse auf die Aegypter selbst hatten, vermoegen wir genauer nicht zu verfolgen. Zu einem grossen Teil beruhten die Einkuenfte aus Aegypten auf dem kaiserlichen Domanialbesitz, welcher in roemischer wie in frueherer Zeit einen betraechtlichen Teil des ganzen Areals ausmachte ^30; hier wird, zumal bei der wenig kostspieligen Bestellung, den Kleinpaechtern, die dieselbe beschafften, nur eine maessige Quote des Ertrags geblieben oder eine hohe Geldpacht auferlegt worden sein. Aber auch die zahlreichen und durchgaengig kleineren Eigentuemer werden eine hohe Grundsteuer in Getreide oder in Geld entrichtet haben. Die ackerbauende Bevoelkerung, genuegsam wie sie war, blieb in der Kaiserzeit wohl zahlreich; aber sicher lastete der Steuerdruck, sowohl an sich wie wegen der Verwendung des Ertrags im Ausland, schwerer auf Aegypten unter der roemischen Fremdherrschaft als unter dem keineswegs schonenden Regiment der Ptolemaeer. --------------------------------------------------- ^30 In der Stadt Alexandreia scheint es kein eigentliches Grundeigentum gegeben zu haben, sondern nur eine Art Erbmiete (Amm. 22, 11, 6; Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 963, A. 1); im uebrigen aber hat das Privateigentum am Boden in dem Sinn, wie das Provinzialrecht ueberhaupt ein solches kennt, auch in Aegypten gegolten. Von Domanialbesitz ist oft die Rede, zum Beispiel sagt Strabon (17, 1, 51 p. 828), dass die besten aegyptischen Datteln auf einer Insel wachsen, auf der Private kein Land besitzen duerften, sondern sie sei frueher koeniglich, jetzt kaiserlich und bringe eine grosse Einnahme. Vespasian verkaufte einen Teil der aegyptischen Domaenen und erbitterte dadurch die Alexandriner (Dio 66, 8), ohne Zweifel die Grosspaechter, die dann das Land an die eigentlichen Bauern in Unterpacht gaben. Ob der Grundbesitz in toter Hand, insbesondere der Priesterkollegien, in der roemischen Zeit noch so ausgedehnt war wie frueher, kann in Zweifel gezogen werden; ebenso ob im uebrigen der Grossgrundbesitz oder das Kleineigentum ueberwog; die Kleinwirtschaft war sicher allgemein. Ziffern besitzen wir weder fuer die Domanialnoch fuer die Grundsteuerquote; dass die fuenfte Garbe bei Orosius (hist. 1, 8, 9) mit Einschluss des usque ad nunc aus der Genesis abgeschrieben ist, hat Lumbroso, Recherches, S. 94, mit Recht bemerkt. Die Domanialrente kann nicht unter der Haelfte betragen haben; auch fuer die Grundsteuer moechte der Zehnte (Lumbroso a. a. O., S. 289, 293) kaum genuegen. Anderweitige Ausfuhr des Getreides aus Aegypten bedurfte der Bewilligung des Statthalters (Hirschfeld, Annona, S. 23), ohne Zweifel weil sonst in dem dichtbevoelkerten Lande leicht Mangel haette eintreten koennen. Doch ist diese Einrichtung sicher mehr kontrollierend gewesen als prohibitiv; in dem Periplus des Aegypters wird mehrfach (c. 7, 17, 24, 28 vgl. 56) Getreide unter den Exportartikeln aufgefuehrt. Auch die Bestellung der Aecker scheint aehnlich kontrolliert worden zu sein; "die Aegypter", heisst es, "bauen lieber Rueben als Getreide, soweit sie duerfen, wegen des Rueboels" (Plin. nat. 19, 5, 79). --------------------------------------------------- Von der Wirtschaft Aegyptens bildete der Ackerbau nur einen Teil; wie dasselbe in dieser Hinsicht Syrien weit voranstand, so hatte es vor dem wesentlich agrikolen Afrika die hohe Bluete der Fabriken und des Handels voraus. Die Linnenfabrikation in Aegypten steht an Alter und Umfang und Ruhm der syrischen mindestens gleich und hat, wenn auch die feineren Sorten in dieser Epoche vorzugsweise in Syrien und Phoenizien fabriziert wurden ^31, sich durch die ganze Kaiserzeit gehalten; als Aurelian die Lieferungen aus Aegypten an die Reichshauptstadt auf andere Gegenstaende als Getreide erstreckte, fehlten unter diesen die Leinwand und der Werg nicht. In feinen Glaswaren behaupteten, sowohl in der Faerbung wie in der Formung, die Alexandriner entschieden den ersten Platz, ja, wie sie meinten insofern das Monopol, als gewisse beste Sorten nur mit aegyptischem Material herzustellen seien. Unbestritten hatten sie ein solches in dem Papyrus. Diese Pflanze, die im Altertum massenweise auf den Fluessen und Seen Unteraegyptens kultiviert ward und sonst nirgends gedieh, lieferte den Eingeborenen sowohl Nahrung wie das Material fuer Stricke, Koerbe und Kaehne, das Schreibmaterial aber damals fuer die ganze schreibende Welt. Welchen Ertrag sie gebracht haben muss, ermisst man aus den Massregeln, die der roemische Senat ergriff, als einmal auf dem roemischen Platz der Papyrus knapp ward und zu fehlen drohte; und da die muehsame Zubereitung nur an Ort und Stelle erfolgen kann, muessen zahllose Menschen davon in Aegypten gelebt haben. Auf Glas und Papyrus ^32 erstreckten sich neben dem Leinen die von Aurelian zu Gunsten der Reichshauptstadt eingefuehrten alexandrinischen Warenlieferungen. Vielfach muss der Verkehr mit dem Osten auf die aegyptische Fabrikation bietend und verlangend eingewirkt haben. Gewebe wurden daselbst fuer den Export nach dem Orient fabriziert und zwar in der durch den Landesgebrauch geforderten Weise: die gewoehnlichen Kleider der Bewohner von Habesch waren aegyptisches Fabrikat; nach Arabien und Indien gingen die Prachtstoffe besonders der in Alexandreia kunstvoll betriebenen Buntund Goldwirkerei. Ebenso spielten die in Aegypten angefertigten Glaskorallen in dem Handel der afrikanischen Kueste dieselbe Rolle wie heutzutage. Indien bezog teils Glasbecher, teils unverarbeitetes Glas zur eigenen Fabrikation; selbst am chinesischen Hof sollen die Glasgefaesse, mit welchen die roemischen Fremden dem Kaiser huldigten, hohe Bewunderung erregt haben. Aegyptische Kaufleute brachten dem Koenig der Axomiten (Habesch) als stehende Geschenke nach dortiger Landesart angefertigte Goldund Silbergefaesse, den zivilisierten Herrschern der suedarabischen und der indischen Kueste unter anderen Gaben auch Statuen, wohl von Bronze, und musikalische Instrumente. Dagegen sind die Materialien der Luxusfabrikation, die aus dem Orient kamen, insbesondere Elfenbein und Schildpatt, schwerlich vorzugsweise in Aegypten, hauptsaechlich wohl in Rom verarbeitet worden. Endlich kam in einer Epoche, welche in oeffentlichen Prachtbauten ihresgleichen niemals in der Welt gehabt hat, das kostbare Baumaterial, welches die aegyptischen Steinbrueche lieferten, in ungeheuren Massen auch ausserhalb Aegyptens zur Verwendung: der schoene rote Granit von Syene, die Breccia verde aus der Gegend von Koser, der Basalt, der Alabaster, seit Claudius der graue Granit und besonders der Porphyr der Berge oberhalb Myos Hormos. Die Gewinnung derselben ward allerdings groesstenteils fuer kaiserliche Rechnung durch Strafkolonisten bewirkt; aber wenigstens der Transport muss dem ganzen Lande und namentlich der Stadt Alexandreia zugute gekommen sein. Welchen Umfang der aegyptische Verkehr und die aegyptische Fabrikation gehabt hat, zeigt eine zufaellig erhaltene Notiz ueber die Ladung eines durch seine Groesse ausgezeichneten Lastschiffes (akatos), das unter Augustus den jetzt an der Porta del Popolo stehenden Obelisken mit seiner Basis nach Rom brachte; es fuehrte ausserdem 200 Matrosen, 1200 Passagiere, 400000 roem. Scheffel (34000 Hektoliter) Weizen und eine Ladung von Leinwand, Glas, Papier und Pfeffer. "Alexandreia", sagt ein roemischer Schriftsteller des 3. Jahrhunderts ^33, "ist eine Stadt der Fuelle, des Reichtums und der Ueppigkeit, in der niemand muessig geht; dieser ist Glasarbeiter, jener Papierfabrikant, der dritte Leinweber; der einzige Gott ist das Geld." Es gilt dies verhaeltnismaessig von dem ganzen Lande. ------------------------------------------------------ ^31 Im Diocletianischen Edikt sind unter den fuenf feinen Linnensorten die vier ersten syrisch oder kilikisch (tarsisch), und das aegyptische Leinen erscheint nicht bloss an letzter Stelle, sondern wird auch bezeichnet als tarsisches alexandrinisches, das heisst nach tarsischem Muster in Alexandreia verfertigtes. ^32 Einem reichen Mann in Aegypten wurde nachgesagt, dass er seinen Palast mit Glas statt mit Marmor getaefelt habe und Papyrus und Leim genug besitze, um ein Heer damit zu fuettern (vita Firmi 3). ^33 Dass der angebliche Brief Hadrians (vita Saturnini 8) ein spaetes Machwerk ist, zeigt zum Beispiel, dass der Kaiser sich in diesem an seinen Schwager Servianus gerichteten, hoechst freundschaftlichen Brief beklagt ueber die Injurien, mit denen die Alexandriner bei seiner ersten Abreise seinen Sohn Verus ueberhaeuft haetten, waehrend andererseits feststeht, dass dieser Servianus neunzigjaehrig im Jahre 136 hingerichtet ward, weil er die kurz zuvor erfolgte Adoption des Verus gemissbilligt hatte. ------------------------------------------------------ Von dem Handelsverkehr Aegyptens mit den suedlich angrenzenden Landschaften sowie mit Arabien und Indien wird weiterhin eingehend die Rede sein. Derjenige mit den Laendern des Mittelmeers tritt in der Ueberlieferung weniger hervor, zum Teil wohl, weil er zu dem gewoehnlichen Gang der Dinge gehoerte und nicht oft sich Veranlassung fand, seiner besonders zu gedenken. Das aegyptische Getreide wurde von alexandrinischen Schiffern nach Italien gefuehrt und infolgedessen entstand in Portus bei Ostia ein dem alexandrinischen Sarapistempel nachgebildetes Heiligtum mit seiner Schiffergemeinde ^34; aber an dem Vertrieb der aus Aegypten nach dem Westen gehenden Waren werden diese Lastschiffe schwerlich in bedeutendem Umfang beteiligt gewesen sein. Dieser lag wahrscheinlich ebenso sehr und vielleicht mehr in der Hand der italischen Reeder und Kapitaene als der aegyptischen; wenigstens gab es schon unter den Lagiden eine ansehnliche italische Niederlassung in Alexandreia ^35 und haben im Okzident die aegyptischen Kaufleute nicht die gleiche Verbreitung gehabt wie die syrischen ^36. Die spaeter zu erwaehnenden Anordnungen Augusts, welche auf dem Arabischen und dem Indischen Meer den Handelsverkehr umgestalteten, fanden auf die Schiffahrt des Mittellaendischen keine Anwendung; die Regierung hatte kein Interesse daran, hier die aegyptischen Kaufleute vor den uebrigen zu beguenstigen. Es blieb dort der Verkehr vermutlich wie er war. ------------------------------------------------ ^34 Die na?kl/e/roi to? pore?tikoy Alexandrino? stoloy, die den ohne Zweifel nach Portus gehoerigen Stein CIG 5889 gesetzt haben, sind die Kapitaene dieser Getreideschiffe. Aus dem Serapeum von Ostia besitzen wir eine Reihe von Inschriften (CIL XIV, 47), wonach dasselbe in allen Stuecken die Kopie des alexandrinischen war; der Vorsteher ist zugleich epimel/e/t/e/s pantos to? Alexandreinoy stoloy (CIG 5973). Wahrscheinlich waren diese Fahrzeuge wesentlich mit dem Korntransport beschaeftigt und erfolgte dieser also sukzessiv, worauf auch die von Kaiser Gaius in der Meerenge von Reggio getroffenen Vorkehrungen (Ios. ant. Iud. 19, 2, 5) hinweisen. Damit ist wohl vereinbar, dass das erste Erscheinen der alexandrinischen Flotte im Fruehjahr fuer Puteoli ein Fest war (Sen. epist. 77, 1). ^35 Dies zeigen die merkwuerdigen delischen Inschriften Eph. epigr. V, p. 600, 602. ^36 Schon in den delischen Inschriften des letzten Jahrhunderts der Republik wiegen die Syrer vor. Die aegyptischen Gottheiten haben dort wohl ein viel verehrtes Heiligtum gehabt, aber unter den zahlreichen Priestern und Dedikanten begegnet nur ein einziger Alexandriner (Hauvette-Besnault, BCH 6, 1882, S. 316 f.). Gilden alexandrinischer Kaufleute kennen wir von Tomi und von Perinthos (CIG 2024). ------------------------------------------------ Aegypten war also nicht bloss in seinen anbaufaehigen Teilen mit einer dichten ackerbauenden Bevoelkerung besetzt, sondern auch, wie schon die zahlreichen und zum Teil sehr ansehnlichen Flecken und Staedte dies erkennen lassen, ein Fabrikland und daher denn auch weitaus die am staerksten bevoelkerte Provinz des Roemischen Reiches. Das alte Aegypten soll eine Bevoelkerung von 7 Millionen gehabt haben; unter Vespasian zaehlte man in den offiziellen Listen 7« Millionen kopfsteuerpflichtiger Einwohner, wozu die von der Kopfsteuer befreiten Alexandriner und sonstigen Griechen, sowie die wahrscheinlich nicht sehr zahlreichen Sklaven hinzutreten, so dass die Bevoelkerung mindestens auf 8 Millionen Koepfe anzusetzen ist. Da das anbaufaehige Areal heutzutage auf 500 deutsche Quadratmeilen, fuer die roemische Zeit hoechstens auf 700 veranschlagt werden kann, so wohnten damals in Aegypten auf der Quadratmeile durchschnittlich etwa 11000 Menschen. Wenn wir den Blick auf die Bewohner Aegyptens richten, so sind die beiden das Land bewohnenden Nationen, die grosse Masse der Aegypter und die kleine Minderzahl der Alexandriner, durchaus verschiedene Kreise ^37, wenngleich zwischen beiden die Ansteckungskraft des Lasters und die allem Laster eigene Gleichartigkeit eine schlimme Gemeinschaft des Boesen gestiftet hat. ---------------------------------------------- ^37 Nachdem Juvenal die wuesten Zechgelage der eingeborenen Aegypter zu Ehren der Lokalgoetter der einzelnen Nomen geschildert hat, fuegt er hinzu, dass darin die Eingeborenen dem Kanopos, das heisst dem durch seine zuegellose Ausgelassenheit beruechtigten alexandrinischen Sarapisfest (Strab. 17, 1, 17 p. 801) in keiner Hinsicht nachstaenden: horrida sane Aegyptus, sed luxuria, quantum ipse notavi, barbara famoso non cedit turba Canopo (sat. 15, 44). ---------------------------------------------- Die eingeborenen Aegypter werden von ihren heutigen Nachkommen weder in der Lage noch in der Art sich weit entfernt haben. Sie waren genuegsam, nuechtern, arbeitsfaehig und taetig, geschickte Handwerker und Schiffer und gewandte Kaufleute, festhaltend am alten Herkommen und am alten Glauben. Wenn die Roemer versichern, dass die Aegypter stolz seien auf die Geisselmale wegen begangener Steuerdefrauden ^38, so sind dies Anschauungen vom Standpunkt aus des Steuerbeamten. Es fehlte in der nationalen Kultur nicht an guten Keimen; bei aller Ueberlegenheit der Griechen auch in dem geistigen Kampfe der beiden so voellig verschiedenen Rassen hatten die Aegypter wieder manche und wesentliche Dinge vor den Hellenen voraus, und sie empfanden dies auch. Es ist schliesslich doch der Rueckschlag ihrer eigenen Empfindung, wenn die aegyptischen Priester der griechischen Unterhaltungsliteratur die von den Hellenen sogenannte Geschichtsforschung und ihre Behandlung poetischer Maerchen als wirklicher Ueberlieferung aus vergangenen Urzeiten verspotten; in Aegypten mache man keine Verse, aber ihre ganze alte Geschichte sei eingeschrieben auf den Tempeln und Gedaechtnissteinen; freilich seien jetzt nur noch wenige derselben kundig, da viele Denkmale zerstoert seien und die Ueberlieferung zugrunde gehe durch die Unwissenheit und die Gleichgueltigkeit der Spaeteren. Aber diese berechtigte Klage traegt in sich selbst die Hoffnungslosigkeit; der ehrwuerdige Baum der aegyptischen Zivilisation war laengst zum Niederschlagen gezeichnet. Der Hellenismus drang zersetzend bis an die Priesterschaft selbst. Ein aegyptischer Tempelschreiber, Chaeremon, der als Lehrer der griechischen Philosophie an den Hof des Claudius fuer den Kronprinzen berufen ward, legte in seiner ’Aegyptischen Geschichte’ den alten Landesgoettern die Elemente der stoischen Physik unter und die in der Landesschrift geschriebenen Urkunden in diesem Sinne aus. In dem praktischen Leben der Kaiserzeit kam das alte aegyptische Wesen fast nur noch in Betracht auf dem religioesen Gebiet. Religion war diesem Volke eins und alles. Die Fremdherrschaft an sich wurde willig ertragen, man moechte sagen kaum empfunden, solange sie die heiligen Gebraeuche des Landes und was damit zusammenhing nicht antastete. Freilich hing damit in dem inneren Landesregiment so ziemlich alles zusammen, Schrift und Sprache, Priesterprivilegien und Priesterhoffart, Hofsitte und Landesart; die Fuersorge der Regierung fuer den derzeit lebenden heiligen Ochsen, die Leistungen fuer dessen Bestattung bei seinem Ableben und fuer die Auffindung des geeigneten Nachfolgers galten diesen Priestern und diesem Volke als das Kriterium der Tuechtigkeit des jedesmaligen Landesherrn und als der Massstab fuer die ihm schuldige Achtung und Treue. Der erste Perserkoenig fuehrte sich damit in Aegypten ein, dass er das Heiligtum der Neith in Sais seiner Bestimmung, das heisst den Priestern zurueckgab; der erste Ptolemaeos brachte, noch als makedonischer Statthalter, die nach Asien entfuehrten aegyptischen Goetterbilder an ihre alte Staette zurueck und restituierte den Goettern von Pe und Tep die ihnen entfremdeten Landschenkungen; fuer die bei dem grossen Siegeszuge des Euergetes aus Persien heimgebrachten heiligen Tempelbilder statten die Landespriester in dem beruehmten Kanopischen Dekret vom Jahre 238 v. Chr. dem Koenig ihren Dank ab; die landuebliche Einreihung der lebenden Herrscher und Herrscherinnen in den Kreis der Landesgoetter haben diese Auslaender ebenso mit sich vornehmen lassen wie die aegyptischen Pharaonen. Die roemischen Herrscher sind diesem Beispiel nur in beschraenktem Masse gefolgt. In der Titulatur gingen sie wohl, wie wir sahen, einigermassen auf den Landeskultus ein, vermieden aber doch, selbst in aegyptischer Fassung, die mit den okzidentalischen Anschauungen in allzu grellem Kontrast stehenden landueblichen Praedikate. Da diese Lieblinge des Ptah und der Isis in Italien gegen die aegyptische Goetterverehrung aehnlich wie gegen die juedische einschritten, liessen sie von solcher Liebe sich erklaerlicherweise ausserhalb der Hieroglyphen nichts merken und beteiligten sich auch in Aegypten in keiner Weise an dem Dienst der Landesgoetter. Wie hartnaeckig immer die Landesreligion noch unter der Fremdherrschaft bei den eigentlichen Aegyptern festgehalten ward, die Pariastellung, in welcher diese selbst neben den herrschenden Griechen und Roemern sich befanden, drueckte notwendig auf den Kultus und die Priester, und von der fuehrenden Stellung, dem Einflusse, der Bildung des alten aegyptischen Priesterstandes sind unter dem roemischen Regiment nur duerftige Reste wahrzunehmen. Dagegen diente die von Hause aus schoener Gestaltung und geistiger Verklaerung abgewandte Landesreligion in und ausser Aegypten als Ausgangsund Mittelpunkt fuer allen erdenklichen frommen Zauber und heiligen Schwindel - es genuegt dafuer zu erinnern an den in Aegypten heimischen dreimal groessten Hermes mit der an seinen Namen sich knuepfenden Literatur von Traktaetchen und Wunderbuechern sowie der entsprechenden weitverbreiteten Praxis. In den Kreisen aber der Eingeborenen knuepften sich in dieser Epoche an den Kultus die aergsten Missbraeuche - nicht bloss viele Tage hindurch fortgesetzte Zechgelage zu Ehren der einzelnen Ortsgottheiten mit der dazu gehoerigen Unzucht, sondern auch dauernde Religionsfehden zwischen den einzelnen Sprengeln um den Vorrang des Ibis vor der Katze, des Krokodils vor dem Pavian. Im Jahre 127 n. Chr. wurden wegen eines solchen Anlasses die Ombiten im suedlichen Aegypten von einer benachbarten Gemeinde ^39 bei einem Festgelage ueberfallen und es sollen die Sieger einen der Erschlagenen gefressen haben. Bald nachher verzehrte die Hundegemeinde der Hechtgemeinde zum Trotz einen Hecht und diese jener zum Trotze einen Hund, und es brach darueber zwischen diesen beiden Nomen ein Krieg aus, bis die Roemer einschritten und beide Parteien abstraften. Dergleichen Vorgaenge waren in Aegypten an der Tagesordnung. Auch sonst fehlte es an Unruhen im Lande nicht. Gleich der erste von Augustus bestellte Vizekoenig von Aegypten musste wegen vermehrter Steuern Truppen nach Oberaegypten senden, nicht minder, vielleicht ebenfalls infolge des Steuerdrucks, nach Heroonpolis am oberen Ende des Arabischen Meerbusens. Einmal, unter Kaiser Marcus, nahm ein Aufstand der eingeborenen Aegypter sogar einen bedrohlichen Charakter an. Als in den schwer zugaenglichen Kuestensuempfen ostwaerts von Alexandreia, der sogenannten "Rinderweide" (bucolia), welche den Verbrechern und den Raeubern als Zufluchtsort diente und eine Art Kolonie derselben bildete, einige Leute von einer roemischen Truppenabteilung aufgegriffen wurden, erhob sich zu deren Befreiung die ganze Raeuberschaft, und die Landbevoelkerung schloss sich an. Die roemische Legion aus Alexandreia ging ihnen entgegen, aber sie wurde geschlagen und fast waere Alexandreia selbst den Aufstaendischen in die Haende gefallen. Der Statthalter des Ostens, Avidius Cassius, rueckte wohl mit seinen Truppen ein, wagte aber auch nicht gegen die Ueberzahl den Kampf, sondern zog es vor, in dem Bunde der Aufstaendischen Zwietracht hervorzurufen; nachdem die eine Bande gegen die andere stand, wurde die Regierung leicht ihrer aller Herr. Auch dieser sogenannte Rinderhirtenaufstand hat wahrscheinlich, wie dergleichen Bauernkriege meistens, einen religioesen Charakter getragen; der Fuehrer Isidoros, der tapferste Mann Aegyptens, war seinem Stande nach ein Priester, und dass zur Bundesweihe nach Ableistung des Eides ein gefangener roemischer Offizier geopfert und von den Schwoerenden gegessen ward, passt sowohl dazu wie zu dem Kannibalismus des Ombitenkrieges. Einen Nachklang dieser Vorgaenge bewahren die aegyptischen Raeubergeschichten der spaetgriechischen untergeordneten Literatur. Wie sehr uebrigens dieselben der roemischen Verwaltung zu schaffen gemacht haben moegen, einen politischen Zweck haben sie nicht gehabt und auch die allgemeine Ruhe des Landes nur partiell und temporaer unterbrochen. ---------------------------------------------- ^38 Amm. 22, 16, 23: erubescit apud (Aegyptios), si qui non infitiando tributa plurimas in corpore vibices ostendat. ^39 Dies ist nach Juvenal Tentyra, was ein Fehler sein muss, wenn das bekannte gemeint ist; aber auch die Liste des Ravennaten 3, 2 nennt beide Orte zusammen. ---------------------------------------------- Neben den Aegyptern stehen die Alexandriner, einigermassen wie in Ostindien die Englaender neben den Landeseingeborenen. Allgemein gilt Alexandreia in der vorkonstantinischen Kaiserzeit als die zweite Stadt des Roemischen Reiches und die erste Handelsstadt der Welt. Sie zaehlte am Ende der Lagidenherrschaft ueber 300000 freie Einwohner, in der Kaiserzeit ohne Zweifel noch mehr. Die Vergleichung der beiden grossen, im Wetteifer miteinander erwachsenen Kapitalen am Nil und am Orontes ergibt ebenso viele Gleichartigkeiten wie Gegensaetze. Beides sind verhaeltnismaessig neue Staedte, monarchische Schoepfungen aus dem Nichts, von planmaessiger Anlage und regelmaessiger staedtischer Einrichtung; das Wasser laeuft in jedem Hause wie in Antiocheia so auch in Alexandreia. An Schoenheit der Lage und Pracht der Gebaeude war die Stadt im Orontestal der Rivalin ebenso ueberlegen wie diese ihr in der Gunst der Oertlichkeit fuer den Grosshandel und an Volkszahl. Die grossen oeffentlichen Bauten der aegyptischen Hauptstadt, der koenigliche Palast, das der Akademie gewidmete Museion, vor allem der Tempel des Sarapis waren Wunderwerke einer frueheren, architektonisch hoch entwickelten Epoche; aber der grossen Zahl kaiserlicher Anlagen in der syrischen Residenz hat die von wenigen der Caesaren betretene aegyptische Hauptstadt nichts Entsprechendes entgegenzustellen. In der Unbotmaessigkeit und der Oppositionslust gegen das Regiment stehen Antiochener und Alexandriner einander gleich; man kann hinzusetzen, auch darin, dass beide Staedte, und namentlich Alexandreia, eben unter der roemischen Regierung und durch dieselbe bluehten und viel mehr Ursache hatten zu danken als zu frondieren. Wie die Alexandriner sich zu ihren hellenischen Regenten verhielten, davon zeugt die lange Reihe zum Teil noch heute gebraeuchlicher Spottnamen, welche die koeniglichen Ptolemaeer ohne Ausnahme dem Publikum ihrer Hauptstadt verdankten. Auch Kaiser Vespasianus empfing von den Alexandrinern fuer die Einfuehrung einer Steuer auf Salzfisch den Titel des Sardellensaecklers (Kybiosakt/e/s), der Syrer Severus Alexander den des Oberrabbiners; aber die Kaiser kamen selten nach Aegypten und die fernen und fremden Herrscher boten diesem Spott keine rechte Zielscheibe. In ihrer Abwesenheit widmete das Publikum wenigstens den Vizekoenigen die gleiche Aufmerksamkeit mit beharrlichem Eifer; selbst die Aussicht auf unausbleibliche Zuechtigung vermochte die oft witzige und immer freche Zunge dieser Staedter nicht zum Schweigen zu bringen ^40. Vespasian begnuegte sich in Vergeltung jener ihm bewiesenen Aufmerksamkeit, die Kopfsteuer um sechs Pfennige zu erhoehen, und bekam dafuer den weiteren Namen des Sechspfennigmanns; aber ihre Reden ueber Severus Antoninus, den kleinen Affen des grossen Alexander und den Geliebten der Mutter Iokaste, sollten ihnen teuer zu stehen kommen. Der tueckische Herrscher erschien in aller Freundschaft und liess sich vom Volke feiern, dann aber seine Soldaten auf die festliche Menge einhauen, so dass Tage lang die Plaetze und Strassen der grossen Stadt im Blute schwammen; ja er ordnete die Aufloesung der Akademie an und die Verlegung der Legion in die Stadt selbst, was freilich beides nicht zur Ausfuehrung kam. Aber wenn es in Antiocheia in der Regel bei den Spottreden blieb, so griff der alexandrinische Poebel bei dem geringsten Anlass zum Stein und zum Knittel. Im Krawallieren, sagt ein selbst alexandrinischer Gewaehrsmann, sind die Aegypter allen anderen voraus; der kleinste Funken genuegt hier, um