Erstes Kapitel
Veraenderung der Szene. Charakter der Syracusaner, des Dionysius und seines Hofes
Da wir im Begriff sind, unserm Helden auf einen neuen Schauplatz zu folgen, wird es nicht ueberfluessig sein, denenjenigen, welche in der alten Geschichte nicht so gut bewandert sind, als vielleicht im Feen-Lande, einige vorlaeufige Nachrichten von den Personen zu geben, mit welchen man ihn in diesem und dem folgenden Buche verwickelt sehen wird.
Syracus, die Hauptstadt Siciliens, verdiente in vielerlei Betrachtungen den Namen des zweiten Athen. Nichts kann aehnlicher sein, als der Charakter ihrer Einwohner. Beide waren im hoechsten Grad eifersuechtig ueber eine Freiheit, in welcher sie sich niemals lange zu erhalten wussten, weil sie Muessiggang und Lustbarkeiten noch mehr liebten, als diese Freiheit; und man muss gestehen, dass sie ihnen durch den schlechten Gebrauch, den sie von ihr zu machen wussten, mehr Schaden getan hat, als ihre Tyrannen zusammengenommen. Die Syracusaner hatten den Genie der Kuenste und der Musen; sie waren lebhaft, sinnreich und zum spottenden Scherze aufgelegt; heftig und ungestuem in ihren Bewegungen, aber so unbestaendig, dass sie in einem Zeitmass von wenigen Tagen von dem aeussersten Grade der Liebe zum aeussersten Hass, und von dem wirksamsten Enthusiasmus zur untaetigsten Gleichgueltigkeit uebergehen konnten; lauter Zuege, durch welche sich, wie man weiss, die Athenienser vor allen andern griechischen Voelkern ausnahmen. Beide empoerten sich mit eben so viel Leichtsinn gegen die gute Regierung eines einzigen Gewalthabers, als sie faehig waren mit der niedertraechtigsten Feigheit sich an das Joch des schlimmsten Tyrannen gewoehnen zu lassen: Beide kannten niemals ihr wahres Interesse, und kehrten ihre Staerke immer gegen sich selbst: Mutig und heroisch in der Widerwaertigkeit, allezeit uebermuetig im Glueck, und gleich dem aesopischen Hund im Nil, immer durch schimmernde Entwuerfe verhindert, von ihren gegenwaertigen Vorteilen den rechten Gebrauch zu machen: durch ihre Lage, Verfassung, und den Geist der Handelschaft, der Spartanischen Gleichheit unfaehig, aber eben so ungeduldig, an einem Mitbuerger grosse Vorzuege an Verdiensten, Ansehen oder Reichtum zu ertragen; daher immer mit sich selbst im Streit, immer von Parteien und Faktionen zerrissen; bis, nach einem langwierigen umwechslenden uebergang von Freiheit zu Sklaverei und von Sklaverei zu Freiheit, beide zuletzt die Fesseln der Roemer geduldig tragen lernten; und sich weislich mit der Ehre begnuegten, Athen die Schule, und Syracus die Korn-Kammer dieser Majestaetischen Gebieterin des Erdbodens zu sein.
