Roemische Geschichte, Von Theodor Mommsen—Volume 4

Mommsen, Theodor, 1817-1903

Theodor Mommsen Roemische Geschichte

Viertes Buch Die Revolution

"Aber sie treiben’s toll; Ich fuercht’, es breche". Nicht jeden Wochenschluss Macht Gott die Zeche. Goethe 1. Kapitel Die untertaenigen Landschaften bis zu der Gracchenzeit Mit der Vernichtung des Makedonischen Reichs ward die Oberherrlichkeit Roms eine Tatsache, die von den Saeulen des Hercules bis zu den Muendungen des Nil und des Orontes nicht bloss feststand, sondern gleichsam als das letzte Wort des Verhaengnisses auf den Voelkern lastete mit dem ganzen Druck der Unabwendbarkeit und ihnen nur die Wahl zu lassen schien, sich in hoffnungslosem Widerstreben oder in hoffnungslosem Dulden zu verzehren. Wenn nicht die Geschichte von dem ernsten Leser es als ihr Recht fordern duerfte, sie durch gute und boese Tage, durch Fruehlingsund Winterlandschaft zu begleiten, so moechte der Geschichtschreiber versucht sein, sich der trostlosen Aufgabe zu entziehen, diesem Kampf der Uebermacht mit der Ohnmacht sowohl in den schon zum Roemischen Reich gezogenen spanischen Landschaften wie in den noch nach Klientelrecht beherrschten afrikanischen, hellenischen, asiatischen Gebieten in seinen mannigfaltigen und doch eintoenigen Wendungen zu folgen. Aber wie unbedeutend und untergeordnet auch die einzelnen Kaempfe erscheinen moegen, eine tiefe geschichtliche Bedeutung kommt ihnen in ihrer Gesamtheit dennoch zu; und vor allem die italischen Verhaeltnisse dieser Zeit werden erst verstaendlich durch die Einsicht in den Rueckschlag, der von den Provinzen aus auf die Heimat traf. Ausser in den naturgemaess als Nebenlaender Italiens anzusehenden Gebieten, wo uebrigens auch die Eingeborenen noch keineswegs vollstaendig unterworfen waren und, nicht eben zur Ehre Roms, Ligurer, Sarder und Korsen fortwaehrend Gelegenheit zu "Dorftriumphen" lieferten, bestand eine foermliche Herrschaft Roms zu Anfang dieser Periode nur in den beiden spanischen Provinzen, die den groesseren oestlichen und suedlichen Teil der Pyrenaeischen Halbinsel umfassten. Es ist schon frueher versucht worden, die Zustaende der Halbinsel zu schildern: Iberer und Kelten, Phoeniker, Hellenen, Roemer mischten sich hier bunt durcheinander; gleichzeitig und vielfach sich durchkreuzend bestanden daselbst die verschiedensten Arten und Stufen der Zivilisation, die altiberische Kultur neben vollstaendiger Barbarei, die Bildungsverhaeltnisse phoenikischer und griechischer Kaufstaedte neben der aufkeimenden Latinisierung, die namentlich durch die in den Silberbergwerken zahlreich beschaeftigten Italiker und durch die starke stehende Besatzung gefoerdert ward. In dieser Hinsicht erwaehnenswert sind die roemische Ortschaft Italica (bei Sevilla) und die latinische Kolonie Carteia (an der Bai von Gibraltar), die letztere die erste ueberseeische Stadtgemeinde latinischer Zunge und italischer Verfassung. Italica wurde von dem aelteren Scipio, noch ehe er Spanien verliess (548 206), fuer seine zum Verbleiben auf der Halbinsel geneigten Veteranen gegruendet, wahrscheinlich indes nicht als Buergergemeinde, sondern nur als Marktort ^1; Carteias Gruendung faellt in das Jahr 583 (171) und ward veranlasst durch die Menge der von roemischen Soldaten mit spanischen Sklavinnen erzeugten Lagerkinder, welche rechtlich als Sklaven, tatsaechlich als freie Italiker aufwuchsen und nun von Staats wegen freigesprochen und in Verbindung mit den alten Einwohnern von Carteia als latinische Kolonie konstituiert wurden. Beinahe dreissig Jahre nach der Ordnung der Ebroprovinz durch Tiberius Sempronius Gracchus (575, 576 179, 178) genossen die spanischen Landschaften im ganzen ungestoert die Segnungen des Friedens, obwohl ein paarmal von Kriegszuegen gegen die Keltiberer und Lusitaner die Rede ist. Aber ernstere Ereignisse traten im Jahre 600 (154) ein. Unter Fuehrung eines Haeuptlings Punicus fielen die Lusitaner ein in das roemische Gebiet, schlugen die beiden gegen sie vereinigten roemischen Statthalter und toeteten ihnen eine grosse Anzahl Leute. Die Vettonen (zwischen dem Tajo und dem oberen Duero) wurden hierdurch bestimmt, mit den Lusitanern gemeinschaftliche Sache zu machen; so verstaerkt vermochten diese ihre Streifzuege bis an das Mittellaendische Meer auszudehnen und sogar das Gebiet der Bastulophoeniker unweit der roemischen Hauptstadt Neukarthago (Cartagena) zu brandschatzen. Man nahm in Rom die Sache ernst genug, um die Absendung eines Konsuls nach Spanien zu beschliessen, was seit 559 (195) nicht geschehen war, und liess sogar zur Beschleunigung der Hilfsleistung die neuen Konsuln zwei und einen halben Monat vor der gesetzlichen Zeit ihr Amt antreten - es war dies die Ursache, weshalb der Amtsantritt der Konsuln vom 15. Maerz sich auf den 1. Januar verschob und damit derjenige Jahresanfang sich feststellte, dessen wir noch heute uns bedienen. Allein ehe noch der Konsul Quintus Fulvius Nobilior mit seiner Armee eintraf, kam es zwischen dem Statthalter des Jenseitigen Spaniens, dem Praetor Lucius Mummius, und den jetzt nach Punicus’ Fall von seinem Nachfolger Kaesarus gefuehrten Lusitanern am rechten Ufer des Tajo zu einem sehr ernsthaften Treffen (601 158). Das Glueck war anfangs den Roemern guenstig; das lusitanische Heer ward zersprengt, das Lager genommen. Allein, teils bereits vom Marsch ermuedet, teils in der Unordnung des Nachsetzens sich aufloesend, wurden sie von den schon besiegten Gegnern schliesslich vollstaendig geschlagen und buessten zu dem feindlichen Lager das eigene sowie an Toten 9000 Mann ein. Weit und breit loderte jetzt die Kriegsflamme auf. Die Lusitaner am linken Ufer des Tajo warfen sich unter Anfuehrung des Kaukaenus auf die den Roemern untertaenigen Keltiker (in Alentejo) und nahmen ihre Stadt Conistorgis weg. Den Keltiberern sandten die Lusitaner die dem Mummius abgenommenen Feldzeichen zugleich als Siegesbotschaft und als Mahnung zu; und auch hier fehlte es nicht an Gaerungsstoff. Zwei kleine, den maechtigen Arevakern (um die Quellen des Duero und Tajo) benachbarte Voelkerschaften Keltiberiens, die Beller und Titther, hatten beschlossen, in eine ihrer Staedte, Segeda, sich zusammenzusiedeln. Waehrend sie mit dem Mauerbau beschaeftigt waren, ward ihnen dieser roemischerseits untersagt, da die Sempronischen Ordnungen den unterworfenen Gemeinden jede eigenmaechtige Staedtegruendung verboeten, und zugleich die vertragsmaessig schuldige, aber seit laengerer Zeit nicht verlangte Leistung an Geld und Mannschaft eingefordert. Beiden Befehlen weigerten die Spanier den Gehorsam, da es sich nur um Erweiterung, nicht um Gruendung einer Stadt handle, die Leistungen aber nicht bloss suspendiert, sondern von den Roemern erlassen seien. Darueber erschien Nobilior im Diesseitigen Spanien mit einem fast 30000 Mann starken Heer, unter dem auch numidische Reiter und zehn Elefanten sich befanden. Noch standen die Mauern der neuen Stadt nicht vollstaendig; die meisten Segedaner unterwarfen sich. Allein die entschlossensten fluechteten mit Weib und Kind zu den maechtigen Arevakern und forderten sie auf, mit ihnen gegen die Roemer gemeinschaftliche Sache zu machen. Die Arevaker, ermutigt durch den Sieg der Lusitaner ueber Mummius, gingen darauf ein und waehlten einen der fluechtigen Segedaner, Karus, zu ihrem Feldherrn. Am dritten Tag nach seiner Wahl war der tapfere Fuehrer eine Leiche, aber das roemische Heer geschlagen und bei 6000 roemische Buerger getoetet - der Tag des 23. August, das Fest der Volkanalien, blieb seitdem den Roemern in schlimmer Erinnerung. Doch bewog der Fall ihres Feldherrn die Arevaker, sich in ihre festeste Stadt Numantia (Garray, eine Legua noerdlich von Soria am Duero) zurueckzuziehen, wohin Nobilior ihnen folgte. Unter den Mauern der Stadt kam es zu einem zweiten Treffen, in welchem die Roemer anfaenglich durch ihre Elefanten die Spanier in die Stadt zurueckdraengten, aber dabei infolge der Verwundung eines der Tiere in Verwirrung gerieten und durch die abermals ausrueckenden Feinde eine zweite Niederlage erlitten. Dieser und andere Unfaelle, wie die Vernichtung eines zur Herbeirufung von Zuzugmannschaft ausgesandten roemischen Reiterkorps, gestalteten die Angelegenheiten der Roemer in der diesseitigen Provinz so unguenstig, dass die Festung Okilis, wo die Kasse und die Vorraete der Roemer sich befanden, zum Feinde uebertrat und die Arevaker daran denken konnten, freilich ohne Erfolg, den Roemern den Frieden zu diktieren. Einigermassen wurden indes diese Nachteile aufgewogen durch die Erfolge, die Mummius in der suedlichen Provinz erfocht. So geschwaecht auch durch die erlittene Niederlage sein Heer war, gelang es ihm dennoch, mit demselben den unvorsichtig sich zerstreuenden Lusitanern am rechten Tajoufer eine Niederlage beizubringen und, uebergehend auf das linke, wo die Lusitaner das ganze roemische Gebiet ueberrannt, ja bis nach Afrika gestreift hatten, die suedliche Provinz von den Feinden zu saeubern. In die noerdliche sandte das folgende Jahr (602 152) der Senat ausser betraechtlichen Verstaerkungen einen andern Oberfeldherrn an der Stelle des unfaehigen Nobilior, den Konsul Marcus Claudius Marcellus, der schon als Praetor 586 (168) sich in Spanien ausgezeichnet und seitdem in zwei Konsulaten sein Feldherrntalent bewaehrt hatte. Seine geschickte Fuehrung und mehr noch seine Milde aenderte die Lage der Dinge schnell: Okilis ergab sich ihm sofort, und selbst die Arevaker, von Marcellus in der Hoffnung bestaerkt, dass ihnen gegen eine maessige Busse Friede gewaehrt werden wuerde, schlossen Waffenstillstand und schickten Gesandte nach Rom. Marcellus konnte sich nach der suedlichen Provinz begeben, wo die Vettonen und Lusitaner sich dem Praetor Marcus Atilius zwar botmaessig erwiesen hatten, solange er in ihrem Gebiet stand, allein nach seiner Entfernung sofort wieder aufgestanden waren und die roemischen Verbuendeten heimsuchten. Die Ankunft des Konsuls stellte die Ordnung wieder her, und waehrend er in Corduba ueberwinterte, ruhten auf der ganzen Halbinsel die Waffen. Inzwischen ward in Rom ueber den Frieden mit den Arevakern verhandelt. Es ist bezeichnend fuer die inneren Verhaeltnisse Spaniens, dass vornehmlich die Sendlinge der bei den Arevakern bestehenden roemischen Partei die Verwerfung der Friedensvorschlaege in Rom durchsetzten, indem sie vorstellten, dass, wenn man die roemisch gesinnten Spanier nicht preisgeben wolle, nur die Wahl bleibe, entweder jaehrlich einen Konsul mit entsprechendem Heer nach der Halbinsel zu senden oder jetzt ein nachdrueckliches Exempel zu statuieren. Infolgedessen wurden die Boten der Arevaker ohne entscheidende Antwort verabschiedet und die energische Fortsetzung des Krieges beschlossen. Marcellus sah sich demnach genoetigt, im folgenden Fruehjahr (603 151) den Krieg gegen die Arevaker wieder zu beginnen. Indes sei es nun, wie behauptet wird, dass er den Ruhm, den Krieg beendigt zu haben, seinem bald zu erwartenden Nachfolger nicht goennte, sei es, was vielleicht wahrscheinlicher ist, dass er gleich Gracchus in der milden Behandlung der Spanier die erste Bedingung eines dauerhaften Friedens sah - nach einer geheimen Zusammenkunft des roemischen Feldherrn mit den einflussreichsten Maennern der Arevaker kam unter den Mauern von Numantia ein Traktat zustande, durch den die Arevaker den Roemern sich auf Gnade und Ungnade ergaben, aber unter Verpflichtung zu Geldzahlung und Geiselstellung in ihre bisherigen vertragsmaessigen Rechte wiedereingesetzt wurden. --------------------------------------- ^1 Italica wird durch Scipio das geworden sein, was in Italien forum et conciliabulum civium Romanorum hiess; aehnlich ist spaeter Aquae Sextiae in Gallien entstanden. Die Entstehung ueberseeischer Buergergemeinden beginnt erst spaeter mit Karthago und Narbo; indes ist es merkwuerdig, dass in gewissem Sinne doch auch dazu schon Scipio den Anfang machte. ---------------------------------------- Als der neue Oberfeldherr, der Konsul Lucius Lucullus, bei dem Heere eintraf, fand er den Krieg, den zu fuehren er gekommen war, bereits durch foermlichen Friedensschluss beendigt, und seine Hoffnung, Ehre und vor allem Geld aus Spanien heimzubringen, schien vereitelt. Indes dafuer gab es Rat. Auf eigene Hand griff Lucullus die westlichen Nachbarn der Arevaker, die Vaccaeer, an, eine noch unabhaengige keltiberische Nation, die mit den Roemern im besten Einvernehmen lebte. Auf die Frage der Spanier, was sie denn gefehlt haetten, war die Antwort: der Ueberfall der Stadt Cauca (Coca, acht Leguas westlich von Segovia); und als die erschreckte Stadt mit schweren Geldopfern die Kapitulation erkauft zu haben meinte, rueckten roemische Truppen in sie ein und knechteten oder mordeten die Einwohnerschaft ohne jeglichen Vorwand. Nach dieser Heldentat, die etwa 20000 wehrlosen Menschen das Leben gekostet haben soll, ging der Marsch weiter. Weit und breit standen die Doerfer und Ortschaften leer oder schlossen, wie das feste Intercatia und die Hauptstadt der Vaccaeer, Pallantia (Palencia), dem roemischen Heere ihre Tore. Die Habsucht hatte in ihren eigenen Netzen sich gefangen; keine Gemeinde fand sich, die mit dem treubruechigen Feldherrn eine Kapitulation haette abschliessen moegen, und die allgemeine Flucht der Bewohner machte nicht bloss die Beute karg, sondern auch das laengere Verweilen in diesen unwirtlichen Gegenden fast unmoeglich. Vor Intercatia gelang es einem angesehenen Kriegstribun, dem Scipio Aemilianus, leiblichem Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, durch sein Ehrenwort, da das des Feldherrn nichts mehr galt, die Bewohner zum Abschluss eines Vertrages zu bestimmen, infolgedessen das roemische Heer gegen Lieferung von Vieh und Kleidungsstuecken abzog. Aber die Belagerung von Pallantia musste wegen Mangels an Lebensmitteln aufgehoben werden, und das roemische Heer ward auf dem Rueckmarsch von den Vaccaeern bis zum Duero verfolgt. Lucullus begab sich darauf nach der suedlichen Provinz, wo der Praetor Servius Sulpicius Galba in demselben Jahr von den Lusitanern sich hatte schlagen lassen; beide ueberwinterten nicht fern voneinander, Lucullus im turdetanischen Gebiet, Galba bei Conistorgis, und griffen im folgenden Jahr (604 150) gemeinschaftlich die Lusitaner an. Lucullus errang an der Gaditanischen Meerenge einige Vorteile ueber sie. Galba richtete mehr aus, indem er mit drei lusitanischen Staemmen am rechten Ufer des Tajo einen Vertrag abschloss und sie in bessere Wohnsitze ueberzusiedeln verhiess, worauf die Barbaren, die der gehofften Aecker wegen, 7000 an der Zahl, sich bei ihm einfanden, in drei Abteilungen geteilt, entwaffnet und teils als Sklaven weggefuehrt, teils niedergehauen wurden. Kaum ist je mit gleicher Treulosigkeit, Grausamkeit und Habgier Krieg gefuehrt worden wie von diesen beiden Feldherren, die dennoch durch ihre verbrecherisch erworbenen Schaetze der eine der Verurteilung, der andre sogar der Anklage entging. Den Galba versuchte der alte Cato noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahr, wenige Monate vor seinem Tode, vor der Buergerschaft zur Verantwortung zu ziehen; aber die jammernden Kinder des Generals und sein heimgebrachtes Gold erwiesen dem roemischen Volke seine Unschuld. Nicht so sehr die ehrlosen Erfolge, die Lucullus und Galba in Spanien erreicht hatten, als der Ausbruch des Vierten Makedonischen und des Dritten Karthagischen Krieges im Jahre 605 (149) bewirkte, dass man die spanischen Angelegenheiten zunaechst wieder den gewoehnlichen Statthaltern ueberliess. So verwuesteten denn die Lusitaner, durch Galbas Treulosigkeit mehr erbittert als gedemuetigt, unaufhoerlich das reiche turdetanische Gebiet. Gegen sie zog der roemische Statthalter Gaius Vetilius (607/08 147/48) 2 und schlug sie nicht bloss, sondern draengte auch den ganzen Haufen auf einen Huegel zusammen, wo derselbe rettungslos verloren schien. Schon war die Kapitulation so gut wie abgeschlossen, als Viriathus, ein Mann geringer Herkunft, aber wie einst als Bube ein tapferer Verteidiger seiner Herde gegen die wilden Tiere und Raeuber, so jetzt in ernsteren Kaempfen ein gefuerchteter Guerillachef und einer der wenigen, die dem treulosen Ueberfall Galbas zufaellig entronnen waren, seine Landsleute warnte, auf roemisches Ehrenwort zu bauen und ihnen Rettung verhiess, wenn sie ihm folgen wollten. Sein Wort und sein Beispiel wirkten; das Heer uebertrug ihm den Oberbefehl. Viriathus gab der Masse seiner Leute den Befehl, sich in einzelnen Trupps auf verschiedenen Wegen nach dem bestimmten Sammelplatz zu begeben; er selber bildete aus den bestberittenen und zuverlaessigsten Leuten ein Korps von 1000 Pferden, womit er den Abzug der Seinigen deckte. Die Roemer, denen es an leichter Kavallerie fehlte, wagten nicht, unter den Augen der feindlichen Reiter sich zur Verfolgung zu zerstreuen. Nachdem Viriathus zwei volle Tage hindurch mit seinem Haufen das ganze roemische Heer aufgehalten hatte, verschwand auch er ploetzlich in der Nacht und eilte dem allgemeinen Sammelplatz zu. Der roemische Feldherr folgte ihm, fiel aber in einen geschickt gelegten Hinterhalt, in dem er die Haelfte seines Heeres verlor und selber gefangen und getoetet ward; kaum rettete der Rest der Truppen sich an die Meerenge nach der Kolonie Carteia. Schleunigst wurden vom Ebro her 5000 Mann spanischer Landsturm zur Verstaerkung der geschlagenen Roemer gesandt; aber Viriathus vernichtete das Korps noch auf dem Marsch und gebot in dem ganzen karpetanischen Binnenland so unumschraenkt, dass die Roemer nicht einmal wagten, ihn dort aufzusuchen. Viriathus, jetzt als Herr und Koenig der saemtlichen Lusitaner anerkannt, verstand es, das volle Gewicht seiner fuerstlichen Stellung mit dem schlichten Wesen des Hirten zu vereinigen. Kein Abzeichen unterschied ihn von dem gemeinen Soldaten; von der reichgeschmueckten Hochzeitstafel seines Schwiegervaters, des Fuersten Astolpa im roemischen Spanien, stand er auf, ohne das goldene Geschirr und die kostbaren Speisen beruehrt zu haben, hob seine Braut auf das Ross und ritt mit ihr zurueck in seine Berge. Nie nahm er von der Beute mehr als denselben Teil, den er auch jedem seiner Kameraden zuschied. Nur an der hohen Gestalt und an dem treffenden Witzwort erkannte der Soldat den Feldherrn, vor allem aber daran, dass er es in Maessigkeit und in Muehsal jedem der Seinigen zuvortat, nie anders als in voller Ruestung schlief und in der Schlacht allen voran focht. Es schien, als sei in dieser gruendlich prosaischen Zeit einer der Homerischen Helden wiedergekehrt; weit und breit erscholl in Spanien der Name des Viriathus, und die tapfere Nation meinte endlich in ihm den Mann gefunden zu haben, der die Ketten der Fremdherrschaft zu brechen bestimmt sei. Ungemeine Erfolge im noerdlichen wie im suedlichen Spanien bezeichneten die naechsten Jahre seiner Feldherrnschaft. Den Praetor Gaius Plautius (608/09 146) wusste er, nachdem er dessen Vorhut vernichtet hatte, hinueber auf das rechte Tajoufer zu locken und ihn dort so nachdruecklich zu schlagen, dass der roemische Feldherr mitten im Sommer in die Winterquartiere ging - spaeter ward dafuer gegen ihn die Anklage wegen Entehrung der roemischen Gemeinde vor dem Volk erhoben und er genoetigt, die Heimat zu meiden. Desgleichen wurde das Heer des Statthalters - es scheint, der diesseitigen Provinz - Claudius Unimanus vernichtet, das des Gaius Negidius ueberwunden und weithin das platte Land gebrandschatzt. Auf den spanischen Bergen erhoben sich Siegeszeichen, die mit den Insignien der roemischen Statthalter und mit den Waffen der Legionen geschmueckt waren; bestuerzt und beschaemt vernahm man in Rom von den Siegen des Barbarenkoenigs. Zwar uebernahm jetzt ein zuverlaessiger Offizier die Fuehrung des Spanischen Krieges, der zweite Sohn des Siegers von Pydna, der Konsul Quintus Fabius Maximus Aemilianus (609 145). Allein die krieggewohnten, eben von Makedonien und Afrika heimgekehrten Veteranen aufs neue in den verhassten Spanischen Krieg zu senden, wagte man schon nicht mehr; die beiden Legionen, die Maximus mitbrachte, waren neu geworben und nicht viel minder unzuverlaessig als das alte, gaenzlich demoralisierte spanische Heer. Nachdem die ersten Gefechte wieder fuer die Lusitaner guenstig ausgefallen waren, hielt der einsichtige Feldherr den Rest des Jahres seine Truppen in dem Lager bei Urso (Osuna suedoestlich von Sevilla) zusammen, ohne die angebotene Feldschlacht zu liefern, und nahm erst im folgenden (610 144), nachdem im kleinen Krieg seine Truppen kampffaehig geworden waren, wieder das Feld, wo er dann die Ueberlegenheit zu behaupten vermochte und nach gluecklichen Waffentaten nach Corduba ins Winterlager ging. Als aber an Maximus’ Stelle der feige und ungeschickte Praetor Quinctius den Befehl uebernahm, erlitten die Roemer wiederum eine Niederlage ueber die andere und schloss ihr Feldherr sich wieder mitten im Sommer in Corduba ein, waehrend Viriathus’ Scharen die suedliche Provinz ueberschwemmten (611 143). Sein Nachfolger, des Maximus Aemilianus Adoptivbruder Quintus Fabius Maximus Servilianus, mit zwei frischen Legionen und zehn Elefanten nach der Halbinsel gesendet, versuchte, in das lusitanische Gebiet einzudringen, allein nach einer Reihe nichts entscheidender Gefechte und einem muehsam abgeschlagenen Sturm auf das roemische Lager sah er sich genoetigt, auf das roemische Gebiet zurueckzuweichen. Viriathus folgte ihm in die Provinz; da aber seine Truppen nach dem Brauch spanischer Insurgentenheere ploetzlich sich verliefen, musste auch er nach Lusitanien zurueckkehren (612 142). Im naechsten Jahre (613 141) ergriff Servilianus wieder die Offensive, durchzog die Gegenden am Baetis und Anas und besetzte sodann, in Lusitanien einrueckend, eine Menge Ortschaften. Eine grosse Zahl der Insurgenten fiel in seine Hand; die Fuehrer - es waren deren gegen 500 - wurden hingerichtet, den aus roemischem Gebiet zum Feinde Uebergegangenen die Haende abgehauen, die uebrige Masse in die Sklaverei verkauft. Aber der Spanische Krieg bewaehrte auch hier seine tueckische Unbestaendigkeit. Das roemische Heer ward nach all diesen Erfolgen bei der Belagerung von Erisane von Viriathus angegriffen, geworfen und auf einen Felsen gedraengt, wo es gaenzlich in der Gewalt der Feinde war. Viriathus indes begnuegte sich, wie einst der Samnitenfeldherr in den Caudinischen Paessen, mit Servilianus einen Frieden abzuschliessen, worin die Gemeinde der Lusitaner als souveraen und Viriathus als Koenig derselben anerkannt ward. Die Macht der Roemer war nicht mehr gestiegen als das nationale Ehrgefuehl gesunken; man war in der Hauptstadt froh, des laestigen Krieges entledigt zu sein, und Senat und Volk gaben dem Vertrage die Ratifikation. Allein des Servilianus leiblicher Bruder und Amtsnachfolger Quintus Servilius Caepio war mit dieser Nachgiebigkeit wenig zufrieden und der Senat schwach genug, anfangs den Konsul zu heimlichen Machinationen gegen den Viriathus zu bevollmaechtigen und bald ihm den offenen, unbeschoenigten Bruch des gegebenen Treuworts wenigstens nachzusehen. So drang Caepio in Lusitanien ein und durchzog das Land bis zu dem Gebiet der Vettonen und Callaeker; Viriathus vermied den Kampf mit der Uebermacht und entzog sich durch geschickte Bewegungen dem Gegner (614 140). Als aber im folgenden Jahre (615 139) nicht bloss Caepio den Angriff erneuerte, sondern auch das in der noerdlichen Provinz inzwischen verfuegbar gewordene Heer unter Marcus Popillius in Lusitanien erschien, bat Viriathus um Frieden unter jeder Bedingung. Er ward geheissen, alle aus dem roemischen Gebiet zu ihm uebergetretenen Leute, darunter seinen eigenen Schwiegervater, an die Roemer auszuliefern; es geschah, und die Roemer liessen dieselben hinrichten oder ihnen die Haende abhauen. Allein es war damit nicht genug; nicht auf einmal pflegten die Roemer den Unterworfenen anzukuendigen, was ueber sie verhaengt war. Ein Befehl nach dem andern, und immer der folgende unertraeglicher als die vorhergehenden, erging an die Lusitaner, und schliesslich ward sogar die Auslieferung der Waffen von ihnen gefordert. Da gedachte Viriathus abermals des Schicksals seiner Landsleute, die Galba hatte entwaffnen lassen, und griff aufs neue zum Schwert, aber zu spaet. Sein Schwanken hatte in seiner naechsten Umgebung die Keime des Verrats gesaet; drei seiner Vertrauten, Audas, Ditalko und Minucius aus Urso, verzweifelnd an der Moeglichkeit, jetzt noch zu siegen, erwirkten von dem Koenig die Erlaubnis, noch einmal mit Caepio Friedensunterhandlungen anzuknuepfen, und benutzten sie, um gegen Zusicherung persoenlicher Amnestie und weiterer Belohnungen das Leben des lusitanischen Helden den Fremden zu verkaufen. Zurueckgekehrt in das Lager, versicherten sie den Koenig des guenstigsten Erfolgs ihrer Verhandlungen und erdolchten die Nacht darauf den Schlafenden in seinem Zelte. Die Lusitaner ehrten den herrlichen Mann durch eine Totenfeier ohnegleichen, bei der zweihundert Fechterpaare die Leichenspiele fochten; hoeher noch dadurch, dass sie den Kampf nicht aufgaben, sondern an die Stelle des gefallenen Helden den Tautamus zu ihrem Oberfeldherrn ernannten. Kuehn genug war auch der Plan, den dieser entwarf, den Roemern Sagunt zu entreissen; allein der neue Feldherr besass weder seines Vorgaengers weise Maessigung noch dessen Kriegsgeschick. Die Expedition scheiterte voellig, und auf der Rueckkehr ward das Heer bei dem Uebergang ueber den Baetis angegriffen und genoetigt, sich unbedingt zu ergeben. Also, weit mehr durch Verrat und Mord von Fremden wie von Eingeborenen als durch ehrlichen Krieg, ward Lusitanien bezwungen. ----------------------------------------- 2 Die Chronologie des Viriathischen Krieges ist wenig gesichert. Es steht fest, dass Viriathus’ Auftreten von dem Kampf mit Vetilius datiert (App. Hisp. 61; Liv. 52; Oros. hist. 5, 4) und dass er 615 (130) umkam (Diod. Vat. p. 110 u. a. m.); die Dauer seines Regiments wird auf acht (App. Hisp. 63), zehn (Iust. 44, 2), elf (Diod. p. 597), fuenfzehn (Liv. 54; Eutr. 4, 16; Oros. hist. 5, 4; Flor. epit. 1, 33) und zwanzig Jahre (Vell. 2, 90) berechnet. Der erste Ansatz hat deswegen einige Wahrscheinlichkeit, weil Viriathus’ Auftreten sowohl bei Diodor (p. 591; Vat. p. 107 108) wie auch bei Orosius (hist. 5, 4) an die Zerstoerung von Korinth angeknuepft wird. Von den roemischen Statthaltern, mit denen sich Viriathus schlug, gehoeren ohne Zweifel mehrere der noerdlichen Provinz an, da Viriathus zwar vorwiegend, aber nicht ausschliesslich in der suedlichen taetig war (Liv. 52); man darf also nicht nach der Zahl dieser Namen die Zahl der Jahre seiner Feldherrnschaft berechnen. --------------------------------------- Waehrend die suedliche Provinz durch Viriathus und die Lusitaner heimgesucht ward, war nicht ohne deren Zutun in der noerdlichen bei den keltiberischen Nationen ein zweiter, nicht minder ernster Krieg ausgebrochen. Viriathus’ glaenzende Erfolge bewogen im Jahre 610 (144) die Arevaker, gleichfalls gegen die Roemer sich zu erheben, und es war dies die Ursache, weshalb der zur Abloesung des Maximus Aemilianus nach Spanien gesandte Konsul Quintus Caecilius Metellus nicht nach der suedlichen Provinz ging, sondern gegen die Keltiberer sich wandte. Auch gegen sie bewaehrte er, namentlich waehrend der Belagerung der fuer unbezwinglich gehaltenen Stadt Contrebia, dieselbe Tuechtigkeit, die er bei der Ueberwindung des makedonischen Pseudophilipp bewiesen hatte; nach zweijaehriger Verwaltung (611, 612 143, 142) war die noerdliche Provinz zum Gehorsam zurueckgebracht. Nur die beiden Staedte Termantia und Numantia hatten noch den Roemern die Tore nicht geoeffnet; auch mit diesen aber war die Kapitulation fast schon abgeschlossen und der groesste Teil der Bedingungen von den Spaniern erfuellt. Als es jedoch zur Ablieferung der Waffen kam, ergriff auch sie eben wie den Viriathus jener echt spanische Stolz auf den Besitz des wohlgefuehrten Schwertes, und es ward beschlossen, unter dem kuehnen Megaravicus den Krieg fortzusetzen. Es schien eine Torheit; das konsularische Heer, dessen Befehl 613 (141) der Konsul Quintus Pompeius uebernahm, war viermal so stark als die gesamte waffenfaehige Bevoelkerung von Numantia. Allein der voellig kriegsunkundige Feldherr erlitt unter den Mauern beider Staedte so harte Niederlagen (613, 614 141, 140), dass er endlich es vorzog, den Frieden, den er nicht erzwingen konnte, durch Unterhandlungen zu erwirken. Mit Termantia muss ein definitives Abkommen getroffen sein; auch den Numantinern sandte der roemische Feldherr ihre Gefangenen zurueck und forderte die Gemeinde unter dem geheimen Versprechen guenstiger Behandlung auf, sich ihm auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Numantiner, des Krieges muede, gingen darauf ein, und der Feldherr beschraenkte in der Tat seine Forderungen auf das moeglichst geringe Mass. Gefangene, Ueberlaeufer, Geiseln waren abgeliefert und die bedungene Geldsumme groesstenteils gezahlt, als im Jahre 615 (139) der neue Feldherr Marcus Popillius Laenas im Lager eintraf. Sowie Pompeius die Last des Oberbefehls auf fremde Schultern gewaelzt sah, ergriff er, um sich der in Rom seiner wartenden Verantwortung fuer den nach roemischen Begriffen ehrlosen Frieden zu entziehen, den Ausweg, sein Wort nicht etwa bloss zu brechen, sondern zu verleugnen und, als die Numantiner kamen, um die letzte Zahlung zu machen, ihren und seinen Offizieren ins Gesicht den Abschluss des Vertrages einfach in Abrede zu stellen. Die Sache ging zur rechtlichen Entscheidung an den Senat nach Rom; waehrend dort darueber verhandelt ward, ruhte vor Numantia der Krieg und beschaeftigte sich Laenas mit einem Zug nach Lusitanien, wo er die Katastrophe des Viriathus beschleunigen half, und mit einem Streifzug gegen die den Numantinern benachbarten Lusonen. Als endlich vom Senat die Entscheidung kam, lautete sie auf Fortsetzung des Krieges - man beteiligte sich also von Staats wegen an dem Bubenstreich des Pompeius. Mit ungeschwaechtem Mut und erhoehter Erbitterung nahmen die Numantiner den Kampf wieder auf; Laenas focht ungluecklich gegen sie und nicht minder sein Nachfolger Gaius Hostilius Mancinus (617 137). Aber die Katastrophe fuehrten weit weniger die Waffen der Numantiner herbei als die schlaffe und elende Kriegszucht der roemischen Feldherrn und die Folge derselben, die von Jahr zu Jahr ueppiger wuchernde Liederlichkeit, Zuchtlosigkeit und Feigheit der roemischen Soldaten. Das blosse, ueberdies falsche Geruecht, dass die Kantabrer und Vaccaeer zum Entsatz von Numantia heranrueckten, bewog das roemische Heer, ungeheissen in der Nacht das Lager zu raeumen, um sich in den sechzehn Jahre zuvor von Nobilior angelegten Verschanzungen zu bergen. Die Numantiner, von dem Aufbruch in Kenntnis gesetzt, draengten der fliehenden Armee nach und umzingelten sie; es blieb nur die Wahl, mit dem Schwert in der Hand sich durchzuschlagen oder auf die von den Numantinern gestellten Bedingungen Frieden zu schliessen. Mehr als der Konsul, der persoenlich ein Ehrenmann, aber