einen Tumult zu entfachen. Wegen versaeumter Visiten, wegen Konfiskation verdorbener Lebensmittel, wegen Ausschliessung aus einer Badeanstalt, wegen eines Streites zwischen dem Sklaven eines vornehmen Alexandriners und einem roemischen Infanteristen ueber den Wert oder Unwert der beiderseitigen Pantoffel haben die Legionen auf die Buergerschaft von Alexandreia einhauen muessen. Es kam hier zum Vorschein, dass die niedere Schicht der alexandrinischen Bevoelkerung zum groesseren Teil aus Eingeborenen bestand; bei diesen Auflaeufen spielten die Griechen freilich die Anstifter, wie denn die Rhetoren, das heisst hier die Hetzredner, dabei ausdruecklich erwaehnt werden ^41, aber im weiteren Verlauf tritt dann die Tuecke und die Wildheit des eigentlichen Aegypters ins Gefecht. Die Syrer sind feige und als Soldaten sind es die Aegypter auch; aber im Strassentumult sind sie imstande, einen Mut zu entwickeln, der eines besseren Zieles wuerdig waere ^42. An den Rennpferden ergoetzten sich die Antiochener wie die Alexandriner; aber hier endigte kein Wagenrennen ohne Steinwuerfe und Messerstiche. Von der Judenhetze unter Kaiser Gaius wurden beide Staedte ergriffen; aber in Antiocheia genuegte ein ernstes Wort der Behoerde, um ihr ein Ende zu machen, waehrend der alexandrinischen, von einigen Bengeln durch eine Puppenparade angezettelten Tausende von Menschenleben zum Opfer fielen. Die Alexandriner, heisst es, gaben, wenn ein Auflauf entstand, nicht Frieden, bevor sie Blut gesehen hatten. Die roemischen Beamten und Offiziere hatten daselbst einen schweren Stand. "Alexandreia", sagt ein Berichterstatter aus dem 4. Jahrhundert, "betreten die Statthalter mit Zittern und Zagen, denn sie fuerchten die Volksjustiz; wo ein Statthalter ein Unrecht begeht, da folgt sofort das Anstecken des Palastes und die Steinigung." Das naive Vertrauen auf die Gerechtigkeit dieser Prozedur bezeichnet den Standpunkt des Schreibers, der zu diesem "Volke" gehoert hat. Die Fortsetzung dieses die Regierung wie die Nation gleich entehrenden Lynchsystems liefert die sogenannte Kirchengeschichte, die Ermordung des den Heiden und den Orthodoxen gleich missliebigen Bischofs Georgios und seiner Genossen unter Julian und die der schoenen Freidenkerin Hypatia durch die fromme Gemeinde des Bischofs Kyrillos unter Theodosius II. Tueckischer, unberechenbarer, gewalttaetiger waren diese alexandrinischen Auflaeufe als die antiochenischen, aber ebenso wie diese weder fuer den Bestand des Reiches gefaehrlich noch auch nur fuer die einzelne Regierung. Leichtfertige und boesartige Buben sind recht unbequem, aber auch nur unbequem, im Hause wie im Gemeinwesen. -------------------------------------------------------- ^40 Sen. dial. 19, 6: loquax et in contumelias praefectorum irgeniosa provincia . . . etiam periculosi sales placent. ^41 Dion Chrysostomos sagt in seiner Ansprache an die Alexandriner (or. 32 p. 663 Reiske): "Weil nun (die Verstaendigen) zuruecktreten und schweigen, daher entstehen bei euch die ewigen Streitigkeiten und Haendel und das wueste Geschrei und die schlimmen und zuegellosen Reden, die Anklaeger, die Verdaechtigungen, die Prozesse, der Rednerpoebel." In der alexandrinischen Judenhetze, die Philon so drastisch schildert, sieht man diese Volksredner an der Arbeit. ^42 Dio Cass. 39, 58: "Die Alexandriner leisten in aller Hinsicht das Moegliche an Dreistigkeit und reden heraus, was ihnen in den Mund kommt. Im Krieg und seinen Schrecken benehmen sie sich feige; bei den Auflaeufen aber, die bei ihnen sehr haeufig und sehr ernst sind, greifen sie ohne weiteres zum Totschlagen und achten um des augenblicklichen Erfolgs willen das Leben fuer nichts, ja sie gehen in ihr Verderben, als handelte es sich um die hoechsten Dinge." -------------------------------------------------------- Auch in dem religioesen Wesen haben beide Staedte eine analoge Stellung. Den Landeskultus, wie die einheimische Bevoelkerung ihn in Syrien wie in Aegypten festhielt, haben in seiner urspruenglichen Gestalt wie die Antiochener so auch die Alexandriner abgelehnt. Aber wie die Seleukiden, so haben auch die Lagiden sich wohl gehuetet, an den Grundlagen der alten Landesreligion zu ruetteln, und nur, die aelteren nationalen Anschauungen und Heiligtuemer mit den schmiegsamen Gestalten des griechischen Olymp verquickend, sie aeusserlich einigermassen hellenisiert, zum Beispiel den griechischen Gott der Unterwelt, den Pluton, unter dem bis dahin wenig genannten aegyptischen Goetternamen Sarapis in den Landeskultus eingefuehrt und auf diesen dann den alten Osiriskult allmaehlich uebertragen ^43. So spielten die echt aegyptische Isis und der pseudo-aegyptische Sarapis in Alexandreia eine aehnliche Rolle wie in Syrien der Belos und der Elagabalos, und drangen auch in aehnlicher Weise wie diese, wenngleich weniger maechtig und heftiger angefochten, in der Kaiserzeit allmaehlich in den okzidentalischen Kultus ein. In der bei Gelegenheit dieser religioesen Gebraeuche und Feste entwickelten Unsittlichkeit und der durch priesterlichen Segen approbierten und stimulierten Unzucht hatten beide Staedte sich einander nichts vorzuwerfen. ------------------------------------------------ ^43 Die "frommen Aegypter" wehrten sich dagegen, wie Macrobius (Sat. 1, 7, 14) berichtet, aber tyrannide Ptolemaeorum pressi hos quoque deos (Sarapis und Saturnus) in cultum recipere Alexandrinorum more, apud quos potissimum colebantur, coacti sunt. Da sie also blutige Opfer darbringen mussten, was gegen ihr Ritual war, liessen sie diese Goetter wenigstens in den Staedten nicht zu: nullum Aegypti oppidum intra muros suos aut Saturni aut Sarapis fanum recepit. ------------------------------------------------ Bis in spaete Zeit hinab hat der alte Kultus in dem frommen Lande Aegypten seine festeste Burg behauptet ^44. Die Restauration des alten Glaubens, sowohl wissenschaftlich in der an denselben sich anlehnenden Philosophie wie auch praktisch in der Abwehr der von den Christen gegen den Polytheismus gerichteten Angriffe, und in der Wiederbelebung des heidnischen Tempeldienstes und der heidnischen Mantik, hat ihren rechten Mittelpunkt in Alexandreia. Als dann der neue Glaube auch diese Burg eroberte, blieb die Landesart sich dennoch treu; die Wiege des Christentums ist Syrien, die des Moenchtums Aegypten. Von der Bedeutung und der Stellung der Judenschaft, in welcher ebenfalls beide Staedte sich gleichen, ist schon in anderer Verbindung die Rede gewesen. Von der Regierung ins Land gerufene Einwanderer wie die Hellenen, standen sie wohl diesen nach und waren kopfsteuerpflichtig wie die Aegypter, aber hielten sich und galten mehr als diese. Ihre Zahl betrug unter Vespasian eine Million, etwa den achten Teil der Gesamtbevoelkerung Aegyptens, und wie die Hellenen wohnten sie vorzugsweise in der Hauptstadt, von deren fuenf Vierteln zwei juedisch waren. An anerkannter Selbstaendigkeit, an Ansehen, Bildung und Reichtum war die alexandrinische Judenschaft schon vor dem Untergang Jerusalems die erste der Welt; und infolgedessen hat ein guter Teil der letzten Akte der juedischen Tragoedie, wie dies frueher dargelegt worden ist, auf aegyptischem Boden sich abgespielt. ----------------------------------------------- ^44 Der oft angefuehrte anonyme Verfasser einer Reichsbeschreibung aus der Zeit des Constantius, ein guter Heide, preist Aegypten namentlich auch wegen seiner musterhaften Froemmigkeit: "Nirgends werden die Mysterien der Goetter so gut gefeiert wie dort von alters her und noch heute." Freilich, fuegt er hinzu, meinten einige, dass die Chaldaeer - er meint den syrischen Kult - die Goetter besser verehrten; aber er halte sich an das, was er mit Augen gesehen. "Hier gibt es Heiligtuemer aller Art und praechtig geschmueckte Tempel, und in Menge finden sich Kuester und Priester und Propheten und Glaeubige und treffliche Theologen, und alles geht nach seiner Ordnung; du findest die Altaere immer von Flammen lodern und die Priester mit ihren Binden und die Weihrauchfaesser mit herrlich duftenden Spezereien." Aus derselben Zeit etwa (nicht vor Hadrian) und offenbar auch von kundiger Hand ruehrt eine andere boshaftere Schilderung her (vita Saturnini 8): "Wer in Aegypten den Sarapis verehrt, ist auch Christ, und die sich christliche Bischoefe nennen, verehren gleichfalls den Sarapis; jeder Grossrabbi der Juden, jeder Samariter, jeder christliche Geistliche ist da zugleich ein Zauberer, ein Prophet, ein Quacksalber (aliptes). Selbst wenn der Patriarch nach Aegypten kommt, fordern die einen, dass er zum Sarapis, die andern, dass er zu Christus beten." Diese Diatribe haengt sicher damit zusammen, dass die Christen den aegyptischen Gott fuer den Joseph der Bibel erklaerten, den Urenkel der Sara und mit Recht den Scheffel tragend. In ernsterem Sinn fasst die Lage der aegyptischen Altglaeubigen der vermutlich dem 3. Jahrhundert angehoerige Verfasser des in lateinischer Uebersetzung unter den dem Apuleius beigelegten Schriften erhaltenen Goettergespraechs, in welchem der dreimal groesste Hermes dem Asklepios die zukuenftigen Dinge verkuendet: "Du weisst doch, Asklepios, dass Aegypten ein Abbild des Himmels oder, um richtiger zu reden, eine Uebersiedelung und Niederfahrt der ganzen himmlischen Waltung und Taetigkeit ist; ja, um noch richtiger zu reden, unser Vaterland ist der Tempel des gesamten Weltalls. Und dennoch: eintreten wird eine Zeit, wo es den Anschein gewinnt, als haette Aegypten vergeblich mit frommem Sinn in emsigem Dienst das Goettliche gehegt, wo alle heilige Verehrung der Goetter erfolglos und verfehlt sein wird. Denn die Gottheit wird zurueck in den Himmel sich begeben, Aegypten wird verlassen und das Land, welches der Sitz der Goetterdienste war, wird der Anwesenheit goettlicher Macht beraubt und auf sich selbst angewiesen sein. Dann wird dieses geweihte Land, die Staette der Heiligtuemer und Tempel, dicht mit Graebern und Leichen angefuellt sein. O Aegypten, Aegypten, von deinen Goetterdiensten werden nur Geruechte sich erhalten, und auch diese werden deinen kommenden Geschlechtern unglaublich duenken, nur Worte werden sich erhalten auf den Steinen, die von deinen frommen Taten erzaehlen, und bewohnen wird Aegypten der Skythe oder Inder oder sonst einer aus dem benachbarten Barbarenland. Neue Rechte werden eingefuehrt werden, neues Gesetz, nichts heiliges, nichts gottesfuerchtiges, nichts des Himmels und der Himmlischen Wuerdiges wird gehoert noch im Geiste geglaubt werden. Eine schmerzliche Trennung der Goetter von den Menschen tritt ein; nur die boesen Engel bleiben da, die unter die Menschheit sich mengen." (Nach J. Bernays’ Uebersetzung, Gesammelte Abhandlungen, Bd. 1, S. 330). ----------------------------------------------- Alexandreia wie Antiocheia sind vorzugsweise Sitze der wohlhabenden Handelund Gewerbetreibenden; aber in Antiocheia fehlt der Seehafen und was daran haengt, und wie rege es dort auf den Gassen herging, sie hielten doch keinen Vergleich aus gegen das Leben und Treiben der alexandrinischen Fabrikarbeiter und Matrosen. Dagegen hatte fuer den Lebensgenuss, das Schauspiel, das Diner, die Liebesfreuden Antiocheia mehr zu bieten als die Stadt, in der "niemand muessig ging". Auch das eigentliche, vorzugsweise an die rhetorischen Exhibitionen anknuepfende Literatentreiben, welches wir in der Schilderung Kleinasiens skizzierten, trat in Aegypten zurueck ^45, wohl mehr im Drang der Geschaefte des Tages als durch den Einfluss der zahlreichen und gut bezahlten, in Alexandreia lebenden und grossenteils auch dort heimischen Gelehrten. Fuer den Gesamtcharakter der Stadt kamen diese Maenner des Museums, von denen noch weiter die Rede sein wird, vor allem, wenn sie in fleissiger Arbeit ihre Schuldigkeit taten, nicht in hervorragender Weise in Betracht. Die alexandrinischen Aerzte aber galten als die besten im ganzen Reich; freilich war Aegypten nicht minder die rechte Heimstaette der Quacksalber und der Geheimmittel und jener wunderlichen zivilisierten Form der Schaefermedizin, in welcher fromme Einfalt und spekulierender Betrug sich im Mantel der Wissenschaft drapieren. Des dreimal groessten Hermes haben wir schon gedacht; auch der alexandrinische Sarapis hat im Altertum mehr Wunderkuren verrichtet als irgendeiner seiner Kollegen und selbst den praktischen Kaiser Vespasian angesteckt, dass auch er die Blinden und Lahmen heilte, jedoch nur in Alexandreia. ------------------------------------------------------- ^45 Als die Roemer von dem beruehmten Rhetor Proaeresios (Ende 3., Anfang 4. Jahrhundert) einen seiner Schueler fuer einen Lehrstuhl erbitten, sendet er ihnen den Eusebios aus Alexandreia; "hinsichtlich der Rhetorik", heisst es von diesem (Eun. proaer. p. 92 Boiss.), "genuegt es zu sagen, dass er ein Aegypter war; denn dieses Volk treibt zwar mit Leidenschaft das Versemachen, aber die ernste Redekunst (o spoydaios Erm/e/s) ist bei ihnen nicht zu Hause". Die merkwuerdige Wiederaufnahme der griechischen Poesie in Aegypten, der zum Beispiel das Epos des Nonnos angehoert, liegt jenseits der Grenzen unserer Darstellung. ------------------------------------------------------- Obgleich der Platz, welchen Alexandreia in der geistigen und literarischen Entwicklung des spaeteren Griechenlands und der okzidentalischen Kultur ueberhaupt einnimmt oder einzunehmen scheint, nicht in einer Schilderung der oertlichen Zustaende Aegyptens, sondern nur in derjenigen dieser Entwicklung selbst entsprechend gewuerdigt werden kann, ist das alexandrinische Gelehrtenwesen und dessen Fortdauer unter dem roemischen Regiment eine allzu merkwuerdige Erscheinung, um nicht auch in dieser Verbindung in seiner allgemeinen Stellung beruehrt zu werden. Dass die Verschmelzung der orientalischen und der hellenischen Geisteswelt neben Syrien vorzugsweise in Aegypten sich vollzog, wurde schon bemerkt; und wenn der neue Glaube, der den Okzident erobern sollte, von Syrien ausging, so kam die ihm homogene Wissenschaft, diejenige Philosophie, welche neben dem Menschengeist und ausserhalb desselben den ueberweltlichen Gott und die goettliche Offenbarung anerkennt und verkuendet, vorzugsweise aus Aegypten, wahrscheinlich schon der neue Pythagoreismus, sicher das philosophische Neujudentum, von dem frueher die Rede war, sowie der neue Platonismus, dessen Begruender, der Aegypter Plotinos, ebenfalls schon erwaehnt ward. Auf dieser vorzugsweise in Alexandreia sich vollziehenden Durchdringung der hellenischen und der orientalischen Elemente beruht es hauptsaechlich, dass, wie dies in der Darstellung der italischen Verhaeltnisse naeher darzulegen ist, der dortige Hellenismus in der frueheren Kaiserzeit vorzugsweise aegyptische Form traegt. Wie die an Pythagoras, Moses, Platon anknuepfenden altneuen Weisheiten von Alexandreia aus in Italien eindrangen, so spielte die Isis und was dazu gehoert die erste Rolle in der bequemen Modefroemmigkeit, welche die roemischen Poeten der augustischen Zeit und die pompeianischen Tempel aus der des Claudius uns zeigen. Die aegyptische Kunstuebung herrscht vor in den kampanischen Fresken derselben Epoche wie in der tiburtinischen Villa Hadrians. Dem entspricht die Stellung, welche das alexandrinische Gelehrtenwesen in dem geistigen Leben der Kaiserzeit einnimmt. Nach aussen hin beruht dasselbe auf der staatlichen Pflege der geistigen Interessen und wuerde mit mehr Recht an den Namen Alexanders anknuepfen als an den Alexandreias; es ist die Realisierung des Gedankens, dass in einem gewissen Stadium der Zivilisation Kunst und Wissenschaft durch das Ansehen und die Machtmittel des Staats gestuetzt und gefoerdert werden muessen, die Konsequenz des genialen Moments der Weltgeschichte, welcher Alexander und Aristoteles nebeneinander stellte. Es soll hier nicht gefragt werden, wie in dieser maechtigen Konzeption Wahrheit und Irrtum, Beschaedigung und Hebung des geistigen Lebens sich miteinander mischen, nicht die duerftige Nachbluete des goettlichen Singens und des hohen Denkens der freien Hellenen einmal mehr gestellt werden neben den ueppigen und doch auch grossartigen Ertrag des spaeteren Sammelns, Forschens und Ordnens. Konnten die Institutionen, welche diesem Gedanken entsprangen, der griechischen Nation unwiederbringlich Verlorenes nicht oder, was schlimmer ist, nur scheinhaft erneuern, so haben sie ihr auf dem noch freien Bauplatz der geistigen Welt den einzig moeglichen und auch einen herrlichen Ersatz gewaehrt. Fuer unsere Erwaegung kommen vor allem die oertlichen Verhaeltnisse in Betracht. Kunstgaerten sind einigermassen unabhaengig vom Boden, und nicht anders ist es mit diesen wissenschaftlichen Institutionen, nur dass sie ihrem Wesen nach an die Hoefe gewiesen sind. Die materielle Unterstuetzung kann ihnen auch anderswo zuteil werden; aber wichtiger als diese ist die Gunst der hoechsten Kreise, die ihnen die Segel schwellt, und die Verbindungen, welche, in den grossen Zentren zusammenlaufend, diese Kreise der Wissenschaft fuellen und erweitern. In der besseren Zeit der Alexandermonarchien hatte es solcher Zentren so viele gegeben als es Staaten gab, und dasjenige des Lagidenhofs war nur das angesehenste unter ihnen gewesen. Die roemische Republik hatte die uebrigen eines nach dem andern in ihre Gewalt gebracht und mit den Hoefen auch die dazugehoerigen wissenschaftlichen Anstalten und Kreise beseitigt. Dass der kuenftige Augustus, als er den letzten dieser Hoefe aufhob, die damit verknuepften gelehrten Institute bestehen liess, ist die rechte und nicht die schlechteste Signatur der veraenderten Zeit. Der energischere und hoehere Philhellenismus des Caesarenregiments unterschied sich zu seinem Vorteil von dem republikanischen dadurch, dass er nicht bloss griechischen Literaten in Rom zu verdienen gab, sondern die grosse Tutel der griechischen Wissenschaft als einen Teil der Alexanderherrschaft betrachtete und behandelte. Freilich war, wie in dieser gesamten Regeneration des Reiches, der Bauplan grossartiger als der Bau. Die koeniglich patentierten und pensionierten Musen, welche die Lagiden nach Alexandreia gerufen hatten, verschmaehten es nicht, die gleichen Bezuege auch von den Roemern anzunehmen; und die kaiserliche Munifizenz stand hinter der frueheren koeniglichen nicht zurueck. Der Bibliothekfonds von Alexandreia und der Fonds der Freistellen fuer Philosophen, Poeten, Aerzte und Ge lehrte aller Art ^46 sowie die diesen gewaehrten Immunitaeten wurden von Augustus nicht vermindert, von Kaiser Claudius vermehrt, freilich mit der Auflage, dass die neuen Claudischen Akademiker die griechischen Geschichtswerke des wunderlichen Stifters Jahr fuer Jahr in ihren Sitzungen zum Vortrag zu bringen hatten. Mit der ersten Bibliothek der Welt behielt Alexandreia zugleich durch die ganze Kaiserzeit einen gewissen Primat der wissenschaftlichen Arbeit, bis das Museion zugrunde ging und der Islam die antike Zivilisation erschlug. Es war auch nicht bloss die damit gebotene Gelegenheit, sondern zugleich die alte Tradition und die Geistesrichtung dieser Hellenen, welche der Stadt jenen Vorrang bewahrte, wie denn unter den Gelehrten die geborenen Alexandriner an Zahl und Bedeutung hervorragen. Auch in dieser Epoche sind zahlreiche und achtbare gelehrte Arbeiten, namentlich philologische und physikalische, aus dem Kreise der Gelehrten "vom Museum", wie sie gleich den Parisern "vom Institut" sich titulierten, hervorgegangen; aber die literarische Bedeutung, welche die alexandrinische und die pergamenische Hofwissenschaft und Hofkunst in der besseren Epoche des Hellenismus fuer die gesamte hellenische und hellenisierende Welt gehabt hat, knuepfte nie auch nur entfernt sich an die roemisch-alexandrinische. Die Ursache liegt nicht in dem Mangel an Talenten oder anderen Zufaelligkeiten, am wenigsten daran, dass der Platz im Museum vom Kaiser zuweilen nach Gaben und immer nach Gunst vergeben ward und die Regierung damit voellig schaltete wie mit dem Ritterpferd und den Hausbeamtenstellungen; das war auch an den aelteren Hoefen nicht anders gewesen. Hofphilosophen und Hofpoeten blieben in Alexandreia, aber nicht der Hof; es zeigte sich hier recht deutlich, dass es nicht auf die Pensionen und Gratifikationen ankam, sondern auf die fuer beide Teile belebende Beruehrung der grossen politischen und der grossen wissenschaftlichen Arbeit. Diese stellte wohl fuer die neue Monarchie sich ein und damit auch ihre Konsequenzen; aber die Staette dafuer war nicht Alexandreia: diese Bluete der politischen Entwicklung gehoerte billig den Lateinern und der lateinischen Hauptstadt. Die augustische Poesie und die augustische Wissenschaft sind unter aehnlichen Verhaeltnissen zu aehnlicher bedeutender und erfreulicher Entwicklung gelangt wie die hellenistische an dem Hof der Pergamener und der frueheren Ptolemaeer. Sogar indem griechischen Kreise knuepfte, soweit die roemische Regierung auf denselben im Sinne der Lagiden einwirkte, mehr als an Alexandreia sich dies an Rom an. Die griechischen Bibliotheken der Hauptstadt standen freilich der alexandrinischen nicht gleich und ein dem alexandrinischen Museum vergleichbares Institut gab es in Rom nicht. Aber die Stellung an den roemischen Bibliotheken oeffnete die Beziehungen zu dem Hofe. Auch die von Vespasian eingerichtete, von der Regierung besetzte und besoldete hauptstaedtische Professur der griechischen Rhetorik gab ihrem Inhaber, wenn er gleich nicht in dem Sinne Hausbeamter war wie der kaiserliche Bibliothekar, eine aehnliche Stellung und galt, ohne Zweifel deswegen, als der vornehmste Lehrstuhl des Reiches ^47. Vor allem aber war das kaiserliche Kabinettssekretariat in seiner griechischen Abteilung die angesehenste und einflussreichste Stellung, zu der ein griechischer Literat ueberhaupt gelangen konnte. Versetzung von der alexandrinischen Akademie in ein derartiges hauptstaedtisches Amt war nachweislich Befoerderung ^48. Auch abgesehen von allem, was die griechischen Literaten sonst allein in Rom fanden, genuegten die Hofstellungen und die Hofaemter, um den angesehensten von ihnen den Zug vielmehr dahin zu geben als an den aegyptischen "Freitisch". Das gelehrte Alexandreia dieser Zeit ward eine Art Witwensitz der griechischen Wissenschaft, achtungswert und nuetzlich, aber auf den grossen Zug der Bildung wie der Verbildung der Kaiserzeit von keinem durchschlagenden Einfluss; die Plaetze im Museum wurden, wie billig, nicht selten an namhafte Gelehrte von auswaerts vergeben, und fuer das Institut selbst kamen die Buecher der Bibliothek mehr in Betracht als die Buerger der grossen Handelsund Fabrikstadt. ------------------------------------------------ ^46 Ein "homerischer Poet" ek Moyseioy bringt es fertig, den Memnon in vier homerischen Versen anzusingen, ohne ein Wort von dem Seinen hinzuzutun (CIG 4748). Hadrian macht einen alexandrinischen Poeten zum Lohn fuer ein loyales Epigramm zum Mitglied (Athenaeos 15 p. 677 e). Beispiele von Rhetoren aus hadrianischer Zeit bei Philostratos vit. soph. 1, 22, 3. c. 25, 3. Ein philosophos apo Moyseioy in Halikarnassos (BCH 4, 1880, S. 405). In spaeterer Zeit, wo der Circus alles ist, finden wir einen namhaften Ringkaempfer - vielleicht darf man sagen, als Ehrenmitglied der philosophischen Klasse (Inschrift aus Rom CIG 5914: ne/o/koros to? megaloy Sarapidos kai t/o/n en t/o/ Moysei/o/ seitoymen/o/n atel/o/n philosoph/o/n; vgl. das. 4724 und Firm. err. 13,3). Oi en Ephes/o/ apo to? Moyseioy iatroi (Wood, Ephesus. Inscriptions from tombs, n. 7), eine Gesellschaft ephesischer Aerzte, beziehen sich wohl auch auf das Museum von Alexandreia, aber sind schwerlich Mitglieder desselben, sondern in demselben gebildet. ^47 O an/o/ thronos bei Philostratos vit. soph. 2, 10, 5. ^48 Beispiele sind Chaeremon, der Lehrer Neros, vorher angestellt in Alexandreia (Suidas Aeion?sios Alexandre?s; vgl. Zeller, Hermes 11, 1876, S. 430 und oben 7, 275); Dionysios, des Glaukos Sohn, zuerst in Alexandreia Nachfolger Chaeremons, dann von Nero bis auf Traian Bibliothekar in Rom und kaiserlicher Kabinettssekretaer (Suidas. a. a. O.); L. Julius Vestinus unter Hadrian, der sogar nach der Vorstandschaft des Museums dieselben Stellungen wie Dionysios in Rom bekleidete, auch als philologischer Schriftsteller bekannt. ------------------------------------------------ Die militaerischen Verhaeltnisse Aegyptens stellten, eben wie in Syrien, den Truppen daselbst eine zwiefache Aufgabe: den Schutz der Suedgrenze und der Ostkueste, der freilich mit dem fuer die Euphratlinie erforderlichen nicht entfernt verglichen werden kann, und die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung im Lande wie in der Hauptstadt. Die roemische Besatzung bestand, abgesehen von den bei Alexandreia und auf dem Nil stationierten Schiffen, die hauptsaechlich fuer die Zollkontrolle gedient zu haben scheinen, unter Augustus aus drei Legionen nebst den dazugehoerigen, nicht zahlreichen Hilfstruppen, zusammen etwa 20000 Mann. Es war dies etwa halb soviel, als er fuer die saemtlichen asiatischen Provinzen bestimmte, was der Wichtigkeit dieser Provinz fuer die neue Monarchie entsprach. Die Besatzung wurde aber wahrscheinlich noch unter Augustus selbst um ein Drittel und dann unter Domitian um ein weiteres Drittel vermindert. Anfaenglich waren zwei Legionen ausserhalb der Hauptstadt stationiert; das Hauptlager aber und bald das einzige lag vor den Toren derselben, da wo Caesar der Sohn den letzten Kampf mit