Nach einer Reihe von so genannten Tyrannen, das ist, von Beherrschern, welche sich der einzelnen und willkuerlichen Gewalt ueber den Staat bemaechtiget hatten, ohne auf einen Beruf von den Buergern zu warten, war Syracus und ein grosser Teil Siciliens mit ihr endlich in die Haende des Dionysius gefallen; und von diesem, nach einer langwierigen Regierung, unter welcher die Syracusaner gewiesen hatten, was sie zu leiden faehig seien, seinem Sohne, dem juengern Dionysius erblich angefallen. Das Recht dieses jungen Menschen an die koenigliche Gewalt, deren er sich nach seines Vaters Tod (den er selbst durch einen Schlaftrunk beschleuniget hatte) anmasste, war noch weniger als zweideutig; denn sein Vater konnte ihm kein Recht hinterlassen, das er selbst nicht hatte. Aber eine starke Leibwache, eine wohlbefestigte Zitadelle, und eine durch die Beraubung der reichesten Sicilianer angefuellte Schatzkammer ersetzte den Abgang eines Rechts, welches ohnehin alle seine Staerke von der Macht zieht, die es gelten machen muss, und aus eben diesem Grunde dessen leicht entbehren kann. Hiezu kam noch, dass in einem Staat, worin der Geist der politischen Tugend schon erloschen ist, und grenzenlose Begierden nach Reichtuemern, und der schmeichelhaften Freiheit alles zu tun, was die Sinne geluesten (der einzigen Art von Freiheit, welche von der Tyrannie eben so sehr beguenstiget als sie von der echten buergerlichen Freiheit ausgeschlossen wird) die Oberhand gewonnen haben; dass, sage ich, in einem solchen Staat, eine ausgelassene und allein auf Befriedigung ihrer Leidenschaften erpichte Jugend sich mit gutem Grunde von der unumschraenkten Regierung eines Einzigen ihrer Art, unendlich mehr Vorteile versprach als von der Aristokratie, deren sich die aeltesten und Verdienstvollesten bemaechtigen; oder von der Demokratie, worin man ein abhaengiges und ungewisses Ansehen mit soviel Beschwerlichkeiten, Kabalen, Unruh und Gefahr, oft auch mit Aufopferung seines Vermoegens teurer erkaufen muss, als es sich der Muehe zu verlohnen scheint.
Der junge Dionysius setzte sich also durch einen Zusammenfluss guenstiger Umstaende, in den ruhigen Besitz der hoechsten Gewalt zu Syracus; und es ist leicht zu erachten, wie ein uebelgezogner, und vom Feuer seines Temperaments zu allen Ausschweifungen der Jugend hingerissener Prinz, unter einem Schwarme von Parasiten, dieser Macht sich bedient haben werde. Ergoetzungen, Gastmaehler, Liebeshaendel, Feste welche ganze Monate dauerten, kurz eine stete Berauschung von Schwelgerei, machten die Beschaeftigungen eines Hofes von toerichten Juenglingen aus, welche nichts angelegeners hatten, als durch Erfindung neuer Wollueste sich in der Zuneigung des Prinzen fest zu setzen, und ihn zu gleicher Zeit zu verhindern, jemals zu sich selbst zu kommen, und den Abgrund gewahr zu werden, an dessen blumichtem Rand er in unsinniger Sorglosigkeit herumtanzte.
Man kennt die Staatsverwaltung wolluestiger Prinzen aus aeltern und neuern Beispielen zu gut, als dass wir noetig haetten, uns darueber auszubreiten. Was fuer eine Regierung ist von einem jungen Unbesonnenen zu erwarten, dessen Leben ein immerwaehrendes Bacchanal ist? Der keine von den grossen Pflichten seines Berufs kennt, und die Kraefte, die er zu ihrer Erfuellung anstrengen sollte, bei naechtlichen Schmaeusen und in den feilen Armen ueppiger Buhlerinnen verzettelt? Der, unbekuemmert um das Beste des Staats, seine Privat-Vorteile selbst so wenig einsieht, dass er das wahre Verdienst, welches ihm verdaechtig ist, hasset, und Belohnungen an diejenigen verschwendet, die unter der Maske der eifrigsten Ergebenheit und einer gaenzlichen Aufopferung, seine gefaehrlichsten Feinde sind? Von einem Prinzen, bei dem die wichtigsten Stellen auf die Empfehlung einer Taenzerin oder der Sklaven, die ihn aus—und ankleiden, vergeben werden? Der sich einbildet, dass ein Hofschranze, der gut tanzt, ein Nachtessen wohl anzuordnen weiss, und ein ueberwindendes Talent hat, sich bei den Weibern in Gunst zu setzen, unfehlbar auch das Talent eines Ministers oder eines Feldherrn haben werde; oder, dass man zu allem in der Welt tuechtig sei, sobald man die Gabe habe ihm zu gefallen?—Was ist von einer solchen Regierung zu erwarten, als Verachtung aller goettlichen und menschlichen Gesetze, Missbrauch der Formalitaeten der Gerechtigkeit, Gewaltsamkeiten, schlimme Haushaltung, Erpressungen, Geringschaetzung und Unterdrueckung der Tugend, allgemeine Verdorbenheit der Sitten?—Und was fuer eine Staatskunst wird da Platz haben, wo Leidenschaften, Launen, vorueberfahrende Anstoesse von laecherlichem Ehrgeiz, die kindische Begierde von sich reden zu machen, die Konvenienz eines Guenstlings oder die Intriguen einer Buhlerin—die Triebfedern der Staats-Angelegenheiten, der Verbindung und Trennung mit auswaertigen Maechten, und des oeffentlichen Betragens sind? Wo, ohne die wahren Vorteile des Staats, oder seine Kraefte zu kennen, ohne Plan, ohne kluge Abwaegung und Verbindung der Mittel—doch, wir geraten unvermerkt in den Ton der Deklamation, welcher uns bei einem laengst erschoepften und doch so alltaeglichen Stoffe nicht zu vergeben waere. Moechte niemand, der dieses liest, aus der Erfahrung seines eignen Vaterlands wissen, wie einem Volke mitgespielt wird, welches das Unglueck hat, der Willkuer eines Dionysius preis gegeben zu sein!