schwach und wenig bekannt war, bewirkte Tiberius Gracchus, der als Quaestor im Heere diente, durch sein von dem Vater, dem weisen Ordner der Ebroprovinz, auf ihn vererbtes Ansehen bei den Keltiberern, dass die Numantiner sich mit einem billigen, von allen Stabsoffizieren beschworenen Friedensvertrag genuegen liessen. Allein der Senat rief nicht bloss den Feldherrn sofort zurueck, sondern liess auch nach langer Beratung bei der Buergerschaft darauf antragen, den Vertrag zu behandeln wie einst den caudinischen, das heisst, ihm die Ratifikation zu verweigern und die Verantwortlichkeit dafuer auf diejenigen abzuwaelzen, die ihn geschlossen hatten. Von Rechts wegen haetten dies saemtliche Offiziere sein muessen, die den Vertrag beschworen hatten; allein Gracchus und die uebrigen wurden durch ihre Verbindungen gerettet; Mancinus allein, der nicht den Kreisen der hoechsten Aristokratie angehoerte, ward bestimmt, fuer eigene und fremde Schuld zu buessen. Seiner Insignien entkleidet, ward der roemische Konsular zu den feindlichen Vorposten gefuehrt, und da die Numantiner ihn anzunehmen verweigerten, um nicht auch ihrerseits den Vertrag als nichtig anzuerkennen, stand der ehemalige Oberfeldherr, im Hemd und die Haende auf den Ruecken gebunden, einen Tag lang vor den Toren von Numantia, Freunden und Feinden ein klaegliches Schauspiel. Jedoch fuer Mancinus’ Nachfolger, seinen Kollegen im Konsulat, Marcus Aemilius Lepidus, schien die bittere Lehre voellig verloren. Waehrend die Verhandlungen ueber den Vertrag mit Mancinus in Rom schwebten, griff er unter nichtigen Vorwaenden, eben wie sechzehn Jahre zuvor Lucullus, das freie Volk der Vaccaeer an und begann in Gemeinschaft mit dem Feldherrn der jenseitigen Provinz Pallantia zu belagern (618 136). Ein Senatsbeschluss befahl ihm, von dem Krieg abzustehen; nichtsdestoweniger setzte er, unter dem Vorwand, dass die Umstaende inzwischen sich geaendert haetten, die Belagerung fort. Dabei war er als Soldat gerade so schlecht wie als Buerger; nachdem er so lange vor der grossen und festen Stadt gelegen hatte, bis ihm in dem rauhen feindlichen Land die Zufuhr ausgegangen war, musste er mit Zuruecklassung aller Verwundeten und Kranken den Rueckzug beginnen, auf dem die verfolgenden Pallantiner die Haelfte seiner Soldaten aufrieben und, wenn sie die Verfolgung nicht zu frueh abgebrochen haetten, das schon in voller Aufloesung begriffene roemische Heer wahrscheinlich ganz vernichtet haben wuerden. Dafuer ward denn dem hochgeborenen General bei seiner Heimkehr eine Geldbusse auferlegt. Seine Nachfolger Lucius Furius Philus (618 136) und Quintus Calpurnius Piso (619 135) hatten wieder gegen die Numantiner Krieg zu fuehren, und da sie eben gar nichts taten, kamen sie gluecklich ohne Niederlage heim. Selbst die roemische Regierung fing endlich an einzusehen, dass man so nicht laenger fortfahren koenne; man entschloss sich, die Bezwingung der kleinen spanischen Landstadt ausserordentlicherweise dem ersten Feldherrn Roms, Scipio Aemilianus, zu uebertragen. Die Geldmittel zur Kriegfuehrung wurden ihm freilich dabei mit verkehrter Kargheit zugemessen und die verlangte Erlaubnis, Soldaten auszuheben, sogar geradezu verweigert, wobei Koterieintrigen und die Furcht, der souveraenen Buergerschaft laestig zu werden, zusammengewirkt haben moegen. Indes begleitete ihn freiwillig eine grosse Anzahl von Freunden und Klienten, unter ihnen sein Bruder Maximus Aemilianus, der vor einigen Jahren mit Auszeichnung gegen Viriathus kommandiert hatte. Gestuetzt auf diese zuverlaessige Schar, die als Feldherrnwache konstituiert ward, begann Scipio das tief zerruettete Heer zu reorganisieren (620 134). Vor allen Dingen musste der Tross das Lager raeumen - es fanden sich bis 2000 Dirnen und eine Unzahl Wahrsager und Pfaffen von allen Sorten -, und da der Soldat zum Fechten unbrauchbar war, musste er wenigstens schanzen und marschieren. Den ersten Sommer vermied der Feldherr jeden Kampf mit den Numantinern; er begnuegte sich, die Vorraete in der Umgegend zu vernichten und die Vaccaeer, die den Numantinern Korn verkauften, zu zuechtigen und zur Anerkennung der Oberhoheit Roms zu zwingen. Erst gegen den Winter zog Scipio sein Heer um Numantia zusammen; ausser dem numidischen Kontingent von Reitern, Fusssoldaten und zwoelf Elefanten unter Anfuehrung des Prinzen Jugurtha und den zahlreichen spanischen Zuzuegen waren es vier Legionen, ueberhaupt eine Heermasse von 60000 Mann, die eine Stadt mit einer waffenfaehigen Buergerschaft von hoechstens 8000 Koepfen einschloss. Dennoch boten die Belagerten oftmals den Kampf an; allein Scipio, wohl erkennend, dass die vieljaehrige Zuchtlosigkeit nicht mit einem Schlag sich ausrotten lasse, verweigerte jedes Gefecht, und wo es dennoch bei den Ausfaellen der Belagerten dazu kam, rechtfertigte die feige, kaum durch das persoenliche Erscheinen des Feldherrn gehemmte Flucht der Legionaere diese Taktik nur zu sehr. Nie hat ein Feldherr seine Soldaten veraechtlicher behandelt als Scipio die numantinische Armee; und nicht bloss mit bitteren Reden, sondern vor allem durch die Tat bewies er ihr, was er von ihr halte. Zum erstenmal fuehrten die Roemer, wo es nur auf sie ankam, das Schwert zu brauchen, den Kampf mit Hacke und Spaten. Rings um die ganze Stadtmauer von reichlich einer halben deutschen Meile im Umfang ward eine doppelt so ausgedehnte, mit Mauern, Tuermen und Graeben versehene zwiefache Umwallungslinie aufgefuehrt und auch der Duerofluss, auf dem den Belagerten anfangs noch durch kuehne Schiffer und Taucher einige Vorraete zugekommen waren, endlich abgesperrt. So musste die Stadt, die zu stuermen man nicht wagte, wohl durch Hunger erdrueckt werden, um so mehr, als es der Buergerschaft nicht moeglich gewesen war, sich waehrend des letzten Sommers zu verproviantieren. Bald litten die Numantiner Mangel an allem. Einer ihrer kuehnsten Maenner, Retogenes, schlug sich mit wenigen Begleitern durch die feindlichen Linien durch, und seine ruehrende Bitte, die Stammesgenossen nicht hilflos untergehen zu lassen, war wenigstens in einer der Arevakerstaedte, in Lutia, von grosser Wirkung. Bevor aber die Buerger von Lutia sich entschieden hatten, erschien Scipio, benachrichtigt von den roemisch Gesinnten in der Stadt, mit Uebermacht vor ihren Mauern und zwang die Behoerden, ihm die Fuehrer der Bewegung, vierhundert der trefflichsten Juenglinge, auszuliefern, denen saemtlich auf Befehl des roemischen Feldherrn die Haende abgehauen wurden. Die Numantiner, also der letzten Hoffnung beraubt, sandten an Scipio, um ueber die Unterwerfung zu verhandeln, und riefen den tapferen Mann an, der Tapferen zu schonen; allein als die rueckkehrenden Boten meldeten, dass Scipio unbedingte Ergebung verlange, wurden sie von der wuetenden Menge zerrissen, und eine neue Frist verfloss, bis Hunger und Seuchen ihr Werk vollendet hatten. Endlich kam in das roemische Hauptquartier eine zweite Botschaft, dass die Stadt jetzt bereit sei, auf Gnade und Ungnade sich zu unterwerfen. Als demnach die Buergerschaft angewiesen wurde, am folgenden Tag vor den Toren zu erscheinen, bat sie um einige Tage Frist, um denjenigen Buergern, die den Untergang der Freiheit nicht zu ueberleben beschlossen haetten, Zeit zum Sterben zu gestatten. Sie ward ihnen gewaehrt, und nicht wenige benutzten sie. Endlich erschien der elende Rest vor den Toren. Scipio las fuenfzig der Ansehnlichsten aus, um sie in seinem Triumphe aufzufuehren; die uebrigen wurden in die Sklaverei verkauft, die Stadt dem Boden gleichgemacht, ihr Gebiet unter die Nachbarstaedte verteilt. Das geschah im Herbst 621 (133), fuenfzehn Monate nachdem Scipio den Oberbefehl uebernommen hatte. Mit Numantias Fall war die hier und da noch sich regende Opposition gegen Rom in der Wurzel getroffen; militaerische Spaziergaenge und Geldbussen reichten aus, um die roemische Oberherrschaft im ganzen diesseitigen Spanien zur Anerkennung zu bringen. Auch im jenseitigen ward durch die Ueberwindung der Lusitaner die roemische Herrschaft befestigt und ausgedehnt. Der Konsul Decimus Iunius Brutus, der an Caepios Stelle trat, siedelte die kriegsgefangenen Lusitaner an in der Naehe von Sagunt und gab ihrer neuen Stadt Valentia (Valencia) gleich Carteia latinische Verfassung (616 138); er durchzog ferner (616-618 138-136) in verschiedenen Richtungen die iberische Westkueste und gelangte zuerst von den Roemern an das Gestade des Atlantischen Meers. Die von ihren Bewohnern, Maennern und Frauen, hartnaeckig verteidigten Staedte der dort wohnenden Lusitaner wurden durch ihn bezwungen, und die bis dahin unabhaengigen Callaeker nach einer grossen Schlacht, in der ihrer 50000 gefallen sein sollen, mit der roemischen Provinz vereinigt. Nach Unterwerfung der Vaccaeer, Lusitaner und Callaeker war jetzt mit Ausnahme der Nordkueste die ganze Halbinsel wenigstens dem Namen nach den Roemern untertan. Eine senatorische Kommission ging nach Spanien, um im Einvernehmen mit Scipio das neugewonnene Provinzialgebiet roemisch zu ordnen, und Scipio tat, was er konnte, um die Folgen der ehrund kopflosen Politik seiner Vorgaenger zu beseitigen, wie denn zum Beispiel die Kaukaner, deren schmachvolle Misshandlung durch Lucullus er neunzehn Jahre zuvor als Kriegstribun mit hatte ansehen muessen, von ihm eingeladen wurden, in ihre Stadt zurueckzukehren und sie wiederaufzubauen. Es begann wiederum fuer Spanien eine leidlichere Zeit. Die Unterdrueckung des Seeraubes, der auf den Balearen gefaehrliche Schlupfwinkel fand, durch Quintus Caecilius Metellus’ Besetzung dieser Inseln im Jahre 631 (123) war dem Aufbluehen des spanischen Handels ungemein foerderlich, und auch sonst waren die fruchtbaren und von einer dichten, in der Schleuderkunst unuebertroffenen Bevoelkerung bewohnten Inseln ein wertvoller Besitz. Wie zahlreich schon damals die lateinisch redende Bevoelkerung auf der Halbinsel war, beweist die Ansiedelung von 3000 spanischen Latinern in den Staedten Palma und Pollentia (Pollenza) auf den neugewonnenen Inseln. Trotz mancher schwerer Missstaende bewahrte die roemische Verwaltung Spaniens im ganzen den Stempel, den die catonische Zeit und zunaechst Tiberius Gracchus ihr aufgepraegt hatten. Das roemische Grenzgebiet zwar hatte von den Ueberfaellen der halb oder gar nicht bezwungenen Staemme des Nordens und Westens nicht wenig zu leiden. Bei den Lusitanern namentlich tat die aermere Jugend regelmaessig sich in Raeuberbanden zusammen und brandschatzte in hellen Haufen die Landsleute oder die Nachbarn, weshalb noch in viel spaeterer Zeit die einzeln gelegenen Bauernhoefe in dieser Gegend festungsartig angelegt und im Notfall verteidigungsfaehig waren; und es gelang den Roemern nicht, diesem Raeuberwesen in den unwirtlichen und schwer zugaenglichen lusitanischen Bergen ein Ende zu machen. Aber die bisherigen Kriege nahmen doch mehr und mehr den Charakter des Bandenunfugs an, den jeder leidlich tuechtige Statthalter mit den gewoehnlichen Mitteln niederzuhalten vermochte, und trotz dieser Heimsuchung der Grenzdistrikte war Spanien unter allen roemischen Gebieten das bluehendste und am besten organisierte Land; das Zehntensystem und die Mittelsmaenner waren daselbst unbekannt, die Bevoelkerung zahlreich und die Landschaft reich an Korn und Vieh. In einem weit unleidlicheren Mittelzustand zwischen formeller Souveraenitaet und tatsaechlicher Untertaenigkeit befanden sich die afrikanischen, griechischen und asiatischen Staaten, welche durch die Kriege der Roemer gegen Karthago, Makedonien und Syrien und deren Konsequenzen in den Kreis der roemischen Hegemonie gezogen worden waren. Der unabhaengige Staat bezahlt den Preis seiner Selbstaendigkeit nicht zu teuer, indem er die Leiden des Krieges auf sich nimmt, wenn es sein muss; der Staat, der die Selbstaendigkeit eingebuesst hat, mag wenigstens einen Ersatz darin finden, dass der Schutzherr ihm Ruhe schafft vor seinen Nachbarn. Allein diese Klientelstaaten Roms hatten weder Selbstaendigkeit noch Frieden. In Afrika bestand zwischen Karthago und Numidien tatsaechlich ein ewiger Grenzkrieg. In Aegypten hatte zwar der roemische Schiedsspruch den Sukzessionsstreit der beiden Brueder Ptolemaeos Philometor und Ptolemaeos des Dicken geschlichtet; allein die neuen Herren von Aegypten und von Kyrene fuehrten nichtsdestoweniger Krieg um den Besitz von Kypros. In Asien waren nicht bloss die meisten Koenigreiche, Bithynien, Kappadokien, Syrien, gleichfalls durch Erbfolgestreitigkeiten und dadurch hervorgerufene Interventionen der Nachbarstaaten innerlich zerrissen, sondern es wurden auch vielfache und schwere Kriege gefuehrt zwischen den Attaliden und den Galatern, zwischen den Attaliden und den bithynischen Koenigen, ja zwischen Rhodos und Kreta. Ebenso glimmten im eigentlichen Hellas die dort landueblichen zwerghaften Fehden, und selbst das sonst so ruhige makedonische Land verzehrte sich in dem inneren Hader seiner neuen demokratischen Verfassungen. Es war die Schuld der Herrscher wie der Beherrschten, dass die letzte Lebenskraft und der letzte Wohlstand der Nationen in diesen ziellosen Fehden vergeudet ward. Die Klientelstaaten haetten einsehen muessen, dass der Staat, der nicht gegen jeden, ueberhaupt nicht Krieg fuehren kann und dass, da der Besitzstand und die Machtstellung all dieser Staaten tatsaechlich unter roemischer Garantie stand, ihnen bei jeder Differenz nur die Wahl blieb, entweder mit den Nachbarn in Guete sich zu vergleichen oder die Roemer zum Schiedsspruch aufzufordern. Wenn die achaeische Tagsatzung von Rhodiern und Kretern um Bundeshilfe gemahnt ward und ernstlich ueber deren Absendung beratschlagte (601 153), so war dies einfach eine politische Posse; der Satz, den der Fuehrer der roemisch gesinnten Partei damals aufstellte, dass es den Achaeern nicht mehr freistehe, ohne Erlaubnis der Roemer Krieg zu fuehren, drueckte, freilich mit uebelklingender Schaerfe, die einfache Wahrheit aus, dass die Souveraenitaet der Dependenzstaaten eben nur eine formelle war und jeder Versuch, dem Schatten Leben zu verleihen, notwendig dahin fuehren musste, auch den Schatten zu vernichten. Aber ein Tadel, schwerer als der gegen die Beherrschten, ist gegen die herrschende Gemeinde zu richten. Es ist fuer den Menschen wie fuer den Staat keine leichte Aufgabe, in die eigene Bedeutungslosigkeit sich zu finden; des Machthabers Pflicht und Recht ist es, entweder die Herrschaft aufzugeben oder durch Entwicklung einer imponierenden materiellen Ueberlegenheit die Beherrschten zur Resignation zu noetigen. Der roemische Senat tat keines von beidem. Von allen Seiten angerufen und bestuermt, griff der Senat bestaendig ein in den Gang der afrikanischen, hellenischen, asiatischen, aegyptischen Angelegenheiten, allein in einer so unsteten und schlaffen Weise, dass durch diese Schlichtungsversuche die Verwirrung gewoehnlich nur noch aerger ward. Es war die Zeit der Kommissionen. Bestaendig gingen Beauftragte des Senats nach Karthago und Alexandreia, an die achaeische Tagsatzung und die Hoefe der vorderasiatischen Herren; sie untersuchten, inhibierten, berichteten, und dennoch ward in den wichtigsten Dingen nicht selten ohne Wissen und gegen den Willen des Senats verfahren. Es konnte geschehen, dass Kypros, welches der Senat dem Kyrenaeischen Reich zugeschieden hatte, nichtsdestoweniger bei Aegypten blieb; dass ein syrischer Prinz den Thron seiner Vorfahren bestieg unter dem Vorgeben, ihn von den Roemern zugesprochen erhalten zu haben, waehrend in der Tat ihm derselbe vom Senate ausdruecklich abgeschlagen und er selbst nur durch Bannbruch von Rom entkommen war; ja dass die offenkundige Ermordung eines roemischen Kommissars, der im Auftrag des Senats vormundschaftlich das Regiment von Syrien fuehrte, gaenzlich ungeahndet hinging. Die Asiaten wussten zwar sehr wohl, dass sie nicht imstande seien, den roemischen Legionen zu widerstehen; aber sie wussten nicht minder, wie wenig der Senat geneigt war, den Buergern Marschbefehl nach dem Euphrat oder dem Nil zu erteilen. So ging es in diesen entlegenen Landschaften zu wie in der Schulstube, wenn der Lehrer fern und schlaff ist; und Roms Regiment brachte die Voelker zugleich um die Segnungen der Freiheit und um die der Ordnung. Fuer die Roemer selbst aber war diese Lage der Dinge insofern bedenklich, als sie die Nordund Ostgrenze gewissermassen preisgab. Ohne dass Rom unmittelbar und rasch es zu verhindern vermochte, konnten hier, gestuetzt auf die ausserhalb des Bereiches der roemischen Hegemonie gelegenen Binnenlandschaften und im Gegensatz gegen die schwachen roemischen Klientelstaaten, Reiche sich bilden von einer fuer Rom gefaehrlichen und frueher oder spaeter mit ihm rivalisierenden Machtentwicklung. Allerdings schirmte hiergegen einigermassen der ueberall zerspaltene und nirgends einer grossartigen staatlichen Entwicklung guenstige Zustand der angrenzenden Nationen; aber dennoch erkennt man namentlich in der Geschichte des Ostens sehr deutlich, dass in dieser Zeit die Phalanx des Seleukos nicht mehr und die Legionen des Augustus noch nicht am Euphrat standen. Diesem Zustand der Halbheit ein Ende zu machen war hohe Zeit. Das einzig moegliche Ende aber war die Verwandlung der Klientelstaaten in roemische Aemter, was um so eher geschehen konnte, als ja die roemische Provinzialverfassung wesentlich nur die militaerische Gewalt in der Hand des roemischen Vogts zusammenfasste und Verwaltung und Gerichte in der Hauptsache den Gemeinden blieben oder doch bleiben sollten, also, was von der alten politischen Selbstaendigkeit ueberhaupt noch lebensfaehig war, sich in der Form der Gemeindefreiheit bewahren liess. Zu verkennen war die Notwendigkeit dieser administrativen Reform nicht wohl; es fragte sich nur, ob der Senat dieselbe verzoegern und verkuemmern, oder ob er den Mut und die Macht haben werde, das Notwendige klar einzusehen und energisch durchzufuehren. Blicken wir zunaechst auf Afrika. Die von den Roemern in Libyen gegruendete Ordnung der Dinge ruhte wesentlich auf dem Gleichgewicht des Nomadenreiches Massinissas und der Stadt Karthago. Waehrend jenes unter Massinissas durchgreifendem und klugem Regiment sich erweiterte, befestigte und zivilisierte, ward auch Karthago durch die blossen Folgen des Friedensstandes wenigstens an Reichtum und Volkszahl wieder, was es auf der Hoehe seiner politischen Macht gewesen war. Die Roemer sahen mit uebelverhehlter, neidischer Furcht die, wie es schien, unverwuestliche Bluete der alten Nebenbuhlerin; hatten sie bisher den bestaendig fortgesetzten Uebergriffen Massinissas gegenueber derselben jeden ernstlichen Schutz verweigert, so fingen sie jetzt an, offen zu Gunsten des Nachbarn zu intervenieren. Der seit mehr als dreissig Jahren zwischen der Stadt und dem Koenig schwebende Streit ueber den Besitz der Landschaft Emporia an der Kleinen Syrte, einer der fruchtbarsten des karthagischen Gebiets, ward endlich (um 594 160) von roemischen Kommissarien dahin entschieden, dass die Karthager die noch in ihrem Besitz verbliebenen emporitanischen Staedte zu raeumen und als Entschaedigung fuer die widerrechtliche Nutzung des Gebiets 500 Talente (860000 Taler) an den Koenig zu zahlen haetten. Die Folge war, dass Massinissa sofort sich eines anderen karthagischen Bezirks an der Westgrenze des karthagischen Gebiets, der Stadt Tusca und der grossen Felder am Bagradas, bemaechtigte; den Karthagern blieb nichts uebrig, als abermals in Rom einen hoffnungslosen Prozess anhaengig zu machen. Nach langem und ohne Zweifel absichtlichem Zoegern erschien in Afrika eine zweite Kommission (597 157); als aber die Karthager auf einen, ohne genaue vorgaengige Untersuchung der Rechtsfrage von derselben zu faellenden Schiedsspruch nicht unbedingt kompromittieren wollten, sondern auf eingehender Eroerterung der Rechtsfrage bestanden, kehrten die Kommissare ohne weiteres wieder zurueck nach Rom. Die Rechtsfrage zwischen Karthago und Massinissa blieb also unerledigt; aber die Sendung fuehrte eine wichtigere Entscheidung herbei. Das Haupt dieser Kommission war der alte Marcus Cato gewesen, damals vielleicht der einflussreichste Mann im Senat und als Veteran aus dem Hannibalischen Kriege noch von dem vollen Poenerhass und der vollen Poenerfurcht durchdrungen. Betroffen und missguenstig hatte dieser mit eigenen Augen den bluehenden Zustand der Erbfeinde Roms, die ueppige Landschaft und die wogenden Gassen, die gewaltigen Waffenvorraete in den Zeughaeusern und das reiche Flottenmaterial geschaut; schon sah er im Geiste einen zweiten Hannibal all diese Hilfsmittel gegen Rom verwenden. In seiner ehrlichen und mannhaften, aber durchaus bornierten Weise kam er zu dem Ergebnis, dass Rom nicht eher sicher sein werde, als bis Karthago vom Erdboden verschwunden sei, und entwickelte nach seiner Heimkehr diese Ansicht sofort im Senat. Dort widersetzten die freier blickenden Maenner der Aristokratie, namentlich Scipio Nasica, sich dieser kuemmerlichen Politik mit grossem Ernst und entwickelten die Blindheit der Besorgnisse vor einer Kaufstadt, deren phoenikische Bewohner mehr und mehr der kriegerischen Kuenste und Gedanken sich entwoehnten, und die vollkommene Vertraeglichkeit der Existenz dieser reichen Handelsstadt mit der politischen Suprematie Roms. Selbst die Umwandlung Karthagos in eine roemische Provinzialstadt waere ausfuehrbar, ja, verglichen mit dem gegenwaertigen Zustand, den Phoenikern selbst vielleicht nicht unwillkommen gewesen. Indes Cato wollte eben nicht die Unterwerfung, sondern den Untergang der verhassten Stadt. Seine Politik fand, wie es scheint, Bundesgenossen teils an den Staatsmaennern, die geneigt waren, die ueberseeischen Gebiete in unmittelbare Abhaengigkeit von Rom zu bringen, teils und vor allem an dem maechtigen Einfluss der roemischen Bankiers und Grosshaendler, denen nach der Vernichtung der reichen Geldund Handelsstadt die Erbschaft derselben zufallen musste. Die Majoritaet beschloss, bei der ersten passenden Gelegenheit - eine solche abzuwarten forderte die Ruecksicht auf die oeffentliche Meinung - den Krieg mit Karthago oder vielmehr die Zerstoerung der Stadt zu bewirken. Die gewuenschte Veranlassung fand sich rasch. Die erbitternden Rechtsverletzungen von Seiten Massinissas und der Roemer brachten in Karthago den Hasdrubal und den Karthalo an das Regiment, die Fuehrer der Patriotenpartei, welche, aehnlich der achaeischen, zwar nicht daran dachte, gegen die roemische Suprematie sich aufzulehnen, aber wenigstens die den Karthagern vertragsmaessig zustehenden Rechte gegen Massinissa, wenn noetig mit den Waffen, zu verteidigen entschlossen war. Die Patrioten liessen vierzig der entschiedensten Anhaenger Massinissas aus der Stadt verbannen und das Volk schwoeren, ihnen unter keiner Bedingung je die Rueckkehr zu gestatten; zugleich bildeten sie zur Abwehr gegen die von Massinissa zu erwartenden Angriffe aus den freien Numidiern ein starkes Heer unter Arkobarzanes, dem Enkel des Syphax (um 600 154). Massinissa indes war klug genug, jetzt nicht zu ruesten, sondern sich wegen des streitigen Gebiets am Bagradas unbedingt dem Schiedsspruch der Roemer zu unterwerfen; und so konnte man roemischerseits mit einigem Schein behaupten, dass die karthagischen Ruestungen gegen die Roemer gerichtet sein muessten, und auf sofortige Entlassung des Heeres und Vernichtung der Flottenvorraete dringen. Der karthagische Rat wollte einwilligen, allein die Menge verhinderte die Ausfuehrung des Beschlusses, und die roemischen Boten, die diesen Bescheid nach Karthago ueberbracht hatten, schwebten in Lebensgefahr. Massinissa sandte seinen Sohn Gulussa nach Rom, um ueber die fortdauernden Vorbereitungen Karthagos fuer den Landund den Seekrieg Bericht zu erstatten und die Kriegserklaerung zu beschleunigen. Nachdem noch einmal eine Gesandtschaft von zehn Maennern es bestaetigt hatte, dass in Karthago in der Tat geruestet werde (602 152), verwarf der Senat zwar die unbedingte Kriegserklaerung, die Cato begehrte, beschloss aber in geheimer Sitzung, dass der Krieg erklaert sein solle, wenn die Karthager sich nicht dazu verstehen wuerden, ihr Heer zu entlassen und ihr Flottenmaterial zu verbrennen. Inzwischen hatte in Afrika der Kampf bereits begonnen. Massinissa hatte die von den Karthagern verbannten Leute unter Geleitschaft seines Sohnes Gulussa nach der Stadt zurueckgesandt. Da die Karthager diesen die Tore schlossen, auch von den abziehenden Numidiern einige erschlugen, setzte Massinissa seine Truppen in Bewegung, und auch die karthagische Patriotenpartei machte sich kampffertig. Indes Hasdrubal, der an die Spitze ihrer Armee trat, war einer der gewoehnlichen Heerverderber, wie die Karthager sie zu Feldherren zu nehmen pflegten; im Feldherrnpurpur einherstolzierend wie ein Theaterkoenig und seines stattlichen Bauches auch im Lager pflegend, war der eitle und schwerfaellige Mann wenig geeignet, den Helfer zu machen in einer Bedraengnis, die vielleicht selbst Hamilkars Geist und Hannibals Arm nicht mehr haetten abwenden koennen. Vor den Augen des Scipio Aemilianus, der, damals Kriegstribun in der spanischen Armee, an Massinissa gesandt worden war, um seinem Feldherrn afrikanische Elefanten zuzufuehren, und der bei dieser Gelegenheit von einem Berge herab "wie Zeus vom Ida" der Schlacht zuschaute, lieferten die Karthager und die Numidier sich ein grosses Treffen, in welchem jene, obwohl durch 6000, von unzufriedenen Hauptleuten Massinissas ihnen zugefuehrte numidische Reiter verstaerkt und an Zahl dem Feinde ueberlegen, dennoch den kuerzeren zogen. Nach dieser Niederlage erboten sich die Karthager gegen Massinissa zu Gebietsabtretungen und Geldzahlungen, und Scipio versuchte auf ihr Anhalten, einen Vertrag zustande zu bringen; allein an der Weigerung der karthagischen Patrioten, die Ueberlaeufer auszuliefern, scheiterte das Friedensgeschaeft. Hasdrubal aber, eng eingeschlossen von den Truppen des Gegners, wurde genoetigt, alles zu bewilligen, was dieser forderte: Auslieferung der Ueberlaeufer, Rueckkehr der Verbannten, Abgabe der Waffen, Abzug unter dem Joch, Zahlung von jaehrlich 100 Talenten (155000 Talern) fuer die naechsten fuenfzig Jahre; und selbst dieser Vertrag wurde von den Numidiern nicht gehalten, sondern der entwaffnete Rest des karthagischen Heeres auf der Heimkehr von ihnen zusammengehauen. Die Roemer, die sich wohl gehuetet hatten, den Krieg selbst durch zeitige Dazwischenkunft zu verhindern, hatten jetzt, was sie wuenschten: einen brauchbaren Kriegsgrund - denn die Bestimmungen des Vertrags, nicht gegen roemische Bundesgenossen noch ausserhalb der eigenen Grenzen Krieg zu fuehren, waren jetzt allerdings von den Karthagern uebertreten worden - und einen bereits im voraus geschlagenen Gegner. Schon wurden die italischen Kontingente nach Rom gemahnt und die Schiffe zusammenberufen; jeden Augenblick konnte die Kriegserklaerung da sein. Die Karthager boten alles auf, den drohenden Schlag abzuwenden. Die Fuehrer der Patriotenpartei, Hasdrubal und Karthalo, wurden zum Tode verurteilt und eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, um auf sie die Verantwortung zu waelzen. Allein, zugleich trafen Boten von Utica, der zweiten Stadt der libyschen Phoeniker, dort ein, welche Vollmacht hatten, ihre Gemeinde den Roemern voellig zu eigen zu geben - mit dieser zuvorkommenden Unterwuerfigkeit verglichen, schien es fast Trotz, dass die Karthager sich begnuegt hatten, die Hinrichtung ihrer angesehensten Maenner unverlangt anzuordnen. Der Senat erklaerte, dass die Entschuldigung der Karthager unzureichend befunden sei; auf die Frage, was denn genuegen werde, hiess es, das sei den Karthagern ja bekannt. Freilich konnte man es wissen, was die Roemer wollten; allein es schien doch wieder unmoeglich zu glauben, dass nun wirklich fuer die liebe Heimatstadt die letzte Stunde gekommen sei. Noch einmal gingen karthagische Sendboten, diesmal ihrer dreissig und mit unbeschraenkter Vollmacht, nach Rom. Als sie ankamen, war bereits der Krieg erklaert (Anfang 605 149) und das doppelte Konsularheer eingeschifft; doch versuchten sie noch jetzt, den Sturm durch vollstaendige Unterwerfung zu beschwoeren. Der Senat beschied sie, dass Rom bereit sei, der karthagischen Gemeinde ihr Gebiet, ihre staedtische Freiheit und ihr Landrecht, ihr Gemeindeund Privatvermoegen zu garantieren, wofern sie den soeben nach Sizilien abgegangenen Konsuln binnen Monatsfrist in Lilybaeon 300 Geiseln aus den Kindern der regierenden Familien stellen und die weiteren Befehle erfuellen wuerden, die ihnen die Konsuln nach ihrer Instruktion wuerden zugehen lassen. Man hat den Bescheid zweideutig genannt; sehr verkehrt, wie schon damals klarblickende Maenner selbst unter den Karthagern hervorhoben. Dass alles, was man nur begehren konnte, garantiert ward mit einziger Ausnahme der Stadt, und dass keine Rede davon war, die Einschiffung der Truppen nach Afrika zu sistieren, zeigte sehr deutlich, was man beabsichtigte; der Senat verfuhr mit furchtbarer Haerte, aber den Anschein der Nachgiebigkeit gab er sich nicht. Indes man wollte in Karthago nicht sehen; es fand sich kein Staatsmann, der die haltlose staedtische Menge entweder zum vollen Widerstand oder zur vollen Resignation zu bewegen vermocht haette. Als man zugleich das entsetzliche Kriegsdekret und die ertraegliche Geiselforderung vernahm, fuegte man zunaechst sich dieser und hoffte weiter, weil man den Mut nicht hatte es auszudenken, was es heisse, sich der Willkuer eines Todfeindes im voraus zu unterwerfen. Die Konsuln sandten die Geiseln von Lilybaeon zurueck nach Rom und beschieden die karthagischen Boten, das weitere in Afrika zu vernehmen. Ohne Widerstand geschah die Landung und wurden die geforderten Lebensmittel verabfolgt. Als im Hauptquartier von Utica die gesamte Gerusia von Karthago erschien, um die weiteren Befehle entgegenzunehmen, begehrten die Konsuln zunaechst die Entwaffnung der Stadt. Auf die Frage der Karthager, wer sie sodann auch nur gegen ihre eigenen Ausgewanderten, gegen die auf 20000 Mann angeschwollene Armee des dem Todesurteil durch die Flucht entronnenen Hasdrubal beschuetzen solle, ward ihnen erwidert, dass dies die Sorge der Roemer sein werde. Gehorsam erschien demnach der Rat der Stadt vor den Konsuln mit allem Flottenmaterial, allen Kriegsvorraeten der oeffentlichen Zeughaeuser, allen im Privatbesitz befindlichen Waffen - man zaehlte 3000 Wurfgeschuetze und 200000 volle Ruestungen - und fragte an, ob noch weiteres begehrt werde. Da erhob sich der Konsul Lucius Marcius Censorinus und eroeffnete dem Rat, dass in Gemaessheit der vom Senat erlassenen Instruktion die bisherige Stadt zerstoert werden muesse, den Bewohnern aber freistehe, sich wo sie sonst wollten auf ihrem Gebiet, jedoch mindestens zwei deutsche Meilen vom Meer entfernt, wiederum anzusiedeln. Dieser fuerchterliche Befehl ruettelte in den Phoenikern die ganze, soll man sagen hochherzige oder wahnwitzige Begeisterung auf, wie sie einst die Tyrier gegen Alexander und spaeter die Juden gegen Vespasian bewiesen. Beispiellos wie die Geduld war, mit der diese Nation Knechtschaft