Antonius ausgefochten hatte, in der danach benannten Vorstadt Nikopolis. Diese hatte ihr eigenes Amphitheater und ihr eigenes kaiserliches Volksfest und war voellig selbstaendig eingerichtet, so dass eine Zeitlang die oeffentlichen Lustbarkeiten von Alexandreia durch die ihrigen in Schatten gestellt wurden. Die unmittelbare Bewachung der Grenze fiel den Auxilien zu. Dieselben Ursachen also, welche in Syrien die Disziplin lockerten, die zunaechst polizeiliche Aufgabe und die unmittelbare Beruehrung mit der grossen Hauptstadt, kamen auch fuer die aegyptischen Truppen ins Spiel; hier trat noch hinzu, dass die ueble Gewohnheit, den Soldaten bei der Fahne das eheliche Leben oder doch ein Surrogat desselben zu gestatten und die Truppe aus diesen Lagerkindern zu ergaenzen, bei den makedonischen Regimentern der Ptolemaeer seit langem einheimisch war und rasch auch bei den Roemern sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade einbuergerte. Dem entsprechend scheint das aegyptische Korps, in welchem die Okzidentalen noch seltener dienten als in den uebrigen Armeen des Ostens und das zum grossen Teil aus der Buergerschaft und dem Lager von Alexandreia sich rekrutierte, unter allen Armeekorps das am wenigstens angesehene gewesen zu sein, wie denn auch die Offiziere dieser Legion, wie schon bemerkt ward, im Rang denen der uebrigen nachstanden. Die eigentlich militaerische Aufgabe der aegyptischen Truppen haengt eng zusammen mit den Massregeln fuer die Hebung des aegyptischen Handels. Es wird angemessen sein, beides zusammenzufassen und zunaechst die Beziehungen zu den kontinentalen Nachbarn im Sueden, sodann diejenigen zu Arabien und Indien im Zusammenhang darzulegen. Aegypten reicht nach Sueden, wie schon bemerkt, bis zu der Schranke, welche der letzte Katarakt unweit Syene (Assuan) der Schiffahrt entgegenstellt. Jenseits Syene beginnt der Stamm der Kesch, wie die Aegypter sie nennen, oder, wie die Griechen uebersetzen, der Dunkelfarbigen, der Aethiopen, wahrscheinlich den spaeter zu erwaehnenden Urbewohnern Abessiniens stammverwandt, und, wenn auch vielleicht aus der gleichen Wurzel wie die Aegypter entsprungen, doch in der geschichtlichen Entwicklung als fremdes Volk ihnen gegenueberstehend. Weiter suedwaerts folgen die Nahsiu der Aegypter, das heisst die Schwarzen, die Nubier der Griechen, die heutigen Neger. Die Koenige Aegyptens hatten in besseren Zeiten ihre Herrschaft weit in das Binnenland hinein ausgedehnt oder es hatten wenigstens auswandernde Aegypter hier sich eigene Herrschaften gegruendet; die schriftlichen Denkmaeler des pharaonischen Regiments gehen bis oberhalb des dritten Katarakts nach Dongola hinein, wo Nabata (bei Nuri) der Mittelpunkt ihrer Niederlassungen gewesen zu sein scheint; und noch betraechtlich weiter stromaufwaerts, etwa sechs Tagereisen noerdlich von Khartum, bei Schendi im Sennaar, in der Naehe der frueh verschollenen Aethiopenstadt Mero‰ finden sich Gruppen freilich schriftloser Tempel und Pyramiden. Als Aegypten roemisch ward, war es mit dieser Machtentwicklung laengst vorbei und herrschte jenseits Syene ein aethiopischer Stamm unter Koeniginnen, die stehend den Namen oder den Titel Kandake fuehrten ^49 und in jenem einst aegyptischen Nabata in Dongola residierten; ein Volk auf niedriger Stufe der Zivilisation, ueberwiegend Hirten, imstande, ein Heer von 30000 Mann aufzubringen, aber geruestet mit Schilden von Rindshaeuten, bewehrt meist nicht mit Schwertern, sondern mit Beilen oder Lanzen und eisenbeschlagenen Keulen; raeuberische Nachbarn, im Gefecht den Roemern nicht gewachsen. Diese fielen im Jahre 730 (24) oder 731 (23) in das roemische Gebiet ein, wie sie behaupteten, weil die Vorsteher der naechsten Nomen sie geschaedigt haetten, wie die Roemer meinten, weil die aegyptischen Truppen damals grossenteils in Arabien beschaeftigt waren und sie hofften, ungestraft pluendern zu koennen. In der Tat ueberwanden sie die drei Kohorten, die die Grenze deckten, und schleppten aus den naechsten aegyptischen Distrikten Philae, Elephantine, Syene die Bewohner als Sklaven fort und als Siegeszeichen die Statuen des Kaisers, die sie dort vorfanden. Aber der Statthalter, der eben damals die Verwaltung des Landes uebernahm, Gaius Petronius, vergalt den Angriff rasch; mit 10000 Mann zu Fuss und 800 Reitern trieb er sie nicht bloss zum Lande hinaus, sondern folgte ihnen den Nil entlang in ihr eigenes Land, schlug sie nachdruecklich bei Pselchis (Dakke) und erstuermte ihre feste Burg Premis (Ibrim) so wie die Hauptstadt selbst, die er zerstoerte. Zwar erneuerte die Koenigin, ein tapferes Weib, im naechsten Jahre den Angriff und versuchte Premis, wo roemische Besatzung geblieben war, zu erstuermen; aber Petronius brachte rechtzeitig Ersatz, und so entschloss sich die Aethiopin, Gesandte zu senden und um Frieden zu bitten. Der Kaiser gewaehrte ihn nicht bloss, sondern befahl, das unterworfene Gebiet zu raeumen, und wies den Vorschlag seines Statthalters ab, die Besiegten tributpflichtig zu machen. Insofern ist dieser sonst nicht bedeutende Vorgang bemerkenswert, als gleich damals der bestimmte Entschluss der roemischen Regierung sich zeigte, zwar das Niltal, soweit der Fluss schiffbar ist, unbedingt zu behaupten, aber von der Besitznahme der weiten Landschaften am oberen Nil ein fuer allemal abzusehen. Nur die Strecke von Syene, wo unter Augustus die Grenztruppen standen, bis nach Hiera Sykaminos (Maharraka), das sogenannte Zwoelfmeilenland (D/o/dekaschoinos) ist zwar niemals als Nomos eingerichtet und nie als ein Teil Aegyptens, aber doch als zum Reiche gehoerig betrachtet worden; und spaetestens unter Domitian wurden selbst die Posten bis nach Hiera Sykaminos vorgerueckt ^^50. Dabei ist es im wesentlichen geblieben. Die von Nero geplante orientalische Expedition sollte allerdings auch Aethiopien umfassen; aber es blieb bei der vorlaeufigen Erkundung des Landes durch roemische Offiziere bis ueber Mero‰ hinauf. Das nachbarliche Verhaeltnis muss an der aegyptischen Suedgrenze bis in die Mitte des dritten Jahrhunderts im ganzen friedlicher Art gewesen sein, wenn es auch an kleineren Haendeln mit jener Kandake und mit ihren Nachfolgerinnen, die laengere Zeit sich behauptet zu haben scheinen, spaeter vielleicht mit anderen, jenseits der Reichsgrenze zur Vormacht gelangenden Staemmen, nicht gefehlt haben wird. Erst als das Reich in der valerianisch-gallienischen Zeit aus den Fugen ging, brachen die Nachbarn auch ueber diese Grenze. Es ist schon erwaehnt worden, dass die in den Gebirgen an der Suedostgrenze ansaessigen, frueher den Aethiopen gehorchenden Blemyer, ein Barbarenvolk von entsetzlicher Roheit, welches noch Jahrhunderte spaeter sich der Menschenopfer nicht entwoehnt hatte, in dieser Epoche selbstaendig gegen Aegypten vorging und im Einverstaendnis mit den Palmyrenern einen guten Teil Oberaegyptens besetzte und eine Reihe von Jahren behauptete. Der tuechtige Kaiser Probus vertrieb sie; aber die einmal begonnenen Einfaelle hoerten nicht auf ^51, und Kaiser Diocletianus entschloss sich, die Grenze zurueckzunehmen. Das schmale Zwoelfmeilenland forderte starke Besatzung und trug dem Staate wenig ein. Die Nubier, welche in der libyschen Wueste hausten und besonders die grosse Oase stetig heimsuchten, gingen darauf ein, ihre alten Sitze aufzugeben und sich in dieser Landschaft anzusiedeln, die ihnen foermlich abgetreten ward; zugleich wurden ihnen sowohl wie ihren oestlichen Nachbarn, den Blemyern, feste Jahrgelder ausgesetzt, dem Namen nach, um sie fuer die Grenzbewachung zu entschaedigen, in der Tat ohne Zweifel als Abkaufsgelder fuer ihre Pluenderzuege, die natuerlich dennoch nicht aufhoerten. Es war ein Schritt zurueck, der erste, seit Aegypten roemisch war. ------------------------------------------------------------- ^49 Der Eunuch der Kandake, der im Jesaias liest (Apostelgeschichte 8, 27), ist bekannt; eine Kandake regiert auch zu Neros Zeit (Plin. nat. 6, 29, 182) und spiele eine Rolle im Alexanderroman (3, 18 f.). ^50 Dass die Reichsgrenze bis Hiera Sykaminos reichte, ergibt sich fuer das 2. Jahrhundert aus Ptol. geogr. 5, 5, 74, fuer die Zeit Diocletians aus den die Reichsstrassen bis dahin fuehrenden Itinerarien. In der ein Jahrhundert juengeren Notitia dignitatum reichen die Posten wieder nicht hinaus ueber Syene, Philae, Elephantine. In der Strecke von Philae nach Hiera Sykaminos, der Dodekaschoenos Herodots (2, 29), scheinen schon in frueher Zeit fuer die Aegyptern und Aethiopen immer gemeinschaftliche Isis von Philae Tempelabgaben erhoben worden zu sein; aber griechische Inschriften aus der Lagidenzeit haben sich hier nicht gefunden, dagegen zahlreiche datierte aus roemischer, die aeltesten aus der des Augustus (Pselchis, 2 n. Chr.: CIG 5086) und des Tiberius (ebenda, J. 26: 5104; J. 33: 5101), die juengste aus der des Philippus (Kardassi, J. 248: 5010). Diese beweisen nicht unbedingt fuer die Reichsangehoerigkeit des betreffenden Fundorts; aber die eines landvermessenden Soldaten vom Jahre 33 (5101) und die eines praesidium vom Jahre 84 (Talmis, 5042 f.), sowie zahlreiche andere setzen dieselbe allerdings voraus. Jenseits der bezeichneten Grenze hat sich nie ein aehnlicher Stein gefunden; denn die merkwuerdige Inschrift der regina (CIL III, 83), bei Messaurat, suedlich von Schendi (16ø 25’ Breite, 5 Lieues noerdlich von den Ruinen von Naga) gefunden, die suedlichste aller bekannten lateinischen Inschriften, jetzt im Berliner Museum, hat nicht ein roemischer Untertan gesetzt, sondern vermutlich ein aus Rom zurueckkehrender Abgesandter einer afrikanischen Koenigin, der lateinisch redet, vielleicht nur, um zu zeigen, dass er in Rom gewesen sei. ^51 Die tropaea Niliaca, sub quibus Aethiops et Indus intremuit, in einer wahrscheinlich im Jahre 296 gehaltenen Rede (Paneg. 5, 5) gehen auf ein derartiges Rencontre, nicht auf die aegyptische Insurrektion; von Angriffen der Blemyer spricht eine andere Rede vom Jahre 289 (Paneg. 3, 17). Ueber die Abtretung des Zwoelfmeilengebiets an die Nubier berichtet Prok. Pers. 1, 19. Als unter der Herrschaft nicht der Nubier, sondern der Blemyer stehend erwaehnen dasselbe Olympiodorus (fr. 37 Mueller) und die Inschrift des Silko CIG 5072. Das kuerzlich zum Vorschein gekommene Fragment eines griechischen Heldengedichts auf den Blemyersieg eines spaetroemischen Kaisers bezieht Buecheler (Rheinisches Museum N. F. 39, 1880, S. 279 f.) auf den des Marcianus im Jahre 451 (vgl. Priscus fr. 21). ------------------------------------------------------------- Von dem kaufmaennischen Verkehr an dieser Grenze ist aus dem Altertum wenig ueberliefert. Da die Katarakte des oberen Nils den unmittelbaren Wasserweg sperrten, hat sich der Verkehr zwischen dem inneren Afrika und den Aegyptern, namentlich der Elfenbeinhandel in roemischer Zeit mehr ueber die abessinischen Haefen als am Nil hin bewegt; aber gefehlt hat er auch in dieser Richtung nicht ^52. Die auf der Insel Philae zahlreich neben den Aegyptern wohnenden Aethiopen sind offenbar meistens Kaufleute gewesen, und der hier vorwaltende Grenzfrieden wird das Seinige beigetragen haben zum Aufbluehen der oberaegyptischen Grenzstaedte und des aegyptischen Handels ueberhaupt. ------------------------------------------------------------ ^52 Juvenal erwaehnt sat. 11, 124 die Elefantenzaehne, quos mittit porta Syenes. ------------------------------------------------------------ Die Ostkueste Aegyptens stellt der Entwicklung des Weltverkehrs eine schwer zu loesende Aufgabe. Der durchgaengig oede und felsige Strand ist eigentlicher Kultur unfaehig und in alter wie in neuer Zeit eine Wueste ^52. Dagegen naehern die beiden fuer die Kulturentwicklung der alten Welt vorzugsweise wichtigen Meere, das Mittellaendische und das Rote oder Indische sich einander am meisten an den beiden noerdlichsten Spitzen des letzteren, dem Persischen und dem Arabischen Golf; jener nimmt den Euphrat in sich auf, der in seinem mittleren Lauf dem Mittellaendischen Meere nahekommt; dieser ist nur wenige Tagemaersche entfernt von dem in dasselbe Meer fliessenden Nil. Daher nimmt in alter Zeit der Handelsverkehr zwischen dem Osten und dem Westen ueberwiegend entweder die Richtung auf dem Euphrat zu der syrischen und der arabischen Kueste oder er wendet sich von der Ostkueste Aegyptens nach dem Nil. Die Verkehrswege vom Euphrat her sind aelter als die ueber den Nil; aber die letzteren haben den Vorzug der besseren Schiffbarkeit des Stromes und des kuerzeren Landtransports; Die Beseitigung des letzteren durch Herstellung einer kuenstlichen Wasserstrasse ist bei dem Euphratweg ausgeschlossen, bei dem aegyptischen in alter wie in neuer Zeit wohl schwierig, aber nicht unmoeglich befunden. Sonach ist dem Land Aegypten von der Natur selbst vorgeschrieben, die Ostkueste mit dem Nillauf und der noerdlichen Kueste durch Landoder Wasserstrassen zu verbinden; und es gehen auch die Anfaenge derartiger Anlagen bis zurueck in die Zeit derjenigen einheimischen Herrscher, welche zuerst Aegypten dem Ausland und dem grossen Handelsverkehr erschlossen. Auf den Spuren, wie es scheint, aelterer Anlagen der grossen Regenten Aegyptens, Sethi I. und Rhamses II., begann der Sohn Psammetichs, Koenig Necho (610-594 v. Chr.), den Bau eines Kanals, der in der Naehe von Kairo vom Nil abzweigend eine Wasserverbindung mit den Bitterseen bei Ismailia und durch diese mit dem Roten Meer herstellen sollte, ohne indes das Werk vollenden zu koennen. Dass er dabei nicht bloss die Beherrschung des Arabischen Golfs und den Handelsverkehr mit den Arabern in das Auge fasste, sondern das Persische und das Indische Meer und der entlegenere Osten bereits in den Horizont dieses Aegypterkoenigs getreten waren, ist deswegen wahrs cheinlich, weil derselbe Herrscher die einzige im Altertum ausgefuehrte Umschiffung Afrikas veranlasst hat. Ausser Zweifel ist dies fuer Koenig Dareios I., den Herrn sowohl Persiens wie Aegyptens; er vollendete den Kanal, aber, wie seine an Ort und Stelle aufgefundenen Denksteine melden, liess er ihn selbst wieder verschuetten, wahrscheinlich weil seine Ingenieure befuerchteten, dass das Meerwasser, eingelassen in den Kanal, die Gefilde Aegyptens ueberschwemmen werde. ----------------------------------------------------- ^52 Nach der Art, wie Ptolemaeos 4, 5, 14 u. 15 diese Kueste behandelt, scheint sie, eben wie das Zwoelfmeilenland, ausserhalb der Nomeneinteilung gestanden zu haben. ----------------------------------------------------- Der Wettkampf der Lagiden und der Seleukiden, welcher die Politik der nachalexandrischen Zeit ueberhaupt beherrscht, war zugleich ein Kampf zwischen dem Euphrat und dem Nil. Jener war im Besitz, dieser der Praetendent; und in der besseren Zeit der Lagiden ist die friedliche Offensive mit grosser Energie gefuehrt worden. Nicht bloss wurde jener von Necho und Dareios unternommene Kanal, jetzt der "Fluss Ptolemaeos" genannt, durch den zweiten Ptolemaeer Philadelphos (+ 247 v. Chr.) zum ersten Mal der Schiffahrt eroeffnet, sondern es wurden auch an den fuer die Sicherheit der Schiffe und fuer die Verbindung mit dem Nil am besten geeigneten Punkten der schwierigen Ostkueste umfassende Hafenbauten ausgefuehrt. Vor allem geschah dies an der Muendung des zum Nil fuehrenden Kanals, bei den Ortschaften Arsinoe, Kleopatris, Klysma, alle drei in der Gegend des heutigen Suez. Weiter abwaerts entstanden ausser manchen kleineren Anlagen die beiden bedeutenden Emporien Myos Hormos, etwas oberhalb des heutigen Koser, und Berenike im Trogodytenland, ungefaehr in gleicher Breite mit Syene am Nil sowie mit dem arabischen Hafen Leuke Kome, von der Stadt Koptos, bei der der Nil am weitesten oestlich vorspringt, jenes sechs bis sieben, dieses elf Tagemaersche entfernt und durch quer durch die Wueste angelegte, mit grossen Zisternen versehene Strassen mit diesem Hauptemporium am Nil verbunden. Der Warenverkehr der Ptolemaeerzeit ist wahrscheinlich weniger durch den Kanal gegangen als ueber diese Landwege nach Koptos. Ueber jenes Berenike im Trogodytenland hinaus hat sich das eigentliche Aegypten der Lagiden nicht erstreckt. Die weiter gegen Sueden liegenden Ansiedlungen Ptolemais "fuer die Jagd" unterhalb Suakin und die suedlichste Ortschaft des Lagidenreichs, das spaetere Adulis, damals vielleicht "Berenike die goldene" oder "bei Saba" genannt, Zula unweit des heutigen Massaua, bei weitem der beste Hafen an dieser ganzen Kueste, sind nicht mehr gewesen als Kuestenforts und haben mit Aegypten nicht in Landverbindung gestanden. Auch sind diese entlegenen Ansiedlungen ohne Zweifel unter den spaeteren Lagiden entweder verlorengegangen oder freiwillig aufgegeben worden, und war in der Epoche, wo die roemische Herrschaft eintritt, wie im Binnenland Syene, so an der Kueste das trogodytische Berenike die Reichsgrenze. In diesem von den Aegyptern nie besetzten oder frueh geraeumten Gebiet bildete sich, sei es am Ausgang der Lagidenepoche, sei es in der ersten Kaiserzeit, ein unabhaengiger Staat von Ausdehnung und Bedeutung, derjenige der Axomiten ^54, entsprechend dem heutigen Habesch. Er fuehrt seinen Namen von der im Herzen dieses Alpenlandes, acht Tagereisen vom Meer in der heutigen Landschaft Tigre gelegenen Stadt Axomis, dem heutigen Aksum; als Hafen dient ihm das schon erwaehnte beste Emporium an dieser Kueste, Adulis in der Bucht von Massaua. Die urspruengliche Bevoelkerung dieser Landschaft mag wohl das Agau gesprochen haben, von welcher Sprache sich noch heute in einzelnen Strichen des Suedens reine Ueberreste behaupten und die dem gleichen hamitischen Kreise mit den heutigen Bedscha, Dankali, Somali, Galla angehoert; der aegyptischen Bevoelkerung scheint dieser Sprachkreis in aehnlicher Weise verwandt wie die Griechen mit den Kelten und den Slaven, so dass hier wohl fuer die Forschung eine Verwandtschaft, fuer das geschichtliche Dasein aber vielmehr allein der Gegensatz besteht. Aber bevor unsere Kunde von diesem Lande auch nur beginnt, muessen ueberlegene Semitische, zu den himjaritischen Staemmen des suedlichen Arabiens gehoerige Einwanderer den schmalen Meerbusen ueberschritten und ihre Sprache wie ihre Schrift dort einheimisch gemacht haben. Die alte, erst lange nach roemischer Zeit im Volksgebrauch erloschene Schriftsprache von Habesch, das Ge’ez oder, wie sie faelschlich meist genannt wird, die aethiopische ^55, ist rein semitisch ^56, und die jetzt noch lebenden Dialekte, namentlich das Tigrina, sind es im wesentlichen auch, nur durch die Einwirkung des aelteren Agau getruebt. ------------------------------------------- ^54 Das Beste, was wir ueber das Reich von Axomis wissen, lehrt der von einem ihrer Koenige ohne Zweifel in der besseren Kaiserzeit in Adulis gesetzte Stein (CIG 5127b), eine Art von Denkschrift ueber die Taten dieses anscheinenden Reichsgruenders im Stil der persepolitanischen des Dareios oder der ancyranischen des Augustus und angebracht an dem Koenigsthron, vor welchem bis in das 6. Jahrhundert hinein die Verbrecher hingerichtet wurden. Die sachkundige Eroerterung Dillmanns (Abhandlungen der Berliner Akademie, 1877, S. 195 f.) erklaert, was davon erklaerbar ist. Vom roemischen Standpunkt aus ist hervorzuheben, dass der Koenig zwar die Roemer nicht nennt, aber deutlich auf ihre Reichsgrenzen Ruecksicht nimmt, indem er die Tangaiten unterwirft mechri t/o/n t/e/s Aig?ptoy ori/o/n und eine Strasse anlegt apo t/o/n t/e/s em/e/s basileias top/o/n mechri Aig?ptoy, ferner als Nordgrenze seiner arabischen Expedition Leuke Kome nennt, die letzte roemische Station an der arabischen Westkueste. Daraus folgt weiter, dass diese Inschrift juenger ist als der unter Vespasian geschriebene Periplus des Roten Meeres; denn nach diesem (c. 5) herrscht der Koenig von Axomis apo t/o/n Moschophag/o/n mechri t/e/s all/e/s barbarias, und zwar ist dies ausschliesslich zu verstehen, da er c. 2 die t?rannoi der Moschophagen nennt und ebenso c. 14 bemerkt, dass jenseits der Strasse Bab el Mandeb kein "Koenig" sei, sondern nur "Tyrannen". Also reichte damals das Axomitanische Reich noch nicht bis zur roemischen Grenze, sondern nur bis etwa nach Ptolemais "der Jagd", ebenso nach der anderen Richtung nicht bis zum Kap Guardafui, sondern nur bis zur Strasse Bab el Mandeb. Auch an der arabischen Kueste spricht der Periplus von Besitzungen des Koenigs von Axomis nicht, obwohl er mehrfach der Dynasten daselbst gedenkt. ^55 Der Name der Aethiopen haftet in besserer Zeit an dem Land am oberen Nil, insbesondere den Reichen von Mero‰ und Nabata, also an dem Gebiet, das wir jetzt Nubien nennen. Im spaeteren Altertum, zum Beispiel von Prokopios, wird die Benennung auf den Staat von Axomis bezogen, und daher bezeichnen die Abessinier seit langem ihr Reich mit diesem Namen. ^56 Daher die Legende, dass die Axomiten von Alexander in Afrika angesiedelte Syrer seien und noch syrisch spraechen (Philostorgius hist. eccl. 3, 6). ------------------------------------------- Ueber die Anfaenge dieses Gemeinwesens hat sich keine Ueberlieferung erhalten. Am Ausgang der neronischen Zeit und vielleicht schon lange vorher herrschte der Koenig der Axomiten an der afrikanischen Kueste etwa von Suakin bis zur Strasse Bab el Mandeb. Einige Zeit darauf - naeher laesst sich die Epoche nicht bestimmen - finden wir ihn als Grenznachbarn der Roemer an der Suedgrenze Aegyptens, auch an der anderen Kueste des Arabischen Meerbusens in dem Zwischengebiet zwischen dem roemischen Besitz und dem der Sabaeer in kriegerischer Taetigkeit, also nach Norden mit dem roemischen Gebiet auch in Arabien sich unmittelbar beruehrend, ueberdies die afrikanische Kueste ausserhalb des Busens vielleicht bis zum Kap Guardafui beherrschend. Wie weit sich sein Gebiet von Axomis landeinwaerts erstreckt hat, erhellt nicht; Aethiopien, das heisst Sennaar und Dongola, haben wenigstens in der frueheren Kaiserzeit schwerlich dazu gehoert; vielmehr mag zu der Zeit das Reich von Nabata neben dem axomitischen bestanden haben. Wo uns die Axomiten entgegentreten, finden wir sie auf einer verhaeltnismaessig vorgeschrittenen Stufe der Entwicklung. Unter Augustus hob sich der aegyptische Handelsverkehr nicht minder wie mit Indien so mit diesen afrikanischen Haefen. Der Koenig gebot nicht bloss ueber ein Heer, sondern, wie dies schon seine Beziehungen zu Arabien voraussetzen, auch ueber eine Flotte. Den Koenig Zoskales, der in Vespasians Zeit in Axomis regierte, nennt ein griechischer Kaufmann, der in Adulis gewesen war, einen rechtschaffenen und der griechischen Schrift kundigen Mann; einer seiner Nachfolger hat an Ort und Stelle eine in gelaeufigem Griechisch verfasste Denkschrift aufgestellt, die seine Taten den Fremden erzaehlte; er selbst nennt sich in derselben einen Sohn des Ares, welchen Titel die Koenige der Axomiten bis in das vierte Jahrhundert hinab beibehielten, und widmet den Thron, der jene Denkschrift traegt, dem Zeus, dem Ares und dem Poseidon. Schon zu Zoskales’ Zeit nennt jener Fremde Adulis einen wohlgeordneten Handelsplatz; seine Nachfolger noetigten die schweifenden Staemme der arabischen Kueste, zu Lande wie zur See Frieden zu halten, und stellten eine Landverbindung her von ihrer Hauptstadt bis an die roemische Grenze, was bei der Beschaffenheit dieser zunaechst auf Seeverbindung angewiesenen Landschaft nicht gering anzuschlagen ist. Unter Vespasian dienten Messingstuecke, die nach Beduerfnis geteilt wurden, den Eingeborenen statt des Geldes und zirkulierte die roemische Muenze nur bei den Adulis ansaessigen Fremden; in der spaeteren Kaiserzeit haben die Koenige selber gepraegt. Daneben nennt der axomitische Herrscher sich Koenig der Koenige, und keine Spur deutet auf roemische Klientel; er uebt die Praegung in Gold, was die Roemer nicht bloss in ihrem Gebiet, sondern auch in ihrem Machtbereich nicht zuliessen. Es gibt in der Kaiserzeit ausserhalb der roemisch-hellenischen Grenzen kaum ein anderes Land, welches in gleicher Selbstaendigkeit dem hellenischen Wesen bei sich eine Staette bereitet haette wie der Staat von Habesch. Dass im Lauf der Zeit die einheimische oder vielmehr aus Arabien eingebuergerte Volkssprache die Alleinherrschaft zurueckgewann und das Griechische verdraengte, ist wahrscheinlich teils auf arabischen Einfluss zurueckzufuehren, teils auf den des Christentums und die damit zusammenhaengende Wiederbelebung der Volksdialekte, wie wir sie auch in Syrien und in Aegypten fanden, und schliesst nicht aus, dass die griechische Sprache in Axomis und Adulis im 1. und 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung eine aehnliche Stellung gehabt hat wie in Syrien und in Aegypten, soweit es eben gestattet ist, Kleines mit Grossem zu vergleichen. Von politischen Beziehungen der Roemer zu dem Staat von Axomis wird aus den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, auf welche unsere Erzaehlung sich beschraenkt, kaum etwas gemeldet. Mit dem uebrigen Aegypten nahmen sie auch die Haefen der Ostkueste in Besitz bis hinab zu dem abgelegenen und darum in roemischer Zeit unter einen eigenen Kommandanten gestellten trogodytischen Berenike ^57. An Gebietserweiterung in die unwirtlichen und wertlosen Kuestengebirge hinein ist hier nie gedacht worden; auch kann die duenne und auf der niedrigsten Stufe der Entwicklung stehende Bevoelkerung des naechst angrenzenden Gebiets den Roemern niemals ernsthaft zu schaffen gemacht haben. Ebensowenig haben die Caesaren so, wie es die frueheren