Man wird sich nach allem, was wir eben gesagt haben, den Dionysius als einen der schlimmsten Tyrannen, womit der Himmel jemals eine mit geheimen Verbrechen belastete Nation gegeisselt habe, vorstellen; und so schildern ihn auch die Geschichtschreiber. Allein ein Mensch der aus lauter schlimmen Eigenschaften zusammengesetzt waere, ist ein Ungeheuer, das nicht existieren kann. Eben dieser Dionysius wuerde Faehigkeit genug gehabt haben, ein guter Fuerst zu werden, wenn er so gluecklich gewesen waere, zu seiner Bestimmung gebildet zu werden. Aber es fehlte soviel, dass er die Erziehung die sich fuer einen Prinzen schickt, bekommen haette, dass ihm nicht einmal diejenige zu teil wurde, die man einem jeden jungen Menschen von mittelmaessigem Stande gibt. Sein Vater, der feigherzigste Tyrann der jemals war, liess ihn, von aller guten Gesellschaft abgesondert, unter niedrigen Sklaven aufwachsen, und der praesumtive Thronfolger hatte kein andres Mittel sich die Langeweile zu vertreiben, als dass er kleine Wagen, hoelzerne Leuchter, Schemel und Tisch’gen verfertigte. Man wuerde unrecht haben, wenn man diese selbstgewaehlte Beschaeftigung fuer einen Wink der Natur halten wollte; es war vielmehr der Mangel an Gegenstaenden und Modellen, welche dem allen Menschen angebornen Trieb Witz und Haende zu beschaeftigen, der sich in ihm regete, eine andere Richtung haetten geben koennen: Er wuerde vielleicht Verse gemacht haben, und bessere als sein Vater, (der unter andern Torheiten auch die Wut hatte, ein Poet sein zu wollen) wenn man ihm einen Homer in seine Klause gegeben haette. Wie manche Prinzen hat man gesehen, welche mit der Anlage zu Augusten und Trajanen, aus Schuld derjenigen, die ueber ihre Erziehung gesetzt waren, oder durch die Unfaehigkeit eines dummen, mit kloesterlichen Vorurteilen angefuellten Moenchen, dem sie auf Diskretion ueberlassen wurden in Nerone und Heliogabale ausgeartet sind?—Eine genaue und ausfuehrliche Entwicklung, wie dieses zugehe; wie es unter gewissen gegebenen Umstaenden nicht anders moeglich sei, als dass durch eine so fehlerhafte Veranstaltung das beste Naturell, in ein Karikaturenmaessiges moralisches Missgeschoepfe verzogen werden muesse, waere, wie uns deucht, ein sehr nuetzlicher Stoff, den wir der Bearbeitung irgend eines Mannes von Genie empfehlen, der bei philosophischen Einsichten eine hinlaengliche Kenntnis der Welt besaesse. Unsre aufgeklaerten und politen Zeiten sind weder dieses noch jenes in so hohem Grade, dass ein solches Werk ueberfluessig sein sollte; und wenn die Ausfuehrung der Wuerde des Stoffes zusagte, so zweifeln wir nicht, dass es gluecklich genug werden koennte, von mancher Provinz die lange Folge von Plagen abzuwenden, welche ihr vielleicht durch die fehlerhafte Erziehung ihrer noch ungebornen Beherrscher in den naechsten hundert Jahren bevorstehen.