und Druck zu ertragen vermochte, ebenso beispiellos war jetzt, wo es sich nicht um Staat und Freiheit handelte, sondern um den eigenen, geliebten Boden der Vaterstadt und die altgewohnte teure Meeresheimat, die rasende Empoerung der kaufmaennischen und seefahrenden Bevoelkerung. Von Hoffnung und Rettung konnte nicht die Rede sein; der politische Verstand gebot ohne Frage auch jetzt sich zu fuegen - aber die Stimme der wenigen, welche mahnten, das Unvermeidliche auf sich zu nehmen, verscholl wie der Ruf des Faehrmanns im Orkan in dem brausenden Wutgeheul der Menge, die in ihrem wahnsinnigen Toben teils an den Beamten der Stadt sich vergriff, welche zur Auslieferung der Geiseln und Waffen geraten hatten, teils die unschuldigen Traeger der Botschaft, so viele von ihnen ueberhaupt heimzukehren gewagt hatten, die Schreckenskunde entgelten liess, teils die zufaellig in der Stadt verweilenden Italiker zerriss, um wenigstens an diesen die Rache vorwegzunehmen fuer die Vernichtung der Heimat. Man beschloss nicht sich zu wehren; wehrlos wie man war, verstand sich dies von selbst. Die Tore wurden geschlossen, auf die von Wurfgeschossen entbloessten Mauerzinnen Steine geschafft, der Oberbefehl an Hasdrubal, den Tochtersohn Massinissas, uebertragen, die Sklaven saemtlich frei erklaert. Das Emigrantenheer unter dem fluechtigen Hasdrubal, das mit Ausnahme der von den Roemern besetzten Staedte an der Ostkueste, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus und Achulla und der Stadt Utica, das ganze karthagische Gebiet innehatte und fuer die Verteidigung eine unschaetzbare Stuetze bot, ward ersucht, der Gemeinde seinen Beistand in dieser hoechsten Not nicht zu versagen. Zugleich versuchte man, in echt phoenikischer Weise die grenzenloseste Erbitterung unter dem Mantel der Demut versteckend, den Feind zu taeuschen. Es ging eine Botschaft an die Konsuln, um dreissigtaegigen Waffenstillstand zur Absendung einer Gesandtschaft nach Rom zu erbitten. Die Karthager wussten wohl, dass die Feldherrn diese einmal schon abgeschlagene Bitte weder gewaehren wollten noch konnten; allein die Konsuln wurden dadurch bestaerkt in der natuerlichen Voraussetzung, dass nach dem ersten Ausbruch der Verzweiflung die gaenzlich wehrlose Stadt sich fuegen werde, und verschoben deshalb den Angriff. Die kostbare Zwischenzeit ward benutzt, um Wurfgeschuetze und Ruestungen herzustellen; Tag und Nacht ward ohne Unterschied des Alters und Geschlechts an Maschinen und Waffen gezimmert und gehaemmert; um Balken und Metall zu erlangen, wurden die oeffentlichen Gebaeude niedergerissen; um die fuer die Wurfgeschuetze unentbehrlichen Sehnen herzustellen, schoren die Frauen sich das Haar; in unglaublich kurzer Zeit waren die Mauern und die Maenner wieder bewehrt. Dass dies alles geschehen konnte, ohne dass die wenige Meilen entfernten Konsuln etwas davon erfuhren, ist nicht der am wenigsten wunderbare Zug in dieser wunderbaren, von einem wahrhaft genialen, ja daemonischen Volkshass getragenen Bewegung. Als endlich die Konsuln, des Wartens muede, aus dem Lager bei Utica aufbrachen und bloss mit Leitern die nackten Mauern ersteigen zu koennen meinten, fanden sie mit Staunen und Schrecken die Zinnen aufs neue mit Katapulten gekroent und die grosse volkreiche Stadt, welche man gleich einem offenen Flecken zu besetzen gehofft hatte, faehig und bereit, sich bis auf den letzten Mann zu verteidigen. Karthago war sehr fest durch die Natur seiner Lage 3 wie durch die Kunst seiner gar oft auf den Schutz ihrer Mauern angewiesenen Bewohner . In den weiten Tunesischen Golf, den westlich Kap Farina, oestlich Kap Bon begrenzen, springt in der Richtung von Westen nach Osten eine Landspitze vor, die an drei Seiten vom Meer umflossen ist und nur gegen Westen mit dem Festland zusammenhaengt. Diese Landspitze, an der schmalsten Stelle nur etwa eine halbe deutsche Meile breit und im ganzen flach, erweitert sich wieder gegen den Golf und endigt hier in den beiden Hoehen von Dschebel-Khawi und Sidi bu Said, zwischen denen die Flaeche von El Mersa sich ausdehnt. Auf dem suedlichen, mit der Hoehe von Sidi bu Said abschliessenden Teil derselben lag die Stadt Karthago. Der ziemlich steile Abfall jener Hoehe gegen den Golf und dessen zahlreiche Klippen und Untiefen gaben an der Golfseite der Stadt natuerliche Festigkeit, und es genuegte hier eine einfache Umwallung. Dagegen auf die Mauer an der Westoder Landseite, wo die Natur keinen Schutz bot, war alles verwendet, was die damalige Befestigungskunst vermochte. Sie bestand, wie die kuerzlich aufgedeckten, mit der Beschreibung des Polybios genau uebereinstimmenden Ueberreste gezeigt haben, aus einer Aussenmauer von 6« Fuss Dicke und an diese hinterwaerts, wahrscheinlich in ihrer ganzen Ausdehnung, angelehnten ungeheuren Kasematten, welche durch einen 6 Fuss breiten bedeckten Gang von der Aussenmauer getrennt waren und, die jede reichlich 3 Fuss breiten Vorderund Hintermauern nicht gerechnet, eine Tiefe von 11 Fuss hatten 4. Dieser ungeheure, durchaus aus maechtigen Quadern zusammengefuegte Wall erhob sich in zwei Stockwerken, die Zinnen und die maechtigen vier Stockwerke hohen Tuerme ungerechnet, zu einer Hoehe von 45 Fuss 5 und gewaehrte in dem untern Stockwerke der Kasematten Stallung und Futtermagazine fuer 300 Elefanten, in dem oberen Pferdestaelle, Magazinund Kasernenraeume 6. Der Burghuegel, die Byrsa (syrisch birtha = Burg), ein verhaeltnismaessig bedeutender Fels von 188 Fuss Hoehe und an der Unterflaeche einem Umfang von reichlich 2000 Doppelschritten 7, griff in diese Mauer an ihrem suedlichen Ende ein, aehnlich wie die Felswand des Kapitols in den roemischen Stadtwall. Die obere Flaeche desselben trug den gewaltigen, auf einem Unterbau von sechzig Stufen ruhenden Tempel des Heilgottes. Die Suedseite der Stadt bespuelte teils der seichte Tunesische See im Suedwesten, den eine von der karthagischen Halbinsel suedwaerts auslaufende schmale und niedrige Landzunge 8 fast gaenzlich von dem Golfe schied, teils im Suedosten der offene Golf. An dieser letzten Stelle befand sich der Doppelhafen der Stadt, ein Werk von Menschenhand: der aeussere oder der Handelshafen, ein laengliches, die schmale Seite dem Meere zuwendendes Viereck, von dessen nur 70 Fuss breiter Muendung nach beiden Seiten breite Kais am Wasser sich hinzogen, und der innere kreisrunde Kriegshafen, der Kothon 9, mit der das Admiralhaus tragenden Insel in der Mitte, in den man durch den aeusseren gelangte. Zwischen beiden ging die Stadtmauer durch, die, von der Byrsa ostwaerts sich wendend, die Landzunge und den Aussenhafen aus-, dagegen den Kriegshafen einschloss, so dass die Einfahrt in den letzteren gleich einem Tor verschliessbar gedacht werden muss. Unweit des Kriegshafens lag der Marktplatz, der durch drei enge Strassen mit der nach der Stadtseite offenen Burg verbunden war. Noerdlich von und ausserhalb der eigentlichen Stadt hatte der ziemlich betraechtliche, schon zu jener Zeit grossenteils mit Landhaeusern und wohlbewaesserten Gaerten gefuellte Raum der heutigen El Mersa, damals Magalia genannt, eine eigene, an die Stadtmauer sich anlehnende Umwallung. Auf der gegenueberliegenden Spitze der Halbinsel, dem Dschebel-Khawi bei dem heutigen Dorfe Qamart, lag die Graeberstadt. Diese drei, die Alt-, die Vorund die Graeberstadt, fuellten zusammen die ganze Breite der Landspitze an ihrer dem Golf zugewandten Seite aus und waren nur zugaenglich auf den beiden Hauptstrassen nach Utica und Tunes ueber jene schmale Landzunge, die zwar nicht mit einer Mauer geschlossen war, aber doch fuer die unter dem Schutze der Hauptstadt und wieder zu deren Schutz sich aufstellenden Heere die vorteilhafteste Stellung darbot. ------------------------------------------- 3 Der Zug der Kueste ist im Laufe der Jahrhunderte so veraendert worden, dass man an der alten Staette die ehemaligen Lokalverhaeltnisse nur unvollkommen wiedererkennt. Den Namen der Stadt bewahrt das Kap Kartadschena, auch von dem dort befindlichen Heiligengrab Ras Sidi bu Said genannt, die in den Golf hineinragende oestliche Spitze der Halbinsel und ihr hoechster 393 Fuss ueber dem Meere gelegener Punkt. 4 Die von C. E. Beule (Fouilles a Carthage. Paris 1861) mitgeteilten Tiefmasse sind in Metern und in griechischen Fuss (1 = 0,309): Aussenmauer 2 Meter = 6« Fuss Korridor 9 Meter = 6 Fuss Vordermauer der Kasematten 1 Meter = 3¬Fuss Kasemattensaele 4,2 Meter = 14 Fuss Hintermauer der Kasematten 1 Meter = 3¬Fuss Gesamttiefe der Mauer 10,1 Meter = 33 Fuss oder, wie Diodor (p. 522) angibt, 22 Ellen (1 griechische Elle = 1« Fuss), waehrend Livius (bei Oros. bist. 4, 22) und Appian (Pun. 95), die eine andere, minder genaue Stelle des Polybios vor Augen gehabt zu haben scheinen, die Mauertiefe auf 30 Fuss ansetzen. Die dreifache Mauer Appians, ueber die bisher durch Florus (epit. 1, 31) eine falsche Vorstellung verbreitet war, ist die Aussenmauer, die Vorderund die Hintermauer der Kasematten. Dass dies Zusammentreffen nicht zufaellig ist und wir hier in der Tat die Ueberreste der beruehmten karthagischen Mauer vor uns haben, wird jedem einleuchten; N. Davis’ Einwuerfe (Carthage and her remains. 1861, S. 370f.) zeigen nur, dass gegen die wesentlichen Ergebnisse Beules auch mit dem besten Willen wenig auszurichten ist. Nur muss man festhalten, dass die alten Berichterstatter die Angaben, um die es sich handelt, saemtlich nicht von der Burgmauer geben, sondern von der Stadtmauer an der Landseite, von der die Mauer an der Suedseite des Burghuegels ein integrierender Teil war (Gros. bist. 4, 22). Dazu stimmt, dass die Ausgrabungen auf dem Burghuegel gegen Osten, Norden und Westen nirgends Spuren von Befestigungen, dagegen an der Suedseite eben jene grossartigen Mauerreste gezeigt haben. Es ist kein Grund vorhanden, dieselben als Ueberreste einer besonderen, von der Stadtmauer verschiedenen Burgbefestigung anzusehen; weitere Grabungen in entsprechender Tiefe - das Fundament der an der Byrsa aufgefundenen Stadtmauer liegt 56 Fuss unter dem heutigen Boden - werden vermutlich laengs der ganzen Landseite gleiche oder doch aehnliche Fundamente zu Tage foerdern, wenn auch wahrscheinlich da wo die ummauerte Vorstadt Magalia sich an die Hauptmauer anlehnte, die Befestigung entweder von Haus aus schwaecher gewesen oder frueh vernachlaessigt worden ist. Wie lang die Mauer im ganzen war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; doch ergibt sich, da 300 Elefanten hier Stallung fanden und auch deren Futtermagazine und vielleicht noch andere Raeumlichkeiten sowie die Tore in Anrechnung zu bringen sind, schon hieraus eine sehr ansehnliche Laengenentwicklung. Dass die innere Stadt, in deren Mauer die Byrsa einbegriffen war, zumal im Gegensatz zu der besonders ummauerten Vorstadt Magalia zuweilen selber Byrsa genannt wird (App. Pun. 117; Nepos bei Serv. Aen. 1, 368), ist leicht begreiflich. 5 So rechnet Appian a.a.O.; Diodor gibt, wahrscheinlich mit Einrechnung der Zinnen, die Hoehe auf 40 Ellen oder 60 Fuss. Der erhaltene Ueberrest ist noch 12-16 Fuss (4-5 Meter) hoch. 6 Die bei der Ausgrabung zu Tage gekommenen hufeisenfoermigen Saele haben eine Tiefe von 14, eine Breite von 11 griechischen Fuss; die Weite der Eingaenge wird nicht angegeben. Ob diese Masse und die Verhaeltnisse des Korridors ausreichen, um in ihnen Elefantenstaelle zu erkennen, bleibt durch genauere Ermittlung festzustellen. Die Zwischenmauern, die die Saele voneinander scheiden, haben die Dicke von 1,1 Meter = 3« Fuss. 7 Oros. hist. 4, 22. Reichlich 2000 Schritte oder - wie Polybios gesagt haben wird - 16 Stadien sind ungefaehr 3000 Meter. Der Burghuegel, auf dem jetzt die Kirche des hl. Ludwig steht, misst oben etwa 1400, auf der halben Hoehe etwa 2600 Meter im Umkreis (Beule, Fouilles, S. 22); auf den unteren Umfang wird jene Angabe recht gut auskommen. 8 Sie traegt jetzt das Fort Goletta. 9 Dass dieses phoenikische Wort das kreisfoermig ausgegrabene Bassin bezeichnet, zeigt sowohl Diod. 3, 44 wie die Bedeutung Becher, in der die Griechen dasselbe verwenden. Es passt also nur auf den inneren Hafen Karthagos, und davon brauchen es auch Strabon (17, 2, 14; wo es eigentlich fuer die Admiralinsel gesetzt ist) und Festus (v. cothones p. 37). Appian (Pun. 127) bezeichnet nicht ganz genau den viereckigen Vorhafen des Kothon als Teil desselben. --------------------------------------- Die schwierige Arbeit, eine so wohlbefestigte Stadt zu bezwingen, wurde noch dadurch erschwert, dass teils die Hilfsmittel der Hauptstadt selbst und des noch immer 800 Ortschaften umfassenden und von der Emigrantenpartei groesstenteils beherrschten Gebietes, teils die zahlreichen mit Massinissa verfeindeten Staemme der ganz oder halb freien Libyer den Karthagern gestatteten, sich nicht auf die Verteidigung der Stadt zu beschraenken, sondern zugleich ein zahlreiches Heer im Felde zu halten, welches bei der verzweifelten Stimmung der Emigranten und der Brauchbarkeit der leichten numidischen Reiterei von den Belagerern nicht ausser acht gelassen werden durfte. Es hatten somit die Konsuln eine keineswegs leichte Aufgabe zu loesen, als sie nun doch sich genoetigt sahen, die Belagerung regelrecht zu beginnen. Manius Manilius, der das Landheer befehligte, schlug sein Lager der Burgmauer gegenueber, waehrend Lucius Censorinus mit der Flotte an dem See sich aufstellte und dort auf der Landzunge die Operationen begann. Die karthagische Armee unter Hasdrubal lagerte an dem andern Ufer des Sees bei der Festung Nepheris, von wo aus sie den zum Holzfaellen fuer den Maschinenbau ausgeschickten roemischen Soldaten ihre Arbeit erschwerte und namentlich der tuechtige Reiterfuehrer Himilkon Phameas den Roemern viele Leute toetete. Indes stellte Censorinus auf der Landzunge zwei grosse Sturmboecke her und brach mit ihnen Bresche an dieser schwaechsten Stelle der Mauer; der Sturm indes musste, da es Abend geworden, verschoben werden. In der Nacht gelang es den Belagerten, einen grossen Teil der Bresche zu fuellen und durch einen Ausfall die roemischen Maschinen so zu beschaedigen, dass sie am naechsten Tage nicht weiterarbeiten konnten. Dennoch wagten die Roemer den Sturm; allein sie fanden die Bresche und die naechsten Mauerabschnitte und Haeuser stark besetzt und gingen so unvorsichtig vor, dass sie mit starkem Verlust zurueckgeschlagen wurden und noch weit groessere Nachteile erlitten haben wuerden, wenn nicht der Kriegstribun Scipio Aemilianus, den Ausgang des tolldreisten Angriffs vorhersehend, seine Leute vor den Mauern zusammengehalten und mit ihnen die Fluechtenden aufgenommen haette. Noch viel weniger richtete Manilius gegen die unbezwingliche Burgmauer aus. So zog die Belagerung sich in die Laenge. Die durch die Sommerhitze im Lager erzeugten Krankheiten, die Abreise des faehigeren Feldherrn Censorinus, endlich die Verstimmung und Untaetigkeit Massinissas, der begreiflicherweise die Roemer sehr ungern die laengst begehrte Beute fuer sich selber nehmen sah, und der bald darauf (Ende 605 149) erfolgte Tod des neunzigjaehrigen Koenigs brachten die Offensivoperationen der Roemer voellig ins Stocken. Sie hatten genug zu tun, um ihre Schiffe gegen die karthagischen Brander und ihr Lager gegen die naechtlichen Ueberfaelle zu schuetzen und durch Anlegung eines Hafenkastells und Streifzuege in die Umgegend Nahrung fuer Menschen und Pferde zu beschaffen. Zwei gegen Hasdrubal gerichtete Expeditionen blieben beide ohne Erfolg, ja die erste haette bei der schlechten Fuehrung auf dem schwierigen Terrain fast mit einer foermlichen Niederlage geendigt. So ruhmlos dieser Krieg fuer den Feldherrn wie fuer das Heer verlief, so glaenzend tat der Kriegstribun Scipio darin sich hervor. Er war es, der bei dem Nachtsturm der Feinde auf das roemische Lager, mit einigen Reiterschwadronen ausrueckend und den Feind in den Ruecken fassend, ihn zum Umkehren noetigte. Auf dem ersten Zug nach Nepheris machte er nach dem Flussuebergang, der wider seinen Rat stattgefunden hatte und fast das Verderben des Heeres geworden waere, durch einen verwegenen Seitenangriff dem rueckkehrenden Heer Luft und befreite eine schon verloren gegebene Abteilung durch seinen aufopfernden Heldenmut. Waehrend die uebrigen Offiziere, der Konsul vor allem, durch ihre Wortlosigkeit die zu Unterhandlungen geneigten Staedte und Parteifuehrer zurueckschreckten, gelang es Scipio, einen der tuechtigsten von diesen, Himilkon Phameas, mit 2200 Reitern zum Uebertritt zu bestimmen. Endlich, nachdem er, den Auftrag des sterbenden Massinissa erfuellend, unter dessen drei Soehne, die Koenige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, das Reich geteilt hatte, fuehrte er in Gulussa einen seines Vaters wuerdigen Reiterfuehrer dem roemischen Heer zu und half damit dem bisher empfindlich gefuehlten Mangel an leichter Reiterei ab. Sein feines und doch schlichtes Wesen, das mehr an seinen leiblichen Vater erinnerte als an den, dessen Namen er trug, bezwang auch den Neid, und im Lager wie in der Hauptstadt war Scipios Name auf allen Lippen. Selbst Cato, der nicht freigebig mit seinem Lobe war, wandte wenige Monate vor seinem Tode - er starb am Ende des Jahres 605 (149), ohne den Wunsch seines Lebens, die Vernichtung Karthagos, erfuellt gesehen zu haben - auf den jungen Offizier und seine unfaehigen Kameraden die Homerische Zeile an: "Einzig er ist ein Mann, die andern sind wandelnde Schatten ^10." --------------------------------------------- ^10 Oios pepytai, toi de skiai aissoysin. --------------------------------------------- Ueber diese Vorgaenge war der Jahresschluss und damit der Kommandowechsel herangekommen: ziemlich spaet erschien der Konsul Lucius Piso (606 148) und uebernahm den Oberbefehl des Landheeres so wie Lucius Mancinus den der Flotte. Indes, hatten die Vorgaenger wenig geleistet, so geschah nun gar nichts. Statt mit der Belagerung Karthagos oder der Ueberwindung der Armee Hasdrubals beschaeftigte Piso sich damit, die kleinen phoenikischen Seestaedte anzugreifen und auch dies meist ohne Erfolg, wie zum Beispiel Clupea ihn zurueckschlug und er von Hippon Diarrhytos, nachdem er den ganzen Sommer davor verloren hatte und das Belagerungsgeraet ihm zweimal verbrannt worden war, schimpflich abziehen musste. Neapolis ward zwar genommen; aber die Pluenderung der Stadt gegen das gegebene Ehrenwort war auch dem Fortgang der roemischen Waffen nicht sonderlich guenstig. Der Mut der Karthager stieg. Ein numidischer Scheik Bithyas ging mit 800 Pferden zu ihnen ueber; karthagische Gesandte konnten es versuchen, mit den Koenigen von Numidien und Mauretanien, ja, mit dem falschen Philippos von Makedonien Verbindungen einzuleiten. Vielleicht mehr die inneren Zerwuerfnisse - Hasdrubal der Emigrant verdaechtigte den gleichnamigen Feldherrn, der in der Stadt befehligte, wegen seiner Verwandtschaft mit Massinissa und liess ihn im Rathause erschlagen - als die Taetigkeit der Roemer verhinderten eine fuer Karthago noch guenstigere Wendung der Dinge. So griff man in Rom, um dem besorglichen Stand der afrikanischen Angelegenheiten Wandel zu schaffen, zu der ausserordentlichen Massregel, dem einzigen Mann, der bis jetzt von den libyschen Feldern Ehre heimgebracht hatte und den sein Name selbst fuer diesen Krieg empfahl, dem Scipio, statt der Aedilitaet, um die er eben sich bewarb, mit Beseitigung der entgegenstehenden Gesetze vor der Zeit das Konsulat und durch besonderen Beschluss die Fuehrung des Afrikanischen Krieges zu uebertragen. Er traf (607 147) in Utica in einem Augenblick ein, wo viel auf dem Spiel stand. Der roemische Admiral Mancinus, von Piso mit der nominellen Fortsetzung der Belagerung der Hauptstadt beauftragt, hatte eine steile, von dem bewohnten Bezirk weit entlegene und kaum verteidigte Klippe an der schwer zugaenglichen Seite der Aussenstadt Magalia besetzt und fast seine gesamte, nicht zahlreiche Mannschaft dort vereinigt, in der Hoffnung, von hier aus in die Aussenstadt eindringen zu koennen. In der Tat waren die Angreifer schon einen Augenblick innerhalb der Tore derselben gewesen, und schon war der Lagertross in der Hoffnung auf Beute in Masse herbeigestroemt, als sie wieder auf die Klippe zurueckgedraengt wurden und ohne Zufuhr und fast abgeschnitten in der groessten Gefahr schwebten. So fand Scipio die Lage der Dinge. Kaum angekommen, entsandte er die mitgebrachte Mannschaft und die Miliz von Utica zu Schiff nach dem bedrohten Punkt, und es gelang, dessen Besatzung zu retten und die Klippe selbst zu behaupten. Nachdem diese Gefahr abgewendet schien, begab der Feldherr sich in das Lager Pisos, um das Heer zu uebernehmen und nach Karthago zurueckzufuehren. Hasdrubal aber und Bithyas benutzten seine Abwesenheit, um ihr Lager unmittelbar an die Stadt zu ruecken und den Angriff auf die Besatzung der Klippe von Magalia zu erneuern; indes auch jetzt erschien Scipio mit dem Vortrab der Hauptarmee zeitig genug, um dem Posten abermals Beistand zu leisten. Danach begann von neuem und ernstlicher die Belagerung. Vor allen Dingen saeuberte Scipio das Lager von der Masse des Trosses und der Marketender und zog die erschlafften Zuegel der Disziplin wieder mit Strenge an. Bald nahmen auch die militaerischen Operationen einen lebhafteren Gang. Bei einem naechtlichen Angriff auf die Aussenstadt gelangten von einem Turme aus, der den Mauern an Hoehe gleich vor denselben stand, die Roemer auf die Zinnen und oeffneten ein Pfoertchen, durch das das ganze Heer eindrang. Die Karthager gaben die Aussenstadt und das Lager vor den Toren auf und uebertrugen den Oberbefehl ueber die auf 30000 Mann sich belaufende staedtische Besatzung an Hasdrubal. Der neue Kommandant bewies seine Energie zuvoerderst dadurch, dass er saemtliche roemische Gefangenen auf die Mauerzinnen bringen und sie vor den Augen des Belagerungsheeres nach grausamen Martern in die Tiefe stuerzen liess; und als hierueber Stimmen des Tadels sich erhoben, wurde auch gegen die Buerger die Schreckensherrschaft eingefuehrt. Scipio inzwischen suchte, nachdem er die Stadt auf sich selber beschraenkt hatte, ihr den Verkehr nach aussen hin voellig abzuschneiden. Er selbst nahm sein Hauptquartier auf dem Erdruecken, durch den die karthagische Halbinsel mit dem Festland zusammenhaengt, und schlug hier trotz der vielfachen Versuche der Karthager, den Bau zu stoeren, ein grosses, diesen Ruecken in seiner ganzen Breite schliessendes Lager, das die Stadt nach der Landseite hin vollstaendig absperrte. Indes liefen noch immer Proviantschiffe in den Hafen ein, teils kuehne Kauffahrer, die der hohe Gewinn lockte, teils Schiffe des Bithyas, der von Nepheris am Ende des Tunesischen Sees aus jeden guenstigen Fahrwind benutzte, um Lebensmittel nach der Stadt zu bringen; wie auch daselbst die Buergerschaft schon litt, die Besatzung war noch hinreichend versorgt. Scipio zog deshalb von der Landzunge zwischen See und Golf in den letzteren hinein einen Steindamm von 96 Fuss Breite, um damit die Hafenmuendung zu sperren. Die Stadt schien verloren, als das Gelingen dieses anfangs von den Karthagern als unausfuehrbar verspotteten Unternehmens offenbar ward. Aber eine Ueberraschung machte die andere wett. Waehrend die roemischen Arbeiter an dem Damm schanzten, wurde auch im karthagischen Hafen zwei Monate lang Tag und Nacht gearbeitet, ohne dass selbst die Ueberlaeufer zu sagen wussten, was die Belagerten beabsichtigten. Ploetzlich, als eben die Roemer mit der Verbauung des Hafeneingangs fertig waren, segelten aus demselben Hafen fuenfzig karthagische Dreidecker und eine Anzahl Boote und Kaehne hinaus in den Golf -die Karthager hatten, waehrend die Feinde die alte Hafenmuendung gegen Sueden sperrten, durch einen in oestlicher Richtung gezogenen Kanal sich einen neuen Ausgang geschaffen, welcher bei der Tiefe des Meeres an dieser Stelle unmoeglich gesperrt werden konnte. Haetten die Karthager, statt mit dem Paradezug sich zu begnuegen, sofort sich mit Entschlossenheit auf die halbabgetakelte und voellig unvorbereitete roemische Flotte gestuerzt, so war diese verloren; als sie am dritten Tage wiederkehrten, um die Seeschlacht zu liefern, fanden sie die Roemer geruestet. Der Kampf verlief ohne Entscheidung; bei der Rueckfahrt aber stopften sich die karthagischen Schiffe so sehr in und vor der Hafenmuendung, dass der dadurch entstandene Schaden einer Niederlage gleichkam. Scipio richtete nun seine Angriffe auf den aeusseren Hafenkai, welcher ausserhalb der Stadtmauern lag und nur durch einen vor kurzem angelegten Erdwall notduerftig geschuetzt war. Die Maschinen wurden auf der Landzunge aufgestellt und eine Bresche war leicht gemacht; aber mit beispielloser Unerschrockenheit griffen die Karthager, die Untiefen durchwatend, das Belagerungszeug an, verjagten die Besatzungsmannschaft, welche so ins Laufen kam, dass Scipio seine eigenen Reiter auf sie einhauen lassen musste, und zerstoerten die Maschinen. Auf diese Weise gewannen sie Zeit, die Bresche zu schliessen. Scipio stellte indes die Maschinen wieder her und schoss die Holztuerme der Feinde in Brand, wodurch er den Kai und damit den Aussenhafen in seine Gewalt bekam. Ein der Stadtmauer an Hoehe gleichkommender Wall wurde hier aufgefuehrt, und es war jetzt endlich die Stadt von der Landwie von der Seeseite vollstaendig abgesperrt, da man nur durch den aeusseren in den inneren Hafen gelangte. Um die Blockade vollstaendig zu sichern, liess Scipio das Lager bei Nepheris, das jetzt Diogenes befehligte, von Gaius Laelius angreifen; durch eine glueckliche Kriegslist ward es erobert und die ganze dort versammelte zahllose Menschenmasse getoetet oder gefangen. Darueber war der Winter herangekommen, und Scipio stellte die Operationen ein, es dem Hunger und den Seuchen ueberlassend, das Begonnene zu vollenden. Wie furchtbar die Gewaltigen des Herrn inzwischen an dem Vernichtungswerk gearbeitet hatten, waehrend Hasdrubal freilich fortfuhr zu prahlen und zu prassen, zeigte sich, so wie im Fruehling 608 (146) das roemische Heer zum Angriff gegen die innere Stadt ueberging. Hasdrubal liess den Aussenhafen anzuenden und machte sich bereit, den auf den Kothon erwarteten Sturm abzuschlagen; aber Laelius gelang es, weiter aufwaerts die von der ausgehungerten Besatzung kaum noch verteidigte Mauer zu uebersteigen und so bis an den inneren Hafen vorzudringen. Die Stadt war erobert, aber der Kampf noch keineswegs zu Ende. Die Angreifer besetzten den an den kleinen Hafen anstossenden Markt und drangen in den drei schmalen, von diesem nach der Burg zu fuehrenden Strassen langsam vor - langsam, denn von den gewaltigen bis zu sechs Stockwerken hohen Haeusern musste eines nach dem andern erstuermt werden; auf den Daechern oder auf ueber die Strasse gelegten Balken drang der Soldat von einem dieser festungsaehnlichen Gebaeude in das benachbarte oder gegenueberstehende vor und stiess nieder, was darin ihm vorkam. So verflossen sechs Tage, schreckliche fuer die Bewohner der Stadt und auch fuer die Angreifer voll Not und Gefahr; endlich langte man vor dem steilen Burgfelsen an, auf den sich Hasdrubal und die noch uebrige Mannschaft zurueckgezogen hatten. Um einen breiteren Aufweg zu bekommen, befahl Scipio, die eroberten Strassen anzuzuenden und den Schutt zu planieren, bei welcher Veranlassung eine Menge in den Haeusern versteckter kampfunfaehiger Personen elend umkamen. Da endlich bat der auf der Burg zusammengedraengte Rest der Bevoelkerung um Gnade. Das nackte Leben ward ihnen zugestanden und sie erschienen vor dem Sieger, 30000 Maenner und 25000 Frauen, nicht der zehnte Teil der ehemaligen Bevoelkerung. Einzig die roemischen Ueberlaeufer, 900 an der Zahl, und der Feldherr Hasdrubal mit seiner Gattin und seinen beiden Kindern hatten sich in den Tempel des Heilgottes geworfen: fuer sie, fuer die desertierten Soldaten wie fuer den Moerder der roemischen Gefangenen, gab es keinen Vertrag. Aber als nun, dem Hunger erliegend, die entschlossensten unter ihnen den Tempel anzuendeten, ertrug Hasdrubal es nicht, dem Tode ins Auge zu sehen; einzeln entrann er zu dem Sieger und bat kniefaellig um sein Leben. Es ward ihm gewaehrt; aber wie seine Gattin, die mit ihren Kindern unter den uebrigen auf dem Tempeldach sich befand, ihn zu den Fuessen Scipios erblickte, schwoll ihr das stolze Herz ueber diese Schaendung der teuren untergehenden Heimat und den Gemahl mit bitteren Worten erinnernd, seines Lebens sorglich zu schonen, stuerzte sie erst die Soehne und dann sich selber in die Flammen. Der Kampf war zu Ende. Der Jubel im Lager wie in Rom war grenzenlos; nur die Edelsten des Volkes schaemten im stillen sich der neuesten Grosstat der Nation. Die Gefangenen wurden groesstenteils zu Sklaven verkauft; einzelne liess man im Kerker verkommen; die vornehmsten, Bithyas und Hasdrubal, wurden als roemische Staatsgefangene in Italien interniert und leidlich behandelt. Das bewegliche Gut, soweit es nicht Gold und Silber war oder Weihgeschenk, ward den Soldaten zur Pluenderung preisgegeben; von den Tempelschaetzen ward die in besseren Zeiten von Karthago aus den sizilischen Staedten weggefuehrte Beute diesen zurueckgestellt, wie zum Beispiel der Stier des Phalaris den Akragantinern; das uebrige, fiel an den roemischen Staat. Indes noch stand die Stadt zum bei weitem groessten Teil. Es ist glaublich, dass Scipio die Erhaltung derselben wuenschte; wenigstens richtete er deswegen noch eine besondere Anfrage an den Senat. Scipio Nasica versuchte noch einmal, die Forderungen der Vernunft und der Ehre geltend zu machen; es war vergebens. Der Senat befahl dem Feldherrn, die Stadt Karthago und die Aussenstadt Magalia dem Boden gleich zu machen, desgleichen alle Ortschaften, die es bis zuletzt mit Karthago gehalten; sodann ueber den Boden Karthagos den Pflug zu fuehren, um der Existenz der Stadt in Form Rechtens ein Ende zu machen, und Grund und Boden auf ewige Zeiten zu verwuenschen, also dass weder Haus noch Kornfeld je dort entstehen moege. Es geschah wie befohlen war. Siebzehn Tage brannten die Ruinen; als vor kurzem die Ueberreste der karthagischen Stadtmauer aufgegraben wurden, fand man sie bedeckt mit einer vier bis fuenf Fuss tiefen, von halb verkohlten Holzstuecken, Eisentruemmern und Schleuderkugeln erfuellten Aschenlage. Wo die fleissigen Phoeniker ein halbes Jahrtausend geschafft und gehandelt hatten, weideten fortan roemische Sklaven die Herden ihrer fernen Herren. Scipio aber, den die Natur zu einer edleren als zu dieser Henkerrolle bestimmt hatte, sah schaudernd auf sein eigenes Werk, und statt der Siegesfreude erfasste den Sieger selber die Ahnung der solcher Untat unausbleiblich nachfolgenden Vergeltung. Es blieb noch uebrig, fuer die kuenftige Organisation der Landschaft die Einrichtungen zu treffen. Die fruehere Weise, mit den gewonnenen ueberseeischen Besitzungen die Bundesgenossen zu belehnen, ward nicht ferner beliebt. Micipsa und seine Brueder behielten im wesentlichen ihr bisheriges Gebiet mit Einschluss der kuerzlich am Bagradas und in Emporia den Karthagern entrissenen Distrikte; die lange genaehrte Hoffnung, Karthago zur Hauptstadt zu