Lagiden getan hatten, sich der Emporien der axomitanischen Kueste zu bemaechtigen versucht. Ausdruecklich gemeldet wird nur, dass Gesandte des Axomitenkoenigs mit Kaiser Aurelian verhandelten. Aber eben dieses Stillschweigen sowie die frueher bezeichnete unabhaengige Stellung des Herrschers ^58 fuehren darauf, dass hier die geltenden Grenzen beiderseits dauernd respektiert wurden und ein gutes nachbarliches Verhaeltnis bestand, welches den Interessen des Friedens und vornehmlich dem aegyptischen Handelsverkehr zugute kam. Dass dieser, insbesondere der wichtige Elfenbeinhandel, in welchem Adulis fuer das innere Afrika das hauptsaechliche Entrepot war, ueberwiegend von Aegypten aus und auf aegyptischen Schiffen gefuehrt worden ist, kann bei der ueberlegenen Zivilisation Aegyptens schon fuer die Lagidenzeit keinem Zweifel unterliegen, und auch in roemischer Zeit hat dieser Verkehr sich wohl nur gesteigert, nicht weiter geaendert. ----------------------------------------------------------- ^57 Dies ist der praefectus praesidiorum et montis Beronices (CIL IX, 3083), praefectus montis Berenicidis (Orelli 3881), praefectus Bernicidis (CIL X, 1129), ein Offizier von Ritterrang, analog den oben angefuehrten, in Alexandreia stationierten. ^58 Auch das Schreiben, das Kaiser Constantius im Jahre 356 an den damaligen Koenig von Axomis, Aeizanas, richtet, ist das eines Herrschers an einen anderen gleichgestellten: er ersucht ihn um freundnachbarlichen Beistand gegen die Ausbreitung der athanasischen Ketzerei und um Absetzung und Auslieferung eines derselben verdaechtigen axomitischen Geistlichen. Die Kulturgemeinschaft tritt hier nur um so bestimmter hervor, als der Christ gegen den Christen den Arm des Heiden anruft. ----------------------------------------------------------- Bei weitem wichtiger als der Verkehr mit dem afrikanischen Sueden war fuer Aegypten und das Roemische Reich ueberhaupt der Verkehr mit Arabien und den weiter oestlich gelegenen Kuesten. Die arabische Halbinsel ist dem hellenischen Kulturkreise ferngeblieben. Es waere wohl anders gekommen, wenn Koenig Alexander ein Jahr laenger gelebt haette; der Tod raffte ihn weg mitten in den Vorbereitungen, die bereits erkundete arabische Suedkueste vom Persischen Meerbusen aus zu umfahren und zu besetzen. Aber die Fahrt, die der grosse Koenig nicht hatte antreten koennen, hat nach ihm nie ein Grieche unternommen. Seit fernster Zeit hat dagegen zwischen den beiden Kuesten des Arabischen Meerbusens ein lebhafter Verkehr ueber das maessig breite Wasser hinueber stattgefunden. In den aegyptischen Berichten aus der Pharaonenzeit spielen die Seefahrten nach dem Land Punt, die von dort heimgebrachte Beute an Weihrauch, Ebenholz, Smaragden, Leopardenfellen eine bedeutende Rolle. Dass spaeterhin der noerdliche Teil der arabischen Westkueste zu dem Gebiet der Nabataeer gehoerte und mit diesem in die Gewalt der Roemer kam, ist schon angegeben worden. Es war dies ein oedes Gestade ^59; nur das Emporium Leuke Kome, die letzte Stadt der Nabataeer und insofern auch des Roemischen Reiches, stand nicht bloss mit dem gegenueberliegenden Berenike in Seeverkehr, sondern war auch der Ausgangspunkt der nach Petra und von da zu den Haefen des suedlichen Syriens fuehrenden Karawanenstrasse und insofern einer der Knotenpunkte des orientalisch-okzidentalischen Handels. Die suedlich angrenzenden Gebiete, nordund suedwaerts von dem heutigen Mekka, entsprachen in ihrer Naturbeschaffenheit dem gegenueberliegenden Trogodytenland und sind gleich diesem im Altertum weder politisch noch kommerziell von Bedeutung, auch dem Anschein nach nicht unter einem Szepter geeinigt, sondern von schweifenden Staemmen besetzt gewesen. Aber am Suedende des Busens ist der einzige arabische Stamm zu Hause, welcher in der vorislamischen Zeit zu groesserer Bedeutung gelangt ist. Die Griechen und die Roemer nennen diese Araber in aelterer Zeit nach der damals am meisten hervortretenden Voelkerschaft Sabaeer, in spaeterer nach einer anderen gewoehnlich Homeriten, wir nach der neu-arabischen Form des letzteren Namens jetzt meistens Himjariten. Die Entwicklung dieses merkwuerdigen Volkes hatte lange vor dem Beginn der roemischen Herrschaft ueber Aegypten eine bedeutende Stufe erreicht ^60. Seine Heimstatt, das "glueckliche Arabien" der Alten, die Gegend von Mocha und Aden, ist von einer schmalen, gluehend heissen und oeden Strandebene umsaeumt, aber das gesunde und temperierte Innere von Jemen und Hadramaut erzeugt an den Gebirgshaengen und in den Taelern eine ueppige Vegetation, und die zahlreichen Bergwaesser gestatten bei sorgfaeltiger Wirtschaft vielfach eine gartenartige Kultur. Von der reichen und eigenartigen Zivilisation dieser Landschaft geben noch heute ein redendes Zeugnis die Reste von Stadtmauern und Tuermen, von Nutz- , namentlich Wasserbauten und mit Inschriften bedeckten Tempeln, welche die Schilderung der alten Schriftsteller von der Pracht und dem Luxus dieser Landschaft vollkommen bestaetigen; ueber die Burgen und Schloesser der zahlreichen Kleinfuersten Jemens haben die arabischen Geographen Buecher geschrieben. Beruehmt sind die Truemmer des maechtigen Dammes, welcher einst in dem Tal bei Mariaba den Danafluss staute und es moeglich machte, die Fluren aufwaerts zu bewaessern ^61, und von dessen Durchbruch und der dadurch angeblich veranlassten Auswanderung der Bewohner von Jemen nach Norden die Araber lange Zeit ihre Jahre gezaehlt haben. Vor allem aber ist dieser Bezirk einer der Ursitze des Grosshandels zu Lande wie zur See, nicht bloss weil seine Produkte, der Weihrauch, die Edelsteine, das Gummi, die Kassia, Aloe, Senna, Myrrhe und zahlreiche andere Drogen den Export hervorrufen, sondern auch weil dieser semitische Stamm, aehnlich wie der der Phoeniker, seiner ganzen Art nach fuer den Handel geschaffen ist; eben wie die neueren Reisenden sagt auch Strabon, dass die Araber alle Haendler und Kaufleute sind. Die Silberpraegung ist hier alt und eigenartig; die Muenzen sind anfaenglich athenischen Stempeln, spaeter roemischen des Augustus nachgepraegt, aber auf einen selbstaendigen, wahrscheinlich babylonischen Fuss ^62. Aus dem Land dieser Araber fuehrten die uralten Weihrauchstrassen quer durch die Wueste nach den Stapelplaetzen am Arabischen Meerbusen Aelana und dem schon genannten Leuke Kome und den Emporien Syriens, Petra und Gaza ^63; diese Wege des Landhandels, welche neben denen des Euphrat und des Nil den Verkehr zwischen Orient und Okzident seit aeltester Zeit vermitteln, sind vermutlich die eigentliche Grundlage des Aufbluehens von Jemen. Aber der Seeverkehr gesellte ebenfalls bald sich dazu; der grosse Stapelplatz dafuer ward Adane, das heutige Aden. Von hier aus gingen die Waren zu Wasser, sicher ueberwiegend auf arabischen Schiffen, entweder nach eben jenen Stapelplaetzen am Arabischen Meerbusen und also nach den syrischen Haefen oder nach Berenike und Myos Hormos und von da nach Koptos und Alexandreia. Dass dieselben Araber ebenfalls in sehr frueher Zeit sich der gegenueberliegenden Kueste bemaechtigten und ihre Sprache und Schrift und ihre Zivilisation nach Habesch verpflanzten, wurde schon gesagt. Wenn Koptos, das Nil-Emporium fuer den oestlichen Handel, ebenso viel Araber wie Aegypter zu Bewohnern hatte, wenn sogar die Smaragdgruben oberhalb Berenike (bei Djebel Zebara) von den Arabern ausgebeutet wurden, so zeigt dies, dass sie im Lagidenstaat selbst den Handel bis zu einem gewissen Grad in der Hand hatten; und dessen passives Verhalten in Betreff des Verkehrs auf dem Arabischen Meer, wohin hoechstens einmal ein Zug gegen die Piraten unternommen wurde ^64, wird eher begreiflich, wenn ein seemaechtiger und geordneter Staat diese Gewaesser beherrschte. Auch ausserhalb ihres eigenen Meeres begegnen wir den Arabern des Jemen. Adane blieb bis in die roemische Kaiserzeit hinein Stapelplatz des Verkehrs einerseits mit Indien, andererseits mit Aegypten und gedieh trotz seiner eigenen unguenstigen Lage an dem baumlosen Strand zu solcher Bluete, dass die Benennung des "gluecklichen Arabien" zunaechst auf diese Stadt sich bezieht. Die Herrschaft, die in unseren Tagen der Imam von Maskat im Suedosten der Halbinsel ueber die Inseln Sokotra und Sansibar und die afrikanische Ostkueste vom Kap Guardafui suedlich ausgeuebt hat, stand in vespasianischer Zeit "von alters her" den Fuersten Arabiens zu: die Dioskorides-Insel, eben jenes Sokotra, gehorchte damals dem Koenig von Hadramaut, Azania, das heisst die Kueste Somal und weiter suedlich einem der Unterkoenige seines westlichen Nachbarn, des Koenigs der Homeriten. Die suedlichste Station an der ostafrikanischen Kueste, von welcher die aegyptischen Kaufleute wussten, Rhapta in der Gegend von Sansibar, pachteten von diesem Scheich die Kaufleute von Muza, das ist ungefaehr das heutige Mocha, "und senden dorthin ihre Handelsschiffe, meistens bemannt mit arabischen Kapitaenen und Matrosen, welche mit den Eingeborenen zu verkehren gewohnt und oft durch Heirat verknuepft und der Oertlichkeiten und der Landessprachen kundig sind". Die Bodenkultur und die Industrie reichten dem Handel die Hand: in den vornehmen Haeusern Indiens trank man neben dem italischen Falerner und dem syrischen Laodikener auch arabischen Wein; und die Lanzen und die Schusterpfriemen, welche die Eingeborenen der Kueste von Sansibar von den fremden Haendlern kauften, waren Fabrikat von Muza. So ward diese Landschaft, die zudem viel verkaufte und wenig kaufte, eine der reichsten der Welt. ----------------------------------------------------- ^59 Landeinwaerts liegt das uralte Teima, der Sohn Ismaels der Genesis, von dem assyrischen Koenig Tiglatpilesar im achten Jahrhundert vor Chr. unter seinen Eroberungen aufgezaehlt, von dem Propheten Jeremias zusammen mit Sidon genannt, ein merkwuerdiger Knotenpunkt assyrischer, aegyptischer, arabischer Beziehungen, dessen weitere Entfaltung, nachdem kuehne Reisende ihn erschlossen haben, wir von der orientalischen Forschung erwarten duerfen. In Teima selbst fand kuerzlich Euting aramaeische Inschriften aeltester Epoche (Noeldeke, SB Berlin 1884, S. 813 f.) Aus dem nicht weit entfernten Orte Medain-Salih (Hidjr) stammen gewisse, den attischen nachgepraegte Muenzen, welche zum Teil die Eule der Pallas durch dasjenige Goetterbild ersetzen, das die Aegypter bezeichnen als Besa, den Herrn von Punt, das heisst von Arabien (Erman, Zeitschrift fuer Numismatik 9, 1880, S. 296f.). Der ebendaselbst gefundenen nabataeischen Inschriften wurde schon gedacht Nicht weit von da bei ’Ola (el-Ally) haben sich Inschriften gefunden, die in der Schrift und in den Goetterund Koenigsnamen denen der suedarabischen Minaeer entsprechen und zeigen, dass diese hier, sechzig Tagereisen von ihrer Heimat, aber auf der von Eratosthenes erwaehnten Weihrauchstrasse von Minaea nach Aelana, eine bedeutende Station gehabt haben; daneben andere eines verwandten, aber nicht identischen suedarabischen Stammes (D. H. Mueller in den Berichten der Wiener Akademie vom 17. Dezember 1884). Die minaeischen Inschriften gehoeren ohne Zweifel der vorroemischen Zeit an. Da bei der Einziehung des nabataeischen Koenigreichs durch Traian diese Landstriche aufgegeben wurden, so mag von da an ein anderer suedarabischer Stamm dort geherrscht haben. ^60 Die an den Weihrauchhandel anknuepfenden Nachrichten bei Theophrastos (+ 287 vor Chr.; hist. plant. 9, 4) und vollstaendiger bei Eratosthenes (t 194 vor Chr.; bei Strabon 16, 4, 2 p. 768) von den vier grossen Voelkerschaften der Minaeer (Mamali Theophr.?) mit der Hauptstadt Karna; der Sabaeer (Saba Theophr.) mit der Hauptstadt Mariaba; der Kattabanen (Kitibaena Theophr.) mit der Hauptstadt Tamna; der Chatramotiten (Hadramyta Theophr.) mit der Hauptstadt Sabata umschreiben eben den Kreis, aus dem das Homeritenreich sich entwickelt hat, und bezeichnen seine Anfaenge. Die viel gesuchten Minaeer sind jetzt mit Sicherheit nachgewiesen in Ma’in im Binnenland oberhalb Marib und Hadramaut, wo Hunderte von Inschriften sich gefunden und schon nicht weniger als 26 Koenigsnamen ergeben haben. Mariaba heisst heute noch Marib. Die Landschaft Chatramotitis oder Chatramitis ist Hadramaut. ^61 Die merkwuerdigen Reste dieses mit groesster Praezision und Geschicklichkeit ausgefuehrten Bauwerks sind beschrieben von Arnaud (Journal Asiatique, 7. serie, tome 3 a. 1874, S. 3 f. mit Plaenen; vgl. Ritter, Erdkunde, Bd. 12, S. 861). Zu beiden Seiten des jetzt fast ganz verschwundenen Dammes stehen je zwei aus Quadern aufgefuehrte Steinbauten von konischer, fast zylindrischer Form, zwischen denen eine schmale Oeffnung fuer das aus dem Bassin ausfliessende Wasser sich befindet; wenigstens auf der einen Seite fuehrt ein mit Kieseln ausgelegter Kanal dasselbe an diese Pforte. Dieselbe war einstmals mit uebereinander gesetzten Bohlen geschlossen, welche einzeln entfernt werden konnten, um das Wasser nach Beduerfnis abzufuehren. Der eine dieser Steinzylinder traegt die folgende Inschrift (nach der allerdings nicht in allen Einzelheiten gesicherten Uebersetzung von D. H. Mueller, SB Wien 97, 1880, S. 965): "Jata’amar der Herrliche, Sohn des Samah’ali des Erhabenen, Fuerst von Saba, liess den Balap[berg] durchstechen [und errichtete] den Schleusenbau, genannt Rahab, zur leichteren Bewaesserung." Fuer die chronologische Fixierung dieses und zahlreicher anderer Koenigsnamen der sabaeischen Inschriften fehlt es an sicheren Anhaltspunkten. Der assyrische Koenig Sargon sagt in der Khorsabad- Inschrift, nachdem er die Ueberwindung des Koenigs von Gaza, Hanno, im Jahre 716 vor Chr. erzaehlt hat: "ich empfing den Tribut des Pharao, des Koenigs von Aegypten, der Schamsijja, der Koenigin von Arabien, und des Ithamara, des Sabaeers: Gold, Kraeuter des Ostlandes, Sklaven, Pferde und Kamele" (Mueller, a. a. O., S. 988; M. Duncker, Geschichte des Altertums. 5. Aufl. Berlin 1878-83. Bd. 2, S. 327. ^62 Sallet in der Berliner Zeitschrift fuer Numismatik 8, 1881, S. 243. J. H. Mordtmann in der Wiener numismatischen Zeitschrift 12, S. 289. ^63 Plinius (nat. 12, 14, 65) berechnet die Kosten einer Kamellast Weihrauch auf dem Landweg von der arabischen Kueste bis nach Gaza auf 688 Denare (= 600 Mark). "Auf der ganzen Strecke", sagt er, "ist zu zahlen fuer Futter und Wasser und Unterkunft und fuer verschiedene Zoelle; dann fordern die Priester gewisse Anteile und die Schreiber der Koenige; ausserdem erpressen die Wachen und die Trabanten und die Leibwaechter und Diener; dazu kommen dann unsere Reichszoelle." Bei dem Wassertransport fielen diese Zwischenkosten weg. ^64 Die Zuechtigung der Piraten berichtet Agatharchides bei Diod. 3, 43 und Strab. 16, 4, 18 p. 777. Ezion Geber aber in Palaestina am aelanitischen Meerbusen, /e/ n?n Berenik/e/ kaleitai (Ios. ant. Iud. 8, 6, 4), heisst sicher so nicht von einer Aegypterin (J. G. Droysen, Geschichte des Hellenismus, Bd. 3, 2, S. 349), sondern von der Juedin des Tims. ----------------------------------------------------- Wie weit die politische Entwicklung derselben mit der wirtschaftlichen Schritt gehalten hatte, laesst sich fuer die vorroemische und die fruehere Kaiserzeit nicht bestimmen; nur so viel scheint sowohl aus den Berichten der Okzidentalen wie aus den einheimischen Inschriften sich zu ergeben, dass diese Suedwestspitze Arabiens unter mehrere selbstaendige Herrscher mit Gebieten von maessiger Groesse geteilt war. Es standen dort neben den am meisten hervortretenden Sabaeern und Homeriten die schon genannten Chatramotiten in Hadramaut und noerdlich im Binnenland die Minaeer, alle unter eigenen Fuersten. Den Arabern Jemens gegenueber haben die Roemer die gerade entgegengesetzte Politik befolgt wie gegenueber den Axomiten. Augustus, fuer den die Nichterweiterung der Grenzen der Ausgangspunkt des Reichsregiments war, und der die Eroberungsplaene seines Vaters und Meisters beinahe alle fallenliess, hat eine Ausnahme mit der arabischen Suedwestkueste gemacht und ist hier nach freiem Entschluss angreifend vorgegangen. Es geschah dies wegen der Stellung, welche diese Voelkergruppe in dem indisch-aegyptischen Handelsverkehr damals einnahm. Um die politisch und finanziell wichtigste Landschaft seines Herrschaftsgebiets wirtschaftlich auf die Hoehe zu bringen, welche seine Vorherrschen herzustellen versaeumt hatten oder hatten verfallen lassen, bedurfte er vor allem der Gewinnung des Zwischenverkehrs zwischen Arabien und Indien einerund Europa andererseits. Der Nilweg konkurrierte seit langem erfolgreich mit den arabischen und den Euphratstrassen; aber Aegypten spielte dabei, wie wir sahen, wenigstens unter den spaeteren Lagiden eine untergeordnete Rolle. Nicht mit den Axomiten, aber wohl mit den Arabern bestand Handelskonkurrenz; sollte der aegyptische Verkehr aus einem passiven ein aktiver, aus einem indirekten ein direkter werden, so mussten die Araber niedergeworfen werden; und dies ist es, was Augustus gewollt und das roemische Regiment einigermassen auch erreicht hat. Im sechsten Jahre seiner Regierung in Aegypten (Ende 729 25) entsandte Augustus eine eigens fuer diese Expedition hergestellte Flotte von 80 Kriegsund 130 Transportschiffen und die Haelfte der aegyptischen Armee, ein Korps von 10000 Mann, ungerechnet die Zuzuege der beiden naechsten Klientelkoenige, des Nabataeers Obodas und des Juden Herodes, gegen die Staaten der Jemen, um dieselben entweder zu unterwerfen oder wenigstens zugrunde zu richten ^65, woneben die dort aufgehaeuften Schaetze sicher auch in Rechnung kamen. Aber das Unternehmen schlug vollstaendig fehl, und zwar durch die Unfaehigkeit des Fuehrers, des damaligen Statthalters von Aegypten, Gaius Aelius Gallus ^66. Da auf die Besetzung und den Besitz der oeden Kueste von Leuke Kome abwaerts bis an die Grenze des feindlichen Gebiets gar nichts ankam, so musste die Expedition unmittelbar gegen dieses gerichtet und aus dem suedlichsten aegyptischen Hafen die Armee sofort in das glueckliche Arabien gefuehrt werden ^67. Stattdessen wurde die Flotte in dem noerdlichsten, dem von Arsinoe (Suez) fertiggestellt und das Heer in Leuke Kome ans Land gesetzt, gleich als waere es darauf angekommen, die Fahrt der Flotte und den Marsch der Truppen moeglichst zu verlaengern. Ueberdies waren die Kriegsschiffe ueberfluessig, da die Araber keine Kriegsflotte besassen, die roemischen Seeleute mit der Fahrt an der arabischen Kueste unbekannt und die Fahrzeuge, obwohl besonders fuer diese Expedition gebaut, fuer ihre Bestimmung ungeeignet. Die Piloten fanden sich nicht zurecht zwischen den Untiefen und Klippen, und schon die Fahrt auf den roemischen Gewaessern von Arsinoe nach Leuke Kome kostete viele Schiffe und Leute. Hier wurde ueberwintert; im Fruehjahr 730 (24) begann der Zug in Feindesland. Die Araber hinderten ihn nicht, aber wohl Arabien. Wo einmal die Doppelaexte und die Schleudern und Bogen mit dem Pilum und dem Schwert zusammenstiessen, stoben die Eingeborenen auseinander wie die Spreu vor dem Winde; aber die Krankheiten, die im Lande endemisch sind, der Skorbut, der Aussatz, die Gliederlaehmung dezimierten die Soldaten aerger als die blutigste Schlacht, und um so mehr, als der Feldherr es nicht verstand, die schwerfaellige Heermasse rasch vorwaerts zu bringen. Dennoch gelangte die roemische Armee bis vor die Mauern der Hauptstadt der zunaechst von dem Angriff betroffenen Sabaeer, Mariaba. Aber da die Einwohner die Tore ihrer maechtigen, heute noch stehenden Mauern ^68 schlossen und energische Gegenwehr leisteten, verzweifelte der roemische Feldherr an der Loesung der ihm gestellten Aufgabe und trat, nachdem er sechs Tage vor der Stadt gelegen hatte, den Rueckzug an, den die Araber kaum ernstlich stoerten und der im Drang der Not, freilich unter schlimmer Einbusse an Mannschaften, verhaeltnismaessig schnell gelang. ---------------------------------------------------------------- ^65 Dies (prosoikeio?sthai to?toys - to?s Arabas - /e/ katastrephesthai: Strab. 16, 4, 22 p. 780; ei m/e/ o Syllaios ayton - ton Gallon - proydidoy, kan katestrepsato t/e/n Eydaimona pasan: ders. 17, 1, 53 p. 819) war der eigentliche Zweck der Expedition, obwohl auch die Hoffnung auf die fuer das Aerarium eben damals sehr willkommene Beute ausdruecklich erwaehnt wird. ^66 Der Bericht Strabons (16, 4, 22 f. p. 780) ueber die arabische Expedition seines "Freundes" Gallus (philos amin kai etairos Strab. 2, 5, 12 p. 118), in dessen Gefolge er Aegypten bereiste, ist zwar zuverlaessig und ehrlich wie alle seine Meldungen, aber augenscheinlich von diesem Freunde ohne jede Kritik uebernommen. Die Schlacht, in der 10000 Feinde und zwei Roemer fielen, und die Gesamtzahl der in diesem Feldzug Gefallenen, welche sieben ist, richten sich selbst; aber nicht besser ist der Versuch, den Misserfolg auf den nabataeischen Wesir Syllaeos abzuwaelzen durch einen "Verrat", wie er geschlagenen Generalen gelaeufig ist. Allerdings eignete sich dieser insofern zum Suendenbock, als er einige Jahre nachher auf Betreiben des Herodes von Augustus in Untersuchung gezogen und verurteilt und hingerichtet ward (Ios. ant. Iud. 16, 10); aber obwohl wir den Bericht des Agenten besitzen, der diese Sache fuer Herodes in Rom gefuehrt hat, ist darin von diesem Verrat kein Wort zu finden. Dass Syllaeos die Absicht gehabt haben soll, erst die Araber durch die Roemer und dann diese selbst zugrunde zu richten, wie Strabo "meint", ist bei der Stellung der Klientelstaaten Roms geradezu unvernuenftig. Eher liesse sich denken, dass Syllaeos der Expedition deshalb abgeneigt war, weil der Handelsverkehr durch das Nabataeerland durch sie beeintraechtigt werden konnte. Aber den arabischen Minister deswegen des Verrats zu beschuldigen, weil die roemischen Fahrzeuge fuer die arabische Kuestenfahrt ungeeignet waren oder weil das roemische Heer genoetigt war, das Wasser auf Kamelen mitzufuehren, Durra und Datteln statt Brot und Fleisch, Butter statt oel zu essen; als Entschuldigung dafuer, dass auf die bei dem Rueckmarsch in 60 Tagen zurueckgelegte Strecke fuer den Hinmarsch 180 verwendet wurden, die betruegerische Wegweisung vorzufuehren; endlich die vollkommen richtige Bemerkung des Syllaeos, dass ein Landmarsch von Arsinoe nach Leuke Kome untunlich sei, damit zu kritisieren, dass von da nach Petra eine Karawanenstrasse gehe, zeigt nur, was ein vornehmer Roemer einem griechischen Literaten aufzubinden vermochte. ^67 Die schaerfste Kritik des Feldzugs gibt die Auseinandersetzung des aegyptischen Kaufmanns ueber die Zustaende auf der arabischen Kueste von Leuke Kome (el-Haura, noerdlich von Janbo, der Hafenstadt von Medina) bis zur Katakekaumene-Insel (Djebel Tair bei Lohaia). "Verschiedene Voelker bewohnen sie, die teils etwas, teils voellig verschiedene Sprachen reden. Die Bewohner der Kueste leben in Huerden wie die ’Fischesser’ auf dem entgegengesetzten Ufer" (diese Huerden beschreibt er c. 2 als vereinzelt liegend und in die Felsspalten, eingebaut), "die des Binnenlandes in Doerfern und Weidegemeinschaften; es sind boesartige zwiesprachige Menschen, welche die aus der Fahrstrasse verschlagenen Seefahrer pluendern und die Schiffbruechigen in die Sklaverei schleppen. Deshalb wird von den Unterund den Oberkoenigen Arabiens bestaendig auf sie Jagd gemacht; sie heissen Kanraiten (oder Kassaviten). ueberhaupt ist die Schiffahrt an dieser ganzen Kueste gefaehrlich, der Strand hafenlos und unzugaenglich, von boeser Brandung, klippig und ueberhaupt sehr schlimm. Darum halten wir, wenn wir in diese Gewaesser einfahren, uns in der Mitte und eilen, in das arabische Gebiet zu kommen zur Insel Katakekaumene; von da an sind die Bewohner gastlich und begegnen zahlreiche Herden von Schafen und Kamelen." Dieselbe Gegend zwischen der roemischen und der homeritischen Grenze und dieselben Zustaende hat auch der axomitische Koenig im Sinn, wenn er schreibt: peran de t/e/s erythras thalass/e/s oiko?ntas Arrabitas kai Kinaidokolpitas (vgl. Ptol. geogr. 