erhalten, ward fuer immer vereitelt; dafuer verehrte ihnen der Senat die karthagischen Buechersammlungen. Die karthagische Landschaft, wie die Stadt sie zuletzt besessen hatte, das heisst der schmale, Sizilien zunaechst gegenueberliegende Kuestenstrich von Afrika, vom Tuscafluss (bei Thabzaca) bis Thaenae (der Insel Kerkena gegenueber), ward eine roemische Provinz. Im Binnenland, wo die uebergriffe Massinissas die karthagische Herrschaft fortwaehrend weiter beschraenkt hatten und schon Bulla, Zama, Aquae den Koenigen gehoerten, blieb den Numidiern, was sie besassen. Allein die sorgfaeltige Regulierung der Grenze zwischen der roemischen Provinz und dem auf drei Seiten dieselbe einschliessenden numidischen Koenigreich zeugte davon, dass Rom gegen sich keineswegs dulden werde, was es gegen Karthago verstattet hatte; wogegen der Name der neuen Provinz, Africa, andererseits darauf hinzudeuten schien, dass Rom die gegenwaertig abgesteckte Grenze durchaus nicht als eine definitive betrachte. Die Oberverwaltung der neuen Provinz uebernahm ein roemischer Statthalter, dessen Sitz Utica wurde. Einer regelmaessigen Grenzverteidigung bedurfte dieselbe nicht, da das verbuendete Numidische Reich sie ueberall von den Bewohnern der Wueste schied. Hinsichtlich der Abgaben verfuhr man im ganzen mit Milde. Diejenigen Gemeinden, die seit Anfang des Krieges auf seiten der Roemer gestanden hatten - es waren dies nur die Seestaedte Utica, Hadrumetum, Klein-Leptis, Thapsus, Achulla, Usalis und die Binnenstadt Theudalis -, behielten ihre Mark und wurden Freistaedte; dasselbe Recht empfing die neugegruendete Gemeinde der Ueberlaeufer. Das Stadtgebiet Karthagos, mit Ausnahme eines an Utica verschenkten Striches, und das der uebrigen zerstoerten Ortschaften ward roemisches Domanialland, welches man durch Verpachtung verwertete. Die uebrigen Ortschaften verloren gleichfalls dem Rechte nach ihr Bodeneigentum und ihre staedtischen Freiheiten; doch wurde ihnen ihr Acker und ihre Verfassung bis auf weitere Anordnung der roemischen Regierung vorlaeufig als widerruflicher Besitz gelassen und zahlten die Gemeinden fuer die Nutzung des roemisch gewordenen Bodens jaehrlich nach Rom eine ein fuer allemal normierte Abgabe (stipendium), welche sie dann ihrerseits mittels einer Vermoegenssteuer von den einzelnen Abgabepflichtigen wiedereinzogen. Die eigentlichen Gewinner aber bei dieser Zerstoerung der ersten Handelsstadt des Westens waren die roemischen Kaufleute, welche, sowie Karthago in Asche lag, scharenweise nach Utica stroemten und von dort aus nicht bloss die roemische Provinz, sondern auch die bis dahin ihnen verschlossenen numidischen und gaetulischen Landschaften auszubeuten begannen. Um dieselbe Zeit wie Karthago verschwand auch Makedonien aus der Reihe der Nationen. Die vier kleinen Eidgenossenschaften, in die die Weisheit des roemischen Senats das alte Koenigreich zerstueckelt hatte, konnten in sich und untereinander nicht zum Frieden kommen; wie es in dem Lande zuging, zeigt ein einzelner, zufaellig erwaehnter Vorfall in Phakos, wo der gesamte Regierungsrat einer dieser Eidgenossenschaften auf Anstiften eines gewissen Damasippos ermordet wurde. Weder die Kommissionen, die der Senat abordnete (590 164), noch die nach griechischer Sitte von den Makedoniern herbeigerufenen fremden Schiedsrichter, wie zum Beispiel Scipio Aemilianus (603 151), vermochten einen leidlichen Zustand herzustellen. Da erschien ploetzlich in Thrakien ein junger Mann, der sich Philippos nannte, den Sohn des Koenigs Perseus, welchem er auffallend glich, und der syrischen Laodike. Seine Jugend hatte er in der mysischen Stadt Adramytion verlebt; hier behauptete er die sicheren Beweise seiner hohen Abstammung erhalten zu haben. Mit diesen hatte er, nach einem vergeblichen Versuch, in seinem Heimatland sich geltend zu machen, sich an seiner Mutter Bruder, Koenig Demetrios Soter von Syrien, gewandt. Es fanden sich in der Tat einige Maenner, die dem Adramytener glaubten oder zu glauben vorgaben und den Koenig bestuermten, den Prinzen entweder in sein angeerbtes Reich wiedereinzusetzen oder ihm die Krone Syriens abzutreten; worauf Demetrios, um dem tollen Treiben ein Ende zu machen, den Praetendenten festnahm und den Roemern zuschickte. Indes der Senat achtete des Menschen so wenig, dass er ihn in einer italischen Stadt konfinierte, ohne ihn auch nur ernstlich bewachen zu lassen. So war er nach Milet entflohen, wo die staedtischen Behoerden ihn abermals aufgriffen und bei roemischen Kommissarien anfragten, was sie mit dem Gefangenen machen sollten. Diese rieten, ihn laufen zu lassen; es geschah. Jetzt versuchte er denn weiter in Thrakien sein Glueck; und wunderbarerweise fand er hier Anerkennung und Unterstuetzung, nicht bloss bei den thrakischen Barbarenfuersten Teres, dem Gemahl seiner Vaterschwester, und Barsabas, sondern auch bei den klugen Byzantiern. Mit thrakischer Unterstuetzung drang der sogenannte Philipp in Makedonien ein, und obwohl er anfangs geschlagen ward, erfocht er doch bald einen Sieg ueber das makedonische Aufgebot in der Odomantike jenseits des Strymon und darauf einen zweiten diesseits des Flusses, der ihm den Besitz von ganz Makedonien verschaffte. So apokryphisch seine Erzaehlung klang und so entschieden es feststand, dass der echte Philippos Perseus’ Sohn achtzehn Jahre alt in Alba gestorben und dieser Mensch nichts weniger als ein makedonischer Prinz, sondern der adramytenische Walker Andriskos sei, so war man doch in Makedonien der Koenigsherrschaft zu sehr gewohnt, um nicht mit der Legitimitaetsfrage sich rasch abzufinden und gern in das alte Gleis wiedereinzulenken. Schon kamen Boten von den Thessalern, dass der Praetendent in ihr Gebiet eingerueckt sei; der roemische Kommissar Nasica, der in der Erwartung, dass das erste ernste Wort dem toerichten Beginnen ein Ende machen werde, vom Senat ohne Soldaten nach Makedonien gesandt worden war, musste die achaeische und pergamenische Mannschaft aufbieten und mit den Achaeern Thessalien gegen die Uebermacht, soweit es anging, schirmen, bis (605? 149) der Praetor Juventius mit einer Legion erschien. Dieser griff mit seiner geringen Streitmacht die Makedonier an; allein er selber fiel, sein Heer ging fast ganz zugrunde und Thessalien geriet zum groessten Teil in die Gewalt des falschen Philippos, der sein Regiment hier und in Makedonien in grausamer und uebermuetiger Weise handhabte. Endlich betrat ein staerkeres roemisches. Heer unter Quintus Caecilius Metellus den Kampfplatz und drang, unterstuetzt durch die pergamenische Flotte, in Makedonien ein. Zwar behielten in dem ersten Reitergefecht die Makedonier die Oberhand; allein bald traten Spaltungen und Desertionen im makedonischen Heer ein, und der Fehler des Praetendenten, sein Heer zu teilen und die eine Haelfte nach Thessalien zu detachieren, verschaffte den Roemern einen leichten und entscheidenden Sieg (606 148). Philippos fluechtete nach Thrakien zu dem Haeuptling Byzes, wohin Metellus ihm folgte und nach einem zweiten Sieg seine Auslieferung erlangte. Die vier makedonischen Eidgenossenschaften hatten sich dem Praetendenten nicht freiwillig unterworfen, sondern waren lediglich der Gewalt gewichen. Nach der bisher befolgten Politik lag also kein Grund vor, den Makedoniern den Schatten von Selbstaendigkeit zu nehmen, den die Schlacht von Pydna ihnen noch gelassen hatte; dennoch wurde das Reich Alexanders jetzt auf Befehl des Senats von Metellus in eine roemische Provinz verwandelt. Sehr deutlich ward es hier, dass die roemische Regierung ihr System geaendert und das Klienteldurch das Untertanenverhaeltnis zu ersetzen beschlossen hatte; und darum wurde die Einziehung der vier makedonischen Eidgenossenschaften in dem ganzen Kreise der Klientelstaaten als ein gegen alle gerichteter Schlag empfunden. Die frueher nach den ersten roemischen Siegen von Makedonien abgerissenen Besitzungen in Epeiros, die Ionischen Inseln und die Haefen Apollonia und Epidamnos, welche bisher zu dem italischen Beamtensprengel gehoert hatten, wurden jetzt wieder mit Makedonien vereinigt, so dass dasselbe, wahrscheinlich schon um diese Zeit, im Nordosten bis jenseits Skodra reichte, wo Illyricum begann. Ebenso fiel die Schutzherrlichkeit, die Rom ueber das eigentliche Griechenland in Anspruch nahm, von selbst dem neuen Statthalter von Makedonien zu. So erhielt Makedonien die Einigkeit zurueck und auch ungefaehr wieder die Grenzen, wie es sie in seiner bluehendsten Zeit gehabt; aber es war nicht mehr ein einiges Reich, sondern eine einige Provinz, mit kommunaler und selbst wie es scheint landschaftlicher Organisation, jedoch unter einem italischen Vogt und Schatzmeister, deren Namen auch wohl auf den Landesmuenzen neben dem der Landschaft erscheinen. Als Steuer blieb die alte maessige Abgabe, wie Paullus sie angeordnet hatte, eine Summe von 100 Talenten (155000 Talern), die in festen Betraegen auf die einzelnen Gemeinden umgelegt war. Dennoch vermochte das Land seiner alten ruhmreichen Dynastie noch nicht zu vergessen. Wenige Jahre nach der Besiegung des falschen Philippos pflanzte ein anderer angeblicher Perseussohn, Alexander, am Nestos (Karasu) die Fahne der Insurrektion auf und hatte in kurzer Zeit 1600 Mann vereinigt; allein der Quaestor Lucius Tremellius ward des Aufstandes ohne Muehe Herr und verfolgte den fliehenden Praetendenten bis nach Dardanien (612 142). Dies aber ist auch die letzte Regung des stolzen makedonischen Nationalsinns, der zwei Jahrhunderte zuvor in Hellas und Asien so grosse Dinge vollbracht hatte; seitdem ist von den Makedoniern kaum etwas anderes zu berichten, als dass sie fortfuhren, von dem der definitiven Provinzialorganisation der Landschaft (608 146) an ihre tatenlosen Jahre zu zaehlen. Fortan waren es die Roemer, denen die Verteidigung der makedonischen Nordund Ostgrenzen, das heisst der Grenze der hellenischen Zivilisation gegen die Barbaren, oblag. Sie ward von ihnen mit unzulaenglichen Streitkraeften und im ganzen nicht mit der gebuehrenden Energie gefuehrt; doch ist zunaechst fuer diesen militaerischen Zweck die grosse Egnatische Chaussee angelegt worden, welche schon zu Polybios’ Zeit von den beiden Haupthaefen an der Westkueste, Apollonia und Dyrrhachion, quer durch das Binnenland nach Thessalonike, spaeter noch weiter bis an den Hebros (Maritza) lief ^11. Die neue Provinz ward die natuerliche Basis teils fuer die Zuege gegen die unruhigen Dalmater, teils fuer die zahlreichen Expeditionen gegen die nordwaerts der griechischen Halbinsel ansaessigen illyrischen, keltischen und thrakischen Staemme, die spaeter in ihrem geschichtlichen Zusammenhang darzustellen sein werden. ------------------------------------------- ^11 Als Handelsstrasse zwischen dem Adriatischen und Schwarzen Meer, als diejenige naemlich, in deren Mitte die kerkyraeischen Weinkruege den thasischen und lesbischen begegnen, kennt diese Strasse schon der Verfasser der pseudoaristotelischen Schrift ’Von den merkwuerdigen Dingen’. Auch heute noch laeuft dieselbe wesentlich in gleicher Richtung von Durazzo, die Berge von Bagora (Kandavisches Gebirge) am See von Ochrida (Lychnitis) durchschneidend, ueber Monastir nach Saloniki. ------------------------------------------ Mehr als Makedonien hatte das eigentliche Griechenland sich der Gunst der herrschenden Macht zu erfreuen; und die Philhellenen Roms mochten wohl der Ansicht sein, dass daselbst die Nachwehen des Perseischen Krieges im Verschwinden und die Verhaeltnisse ueberhaupt auf dem Wege zum Besseren seien. Die verbissensten Aufhetzer der jetzt herrschenden Partei, Lykiskos der Aetoler, Mnasippos der Boeoter, Chrematas der Akarnane, der schandbare Epeirote Charops, dem selbst ehrenhafte Roemer ihr Haus verboten, stiegen einer nach dem andern ins Grab; ein anderes Geschlecht wuchs heran, in dem die alten Erinnerungen und die alten Gegensaetze verblasst waren. Der roemische Senat meinte die Zeit des allgemeinen Vergebens und Vergessens gekommen und entliess im Jahre 604 (150) die noch uebrigen der seit siebzehn Jahren in Italien konfinierten achaeischen Patrioten, deren Freigebung die achaeische Tagsatzung nicht aufgehoert hatte zu fordern. Dennoch irrte man sich. Wie wenig es den Roemern mit all ihrem Philhellenentum gelungen war, den hellenischen Patriotismus innerlich zu versoehnen, offenbarte sich in nichts so deutlich wie in der Stellung der Griechen zu den Attaliden. Koenig Eumenes II. war als Roemerfreund in Griechenland im hoechsten Grade verhasst gewesen; kaum aber war zwischen ihm und den Roemern eine Verstimmung eingetreten, als er in Griechenland ploetzlich populaer ward; wie frueher von Makedonien erwartete der hellenische Euelpides den Erloeser aus der Fremdherrschaft jetzt von Pergamon. Vor allen Dingen aber stieg in der sich selbst ueberlassenen hellenischen Kleinstaaterei zusehends die soziale Zerruettung. Das Land veroedete, nicht durch Krieg und Pest, sondern durch die immer weiter um sich greifende Abneigung der hoeheren Staende, mit Frau und Kindern sich zu plagen; dafuer stroemte wie bisher das verbrecherische oder leichtsinnige Gesindel vorwiegend nach Griechenland, um daselbst den Werbeoffizier zu erwarten. Die Gemeinden versanken in immer tiefere Verschuldung und in oekonomische Ehrund die daranhaengende Kreditlosigkeit; einzelne Staedte, namentlich Athen und Theben, griffen in ihrer Finanznot geradezu zum Raeuberhandwerk und pluenderten die Nachbargemeinden aus. Auch der innere Hader in den Buenden, zum Beispiel zwischen den freiwilligen und den gezwungenen Mitgliedern der Achaeischen Eidgenossenschaft, war keineswegs beigelegt. Wenn die Roemer, wie es scheint, glaubten, was sie wuenschten, und der augenblicklich herrschenden Ruhe vertrauten, so sollten sie bald erfahren, dass die juengere Generation in Hellas um nichts besser und um nichts klueger als die aeltere war. Die Gelegenheit, um mit den Roemern Haendel anzufangen, brach man geradezu vom Zaune. Um einen schmutzigen Handel zu bedecken, warf um das Jahr 605 (149) der zeitige Vorstand der Achaeischen Eidgenossenschaft, Diaeos, auf der Tagsatzung die Behauptung hin, dass die den Lakedaemoniern als Glied der Achaeischen Eidgenossenschaft von dieser zugestandenen Sonderrechte, die Befreiung von der achaeischen Kriminaljurisdiktion und das Recht, Sondergesandtschaften nach Rom zu schicken, ihnen keineswegs von den Roemern gewaehrleistet seien. Es war eine freche Luege; allein die Tagsatzung glaubte natuerlich, was sie wuenschte, und da sich die Achaeer bereit zeigten, ihre Behauptungen mit den Waffen in der Hand wahrzumachen, gaben die schwaecheren Spartaner vorlaeufig nach, oder vielmehr diejenigen, deren Auslieferung von den Achaeern begehrt ward, verliessen die Stadt, um als Klaeger vor dem roemischen Senat aufzutreten. Der Senat antwortete wie gewoehnlich, dass er eine Kommission zur Untersuchung der Sache senden werde; allein statt dieses Bescheides berichteten die Boten, in Achaia wie in Sparta und beide falsch, dass der Senat zu ihren Gunsten entschieden habe. Die Achaeer, die wegen der soeben in Thessalien geleisteten Bundeshilfe gegen den falschen Philippos sich mehr als je in bundesgenoessischer Gleichheit und politischer Gewichtigkeit fuehlten, rueckten im Jahre 606 (148) unter ihrem Strategen Damokritos in Lakonike ein; vergeblich mahnte, von Metellus aufgefordert, eine nach Asien durchpassierende roemische Gesandtschaft, Frieden zu halten und die Kommissarien des Senats zu erwarten. Eine Schlacht ward geliefert, in der bei 1000 Spartaner fielen, und Sparta haette genommen werden koennen, wenn Damokritos nicht als Offizier ebenso untuechtig gewesen waere wie als Staatsmann. Er ward abgesetzt, und sein Nachfolger Diaeos, der Anstifter all dieses Unfugs, setzte den Krieg eifrig fort, waehrend er gleichzeitig den gefuerchteten Kommandanten von Makedonien der vollen Botmaessigkeit der Achaeischen Eidgenossenschaft versichern liess. Darueber erschien die lange erwartete roemische Kommission, an ihrer Spitze Aurelius Orestes; nun ruhten die Waffen und die achaeische Tagsatzung versammelte sich in Korinth, um ihre Eroeffnungen entgegenzunehmen. Sie waren unerwarteter und unerfreulicher Art. Die Roemer hatten sich entschlossen, die unnatuerliche und usurpierte Einreihung Spartas unter die achaeischen Staaten wiederaufzuheben und ueberhaupt gegen die Achaeer durchzugreifen. Schon einige Jahre zuvor (591 163) hatten dieselben die aetolische Stadt Pleuron aus ihrem Bund entlassen muessen; jetzt wurden sie angewiesen auf saemtliche seit dem Zweiten Makedonischen Krieg gemachte Erwerbungen, das heisst auf Korinth, Orchomenos, Argos, Sparta im Peloponnes und Herakleia am Ota, zu verzichten und ihren Bund wieder auf den Bestand am Ende des Hannibalischen Krieges zurueckzufuehren. Wie dies die achaeischen Abgeordneten vernahmen, stuermten sie sofort auf den Markt, ohne die Roemer auch nur auszuhoeren, und teilten die roemischen Forderungen der Menge mit, worauf der regierende und der regierte Poebel einhellig beschloss, zu allervoerderst saemtliche in Korinth anwesende Lakedaemonier festzusetzen, da ja Sparta dies Unglueck ueber sie gebracht habe. Die Verhaftung erfolgte denn auch in der tumultuarischsten Weise, so dass Lakonername oder Lakonerschuhe als hinreichende Einsperrungsgruende erschienen: ja man drang sogar in die Wohnungen der roemischen Gesandten, um die dorthin gefluechteten Lakedaemonier festzunehmen, und es fielen gegen die Roemer harte Reden, obgleich man an ihrer Person sich nicht vergriff. Indigniert kehrten dieselben heim und fuehrten bittere, selbst uebertriebene Beschwerde im Senat; dennoch beschraenkte sich dieser mit derselben Maessigung, die all seine Massregeln gegen die Griechen bezeichnet, zunaechst auf Vorstellungen. In der mildesten Form und der Genugtuung fuer die erlittenen Beleidigungen kaum erwaehnend, wiederholte Sextus Iulius Caesar auf der Tagsatzung in Aegion (Fruehling 607 147) die Befehle der Roemer. Aber die Leiter der Dinge in Achaia, an ihrer Spitze der neue Strateg Kritolaos (Strateg Mai 607 bis Mai 608 147/46), zogen als staatskluge und in der hoeheren Politik wohlbewanderte Leute daraus bloss den Schluss, dass die roemischen Angelegenheiten gegen Karthago und Viriathus sehr schlecht stehen muessten, und fuhren fort, die Roemer zugleich zu prellen und zu beleidigen. Caesar ward ersucht, zur Ausgleichung der Sache eine Zusammenkunft von Abgeordneten der streitenden Teile in Tegea zu veranstalten; es geschah, allein nachdem Caesar und die lakedaemonischen Gesandten daselbst lange vergeblich auf die Achaeer gewartet hatten, erschien endlich Kritolaos allein und zeigte an, dass lediglich die allgemeine Volksversammlung der Achaeer in dieser Sache kompetent sei und dieselbe erst auf der Tagsatzung, das heisst in sechs Monaten, erledigt werden koenne. Caesar ging darauf nach Rom zurueck; die naechste Volksversammlung der Achaeer aber erklaerte auf Kritolaos’ Antrag foermlich den Krieg gegen Sparta. Auch jetzt noch machte Metellus einen Versuch, den Zwist in Guete beizulegen, und schickte Gesandte nach Korinth; allein die laermende Ekklesia, groesstenteils bestehend aus dem Poebel der reichen Handelsund Fabrikstadt, uebertobte die Stimme der roemischen Gesandten und zwang sie, die Rednerbuehne zu verlassen. Kritolaos’ Erklaerung, dass man die Roemer wohl zu Freunden, aber nicht zu Herren wuensche, ward mit unsaeglichem Jubel aufgenommen, und als die Mitglieder der Tagsatzung sich ins Mittel legen wollten, schuetzte der Poebel den Mann seines Herzens und beklatschte die Stichwoerter von dem Landesverrat der Reichen und der notwendigen Militaerdiktatur sowie die geheimnisvollen Winke ueber die nahe bevorstehende Schilderhebung unzaehliger Voelker und Koenige gegen Rom. Von welchem Geist die Bewegung beseelt war, zeigten die beiden Beschluesse, dass bis zum hergestellten Frieden alle Klubs permanent sein und alle Schuldklagen ruhen sollten. Man hatte also Krieg, ja sogar auch wirkliche Bundesgenossen: die Thebaner und Boeoter naemlich und ferner die Chalkidenser. Schon zu Anfang des Jahres 608 (146) rueckten die Achaeer in Thessalien ein, um Herakleia am Oeta, das in Gemaessheit des Senatsbeschlusses sich von der Achaeischen Eidgenossenschaft losgesagt hatte, wieder zum Gehorsam zu bringen. Der Konsul Lucius Mummius, den der Senat nach Griechenland zu senden beschlossen hatte, war noch nicht eingetroffen; demnach uebernahm es Metellus mit den makedonischen Legionen, Herakleia zu schuetzen. Als dem achaeisch-thebanischen Heer das Anruecken der Roemer gemeldet ward, war von Schlagen nicht mehr die Rede; man ratschlagte einzig, wie es wohl gelingen moechte, den sicheren Peloponnes wieder zu erreichen; eiligst machte die Armee sich davon und versuchte nicht einmal, die Stellung bei den Thermopylen zu halten. Metellus indes beschleunigte die Verfolgung und erreichte und schlug das griechische Heer bei Skarpheia in Lokris. Der Verlust an Gefangenen und Toten war betraechtlich; von Kritolaos ward nach der Schlacht nie wieder eine Kunde vernommen. Die Truemmer der geschlagenen Armee irrten in einzelnen Trupps in den hellenischen Landschaften umher und baten ueberall umsonst um Aufnahme; die Abteilung von Patrae ward in Phokis, das arkadische Elitenkorps bei Chaeroneia aufgerieben; ganz Nordgriechenland wurde geraeumt, und von dem Achaeerheer und der in Masse fluechtenden Buergerschaft von Theben gelangte nur ein geringer Teil in den Peloponnes. Metellus suchte durch die moeglichste Milde die Griechen zum Aufgeben des sinnlosen Widerstandes zu bestimmen und befahl zum Beispiel, alle Thebaner mit Ausnahme eines einzigen laufen zu lassen; seine wohlgemeinten Versuche scheiterten nicht an der Energie des Volkes, sondern an der Desperation der um ihren eigenen Kopf besorgten Fuehrer. Diaeos, der nach Kritolaos’ Fall wieder den Oberbefehl uebernommen hatte, berief alle Waffenfaehigen auf den Isthmos und befahl, 12000 in Griechenland geborene Sklaven in das Heer einzustellen; die Reichen wurden zu Vorschuessen angehalten und unter den Friedensfreunden, soweit sie nicht durch Bestechung der Schreckensherren ihr Leben erkauften, durch Blutgerichte aufgeraeumt. Der Kampf ging also fort und in dem gleichen Stile. Die achaeische Vorhut, die 4000 Mann stark unter Alkamenes bei Megara stand, verlief sich, sowie sie die roemischen Feldzeichen gewahrte. Die Hauptmacht auf dem Isthmos wollte Metellus eben angreifen lassen, als der Konsul Lucius Mummius mit wenigen Begleitern im roemischen Hauptquartier eintraf und das Kommando uebernahm. Inzwischen boten die Achaeer, ermutigt durch einen gelungenen Angriff auf die allzu unvorsichtigen roemischen Vorposten, der roemischen um das Doppelte ueberlegenen Armee bei Leukopetra auf dem Isthmos die Schlacht an. Die Roemer zoegerten nicht sie anzunehmen. Gleich zu Anfang rissen die achaeischen Reiter in Masse aus vor der sechsfach staerkeren roemischen Reiterei; die Hopliten standen dem Feinde, bis ein Flankenangriff des roemischen Elitenkorps auch in ihre Reihen Verwirrung brachte. Damit war der Widerstand zu Ende. Diaeos floh in seine Heimat, toetete sein Weib und nahm selber Gift; die Staedte unterwarfen sich saemtlich ohne Gegenwehr, und sogar das unbezwingliche Korinth, in das einzuruecken Mummius drei Tage zauderte, weil er einen Hinterhalt besorgte, ward ohne Schwertstreich von den Roemern besetzt. Die neue Regelung der griechischen Verhaeltnisse ward in Gemeinschaft mit einer Kommission von zehn Senatoren dem Konsul Mummius uebertragen, der sich in dem eroberten Lande im ganzen ein gesegnetes Andenken erwarb. Zwar war es, gelind gesagt, eine Torheit, dass er seiner Kriegsund Siegestaten wegen den Namen des "Achaikers" annahm und dem Hercules Sieger dankerfuellt einen Tempel erbaute; allein als Verwalter erwies er, der nicht in aristokratischem Luxus und aristokratischer Korruption aufgewachsen, sondern ein "neuer Mann" und verhaeltnismaessig unbemittelt war, sich gerecht und mild. Es ist eine rednerische Uebertreibung, dass von den Achaeern bloss Diaeos, von den Boeotern bloss Pytheas umgekommen seien; in Chalkis namentlich fielen arge Greuel vor; im ganzen ward aber doch in den Strafgerichten Mass gehalten. Den Antrag, die Statuen des Begruenders der achaeischen Patriotenpartei, des Philopoemen, umzustuerzen, wies Mummius zurueck; die den Gemeinden auferlegten Geldbussen wurden nicht fuer die roemische Kasse, sondern fuer die geschaedigten griechischen Staedte bestimmt, groesstenteils auch spaeter erlassen und das Vermoegen derjenigen Hochverraeter, die Eltern oder Kinder hatten, nicht von Staats wegen verkauft, sondern diesen ueberwiesen. Nur die Kunstschaetze wurden aus Korinth, Thespiae und anderen Staedten weggefuehrt und teils in der Hauptstadt, teils in den Landstaedten Italiens aufgestellt ^12, einzelne Stuecke auch den isthmischen, delphischen und olympischen Tempeln verehrt. Auch in der definitiven Organisation der Landschaft im allgemeinen waltete die Milde. Zwar wurden, wie es die Provinzialverfassung mit sich brachte, die Sondereidgenossenschaften, vor allem die achaeische, als solche aufgeloest, die Gemeinden isoliert und durch die Bestimmung, dass niemand in zweien derselben zugleich Grundbesitz erwerben duerfe, der Zwischenverkehr gehemmt. Ferner wurden, wie es schon Flamininus versucht hatte, die demokratischen Stadtverfassungen durchaus beseitigt und in jeder Gemeinde einem aus den Vermoegenden gebildeten Rat das Regiment in die Hand gegeben. Auch wurde jeder Gemeinde eine feste, nach Rom zu entrichtende Abgabe auferlegt und sie saemtlich dem Statthalter von Makedonien in der Art untergeordnet, dass diesem als oberstem Militaerchef auch in Verwaltung und Gerichtsbarkeit eine Oberleitung zustand und er zum Beispiel wichtigere Kriminalprozesse zur Entscheidung an sich ziehen konnte. Dennoch blieb den griechischen Gemeinden die "Freiheit", das heisst eine, freilich durch die roemische Hegemonie zum Namen zusammengeschwundene, formelle Souveraenitaet, welche das Eigentum an Grund und Boden und das Recht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit in sich schloss ^13. Einige Jahre spaeter ward sogar nicht bloss ein Schatten der alten Eidgenossenschaften wieder gestattet, sondern auch die drueckende Beschraenkung in der Veraeusserung des Grundbesitzes beseitigt. ---------------------------------------- ^12 Aus den sabinischen Ortschaften, aus Parma, ja aus Italica in Spanien sind noch mehrere mit Mummius’ Namen bezeichnete Basen bekannt, die einst solche Beutegaben trugen. ^13 Die Frage, ob Griechenland im Jahre 608 (146) roemische Provinz geworden sei oder nicht, laeuft in der Hauptsache auf einen Wortstreit hinaus. Dass die griechischen Gemeinden durchgaengig "frei" blieben (CIG 1543, 15; Caes. civ. 3, 5; App. Mithr. 58; Zonar. 9, 31), ist ausgemacht; aber nicht minder ist es ausgemacht, dass Griechenland damals von den Roemern "in Besitz genommen ward" (Tac. arm. 14, 21; 1. Makk. 8, 9,10); dass von da an jede Gemeinde einen festen Zins nach Rom entrichtete (Paus. 7, 16, 6; vgl. Cic. prov. 3, 5), die kleine Insel Gyaros zum Beispiel jaehrlich 150 Drachmen (Strab. 10, 485); dass die "Ruten und Beile" des roemischen Statthalters fortan auch in Griechenland schalteten (Polyb. 38, 1 c; vgl. Cic. Verr. 1. 1, 21, 55) und derselbe die Oberaufsicht ueber die Stadtverfassungen (CIG 1543) sowie in gewissen Faellen die Kriminaljurisdiktion (CIG 1543; Plut. Cim. 2) fortan ebenso uebte wie bis dahin der roemische Senat; dass endlich die makedonische Provinzialaera auch in Griechenland im Gebrauch war. Zwischen diesen Tatsachen ist keineswegs ein Widerspruch oder doch kein anderer als derjenige, welcher ueberhaupt in der Stellung der freien Staedte liegt, welche bald als ausserhalb der Provinz stehend (z. B. Suet. Caes. 25; Colum. 