6, 7, 20), srateyma naytikon kai pezikon diapempsamenos kai ypotaxas ayt/o/n to?s basileias, phoroys t/e/s g/e/s telein ekelysa kai ode?esthai met’ eir/e/n/e/s kai pleesthai, apo te Deyk/e/s k/o/m/e/s e/o/s t/o/n Sabai/o/n ch/o/ras epolem/e/sa. ^68 Diese Mauern, von Bruchstein erbaut, bilden einen Kreis von einer Viertelstunde im Durchmesser. Sie sind beschrieben von Arnaud, a. a. O. (vgl. Anm. 61). ---------------------------------------------------------------- Es war ein uebler Misserfolg; aber Augustus gab die Eroberung Arabiens nicht auf. Es ist schon erzaehlt worden, dass die Orientfahrt, die der Kronprinz Gaius im Jahre 753 antrat, in Arabien endigen sollte; es war diesmal im Plan, nach der Unterwerfung Armeniens im Einverstaendnis mit der parthischen Regierung, oder noetigenfalls nach Niederwerfung ihrer Armeen, an die Euphratmuendung zu gelangen und von da aus den Seeweg, den einst der Admiral Nearchos fuer Alexander erkundet hatte, nach dem gluecklichen Arabien zu nehmen ^69. In anderer, aber nicht minder ungluecklicher Weise endigten diese Hoffnungen durch den parthischen Pfeil, der den Kronprinzen vor den Mauern von Artageira traf. Mit ihm ward der arabische Eroberungsplan fuer alle Zukunft begraben. Die grosse Halbinsel ist in der ganzen Kaiserzeit, abgesehen von dem noerdlichen und nordwestlichen Kuestenstriche, in derjenigen Freiheit verblieben, aus welcher seinerzeit der Henker des Hellenentums, der Islam hervorgehen sollte. ------------------------------------------- ^69 Dass die orientalische Expedition des Gaius zum Endziel Arabien hatte, sagt Plinius (namentlich nat. 12, 14, 55, 56; vgl. 2, 67, 168; 6, 27, 141; c. 28, 160; 32, 1, 10) ausdruecklich. Dass sie von der Euphratmuendung ausgehen sollte, folgt daraus, dass die Expedition nach Armenien und Verhandlungen mit der parthischen Regierung ihr vorausgingen. Darum lagen auch den Kollektaneen Jubas ueber die bevorstehende Expedition die Berichte der Feldherren Alexanders ueber ihre Erkundung Arabiens zu Grunde. ------------------------------------------- Aber gebrochen ward der arabische Handel allerdings, teils durch die weiterhin zu eroerternden Massregeln der roemischen Regierung zum Schutz der aegyptischen Schiffahrt, teils durch einen gegen den Hauptstapelplatz des indisch-arabischen Verkehrs von den Roemern gefuehrten Schlag. Sei es unter Augustus selbst, moeglicherweise bei den Vorbereitungen zu der von Gaius auszufuehrenden Invasion, sei es unter einem seiner naechsten Nachfolger, es erschien eine roemische Flotte vor Adane und zerstoerte den Platz; in Vespasians Zeit war er ein Dorf und seine Bluete vorueber. Wir kennen nur die nackte Tatsache ^70, aber sie spricht fuer sich selber. Ein Seitenstueck zu der Zerstoerung Korinths und Karthagos durch die Republik, hat sie wie diese ihren Zweck erreicht und dem roemisch-aegyptischen Handel die Suprematie im Arabischen Meerbusen und im Indischen Meere gesichert. ------------------------------------------- ^70 Die einzige Kunde von dieser merkwuerdigen Expedition hat der aegyptische Kapitaen aufbewahrt der um das Jahr 75 die Fahrt an den Kuesten des Roten Meeres beschrieben hat. Er kennt (c. 26) das Adane der Spaeteren, das heutige Aden, als ein Dorf an der Kueste (k/o/m/e/ parathalassios), das zum Reiche des Koenigs der Homeriten Charibael gehoert, aber frueher eine bluehende Stadt war und davon heisst (eydaim/o/n d’ epekl/e/th/e/ proteron o?sa polis), weil vor der Einrichtung des unmittelbaren indisch-aegyptischen Verkehrs dieser Ort als Stapelplatz diente: n?n de oy pro pollo? t/o/n /e/meter/o/n chron/o/n Kaisar ayt/e/n katestrepsato. Das letzte Wort kann hier nur "zerstoeren" heissen, nicht, wie haeufiger, "unterwerfen", weil die Umwandlung der Stadt in ein Dorf motiviert werden soll. Fuer Kaisar hat Schwanbeck (Rheinisches Museum N. F. 7, 1848, S. 353) CHariba/e/l, C. Moeller Ilasar (wegen Strab. 16, 4, 21 p. 782) vorgeschlagen; beides ist nicht moeglich, dieses nicht, weil dieser arabische Dynast in einem weit entlegenen Distrikt herrschte, auch unmoeglich als bekannt vorausgesetzt werden konnte, jenes nicht, weil Charibael Zeitgenosse des Schreibers war und hier ein vor der Zeit desselben vorgefallenes Ereignis berichtet wird. An der Ueberlieferung wird man nicht Anstoss nehmen, wenn man ueberlegt, welches Interesse die Roemer daran haben mussten, den arabischen Stapelplatz zwischen Indien und Aegypten zu beseitigen und den direkten Verkehr herbeizufuehren. Dass die roemischen Berichte von diesem Vorgang schweigen, ist ihrem Wesen angemessen; die Expedition, welche ohne Zweifel durch eine aegyptische Flotte ausgefuehrt ward und lediglich in der Zerstoerung eines vermutlich wehrlosen Kuestenplatzes bestand, wird vermutlich von keinem Belang gewesen sein; um den grossen Handelsverkehr haben die Annalisten sich nie gekuemmert, und ueberhaupt sind die Vorgaenge in Aegypten noch weniger als die in den andern kaiserlichen Provinzen zur Kenntnis des Senats und damit der Annalisten gekommen. Die nackte Bezeichnung Kaisar, wobei nach Lage der Sache der damals regierende ausgeschlossen ist, erklaert sich wohl daraus, dass der berichtende Kapitaen wohl die Tatsache der Zerstoerung durch die Roemer, aber Zeit und Urheber nicht kannte. Moeglich ist es, dass hierauf die Notiz bei Plinius (nat. 2, 67, 168) zu beziehen ist: maiorem (oceana) partem et orientis victoriae magni Alexandri lustravere usque in Arabicum sinum, in quo res gerente C. Caesare Aug. f. signa navium ex Hispaniensibus naufragiis feruntur agnita. Gaius kam nicht nach Arabien (Plin. nat. 6, 28, 160); aber recht wohl kann waehrend der armenischen Expedition von Aegypten aus ein roemisches Geschwader von einem seiner Unterbefehlshaber an diese Kueste gefuehrt worden sein, um die Hauptexpedition vorzubereiten. Dass darueber sonst Stillschweigen herrscht, kann auch nicht befremden. Die arabische Expedition des Gaius war so feierlich angekuendigt und dann in so uebler Weise aufgegeben worden, dass loyale Berichterstatter alle Ursache hatten, eine Tatsache zu verwischen, die nicht wohl erwaehnt werden konnte, ohne auch das Scheitern des groesseren Planes zu berichten. ------------------------------------------- Indes die Bluete des gesegneten Landes von Jemen war zu fest begruendet, um diesem Schlag zu erliegen; politisch hat es sogar vielleicht erst in dieser Epoche sich straffer zusammengefasst. Mariaba war, als die Waffen des Gallus an seinen Mauern scheiterten, vielleicht nicht mehr als die Hauptstadt der Sabaeer; aber schon damals war die Voelkerschaft der Homeriten, deren Hauptstadt Sapphar etwas suedlich von Mariaba auch im Binnenland liegt, die staerkste des gluecklichen Arabiens. Ein Jahrhundert spaeter finden wir beide vereinigt unter einem in Sapphar regierenden Koenig der Homeriten und der Sabaeer, dessen Herrschaft bis Mocha und Aden und, wie schon gesagt ward, ueber die Insel Sokotra und die Kueste von Somal und Sansibar sich erstreckt; und wenigstens von dieser Zeit an kann von einem Reich der Homeriten die Rede sein. Die Wuestenei noerdlich von Mariaba bis zur roemischen Grenze gehoerte damals nicht dazu und stand ueberhaupt unter keiner geordneten Gewalt ^71; die Fuerstentuemer der Minaeer und der Chatramotiten blieben auch ferner unter eigenen Landesherren. Die oestliche Haelfte Arabiens hat bestaendig einen Teil des Persischen Reiches gebildet und niemals unter dem Szepter der Beherrscher des gluecklichen Arabien gestanden. Auch jetzt also waren die Grenzen enge und sind es wohl geblieben; es ist wenig ueber die weitere Entwicklung der Verhaeltnisse bekannt ^72. In der Mitte des 4. Jahrhunderts war das Reich der Homeriten mit dem der Axomiten vereinigt und wurde von Axomis aus beherrscht ^73, welche Untertaenigkeit indes spaeterhin sich wieder geloest hat. Sowohl das Reich der Homeriten wie das vereinigte axomitisch-homeritische stand als unabhaengiger Staat in der spaeteren Kaiserzeit mit Rom in Verkehr und Vertrag. -------------------------------------------------------- ^71 Der aegyptische Kaufmann unterscheidet den enthesmos basile?s der Homeriten (c. 23) scharf von den t?rannoi, den bald unter ihm stehenden, bald unabhaengigen (c. 14) Stammhaeuptern, und ebenso scharf diese geordneten Zustaende von der Rechtlosigkeit der Wuestenbewohner (c. 2). Wenn Strabon und Tacitus fuer diese Dinge so offene Augen gehabt haetten wie jener praktische Mann, so wuessten wir etwas mehr vom Altertum. ^72 Der Krieg des Macrinus gegen die Arabes eudaemones (vita 12) und die an Aurelian geschickten Boten derselben (vita 33), die neben denen der Axomiten genannt werden, wuerden deren damals fortdauernde Selbstaendigkeit beweisen, wenn auf diese Angaben Verlass waere. ^73 Der Koenig nennt sich um das Jahr 356 (Anm. 58) in einer Urkunde (CIG 5128) basile?s Ax/o/mit/o/n kai Om/e/rit/o/n kai to? Raeidan (Schloss in Sapphar, der Hauptstadt der Homeriten: Dillmann, Abhandlungen der Berliner Akademie, 1878, S. 207) . . . kai Sabaeit/o/n kai to? Sile/e/ (Schloss in Mariaba, der Hauptstadt der Sabaeer: Dillmann a. a. O.). Dazu stimmt die gleichzeitige Sendung von Gesandten ad gentem Axumitarum et Homerita[rum] (Cod. Theod. 12, 12, 2). Ueber die spaeteren Verhaeltnisse vgl. besonders Nonnosus (FEIG 4 p. 179 Mueller) und Prok. Pers. 1, 20. -------------------------------------------------------- In dem Handel und der Schiffahrt haben die Araber des Suedwestens der Halbinsel auch spaeter noch, wenn nicht mehr den Platz der Vormacht, doch die ganze Kaiserzeit hindurch eine hervorragende Stelle eingenommen. Nach der Zerstoerung von Adane ist Muza die Handelsmetropole dieser Landschaft geworden. Noch fuer die vespasianische Zeit trifft die frueher gegebene Darstellung im wesentlichen zu. Der Ort wird uns in dieser Zeit geschildert als ausschliesslich arabisch, bewohnt von Reedern und Seeleuten und voll ruehrigen kaufmaennischen Treibens; mit ihren eigenen Schiffen befahren die Muzaiten die ganze afrikanische Ostund die indische Westkueste und verfrachten nicht bloss die Waren des eigenen Landes, sondern bringen auch die nach orientalischem Geschmack in den Fabriken des Okzidents gefertigten Purpurstoffe und Goldstickereien und die feinen Weine Syriens und Italiens den Orientalen, hinwiederum den Westlaendern die edlen Waren des Ostens. In dem Weihrauch und den sonstigen Aromen muessen Muza und das Emporium des benachbarten Reiches von Hadramaut, Kane, oestlich von Aden, eine Art tatsaechlichen Monopols immer behalten haben; erzeugt wurde diese im Altertum sehr viel mehr als heute gebrauchte Ware wie auf der suedlichen arabischen, so auch auf der afrikanischen Kueste von Adulis bis zum "Vorgebirge der Arome", dem Kap Guardafui, aber von hier holten sie die Kaufleute von Muza, und sie brachten sie in den Welthandel. Auf der schon erwaehnten Dioskorides-Insel war eine gemeinschaftliche Handelsniederlassung der drei grossen seefahrenden Nationen dieser Meere, der Hellenen, das heisst der Aegypter, der Araber und der Inder. Von Beziehungen aber zum Hellenismus, wie wir sie auf der gegenueberliegenden Kueste bei den Axomiten fanden, begegnet im Lande Jemen keine Spur; wenn die Muenzpraegung durch okzidentalische Stempel bestimmt ist, so waren diese eben im ganzen Orient gangbar. Sonst haben sich Schrift und Sprache und Kunstuebung, soweit wir zu urteilen vermoegen, hier ebenso selbstaendig entwickelt wie Handel und Schiffahrt, und sicher ist es dadurch mit bewirkt worden, dass die Axomiten, waehrend sie politisch die Homeriten sich unterwarfen, spaeter aus der hellenischen Bahn in die arabische zuruecklenkten. In dem gleichen Sinn wie fuer die Beziehungen zu dem suedlichen Afrika und zu den arabischen Staaten und in erfreulicherer Weise ist in Aegypten selbst fuer die Wege des Handelsverkehrs zunaechst von Augustus und ohne Zweifel von allen verstaendigen Regenten gesorgt worden. Das von den frueheren Ptolemaeern auf den Spuren der Pharaonen eingerichtete Strassenund Hafensystem war, wie die gesamte Verwaltung, in den Wirren der letzten Lagidenzeit arg heruntergekommen. Es wird nicht ausdruecklich gemeldet, dass Augustus die Landund die Wasserwege und die Haefen Aegyptens wieder instand gesetzt hat; aber dass es geschehen, ist darum nicht minder gewiss. Koptos ist die ganze Kaiserzeit hindurch der Knotenpunkt dieses Verkehrs geblieben ^74. Aus einer kuerzlich aufgefundenen Urkunde hat sich ergeben, dass in der ersten Kaiserzeit die beiden von danach den Haefen von Myos Hormos und von Berenike fuehrenden Strassen durch die roemischen Soldaten repariert und an den geeigneten Stellen mit den erforderlichen Zisternen versehen worden sind ^75. Der Kanal, der das Rote Meer mit dem Nil und also mit dem Mittellaendischen Meer verband, ist auch in roemischer Zeit nur in zweiter Reihe, hauptsaechlich vielleicht fuer den Transport der Marmorund Porphyrbloecke von der aegyptischen Ostkueste an das Mittelmeer benutzt worden; aber fahrbar blieb er durch die ganze Kaiserzeit. Kaiser Traianus hat ihn erneuert und wohl auch erweitert - vielleicht ist er es gewesen, der ihn mit dem noch ungeteilten Nil bei Babylon (unweit Kairo) in Verbindung gesetzt und dadurch seine Wassermenge verstaerkt hat - und ihm den Namen des Traianusoder des Kaiserflusses (Augustus amnis) beigelegt, von welchem in spaeterer Zeit dieser Teil Aegyptens benannt wurde (Augustamnica). ---------------------------------------------- ^74 Aristeides (or. 48 p. 485 Dind.) nennt Koptos den indischen und arabischen Stapelplatz. In dem Roman des Ephesiers Xenophon (4, 1) begeben sich die syrischen Raeuber nach Koptos; "denn dort passieren eine Menge von Kaufleuten durch, die nach Aethiopien und Indien reisen." ^75 Spaeter legte Hadrian die "neue Hadriansstrasse" an, welche von seiner Antinoosstadt bei Hermopolis, wahrscheinlich durch die Wueste nach Myos Hormos und von Myos Hormos am Meer hin, nach Berenike fuehrte, und versah sie mit Zisternen, Quartieren (stathmoi) und Kastellen (Inschrift: Revue archiologique N. S. 21, 1870, S. 314). Indes ist von dieser Strasse nachher nicht die Rede, und es fragt sich, ob sie Bestand gehabt hat. ---------------------------------------------- Auch fuer die Unterdrueckung der Piraterie auf dem Roten und dem Indischen Meer ist Augustus ernstlich taetig gewesen; die Aegypter dankten es ihm noch lange nach seinem Tode, dass durch ihn die Piratensegel vom Meer verschwanden und den Handelsschiffen wichen. Freilich geschah dafuer bei weitem nicht genug. Dass die Regierung in diesen Gewaessern wohl von Zeit zu Zeit Schiffsgeschwader in Taetigkeit setzte, aber eine staendige Kriegsflotte nicht daselbst stationierte; dass die roemischen Kauffahrer regelmaessig im Indischen Meer Schuetzen an Bord nahmen, um die Angriffe der Piraten abzuweisen, wuerde befremden, wenn nicht die relative Gleichgueltigkeit gegen die Unsicherheit der Meere ueberall, hier so gut wie an der belgischen Kueste und an denen des Schwarzen Meeres, wie eine Erbsuende dem roemischen Kaiserregiment oder vielmehr dem roemischen Regiment ueberhaupt anhaftete. Freilich waren die Regierungen von Axomis und von Sapphar durch ihre geographische Lage noch mehr als die Roemer in Berenike und Leuke Kome dazu berufen, der Piraterie zu steuern, und es mag diesem Umstand mit zuzuschreiben sein, dass die Roemer mit diesen teils schwaecheren, teils unentbehrlichen Nachbarn im ganzen in gutem Einvernehmen geblieben sind. Dass der Seeverkehr Aegyptens, wenn nicht mit Adulis, so doch mit Arabien und Indien in derjenigen Epoche, welche der Roemerherrschaft unmittelbar vorherging, in der Hauptsache nicht durch die Aegypter vermittelt ward, ist frueher gezeigt worden. Den grossen Seeverkehr nach Osten erhielt Aegypten erst durch die Roemer. "Nicht zwanzig aegyptische Schiffe im Jahr", sagt ein Zeitgenosse des Augustus, "wagten unter den Ptolemaeern sich aus dem Arabischen Golf hinaus; jetzt fahren jaehrlich 120 Kauffahrer allein aus dem Hafen von Myos Hormos nach Indien." Der Handelsgewinn, den der roemische Kaufmann bis dahin mit dem persischen oder arabischen Zwischenhaendler hatte teilen muessen, floss seit der Eroeffnung der direkten Verbindung mit dem ferneren Osten ihm in seinem ganzen Umfang zu. Dies ist wahrscheinlich zunaechst dadurch erreicht worden, dass den arabischen und indischen Fahrzeugen die aegyptischen Haefen wenn nicht geradezu gesperrt, so doch durch Differenzialzoelle tatsaechlich geschlossen wurden ^76; nur durch die Voraussetzung einer solchen Navigationsakte zu Gunsten der eigenen Schiffahrt konnte diese ploetzliche Umgestaltung der Handelsverhaeltnisse herbeigefuehrt werden. Aber der Verkehr wurde nicht bloss gewaltsam aus einem passiven in einen aktiven umgewandelt; er wurde auch absolut gesteigert, teils infolge der vermehrten Nachfrage im Okzident nach den Waren des Ostens, teils auf Kosten der uebrigen Verkehrsstrassen durch Arabien und Syrien. Fuer den arabischen und den indischen Handel mit dem Okzident erwies sich der Weg ueber Aegypten mehr und mehr als der kuerzeste und der billigste. Der Weihrauch, der in aelterer Zeit grossenteils auf dem Landweg durch das innere Arabien nach Gaza ging, kam spaeterhin meistens zu Wasser ueber Aegypten. Einen neuen Aufschwung nahm um die Zeit Neros der indische Verkehr, indem ein kundiger und mutiger aegyptischer Kapitaen, Hippalos, es wagte, statt an der langgestreckten Kueste hin vielmehr vom Ausgang des Arabischen Golfs durch das offene Meer geradewegs nach Indien zu steuern; er kannte den Monsun, den seitdem die Schiffer, die nach ihm diese Strasse befuhren, den Hippalos nannten. Seitdem war die Fahrt nicht bloss wesentlich kuerzer, sondern auch den Landund den Seepiraten weniger ausgesetzt. In welchem Umfang der sichere Friedensstand und der zunehmende Luxus den Verbrauch orientalischer Waren im Okzident steigerte, lassen einigermassen die Klagen erkennen, welche in der Zeit Vespasians laut wurden ueber die ungeheuren Summen, welche dafuer aus dem Reiche hinausgingen. Den Gesamtbetrag der jaehrlich den Arabern und den Indern gezahlten Kaufgelder schlaegt Plinius auf 100 (= 22 Mill. Mark), fuer Arabien allein auf 55 Mill. Sesterzen (= 12 Mill. Mark) an, wovon freilich ein Teil durch Warenexport gedeckt ward. Die Araber und die Inder kauften wohl die Metalle des Okzidents, Eisen, Kupfer, Blei, Zinn, Arsenik, die frueher erwaehnten aegyptischen Artikel, den Wein, den Purpur, das Goldund Silbergeraet, auch Edelsteine, Korallen, Krokusbalsam; aber sie hatten dem fremden Luxus immer weit mehr zu bieten, als fuer ihren eigenen zu empfangen. Daher ging nach den grossen arabischen und indischen Emporien das roemische Goldund Silbergeld in ansehnlichen Quantitaeten. In Indien hatte dasselbe schon unter Vespasian sich so eingebuergert, dass man es mit Vorteil dort ausgab. Von diesem orientalischen Verkehr kam der groesste Teil auf Aegypten; und wenn die Steigerung des Verkehrs durch die vermehrten Zolleinnahmen der Regierungskasse zugute kam, so hob die Noetigung zu eigenem Schiffbau und eigener Kauffahrt den Wohlstand der Privaten. ------------------------------------------ ^76 Ausdruecklich gesagt wird dies nirgends, aber es geht deutlich aus dem Periplus des Aegypters hervor. Er spricht an zahlreichen Stellen von dem Verkehr des nicht roemischen Afrika mit Arabien (c. 7. 8) und umgekehrt der Araber mit dem nicht roemischen Afrika (c. 17. 21. 31; danach Ptol. geogr. 1, 17, 6) und mit Persien (c. 27. 33) und Indien (c. 21. 27. 49); ebenso von dem der Perser mit Indien (c. 36) so wie der indischen Kauffahrer mit dem nicht roemischen Afrika (c. 14. 31. 32) und mit Persien (c. 36) und Arabien (c. 32). Aber mit keinem Worte deutet er an, dass diese fremden Kaufleute auch nach Berenike, Myos Hormos, Leuke Kome kaemen; ja wenn er bei dem wichtigsten Handelsplatz dieses ganzen Kreises, bei Muza bemerkt, dass diese Kaufleute mit ihren eigenen Schiffen nach der afrikanischen Kueste ausserhalb der Strasse Bab el Mandeb (denn das ist ihm to peran) und nach Indien fahren, so kann Aegypten unmoeglich zufaellig fehlen. ------------------------------------------ Waehrend also die roemische Regierung ihre Herrschaft in Aegypten auf den engen Raum beschraenkte, den die Schiffbarkeit des Nils abgrenzt, und sei es nun in Kleinmut oder in Weisheit, auf jeden Fall mit folgerichtiger Energie weder Nubien noch Arabien jemals zu erobern versuchte, erstrebte sie mit gleicher Energie den Besitz des arabischen und des indischen Grossverkehrs und erreichte wenigstens eine bedeutende Beschraenkung der Konkurrenten. Die ruecksichtslose Verfolgung der Handelsinteressen bezeichnet wie die Politik der Republik so nicht minder, und vor allem in Aegypten, die des Prinzipats. Wie weit ueberhaupt gegen Osten der direkte roemische Seeverkehr gegangen ist, laesst sich nur annaehernd bestimmen. Zunaechst nahm er die Richtung auf Barygaza (Barotsch am Meerbusen von Cambay, oberhalb Bombay), welcher grosse Handelsplatz durch die ganze Kaiserzeit der Mittelpunkt des aegyptisch-indischen Verkehrs geblieben sein wird; mehrere Orte auf der Halbinsel Gudjarat fuehren bei den Griechen griechische Benennungen, wie Naustathmos und Theophila. In der flavischen Zeit, in welcher die Monsunfahrten schon stehend geworden waren, ist die ganze Westkueste Vorderindiens den roemischen Kaufleuten erschlossen bis hinab zu der Kueste von Malabar, der Heimat des hoch geschaetzten und teuer bezahlten Pfeffers, dessen wegen sie die Haefen von Muziris (wahrscheinlich Mangaluru) und Nelkynda (indisch wohl Nilakantha, von einem der Beinamen des Gottes Schiwa; wahrscheinlich das heutige Nileswara) besuchten; etwas weiter suedlich bei Kananor haben sich zahlreiche roemische Goldmuenzen der julischclaudischen Epoche gefunden, einst eingetauscht gegen die fuer die roemischen Kuechen bestimmten Gewuerze. Auf der Insel Salike, der Taprobane der aelteren griechischen Schiffer, dem heutigen Ceylon, hatte in Claudius’ Zeit ein roemischer Angestellter, der von der arabischen Kueste durch Stuerme dorthin verschlagen worden war, freundliche Aufnahme bei dem Landesherrn gefunden, und es hatte dieser, verwundert, wie der Bericht sagt, ueber das gleichmaessige Gewicht der roemischen Muenzstuecke trotz der Verschiedenheit der Kaiserkoepfe, mit dem Schiffbruechigen zugleich Gesandte an seinen roemischen Kollegen geschickt. Dadurch erweiterte sich zunaechst nur der Kreis der geographischen Kunde; erst spaeter, wie es scheint, wurde die Schiffahrt bis nach jener grossen und produktenreichen Insel ausgedehnt, auf der auch mehrfach roemische Muenzen zum Vorschein gekommen sind. Aber ueber das Kap Komorin und Ceylon gehen die Muenzfunde nur ausnahmsweise hinaus ^77, und schwerlich hat auch nur die Kueste von Kornmandel und die Gangesmuendung, geschweige denn die hinterindische Halbinsel und China staendigen Handelsverkehr mit den Okzidentalen unterhalten. Die chinesische Seide ist allerdings schon frueh regelmaessig nach dem Westen vertrieben worden, aber, wie es scheint, ausschliesslich auf dem Landweg und durch Vermittlung teils der Inder von Barygaza, teils und vornehmlich der Parther: die Seidenleute oder die Serer (von dem chinesischen Namen der Seide, Ser) der Okzidentalen sind die Bewohner des Tarim-Beckens, nordwestlich von Tibet, wohin die Chinesen ihre Seide brachten, und auch den Verkehr dorthin hueteten eifersuechtig die parthischen Zwischenhaendler. Zur See sind allerdings einzelne Schiffer zufaellig oder erkundend wenigstens an die hinterindische Ostkueste und vielleicht noch weiter gelangt; der im Anfang des zweiten Jahrhunderts n. Chr. den Roemern bekannte Hafenplatz Kattigara ist eine der chinesischen Kuestenstaedte, vielleicht Hang-tschau-fu an der Muendung des Yangtse-kiang. Der Bericht der chinesischen Annalen, dass im Jahre 166 n. Chr. eine Gesandtschaft des Kaisers An-tun von Ta- (das ist Gross) Tsin (Rom) in Ji-Nan (Tongking) gelandet und von da auf dem Landweg in die Hauptstadt Lo-yang (oder Ho-nan-fu am mittleren Hoang-ho) zum Kaiser Hwan-ti gelangt sei, mag mit Recht auf Rom und den Kaiser Marcus Antoninus bezogen werden. Indes dieser Vorfall und was die chinesischen Quellen von aehnlichem Auftreten der Roemer in ihrem Lande im Lauf des 3. Jahrhunderts melden, wird kaum von oeffentlichen Sendungen verstanden werden koennen, da hierueber roemische Angaben schwerlich fehlen wuerden; wohl aber moegen einzelne Kapitaene dem chinesischen Hof als Boten ihrer Regierung gegolten haben. Bemerkbare Folgen haben diese Verbindungen nur insofern gehabt, als ueber die Gewinnung der Seide die frueheren Maerchen allmaehlich besserer Kunde wichen. ---------------------------------------------- ^77 In Bamanghati (Distrikt Singhbhum) westlich von Kalkutta soll ein grosser Schatz Goldmuenzen roemischer Kaiser (genannt werden Gordian und Konstantin) zum Vorschein gekommen sein (Beglar bei A. Cunningham, Archaeological survey of India, Bd. 13, S. 72); aber ein solcher vereinzelter Fund beweist nicht, dass der staendige Verkehr sich so weit erstreckt hat. Im noerdlichen China in der Provinz Schensi westlich von Peking sollen neuerlichst roemische Muenzen von Nero an bis hinab auf Aurelian zum Vorschein gekommen sein, sonst sind weder aus Hinterindien noch aus China dergleichen Funde bekannt. ---------------------------------------------- Bodenund Geldwirtschaft der roemischen Kaiserzeit Die oekonomische Herrschaftsstellung Italiens, wie sie in den letzten Jahrhunderten der Republik sich festgestellt hatte, zeigt sich in dieser Epoche und ueber dieselbe hinaus im Stande des Beharrens und fester noch gegruendet als die politische Praerogative. Wenn der reichste Mann der caesarischen Zeit, Marcus Crassus, auf 170 Millionen Sesterzen geschaetzt worden war, so sahen die folgenden Generationen darauf zurueck wie auf eine Zeit der Armut ^1. Mit dem Frieden, der auf die Buergerkriege folgte, kam eine Epoche der Fuelle und des Reichtums, wie die Republik sie nicht gekannt hatte. Als der Reichste unter Augustus wird genannt Gnaeus Lentulus der Augur (Konsul 740 14) mit einem Vermoegen von 400 Mill. Sesterzen ^2. Das gleiche wird dem maechtigen Freigelassenen des Claudius, Narcissus, zugeschrieben ^3. Das Vermoegen des Ministers Neros, Seneca, wird, allerdings von seinen Feinden, auf 300 Mill. geschaetzt ^4, ebenso hoch das des gefeierten Sachwalters unter Nero und Vespasian, Vibius Crispus, dessen Reichtum lange sprichwoertlich blieb ^5. Am Ende des 3. Jahrhunderts warf Kaiser Tacitus bei seiner Thronbesteigung sein fundiertes Privatvermoegen von 280 Mill. Sesterzen in den Staatsschatz ein ^6. Noch am Anfang des 5. Jahrhunderts bezogen die ersten senatorischen Haeuser in der alten Reichshauptstadt eine Jahresrente, die einem Kapital von mindestens 400 Mill. Sesterzen nach der aelteren Rechnung gleichkam ^7. Wichtiger als diese Angaben ueber ausnahmsweise grosse Vermoegen sind einige andere, welche die