11, 3, 26), bald als der Provinz zugeteilt (z. B. los. ant. lud. 14, 4, 4) bezeichnet werden. Der roemische Domanialbesitz in Griechenland beschraenkte sich zwar auf den Korinthischen Acker und etwa einige Stuecke von Euboea (CIG 5879) und eigentliche Untertanen gab es dort gar nicht; allein darum konnte dennoch, wenn man auf das tatsaechlich zwischen den griechischen Gemeinden und dem makedonischen Statthalter bestehende Verhaeltnis sieht, ebenso wie Massalia zur Provinz Narbo, Dyrrhachion zur Provinz Makedonien, auch Griechenland zu der makedonischen Provinz gerechnet werden. Es finden sich sogar noch viel weitergehende Faelle: Das Cisalpinische Gallien bestand seit 655 (89) aus lauter Buergeroder latinischen Gemeinden und ward dennoch durch Sulla Provinz; ja in der caesarischen Zeit begegnen Landschaften, die ausschliesslich aus Buergergemeinden bestehen und die dennoch keineswegs aufhoeren, Provinzen zu sein. Sehr klar tritt hier der Grundbegriff der roemischen provincia hervor; sie ist zunaechst nichts als das "Kommando" und alle Verwaltungsund Jurisdiktionstaetigkeit des Kommandanten sind urspruenglich Nebengeschaefte und Korollarien seiner militaerischen Stellung. Andererseits muss dagegen, wenn man die formelle Souveraenitaet der freien Gemeinden ins Auge fasst, zugestanden werden, dass durch die Ereignisse des Jahres 608 (146) Griechenlands Stellung staatsrechtlich sich nicht aenderte: es waren mehr faktische als rechtliche Verschiedenheiten, dass statt der Achaeischen Eidgenossenschaft jetzt die einzelnen Gemeinden Achaias als tributaere Klientelstaaten neben Rom standen und dass seit Einrichtung der roemischen Sonderverwaltung in Makedonien diese anstatt der hauptstaedtischen Behoerden die Oberaufsicht ueber die griechischen Klientelstaaten uebernahm. Man kann demnach, je nachdem die tatsaechliche oder die formelle Auffassung ueberwiegt, Griechenland als Teil des Kommandos von Makedonien ansehen oder auch nicht; indes wird der ersteren Auffassung mit Recht das Uebergewicht eingeraeumt. --------------------------------------------- Strengere Behandlung aber traf die Gemeinden, Theben, Chalkis und Korinth. Es laesst sich nichts dawider erinnern, dass die ersten beiden entwaffnet und durch Niederreissung ihrer Mauern in offene Flecken umgewandelt wurden; dagegen bleibt die durchaus unmotivierte Zerstoerung der ersten Handelsstadt Griechenlands, des bluehenden Korinth, ein duesterer Schandfleck in den Jahrbuechern Roms. Auf ausdruecklichen Befehl des Senats wurden die korinthischen Buerger aufgegriffen, und was dabei nicht umkam, in die Sklaverei verkauft, die Stadt selbst nicht etwa bloss ihrer Mauern und ihrer Burg beraubt, was, wenn man einmal dieselbe nicht dauernd besetzen wollte, allerdings nicht zu vermeiden war, sondern dem Boden gleichgemacht und in den ueblichen Bannformen jeder Wiederanbau der oeden Staette untersagt, das Gebiet derselben zum Teil an Sikyon gegeben unter der Auflage, anstatt Korinths die Kosten des isthmischen Nationalfestes zu bestreiten, groesstenteils aber zu roemischem Gemeinland erklaert. Also erlosch der "Augapfel von Hellas", der letzte koestliche Schmuck des einst so staedtereichen griechischen Landes. Fassen wir aber die ganze Katastrophe noch einmal ins Auge, so muss die unparteiische Geschichte es anerkennen, was die Griechen dieser Zeit selbst unumwunden eingestanden, dass an dem Kriege selbst nicht die Roemer die Schuld trugen, sondern dass die unkluge Treubruechigkeit und die schwaechliche Tollkuehnheit der Griechen die roemische Intervention erzwangen. Die Beseitigung der Scheinsouveraenitaet der Buende und alles damit verknuepften unklaren und verderblichen Schwindels war ein Glueck fuer das Land und das Regiment des roemischen Oberfeldherrn von Makedonien, wieviel es auch zu wuenschen uebrig liess, immer noch bei weitem besser als die bisherige Wirrund Missregierung der griechischen Eidgenossenschaften und der roemischen Kommissionen. Der Peloponnes hoerte auf, die grosse Soeldnerherberge zu sein; es ist bezeugt und begreiflich, dass ueberhaupt mit dem unmittelbaren roemischen Regiment Sicherheit und. Wohlstand einigermassen zurueckkehrten. Das Themistokleische Epigramm, dass der Ruin den Ruin abgewandt habe, wurde von den damaligen Hellenen nicht ganz mit Unrecht angewandt auf den Untergang der griechischen Selbstaendigkeit. Die ungemeine Nachsicht, welche Rom auch jetzt noch gegen die Griechen bewies, tritt erst recht in das Licht, wenn man sie mit dem gleichzeitigen Verfahren derselben Behoerden gegen die Spanier und die Phoeniker zusammenhaelt; Barbaren grausam zu behandeln schien nicht unerlaubt, aber wie spaeter Kaiser Traianus hielten es auch die Roemer dieser Zeit "fuer hart und barbarisch, Athen und Sparta den noch uebrigen Schatten von Freiheit zu entreissen". Um so schaerfer kontrastiert mit dieser allgemeinen Milde die empoerende, selbst von den Schutzrednern der karthagischen und der numantinischen Katastrophe gemissbilligte Behandlung von Korinth, welche durch die auf den Gassen von Korinth gegen die roemischen Abgeordneten ausgestossenen Schmaehreden auch nach roemischem Voelkerrecht nichts weniger als gerechtfertigt ward. Und doch ging sie keineswegs hervor aus der Brutalitaet eines einzelnen Mannes, am wenigsten des Mummius, sondern war eine vom roemischen Rat erwogene und beschlossene Massregel. Man wird nicht irren, wenn man darin das Werk der Kaufmannspartei erkennt, die in dieser Epoche schon neben der eigentlichen Aristokratie anfaengt, in die Politik einzugreifen, und die in Korinth einen Handelsnebenbuhler beseitigt hat. Wenn die roemischen Grosshaendler bei der Regulierung Griechenlands mit zureden gehabt haben, so begreift man, weshalb das Strafgericht eben gegen Korinth gerichtet ward und weshalb man nicht bloss die Stadt vernichtete, wie sie war, sondern auch die Ansiedlung an dieser fuer den Handel so ueberaus guenstigen Staette fuer die Zukunft verbot. Fuer die auch in Hellas sehr zahlreichen roemischen Kaufleute ward der Mittelpunkt fortan das peloponnesische Argos; wichtiger aber fuer den roemischen Grosshandel ward Delos, das, schon seit 586 (168) roemischer Freihafen, einen guten Teil der Geschaefte von Rhodos an sich gezogen hatte und nun in aehnlicher Weise in die korinthischen eintrat. Diese Insel blieb fuer laengere Zeit der Hauptstapelplatz der vom Osten nach dem Westen gehenden Waren ^14. ---------------------------------- ^14 Ein merkwuerdiger Beleg dafuer ist die Benennung der feinen griechischen Bronzeund Kupferwaren die in der ciceronischen Zeit ohne Unterschied "korinthisches" oder "delisches Kupfer" genannt werden. Die Bezeichnung ist in Italien begreiflicherweise nicht von den Fabrikations-, sondern von den Exportplaetzen hergenommen (Plin. nat. 34, 2, 9); womit natuerlich nicht geleugnet wird, dass dergleichen Gefaesse auch in Korinth und Delos selbst fabriziert wurden. ------------------------------------ Unvollstaendiger als in der nur durch schmale Meere von Italien getrennten afrikanischen und makedonisch-hellenischen Landschaft entwickelte sich die roemische Herrschaft in dem dritten entfernteren Weltteil. In Vorderasien war durch die Zurueckdraengung der Seleukiden das Reich von Pergamon die erste Macht geworden. Nicht geirrt durch die Traditionen der Alexandermonarchien, einsichtig und kuehl genug, um auf das Unmoegliche zu verzichten, verhielten die Attaliden sich ruhig und strebten nicht, ihre Grenzen zu erweitern noch der roemischen Hegemonie sich zu entziehen, sondern den Wohlstand ihres Reiches, soweit die Roemer es erlaubten, zu foerdern und die Kuenste des Friedens zu pflegen. Doch entgingen sie darum der Eifersucht und dem Argwohn Roms nicht. Im Besitz der europaeischen Kueste der Propontis, der Westkueste Kleinasiens und des kleinasiatischen Binnenlandes bis zur kappadokischen und kilikischen Grenze, in enger Verbindung mit den syrischen Koenigen, von denen Antiochos Epiphanes (+ 590 164) durch die Hilfe der Attaliden auf den Thron gelangt war, hatte Koenig Eumenes II. durch seine bei dem immer tieferen Sinken Makedoniens und Syriens nur noch ansehnlicher erscheinende Macht selbst den Begruendern derselben Bedenken eingefloesst; es ist schon erzaehlt worden, wie der Senat darauf bedacht war, nach dem Dritten Makedonischen Krieg diesen Bundesgenossen durch unfeine diplomatische Kuenste zu demuetigen und zu schwaechen. Die an sich schon schwierigen Verhaeltnisse der Herren von Pergamon zu den ganz und halb freien Handelsstaedten innerhalb ihres Reichs und zu den barbarischen Nachbarn an dessen Grenzen wurden durch diese Verstimmung der Schutzherren noch peinlicher verwickelt. Da es nicht klar war, ob nach dem Friedensvertrag von 565 (189) die Taurushoehen in der pamphylischen und pisidischen Landschaft zum Syrischen oder zum Pergamenischen Reich gehoerten, leisteten die tapferen Selger, es scheint unter nomineller Anerkennung der syrischen Oberhoheit, den Koenigen Eumenes Il. und Attalos II. langjaehrigen und energischen Widerstand in den schwer zugaenglichen Gebirgen Pisidiens. Auch die asiatischen Kelten, welche eine Zeitlang unter Zulassung der Roemer unter pergamenischer Botmaessigkeit gestanden hatten, fielen von Eumenes ab und begannen im Einverstaendnis mit dem Erbfeind der Attaliden, dem Koenig Prusias von Bithynien, um 587 (167) ploetzlich gegen ihn Krieg. Der Koenig hatte keine Zeit gehabt, Mietstruppen zu dingen; all seine Einsicht und Tapferkeit konnte nicht verhindern, dass sie die asiatische Miliz schlugen und das Gebiet ueberschwemmten; wir kennen bereits die eigentuemliche Vermittlung, zu der die Roemer auf Eumenes’ Bitte sich herbeiliessen. Sowie er indes Zeit gefunden hatte, mit Hilfe seiner wohlgefuellten Kasse eine kampffaehige Armee aufzustellen, trieb er auch die wilden Scharen schnell zurueck ueber die Grenze seines Reiches; und obwohl Galatien ihm verloren blieb und seine hartnaeckig fortgesetzten Versuche, dort die Haende im Sp iel zu behalten, durch roemischen Einfluss vereitelt wurden ^15, hinterliess er dennoch trotz aller offenen Angriffe und geheimen Machinationen, die seine Nachbarn und die Roemer gegen ihn gerichtet hatten, bei seinem Tode (um 595 159) das Reich in ungeschmaelertem Bestand. Sein Bruder Attalos II. Philadelphos (+ 616 138) wies den Versuch des Koenigs Pharnakes von Pontos, sich der Vormundschaft ueber Eumenes’ unmuendigen Sohn zu bemaechtigen, mit roemischer Hilfe zurueck und regierte anstatt seines Neffen wie Antigonos Doson als Vormund auf Lebenszeit. Gewandt, tuechtig, fuegsam, ein echter Attalide, verstand er es, den argwoehnischen Senat von der Nichtigkeit der frueher gehegten Besorgnisse zu ueberzeugen. Die antiroemische Partei beschuldigte ihn, dass er sich dazu hergebe, das Land fuer die Roemer zu hueten und jede Beleidigung und Erpressung von ihnen sich gefallen lasse; indes konnte er, des roemischen Schutzes sicher, in die syrischen, kappadokischen und bithynischen Thronstreitigkeiten entscheidend eingreifen. Auch aus dem gefaehrlichen bithynischen Krieg, den Koenig Prusias II., der Jaeger genannt (572 ? - 605 182-149), ein Regent, der alle barbarischen und alle zivilisierten Laster in sich vereinigte, gegen ihn begann, rettete ihn die roemische Intervention - freilich erst, nachdem er selbst in seiner Hauptstadt belagert und eine erste Mahnung der Roemer von Prusias unbefolgt gelassen, ja verhoehnt worden war (598-600 156-154). Allein mit der Thronbezeigung seines Muendels Attalos III. Philometor (616-621 133-133) trat an die Stelle des friedlichen und maessigen Buergerkoenigtums ein asiatisches Sultanregiment, unter dem es zum Beispiel vorkam, dass der Koenig, um des unbequemen Rats seiner vaeterlichen Freunde sich zu entledigen, sie im Palast versammeln und erst sie, sodann ihre Frauen und Kinder von seinen Lanzknechten niedermachen liess; nebenher schrieb er Buecher ueber den Gartenbau, zog Giftkraeuter und bossierte in Wachs, bis ein ploetzlicher Tod ihn abrief. Mit ihm erlosch das Geschlecht der Attaliden. In solchem Fall konnte nach dem wenigstens fuer die Klientelstaaten Roms gueltigen Staatsrecht der letzte Regent testamentarisch ueber die Sukzession verfuegen. Ob der Gedanke, das Reich den Roemern zu vermachen, dem letzten Attaliden durch den wahnwitzigen Groll gegen seine Untertanen eingegeben worden war, der ihn bei Lebzeiten gepeinigt hatte, oder ob hierin bloss eine weitere Anerkennung der tatsaechlichen Oberlehnsgewalt Roms lag, ist nicht zu entscheiden. Das Testament lag vor ^16; die Roemer traten die Erbschaft an und die Frage ueber das Land und den Schatz der Attaliden fiel in Rom als neuer Erisapfel unter die hadernden politischen Parteien. Aber auch in Asien entzuendete dies Koenigstestament den Buergerkrieg. Im Vertrauen auf die Abneigung der Asiaten gegen die bevorstehende Fremdherrschaft trat ein natuerlicher Sohn Eumenes’ II., Aristonikos in Leukae, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Phokaea, als Kronpraetendent auf. Phokaea und andere Staedte fielen ihm zu; indes von den Ephesiern, die in dem festen Anschluss an Rom die einzige Moeglichkeit erkannten, ihre Privilegien sich zu erhalten, zur See auf der Hoehe von Kyme geschlagen, musste er in das Binnenland fluechten. Schon glaubte man ihn verschollen; da erschien er ploetzlich wieder an der Spitze der neuen "Buerger der Sonnenstadt" ^17, das heisst der von ihm in Masse zur Freiheit gerufenen Sklaven, bemaechtigte, sich der lydischen Staedte Thyateira und Apollonis sowie eines Teils der attalischen Ortschaften und rief Scharen thrakischer Lanzknechte unter seine Fahnen. Der Kampf ward ernsthaft. Roemische Truppen standen in Asien nicht; die asiatischen Freistaedte und die Kontingente der Klientelfuersten von Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien, Pontos, Armenien konnten des Praetendenten sich nicht erwehren; er drang mit gewaffneter Hand in Kolophon, Samos, Myndos ein und gebot schon fast ueber das gesamte vaeterliche Reich, als am Ende des Jahres 623 (131) ein roemisches Heer in Asien landete. Dessen Feldherr, der Konsul und Oberpontifex Publius Licinius Crassus Mucianus, einer der reichsten und zugleich einer der gebildetsten Maenner Roms und als Redner wie als Rechtskenner gleich ausgezeichnet, schickte sich an, den Praetendenten in Leukae zu belagern, liess aber waehrend der Vorbereitungen dazu von dem allzu gering geschaetzten Gegner sich ueberraschen und schlagen und ward selbst von einem thrakischen Haufen gefangen. Den Triumph aber, den Oberfeldherrn Roms als Gefangenen zur Schau zu stellen, goennte er einem solchen Feinde nicht; er reizte die Barbaren, die ihn ergriffen hatten, ohne ihn zu kennen, ihm den Tod zu geben (Anfang 624 130), und erst als Leiche ward der Konsular erkannt. Mit ihm, wie es scheint, fiel Koenig Ariarathes von Kappadokien. Indes ward Aristonikos nicht lange nach diesem Siege von Crassus’ Nachfolger Marcus Perpenna ueberfallen, sein Heer zersprengt, er selbst in Stratonikeia belagert und gefangen und bald darauf in Rom hingerichtet. Die Unterwerfung der letzten, noch Widerstand leistenden Staedte und die definitive Regulierung der Landschaft uebernahm nach Perpennas ploetzlichem Tode Manius Aquillius (625 129). Man verfuhr aehnlich wie im karthagischen Gebiet. Der oestliche Teil des Attalidenreichs ward den Klientelkoenigen ueberwiesen, um die Roemer von dem Grenzschutz und damit von der Notwendigkeit einer stehenden Besatzung in Asien zu befreien; Telmissos kam an die lykische Eidgenossenschaft; die europaeischen Besitzungen in Thrakien wurden zu der Provinz Makedonien geschlagen; das uebrige Gebiet ward als neue roemische Provinz eingerichtet, der gleich der karthagischen nicht ohne Absicht der Name des Weltteils beigelegt ward, in, dem sie lag. Die Steuern, die nach Pergamon gezahlt worden waren, wurden dem Lande erlassen und dasselbe mit gleicher Milde behandelt wie Hellas und Makedonien. So ward der ansehnlichste kleinasiatische Staat eine roemische Vogtei. ---------------------------------------- ^15 Mehrere vor kurzem (SB Muenchen, 1860, S. 180f.) bekannt gewordene Schreiben der Koenige Eumenes II. und Attalos II. an den Priester von Pessinus, welcher durchgaengig Attis heisst (vgl. Polyb. 22, 20), erlaeutern diese Verhaeltnisse sehr anschaulich. Das aelteste derselben und das einzige datierte, geschrieben im 34. Regierungsjahre des Eumenes am siebten Tage vor dem Ende des Gorpiaeos, also 590/91 der Stadt (164/63), bietet dem Priester militaerische Hilfe an, um den (sonst nicht bekannten) Pesongern von ihnen besetztes Tempelland zu entreissen. Das folgende, ebenfalls noch von Eumenes, zeigt den Koenig als Partei in der Fehde zwischen dem Priester von Pessinus und dessen Bruder Aiorix. Ohne Zweifel gehoerten beide Handlungen des Eumenes zu denjenigen, die in den Jahren 590f. (164) in Rom zur Anzeige kamen als Versuche desselben, sich in die gallischen Angelegenheiten auch fernerhin zu mengen und dort seine Parteigenossen zu stuetzen (Polyb. 31, 6, 9; 32, 3, 5). Dagegen geht aus einem der Schreiben seines Nachfolgers Attalos hervor, wie sich die Zeiten geaendert und die Wuensche herabgestimmt hatten. Der Priester Attis scheint auf einer Zusammenkunft in Apameia von Attalos abermals die Zusage bewaffneter Hilfe erhalten zu haben; nachher aber schreibt ihm der Koenig, dass in einem deswegen abgehaltenen Staatsrat, dem Athenaeos (sicher der bekannte Bruder des Koenigs), Sosandros, Menogenes, Chloros und andere Verwandte (anagkaioi) beigewohnt haetten, nach langem Schwanken endlich die Majoritaet dem Chloros dahin beigetreten sei, dass nichts geschehen duerfe, ohne die Roemer vorher zu befragen; denn selbst wenn ein Erfolg erreicht werde, setzte man sich dem Wiederverlust und dem boesen Verdacht aus, "den sie auch gegen den Bruder" (Eumenes II.) "gehegt haetten". ^16 In demselben Testament gab der Koenig seiner Stadt Pergamon die "Freiheit", das heisst die d/e/mokratia, das staedtische Selbstregiment. Laut einer merkwuerdigen, kuerzlich dort gefundenen Urkunde (Roemisches Staatsrecht, Bd. 3, 3. Aufl., S. 726) beschloss nach Eroeffnung des Testaments, aber vor dessen Bestaetigung durch die Roemer der also konstituierte Demos den bisher vom Buergerrecht ausgeschlossenen Klassen der Bevoelkerung, insbesondere den im Zensus aufgefuehrten Paroeken und den in Stadt und Land wohnhaften Soldaten, auch den Makedoniern, das staedtische Buergerrecht zu verleihen, um also ein gutes Einverstaendnis in der gesamten Bevoelkerung herbeizufuehren. Offenbar wollte die Buergerschaft, indem sie die Roemer vor die vollendete Tatsache dieser umfassenden Ausgleichung stellte, vor dem eigentlichen Eintreten der roemischen Herrschaft sich gegen dieselbe in Verfassung setzen und den fremden Gebietern die Moeglichkeit nehmen, die Rechtsverschiedenheiten innerhalb der Bevoelkerung zur Sprengung der Gemeindefreiheit zu benutzen. ^17 Diese seltsamen "Heliopoliten" sind, nach der mir von einem Freunde geaeusserten wahrscheinlichen Meinung, so zu fassen, dass die befreiten Sklaven als Buerger einer umgenannten oder auch vielleicht fuer jetzt nur gedachten Stadt Heliopolis sich konstituierter, die ihren Namen von dem in Syrien hochverehrten Sonnengott empfing. ---------------------------------------------------- Die zahlreichen andern Kleinstaaten und Staedte Vorderasiens, das Koenigreich Bithynien, die paphlagonischen und gallischen Fuerstentuemer, die lykische und die pamphylische Eidgenossenschaft, die Freistaedte Kyzikos und Rhodos blieben in ihren bisherigen beschraenkten Verhaeltnissen bestehen. Jenseits des Halys befolgte Kappadokien, nachdem Koenig Ariarathes V. Philopator (591 - 624 136 - 130), hauptsaechlich durch Hilfe der Attaliden, sich gegen seinen von Syrien unterstuetzten Bruder und Nebenbuhler Holophernes behauptet hatte, wesentlich die pergamenische Politik, sowohl in der unbedingten Hingebung an Rom als in der Richtung auf hellenische Bildung. Durch ihn drang diese ein in das bis dahin fast barbarische Kappadokien und freilich auch sogleich ihre Auswuechse, wie der Bakchosdienst und das wueste Treiben der wandernden Schauspielertruppen, der sogenannten "Kuenstler". Zum Lohn der Treue gegen Rom, die dieser Fuerst in dem Kampfe gegen den pergamenischen Praetendenten mit seinem Leben bezahlt hatte, ward sein unmuendiger Erbe Ariarathes VI. nicht nur gegen die von dem Koenig von Pontos versuchte Usurpation durch die Roemer geschirmt, sondern ihm auch der suedoestliche Teil des Attalidenreiches gegeben, Lykaorien nebst der oestlich daran grenzenden, .in aelterer Zeit zu Kilikien gerechneten Landschaft. Endlich im fernen Nordosten Kleinasiens gelangte "Kappadokien am Meer" oder kurzweg der "Meerstaat", Pontos, zu steigender Ausdehnung und Bedeutung. Nicht lange nach der Schlacht von Magnesia hatte Koenig Pharnakes I. sein Gebiet weit ueber den Halys bis nach Tios an, der bithynischen Grenze ausgedehnt und namentlich des reichen Sinope sich bemaechtigt, das aus einer griechischen Freistadt dieser Koenige Residenz ward. Zwar hatten die durch diese Uebergriffe gefaehrdeten Nachbarstaaten, Koenig Eumenes II. an ihrer Spitze, deswegen Krieg gegen ihn gefuehrt (571-575 183-179) und unter roemischer Vermittlung das Versprechen von ihm erzwungen, Galatien und Paphlagonien zu raeumen; allein der Verlauf der Ereignisse zeigt, dass Pharnakes sowie sein Nachfolger Mithradates V. Euergetes (598 ? - 634 156 - 120), treue Bundesgenossen Roms im Dritten Punischen Krieg sowie in dem gegen Aristonikos, nicht bloss jenseits des Halys sitzen geblieben sind, sondern auch der Sache nach die Schutzherrlichkeit ueber die paphlagonischen und galatischen Dynasten behalten haben. Nur unter dieser Voraussetzung ist es erklaerlich, wie Mithradates, angeblich wegen seiner tapferen Taten im Kriege gegen Aristonikos, in der Tat fuer betraechtliche an den roemischen Feldherrn gezahlte Summen, von demselben nach Aufloesung des Attalischen Reiches Grossphrygien empfangen konnte. Wie weit andererseits gegen den Kaukasus und die Euphratquellen das :Pontische Reich sich um diese Zeit erstreckte, ist nicht genau zu bestimmen; doch scheint es den westlichen Teil von Armenien um Enderes und Diwirigi oder das sogenannte Klein-Armenien als abhaengige Satrapie umfasst zu haben, waehrend Gross -Armenien und Sophene eigene unabhaengige Reiche bildeten. Wenn also auf der kleinasiatischen Halbinsel wesentlich Rom das Regiment fuehrte und, so vieles auch ohne und gegen seinen Willen geschah, doch den Besitzstand im ganzen bestimmt, so blieben dagegen die weiten Strecken jenseits des Taurus und des oberen Euphrat bis hinab zum Niltal in der Hauptsache sich selber ueberlassen. Zwar der der Regulierung des Ostens von 565 (189) zugrunde gelegte Satz, dass der Halys die Ostgrenze der roemischen Klientel bilden solle, ward vom Senat nicht eingehalten und trug auch die Unhaltbarkeit in sich selber. Der politische Horizont ist Selbsttaeuschung so gut wie der physische; wenn dem Staate Syrien die Zahl der ihm gestatteten Kriegsschiffe und Kriegselefanten im Friedensvertrag selbst normiert ward, wenn das syrische Heer auf Befehl des roemischen Senats das halb gewonnene Aegypten raeumte, so lag da in die vollstaendige Anerkennung der Hegemonie und der Klientel. Darum gingen denn auch die Thronstreitigkeiten in Syrien wie in Aegypten zur Beilegung an die roemische Regierung. Dort stritten nach Antiochos Epiphanes’ Tode (590 164) der als Geisel in Rom lebende Sohn Seleukos des vierten, Demetrios, spaeter Soter genannt, und des letzten Koenigs Antiochos Epiphanes unmuendiger Sohn Antiochos Eupator um die Krone; hier war von den beiden seit 584 (170) gemeinschaftlich regierenden Bruedern der aeltere Ptolemaeos Philometor (573-608 146-131) durch den juengeren Ptolemaeos Euergetes II. oder den Dicken (+ 637 117) aus dem Lande getrieben worden (590 164) und, um seine Herstellung zu erwirken, persoenlich in Rom erschienen. Beide Angelegenheiten ordnete der Senat lediglich auf diplomatischem Wege und wesentlich nach Massgabe des roemischen Vorteils. In Syrien ward Antiochos Eupator mit Beseitigung des besser berechtigten Demetrios als Koenig anerkannt und mit der Fuehrung der Vormundschaft ueber den koeniglichen Knaben der roemische Senator Gnaeus Octavius vom Senat beauftragt, welcher, wie begreiflich, durchaus im roemischen Interesse regierte, die Kriegsflotte und das Elefantenheer dem Friedensvertrag von 565 (189) gemaess reduzierte und im besten Zuge war, den militaerischen Ruin des Landes zu vollenden. In Aegypten ward nicht bloss Philometors Herstellung bewirkt, sondern auch, teils um dem Bruderzwist ein Ziel zu setzen, teils um die noch immer ansehnliche Macht Aegyptens zu schwaechen, Kyrene vom Reich getrennt und Euergetes mit demselben abgefunden. "Koenige sind, wen die Roemer wollen", schrieb nicht lange nachher ein juedischer Mann, "und wen sie nicht wollen, den verjagen sie von Land und Leuten". Allein dies war fuer lange Zeit das letzte Mal, dass der roemische Senat in den Angelegenheiten des Ostens mit derjenigen Tuechtigkeit und Tatkraft auftrat, welche er in den Verwicklungen mit Philippos, Antiochos und Perseus durchgaengig bewaehrt hatte. Der innerliche Verfall des Regiments wirkte am spaetesten, aber wirkte doch endlich auch zurueck auf die Behandlung der auswaertigen Angelegenheiten. Das Regiment ward unstet und unsicher; man liess die eben erfassten Zuegel erschlaffen und beinahe wieder fahren. Der vormundschaftliche Regent von Syrien ward in Laodikeia ermordet; der zurueckgewiesene Praetendent Demetrios entfloh aus Rom und bemaechtigte sich unter dem dreisten Vorgeben, dass der roemische Senat ihn dazu bevollmaechtigt habe, nach Beseitigung des koeniglichen Knaben der Regierung seines vaeterlichen Reiches (592 162). Bald nachher brach zwischen den Koenigen von Aegypten und Kyrene Krieg aus ueber den Besitz der Insel Kypros, welche der Senat zuerst dem aelteren, sodann dem juengeren zugeschieden hatte, und im Widerspruch mit der neuesten roemischen Entscheidung blieb dieselbe schliesslich bei Aegypten. So wurde die roemische Regierung, in der Fuelle ihrer Macht und waehrend des tiefsten inneren und aeusseren Friedens daheim, von den ohnmaechtigen Koenigen des Ostens mit ihren Dekreten verhoehnt, ihr Name gemissbraucht, ihr Muendel und ihr Kommissar ermordet. Als siebzig Jahre zuvor die Illyriker in aehnlicher Weise sich an roemischen Abgeordneten vergriffen, hatte der damalige Senat dem Ermordeten auf dem Marktplatz ein Denkmal errichtet und mit Heer und Flotte die Moerder zur Verantwortung gezogen. Der Senat dieser Zeit liess dem Gnaeus Octavius gleichfalls ein Denkmal setzen, wie die Sitte der Vaeter es vorschrieb; aber statt Truppen nach Syrien einzuschiffen, ward Demetrios als Koenig des Landes anerkannt - man war ja jetzt so maechtig, dass es ueberfluessig schien, die Ehre zu wahren. Ebenso blieb nicht bloss Kypros trotz des entgegenstehenden Senatsbeschlusses bei Aegypten, sondern als nach Philometors Tode (608 146) Euergetes ihm nachfolgte und dadurch das geteilte Reich wiederum vereinigt ward, liess der Senat auch dies ungehindert geschehen. Nach solchen Vorgaengen war der roemische Einfluss in diesen Landschaften tatsaechlich gebrochen und entwickelten sich die Verhaeltnisse daselbst zunaechst ohne Zutun der Roemer; doch ist des weiteren Verlaufs der Dinge wegen es notwendig, auch jetzt den naeheren und selbst den ferneren Osten nicht voellig aus den Augen zu verlieren. Wenn in dem allerseits abgeschlossenen Aegypten der Status quo sich so leicht nicht verschob, so gruppierten dagegen in Asien diesund jenseits des Euphrat waehrend und zum Teil infolge dieser momentanen Stockung der roemischen Oberleitung die Voelker und Staaten sich wesentlich anders. Jenseits der grossen iranischen Wueste hatten nicht lange nach Alexander dem Grossen am Indus das Reich von Palimbothra unter Tschandragupta (Sandrakottos), am oberen Oxus der maechtige baktrische Staat, beide aus einer Mischung der nationalen Elemente und der oestlichsten Auslaeufer hellenischer Zivilisation sich gebildet. Westwaerts von diesen begann das Reich Asien, das noch unter Antiochos dem Grossen zwar geschmaelert, aber immer noch ungeheuer vom Hellespont bis zu den medischen und persischen Landschaften sich erstreckte und das ganze Stromgebiet des Euphrat und Tigris in sich schloss. Noch jener Koenig hatte seine Waffen bis jenseits der Wueste in das Gebiet der Parther und Baktrier getragen; erst unter ihm hatte der gewaltige Staat angefangen sich aufzuloesen. Nicht bloss Vorderasien war infolge der Schlacht von Magnesia verloren worden; auch die gaenzliche Loesung der beiden Kappadokien und der beiden Armenien, des eigentlichen Armenien im Nordosten und der Landschaft Sophene im Suedwesten, und ihre Verwandlung in selbstaendige Koenigreiche aus syrischen Lehnsfuerstentuemern, gehoert dieser Zeit an. Von diesen Staaten gelangte namentlich Grossarmenien unter den Artaxiaden bald zu einer ansehnlichen Stellung. Vielleicht noch gefaehrlichere Wunden schlug dem Reiche seines Nachfolgers Antiochos Epiphanes (579-590 175- 164) toerichte Nivellierungspolitik. So richtig es auch war, dass sein Reich mehr einem Laenderbuendel als einem Staate glich und dass die Verschiedenheiten der Nationalitaeten und der Religionen der Untertanen der Regierung die wesentlichsten Hindernisse bereitete, so war doch der Plan, hellenisch-roemische Weise und hellenisch-roemischen Kultus ueberall in seinem Lande einzufuehren und seine Voelker in politischer wie in religioeser Hinsicht auszugleichen unter allen Umstaenden eine Torheit, auch abgesehen davon, dass dieser karikierte Joseph II. persoenlich einem solchen gigantischen Beginnen nichts weniger als gewachsen war und durch Tempelpluenderung im grossartigsten Massstab und die tollste Ketzerverfolgung seine Reformen in der uebelsten Weise einleitete. Die eine Folge hiervon war, dass die Bewohner der Grenzprovinz gegen Aegypten, die Juden, sonst bis zur Demuetigkeit fuegsame und aeusserst taetige und betriebsame Leute, durch den systematischen Religionszwang zur offenen Empoerung gedraengt wurden (um 587 167). Die Sache kam an den Senat, und da derselbe eben damals teils gegen Demetrios Soter mit gutem Grund erbittert war, teils eine Verbindung der Attaliden und Seleukiden besorgte, ueberhaupt aber die Herstellung einer Mittelmacht zwischen Syrien und Aegypten im Interesse Roms lag, so machte er keine Schwierigkeit, die Freiheit und Autonomie der insurgierten Nation sofort anzuerkennen (um 593 161). Indes geschah doch von Rom fuer die Juden nur, was man tun konnte, ohne sich selber zu bemuehen; trotz der Klausel des zwischen den Roemern und den Juden abgeschlossenen Vertrags, die den Juden, im Fall sie angegriffen wuerden, den Beistand Roms versprach, und trotz des an die Koenige von Syrien und Aegypten gerichteten Verbots, ihre Truppen durch das juedische Land zu fuehren, blieb es natuerlich lediglich jenen selbst ueberlassen, der syrischen Koenige sich zu erwehren. Mehr als die Briefe ihrer maechtigen Verbuendeten tat fuer sie die tapfere und umsichtige Leitung des Aufstandes durch das Heldengeschlecht der Makkabaeer und die innere Zerrissenheit des Syrischen Reiches: waehrend des Haders zwischen den syrischen Koenigen Tryphon und Demetrios Nikator ward den Juden die Autonomie und Steuerfreiheit foermlich zugestanden (612 142) und bald darauf sogar das Haupt des Makkabaeerhauses, Simon, des Mattathias Sohn, von der Nation wie von dem syrischen Grosskoenig als Hochpriester und Fuerst Israels foermlich anerkannt ^18 (615 139). ----------------------------------------- ^18 Von ihm ruehren die Muenzen her mit der Aufschrift "Shekel Israel" und der Jahreszahl des "heiligen Jerusalem" oder "der Erloesung Sions". Die aehnlichen mit dem Namen Simons, des Fuersten (Nessi) Israel, gehoeren nicht ihm, sondern dem Insurgentenfuehrer Bar Kochba unter Hadrian. ------------------------------------------ Folgenreicher noch als diese Insurrektion der Israeliten war die gleichzeitig und wahrscheinlich aus gleicher Ursache entstandene Bewegung in den oestlichen Landschaften, wo Antiochos Epiphanes die Tempel der persischen Goetter nicht minder leerte wie den von Jerusalem und dort den Anhaengern des Ahuramazda und des Mithra es nicht besser gemacht haben wird wie hier denen des Jehova. Wie in Judaea, nur in weiterem Umfang und in grossartigeren Verhaeltnissen, war das Ergebnis eine Reaktion der einheimischen Weise und der einheimischen Religion gegen den Hellenismus und die hellenischen Goetter; die Traeger dieser Bewegung waren die Parther und aus ihr entsprang das grosse Partherreich. Die "Parthwa" oder Parther, die als eine der zahllosen in das grosse Perserreich aufgegangenen Voelkerschaften frueh, zuerst im heutigen Khorasan suedoestlich vom Kaspischen Meere begegnen, erscheinen schon seit 500 (250) unter dem skythischen, das heisst turanischen Fuerstengeschlecht der Arsakiden als ein selbstaendiger Staat, der indes erst ein Jahrhundert spaeter aus seiner Dunkelheit hervortrat. Der sechste Arsakes, Mithradates I. (579? - 618? 