Mittelklasse der Aristokratie betreffen: ein Vermoegen von 20 Mill. Sesterzen gilt unter Marcus als maessiger Reichtum ^8; Familien mit einem Vermoegen von 100 Mill. Sesterzen werden im 5. Jahrhundert als reiche zweiten Ranges betrachtet. Der senatorische Zensus von einer Mill. Sesterzen ist also offenbar eine aeusserste Grenze, welche bei der Mehrzahl sicher ansehnlich ueberschritten ward. In den Angaben ueber das im Jahre 746 (8) errichtete Testament eines begueterten Freigelassenen, welcher ausser seinen Liegenschaften ueber 4116 Sklaven, 3600 Paar Ochsen, 257000 Schafe und 60 Mill. Sesterzen bar verfuegt, treten die einzelnen Bestandteile eines solchen Grossvermoegens an Ackerland, Weide und Kapitaliengeschaeft deutlich hervor ^9. Dass bei solchen Vermoegensbestaenden die Reichen der oberen Klassen eine Herrenstellung in den Ortschaften einnahmen, aus denen sie hervorgingen, und eine Art von Hof und Gefolge sich um jeden von ihnen sammelte, ist erklaerlich. Sie stellen zum guten Teil durch ihre Freigebigkeit die oeffentlichen Gebaeude, namentlich die Luxusanlagen, wie Theater, Baeder, Hallen her; auf ihre Kosten schmausen die Buergerschaften und leben die Klienten, und auch in die besseren Kreise hinein reichen dergleichen Spenden. Der juengere Plinius unter Traianus, ein vermoegender Senator, aber keineswegs in dieser Hinsicht hervorragend, hat seiner Vaterstadt Comum fuer die Gruendung und Vermehrung einer oeffentlichen Bibliothek, fuer die Anlage und die Ausstattung eines Warmbades, zur Alimentation von Kindern und zu oeffentlichen Schmaeusen teils bei Lebzeiten, teils im Testament Zuwendungen im Gesamtbetrag von mindestens 5 Mill. Sesterzen gemacht, ausserdem in anderen Staedten, zu denen er Beziehungen hatte, Tempel und Hallen auf seine. Kosten gebaut und seinen Freunden, dem einen zur Ausstattung der Tochter, dem andern zur Equipierung fuer den Unteroffiziersdienst, dem dritten, um ihm den Eintritt in den Ritterstand moeglich zu machen, persoenliche Geschenke bis zu 300000 Sesterzen gemacht. Diese durch die Individualitaet des Charakters und der Beziehungen vielfach bedingte, aber im Wesen nicht persoenliche, sondern standesmaessig geforderte Liberalitaet ist fuer alle Zeiten von dem vornehmen Roemer und vor allem von dem Senator des Reiches geuebt worden, aber keineswegs zu allen Zeiten in gleicher Weise. Mit Sehnsucht gedachten die Klienten der domitianischen Epoche der bessern Zeiten, wo unter den Spenden dieser Art der Ritterring nichts Seltenes war ^10; Gaius Piso, der Rivale N eros, dessen koenigliche Freigebigkeit seinesgleichen nicht hatte, war gewohnt, jaehrlich einer gewissen Zahl seiner Freunde den Ritterzensus zu schenken, so wie die Kaiser in gleicher Weise senatorische Vermoegen zu schenken pflegten ^11. "Es war frueher Sitte", schreibt Plinius ^12 unter Traian, "dass wem ein Poet ein Carmen widmete, ihm dafuer eine Verehrung machte; jetzt aber ist mit anderen stattlichen Dingen vor allem auch dies abgekommen, und es kommt uns albern vor, uns feiern zu lassen." Dies ist nur eine einzelne Konsequenz einer tiefgreifenden sozialen Revolution ^13. Die Diarchie, die Augustus begruendet, die Samtherrschaft des Kaisers und des Senats, offenbart sich auf diesem Gebiet noch energischer als in der eigentlichen Politik. Die Epoche von der Actischen Schlacht bis zum Vierkaiserjahr, das julisch-claudische Saeculum, bezeichnet Tacitus als die Glanzzeit der roemischen Aristokratie. Die alten reichen oder erlauchten Haeuser wetteiferten in grossartigem Prunk; man warb noch um die Stimmen der Buergerschaft, um die Ehrenbezeugungen der Provinzen und der abhaengigen Koenige, um eine stattliche Klientel. Das Rom der augustischen und der claudischen Zeit erinnert vielfach an das der Paepste und der Kardinaele des sechzehnten Jahrhunderts; das Kaiserhaus war in der Tat nur das erste unter vielen strahlenden Gestirnen. Aber dieser Wetteifer hatte vielfach den oekonomischen Ruin im Gefolge; die Dezimierung der Aristokratie unter den naechsten Nachfolgern des Augustus traf vorzugsweise die grossen Vermoegen und fuehrte zu deren Zertruemmerung; die neuen durch Vespasian aus den Landstaedten nach Rom verpflanzten Senatoren brachten die buergerliche Sparsamkeit mit sich, und die alten glaenzenden Traditionen der Lentuler und der Pisonen ersetzten sich nicht. Der Senat, dem Plinius und Tacitus angehoerten, ist wohl nicht minder reich gewesen wie derjenige, in dem Piso und Seneca sassen; aber wie das Bewusstsein oder, wenn man will, die Illusion des Mitregiments allmaehlich schwand und die Monarchie in allen ihren Konsequenzen sich geltend machte, so kam auch die Vermoegensverwaltung der vornehmen Welt von fuerstlicher Freigebigkeit und fuerstlicher Verschuldung zu dem gewoehnlichen bequemen und soliden Lebensgenuss des festbegruendeten Reichtums. -------------------------------------------------------- ^1 Plin. 13, 92. ^2 Sen. benef. 2, 27. ^3 Dio 60, 34. ^4 Tac. ann. 13, 42; Dio 61, 10. ^5 Mart. epigr. 4, 54, 7. ^6 vita 10. ^7 Die Angabe Olympiodors (p. 44 Mueller), dass zahlreiche Haeuser Roms je 4000 Pfund Gold (ana tessarakonta chryso? kent/e/naria), ungerechnet die etwa ein Drittel der Summe erreichenden Naturallieferungen, die Haeuser zweiten Ranges 1500 bis 1000 Pfund Gold an Einkuenften bezogen haetten, kann nur in der oben angegebenen Beschraenkung richtig sein, da die Einkuenfte doch nicht von 1500 auf 4000 gesprungen sein werden. 4000 Pfund Gold Einkuenfte geben nach alter Rechnung, das Goldpfund zu 4000 Sesterzen gerechnet und mit 5 Prozent kapitalisiert, ein Vermoegen von 320 Mill. Sesterzen, wozu dann die Naturalabgaben kommen. ^8 In der lustigen Geschichte, die der Arzt Galenus (13 p. 636 Kuehn) "ohne Namen zu nennen" erzaehlt, von dem Roemer, "der nicht mehr als 5 Mill. Denare Vermoegen hat", wird dieser medizinische Amateur, der es unter seiner Wuerde haelt, sich billiger Rezepte zu bedienen, keineswegs als ein armer Mann bezeichnet, sondern vielmehr immer "der Reiche" genannt, aber wohl entgegengesetzt den "noch viel Reicheren oder den Koenigen", welche mit recht teuren Rezepten zu versehen hier Galenus seine Kollegen instandsetzt. Noch weniger duerfte aus der Anekdote bei Epiktetos (diss. 1, 26, 11) gefolgert werden, dass ein Vermoegen von 1« Mill. Denaren jemals ernsthaft als Armut betrachtet worden ist. Ebenso wird, wenn der juengere Plinius (epist. 2, 4) von seinen modicae facultates spricht, in Anschlag zu bringen sein, dass der gebildete Reiche sich nicht gern selbst so nennt. ^9 Plin. epist. 33, 135. Aehnlich laesst Martialis (epigr. 4, 37) den reichen Mann, der seine Gaeste mit der Aufzaehlung seiner Reichtuemer langweilt, erst die an verschiedene Leute ausgeliehenen Summen, zusammen etwa 3 Mill., auffuehren, dann die Renten aus Haeusern und Grundstuecken mit 3 Mill., dann die der Weiden von Parma mit 600000 Sesterzen. In einem anderen Epigramm 5, 13 vergleicht er sein bescheidenes Dichterlos mit dem eines Reichen, dem die Kasten der Freigelassenen, das heisst der staedtischen Geschaeftsleute, der Boden Aegyptens und die Weiden von Parma zinsen. ^10 Mart. 14, 122. ^11 schol. Iuv. zu V, 109. ^12 epist. 3, 21. ^13 Tac. ann. 3, 55. -------------------------------------------------------- Wenngleich bei der Ausdehnung des roemischen Staates unter den Kaisern und bei der Mannigfaltigkeit seiner Bestandteile die wirtschaftlichen Fragen im besonderen nur nach diesen Bestandteilen einigermassen genuegend gewuerdigt werden koennen, so bleibt doch einmal auch noch in dieser Periode Italien so sehr das herrschende Gebiet, dass dessen wirtschaftliche Verhaeltnisse in gewissem Sinne immer noch die des Reiches sind; andererseits aber sind doch als Ursache wie als Ergebnis eine Reihe von Momenten hier zu verzeichnen, welche nur in einer allgemeinen, Italien vorzugsweise, aber daneben das Reich ueberhaupt beruecksichtigenden Eroerterung zu ihrem Rechte gelangen. In erster Reihe steht hier der Gegensatz des grossen und des kleinen Bodeneigentums, wobei zunaechst abzusehen ist von der wirtschaftlichen Form der Nutzung. Die wirtschaftlichen Verhaeltnisse der griechischen wie der roemischen Welt gehen vom Kleinbesitz aus und streben zum Grossbesitz; ausser den allgemeinen, noch heute in gleicher Richtung wirkenden Ursachen kommen hier noch besonders in Betracht die der Bildung des Grosskapitals foerderliche Sklaveninstitution und die die ganze alte Welt beherrschende Tendenz, die Rentenziehung durch Grundbesitz als die sicherste und anstaendigste, der freien Entwicklung des Mannes buergerlich wie intellektuell guenstigste zu betrachten. Diese Richtung auf Steigerung des Grossbesitzes waltet wie in der Gemeinde der Stadt Rom so auch in der Reichsbuergerschaft der Kaiserzeit ohne Unterschied der Provinzen; die Latifundien, wie die Grossbesitzungen in der Kaiserzeit genannt zu werden pflegen, bilden sich in Italien wie in Gallien, Afrika, Syrien mit einer Notwendigkeit, die von dem Naturgesetz sich kaum wesentlich unterscheidet. Dass die hierfuer massgebenden Ursachen in der Kaiserzeit staerker wirkten als frueher, wird im allgemeinen nicht behauptet werden koennen. Der Konzentrierung der Kapitalien in wenigen Haenden war die spaetere Epoche der Republik und die augustische Zeit wahrscheinlich guenstiger als die folgenden Epochen, und der schnelle Wechsel der grossen Haeuser, den im Gegensatz zu jener Periode die spaetere Kaiserzeit aufweist, muss notwendig eine, man moechte sagen periodische Zerschlagung der grossen Vermoegen herbeigefuehrt und eine gewisse, allerdings in hohem Grade bedenkliche Schranke gegen die Akkumulation des Grossvermoegens und insbesondere des Grosseigentums gebildet haben. Sehr verstaendig hielt die Regierung daran fest, der faktischen Konzentrierung des Grundbesitzes die rechtliche Geschlossenheit nicht zu gewaehren; die Gesetzgebung hielt unentwegt durch alle Krisen und allen Verfall an dem Grundsatze fest, dass der Grundbesitz dem Verkehr nicht auf die Dauer entzogen werden kann, und gibt sich nicht dazu her, der Deszendenz den Grundbesitz des Aszendenten fuer die Zukunft zu sichern. Dass dieser bei weitem nicht in ihrem vollen Inhalt gewuerdigten Aufrechthaltung der freien Veraeusserung und der unbedingten Teilbarkeit des Grundbesitzes die mangelhafte Geschlossenheit und die fortdauernde Kleinbewirtschaftung auch des Grossgrundbesitzes entgegenkommt, wird weiterhin ausgefuehrt werden. Nur in einer Richtung tritt mit der Einfuehrung der Monarchie eine wesentliche Abweichung von dem frueher befolgten System ein: es betrifft dies den Grundbesitz in toter Hand. Die Republik, insbesondere die spaetere, hat denselben in engen Grenzen gehalten, praktisch eigentlich nur angewandt, um den Stadtgemeinden die oekonomische Existenz dauernd zu sichern. Diese allerdings sind fuer ihre Ausgaben in republikanischer wie in der Kaiserzeit in erster Reihe angewiesen auf die Liegenschaften, von denen sie entweder einen festen Zins beziehen oder die sie geradezu als Eigentuemer im Wege der Verpachtung verwerten; und ein betraechtlicher Teil des Bodeneigentums im ganzen Reich steht also im Eigentum der staedtischen Gemeinden oder auch der einzelnen, an diese sich anlehnenden Korporationen. Aber fuer den Staat selbst besteht diese Einrichtung nicht. Der Grundsatz der roemischen Demokratie, dass das Bodeneigentum des Staats wesentlich bestimmt sei, zum Kleinbesitz aufgeteilt zu werden, wird in der Kaiserzeit in Italien vollstaendig durchgefuehrt und auch in den Provinzen mehr und mehr realisiert, so dass selbst das in denselben noch nicht aufgeteilte Land mehr als Bittbesitz der zeitigen Inhaber denn als eigentlich auf die Dauer rentierendes Staatsgut angesehen wird; wenigstens tatsaechlich erscheinen die von dem Provinzialboden an den Staat fliessenden Bezuege nicht mehr als Bodenrente, sondern als Steuer. Dagegen tritt mit der Monarchie sogleich auch die Domaene ein, das heisst, das dem Inhaber des Prinzipats zustehende und von ihm nach den Regeln des Privatrechts genutzte Bodeneigentum wird dem Verkehr entzogen und dem jedesmaligen Nachfolger zu gleichem Recht ueberwiesen. Den sehr verschlungenen Wegen, auf denen die Umwandlung des Privateigentums des Prinzeps in Krongut herbeigefuehrt worden ist, kann hier nicht nachgegangen werden; rechtlich und tatsaechlich stellt sich dies Verhaeltnis schon unter Augustus fest und ist wahrscheinlich zunaechst daraus hervorgegangen, dass er Aegypten rechtlich als Nachfolger der Ptolemaeer uebernahm und der hier uralte Begriff des fuer Rechnung des Landesherrn bewirtschafteten Bodeneigentums sich dann auf das gesamte Reich uebertrug. Ziehen wir fuer die Grosswirtschaft der Kaiserzeit im allgemeinen die Summe, so zeigt diese eine stetige Zunahme derselben, welcher aber das Korrektiv der freien Loesbarkeit nicht fehlt und als neues Moment das Eintreten des "Ersten der Buerger" als des ersten Grossgrundbesitzers ein fuer allemal. In Italien kamen verschiedene Momente hinzu, die den Grossgrundbesitz in besonderer Weise steigerten. Dass die vermoegenden Leute von selbst vorzugsweise nach der Hauptstadt oder wenigstens nach Italien zogen, welches an den Annehmlichkeiten der hauptstaedtischen Existenz bis zu einem gewissen Grade teilhatte, versteht sich von selbst. Die Bestimmung, dass die politische Laufbahn nur dem in Italien ansaessigen Reichsbuerger eroeffnet ward ^14, musste, soweit der Provinziale rechtlich zu derselben zugelassen war oder im Laufe der Zeit ward, geradezu als eine an die angesehensten Familien daselbst gerichtete Aufforderung erscheinen, ihren Wohnsitz nach Italien zu verlegen; und es ist davon in immer steigendem Umfang Gebrauch gemacht worden. Dass diese Uebersiedelung mehr oder minder mit der Erwerbung italischen Grossgrundbesitzes verbunden war, liegt in der Sache; foermlich vorgeschrieben ist es seit Traian, dass wenigstens der Senator den dritten, spaeter den vierten Teil seines Vermoegens in italischem Grundbesitz anzulegen hat ^15. Noch unmittelbarer griffen hier die Bestimmungen ein, welche zunaechst gerichtet waren gegen den ueberschuldeten Grundbesitz und dafuer den Weg gingen, das nicht fundierte Kapital zur Fundierung zu zwingen, indem die verzinsliche Anlage von Geldern in Rom und Italien nur bis zu einer gewissen Quote des von dem Glaeubiger in italischem Grundbesitz angelegten Kapitals verstattet ward. Sie ruehren her vom Diktator Caesar; unter Augustus, wie es scheint, ausser Anwendung gelassen, sind sie unter Tiberius im Jahre 33 in grossem Umfang durchgefuehrt worden, indem von dem Bankier damals der Nachweis des doppelten fundierten Kapitals gefordert ward und auf diese Weise ungeheure Summen zur Anlage in italischem Grundbesitz genoetigt wurden ^16. Dass diese Vorschriften spaeterhin ausser Kraft traten, berechtigt nichts anzunehmen; auf die Provinzialen sind sie gewiss nicht erstreckt worden, sondern gehoeren zu den oekonomischen Privilegien, in welche die alte Vormachtstellung Italiens in der Kaiserzeit sich aufloest. ----------------------------------------- ^14 Da nach republikanischer Ordnung der Senator verpflichtet war, in der Sitzung zu erscheinen, und fuer die Ladung bestimmte Vorschriften bestanden, so wird die fuer die Munizipien bestehende Ordnung, dass das Ratsmitglied in der Stadt oder doch innerhalb der Bannmeile wohnen muss (Eph. epigr. II, 134), vermutlich altes Recht sein. Aber direkter Gebrauch ist davon ausser in besonders gefaehrlichen Zeiten (Liv. 36, 3; 43, 11) nicht gemacht worden; und schwerlich trat bei Zuwiderhandeln eine andere Folge ein als die Loeschung des Namens von der Liste. Ob diese Bestimmung in der Kaiserzeit wieder aufgenommen ward, ist nicht bekannt. Das Augustische Edikt, das dem Senator vorschrieb, Italien nicht anders als nach eingeholtem Urlaub zu verlassen, welches spaeter zuerst fuer die aus Sizilien, dann im Jahre 49 auch fuer die aus der Narbonensis gebuertigen Senatoren ausser Kraft gesetzt ward, aber sonst in Geltung blieb (Dio 52, 42; Tac. ann. 12, 23), hat wohl an jene Vorschriften angeknuepft, aber ist rechtlich und mehr noch faktisch auf jeden Fall eine Neuerung. Dass mit der Erteilung des Ritterpferdes eine aehnliche Verpflichtung verbunden war, ist sehr wahrscheinlich, nicht wegen der Notiz bei Tacitus (ann. 6, 14), sondern wegen der Verwendung derselben bei den Geschworenengerichten. ^15 Plin. epist. 6, 19; vita Marci 11. ^16 Suet. Tib. 48. Tac. ann. 6, 17, wo die Interpunktion zu aendern ist: hinc inopia rei nummariae commoto simul omnium aere alienor et quia tot damnatis (nicht infolge der von den Wechslern vorgenommenen Kreditbeschraenkung, sondern infolge der Seianischen Prozesse) bonisque eorum divenditis signatum argentum fisco vel aerario attinebatur, ad hoc senatus praescripserat duas quisque fenoris partes in agris per Italiam collocaret (d. h. da das bare Geld augenblicklich knapp war, war das Mass der Possessionen hoch gegriffen, in der Voraussetzung, dass der einzelne verschuldete Besitzer fuer seine Schulden seine Grundstuecke leisten werde), debitores totidem aeris alieni statim solverent (dieser Satz ist sachlich aus Sueton hinzuzunehmen, vielleicht sogar bei Tacitus bloss ausgefallen). Dies schlug aber fehl. Die Kreditoren forderten trotz dessen die vollen Betraege, und ihres Kredits wegen wagten die Schuldner sich nicht auf das Moratorium zu stuetzen; borgen aber konnten sie nicht, da die Bankiers ihr bares Kapital fuer die ihnen aufgezwungenen Kaeufe noetig hatten, und verkaufen nur unter dem Preis, teils da allzu viel Grundstuecke zugleich auf den Markt kamen, teils wer verkaufen musste, schlechte Preise bedang. Da trat der Kaiser ein, indem er den bedraengten Grundbesitzern bei gehoeriger Sicherheitsstellung den Betrag von 100 Mill. Sesterzen (22 Mill. Mark) auf drei Jahre unverzinslich hingab. Uebrigens kann die Bestimmung unmoeglich allgemein gewesen sein; auf jeden Fall richtete sie sich nicht gegen den Geschaeftsmann ueberhaupt, sondern gegen Senatoren und Ritter und war vielleicht foermlich auf diese beschraenkt. Durchfuehrbar war sie insofern, als dem Klaeger, dem vor den Geschworenen der Nachweis gelang, dass jemand mehr Geld verborgt als fundiert habe, eine bedeutende Geldbelohnung ausgesetzt war. ----------------------------------------- Wenn also in Italien der Grossgrundbesitz frueher als in den Provinzen und in staerkerem Verhaeltnis den Kleinbesitz ueberwog, so gilt von dem Domanialbesitz das Umgekehrte, sofern darunter das werbende Gut verstanden wird. Die kaiserlichen Luxusbesitzungen finden sich selbstverstaendlich vorzugsweise in Italien, vor allem natuerlich in Rom selbst sowie in der Umgegend der Hauptstadt und in der Badegegend von Baiae, wo kein beliebter Villeggiaturort ohne kaiserliche Villen ist und manche derselben, wie die von Alba, Antium, Tibur, Baiae, an Umfang den Staedten, an Pracht dem staedtischen Kaiserpalast nicht nachstanden. Aber der eigentlich wirtschaftliche Domanialbesitz ist in Italien wohl auch in stetigem Zunehmen, aber doch verhaeltnismaessig untergeordnet gewesen und geblieben ^17. Es muss durch Erbschaft und Konfiskation und sonst eine Masse italischen Grossgrundbesitzes voruebergehend kaiserliches Eigentum geworden sein, wie denn auch derartige Massenverwaltungen mehrfach begegnen ^18; aber allem Anschein nach hat der Fiskus den vermutlich gering rentierenden italischen Grossgrundbesitz regelmaessig wiederveraeussert. Nur die offenbar sehr eintraeglichen grossen Ziegeleien in der Naehe Roms und an anderen geeigneten Orten Italiens sind allmaehlich in grossem Umfang in kaiserlichen Besitz gekommen und im Domanialgut festgehalten worden. Die relative Geringfuegigkeit des Domanialbesitzes in Italien und das Fehlen grosser und ausserhalb des Munizipalverbandes stehender Domanialverwaltungen darf auch zu den oekonomischen Privilegien gezaehlt werden, die Italien wenigstens bis auf Severus genoss. Die ungeheure Steigerung, welche die Domanialwirtschaft durch diesen Kaiser erfuhr, hat sich wahrscheinlich auch auf Italien erstreckt, unter dem ueberhaupt die privilegierte Stellung Italiens anfaengt zu schwinden. Im vierten Jahrhundert steht in der Domanialverwaltung Italien auf einer Stufe mit den uebrigen Reichsgebieten und zeigt sich auch auf diesem Gebiet dessen Einreihung unter die Provinzen. -------------------------------------------------------- ^17 Wenn Tacitus (ann. 4, 7) fuer das fruehere Regiment des Tiberius ruehmend die rari per Italiam Caesaris agri hervorhebt, so ist der Gegensatz dazu wohl weniger der dauernde italische Domanialstand der spaeteren Zeit als die Epoche der Seianischen Konfiskationen. Es fehlt nicht an vorseverischen Zeugnissen fuer kaiserliche Domaenen in Italien, auch abgesehen von dem Luxusbesitz und den Figlinen. Beide Alimentarurkunden, die von Benevent wie die von Veleia, nennen den Kaiser mehrfach unter den adfines. Die saltus Galliani der achten Region (Plin. nat. 3, 15, 118) sind kaiserlicher Grossbesitz und werden von Plinius unter den Gemeinden aufgezaehlt; sie sind offenbar der Kern der res privata regionis Ariminensium oder Flaminiae, die spaeter in Italien am meisten hervortritt (Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S. 45). Die Sommerweiden in Samnium sowie die darauf befindlichen grossen Schafherden standen wenigstens unter Marcus im kaiserlichen Besitz (CIL IX, 2438). Von den dazugehoerigen apulischen Winterweiden muss dasselbe gegolten haben, vielleicht bezieht sich darauf der procurator s(altuum?) A(pulorum?) CIL IX, 784 und der procurator regionis Calabricae CIL X, 1795 und ist der spaetere procurator rei privatae per Apuliam et Calabriam sive saltus Carminianensis (Not. occ. 12, 18) daraus hervorgegangen; wenigstens gehoert der saltus gewiss in aeltere Zeit. Ueberdies war natuerlich auch mit den nicht zunaechst fuer den Ertrag eingerichteten Villen immer eine gewisse Wirtschaft verbunden. ^18 Der procurator ad bona Plautiani (CIL III, 1464) und spaeter der comes Gildoniaci patrimonii (Not. occ. 12, 5); andere Beispiele bei Hirschfeld, Verwaltungsgeschichte, S. 25 (2. Aufl., S. 126 ff., vgl. Beitraege zur alten Geschichte, Bd. 2, S. 287ff.). Diese Massen werden italischen Grundbesitz wenigstens mit umfasst haben. -------------------------------------------------------- Langsamer als in Italien, aber nicht minder stetig steigert sich der Grossgrundbesitz in den Provinzen. Was ueber die einzelnen zu bemerken ist, ist in den betreffenden Abschnitten dargelegt; hier mag nur, um den Umfang derselben, der auch und vor allem ein politischer Faktor ist, einigermassen zu veranschaulichen, eine der Diatriben stehen, welche einer, der die Dinge kannte und der vor allem sich selber predigte, der Minister Neros, Seneca (epist. 89, 20), in dieser Hinsicht vorbringt: "Vernehmt, ihr reichen Maenner, einmal ein ernstes Wort, und weil der einzelne davon nichts hoeren mag, so sei es oeffentlich gesagt. Wo wollt ihr euren Besitzungen die Grenzen setzen? Der Bezirk, der einst eine Gemeinde fasste, duenkt jetzt dem einen Grundherrn eng. Wie weit wollt ihr eure Ackerfluren ausdehnen, wenn fuer die einzelne Wirtschaft der Raum einer Provinz euch zu klein scheint? Namhafte Fluesse nehmen ihren Lauf durch eine einzige Privatbesitzung und grosse voelkerscheidende Stroeme sind von der Quelle bis zur Muendung eines und desselben Eigentuemers. Ihr seid nicht zufrieden, wenn euer Grundbesitz nicht Meere umschliesst, wenn nicht jenseits des Adriatischen und des Ionischen und des Aegaeischen Meeres euer Meier ebenfalls gebietet, wenn nicht die Inseln, die Heimaten der gefeierten Helden der Sage unter euren Besitzungen beilaeufig figurieren und was einst ein Reich hiess, jetzt ein Grundstueck ist." Das ist wohl Rhetorik, aber auch Wahrheit. Im uebrigen soll hier im allgemeinen nur darauf noch hingewiesen werden, dass der Grossgrundbesitz nicht bloss das ganze Reich in immer steigendem Masse beherrschte, sondern auch sich zu einer gewissen Gleichartigkeit entwickelte und insofern ohne Zweifel einer der maechtigsten Traeger der nivellierenden Zivilisation der Kaiserzeit gewesen ist. Indem teils das italische Grosskapital auch in den Provinzen Grundeigentum erwirbt, teils die durch Reichtum hervorragenden provinzialen Familien mehr und mehr nach Rom gezogen werden, stellt sich fuer den Grossgrundbesitz des ganzen Reiches in der Wirtschaft wie im Luxus eine gewisse Gleichfoermigkeit ein, die mehr durch die oertliche Bedingtheit als durch die verschiedene Lebensgewohnheit der Besitzer eingeschraenkt wird. Das afrikanische Herrenhaus hatte seine Palmen fuer sich wie das rheinische seine Heizeinrichtungen; aber die Darstellungen des vornehmen Landlebens, wie sie kuerzlich im Tal des Rummel in Numidien ^19 in den Mosaiken des dazugehoerigen Badegebaeudes zum Vorschein gekommen sind, der prachtvolle getuermte Palast, der schattige Garten, in dem die Dame des Hauses sitzt, der Stall mit edlen Rennpferden, das Jagdgehege, die berittenen Jaeger mit ihren Hunden und die zuschauenden Damen, die Fischteiche, die Literaturecke (filosofi locus) gehoeren nicht der afrikanischen, sondern der gesamten Reichsaristokratie gleichmaessig an, und die Gegenstuecke dazu finden sich in allen Provinzen. Ebenso muss, je mehr die Grossgrundbesitzer aufhoerten, Provinzialen zu sein, auch die Wirtschaftsweise sich ins Gleiche gesetzt haben. Auch die agronomischen Schriften der Epoche zeigen dies; Columella unter Nero schreibt zunaechst fuer das italische Landgut, aber die Abweichungen der Wirtschaft in Baetica, Gallien, Kilikien, Syrien, Aegypten, Numidien sind ihm voellig gelaeufig und werden oefters erwaehnt. Es waren zumeist Fremde, ueberwiegend Italiener, welche im Auftrag der Eigentuemer ueberall den Betrieb leiteten und mehr oder minder die oertliche Wirtschaftsweise durch die allgemeine, im ganzen wohl rationellere ersetzten. Die unbegreiflich rasche und intensive Romanisierung Afrikas in der Kaiserzeit haengt ohne Zweifel damit zusammen, dass der Grossgrundbesitz wohl in keiner zweiten Provinz sich mit gleicher Energie entwickelt hat. ---------------------------------------------------- ^19 CIL VIII, 10889-10891. ---------------------------------------------------- Wie der kaiserliche Grossgrundbesitz provinzialen Ursprungs zu sein scheint, so hat er auch hauptsaechlich in den Provinzen seinen Sitz gehabt, insbesondere in dem prokonsularischen Afrika, worueber in dem betreffenden Abschnitt gehandelt ist. Dabei spielten in den Provinzen die Bergwerke und die Marmorbrueche dieselbe Rolle wie in Italien die Ziegeleien: sie standen dem Rechte nach unter denselben Regeln wie jedes andre Bodeneigentum, aber die Kaiser strebten dahin, dieselben dem Domanialbesitz einzuverleiben, und es ist dies allmaehlich in allen Provinzen in weitem Umfang durchgefuehrt worden. Im allgemeinen ist auch hier hervorzuheben die ungeheure quantitative Ausdehnung des Domanialguts, welche unter Severus eingetreten ist, wozu allerdings die Massenkonfiskation wesentlich beigetragen hat, die der Kaiser der illyricanischen Soldaten gegen die beiden rivalisierenden und ueberwundenen Militaerparteien verfuegte, die aber doch in der Hauptsache als eine konstitutive Aenderung der Finanzorganisation aufzufassen ist, gewissermassen als Emanzipation der Regierung von den Steuerertraegen durch Ersetzung derselben durch den Ertrag der neu geschaffenen Domaenen. In welchem Umfang dies geschehen ist, davon gibt einigermassen einen Begriff, dass fuer das neue Domanialgut (res privata principis) ein zweiter dem des bisher bestehenden (patrimonium principis) in der Rangordnung vorgehender Oberdirektor eingesetzt ward, dessen administrative Bedeutung in dem Gehalt von 300000 Sesterzen (65000 Mark), dem hoechsten mit einer kaiserlichen Prokuration verbundenen, ihren Ausdruck findet und aus dem in den Ordnungen des 4. Jahrhunderts der eine der beiden Reichsfinanzminister hervorgegangen ist. Je mehr der Rueckgang des Kleinbesitzes im Lauf der natuerlichen Entwicklung lag, desto entschiedener ist er zu allen Zeiten als nachteilig fuer das Gemeinwesen erkannt worden: man sah darin weit mehr den Verfall der guten alten Ordnung als die natuerliche Entwicklung der Dinge; und es gilt dies von der Kaiserzeit nicht minder wie von derjenigen der Gracchen. Es ist ein wohlunterrichteter Schriftsteller, ein erfahrener Beamter aus der Zeit Vespasians, der die damaligen Verhaeltnisse in die Worte zusammenfasst, dass der Grossgrundbesitz Italien zugrunde gerichtet habe und jetzt im Zuge sei, die Provinzen ebenfalls zugrunde zu richten. Inwieweit in dieser Epoche versucht worden ist, das Einschwinden des Kleinbesitzes zu hemmen, ist nur. darzulegen. Eins der wichtigsten Momente in dieser Hinsicht ist bereits erwaehnt worden: die Rueckbildung des Grossgrundbesitzes zum Kleinbesitz ist nicht bloss gesetzlich offengehalten worden, sondern hat auch auf natuerlichem Wege sich in nicht unbedeutendem Masse vollzogen. Der roemische Grossgrundbesitz ist in weit hoeherem Grade fluktuierend gewesen als der heutige, nicht bloss weil er nie zu rechtlicher Geschlossenheit und nur annaehernd zu oertlicher gelangt ist, sondern auch weil der durch Uebertragungssteuern gar nicht und durch die Sitte wenig beschraenkte Besitzwechsel und die fortdauernde Kleinwirtschaft in zahlreichen Faellen vom Grosszum Kleinbesitz fuehrte. Erbteilung und Konkurs, Einzelverkauf und Einzelschenkung muessen haeufig die Aufloesung bestehender Gueterkomplexe oder die Abloesung einzelner Parzellen herbeigefuehrt haben. Die weit ueber die heutige Sitte hinausgehende Haeufigkeit der Vermaechtnisse, namentlich auch zu Gunsten abhaengiger Leute, hat vermutlich oft den Kleinbesitz begruendet; wenn auch meistenteils dieselben in Geld oder beweglichem Gut gegeben wurden, so wird doch mancher vermoegende Mann diesem oder jenem Besitzlosen ein Guetchen hinterlassen haben ^20. Selbst das baeuerliche Emporarbeiten durch den Fleiss und das Geschick der Haende zu eigenem Besitz ist nicht ausgeschlossen. Ein solcher aus Afrika berichtet uns in ebenso ungeschickten wie ehrlichen Versen ^21, wie er erst als gemeiner Schnitter zwoelf Jahre, dann elf weitere als Vormann der Schnitterschar unter der gluehenden Sonne gearbeitet habe und so dazu gelangt sei, ein eigenes Stadtund Landhaus in einer der kleinen dortigen Landstaedte zu erwerben und sogar in den Rat derselben und zu Aemtern und Wuerden zu gelangen. Er ist sicher nicht der einzige seines Schlages gewesen. Wenn die roemische Demokratie davon ausgegangen ist, die Steigerung des Kleinbesitzes auf mehr oder minder revolutionaerem Wege herbeizufuehren, so haben wenigstens die Anhaenger des Prinzipats dessen demokratische Herkunft nicht verleugnet, ja dergleichen Massregeln in Italien in einer Weise durchgefuehrt, vor denen Gaius Gracchus und Caesar selbst erschrocken sein wuerden. ----------------------------------------------- ^20 Auf der Alimentarurkunde von Veleia sind die meisten kleinen Grundeigentuemer nicht im Besitz einheitlicher alter Erbgueter, sondern solcher, die aus Mengstuecken zusammengesetzt und wahrscheinlich aus einem Grossgrundbesitz ausgeschieden sind. ^21 Eph. epigr. V, p. 277 [CIL VIII, S. n. 118241. ----------------------------------------------- Die italischen Landanweisungen nach dem Sieg des Dreiherrn Antonius wie des Caesars bei Philippi und weiter nach dem Siege Caesars ueber Antonius bei Actium erfolgten auf Kosten des Privateigentums und gingen insofern einen sehr verschiedenen Weg; aber das Ergebnis, man darf vielleicht hinzusetzen das Ziel war das der Gracchischen Bewegung: es wurden nicht bloss die Besitzer gewechselt, sondern es trat vielfach an die Stelle des im Laufe der Zeit entwickelten Grossgrundbesitzes wiederum der Kleinbesitz der Adsignation. Wenn Augustus in seinem Rechenschaftsbericht mit Stolz hinweist auf die 28 volkreichen und bluehenden italischen Staedte, die von ihm gegruendet seien und zu denen noch zehn bis zwoelf andere in der gleichen Zeit anderweitig gegruendete hinzutreten, so darf dies allerdings, was auch sonst darueber geurteilt werden moege, als eine wirksame Steigerung des italischen Kleinbesitzes bezeichnet werden. Aber auf dem gleichen revolutionaeren Weg konnte Augustus selbst nach der Konstituierung des Prinzipats und konnten die spaeteren Herrscher nicht fortgehen. Je mehr der Prinzipat aus der Revolution hervorgegangen war, desto mehr war es Lebensbedingung fuer denselben, die Revolution zu schliessen; das Privateigentum ist nie heiliger gehalten worden als in dem Italien des Prinzipats. Nicht einmal die Feldherren, welche mit den provinzialen Heeren sich die Herrschaft in Italien erstritten, Vespasian und Severus, haben daran geruehrt. Damit waren umfassende Massregeln zur Herstellung von Kleinbesitz fuer Italien ausgeschlossen. Wohl waren bei diesen Adsignationen mehr oder minder bedeutende Stuecke nicht zur Verteilung gelangt, andere durch erblosen Abgang des Empfaengers erledigt. Grundstuecke dieser Art scheinen es gewesen zu sein, welche Nero in Antium und Tarent, Vespasian in Lavinium, Paestum, Reate zur Verteilung gebracht hat. Nachdem dann Vespasian den groessten Teil dieser Reste entweder verkauft oder adsigniert und Domitianus endlich alle derartigen noch uebrigen meistenteils steinigen Laendereien den Inhabern zu vollem Eigentum ueberlassen hatte, gab es Staatslaendereien, die zur Verteilung haetten gebracht werden koennen, in Italien ueberall nicht mehr. Parzellierung der kaiserlichen Domaenen oder angekauften Landes waere moeglich gewesen; aber soviel wir wissen, ist dazu nichts geschehen. Die Gruendung neuen Kleinbesitzes in Italien durch die Regierung hat damit ueberhaupt ein Ende. In den Provinzen dagegen ist das Gracchische System von dem Prinzipat ein fuer allemal adoptiert und danach stetig neuer Kleinbesitz ins Leben gerufen worden. Unentwegt hielt man fest an der Theorie, dass alles nicht von den roemischen Behoerden adsignierte Land im Eigentum des Staats oder des Kaisers stehe, und wenn auch dessen Ausuebung zunaechst praktisch ruhte, die derzeitigen Okkupanten jederzeit ausgetrieben und das Land an Kolonisten adsigniert werden koenne. In der praktischen Ausfuehrung ist auf diesem Wege sowohl in der Form der Adsignation innerhalb einer bestehenden Stadtgemeinde, wie im Wege der Koloniegruendung in den Provinzen Kleinbesitz in das Leben gerufen worden. Allerdings ist dabei wohl in manchen Faellen nur ein Besitzwechsel eingetreten, insofern der angesiedelte Mann roemischen oder latinischen Rechts an die Stelle eines peregrinischen Vorbesitzers trat; aber der Grossbesitz und das Oedland, vielleicht auch die Domaene werden doch vielfach fuer diese Adsignationen den Boden geliefert haben. Wir werden uns aber von der Vermehrung, die durch die provinziale Landanweisung dem Kleinbesitz des Reiches erwuchs, keine allzu uebertriebene Vorstellung machen duerfen. Der Gedanke, den Augustus urspruenglich gefasst zu haben scheint, die Veteranenversorgung namentlich des Legionaers dadurch zu bewirken, dass ihm eine Bauernstelle zugeteilt ward, ist schon von ihm selbst wieder aufgegeben und in eine Geldzahlung umgewandelt worden, die wohl nur in der Minderzahl der Faelle zur Erwerbung von Kleinbesitz gefuehrt hat; es muss sich wohl als unausfuehrbar erwiesen haben, aus dem Veteranen nach dem Ablauf der langen Dienstjahre durchgaengig einen existenzfaehigen Kleinbesitzer zu machen. Es wird daher die direkte Anweisung von provinzialem Landbesitz wohl nur da mit der Dienstentlassung verbunden gewesen sein, wo ausnahmsweise bessere Bedingungen gewaehrt werden konnten. In Ermangelung irgendwelcher anderen Zahlen, die das Verhaeltnis von Grossund Kleinbesitz uns veranschaulichen koennten, mag erwaehnt werden, dass unter Traian, nach Ausweis der Alimentarurkunden, im Beneventanischen das etwa in augustischer Zeit von 90 Kleinbesitzern bewirtschaftete Ackerland in 50 Haenden war, von denen zwei ein Rittervermoegen, neun zwischen 400000 und 100000 Sesterzen, die uebrigen ein Vermoegen unter 100000 Sesterzen besassen, soweit dies Vermoegen bei jenen Verpfaendungen beruecksichtigt worden ist. In der Aemilia dagegen stellen sich die Verhaeltnisse viel unguenstiger: unter 52 Grundbesitzern hat ein Fuenftel Ritterzensus oder mehr, ungefaehr ein Drittel zwischen 400000 und 100000 Sesterzen, etwa die Haelfte unter 100000 Sesterzen; auch die Zahl der urspruenglichen Besitzungen, aus welchen jene 52 Besitzkomplexe hervorgegangen waren, muss verhaeltnismaessig sehr viel groesser gewesen sein, als sie in der beneventanischen Tafel sich darstellt. Es zeigt sich hier ein ueberhaupt sehr betraechtliches, in dem reicheren noerdlichen Italien geradezu erdrueckendes Uebergewicht des Grossbesitzes; untergegangen aber ist der Kleinbesitz doch nirgends und in den weniger der Spekulation unterworfenen abgelegenen Landschaften Italiens noch immer ein wesentliches Element der Bevoelkerung. Die Bodennutzung richtet sich in erster Reihe auf den Ackerbau mit Einschluss des Weinund des Oelbaus und der aehnlichen Nutzungen. Dass in dem mehrhundertjaehrigen sicheren Frieden, den die Monarchie brachte, der Feldbau, und insbesondere der italische, im grossen und ganzen genommen in bluehendem Zustande gewesen ist, unterliegt keinem Zweifel. Die Einmischung des Staats in den Verkehr durch die Uebernahme der Versorgung der Hauptstadt war ohne Zweifel ein wirtschaftlicher Fehler; Augustus hat dies unumwunden anerkannt und ausdruecklich erklaert, dass nur politische Ruecksichten ihn bestimmten, daran festzuhalten ^22. Ohne Zweifel waere Ackerbau und Handel dadurch gefoerdert worden, wenn die Versorgung Roms mit Getreide dem freien Verkehr wiedergegeben worden waere. Aber einmal, Rom war doch nicht das Reich, und nicht fuer den ganzen Staat spielt der Herrscher in dieser Weise die Vorsehung. Andererseits hatte die Einfuhr ueberseeischen Getreides namentlich nach Rom mit ihren Konsequenzen sich bereits frueher festgestellt und war sogar durch die Lage und die Entwicklung der Hauptstadt wenigstens nachtraeglich bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt; das Korn, das die ackerbauend bleibenden Landschaften der Halbinsel liefern konnten, muss der Konsum des uebrigen Italien mehr als absorbiert haben. Wein und Oel waren fortdauernd Quellen reichen Gewinns. Auch der Ackerbau der Provinzen, wo in den sonst fruchtbarsten Gegenden, in Aegypten und Numidien, Weinund Oelbau zuruecktraten, muss immer lohnend gewesen sein: es ist nicht selten von teuren Kornpreisen, nur ausnahmsweise von besonders niedrigen die Rede, so dass im ganzen wohl eher zu wenig als zu viel produziert ward. Die Wirtschaft ist entweder Gutsoder Bauernwirtschaft. Es wird notwendig sein, beide gesondert zu betrachten. ------------------------------------------------ ^22 Die merkwuerdige Nachricht bei Suet. Aug. 42 darf nicht auf den italischen Ackerbau allein bezogen werden, sondern nur auf den des ganzen Reiches. Waeren die frumentationes publicae in Rom aufgehoben worden, so wuerde dies den Ackerbau nicht bloss in Italien, sondern ebenso und vielleicht mehr in Sizilien, Sardinien, Afrika belebt haben; die Vernachlaessigung des Ackerbaus in Verlass auf den Staat, welche Augustus beklagt, trifft also ebensosehr die Provinzen, und darum nimmt auch Augustus Ruecksicht auf die Grundbesitzer und die Kaufleute (negotiantes). Die magna sterilitas, welche Augustus zu diesen Aeusserungen veranlasste, konnte immer wiederkehren, mochte auch der italische Ackerbau noch so sehr gedeihen.; aber wenn der Ackerbau allgemein zunahm und der Verkehr sich frei vollzog, war Hoffnung vorhanden auf Ausgleichung. ------------------------------------------------ Die von Columella und Varro geschilderte und gepriesene Gutswirtschaft, in unseren Beispielen gestellt auf einen Besitz von 200 Morgen und etwa zehn Feldarbeiter, ist insofern Selbstwirtschaft des Besitzers, als dieser zwar der Regel nach in der Stadt lebt, aber haeufig auf das Landgut hinauskommt und den die Wirtschaft unmittelbar leitenden unfreien Meier (vilicus) stetig anweist und beaufsichtigt; die eigentliche Arbeit beschafft dieser mit den vom Eigentuemer gestellten Sklaven. Auf groesseren Grundbesitz ist diese Wirtschaftsform nicht anwendbar, da der Meier alsdann die Aufsicht nicht in genuegender Weise fuehren kann; es wird in diesem Fall der Besitz in entsprechende Bezirke geteilt und jeder derselben gesondert verwaltet ^23. Diese Wirtschaft ist jetzt in vollem und unvermeidlichem Verfall; den Landwirten dieser Zeit, vor allem Columella, erscheint sie allerdings noch als Musterwirtschaft und wird von ihnen zugrunde gelegt, aber in der Tat als eine gewesene Institution oder als ein unerreichbares Ideal. In der Tat ist sie mit den realen Verhaeltnissen nicht mehr in Einklang zu bringen. Gueterkomplexe von der Ausdehnung und Zerstreuung durch ganz Italien und oft genug noch durch manche Provinzen, wie sie in der Kaiserzeit sich gestalteten, liessen diese Art der Selbstbewirtschaftung nicht mehr zu; sie konnte nur fortgefuehrt werden, indem an die Stelle des Herrn dessen unfreier Geschaeftsfuehrer (actor) trat, und damit war ihr Wesen zerstoert. "Wer ein entlegenes oder gar ein ueberseeisches Landgut kauft", sagt Columella ^24, "der tritt in der Tat sein Hab und Gut seinen Sklaven ab, die durch die Abwesenheit des Herrn notwendig verdorben werden, und wenn sie also verdorben sind und gewechselt werden sollen, das Gut pluendern und zugrunde richten." Dazu kam das allgemeine Erschlaffen der Springfedern des menschlichen Daseins. Die vornehme Weit dieser Epoche war sehr viel reicher als die der spaeteren Republik, und unendlich viel gleichgueltiger gegen die Mehrung des Besitzes; der dem gewaltigen Ringen der republikanischen Welt fern liegende Gedanke, dass der Mensch von allem genug haben koenne, machte wie im Senatssaal so auch in der Vermoegensverwaltung sich geltend; die Ehre und die Freude an der moeglichst besten Ausnutzung auch der Gluecksgueter, maechtigere Triebe vielleicht im gewerblichen Leben als das unmittelbare Beduerfnis, schwanden aus dieser mueden Welt. Von der anerkannten Tatsache des allgemeinen Rueckgangs des Bodenertrags in Italien geht Columella aus. Es ist bezeichnend fuer die unter dem Prinzipat herrschenden Stimmungen, dass bei den Landwirten, wenn sie ihre Bilanzen zogen, die Meinung Geltung gewann von der Erschoepfung des italischen Bodens durch den Erntesegen frueherer besserer Zeiten; aber freilich macht Columella mit gutem Recht geltend, dass nicht die Natur Schuld trage, sondern die Menschen. Niemand, meint er ^25, bemueht sich noch um rationelle Kunde des Ackerbaus; man gibt sich nicht einmal die Muehe, einen tuechtigen Ackersmann zum Meier zu bestellen, sondern schickt die Leute aufs Land hinaus, die als Handwerker nicht mehr den Tagelohn abzuliefern vermoegen, oder die unbrauchbaren Saenftentraeger und Lakaien. Das war zu beklagen, aber nicht zu aendern. Die Gutswirtschaft der frueheren Epoche, die uebrigens auch in republikanischer Zeit in ihrer vollen Intensitaet sicher nicht allgemein durchgefuehrt worden war, stirbt wie die anderen republikanischen Institutionen in der Kaiserzeit ab; nicht einmal in der Form der Vertretung des Herrn durch den Actor scheint sie in grossem Umfang sich behauptet zu haben. Die Gutsherren gaben die Selbstwirtschaft auf und beschraenkten sich durchgaengig auf die Kontrolle der fremden Haenden ueberwiesenen wirtschaftlichen Leitung. ------------------------------------------------- ^23 Das Arbeiterpersonal, sagt Columella (1, 9, 7), des einzelnen Gutes, die classis oder die decuria, soll zehn Koepfe nicht uebersteigen: itaque si latior est ager, in regiones diducendae sunt eae classes. Allerdings kam in diesem Fall es auch vor, dass die Sklaven in Ketten arbeiteten (Sen. benef. 7, 10, 5: vasta spatia terrarum colenda per vinctos), wo also diese Wirtschaft der Plantagenform sich naehert. ^24 1, 1, 20. ^25 praef. 12. ------------------------------------------------- Die Kleinwirtschaft hat in der Kaiserzeit den Ackerbau allem Anschein nach bei weitem mehr beherrscht als unter der Republik. Dass der Kleinbesitz auch Kleinwirtschaft ist, versteht sich von selbst; aber auch der Grossbesitz, der auf die Selbstwirtschaft verzichtet, hat im roemischen Ackerbau, wie es scheint, so gut wie ausschliesslich, die Form der Kleinwirtschaft angenommen; von Grosspacht findet auf diesem Gebiet sich kaum eine Spur ^26. Die Kleinwirtschaft wird bald durch Freie, bald durch Sklaven beschafft: der Eigentuemer kann die einzelne Parzelle, welche er zur Kleinwirtschaft bestimmt, entweder einem freien Zeitpaechter (colonus) ueberweisen, der dann dem Grundherrn nur den bedungenen Pachtzins zu zahlen hat, oder einen unfreien Meier (vilicus) darauf setzen, der dann entweder nach den Regeln der sogenannten Pekuliargeschaefte gleich dem Paechter einen festen Zins zahlt oder auch mit dem Herrn Einnahme und Ausgabe verrechnet; indes scheint die letztere wenig bequeme Form nicht in bedeutendem Umfang vorgekommen ^27 und ueber den Grundsatz verfahren zu sein, den Columella ^28 ausspricht, dass, wo der Eigentuemer die Selbstwirtschaft in der frueher bezeichneten Weise nicht ausueben kann oder will, es weniger nachteilig ist, mit freien Paechtern zu wirtschaften als mit unfreien Meiern. Dies Verpachtungssystem ist gewiss auch frueher oft genug vorgekommen, aber doch nur nebenher und aushilfsweise ^29; jetzt wird es eigentlich regelmaessige Form der Bodenwirtschaft. Es zeigt sich dies vor allem in der Verschiebung des Sprachgebrauchs: colonus, das heisst der Ackerbauer im Gegensatz zum Hirten, wird noch von Cicero und Varro ohne weiteres von jedem Landwirt gebraucht, sei er Gutsbesitzer oder Bauer oder Paechter, technisch aber in republikanischer Zeit verwendet fuer den kleinen Grundbesitzer, woraus die politische Verwendung des Wortes sich entwickelt hat, in der Kaiserzeit dagegen fuer den selbst wirtschaftenden Kleinpaechter. Dieser Wechsel in der Beziehung des Schlagwortes hat sich im Anfang der Kaiserzeit entschieden; den Schriftstellern der neronischen Zeit, dem juengeren Seneca und dem Columella, ist der "Landwirt" bereits synonym mit dem Kleinpaechter. ----------------------------------------------- ^26 Auf den grossen afrikanischen Domaenen erscheinen die conductores, die Paechter des Herrenhauses, und der, es scheint nach Analogie der Munizipalordnung, diesem Quasi-Gemeinwesen zustehenden Fronden, neben den coloni, den Paechtern der Parzellen. Das letztere Wort wird nie vom Grosspaechter gebraucht. ^27 Belehrend ist ein von Scaevola referierter Rechtsfall (Dig. 20, 1, 32). Ein Latifundienbesitz wird verkauft. Da ein Teil der Grundstuecke ohne Paechter ist, so uebergibt der Kaeufer diese seinem actor zur Bewirtschaftung, und es werden nun der Meier und die weiter erforderlichen Sklaven von diesem darauf gesetzt (Stichus vilicus et ceteri servi ad culturam missi et Stichi vicarii); dass letztere im Peculium des Meiers stehen, ist charakteristisch dafuer, dass dieser den Colonus vertritt. Aber deutlich erscheint dies hier als ein exzeptionelles Verfahren und als Regel die Verpachtung. ^28 1 7, 6. ^29 Gewiss sind die grossen Vermoegen der republikanischen Zeit, soweit sie in Ackerland bestanden, auch schon vielfach in der Form der Kleinpacht genutzt worden. Aber normal war die Gutswirtschaft noch am Ende der Republik; aber nicht mehr, als Columella schrieb. ----------------------------------------------- Aber auch freigeborene Lohnarbeiter haben nicht gefehlt; die arbeitsfaehigen Kinder des Kolonen muessen oft in eine solche Stellung eingetreten und nicht selten auf diesem Wege dem Vater in der Pacht gefolgt sein, wie denn die roemischen Landwirte den von Kindesbeinen auf dem Gut beschaeftigten Kolonen als besonders geeignet bezeichnen. Die alte Sitte, namentlich fuer die Ernte freie Lohnarbeiter zuzuziehen, begegnet auch in dieser Epoche, und es ist nicht unmoeglich, dass sie in den eigentlichen Hauptsitzen des Ackerbaus bedeutende Ausdehnung gewonnen und einen eigenen Stand von Tageloehnern entwickelt hat ^30. Dass das neue Wirtschaftssystem an die Stelle der alten Selbstwirtschaft oder vielmehr der eigenen Direktion des Eigentuemers getreten ist, erklaert auch die weitgehende, unter Umstaenden bis zur Wirtschaftsleitung sich steigernde Beteiligung des Grundherrn an der Wirtschaftsfuehrung. Der Gutsherr liefert regelmaessig das Inventar, das freilich auf die Gefahr des Paechters steht und bei Aufloesung der Pacht unbeschaedigt zurueckgegeben oder zum vollen Wert ersetzt werden muss ^31, empfaengt nicht selten statt des Pachtzinses eine Fruchtquote und kontrolliert je nach den Pachtbedingungen im einzelnen Fall den Paechter. Die eigentliche Feldarbeit beschaffen regelmaessig die von dem Eigentuemer dem Paechter gestellten Sklaven; verstaendige Grundherren wirken dahin, dass diese sorgfaeltig ausgewaehlt und gut behandelt werden, auch dazu gelangen, sich tatsaechlich einen Hausstand zu begruenden, so dass der Bauer sie ungefesselt kann arbeiten lassen und der Sklavenzwinger, der nirgends fehlt, nur als Strafe zur Anwendung kommt. Die kolossale Ausdehnung dieser Wirtschaftsweise entspricht derjenigen des Grossgrundbesitzes; es sind sicher keine Redensarten, wenn Seneca, der Minister Neros, selbst einer der reichsten Maenner seiner Zeit und einer der besten Wirte, von den in Italien und in allen Provinzen zugleich wirtschaftenden Besitzern spricht ^32 und von ihren nach Tausenden zaehlenden, fuer einen Mann grabenden und pfluegenden Kolonen. Es zeigt sich dies weiter darin, dass auch diese Wirtschaft, soweit sie eigene Taetigkeit des Eigentuemers erheischt, sich wieder selber aufhebt; bei entwickeltem Grossbesitz uebt der Herr auch die Kontrolle der Paechter nicht mehr unmittelbar, sondern distriktweise durch seine unfreien Geschaeftsfuehrer (actores), in noch weiterer Steigerung des Umfangs durch die diesen vorgesetzten freien Direktoren (procuratores), wovon dann die kaiserliche Domanialverwaltung die hoechste Stufe darstellt. ------------------------------------------------ ^30 Die merkwuerdige Inschrift von Mactar (Eph. epigr. V, n. 279 = CIL VIII, S. n. 11824), welche 7, 345 angefuehrt ward, ruehrt von einem solchen Feldarbeiter her falcifera cum turma virum processerat arvis seu Cirtae Nomados seu Iovis arva petens, demessor cunctos anteibam primus in arvis pos tergus linquens densa meum gremia. ^31 Dig. 19, 2, 54, 2. ^32 epist. 