175-136), ist der eigentliche Gruender der parthischen Grossmacht. Ihm erlag das an sich weit maechtigere, aber teils durch die Fehden mit den skythischen Reiterscharen von Turan und mit den Staaten am Indus, teils durch innere Wirren bereits in allen Fugen erschuetterte Baktrische Reich. Fast gleiche Erfolge errang er in den Landschaften westlich von der grossen Wueste. Das Syrische Reich war eben damals, teils infolge der verfehlten Hellenisierungsversuche des Antiochos Epiphanes, teils durch die nach dessen Tode eintretenden Sukzessionswirren, aufs tiefste zerruettet und die inneren Provinzen im vollen Zuge, sich von Antiocheia und der Kuestenlandschaft abzuloesen; in Kommagene zum Beispiel, der noerdlichsten Landschaft Syriens an der kappadokischen Grenze, machte der Satrap Ptolemaeos, auf dem entgegengesetzten Ufer des Euphrat im noerdlichen Mesopotamien oder der Landschaft Osrhoene der Fuerst von Edessa, in der wichtigen Provinz Medien der Satrap Timarchos sich unabhaengig; ja der letztere liess sich vom roemischen Senat seine Unabhaengigkeit bestaetigen und herrschte, gestuetzt auf das verbuendete Armenien, bis hinab nach Seleukeia am Tigris. Unordnungen dieser Art waren im Asiatischen Reiche in Permanenz, sowohl die Provinzen unter ihren halb oder ganz unabhaengigen Satrapen in ewigem Aufstand als auch die Hauptstadt mit ihrem gleich dem roemischen und dem alexandrinischen zuchtlosen und widerspenstigen Poebel. Die gesamte Meute der Nachbarkoenige, Aegypten, Armenien, Kappadokien, Pergamon, mengte unaufhoerlich sich in die Angelegenheiten Syriens und naehrte die Erbfolgestreitigkeiten, so dass der Buergerkrieg und die faktische Teilung der Herrschaft unter zwei oder mehr Praetendenten fast zur stehenden Landplage ward. Die roemische Schutzmacht, wenn sie die Nachbarn nicht aufstiftete, sah untaetig zu. Zu allem diesem draengte von Osten her das neue Partherreich, nicht bloss mit seiner materiellen Macht, sondern auch mit dem ganzen Uebergewicht seiner nationalen Sprache und Religion, seiner nationalen Heerund Staatsverfassung auf die Fremdlinge ein. Es ist hier noch nicht der Ort dies regenerierte Kyrosreich zu schildern; es genuegt im allgemeinen, daran zu erinnern, dass, so maechtig auch in ihm noch der Hellenismus auftritt, dennoch der parthische Staat, verglichen mit dem der Seleukiden, auf einer nationalen und religioesen Reaktion beruht und die alte iranische Sprache, der Magierstand und der Mithrasdienst, die orientalische Lehnsverfassung, die Reiterei der Wueste und Pfeil und Bogen hier zuerst dem Hellenismus wieder uebermaechtig entgegentraten. Die Lage der Reichskoenige diesem allem gegenueber war in der Tat beklagenswert. Das Geschlecht der Seleukiden war keineswegs so entnervt wie zum Beispiel das der Lagiden, und einzelnen derselben mangelte es nicht an Tapferkeit und Faehigkeit; sie wiesen auch wohl den einen oder den andern jener zahllosen Rebellen, Praetendenten und Intervenienten in seine Schranken zurueck; aber es fehlte ihrer Herrschaft so sehr an einer festen Grundlage, dass sie dennoch der Anarchie nicht auch nur voruebergehend zu steuern vermochten. Das Ergebnis war denn, was es sein musste. Die oestlichen Landschaften Syriens unter ihren unbeschuetzten oder gar aufruehrerischen Satrapen gerieten unter parthische Botmaessigkeit; Persien, Babylonien, Medien wurden auf immer vom Syrischen Reiche getrennt; der neue Staat der Parther reichte zu beiden Seiten der grossen Wueste vom Oxus und Hindukusch bis zum Tigris und zur Arabischen Wueste, wiederum gleich dem Perserreich und all den aelteren asiatischen Grossstaaten eine reine Kontinentalmonarchie und wiederum eben gleich dem Perserreich in ewiger Fehde begriffen einerseits mit den Voelkern von Turan, andererseits mit den Okzidentalen. Der Syrische Staat umfasste ausser der Kuestenlandschaft hoechstens noch Mesopotamien und verschwand, mehr noch infolge seiner inneren Zerruettung als seiner Verkleinerung, auf immer aus der Reihe der Grossstaaten. Wenn die mehrfach drohende gaenzliche Unterjochung des Landes durch die Parther unterblieb, so ist dies nicht der Gegenwehr der letzten Seleukiden, noch weniger dem Einfluss Roms zuzuschreiben, sondern vielmehr den vielfaeltigen inneren Unruhen im Partherreiche selbst und vor allem den Einfaellen der turanischen Steppenvoelker in dessen oestliche Landschaften. Diese Umwandlung der Voelkerverhaeltnisse im inneren Asien ist der Wendepunkt in der Geschichte des Altertums. Auf die Voelkerflut, die bisher von Westen nach Osten sich ergossen und in dem grossen Alexander ihren letzten und hoechsten Ausdruck gefunden hatte, folgt die Ebbe. Seit der Partherstaat besteht, ist nicht bloss verloren, was in Baktrien und am Indus etwa noch von hellenischen Elementen sich erhalten haben mochte, sondern auch das westliche Iran weicht wieder zurueck in das seit Jahrhunderten verlassene, aber noch nicht verwischte Geleise. Der roemische Senat opfert das erste wesentliche Ergebnis der Politik Alexanders und leitet damit jene ruecklaeufige Bewegung ein, deren letzte Auslaeufer im Alhambra von Granada und in der Grossen Moschee von Konstantinopel endigen. Solange noch das Land von Ragae und Persepolis bis zum Mittelmeer dem Koenig von Antiochia gehorchte, erstreckte auch Roms Macht sich bis an die Grenze der grossen Wueste; der Partherstaat, nicht weil er so gar maechtig war, sondern weil er seinen Schwerpunkt fern von der Kueste, im inneren Asien fand, konnte niemals eintreten in die Klientel des Mittelmeerreiches. Seit Alexander hatte die Welt den Okzidentalen allein gehoert und schien der Orient fuer diese nur zu sein, was spaeter Amerika und Australien fuer die Europaeer wurden; mit Mithradates I. trat dieser wieder ein in den Kreis der politischen Bewegung. Die Welt hatte wieder zwei Herren. Es ist noch uebrig, auf die maritimen Verhaeltnisse dieser Zeit einen Blick zu werfen, obwohl darueber sich kaum etwas anderes sagen laesst, als dass es nirgends mehr eine Seemacht gab. Karthago war vernichtet, Syriens Kriegsflotte vertragsmaessig zugrunde gerichtet, Aegyptens einst so gewaltige Kriegsmarine unter seinen gegenwaertigen schlaffen Regenten in tiefem Verfall. Die kleineren Staaten und namentlich die Kaufstaedte hatten wohl einige bewaffnete Fahrzeuge, aber sie genuegten nicht einmal fuer die im Mittelmeere so schwierige Unterdrueckung des Seeraubs. Mit Notwendigkeit fiel diese Rom zu als der fuehrenden Macht im Mittelmeer. Wie ein Jahrhundert zuvor die Roemer eben hierin mit besonderer und wohltaetiger Entschiedenheit aufgetreten waren und namentlich im Osten ihre Suprematie zunaechst eingefuehrt hatten durch die zum allgemeinen Besten energisch gehandhabte Seepolizei, ebenso bestimmt bezeichnet die vollstaendige Nichtigkeit derselben schon im Beginn dieser Periode den furchtbar raschen Verfall des aristokratischen Regiments. Eine eigene Flotte besass Rom nicht mehr; man begnuegte sich, wenn es noetig schien, von den italischen, den kleinasiatischen und den sonstigen Seestaedten Schiffe einzufordern. Die Folge war natuerlich, dass das Flibustierwesen sich organisierte und konsolidierte. Zu dessen Unterdrueckung geschah nun wohl, wenn nicht genug, so doch etwas, soweit die unmittelbare Macht der Roemer reichte, im Adriatischen und Tyrrhenischen Meer. Die gegen die dalmatischen und ligurischen Kuesten in dieser Epoche gerichteten Expeditionen bezweckten namentlich die Unterdrueckung des Seeraubs in den beiden italischen Meeren; aus gleichem Grunde wurden im Jahre 631 (123) die Balearischen Inseln besetzt. Dagegen in den mauretanischen und den griechischen Gewaessern blieb es den Anwohnern und den Schiffern ueberlassen, mit den Korsaren auf die eine oder die andere Weise sich abzufinden, da die roemische Politik daran festhielt sich um diese entfernteren Gegenden so wenig wie irgend moeglich zu kuemmern. Die zerruetteten und bankerotten Gemeinwesen in den also sich selbst ueberlassenen Kuestenstaaten wurden hierdurch natuerlich zu Freistaetten der Korsaren; und an solchen fehlte es namentlich in Asien nicht. Am aergsten sah es in dieser Hinsicht aus auf Kreta, das durch eine glueckliche Lage und die Schwaeche oder Schlaffheit der Grossstaaten des Westens und Ostens allein unter allen griechischen Ansiedlungen seine Unabhaengigkeit bewahrt hatte; die roemischen Kommissionen kamen und gingen freilich auch auf dieser Insel, aber richteten hier noch weniger aus als selbst in Syrien und Aegypten. Fast schien es aber, als habe das Schicksal den Kretern die Freiheit nur gelassen um zu zeigen, was herauskomme bei der hellenischen Unabhaengigkeit. Es war ein schreckliches Bild. Die alte dorische Strenge der Gemeindeordnungen war aehnlich wie in Tarent umgeschlagen in eine wueste Demokratie, der ritterliche Sinn der Bewohner in eine wilde Raufund Beutegier; ein achtbarer Hellene selbst bezeugt es, dass allein auf Kreta nichts fuer schimpflich gelte, was eintraeglich sei, und noch der Apostel Paulus fuehrt billigend den Spruch eines kretischen Dichters an: "Luegner sind all, Faulranzen, unsaubere Tiere die Kreter." Die ewigen Buergerkriege verwandelten trotz der roemischen Friedensstiftungen auf der alten "Insel der hundert Staedte" eine bluehende Ortschaft nach der andern in Ruinenhaufen. Ihre Bewohner durchstreiften als Raeuber die Heimat und die Fremde, die Laender und die Meere; die Insel ward der Werbeplatz fuer die umliegenden Koenigreiche, seit dieser Unfug im Peloponnes nicht mehr geduldet ward, und vor allem der rechte Sitz der Piraterie, wie denn zum Beispiel um diese Zeit die Insel Siphnos durch eine kretische Korsarenflotte voellig ausgeraubt ward. Rhodos, das ohnehin von dem Verlust seiner Besitzungen auf dem Festland und den seinem Handel zugefuegten Schlaegen sich nicht zu erholen vermochte, vergeudete seine letzten Kraefte in den Kriegen, die es zur Unterdrueckung der Piraterie gegen die Kreter zu fuehren sich genoetigt sah (um 600 150) und in denen die Roemer zwar zu vermitteln suchten, indes ohne Ernst und, wie es scheint, ohne Erfolg. Neben Kreta fing bald auch Kilikien an, fuer diese Flibustierwirtschaft eine zweite Heimat zu werden; und es war nicht bloss die Ohnmacht der syrischen Herrscher, die ihr hier Vorschub tat: der Usurpator Diodotos Tryphon, der sich vom Sklaven zum Koenig Syriens aufgeschwungen hatte (608-615 146-139), foerderte, um durch Korsarenhilfe seinen Thron zu befestigen, in seinem Hauptsitz, dem Rauhen oder westlichen Kilikien, mit allen Mitteln von oben herab die Piraterie. Der ungemein gewinnbringende Verkehr mit den Piraten, die zugleich die hauptsaechlichsten Sklavenfaenger und Sklavenhaendler waren, verschaffte ihnen bei dem kaufmaennischen Publikum, sogar in Alexandreia, Rhodos und Delos eine gewisse Duldung, an der selbst die Regierungen wenigstens durch Passivitaet sich beteiligten. Das Uebel ward so ernsthaft, dass der Senat um 611 (143) seinen besten Mann, Scipio Aemilianus, nach Alexandreia und Syrien sandte, um an Ort und Stelle zu ermitteln, was sich dabei tun lasse. Allein diplomatische Vorstellungen der Roemer machten die schwachen Regierungen nicht stark; es gab keine andere Abhilfe als geradezu eine Flotte in diesen Gewaessern zu unterhalten, wozu es wieder der roemischen Regierung an Energie und Konsequenz gebrach. So blieb eben alles beim alten, die Piratenflotte die einzige ansehnliche Seemacht im Mittelmeere, der Menschenfang das einzige daselbst bluehende Gewerbe. Die roemische Regierung sah den Dingen zu, die roemischen Kaufleute aber standen als die besten Kunden auf dem Sklavenmarkt mit den Piratenkapitaenen als den bedeutendsten Grosshaendlern in diesem Artikel auf Delos und sonst in regem und freundlichem Geschaeftsverkehr. Wir haben die Umgestaltung der aeusseren Verhaeltnisse Roms und der roemisch-hellenischen Welt ueberhaupt in ihren Umrissen von der Schlacht bei Pydna bis auf die Gracchenzeit, vom Tajo und vom Bagradas zum Nil und zum Euphrat begleitet. Es war eine grosse und schwierige Aufgabe, die Rom mit dem Regimente dieser roemisch-hellenischen Welt uebernahm; sie ward nicht voellig verkannt, aber keineswegs geloest. Die Unhaltbarkeit des Gedankens der catonischen Zeit, den Staat auf Italien zu beschraenken und ausserhalb Italiens nur durch Klientel zu herrschen, ward von den leitenden Maennern der folgenden Generation wohl begriffen und wohl die Notwendigkeit eingesehen, an die Stelle dieses Klientelregiments eine die Gemeindefreiheiten wahrende, unmittelbare Herrschaft Roms zu setzen. Allein statt diese neue Ordnung fest, rasch und gleichmaessig durchzufuehren, wurden einzelne Landschaften eingezogen, wo eben Gelegenheit, Eigensinn, Nebenvorteil und Zufall dazu fuehrten, wogegen der groessere Teil des Klientelgebiets entweder in der unertraeglichen Halbheit seiner bisherigen Stellung verblieb oder gar, wie namentlich Syrien, sich gaenzlich dem Einfluss Roms entzog. Aber auch das Regiment selbst ging mehr und mehr auf in einem schwaechlichen und kurzsichtigen Egoismus. Man begnuegte sich von heute auf morgen zu regieren und nur eben die laufenden Geschaefte notduerftig zu erledigen. Man war gegen die Schwachen der strenge Herr - als die Stadt Mylasa in Karien dem Publius Crassus Konsul 623 (131) zur Erbauung eines Sturmbocks einen andern Balken als den verlangten sandte, ward der Vorstand der Stadt deswegen ausgepeitscht; und Crassus war kein schlechter Mann und ein streng rechtlicher Beamter. Dagegen ward die Strenge da vermisst, wo sie an ihrem Platz gewesen waere, wie gegen die angrenzenden Barbaren und gegen die Piraten. Indem die Zentralregierung auf jede Oberleitung und jede Uebersicht der Provinzialverhaeltnisse Verzicht tat, gab sie dem jedesmaligen Vogt nicht bloss die Interessen der Untertanen, sondern auch die des Staates vollstaendig preis. Die spanischen Vorgaenge, unbedeutend an sich, sind hierfuer belehrend. Hier, wo die Regierung weniger als in den uebrigen Provinzen sich auf die blosse Zuschauerrolle beschraenken konnte, wurde nicht bloss von den roemischen Statthaltern das Voelkerrecht geradezu mit Fuessen getreten und durch eine Wortund Treulosigkeit sondergleichen, durch das frevelhafteste Spiel mit Kapitulationen und Vertraegen, durch Niedermetzelung untertaeniger Leute und Mordanstiftung gegen die feindlichen Feldherren die roemische Ehre dauernd im Kote geschleift, sondern es ward auch gegen den ausgesprochenen Willen der roemischen Oberbehoerde Krieg gefuehrt und Friede geschlossen und aus unbedeutenden Vorfaellen; wie zum Beispiel dem Ungehorsam der Numantiner, durch eine seltene Vereinigung von Verkehrtheit und Verruchtheit eine fuer den Staat verhaengnisvolle Katastrophe entwickelt. Und das alles geschah, ohne dass in Rom auch nur eine ernstliche Bestrafung deswegen verfuegt ward. Ueber die Besetzung der wichtigsten Stellen und die Behandlung der bedeutendsten politischen Fragen entschieden nicht bloss die Sympathien und Rivalitaeten der verschiedenen Senatskoterien mit, sondern es fand selbst schon das Gold der auswaertigen Dynasten Eingang bei den Ratsherren von Rom. Als der erste, der mit Erfolg versuchte, den roemischen Senat zu bestechen, wird Timarchos genannt, der Gesandte des Koenigs Antiochos Epiphanes von Syrien (+ 590 164); bald wurde die Beschenkung einflussreicher Senatoren durch auswaertige Koenige so gewoehnlich, dass es auffiel, als Scipio Aemilianus die im Lager vor Numantia ihm von dem Koenig von Syrien zugekommenen Gaben in die Kriegskasse einwarf. Durchaus liess man den alten Grundsatz fallen, dass der Lohn der Herrschaft einzig die Herrschaft und die Herrschaft ebensosehr eine Pflicht und eine Last wie ein Recht und ein Vorteil sei. So kam die neue Staatswirtschaft auf, welche von der Besteuerung der Buerger absah und dagegen die Untertanenschaft als einen nutzbaren Besitz der Gemeinde teils von Gemeinde wegen ausbeutete, teils der Ausbeutung durch die Buerger ueberlieferte; nicht bloss wurde dem ruecksichtslosen Geldhunger des roemischen Kaufmanns in der Provinzialverwaltung mit frevelhafter Nachgiebigkeit Spielraum gestattet, sondern es wurden sogar die ihm missliebigen Handelsrivalen durch die Heere des Staats aus dem Wege geraeumt und die herrlichsten Staedte der Nachbarlaender nicht der Barbarei der Herrschsucht, sondern der weit scheusslicheren Barbarei der Spekulation geopfert. Durch den Ruin der aelteren, der Buergerschaft allerdings schwere Opfer auferlegenden Kriegsordnung grub der am letzten Ende doch nur auf seinem militaerischen Uebergewicht ruhende Staat sich selber die Stuetze ab. Die Flotte liess man ganz eingehen, das Landkriegswesen in der unglaublichsten Weise verfallen. Die Bewachung der asiatischen und afrikanischen Grenzen wurde auf die Untertanen abgewaelzt und was man nicht von sich abwaelzen konnte, wie die italische, makedonische und spanische Grenzverteidigung, in der elendesten Weise verwaltet. Die besseren Klassen fingen an so sehr aus dem Heere zu verschwinden, dass es schon schwer hielt, fuer die spanischen Heere die erforderliche Anzahl von Offizieren aufzutreiben. Die immer steigende Abneigung namentlich gegen den spanischen Kriegsdienst in Verbindung mit der von den Beamten bei der Aushebung bewiesenen Parteilichkeit noetigten im Jahre 602 (152) zum Aufgeben der alten Uebung, die Auswahl der erforderlichen Anzahl Soldaten aus der dienstpflichtigen Mannschaft dem freien Ermessen der Offiziere zu ueberlassen, und zu deren Ersetzung durch das Losen der saemtlichen Dienstpflichtigen - sicher nicht zum Vorteil des militaerischen Gemeingeistes und der Kriegstuechtigkeit der einzelnen Abteilungen. Die Behoerden, statt mit Strenge durchzugreifen, erstreckten die leidige Volksschmeichelei auch hierauf mit: wenn einmal ein Konsul fuer den spanischen Dienst pflichtmaessig strenge Aushebungen veranstaltete, so machten die Tribune Gebrauch von ihrem verfassungsmaessigen Recht, ihn zu verhaften (603, 616 151,138); und es ward schon bemerkt, dass Scipios Ansuchen, ihm fuer den Numantinischen Krieg die Aushebung zu gestatten, vom Senat geradezu abgeschlagen ward. Schon erinnern denn auch die roemischen Heere vor Karthago oder Numantia an jene syrischen Armeen, in denen die Zahl der Baecker, Koeche, Schauspieler und sonstigen Nichtkombattanten die der sogenannten Soldaten um das Vierfache ueberstieg; schon geben die roemischen Generale ihren karthagischen Kollegen in der Heerverderbekunst wenig nach und werden die Kriege in Afrika wie in Spanien, in Makedonien wie in Asien regelmaessig mit Niederlagen eroeffnet; schon schweigt man still zu der Ermordung des Gnaeus Octavius, schon ist Viriathus’ Meuchelmord ein Meisterwerk der roemischen Diplomatie, schon die Eroberung von Numantia eine Grosstat. Wie voellig der Begriff von Volksund Mannesehre bereits den Roemern abhanden gekommen war, zeigte mit epigrammatischer Schaerfe die Bildsaeule des entkleideten und gebundenen Mancinus, welche dieser selbst, stolz auf seine patriotische Aufopferung, in Rom sich setzen liess. Wohin man den Blick auch wendet, findet man Roms innere Kraft wie seine aeussere Macht in raschem Sinken. Der in Riesenkaempfen gewonnene Boden wird in dieser Friedenszeit nicht erweitert, ja nicht einmal behauptet. Das Weltregiment, schwer zu erringen, ist schwerer noch zu bewahren; jenes hatte der roemische Senat vermocht, an diesem ist er gescheitert. 2. Kapitel Die Reformbewegung und Tiberius Gracchus Ein volles Menschenalter nach der Schlacht von Pydna erfreute der roemische Staat sich der tiefsten, kaum hie und da an der Oberflaeche bewegten Ruhe. Das Gebiet dehnte ueber die drei Weltteile sich aus; der Glanz der roemischen Macht und der Ruhm des roemischen Namens waren in dauerndem Steigen; aller Augen ruhten auf Italien, alle Talente, aller Reichtum stroemten dahin: eine goldene Zeit friedlicher Wohlfahrt und geistigen Lebensgenusses schien dort beginnen zu muessen. Mit Bewunderung erzaehlten sich die Orientalen dieser Zeit von der maechtigen Republik des Westens, "die die Koenigreiche bezwang fern und nah, und wer ihren Namen vernahm, der fuerchtete sich; mit den Freunden und Schutzbefohlenen aber hielt sie guten Frieden. Solche Herrlichkeit war bei den Roemern, und doch setzte keiner die Krone sich auf und prahlte keiner im Purpurgewand; sondern wen sie Jahr um Jahr zu ihrem Herrn machten, auf den hoerten sie, und war bei ihnen nicht Neid noch Zwietracht." So schien es in der Ferne; in der Naehe sahen die Dinge anders aus. Das Regiment der Aristokratie war im vollen Zuge, sein eigenes Werk zu verderben. Nicht als waeren die Soehne und Enkel der Besiegten von Cannae und der Sieger von Zama so voellig aus der Art ihrer Vaeter und Grossvaeter geschlagen; es waren weniger andere Menschen, die jetzt im Senate sassen, als eine andere Zeit. Wo eine geschlossene Zahl alter Familien festgegruendeten Reichtums und ererbter staatsmaennischer Bedeutung das Regiment fuehrt, wird sie in den Zeiten der Gefahr eine ebenso unvergleichlich zaehe Folgerichtigkeit und heldenmuetige Opferfaehigkeit entwickeln wie in den Zeiten der Ruhe kurzsichtig, eigensuechtig und schlaff regieren - zu dem einen wie dem andern liegen die Keime im Wesen der Erblichkeit und der Kollegialitaet. Der Krankheitsstoff war laengst vorhanden, aber ihn zu entwickeln bedurfte es der Sonne des Glueckes. In Catos Frage, was aus Rom werden solle, wenn es keinen Staat mehr zu fuerchten haben werde, lag ein tiefer Sinn. Jetzt war man so weit: jeder Nachbar, den man haette fuerchten moegen, war politisch vernichtet, und von den Maennern, welche unter der alten Ordnung der Dinge, in der ernsten Schule des Hannibalischen Krieges erzogen waren und aus denen der Nachklang jener gewaltigen Zeit bis in ihr spaetestes Alter noch widerhallte, rief der Tod einen nach dem andern ab, bis endlich auch die Stimme des letzten von ihnen, des alten Cato, im Rathaus und auf dem Marktplatz verstummte. Eine juengere Generation kam an das Regiment, und ihre Politik war eine arge Antwort auf jene Frage des alten Patrioten. Wie das Untertanenregiment und die aeussere Politik unter ihren Haenden sich gestalteten, ist bereits dargelegt worden. Womoeglich noch mehr liess man in den inneren Angelegenheiten das Schiff vor dem Winde treiben; wenn man unter innerem Regiment mehr versteht als die Erledigung der laufenden Geschaefte, so ward in dieser Zeit ueberhaupt in Rom nicht regiert. Der einzige leitende Gedanke der regierenden Korporation war die Erhaltung und womoeglich Steigerung ihrer usurpierten Privilegien. Nicht der Staat hatte fuer sein hoechstes Amt ein Anrecht auf den rechten und den besten Mann, sondern jedes Glied der Kamaraderie ein angeborenes, weder durch unbillige Konkurrenz der Standesgenossen noch durch Uebergriffe der Ausgeschlossenen zu verkuerzendes Anrecht auf das hoechste Staatsamt. Darum steckte die Clique zu ihrem wichtigsten politischen Ziel sich die Beschraenkung der Wiederwahl zum Konsulat und die Ausschliessung der "neuen Menschen"; es gelang denn auch in der Tat, jene um das Jahr 603 (151) gesetzlich untersagt zu erhalten ^1 und auszureichen mit einem Regiment adliger Nullitaeten. Auch die Tatenlosigkeit der Regierung nach aussen hin haengt ohne Zweifel mit dieser gegen die Buergerlichen ausschliessenden und gegen die einzelnen Standesglieder misstrauischen Adelspolitik zusammen. Man konnte gemeine Leute, deren Adelsbrief ihre Taten waren, von den lauteren Kreisen der Aristokratie nicht sicherer fern halten, als indem man ueberhaupt es keinem gestattete, Taten zu verrichten; auch wuerde dem bestehenden Regiment der allgemeinen Mittelmaessigkeit selbst ein adliger Eroberer Syriens oder Aegyptens schon unbequem gewesen sein. Allerdings fehlte es auch jetzt an einer Opposition nicht, und sie war sogar bis zu einem gewissen Grade erfolgreich. Man verbesserte die Rechtspflege. Die Administrativjurisdiktion, wie der Senat sie entweder selbst oder gelegentlich durch ausserordentliche Kommissionen ueber die Provinzialbeamten ausuebte, reichte anerkanntermassen nicht aus; es war eine fuer das ganze oeffentliche Leben der roemischen Gemeinde folgenreiche Neuerung, dass im Jahre 605 (149) auf Vorschlag des Lucius Calpurnius Piso eine staendige Senatorenkommission (quaestio ordinaria) niedergesetzt ward, um die Beschwerden der Provinzialen gegen die vorgesetzten roemischen Beamten wegen Gelderpressung in gerichtlichen Formen zu pruefen. Man suchte die Komitien von dem uebermaechtigen Einfluss der Aristokratie zu emanzipieren. Die Panazee auch der roemischen Demokratie war die geheime Abstimmung in den Versammlungen der Buergerschaft, welche zuerst fuer die Magistratswahlen durch das Gabinische (615 139), dann fuer die Volksgerichte durch das Cassische (617 137), endlich fuer die Abstimmung ueber Gesetzvorschlaege durch das Papirische Gesetz (623 131) eingefuehrt ward. In aehnlicher Weise wurden bald nachher (um 625 129) die Senatoren durch Volksbeschluss angewiesen, bei dem Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben und also auf den bevorzugten Stimmplatz in den achtzehn Ritterzenturien zu verzichten. In diesen auf die Emanzipation der Waehlerschaft von dem regierenden Herrenstand gerichteten Massregeln mochte die Partei, die sie veranlasste, vielleicht den Anfang zu einer Regeneration des Staates erblicken; in der Tat ward dadurch in der Nichtigkeit und Unfreiheit des gesetzlich hoechsten Organs der roemischen Gemeinde auch nicht das mindeste geaendert, ja dieselbe allen, die es anging und nicht anging, nur noch handgreiflicher dargetan. Ebenso prahlhaftig und ebenso eitel war die foermliche Anerkennung der Unabhaengigkeit und Souveraenitaet der Buergerschaft, welche ihr durch die Verlegung ihres Versammlungsplatzes von der alten Dingstatt unter dem Rathaus auf den Marktplatz zuteil ward (um 609 145). ---------------------------------------- ^1 Im Jahre 537 (217) wurde das die Wiederwahl zum Konsulat beschraenkende Gesetz auf die Dauer des Krieges in Italien (also bis 551 203) suspendiert (Liv. 27, 6). Nach Marcellus’ Tode 546 (208) aber sind Wiederwahlen zum Konsulat, wenn die abdizierenden Konsuln von 592 (162) nicht mitgerechnet werden, ueberhaupt nur vorgekommen in den Jahren 547, 554, 560, 579, 585, 586, 591, 596, 599, 602 (207, 200, 194, 175, 169, 168, 163, 158, 155, 152); also nicht oefter in diesen sechsundfuenfzig als zum Beispiel in den zehn Jahren 401-410 (353-344). Nur eine von diesen, und eben die letzte, ist mit Verletzung des zehnjaehrigen Intervalls erfolgt; und ohne Zweifel ist die seltsame Wahl des Marcus Marcellus, Konsul 588 (166) und 599 (155), zum dritten Konsulat fuer 602 (152), deren naehere Umstaende wir nicht kennen, die Veranlassung der gesetzlichen Untersagung der Wiederwahl zum Konsulat ueberhaupt (Liv. ep. 56) geworden; zumal da dieser Antrag, als von Cato unterstuetzt (p. 55 Jordan), vor 605 (149) eingebracht worden sein muss. ------------------------------------- Aber diese Fehde der formalen Volkssouveraenitaet gegen die tatsaechlich bestehende Verfassung war zum guten Teil scheinhafter Art. Die Parteiphrasen prasselten und klirrten; von den Parteien selbst war in den wirklich und unmittelbar praktischen Angelegenheiten wenig zu spueren. Das ganze siebente Jahrhundert hindurch bildeten die jaehrlichen Gemeindewahlen zu den buergerlichen Aemtern, namentlich zum Konsulat und zur Zensur, die eigentlich stehende Tagesfrage und den Brennpunkt des politischen Treibens; aber nur in einzelnen seltenen Faellen waren in den verschiedenen Kandidaturen auch entgegengesetzte politische Prinzipien verkoerpert; regelmaessig blieben dieselben rein persoenliche Fragen und war es fuer den Gang der Angelegenheiten gleichgueltig, ob die Majoritaet der Wahlkoerper dem Caecilier oder dem Cornelier zufiel. Man entbehrte also dessen, was die Uebelstaende des Parteilebens alle uebertraegt und verguetet, der freien und gemeinschaftlichen Bewegung der Massen nach dem als zweckmaessig erkannten Ziel, und duldete sie dennoch alle lediglich zum Frommen des kleinen Spiels der herrschenden Koterien. Es war dem roemischen Adligen verhaeltnismaessig leicht, die Aemterlaufbahn als Quaestor und Volkstribun zu betreten, aber die Erlangung des Konsulats und der Zensur war auch ihm nur durch grosse und jahrelange Anstrengungen moeglich. Der Preise waren viele, aber der lohnenden wenige; die Kaempfer liefen, wie ein roemischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken weiten, allmaehlich mehr und mehr sich verengenden Bahn. Das war recht, solange das Amt war, wie es hiess, eine "Ehre", und militaerische, politische, juristische Kapazitaeten wetteifernd um die seltenen Kraenze warben; jetzt aber hob die tatsaechliche Geschlossenheit der Nobilitaet den Nutzen der Konkurrenz auf und liess nur ihre Nachteile uebrig. Mit wenigen Ausnahmen draengten die den regierenden Familien angehoerenden jungen Maenner sich in die politische Laufbahn, und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln, als nuetzliche Taetigkeit fuer das gemeine Beste war. Die erste Bedingung fuer die oeffentliche Laufbahn wurden maechtige Verbindungen; dieselbe begann also nicht wie sonst im Lager, sondern in den Vorzimmern der einflussreichen Maenner. Was sonst nur Schutzbefohlene und Freigelassene getan, dass sie ihrem Herrn am fruehen Morgen aufzuwarten kamen und oeffentlich in seinem Gefolge erschienen, das uebertrug sich jetzt auf die neue vornehme Klientel. Aber auch der Poebel ist ein grosser Herr und will als solcher respektiert sein. Der Janhagel fing an, es als sein Recht zu fordern, dass der kuenftige Konsul in jedem Lumpen von der Gasse das souveraene Volk erkenne und ehre und jeder Bewerber bei seinem "Umgang" (ambitus) jeden einzelnen Stimmgeber bei Namen begruesse und ihm die Hand druecke. Bereitwillig ging die vornehme Welt ein auf diesen entwuerdigenden Aemterbettel. Der richtige Kandidat kroch nicht bloss im Palast, sondern auch auf der Gasse und empfahl sich der Menge durch Liebaeugeleien, Nachsichtigkeiten, Artigkeiten von feinerer oder groeberer Qualitaet. Der Ruf nach Reformen und die Demagogie wurden dazu vernutzt, sich bei dem Publikum bekannt und beliebt zu machen; und sie wirkten um so mehr, je mehr sie nicht die Sache angriffen, sondern die Person. Es ward Sitte, dass die bartlosen Juenglinge vornehmer Geburt, um sich glaenzend in das oeffentliche Leben einzufuehren, mit der unreifen Leidenschaft ihrer knabenhaften Beredsamkeit die Rolle Catos weiterspielten und aus eigener Machtvollkommenheit sich womoeglich gegen einen recht hochstehenden und recht unbeliebten Mann zu Anwaelten des Staats aufwarfen; man liess es geschehen, dass das ernste Institut der Kriminaljustiz und der politischen Polizei ein Mittel fuer den Aemterbewerb ward. Die Veranstaltung oder, was noch schlimmer war, die Verheissung prachtvoller Volkslustbarkeiten war laengst die gleichsam gesetzliche Vorbedingung zur Erlangung des Konsulats; jetzt begannen auch schon, wie das um 595 (159) dagegen erlassene Verbot bezeugt, die Stimmen der Waehler geradezu mit Geld erkauft zu werden. Vielleicht die schlimmste Folge des dauernden Buhlens der regierenden Aristokratie um die Gunst der Menge war die Unvereinbarkeit dieser Bettlerund Schmeichlerrolle mit derjenigen Stellung, welche der Regierung den Regierten gegenueber von Rechts wegen zukommt. Das Regiment ward dadurch aus einem Segen fuer das Volk zum Fluch. Man wagte es nicht mehr, ueber Gut und Blut der Buerger zum Besten des Vaterlandes nach Beduerfnis zu verfuegen. Man liess die Buergerschaft sich an den gefaehrlichen Gedanken gewoehnen, dass sie selbst von der vorschussweisen Entrichtung direkter Abgaben gesetzlich befreit sei - nach dem Kriege gegen Perseus ist kein Schoss mehr von der Gemeinde gefordert worden. Man liess lieber das Heerwesen verfallen, als dass man die Buerger zu dem verhassten ueberseeischen Dienst zwang; wie es den einzelnen Beamten erging, die die Konskription nach der Strenge des Gesetzes durchzufuehren versuchten, ist schon gesagt worden. In verhaengnisvoller Weise verschlingen sich in dem Rom dieser Zeit die zwiefachen Missstaende einer ausgearteten Oligarchie und einer noch unentwickelten, aber schon im Keime vom Wurmfrass ergriffenen Demokratie. Ihren Parteinamen nach, welche zuerst in dieser Periode gehoert werden, wollten die "Optimaten" den Willen der Besten, die "Popularen" den der Gemeinde zur Geltung bringen; in der Tat gab es in dem damaligen Rom weder eine wahre Aristokratie noch eine wahrhaft sich selber bestimmende Gemeinde. Beide Parteien stritten gleichermassen fuer Schatten und zaehlten in ihren Reihen nur entweder Schwaermer oder Heuchler. Beide waren von der politischen Faeulnis gleichmaessig ergriffen und in der Tat beide gleich nichtig. Beide waren mit Notwendigkeit in den Status quo gebannt, da weder hueben noch drueben ein politischer Gedanke, geschweige denn ein politischer Plan sich fand, der ueber diesen hinausgegangen waere, und so vertrugen denn auch beide sich miteinander so vollkommen, dass sie auf jeden Schritt sich in den Mitteln wie in den Zwecken begegneten und der Wechsel der Partei mehr ein Wechsel der politischen Taktik als der politischen Gesinnung war. Das Gemeinwesen haette ohne Zweifel gewonnen, wenn entweder die Aristokratie statt der Buergerschaftswahlen geradezu einen erblichen Turnus eingefuehrt oder die Demokratie ein wirkliches Demagogenregiment aus sich hervorgebracht haette. Aber diese Optimaten und diese Popularen des beginnenden siebenten Jahrhunderts waren die einen fuer die andern viel zu unentbehrlich, um sich also auf Tod und Leben zu bekriegen; sie konnten nicht bloss nicht einander vernichten, sondern, wenn sie es gekonnt haetten, haetten sie es nicht gewollt. Darueber wich denn freilich politisch wie sittlich das Gemeinwesen immer mehr aus den Fugen und ging seiner voelligen Aufloesung entgegen. Es ging denn auch die Krise, durch welche die roemische Revolution eroeffnet ward, nicht aus diesem duerftigen politischen Konflikt hervor, sondern aus den oekonomischen und sozialen Verhaeltnissen, welche die roemische Regierung wie alles andere lediglich gehen liess und welche also Gelegenheit fanden, den seit langem gaerenden Krankheitsstoff jetzt ungehemmt mit furchtbarer Raschheit und Gewaltsamkeit zu zeigen. Seit uralter Zeit beruhte die roemische Oekonomie auf den beiden ewig sich suchenden und ewig hadernden Faktoren, der baeuerlichen und der Geldwirtschaft. Schon einmal hatte die letztere im engsten Bunde mit dem grossen Grundbesitz Jahrhunderte lang gegen den Bauernstand einen Krieg gefuehrt, der mit dem Untergang zuerst der Bauernschaft und demnaechst des ganzen Gemeinwesens endigen zu muessen schien, aber ohne eigentliche Entscheidung abgebrochen ward infolge der gluecklichen Kriege und der hierdurch moeglich gemachten umfaenglichen und grossartigen Domanialaufteilung. Es ward schon frueher gezeigt, dass in derselben Zeit, welche den Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern unter veraenderten Namen erneuerte, das unverhaeltnismaessig anschwellende Kapital einen zweiten Sturm gegen die baeuerliche Wirtschaft vorbereitete. Zwar der Weg war ein anderer. Ehemals war der kleine Bauer ruiniert worden durch Vorschuesse, die ihn tatsaechlich zum Meier seines Glaeubigers herabdrueckten; jetzt ward er erdrueckt durch die Konkurrenz des ueberseeischen und insonderheit des Sklavenkorns. Man schritt fort mit der Zeit; das Kapital fuehrte gegen die Arbeit, das heisst gegen die Freiheit der Person, den Krieg, natuerlich wie immer in strengster Form Rechtens, aber nicht mehr in der unziemlichen Weise, dass der freie Mann der Schulden wegen Sklave ward, sondern von Haus aus mit rechtmaessig gekauften und bezahlten Sklaven; der ehemalige hauptstaedtische Zinsherr trat auf in zeitgemaesser Gestalt als industrieller Plantagenbesitzer. Allein das letzte Ergebnis war in beiden Faellen das gleiche: die Entwertung der italischen Bauernstellen, die Verdraengung der Kleinwirtschaft zuerst in einem Teil der Provinzen, sodann in Italien durch die Gutswirtschaft; die vorwiegende Richtung auch dieser in Italien auf Viehzucht und auf Oelund Weinbau; schliesslich die Ersetzung der freien Arbeiter in den Provinzen wie in Italien durch Sklaven. Eben wie die Nobilitaet deshalb gefaehrlicher war als das Patriziat, weil jene nicht wie dieses durch eine Verfassungsaenderung sich beseitigen liess, so war auch diese neue Kapitalmacht darum gefaehrlicher als die des vierten und fuenften Jahrhunderts, weil gegen sie mit Aenderungen des Landrechts nichts auszurichten war. Ehe wir es versuchen, den Verlauf dieses zweiten grossen Konflikts von Arbeit und Kapital zu schildern, wird es notwendig, ueber das Wesen und den Umfang der Sklavenwirtschaft hier einige Andeutungen einzuschalten. Wir haben es hier nicht zu tun mit der alten, gewissermassen unschuldigen Feldsklaverei, wonach der Bauer entweder zugleich mit seinem Knechte ackert oder auch, wenn er mehr Land besitzt, als er bewirtschaften kann, denselben entweder als Verwalter oder auch unter Verpflichtung zur Ablieferung eines Teils vom Ertrag gewissermassen als Paechter ueber einen abgeteilten Meierhof setzt; solche Verhaeltnisse bestanden zwar zu allen Zeiten - um Comum zum Beispiel waren sie noch in der Kaiserzeit die Regel -, allein als Ausnahmezustaende bevorzugter Landschaften und milde verwalteter Gueter. Hier ist die Grosswirtschaft mit Sklaven gemeint, welche im roemischen Staat wie einst im karthagischen aus der Uebermacht des Kapitals sich entwickelte. Waehrend fuer den Sklavenbestand der aelteren Zeit die Kriegsgefangenschaft und die Erblichkeit der Knechtschaft ausreichten, beruht diese Sklavenwirtschaft, voellig wie die amerikanische, auf systematisch betriebener Menschenjagd, da bei der auf Leben und Fortpflanzung der Sklaven wenig Ruecksicht nehmenden Nutzungsweise die Sklavenbevoelkerung bestaendig zusammenschwand und selbst die stets neue Massen auf den Sklavenmarkt liefernden Kriege das Defizit zu decken nicht ausreichten. Kein Land, wo dieses jagdbare Wild sich vorfand, blieb hiervon verschont; selbst in Italien war es keineswegs unerhoert, dass der arme Freie von seinem Brotherrn unter die Sklaven eingestellt ward. Das Negerland jener Zeit aber war Vorderasien 2, wo die kretischen und kilikischen Korsaren, die rechten gewerbsmaessigen Sklavenjaeger und Sklavenhaendler, die Kuesten Syriens und die griechischen Inseln ausraubten, wo mit ihnen wetteifernd die roemischen Zollpaechter in den Klientelstaaten Menschenjagden veranstalteten und die Gefangenen unter ihr Sklavengesinde untersteckten - es geschah dies in solchem Umfang, dass um 650 (100) der Koenig von Bithynien sich unfaehig erklaerte, den verlangten Zuzug zu leisten, da aus seinem Reich alle arbeitsfaehigen Leute von den Zollpaechtern weggeschleppt seien. Auf dem grossen Sklavenmarkt in Delos, wo die kleinasiatischen Sklavenhaendler ihre Ware an die italischen Spekulanten absetzten, sollen an einem Tage bis zu 10000 Sklaven des Morgens ausgeschifft und vor Abend alle verkauft gewesen sein - ein Beweis zugleich, welche ungeheure Zahl von Sklaven geliefert ward und wie dennoch die Nachfrage immer noch das Angebot ueberstieg. Es war kein Wunder. Bereits in der Schilderung der roemischen Oekonomie des sechsten Jahrhunderts ist es dargelegt worden, dass dieselbe wie ueberhaupt die gesamte Grosswirtschaft des Altertums auf dem Sklavenbetriebe ruht. Worauf immer die Spekulation sich warf, ihr Werkzeug war ohne Ausnahme der rechtlich zum Tier herabgesetzte Mensch. Durch Sklaven wurden grossenteils die Handwerke betrieben, so dass der Ertrag dem Herrn zufiel. Durch die Sklaven der Steuerpachtgesellschaft wurde die Erhebung der oeffentlichen Gefaelle in den untern Graden regelmaessig beschafft. Ihre Haende besorgten den Grubenbau, die Pechhuetten und was derart sonst vorkommt; schon frueh kam es auf, Sklavenherden nach den spanischen Bergwerken zu senden, deren Vorsteher sie bereitwillig annahmen und hoch verzinsten. Die Weinund Olivenlese wurde in Italien nicht von den Leuten auf dem Gut bewirkt, sondern einem Sklavenbesitzer in Akkord gegeben. Die Huetung des Viehs ward allgemein durch Sklaven beschafft; der bewaffneten, haeufig berittenen Hirtensklaven auf den grossen Weidestrecken Italiens ist bereits gedacht worden, und dieselbe Art der Weidewirtschaft ward bald auch in den Provinzen ein beliebter Gegenstand der roemischen Spekulation - so war zum Beispiel Dalmatien kaum erobert (599 155), als die roemischen Kapitalisten anfingen, dort in italischer Weise die Viehzucht im grossen zu betreiben. Aber in jeder Beziehung weit schlimmer noch war der eigentliche Plantagenbau, die Bestellung der Felder durch eine Herde nicht selten mit dem Eisen gestempelter Sklaven, welche mit Fussschellen an den Beinen unter Aufsehern des Tags die Feldarbeiten taten und nachts in dem gemeinschaftlichen, haeufig unterirdischen Arbeiterzwinger zusammengesperrt wurden. Diese Plantagenwirtschaft war aus dem Orient nach Karthago gewandert und scheint durch die Karthager nach Sizilien gelangt zu sein, wo, wahrscheinlich aus diesem Grunde, die Plantagenwirtschaft frueher und vollstaendiger als in irgendeinem anderen Gebiet der roemischen Herrschaft durchgebildet auftritt 3. Die Leontinische Feldmark von etwa 30 000 Jugera urbaren Landes, die als roemische Domaene von den Zensoren verpachtet wurde, finden wir einige Dezennien nach der Gracchenzeit geteilt unter nicht mehr als 84 Paechter, von denen also durchschnittlich auf jeden 360 Jugera kamen und unter denen nur ein einziger Leontiner, die uebrigen fremde, meistens roemische Spekulanten waren. Man sieht hieraus, mit welchem Eifer die roemischen Spekulanten hier in die Fussstapfen ihrer Vorgaenger traten und welche grossartigen Geschaefte mit sizilischem Vieh und sizilischem Sklavenkorn die roemischen und nichtroemischen Spekulanten gemacht haben werden, die mit ihren Hutungen und Pflanzungen die schoene Insel bedeckten. Italien indes blieb von dieser schlimmsten Form der Sklavenwirtschaft fuer jetzt noch wesentlich verschont. Wenngleich in Etrurien, wo die Plantagenwirtschaft zuerst in Italien aufgekommen zu sein scheint und wo sie wenigstens vierzig Jahre spaeter in ausgedehntestem Umfange bestand, hoechstwahrscheinlich schon jetzt es an Arbeiterzwingern nicht fehlte, so ward doch die italische Ackerwirtschaft in dieser Zeit noch ueberwiegend durch freie Leute oder doch durch ungefesselte Knechte, daneben durch Akkordierung groesserer Arbeiten an Unternehmer betrieben. Recht deutlich zeigt sich der Unterschied des italischen Sklavenwesens von dem sizilischen darin, dass bei dem sizilischen Sklavenaufstand 619-622 (135-1 S2) allein die Sklaven der nach italischer Weise lebenden mamertinischen Gemeinde sich nicht beteiligten. ------------------------------------------ 2 Auch damals wurde es geltend gemacht, dass die Menschenrasse daselbst durch besondere Dauerhaftigkeit sich vorzugsweise zum Sklavenstand eigne. Schon Plautus (Trip. 542) preist "den Syrerschlag, der mehr vertraegt als ein andrer sonst". 3 Auch die hybrid griechische Benennung des Arbeitshauses (ergastulum von ergazomai nach Analogie von stabulum, operculum) deutet darauf, dass diese Wirtschaftsweise aus einer Gegend des griechischen Sprachgebiets und in einer noch nicht hellenisch durchgebildeten Zeit den Roemern zukam. ------------------------------------------ Das Meer von Jammer und Elend, das in diesem elendesten aller Proletariate sich vor unsern Augen auftut, mag ergruenden, wer den Blick in solche Tiefen wagt; es ist leicht moeglich, dass mit denen der roemischen Sklavenschaft verglichen die Summe aller Negerleiden ein Tropfen ist. Hier kommt es weniger auf den Notstand der Sklavenschaft selbst an als auf die Gefahren, die sie ueber den roemischen Staat brachte und auf das Verhalten der Regierung denselben gegenueber. Dass dies Proletariat weder durch die Regierung ins Leben gerufen war noch geradezu von ihr beseitigt werden konnte, leuchtet ein; es haette dies nur geschehen koennen durch Heilmittel, die noch schlimmer gewesen waeren als das Uebel. Der Regierung lag nur ob, teils die unmittelbare Gefahr fuer Eigentum und Leben, womit das Sklavenproletariat die Staatsangehoerigen bedrohte, durch eine ernstliche Sicherheitspolizei abzuwenden, teils auf die moeglichste Beschraenkung des Proletariats durch Hebung der freien Arbeit hinzuwirken. Sehen wir, wie die roemische Aristokratie diesen beiden Aufgaben nachkam. Wie die Polizei gehandhabt ward, zeigen die allerorts ausbrechenden Sklavenverschwoerungen und Sklavenkriege. In Italien schienen die wuesten Vorgaenge, wie sie in den unmittelbaren Nachwehen des Hannibalischen Krieges vorgekommen waren, sich jetzt zu erneuern; auf einmal musste man in der Hauptstadt 150, in Minturnae 450, in Sinuessa gar 4000 Sklaven aufgreifen und hinrichten lassen (621 133). Noch schlimmer stand es begreiflicherweise in den Provinzen. Auf dem grossen Sklavenmarkt zu Delos und in den attischen Silbergruben hatte man um dieselbe Zeit die aufstaendischen Sklaven mit den Waffen zu Paaren zu treiben. Der Krieg gegen Aristonikos und seine kleinasiatischen "Sonnenstaedter" war wesentlich ein Krieg der Besitzenden gegen die empoerten Sklaven. Am aergsten aber stand es natuerlicherweise in dem gelobten Lande des Plantagensystems, in Sizilien. Die Raeuberwirtschaft war daselbst, zumal im Binnenlande, laengst ein stehendes Uebel; sie fing an, sich zur Insurrektion zu steigern. Ein reicher und mit den italischen Herren in industrieller Exploitierung seines lebendigen Kapitals wetteifernder Pflanzer von Enna (Castrogiovanni), Damophilos, ward von seinen erbitterten Feldsklaven ueberfallen und ermordet; worauf die wilde Schar in die Stadt Enna stroemte und dort derselbe Vorgang in groesserem Massstab sich erneuerte. In Masse erhoben die Sklaven sich gegen ihre Herren, toeteten oder knechteten sie und riefen an die Spitze des schon ansehnlichen Insurgentenheeres einen Wundermann aus dem syrischen Apameia, der Feuer zu speien und zu orakeln verstand, bisher als Sklave Eunus genannt, jetzt als Haupt der Insurgenten Antiochos der Koenig der Syrer. Warum auch nicht? Hatte doch wenige Jahre zuvor ein anderer syrischer Knecht, der nicht einmal ein Prophet war, in Antiocheia selbst das koenigliche Stirnband der Seleukiden getragen. Der tapfere "Feldherr" des neuen Koenigs, der griechische Sklave Achaeos, durchstreifte die Insel, und nicht bloss die wilden Hirten stroemten von nah und fern unter die seltsamen Fahnen - auch die freien Arbeiter, die den Pflanzern alles Ueble goennten, machten mit den empoerten Sklaven gemeinschaftliche Sache. In einer anderen Gegend Siziliens folgte ein kilikischer Sklave, Kleon, einst in seiner Heimat ein dreister Raeuber, dem gegebenen Beispiel und besetzte Akragas, und da die Haeupter miteinander sich vertrugen, gelang es ihnen nach manchen geringeren Erfolgen zuletzt, den Praetor Lucius Hypsaeus selbst mit seiner groesstenteils aus sizilischen Milizen bestehenden Armee gaenzlich zu schlagen und sein Lager zu erobern. Hierdurch kam fast die ganze Insel in die Gewalt der Aufstaendischen, deren Zahl nach den maessigsten Angaben sich auf 70000 Waffenfaehige belaufen haben soll; die Roemer sahen sich genoetigt, drei Jahre nacheinander (620-622 134-132) Konsuln und konsularische Heere nach Sizilien abzusenden, bis nach manchen unentschiedenen, ja zum Teil ungluecklichen Gefechten endlich mit der Einnahme von Tauromenion und von Enna der Aufstand ueberwaeltigt war. Vor der letzteren Stadt, in die sich die entschlossenste Mannschaft der Insurgenten geworfen hatte, um sich in dieser unbezwinglichen Stellung zu verteidigen, wie sich Maenner verteidigen, die an Rettung wie an Begnadigung verzweifeln, lagerten die Konsuln Lucius Calpurnius Piso und Publius Rupilius zwei Jahre hindurch und bezwangen sie endlich mehr durch den Hunger als durch die Waffen 4. ------------------------------------------------- 4 Noch jetzt finden sich vor Castrogiovanni, da, wo der Aufgang am wenigsten jaeh ist, nicht selten roemische Schleuderkugeln mit dem Namen des Konsuls von 621 (133): L. Piso L. f. cos. ------------------------------------------------- Das waren die Ergebnisse der Sicherheitspolizei, wie sie von dem roemischen Senat und dessen Beamten in Italien und den Provinzen gehandhabt ward. Wenn die Aufgabe, das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft uebersteigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhaltung desselben fuer jedes groessere Gemeinwesen verhaeltnismaessig leicht. Es staende wohl um die Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andere Gefahr bereiteten, als wie sie auch droht von Baeren und Woelfen; nur der Aengsterling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschaefte macht, prophezeit den Untergang der buergerlichen Ordnung in Sklavenaufstaenden oder Proletariatinsurrektionen. Aber selbst dieser leichteren Aufgabe der Baendigung der gedrueckten Massen ward von der roemischen Regierung trotz des tiefsten Friedens und der unerschoepflichen Hilfsquellen des Staats keineswegs genuegt. Es war dies ein Zeichen ihrer Schwaeche; aber nicht ihrer Schwaeche allein. Von Rechts wegen war der roemische Statthalter verpflichtet, die Landstrassen rein zu halten und die aufgegriffenen Raeuber, wenn es Sklaven waren, ans Kreuz schlagen zu lassen; natuerlich, denn Sklavenwirtschaft ist nicht moeglich ohne Schreckensregiment. Allein in dieser Zeit war in Sizilien wohl auch mitunter, wenn die Strassen allzu unsicher wurden, von dem Statthalter eine Razzia veranstaltet, aber um es mit den italischen Pflanzern nicht zu verderben, wurden die gefangenen Raeuber von der Behoerde in der Regel an ihre Herren zu gutfindender Bestrafung abgegeben; und diese Herren waren sparsame Leute, welche ihren Hirtenknechten, wenn sie Kleider begehrten, mit Pruegel antworteten und mit der Frage, ob denn die Reisenden nackt durch das Land zoegen. Die Folge solcher Konnivenz war denn, dass nach Ueberwaeltigung des Sklavenaufstandes der Konsul Publius Rupilius alles, was lebend in seine Haende kam, es heisst ueber 20000 Menschen, ans Kreuz schlagen liess. Es war freilich nicht laenger moeglich, das Kapital zu schonen. Unendlich schwerer zu gewinnende, freilich auch unendlich reichere Fruechte verhiess die Fuersorge der Regierung fuer Hebung der freien Arbeit und folgeweise fuer Beschraenkung des Sklavenproletariats. Leider geschah in dieser Beziehung schlechterdings gar nichts. In der ersten sozialen Krise hatte man gesetzlich dem Gutsherrn vorgeschrieben, eine nach der Zahl seiner Sklavenarbeiter abgemessene Anzahl freier Arbeiter zu verwenden. Jetzt ward auf Veranlassung der Regierung eine punische Schrift ueber den Landbau, ohne Zweifel eine Anweisung zur Plantagenwirtschaft nach karthagischer Art, zu Nutz und Frommen der italischen Spekulation ins Lateinische uebersetzt -das erste und einzige Beispiel einer von dem roemischen Senat veranlassten literarischen Unternehmung! Dieselbe Tendenz offenbart sich in einer wichtigeren Angelegenheit oder vielmehr in der Lebensfrage fuer Rom, in dem Kolonisierungssystem. Es bedurfte nicht der Weisheit, nur der Erinnerung an den Verlauf der ersten sozialen Krise Roms, um zu begreifen, dass gegen ein agrikoles Proletariat die einzige ernstliche Abhilfe in einem umfassenden und regularisierten Emigrationssystem bestand, wozu die aeusseren Verhaeltnisse Roms die guenstigste Gelegenheit darboten. Bis gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts hatte man in der Tat dem fortwaehrenden Zusammenschwinden des italischen Kleinbesitzes durch fortwaehrende Gruendung neuer Bauernhufen entgegengewirkt. Es war dies zwar keineswegs in dem Masse geschehen, wie es haette geschehen koennen und sollen; man hatte nicht bloss das seit alten Zeiten von Privaten okkupierte Domanialland nicht eingezogen, sondern auch weitere Okkupationen neugewonnenen Landes gestattet und andere sehr wichtige Erwerbungen, wie namentlich das Gebiet von Capua, zwar nicht der Okkupation preisgegeben, aber doch auch nicht zur Verteilung gebracht, sondern als nutzbare Domaene verwertet. Dennoch hatte die Landanweisung segensreich gewirkt, vielen der Notleidenden Hilfe und allen Hoffnung gegeben. Allein, nach der Gruendung von Luna (577 177) findet sich, ausser der vereinzelt stehenden Anlage der picenischen Kolonie Auximum (Osimo) im Jahre 597 (157), von weiteren Landanweisungen auf lange hinaus keine Spur. Die Ursache ist einfach. Da seit der Besiegung der Boier und Apuaner ausser den wenig lockenden ligurischen Taelern neues Gebiet in Italien nicht gewonnen ward, war daselbst kein anderes Land zu verteilen als das verpachtete oder okkupierte Domanialland, dessen Antastung der Aristokratie begreiflicherweise jetzt ebensowenig genehm war wie vor dreihundert Jahren. Das ausserhalb Italien! gewonnene Gebiet zur Verteilung zu bringen, schien aber aus politischen Gruenden unzulaessig; Italien sollte das herrschende Land bleiben und die Scheidewand zwischen italischen Herren und dienenden Provinzialen nicht fallen. Wenn man nicht die Ruecksichten der hoeheren Politik oder gar die Standesinteressen beiseite setzen wollte, blieb der Regierung nichts uebrig, als dem Ruin des italischen Bauernstandes zuzusehen, und also geschah es. Die Kapitalisten fuhren fort, die kleinen Besitzer auszukaufen, auch wohl, wenn sie eigensinnig blieben, deren Aecker ohne Kaufbrief einzuziehen, wobei es begreiflich nicht immer guetlich abging - eine besonders beliebte Weise war es, dem Bauer, waehrend er im Felde stand, Weib und Kinder vom Hofe zu stossen und ihn mittels der Theorie der vollendeten Tatsache zur Nachgiebigkeit zu bringen. Die Gutsbesitzer fuhren fort, statt der freien Arbeiter sich vorwiegend der Sklaven zu bedienen, schon deshalb, weil diese nicht wie jene zum Kriegsdienst abgerufen werden konnten, und dadurch das freie Proletariat auf das gleiche Niveau des Elends mit der Sklavenschaft herabzudruecken. Sie fuhren fort, durch das spottwohlfeile sizilische Sklavenkorn das italische von dem hauptstaedtischen Markt zu verdraengen und dasselbe auf der ganzen Halbinsel zu entwerten. In Etrurien hatte die alte einheimische Aristokratie im Bunde mit den roemischen Kapitalisten schon im Jahre 520 (184) es so weit gebracht, dass es dort keinen freien Bauern mehr gab. Es konnte auf dem Markt der Hauptstadt laut gesagt werden, dass die Tiere ihr Lager haetten, den Buergern aber nichts geblieben sei als Luft und Sonnenschein und dass die, welche die Herren der Welt hiessen, keine Scholle mehr ihr eigen nennten. Den Kommentar zu diesen Worten lieferten die Zaehlungslisten der roemischen Buergerschaft. Vom Ende des Hannibalischen Krieges bis zum Jahre 595 (159) ist die Buergerzahl in stetigem Steigen, wovon die Ursache wesentlich zu suchen ist in den fortdauernden und ansehnlichen Verteilungen von Domanialland; nach 595 (159), wo die Zaehlung 328000 waffenfaehige Buerger ergab, zeigt sich dagegen ein regelmaessiges Sinken, indem sich die Liste im Jahre 600 (154) auf 324000, im Jahre 607 (147) auf 322000, im Jahre 623 (131) auf 319000 waffenfaehige Buerger stellt - ein erschreckendes Ergebnis fuer eine Zeit tiefen inneren und aeusseren Friedens. Wenn das so fortging, loeste die Buergerschaft sich auf in Pflanzer und Sklaven und konnte schliesslich der roemische Staat, wie es bei den Parthern geschah, seine Soldaten auf dem Sklavenmarkt kaufen. So standen die aeusseren und inneren Verhaeltnisse Roms, als der Staat eintrat in das siebente Jahrhundert seines Bestandes. Wohin man auch das Auge wandte, fiel es auf Missbraeuche und Verfall; jedem einsichtigen und wohlwollenden Mann musste die Erwaegung sich aufdraengen, ob denn hier nicht zu helfen und zu bessern sei. Es fehlte an solchen in Rom nicht; aber keiner schien mehr berufen zu dem grossen Werk der politischen und sozialen Reform als der Lieblingssohn des Aemilius Paullus, der Adoptivenkel des grossen Scipio, der dessen glorreichen Afrikanernamen nicht bloss kraft Erb-, sondern auch kraft eigenen Rechtes trug, Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (570-625 184-129). Gleich seinem Vater war er ein massvoller, durch und durch gesunder Mann, nie krank am Koerper und nie unsicher ueber den naechsten und notwendigen Entschluss. Schon in seiner Jugend hatte er sich ferngehalten von dem gewoehnlichen Treiben der politischen Anfaenger, dem Antichambrieren in den Zimmern der vornehmen Senatoren und den gerichtlichen Deklamationen. Dagegen liebte er die Jagd - als Siebzehnjaehriger hatte er, nachdem er den Feldzug gegen Perseus unter seinem Vater mit Auszeichnung mitgemacht hatte, als Belohnung dafuer sich freie Pirsch in dem seit vier Jahren unberuehrten Wildhag der Koenige von Makedonien erbeten - und vor allen Dingen wandte er gern seine Musse auf wissenschaftlichen und literarischen Genuss. Durch die Fuersorge seines Vaters war er frueh in diejenige echte griechische Bildung eingefuehrt worden, welche ueber das geschmacklose Hellenisieren der gemeinen Halbbildung hinaushob; durch seine ernste und treffende Wuerdigung des Echten und des Schlechten in dem griechischen Wesen und durch sein adliges Auftreten imponierte dieser Roemer den Hoefen des Ostens, ja sogar den spottlustigen Alexandrinern. Seinen Hellenismus erkannte man vor allem in der feinen Ironie seiner Rede und in seinem klassisch reinen Latein. Obwohl nicht eigentlich Schriftsteller, zeichnete er doch wie Cato seine politischen Reden auf - sie wurden gleich den Briefen seiner Adoptivschwester, der Mutter der Gracchen, von den spaeteren Literatoren als Meisterstuecke mustergueltiger Prosa geschaetzt - und zog mit Vorliebe die besseren griechischen und roemischen Literaten in seinen Kreis, welcher plebejische Umgang ihm freilich nicht wenig verdacht ward von denjenigen Kollegen im Senat, die auf ihre edle Geburt als einzige Auszeichnung angewiesen waren. Ein sittlich fester und zuverlaessiger Mann, galt sein Wort bei Freund und Feind; er mied Bauten und Spekulationen und lebte einfach; dafuer handelte er in Geldangelegenheiten nicht bloss ehrlich und uneigennuetzig, sondern auch mit einer dem kaufmaennischen Sinn seiner Zeitgenossen seltsam duenkenden Zartheit und Liberalitaet. Er war ein tuechtiger Soldat und Offizier; aus dem Afrikanischen Krieg brachte er den Ehrenkranz heim, der wegen Rettung gefaehrdeter Buerger mit eigener Lebensgefahr erteilt zu werden pflegte, und beendete den Krieg als Feldherr, den er als Offizier begonnen hatte; an wirklich schwierigen Aufgaben sein Feldherrngeschick zu erproben, boten die Umstaende ihm keine Gelegenheit. Scipio war so wenig wie sein Vater eine geniale Natur - davon zeugt schon seine Vorliebe fuer Xenophon, den nuechternen Militaer und korrekten Schriftsteller -, aber ein rechter und echter Mann, der vor andern berufen schien, dem beginnenden Verfall durch organische Reformen zu wehren. Um so bezeichnender ist es, dass er es nicht versucht hat. Zwar half er, wo und wie er konnte, Missbraeuche abstellen und verhindern und arbeitete namentlich hin auf Verbesserung der Rechtspflege. Hauptsaechlich durch seinen Beistand vermochte Lucius Cassius, ein tuechtiger Mann von altvaeterischer Strenge und Ehrenhaftigkeit, gegen den heftigsten Widerstand der Optimaten, sein Stimmgesetz durchzubringen, welches fuer die noch immer den wichtigsten Teil der Kriminaljurisdiktion umfassenden Volksgerichte die geheime Abstimmung einfuehrte. Ebenso zog er, der die Knabenanklagen nicht hatte mitmachen moegen, in seinen reifen Jahren selbst mehrere der schuldigsten Maenner der Aristokratie vor die Gerichte. In gleichem Geiste hat er als Feldherr vor Karthago und vor Numantia die Weiber und die Pfaffen zu den Toren des Lagers hinausgejagt und das Soldatengesindel wieder zurueck gezwungen unter den eisernen Druck der alten Heereszucht, als Zensor (612 142) unter der vornehmen Welt der glattkinnigen Manschettentraeger aufgeraeumt und mit ernsten Worten die Buergerschaft ermahnt, an den rechtschaffenen Sitten der Vaeter treulich zu halten. Aber niemand, und er selber am wenigsten, konnte es verkennen, dass die Verschaerfung der Rechtspflege und das vereinzelte Dazwischenfahren nicht einmal Anfaenge waren zur Heilung der organischen Uebel, an denen der Staat krankte. An diese hat Scipio nicht geruehrt. Gaius Laelius (Konsul 614 140), Scipios aelterer Freund und sein politischer Lehrmeister und Vertrauter, hatte den Plan gefasst, die Einziehung des unvergebenen, aber vorlaeufig okkupierten italischen Domaniallandes vorzuschlagen und durch dessen Aufteilung der zusehends verfallenden italischen Bauernschaft Hilfe zu bringen; allein er stand von dem Vorschlag ab, als er sah, welchen Sturm er zu erregen im Begriff war, und ward fortan "der Verstaendige" genannt. Auch Scipio dachte also. Er war von der Groesse des Uebels voellig durchdrungen und griff, wo er nur sich selber wagte, mit ehrenwertem Mut ohne Ansehen der Person ruecksichtslos an und durch; allein er hatte sich auch ueberzeugt, dass dem Lande nur zu helfen sei um den Preis derselben Revolution, die im vierten und fuenften Jahrhundert aus der Reformfrage sich entsponnen hatte, und ihm schien, mit Recht oder mit Unrecht, das Heilmittel schlimmer als das Uebel. So stand er mit dem kleinen Kreis seiner Freunde zwischen den Aristokraten, die ihm seine Befuerwortung des Cassischen Gesetzes nie verziehen, und den Demokraten, denen er doch auch nicht genuegte noch genuegen wollte, waehrend seines Lebens einsam, nach seinem Tode gefeiert von beiden Parteien, bald als Vormann der Aristokratie, bald als Beguenstiger der Reform. Bis auf seine Zeit hatten die Zensoren bei der Niederlegung ihres Amtes die Goetter angerufen, dem Staat groessere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der Zensor Scipio betete, dass sie geneigen moechten, den Staat zu erhalten. Sein ganzes Glaubensbekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf. Aber wo der Mann verzagte, der zweimal das roemische Heer aus tiefem Verfall zum Siege gefuehrt hatte, da getraute sich ein tatenloser Juengling, zum Retter Italiens sich aufzuwerfen. Er hiess Tiberius Sempronius Gracchus (591-621 163-133). Sein gleichnamiger Vater (Konsul 577, 591; Zensor 585 177, 163;169) war das rechte Musterbild eines roemischen Aristokraten. Die glaenzende, nicht ohne Bedrueckung der abhaengigen Gemeinden zuwege gebrachte Pracht seiner aedilizischen Spiele hatte ihm schweren und verdienten Tadel vom Senat zugezogen, waehrend er durch sein Einschreiten in dem leidigen Prozess gegen die persoenlich ihm verfeindeten Scipionen sein ritterliches und wohl auch sein Standesgefuehl, durch sein energisches Auftreten gegen die Freigelassenen in seiner Zensur seine konservative Gesinnung betaetigte und als Statthalter der Ebroprovinz durch Tapferkeit und vor allem durch Gerechtigkeit sich um sein Vaterland ein bleibendes Verdienst und zugleich in den Gemuetern der unterworfenen Nation ein dauerndes Gedaechtnis in Ehrfurcht und Liebe erwarb. Seine Mutter Cornelia war die Tochter des Siegers von Zama, welcher ebenjenes hochherzigen Dazwischentretens wegen den bisherigen Gegner sich zum Schwiegersohn erkoren hatte, sie selbst eine hochgebildete und bedeutende Frau, die