87, 7; 89, 20; 114, 26. ------------------------------------------------ Diese Form der Kleinwirtschaft geht, wie der Grossgrundbesitz, zu dem sie gehoert, gleichfoermig durch das ganze Reich und erstreckt sich auch auf die kaiserlichen Domaenen ohne wesentliche rechtliche Abweichung, wenngleich tatsaechlich das fiskalische Interesse die Lage der kaiserlichen Kolonen wohl gegenueber denen der Privaten guenstiger gestaltet hat. Dass diese Kleinwirtschaft kein voller Ersatz ist fuer den grossenteils durch sie verdraengten Kleinbesitz, bedarf der Ausfuehrung nicht: dasselbe Grundstueck, das als Kleinbesitz, sei es in Form des Sammelbesitzes, sei es mit Realteilung, eine Mehrzahl freier Familien ernaehren konnte, naehrte als Kleinpacht ein fuer allemal nur die Familie des Paechters; und das Selbstgefuehl und die Unabhaengigkeit, die auch den kleinen Grundbesitzer wenigstens adeln koennen, sind dem Zeitpaechter notwendig verschlossen. Dennoch darf in der duesteren Geschichte des Prinzipats diese wirtschaftliche Gestaltung des Grossbesitzes als eine der lichteren Seiten bezeichnet werden. Die wirtschaftliche Stellung des Kolonen, den die Kapitalkraft des Grundherrn stuetzte, war weniger unsicher als die des Kleinbesitzers, und wie das Verhaeltnis sich entwickelt hatte, fuehrte es wenigstens mit wirtschaftlicher Notwendigkeit zur humanen Behandlung der Paechter durch den Grundherrn und der Ackersklaven durch den Paechter, ebenso zu einer gewissen Vereinigung der Betriebsvorzuege der Grossund der Kleinwirtschaft. Man soll nicht vergessen, dass die alte Bauernwirtschaft erst zur Schuldknechtschaft gefuehrt und dann in sich selbst Bankrott gemacht hat; nicht vergessen die unmenschliche Wirtschaftlichkeit des catonischen Musterguts, das den Sklavenhausstand und die freie Arbeit voellig ausschliesst. In dieser Kleinpachtwirtschaft lag fuer die unfreien Leute eine ertraeglichere Existenz und eine gewisse Aussicht, durch Wohlverhalten zur Freiheit zu gelangen; es lag ferner in ihr einige Garantie fuer die Verwendung einer wenn auch beschraenkten Zahl freier Familien in einer wirtschaftlich haltbaren Stellung. Die Armee der Kaiserzeit hat allem Anschein nach ganz ueberwiegend aus diesen Kleinpaechterfamilien sich rekrutiert. Die mit der neuen Welt unzufriedene und die Zustaende der republikanischen Zeit, eben weil sie unwiederbringlich dahin waren, mehr sehnsuechtig als nachdenklich idealisierende Anschauung der vornehmen Kreise Italiens hat auch fuer diese Entwicklung der Bodenwirtschaft nichts als Vorwurf und Klage; beide sind nicht unberechtigt, aber hier vor allem gilt das troestende Evangelium der Geschichte, dass aller Verfall auch wieder Entwicklung ist. Neben dem Ackerbau bestand die sonstige Bodenwirtschaft wie frueher, ohne dass in dieser Hinsicht erhebliche Aenderungen zu verzeichnen waeren. Dass die unproduktive Verwendung des Bodens zu blossen Luxusanlagen bei dem Reichtum und der Hoffart der vornehmen Welt in Italien namentlich unter der ersten Dynastie in weitem Umfange stattgefunden hat, ist selbstverstaendlich; von den Villenanlagen, die den Raum ganzer Staedte einnehmen, spricht Seneca ^33 so gut wie frueher Sallustius, und jener hebt weiter hervor, dass der richtige Reiche nicht zufrieden ist, bis an jedem See, an jedem Strand Italiens, die die Mode konsekriert hat, er seine besondere Villeggiatur besitzt, wie dies an den kaiserlichen Villen sich im einzelnen verfolgen laesst. In diesen Anlagen ist manches grosse Vermoegen verbaut worden; aber dass die Lusthaine und die Villen dem Ackerbau den Platz wegnahmen, ist eine Redensart wie andere auch ^34. Dass der italische Ackerbau unter der Republik durch die Zerstoerung zahlreicher Staedte und die Ausdehnung der Weidewirtschaft eine sehr empfindliche Einschraenkung erfahren hat, ist frueher auseinandergesetzt worden; aber wie die bei dem Beginn der Monarchie vorhandenen Gemeinwesen mit verschwindenden Ausnahmen unter ihr fortbestanden, so hat auch die Bodenwirtschaft, im grossen und ganzen genommen, in der Kaiserzeit wahrscheinlich sich in dieser rueckgaengigen Richtung nicht weiterbewegt, vielmehr eher den umgekehrten Weg eingeschlagen ^35, wenn auch grossartige Massregeln in diesem Sinn, wie die von Caesar in Betreff der Pontinischen Suempfe geplante, nicht zur Ausfuehrung gelangt sind. In den Provinzen sind die Deduktionen von Kolonisten gewiss vielfaeltig in der Weise erfolgt, dass dadurch Weideoder Oedland unter den Pflug kam. Allem Anschein nach ist in der Kaiserzeit der Ackerbau nur da ausgefallen, wo entweder die Beschaffenheit des Bodens oder die Unsicherheit des Besitzes oder der Mangel an Arbeitskraeften ihm im Wege stand. Dass die Weidewirtschaft regelmaessig Grosswirtschaft ist und also diese Bodenstuecke regelmaessig den Reichen gehoeren, liegt in der Sache und gilt also auch fuer diese Zeit. ------------------------------------------- ^33 epist. 89, 21. ^34 In diesem Sinn sagt Tiberius bei Tacitus (ann. 3, 54): nisi provinciarum copiae et dominis et servitiis et agris subvenerint, nostra nos scilicet nemora nostraeque villae tuebuntur. Das laesst sich vertreten, wenn man die Stadt und die Umgegend Roms ins Auge fasst: von Tibur und Tusculum mag es einigermassen richtig sein, dass die Staedte den Landhaeusern Platz machten. Aber fuer das uebrige Italien passt dies um so weniger, als die Prachtanlagen der grossen hauptstaedtischen Familien auf Latium und einen Teil Kampaniens sich beschraenken. ^35 In der Alimentartafel von Veleia tritt bei den saltus auffallend oft hervor, dass sie mehr oder minder mit Ackerland gemischt sind, was wohl auf spaeteren partiellen Anbau zurueckgehen mag. ------------------------------------------- Im Geldgeschaeft ist die aeltere indirekte Hebung der Staatseinnahmen durch Vermittlung der Kapitalistengesellschaften, eine der hauptsaechlichen Burgen der republikanischen Plutokratie, in ihrer verderblichsten Form, der Festsetzung der Abgaben in einer Fruchtquote und der Ueberlassung dieser Zehnten an eine Gesellschaft gegen eine an die Staatskasse zu zahlende Geldsumme, schon von dem Diktator Caesar beseitigt worden. Bei der Einziehung der fuer Rom bestimmten Naturallieferungen und der in Geld angesetzten Steuern sind die alten Kompagnien noch eine Zeitlang taetig gewesen; aber teils die Hebung durch die steuerpflichtige Gemeinde, die zum Beispiel fuer Asia auch von dem Diktator Caesar angeordnet ward, teils die Einsetzung eigener kaiserlicher Finanzverwaltungen fuer jede Provinz muessen die Macht der Mittelsmaenner weiter beschraenkt haben, bis dann in den spaeteren Jahren des Tiberius auch das immer noch wichtige und gewinnbringende Geschaeft der Ueberfuehrung der also gezahlten Gelder und gelieferten Naturalien nach Rom oder an den sonstigen Bestimmungsort den grossen Kompagnien genommen ward ^36 und diese aus der provinzialen Grundund Vermoegenssteuer ueberhaupt verschwinden. Bei anderen Steuern hat sich die indirekte Hebung laenger behauptet, so bei der Freilassungs-, der Auktionsund der wichtigen Erbschaftssteuer; doch ist auch fuer die letztere, wie es scheint unter Hadrian, die direkte Erhebung eingefuehrt worden, und mehr und mehr werden die Kapitalistengesellschaften auch aus diesen Hebungen verbannt. Am laengsten haben sie sich bei den Zoellen und den nutzbaren Bodenrechten des Staats behauptet; und hier ist die Verpachtung auch fuer Rechnung der kaiserlichen Kasse angewandt worden ^37. Wenn unter Nero die Abschaffung der Zoelle in Frage kam, so ist dabei ohne Zweifel mit massgebend gewesen, dass die hier unentbehrlich erscheinende Hebung durch Private mit dem Geiste der neuen Monarchie nicht harmonierte. Indes kam es dazu nicht und begnuegte die Regierung damals und spaeter sich mit der Verschaerfung der gegen die Zollpaechter geuebten Kontrolle. Doch scheint, waehrend unter der Republik die Pachtung vom Staat der Regel nach bedeutenden Umfang hatte und einzelne Gesellschaften finanzielle Grossmaechte waren, unter dem Prinzipat der Umfang der einzelnen Pacht vielmehr beschraenkt gewesen zu sein. Auch abgesehen von dem kaiserlichen Kolonat, von dem schon die Rede war, sind die fiskalischen und aerarischen Konduktoren dieser Zeit offenbar nicht entfernt zu vergleichen mit den Publikanen der Republik; und dasselbe gilt von den noch fortbestehenden Kompagnien, denen durchaus kaiserliche Beamte und kaiserliches Gesinde in einer Weise ueberund eingeordnet wurden, dass der ganze Betrieb unter stetiger Mitwirkung der Regierungsorgane sich vollzogen haben muss. Auch tritt, ganz im Gegensatz zu dieser, namentlich im fiskalischen Gebiet hier sehr haeufig an die Stelle der Verpachtung die eigene Bewirtschaftung unter Aufsicht spezieller Beamter oder Beauftragter: so zum Beispiel sind die kaiserlichen Ziegeleien und Marmorbrueche niemals und in der Regel auch die kaiserlichen Bergwerke nicht verpachtet worden. Dem Eingreifen des Grosskapitals in dieses wenigstens halbstaatliche Gebiet ist demnach unter dem Prinzipat eine maechtige Schranke gesetzt worden. Der Anteil an der Herrschaft, den die Geldaristokratie eine Zeitlang faktisch behauptet hatte, war damit gebrochen. --------------------------------------------------- ^36 Die Umgestaltung des Hebewesens liegt sehr im Dunkeln; sicher ist nur, dass die Hebung durch die Gemeinden selbst wenigstens in Asien schon durch den Diktator Caesar eingefuehrt ward (App. civ. 5, 4), und wahrscheinlich wird dieselbe gleichzeitig wenigstens fuer die uebrigen in Geld steuernden Provinzen angeordnet sein (Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 2, S. 185). Wenn dennoch Tacitus (ann. 4, 6; vgl. Roemisches Staatsrecht, 3. Aufl., Bd. 2, S. 1017) zum Jahr 23 sagt: frumenta et pecuniae vectigales, cetera publicorum fructuum societatibus equitum Romanorum agitabantur, so koennen die pecuniae vectigales eben nur diese in Geld normierten Abgaben der Provinzen sein und den Sozietaeten nur noch das Geschaeft obgelegen haben, diese von den Gemeinden einzuziehen und an den Bestimmungsort zu uebermitteln, so dass sie also in dieser Hinsicht mehr das Bankierals das Hebegeschaeft fuer den Staat besorgten. Da Tacitus diese Einrichtung unter den in Tiberius’ spaeterer Zeit weggefallenen auffuehrt, so wird damals wohl auch die Vermittlung zwischen den zahlenden Gemeinden und der Staatskasse auf den Staat uebergegangen sein. Von dem nach Rom zu liefernden Getreide ist der Transport immer durch Private beschafft worden (Marquardt, Privatalterthuemer, S. 390). ^37 Deutlich zeigen dieses Verhaeltnis die ueber das Vermoegen des Isidorus und der Patrone Martials (Anm. 9) beigebrachten Angaben. Auch Plinius (epist. 3, 19) sagt: sum quidem prope totus in praediis, aliguid tamen fenero. --------------------------------------------------- Das gewerbsmaessige Geldverleihen ist jetzt ein regelmaessiger Bestandteil des Haushalts jedes vermoegenden Roemers geworden. Auch die Vornehmen pflegen den groessten Teil ihres Vermoegens in Grundbesitz anzulegen, aber daneben ein mehr oder minder betraechtliches Kapital bankiermaessig zu verwerten, indem sie dasselbe teils gegen eigentliche Sicherheiten ausleihen, teils in der Form der Anleihe an Handel und Industrie und Spekulationen aller Art sich beteiligen. Dem kam andrerseits die selbst gesetzlich festgestellte Ordnung entgegen, dass das Verleihen gegen Zinsen nur insoweit gestattet wurde, als der Betreffende den gleichen oder noch einen hoeheren Betrag in Grundbesitz angelegt hatte. Es ist dies das System, nach dem auch Crassus und Atticus ihr Vermoegen verwalteten; mit dem Zuruecktreten der Selbstwirtschaft ward in der Gutsverwaltung dasselbe mehr und mehr allgemein. Wenn bei richtiger Fuehrung dabei auch die Bodenwirtschaft gewann, insofern bei eintretendem Beduerfnis sie nicht auf den Kredit, sondern auf das Kapital greifen konnte, so lag hierin andererseits eine Verknuepfung des Grundbesitzes mit der Spekulation, deren Bedenklichkeit durch jene aeusserliche Fixierung des Verhaeltnisses zwischen fundiertem und nicht fundiertem Vermoegen mehr anerkannt als abgewandt wurde. Die grossen Vermoegen dieser Epoche sind hauptsaechlich auf diesem Wege gebildet; von Seneca zum Beispiel wird geradezu gesagt, dass er durch die Wucherzinsen ein reicher Mann geworden sei ^38, und seine Feinde wenigstens behaupteten, dass er die Eroberung Britanniens dazu benutzt habe, um 40 Mill. Sesterzen den bedraengten Gemeinden dort vorzuschiessen, deren Rueckforderung dann den gefaehrlichen Aufstand des Jahres 60 herbeigefuehrt haben soll ^39. Wo einer zum Kroesus, da werden viele zu Bettlern. Die namentlich unter der ersten Dynastie stets sich wiederholenden Klagen ueber Ueberschuldung und Zusammenbrechen der vornehmen Haeuser gehen vermutlich mehr noch auf diese Spekulantengeschaefte zurueck als auf die eigentliche Verschwendung; und andererseits wird die mit Vespasian eintretende innerliche Revolution sich in erster Reihe darin gezeigt haben, dass das befestigte Vermoegen im Wechselportefeuille Mass hielt und dass wenigstens dem Senator des Reiches die Sitte nicht gestattete, mit seinen Kapitalien zu wuchern. Wie der von Haus aus sehr begueterte spaetere Kaiser Pius nie mehr als 4 Prozent Zinsen nahm, so zeigt auch die spaetere Gesetzgebung, dass man unterschied zwischen den Zinsen, die der gewoehnliche Geschaeftsmann nehmen konnte, und denen, die dem vornehmen Mann zu nehmen geziemte. ------------------------------------------------------------ ^38 Tac. ann. 13, 42. ^39 Dio 60, 2. ------------------------------------------------------------ Dass Gewerbe und Handel unter der Friedensmacht, wie der roemische Staat dieser Epoche sie entwickelte, emporgeblueht sein muessen, ist von vornherein gewiss; mancherlei Einzelheiten zeigen uns die steigende Spezialisierung des Handwerks, die weiten Absatzkreise einzelner Fabrikate, die Bedeutung des Imports wie des Exports ueber die Reichsgrenze; allgemeine Daten, die ein vergleichendes Urteil gegenueber frueheren und spaeteren Perioden gestatteten, ergibt unsere Ueberlieferung nicht. Somit beschraenkt diese Auseinandersetzung sich darauf, gewisse allgemeine und soziale Verhaeltnisse kurz zu beruehren, die einigermassen sich fassen lassen. Wenn einstmals der einzelne Haushalt sich selber genuegte, so war mit der steigenden Kultur mehr und mehr die bezahlte Arbeit, die gewerbliche sowohl wie der Handel mit offenem Laden, in die erste Reihe getreten: aber gleich wie in der Epoche, wo Speisen und Kleider lediglich durch das Gesinde bereitet wurden, liegt diese Arbeit jetzt zwar in der Hand der Kapitalisten, wird aber ausgefuehrt durch ihr unfreies Gesinde. Die grossen Vermoegen auch der Aristokratie sind allerdings zum guten Teil aus der stillen Beteiligung der Vornehmen an spekulativen Geschaeften dieser Art hervorgegangen; aber einen auf das Gewerbe gestuetzten Mittelstand kennt diese Epoche sowenig wie die fruehere; wie der Senat der Hauptstadt aus den Grossgrundbesitzern sich zusammensetzt, so bilden in jeder Landstadt die Gutsbesitzer den Gemeinderat und den hoeheren Stand. Wenn ein Flickschuster sich es gestattet hat, in dem gebildeten Bononia eine Volkslustbarkeit zu geben und in Mutina ein Walker, wo wird, fragt Martialis ^40, der Gastwirt dies tun? So erkauften die Trimalchionen fuer vieles Geld die Gelegenheit, sich auslachen zu lassen; von der Teilnahme an den Gemeindegeschaeften blieben sie nach wie vor von Rechts wegen selbst in der kleinsten Stadt ausgeschlossen. Caesars Anordnung, dass in den Provinzen der Freigelassene in den Gemeinderat gelangen koenne, nahm Augustus wieder zurueck. Der einzelne Sklave sucht als Lohnknecht, Schuster, Arzt und so ferner seinen Verdienst oder wird auch von seinem Herrn in ein bestimmtes Geschaeft hineingesetzt; was er auf diese Weise erwirbt, gehoert zwar rechtlich dem Herrn, wird aber sehr haeufig nur zum Teil an ihn abgeliefert. Der Sklave hat oft eigenen Haushalt und faktisch eigenen Besitz: die Freilassung erfolgt oft gegen eine aus diesem Besitz dem Herrn zu zahlende Summe, loest aber regelmaessig das Anrecht des Herrn auf einen Teil des Verdienstes des Freigelassenen nicht auf. So werden auch die bedeutenderen Geschaefte betrieben: zum Beispiel selbst die Ladeninhaber (negotiantes, mercatores), die Geldhaendler (argentarii), die Haendler mit Spezereien (thurarii), vermoegende und in ihrer Art angesehene Persoenlichkeiten, sind dennoch fast ohne Ausnahme unfrei oder aus der Unfreiheit entlassen. Wirtschaftlich hat dies System seine vorteilhafte Seite: das Fortkommen des einzelnen geschickten Arbeiters und brauchbaren Geschaeftsmanns haengt weniger vom Zufall ab als bei voellig freier Konkurrenz, sondern es steht hier, wenn der Herr seinen Vorteil versteht, hinter jedem tuechtigen Mann die Macht des Kapitals. Es wird damit ferner zwischen der Sklavenschaft und der Buergerschaft eine Bruecke geschlagen, welche im allgemeinen wenigstens die besten Elemente aus jener in diese ueberfuehrt und die, wie nachteilig sie auch vielfach sich erweist, doch im ganzen weniger schadet als die voellige Abschliessung der Sklavenwelt gegen die der Freien. Die rechtliche Ausgleichung fuehrt wenigstens in den spaeteren Generationen auch die nationale und soziale allmaehlich herbei, und das Zusammenschwinden des Buergerstandes wuerde im Roemischen Reich sehr viel frueher und staerker aufgetreten sein, wenn nicht die ausserordentliche, aber zugleich stehende Vermehrung durch die Freilassungen ihm zu Hilfe gekommen waere. Sie sind auch bei der Bauernwirtschaft vorgekommen, aber ueberwiegend beruhen sie auf dem Gewerbeund Handelsverkehr, in dem sie nicht selten sogar eine hervorragende Stellung gewinnen und sich oder doch ihre Nachkommen in die Geldund weiter in die eigentliche Aristokratie einfuehren. ---------------------------------------------------- ^40 Mart. epigr. 3, 59. ---------------------------------------------------- Ist in Beziehung auf Handel und Gewerbe nicht viel mehr zu konstatieren, als dass die Dinge auch unter dem Prinzipat beim alten blieben, so erweitert sich dagegen in bemerkenswerter Weise derjenige Kreis, in welchem die Sitte dem anstaendigen Manne gestattet, Geld zu erwerben. Die strenge Regel, dass der Dienst, der einem Mitbuerger oder auch dem Staat geleistet wird, von dem Gentleman umsonst geleistet werden muss und durch Bezahlung wenn nicht unehrlich, so doch unvornehm wird, ist tatsaechlich schon unter der Republik nach vielen Seiten hin durchbrochen worden. Aber erst in dieser Zeit bildet sich die oeffentliche Laufbahn auch in oekonomischer Hinsicht aus, als hinfuehrend zu einer finanziell und sozial angesehenen Stellung. Es gilt dies fuer Beamte, Soldaten, Sachwalter, Rechtsgelehrte, also ueberhaupt fuer alle mit dem oeffentlichen Leben verknuepften Hilfsleistungen, waehrend private Dienste, wie zum Beispiel des Arztes und des Jugendlehrers, sich wenig oder gar nicht ueber die eigentlichen Gewerbe erheben. Dies geht unmittelbar zurueck auf den neuen Prinzipat. Die von diesem neben die alten Staatsbeamten gestellte Kategorie gleichfalls in oeffentlichen Geschaeften, sei es im Heer oder in der Verwaltung, verwandter persoenlicher Diener des Kaisers wurde von Haus aus mit festem und hoch gegriffenen Gehalte ausgestattet und damit von dieser Remuneration der bisherige Makel entfernt. Es war dies um so leichter, als die ausserhalb Roms taetigen Staatsbeamten laengst eine Verguetung fuer die Ausruestungsund sonstigen Kosten empfangen hatten, die der Sache nach auf eine Besoldung hinauslief; dennoch war die Einfuehrung der foermlichen und direkten Besoldung im Staatsdienst eine eingreifende Neuerung. Sie wuerde noch tiefer eingegriffen haben, wenn nicht die Kontinuitaet der amtlichen Stellung gefehlt haette. Zwar die Unteroffizierstellung war eine dauernde und fuehrte auch eine dauernde Versorgung sowie im guenstigen Fall den Eintritt in die hoehere Beamtenlaufbahn herbei; aber wenn auch im uebrigen die kaiserlichen Diener weit laengere Zeit als die Staatsdiener in ihren Stellungen blieben und die amtlichen Intervalle bei ihnen sicher seltener und kuerzer eintraten, so ist doch das Amt im allgemeinen auch in der Kaiserzeit nicht eine Lebensstellung und die Gehalte der Regel nach nicht hoch genug, um schon in kuerzerer Frist eine solche zu gewaehren. Dafuer aber traten ergaenzend hinzu die Taetigkeiten des rechtskundigen Beirats und vor allem des redekundigen Sachwalters. Zwar unter Augustus ward die alte Vorschrift, dass kein Sachwalter von dem Klienten Geld annehmen duerfe, noch einmal eingeschaerft ^41, und die hervorragenden Redner dieser Epoche, Asinius Pollio, Messalla Corvinus und andere mehr, hielten an der alten Ehrenhaftigkeit um so mehr fest, als sie durchaus reiche und vornehme Maenner waren. Aber wenn der Kaiser seine Beamten bezahlte, so konnte der Advokat unmoeglich unentgeltlich taetig sein; im allgemeinen kehrten weder Klienten noch Advokaten sich an das Gesetz, und unter Claudius mussten die "Schenkungen" bis zu 10000 Sesterzen gesetzlich freigegeben werden ^42. Dabei ist es insofern geblieben, als die Advokatenhonorare in gewissen Grenzen nicht bloss erlaubt, sondern bald auch klagbar geworden sind ^43. Zu diesem legitimen Verdienst tritt noch hinzu ein anderweitig darzustellendes, aber auch in der Oekonomie nicht zu uebersehendes Moment, die Durchfuehrung des Strafprozesses mittels der Privatanklage und der gesetzliche Anspruch des siegreichen Privatanklaegers auf bedeutende Geldbelohnungen, zum Beispiel bei dem Hochverratsprozess auf den vierten Teil des Vermoegens des Verurteilten, welche Praemien besonders bei den Anklagen vor dem Senat oft noch arbitraer gesteigert wurden. Es lag in der Sache, dass dieser Gewinn groesstenteils denjenigen Sachwaltern zufiel, die diesen Weg zu gehen nicht verschmaehten: und die grossen Vermoegen der Advokaten besonders im ersten Jahrhundert sind vorzugsweise auf diesem Wege zusammengekommen. Spaeterhin ist mit der veraenderten Prozessform diese Missbildung zurueckgetreten, wogegen die Sachwalterstellung ueberhaupt in ihrer sozialen und oekonomischen Bedeutung sich behauptet. Auch den bei dem Prozess den Sachwaltern assistierenden Rechtsbeistaenden (pragmatici) konnte das gleiche nicht verweigert werden; doch waren diese untergeordneten Ranges ^44 und ihr Erwerb nicht betraechtlich. Dagegen wird ihre Beihilfe bei Vollziehung von Rechtsgeschaeften, zum Beispiel bei Abfassung von Testamenten, aehnlich, wenn auch niedriger gestanden haben wie heute die der Notare, und nicht minder fanden sie Verwendung als salarierte Privatbegleiter des in die Provinzen zur Rechtsprechung gesandten, der Regel nach selbst rechtsunkundigen hohen Beamten. So bildete sich hier eine Laufbahn fuer Talente, im allgemeinen jedem zugaenglich, der die fuer die Vorbildung erforderlichen, allerdings nicht ganz unbedeutenden Kosten aufzubringen vermochte und auch in ihrem weiteren Verlauf an Bedingungen geknuepft, die verhaeltnismaessig leicht zu erfuellen waren. Dem roemischen Eupatriden gegenueber macht Juvenal es geltend, dass aus dem Volke der Juengling kommt, der am Euphrat Waffendienst tut und bei den Adlern Wache haelt, die den bezwungenen Bataver baendigen; dass der niedere Quirite den Redner stellt, welcher die Prozesse des ungebildeten Adligen fuehrt; dass der roemische Plebejer es ist, der die Knoten des Rechts und die Raetsel der Gesetzgebung loest. Freilich, wer bloss Geld erwerben will, der wird in der Wechselstube oder bei dem Auktionsgeschaeft, als Arzt und Baumeister, als Musikus oder Jockey rascher zum Ziel kommen; aber wer ehrgeizig nach einer Stellung strebt, dem ist jetzt auch eine solche nicht mehr verschlossen: der sorgliche Vater besseren Schlages bei demselben Dichter ^45 fordert seinen Sohn auf, sich ueber seinen Lebensberuf zu entscheiden, entweder um den Rebstock des Unteroffiziers einzukommen oder in die Advokatenschule einzutreten oder auch die Gesetze zu studieren. Vielleicht auf keine Weise hat der Prinzipat der republikanischen Aristokratie entschiedener Abbruch getan als durch diese Restitution Gracchischen Geistes, anknuepfend an die Gracchischen Ritterprivilegien, aber doch wesentlich neu und durchaus beruhend einerseits auf der Organisation des stehenden Heeres und besonders der Unteroffizierskarriere, andrerseits auf der Einrichtung der salarierten kaiserlichen Beamten mit ihren weiteren Konsequenzen. Die Einrichtung oeffnet die Pforten keineswegs dem Buerger schlechthin; die Freigelassenenwelt bleibt unbedingt ausgeschlossen, und wenn die militaerische Laufbahn wenigstens rechtlich jedem Freigeborenen offensteht, so fordert die nicht militaerische einen verhaeltnismaessig hohen und kostspieligen Bildungsgrad und, soweit sie eine amtliche ist, den Besitz des Rittervermoegens. Die Einrichtung oeffnet ferner ihre Pforten in der Hauptsache nur dem, der der Regierung genehm ist und genehm bleibt; die Aufnahme in das Heer und das Avancement haengt in jedem einzelnen Fall vom kaiserlichen Gutduenken ab, und ebenso verleiht die Regierung allein sowohl das Ritterpferd wie die daran geknuepften Aemter. Aber dennoch ist auf diesem Wege dem Mittelstand und einigermassen selbst den niederen Schichten des Volkes die zu Reichtum und Aemtern fuehrende Laufbahn eroeffnet, waehrend die spaetere Republik dem, welcher den Reichtum nicht bereits besitzt, ihre Aemter schlechthin versagt. Auf dem sozialen Gebiet ist diese demokratisch-monarchische Institution der schaerfste Ausdruck des Prinzipats und seine rechte treibende Kraft. ---------------------------------------------------- ^41 Dio 54, 18. ^42 Tac. ann. 11, 5; 13, 5; 42. ^43 Plin. epist. 5, 9. ^44 Juv. sat. 7, 123. ^45 Juv. sat. 14, 191; vorher 8, 46. -------------------------------------------------