nach dem Tode ihres viel aelteren Gemahls die Hand des Koenigs von Aegypten zurueckgewiesen hatte und im Andenken an den Gemahl und den Vater die drei ihr gebliebenen Kinder erzog. Der aeltere von den beiden Soehnen, Tiberius, war eine gute und sittliche Natur, sanften Blicks und ruhigen Wesens, wie es schien, zu allem andern eher bestimmt als zum Agitator der Massen. Mit allen seinen Beziehungen und Anschauungen gehoerte er dem Scipionischen Kreise an, dessen feine griechische und nationale Durchbildung er und seine Geschwister teilten. Scipio Aemilianus war zugleich sein Vetter und seiner Schwester Gemahl; unter ihm hatte Tiberius als Achtzehnjaehriger die Erstuermung Karthagos mitgemacht und durch seine Tapferkeit das Lob des strengen Feldherrn und kriegerische Auszeichnungen erworben. Dass der tuechtige junge Mann die Anschauungen ueber den Verfall des Staats an Haupt und Gliedern, wie sie in diesem Kreise gangbar waren, die Gedanken namentlich ueber die Hebung des italischen Bauernstandes mit aller Lebendigkeit und allem Rigorismus der Jugend in sich aufnahm und steigerte, ist begreiflich; waren es doch nicht bloss die jungen Leute, denen das Zurueckweichen des Laelius vor der Durchfuehrung seiner Reformideen nicht verstaendig erschien, sondern schwach. Appius Claudius, der gewesene Konsul (611 143) und Zensor (618 136), einer der angesehensten Maenner des Senats, tadelte mit all der gewaltsamen Leidenschaftlichkeit, die in dem Geschlecht der Claudier erblich war und blieb, dass der Scipionische Kreis den Plan der Domaenenaufteilung so rasch wieder habe fallen lassen; um so bitterer, wie es scheint, weil er mit Scipio Aemilianus bei der Bewerbung um die Zensur in persoenliche Konflikte gekommen war. Ebenso sprach Publius Crassus Mucianus sich aus, der derzeitige Oberpontifex, als Mensch und Rechtsgelehrter im Senat wie in der Buergerschaft allgemein verehrt. Sogar dessen Bruder Publius Mucius Scaevola, der Begruender der wissenschaftlichen Jurisprudenz in Rom, schien dem Reformplan nicht abgeneigt, und seine Stimme war von um so groesserem Gewicht, als er gewissermassen ausserhalb der Parteien stand. Aehnlich dachte Quintus Metellus, der Ueberwinder Makedoniens und der Achaeer, mehr aber noch als seiner Kriegstaten halber geachtet als ein Muster alter Zucht und Sitte in seinem haeuslichen wie in seinem oeffentlichen Leben. Tiberius Gracchus stand diesen Maennern nahe, namentlich dem Appius, dessen Tochter er, und dem Mucianus, dessen Tochter sein Bruder zum Weib genommen hatte; es war kein Wunder, dass der Gedanke sich in ihm regte, den Reformplan selber wiederaufzunehmen, sobald er sich in einer Stellung befinden werde, die ihm verfassungsmaessig die Initiative gestatte. Persoenliche Motive mochten ihn hierin bestaerken. Der Friedensvertrag, den Mancinus 617 (147) mit den Numantinern abschloss, war wesentlich Gracchus’ Werk; dass der Senat ihn kassiert hatte, dass der Feldherr deswegen den Feinden ausgeliefert worden und Gracchus mit den uebrigen hoeheren Offizieren dem gleichen Schicksal nur durch die groessere Gunst, deren er bei der Buergerschaft genoss, entgangen war, konnte den jungen rechtschaffenen und stolzen Mann nicht milder stimmen gegen die herrschende Aristokratie. Die hellenischen Rhetoren, mit denen er gern philosophierte und politisierte, der Mytilenaeer Diophanes, der Kymaeer Gaius Blossius, naehrten in seiner Seele die Ideale, mit denen er sich trug; als seine Absichten in weiteren Kreisen bekannt wurden, fehlte es nicht an billigenden Stimmen, und mancher oeffentliche Anschlag forderte den Enkel des Afrikaners auf, des armen Volkes, der Rettung Italiens zu gedenken. Am 10. Dezember 620 (134) uebernahm Tiberius Gracchus das Volkstribunat. Die entsetzlichen Folgen der bisherigen Missregierung, der politische, militaerische, oekonomische, sittliche Verfall der Buergerschaft lagen eben damals nackt und bloss jedermann vor Augen. Von den beiden Konsuln dieses Jahres focht der eine ohne Erfolg in Sizilien gegen die aufstaendischen Sklaven und war der andere, Scipio Aemilianus, seit Monaten beschaeftigt, eine kleine spanische Landstadt nicht zu besiegen, sondern zu erdruecken. Wenn es noch einer besonderen Aufforderung bedurfte, um Gracchus’ Entschluss zur Tat werden zu lassen, sie lag in diesen, jedes Patrioten Gemuet mit unnennbarer Angst erfuellenden Zustaenden. Sein Schwiegervater versprach Beistand mit Rat und Tat, man durfte hoffen auf die Unterstuetzung des Juristen Scaevola, der kurz vorher zum Konsul fuer 621 (133) erwaehlt worden war. So beantragte Gracchus gleich nach Antritt seines Amtes die Erlassung eines Ackergesetzes, das in gewissem Sinn nichts war als eine Erneuerung des Licinisch-Sextischen vom Jahre 387 der Stadt (367). Es sollten danach die saemtlichen okkupierten und von den Inhabern ohne Entgelt benutzten Staatslaendereien - die verpachteten, wie zum Beispiel das Gebiet von Capua, beruehrte das Gesetz nicht - von Staats wegen eingezogen werden, jedoch mit der Beschraenkung, dass der einzelne Okkupant fuer sich 500 und fuer jeden Sohn 250, im ganzen jedoch nicht ueber 1000 Morgen zu bleibendem und garantiertem Besitz solle behalten oder dafuer Ersatz in Land in Anspruch nehmen duerfen. Fuer etwaige, von den bisherigen Inhabern vorgenommene Verbesserungen, wie Gebaeude und Pflanzungen, scheint man Entschaedigung bewilligt zu haben. Das also eingezogene Domanialland sollte in Lose von 30 Morgen zerschlagen und diese teils an Buerger, teils an italische Bundesgenossen verteilt werden, nicht als freies Eigentum, sondern als unveraeusserliche Erbpacht, deren Inhaber das Land zum Feldbau zu benutzen und eine maessige Rente an die Staatskasse zu zahlen sich verpflichteten. Ein Kollegium von drei Maennern, die als ordentliche und stehende Beamte der Gemeinde angesehen und jaehrlich von der Volksversammlung gewaehlt wurden, ward mit dem Einziehungsund Aufteilungsgeschaeft beauftragt, wozu spaeter noch der wichtige und schwierige Auftrag kam, rechtlich festzustellen, was Domanialland und was Privateigentum sei. Die Aufteilung war demnach angelegt als auf unbestimmte Zeit fortgehend, bis dass die sehr ausgedehnten und schwer festzustellenden italischen Domaenen reguliert sein wuerden. Mit dem Licinisch-Sextischen Gesetz verglichen waren neu in dem Sempronischen Ackergesetz teils die Klausel zu Gunsten der beerbten Besitzer, teils die fuer die neuen Landstellen beantragte Erbpachtgutsqualitaet und Unveraeusserlichkeit, teils und vor allem die regulierte und dauernde Exekutive, deren Fehlen in dem aelteren Gesetz hauptsaechlich bewirkt hatte, dass dasselbe ohne nachhaltige praktische Anwendung geblieben war. Den grossen Grundbesitzern, die jetzt wie vor drei Jahrhunderten ihren wesentlichen Ausdruck fanden im Senat, war also der Krieg erklaert, und seit langem zum erstenmal stand wieder einmal ein einzelner Beamter in ernsthafter Opposition gegen die aristokratische Regierung. Sie nahm den Kampf auf in der fuer solche Faelle hergebrachten Weise, die Ausschreitungen des Beamtentums durch dieses selbst zu paralysieren. Ein Kollege des Gracchus, Marcus Octavius, ein entschlossener und von der Verwerflichkeit des beantragten Domanialgesetzes ernstlich ueberzeugter Mann, tat Einspruch, als dasselbe zur Abstimmung gebracht werden sollte; womit verfassungsmaessig der Antrag beseitigt war. Gracchus sistierte nun seinerseits die Staatsgeschaefte und die Rechtspflege und legte seine Siegel auf die oeffentlichen Kassen; man nahm es hin - es war unbequem, aber das Jahr ging ja doch auch zu Ende. Gracchus, ratlos, brachte sein Gesetz zum zweitenmal zur Abstimmung; natuerlich wiederholte Octavius seinen Einspruch, und auf die flehentliche Bitte seines Kollegen und bisherigen Freundes, ihm die Rettung Italiens nicht zu wehren, mochte er erwidern, dass darueber, wie Italien gerettet werden koenne, eben die Ansichten verschieden, sein verfassungsmaessiges Recht aber, gegen den Antrag des Kollegen seines Veto sich zu bedienen, ausser allem Zweifel sei. Der Senat machte jetzt den Versuch, Gracchus einen leidlichen Rueckzug zu eroeffnen; zwei Konsulare forderten ihn auf, die Angelegenheit in der Kurie weiterzuverhandeln, und eifrig ging der Tribun hierauf ein. Er suchte in diesen Antrag hineinzulegen, dass der Senat damit die Domanialaufteilung im Prinzip zugestanden habe; allein weder lag dies darin, noch war der Senat irgend geneigt, in der Sache nachzugeben; die Verhandlungen endigten ohne jedes Resultat. Die verfassungsmaessigen Wege waren erschoepft. In frueheren Zeiten hatte man unter solchen Verhaeltnissen es sich nicht verdriessen lassen, den gestellten Antrag fuer dies Jahr zur Ruhe zu legen, aber in jedem folgenden ihn wiederaufzunehmen, bis der Ernst des Forderns und der Druck der oeffentlichen Meinung den Widerstand brachen. Jetzt lebte man rascher. Gracchus schien auf dem Punkte angelangt, wo er entweder auf die Reform ueberhaupt verzichten oder die Revolution beginnen musste; er tat das letztere, indem er mit der Erklaerung vor die Buergerschaft trat, dass entweder er oder Octavius aus dem Kollegium ausscheiden muesse, und diesem ansann, die Buerger darueber abstimmen zu lassen, welchen von ihnen sie entlassen wollten. Octavius weigerte sich natuerlich, auf diesen wunderlichen Zweikampf einzugehen; die Interzession war eben dazu da, solchen Meinungsverschiedenheiten der Kollegen Raum zu gewaehren. Da brach Gracchus die Verhandlung mit dem Kollegen ab und wandte sich an die versammelte Menge mit der Frage, ob nicht der Volkstribun, der dem Volk zuwiderhandle, sein Amt verwirkt habe; und die Versammlung, laengst gewohnt, zu allen an sie gebrachten Antraegen ja zu sagen und groesstenteils zusammengesetzt aus dem vom Lande hereingestroemten und bei der Durchfuehrung des Gesetzes persoenlich interessierten agrikolen Proletariat, bejahte fast einstimmig die Frage. Marcus Octavius ward auf Gracchus’ Befehl durch die Gerichtsdiener von der Tribunenbank entfernt und hierauf unter allgemeinem Jubel das Ackergesetz durchgebracht und die ersten Teilungsherren ernannt. Die Stimmen fielen auf den Urheber des Gesetzes nebst seinem erst zwanzigjaehrigen Bruder Gaius und seinem Schwiegervater Appius Claudius. Eine solche Familienwahl steigerte die Erbitterung der Aristokratie. Als die neuen Beamten sich wie ueblich an den Senat wandten, um ihre Ausstattungsund Taggelder angewiesen zu erhalten, wurden jene verweigert und ein Taggeld angewiesen von 24 Assen (10 Groschen). Die Fehde griff immer weiter um sich und ward immer gehaessiger und persoenlicher. Das schwierige und verwickelte Geschaeft der Abgrenzung, Einziehung und Aufteilung der Domaenen trug den Hader in jede Buergergemeinde, ja selbst in die verbuendeten italischen Staedte. Die Aristokratie hatte es kein Hehl, dass sie das Gesetz vielleicht, weil sie muesse, sich gefallen lassen, der unberufene Gesetzgeber aber ihrer Rache nimmermehr entgehen werde; und die Ankuendigung des Quintus Pompeius, dass er den Gracchus an demselben Tage, wo er das Tribunat niederlege, in Anklagestand versetzen werde, war unter den Drohungen, die gegen den Tribun fielen, noch bei weitem nicht die schlimmste. Gracchus glaubte, wahrscheinlich mit Recht, seine persoenliche Sicherheit bedroht und erschien auf dem Markt nicht mehr ohne eine Gefolge von dreibis viertausend Menschen, worueber er selbst von dem der Reform an sich nicht abgeneigten Metellus im Senat bittere Worte hoeren wusste. Ueberhaupt, wenn er gemeint hatte, mit Durchbringung seines Ackergesetzes am Ziele zu sein, so hatte er jetzt zu lernen, dass er erst am Anfang stand. Das "Volk" war ihm zu Dank verpflichtet; aber er war ein verlorener Mann, wenn er keinen anderen Schirm mehr hatte als diese Dankbarkeit des Volkes, wenn er demselben nicht unentbehrlich blieb und durch andere und weitergreifende Vorschlaege neue und immer neue Interessen und Hoffnungen an sich knuepfte. Ebendamals war durch das Testament des letzten Koenigs von Pergamon den Roemern Reich und Vermoegen der Attaliden zugefallen; Gracchus beantragte bei dem Volk, den pergamenischen Schatz unter die neuen Landbesitzer zur Anschaffung des erforderlichen Beschlags zu verteilen und vindizierte ueberhaupt, gegen die bestehende Uebung, der Buergerschaft das Recht, ueber die neue Provinz definitiv zu entscheiden. Weitere populaere Gesetze, ueber Abkuerzung der Dienstzeit, ueber Ausdehnung des Provokationsrechts, ueber die Aufhebung des Vorrechts der Senatoren, ausschliesslich als Zivilgeschworene zu fungieren, sogar ueber die Aufnahme der italischen Bundesgenossen in den roemischen Buergerverband, soll er vorbereitet haben; wie weit seine Entwuerfe in der Tat gereicht haben, laesst sich nicht entscheiden, gewiss ist nur, dass Gracchus seine einzige Rettung darin sah, das Amt, das ihn schuetzte, von der Buergerschaft auf ein zweites Jahr verliehen zu erhalten, und dass er, um diese verfassungswidrige Verlaengerung zu bewirken, weitere Reformen in Aussicht stellte. Hatte er anfangs sich eingesetzt, um das Gemeinwesen zu retten, so wusste er jetzt schon, um sich zu retten, das Gemeinwesen aufs Spiel setzen. Die Bezirke traten zusammen zur Wahl der Tribunen fuer das naechste Jahr, und die ersten Abteilungen gaben ihre Stimmen fuer Gracchus; aber die Gegenpartei drang mit ihrem Einspruch schliesslich wenigstens insoweit durch, dass die Versammlung unverrichteter Sache aufgeloest und die Entscheidung auf den folgenden Tag verschoben ward. Fuer diesen setzte Gracchus alle Mittel in Bewegung, erlaubte und unerlaubte: er zeigte sich dem Volke im Trauergewand und empfahl ihm seinen unmuendigen Knaben; fuer den Fall, dass die Wahl abermals durch Einspruch gestoert werden wuerde, traf er Vorkehrungen, den Anhang der Aristokratie mit Gewalt von dem Versammlungsplatz vor dem Kapitolinischen Tempel zu vertreiben. So kam der zweite Wahltag heran; die Stimmen fielen wie an dem vorhergehenden und wieder erfolgte der Einspruch; der Auflauf begann. Die Buerger zerstreuten sich; die Wahlversammlung war faktisch aufgehoben; der Kapitolinische Tempel ward geschlossen; man erzaehlte sich in der Stadt, bald dass Tiberius die saemtlichen Tribunen abgesetzt habe, bald dass er ohne Wiederwahl sein Amt fortzufuehren entschlossen sei. Der Senat versammelte sich im Tempel der Treue, hart bei dem Jupitertempel; die erbittertsten Gegner des Gracchus fuehrten in der Sitzung das Wort; als Tiberius die Hand nach der Stirn bewegte, um in dem wilden Getuemmel dem Volke zu erkennen zu geben, dass sein Leben bedroht sei, hiess es, er fordere schon die Leute auf, sein Haupt mit der koeniglichen Binde zu schmuecken. Der Konsul Scaevola ward angegangen, den Hochverraeter sofort toeten zu lassen; als der gemaessigte, der Reform an sich keineswegs abgeneigte Mann das ebenso unsinnige wie barbarische Begehren unwillig zurueckwies, rief der Konsular Publius Scipio Nasica, ein harter und leidenschaftlicher Aristokrat, die Gleichgesinnten auf, sich zu bewaffnen, wie sie koennten, und ihm zu folgen. Von den Landleuten war zu den Wahlen fast niemand in die Stadt gekommen; das Stadtvolk wich scheu auseinander, als es die vornehmen Maenner mit Stuhlbeinen und Knuetteln in den Haenden zornigen Auges heranstuermen sah; Gracchus versuchte, von wenigen begleitet, zu entkommen. Aber er stuerzte auf der Flucht am Abhang des Kapitols und ward von einem der Wuetenden - Publius Satureius und Lucius Rufus stritten sich spaeter um die Henkerehre - vor den Bildsaeulen der sieben Koenige am Tempel der Treue durch einen Knuettelschlag auf die Schlaefe getoetet; mit ihm dreihundert andere Maenner, keiner durch Eisenwaffen. Als es Abend geworden war, wurden die Koerper in den Tiberfluss gestuerzt; vergebens bat Gaius, ihm die Leiche seines Bruders zur Bestattung zu vergoennen. Solch einen Tag hatte Rom noch nicht erlebt. Der mehr als hundertjaehrige Hader der Parteien waehrend der ersten sozialen Krise hatte zu keiner Katastrophe gefuehrt, wie diejenige war, mit der die zweite begann. Auch den besseren Teil der Aristokratie mochte schaudern; indes man konnte nicht mehr zurueck. Man hatte nur die Wahl, eine grosse Zahl der zuverlaessigsten Parteigenossen der Rache der Menge preiszugeben oder die Verantwortung der Untat auf die Gesamtheit zu uebernehmen; das letztere geschah. Man hielt offiziell daran fest, dass Gracchus die Krone habe nehmen wollen, und rechtfertigte diesen neuesten Frevel mit dem uralten des Ahala; ja man ueberwies sogar die weitere Untersuchung gegen Gracchus’ Mitschuldige einer besonderen Kommission und liess deren Vormann, den Konsul Publius Popillius, dafuer sorgen, dass durch Blutsentenzen gegen eine grosse Anzahl geringer Leute der Bluttat gegen Gracchus nachtraeglich eine Art rechtlichen Gepraeges aufgedrueckt ward (622 132). Nasica, gegen den vor allen anderen die Menge Rache schnaubte und der wenigstens den Mut hatte, sich offen vor dem Volke zu seiner Tat zu bekennen und sie zu vertreten, ward unter ehrenvollen Vorwaenden nach Asien gesandt und bald darauf (624 130) abwesend mit dem Oberpontifikat bekleidet. Auch die gemaessigte Partei trennte sich hierin nicht von ihren Kollegen. Gaius Laelius beteiligte sich bei den Untersuchungen gegen die Gracchaner; Publius Scaevola, der die Ermordung zu verhindern gesucht hatte, verteidigte sie spaeter im Senat; als Scipio Aemilianus nach seiner Rueckkehr aus Spanien (622 132) aufgefordert ward, sich oeffentlich darueber zu erklaeren, ob er die Toetung seines Schwagers billige oder nicht, gab er die wenigstens zweideutige Antwort, dass, wofern er nach der Krone getrachtet habe, er mit Recht getoetet worden sei. Versuchen wir ueber diese folgenreichen Ereignisse zu einem Urteil zu gelangen. Die Einrichtung eines Beamtenkollegiums, das dem gefaehrlichen Zusammenschwinden der Bauernschaft durch umfassende Gruendung neuer Kleinstellen aus dem gesamten, dem Staat zur Verfuegung stehenden italischen Grundbesitz entgegenzuwirken hatte, war freilich kein Zeichen eines gesunden volkswirtschaftlichen Zustandes, aber unter den obwaltenden politischen und sozialen Verhaeltnissen zweckmaessig. Die Aufteilung der Domaenen ferner war an sich keine politische Parteifrage; sie konnte bis auf die letzte Scholle durchgefuehrt werden, ohne dass die bestehende Verfassung geaendert, das Regiment der Aristokratie irgend erschuettert ward. Ebensowenig konnte hier von einer Rechtsverletzung die Rede sein. Anerkanntermassen war der Eigentuemer des okkupierten Landes der Staat; der Inhaber konnte als bloss geduldeter Besitzer in der Regel nicht einmal den gutglaeubigen Eigentumsbesitz sich zuschreiben, und wo er ausnahmsweise es konnte, stand ihm entgegen, dass gegen den Staat nach roemischem Landrecht die Verjaehrung nicht lief. Die Domaenenaufteilung war keine Aufhebung, sondern eine Ausuebung des Eigentums; ueber die formelle Rechtsbestaendigkeit derselben waren alle Juristen einig. Allein damit, dass die Domaenenaufteilung weder der bestehenden Verfassung Eintrag tat noch eine Rechtsverletzung in sich schloss, war der Versuch, diese Rechtsansprueche des Staats jetzt durchzufuehren, politisch noch keineswegs gerechtfertigt. Was man wohl in unsern Tagen erinnert hat, wenn ein grosser Grundherr rechtlich ihm zustehende, aber tatsaechlich seit langen Jahren nicht erhobene Ansprueche ploetzlich in ihrem ganzen Umfang geltend zu machen beginnt, konnte mit gleichem und besserem Rechte auch gegen die Gracchische Rogation eingewendet werden. Unleugbar hatten diese okkupierten Domaenen zum Teil seit dreihundert Jahren sich in erblichem Privatbesitz befunden; das Bodeneigentum des Staats, das seiner Natur nach ueberhaupt leichter als das des Buergers den privatrechtlichen Charakter verliert, war an diesen Grundstuecken so gut wie verschollen und die jetzigen Inhaber durchgaengig durch Kauf oder sonstigen laestigen Erwerb zu diesen Besitzungen gelangt. Der Jurist mochte sagen was er wollte; den Geschaeftsleuten erschien die Massregel als eine Expropriation der grossen Grundbesitzer zum Besten des agrikolen Proletariats; und in der Tat konnte auch kein Staatsmann sie anders bezeichnen. Dass die leitenden Maenner der catonischen Epoche nicht anders geurteilt hatten, zeigt sehr klar die Behandlung eines aehnlichen, zu ihrer Zeit vorgekommenen Falles. Das im Jahre 543 (211) zur Domaene geschlagene Gebiet von Capua und den Nachbarstaedten war in den folgenden unruhigen Zeiten tatsaechlich groesstenteils in Privatbesitz uebergegangen. In den letzten Jahren des sechsten Jahrhunderts, wo man vielfaeltig, besonders durch Catos Einfluss bestimmt, die Zuegel des Regiments wieder straffer anzog, beschloss die Buergerschaft, das campanische Gebiet wieder an sich zu nehmen und zum Besten des Staatsschatzes zu verpachten (582 172). Dieser Besitz beruhte auf einer nicht durch vorgaengige Aufforderung, sondern hoechstens durch Konnivenz der Behoerden gerechtfertigten und nirgends viel ueber ein Menschenalter hinaus fortgesetzten Okkupation; dennoch wurden die Inhaber nicht anders als gegen eine im Auftrag des Senats von dem Stadtpraetor Publius Lentulus ausgeworfene Entschaedigungssumme aus dem Besitz gesetzt (ca. 589 165) 5. Weniger bedenklich vielleicht, aber doch auch nicht unbedenklich war es, dass fuer die neuen Landlose Erbpachtqualitaet und Unveraeusserlichkeit festgestellt ward. Die liberalsten Grundsaetze in bezug auf die Verkehrsfreiheit hatten Rom gross gemacht, und es vertrug sich sehr wenig mit dem Geist der roemischen Institutionen, dass diese neuen Bauern von oben herab angehalten wurden, ihr Grundstueck in einer bestimmten Weise zu bewirtschaften, und dass fuer dasselbe Retraktrechte und alle der Verkehrsbeschraenkung anhaengenden Einschnuerungsmassregeln festgestellt wurden. ----------------------------------------------- 5 Die bisher nur aus Cicero (leg. agr. 2, 31, 82; vgl. Liv. 42, 2, 19) teilweise bekannte Tatsache wird jetzt durch die Fragmente des Licinianus (p. 4) wesentlich vervollstaendigt. Die beiden Berichte sind dahin zu vereinigen, dass Lentulus die Possessoren gegen eine von ihm festgesetzte Entschaedigungssumme expropriierte, bei den wirklichen Grundeigentuemern aber nichts ausrichtete, da er sie zu expropriieren nicht befugt war und sie auf Verkauf sich nicht einlassen wollten. ---------------------------------------------- Man wird einraeumen, dass diese Einwuerfe gegen das Sempronische Ackergesetz nicht leicht wogen. Dennoch entscheiden sie nicht. Jene tatsaechliche Expropriation der Domaenenbesitzer war sicher ein grosses Uebel; aber sie war dennoch das einzige Mittel, um einem noch viel groesseren, ja den Staat geradezu vernichtenden, dem Untergang des italischen Bauernstandes, wenigstens auf lange hinaus zu steuern. Darum begreift man es wohl, warum die ausgezeichnetsten und patriotischsten Maenner auch der konservativen Partei, an ihrer Spitze Gaius Laelius und Scipio Aemilianus, die Domaenenaufteilung an sich billigten und wuenschten. Aber wenn der Zweck des Tiberius Gracchus wohl der grossen Majoritaet der einsichtigen Vaterlandsfreunde gut und heilsam erschienen ist, so hat dagegen der Weg, den er einschlug, keines einzigen nennenswerten und patriotischen Mannes Billigung gefunden und finden koennen. Rom wurde um diese Zeit regiert durch den Senat. Wer gegen die Majoritaet des Senats eine Verwaltungsmassregel durchsetzte, der machte Revolution. Es war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die Domaenenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmaessig beseitigte, die tribunizische Interzession durch die mit unwuerdiger Sophistik gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloss fuer jetzt, sondern fuer alle Folgezeit zerstoerte. Indes nicht hierin liegt die sittliche und politische Verkehrtheit von Gracchus’ Tun. Fuer die Geschichte gibt es keine Hochverratsparagraphen; wer eine Macht im Staat zum Kampf aufruft gegen die andere, der ist gewiss ein Revolutionaer, aber vielleicht zugleich ein einsichtiger und preiswuerdiger Staatsmann. Der wesentliche Fehler der Gracchischen Revolution liegt in einer nur zu oft uebersehenen Tatsache: in der Beschaffenheit der damaligen Buergerversammlungen. Das Ackergesetz des Spurius Cassius und das des Tiberius Gracchus hatten in der Hauptsache denselben Inhalt und denselben Zweck; dennoch war das Beginnen beider Maenner nicht weniger verschieden als die ehemalige roemische Buergerschaft, welche mit den Latinern und Hernikern die Volskerbeute teilte, und die jetzige, die die Provinzen Asia und Africa einrichten liess. Jene war eine staedtische Gemeinde, die zusammentreten und zusammen handeln konnte; diese ein grosser Staat, dessen Angehoerige in einer und derselben Urversammlung zu vereinigen und diese Versammlung entscheiden zu lassen ein ebenso klaegliches wie laecherliches Resultat gab. Es raechte sich hier der Grundfehler der Politie des Altertums, dass sie nie vollstaendig von der staedtischen zur staatlichen Verfassung oder, was dasselbe ist, von dem System der Urversammlungen zum parlamentarischen fortgeschritten ist. Die souveraene Versammlung Roms war, was die souveraene Versammlung in England sein wuerde, wenn statt der Abgeordneten die saemtlichen Waehler Englands zum Parlament zusammentreten wollten: eine ungeschlachte, von allen Interessen und allen Leidenschaften wuest bewegte Masse, in der die Intelligenz spurlos verschwand; eine Masse, die weder die Verhaeltnisse zu uebersehen noch auch nur einen eigenen Entschluss zu fassen vermochte; eine Masse vor allem, in welcher, von seltenen Ausnahmefaellen abgesehen, unter dem Namen der Buergerschaft ein paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufaellig aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. Die Buergerschaft fand sich in den Bezirken wie in den Hundertschaften durch ihre faktischen Repraesentanten in der Regel ungefaehr ebenso genuegend vertreten wie in den Kurien durch die daselbst von Rechts wegen sie repraesentierenden dreissig Gerichtsdiener; und eben wie der sogenannte Kurienbeschluss nichts war als ein Beschluss desjenigen Magistrats, der die Gerichtsdiener zusammenrief, so war auch der Tribusund Zenturienbeschluss in dieser Zeit wesentlich nichts als ein durch einige obligate Jaherren legalisierter Beschluss des vorschlagenden Beamten. Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Komitien, sowenig man es auch mit der Qualifikation genau nahm, im ganzen doch nur Buerger erschienen, so war dagegen in den blossen Volksversammlungen, den Kontionen, platzund schreiberechtigt, was nur zwei Beine hatte, Aegypter und Juden, Gassenbuben und Sklaven. In den Augen des Gesetzes bedeutete allerdings ein solches Meeting nichts; es konnte nicht abstimmen noch beschliessen. Allein tatsaechlich beherrschte dasselbe die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom und kam etwas darauf an, ob diese wueste Masse bei dem, was ihr mitgeteilt ward, schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner auspfiff und anheulte. Nicht viele hatten den Mut, die Haufen anzuherrschen, wie es Scipio Aemilianus tat, als sie wegen seiner Aeusserung ueber den Tod seines Schwagers ihn auszischten: Ihr da, sprach er, denen Italien nicht Mutter ist sondern Stiefmutter, ihr habt zu schweigen! Und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, dass ich die losgebunden fuerchten werde, die ich in Ketten auf den Sklavenmarkt geschickt habe? Dass man der verrosteten Maschine der Komitien sich fuer die Wahlen und fuer die Gesetzgebung bediente, war schon uebel genug. Aber wenn man diesen Massen, zunaechst den Komitien und faktisch auch den Kontionen, Eingriffe in die Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur Verhuetung solcher Eingriffe aus den Haenden wand; wenn man gar diese sogenannte Buergerschaft aus dem gemeinen Saeckel sich selber Aecker samt Zubehoer dekretieren liess; wenn man einem jeden, dem die Verhaeltnisse und sein Einfluss beim Proletariat die Gelegenheit gab, die Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Moeglichkeit eroeffnete, seinen Projekten den legalen Stempel des souveraenen Volkswillens aufzudruecken, so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. Darum hatten in der vorigen Periode Cato und seine Gesinnungsgenossen solche Fragen nie an die Buergerschaft gebracht, sondern lediglich sie im Senat verhandelt. Darum bezeichnen Gracchus’ Zeitgenossen, die Maenner des Scipionischen Kreises, das Flaminische Ackergesetz von 522 (232), den ersten Schritt auf jener verhaengnisvollen Bahn, als den Anfang des Verfalles der roemischen Groesse. Darum liessen dieselben den Urheber der Domanialteilung fallen und erblickten in seinem schrecklichen Ende gleichsam einen Damm gegen kuenftige aehnliche Versuche, waehrend sie doch die von ihm durchgesetzte Domanialteilung selbst mit aller Energie festhielten und nutzten - so jammervoll standen die Dinge in Rom, dass redliche Patrioten in die grauenvolle Heuchelei hineingedraengt wurden, den Uebeltaeter preiszugeben und die Frucht der Uebeltat sich anzueignen. Darum hatten auch die Gegner des Gracchus in gewissem Sinne nicht unrecht, als sie ihn beschuldigten, nach der Krone zu streben. Es ist fuer ihn viel mehr eine zweite Anklage als eine Rechtfertigung, dass dieser Gedanke ihm selber wahrscheinlich fremd war. Das aristokratische Regiment war so durchaus verderblich, dass der Buerger, der den Senat abund sich an dessen Stelle zu setzen vermochte, vielleicht dem Gemeinwesen mehr noch nuetzte, als er ihm schadete. Allein dieser kuehne Spieler war Tiberius Gracchus nicht, sondern ein leidlich faehiger, durchaus wohlmeinender, konservativ patriotischer Mann, der eben nicht wusste, was er begann, der im besten Glauben, das Volk zu rufen, den Poebel beschwor und nach der Krone griff, ohne selbst es zu wissen, bis die unerbittliche Konsequenz der Dinge ihn unaufhaltsam draengte in die demagogisch-tyrannische Bahn, bis mit der Familienkommission, den Eingriffen in das oeffentliche Kassenwesen, den durch Not und Verzweiflung erpressten weiteren "Reformen", der Leibwache von der Gasse und den Strassengefechten der bedauernswerte Usurpator Schritt fuer Schritt sich und andern klarer hervortrat, bis endlich die entfesselten Geister der Revolution den unfaehigen Beschwoerer packten und verschlangen. Die ehrlose Schlaechterei, durch die er endigte, richtet sich selber, wie sie die Adelsrotte richtet, von der sie ausging; allein die Maertyrerglorie, mit der sie Tiberius Gracchus’ Namen geschmueckt hat, kam hier wie gewoehnlich an den unrechten Mann. Die besten seiner Zeitgenossen urteilten anders. Als dem Scipio Aemilianus die Katastrophe gemeldet ward, sprach er die Worte Homers: "Also verderb’ ein jeder, der aehnliche Werke vollfuehrt hat!" Und als des Tiberius juengerer Bruder Miene machte, in gleicher Weise aufzutreten, schrieb ihm die eigene Mutter: "Wird denn unser Haus des Wahnsinns kein Ende finden? Wo wird die Grenze sein? Haben wir noch nicht hinreichend uns zu schaemen, den Staat verwirrt und zerruettet zu haben?" So sprach nicht die besorgte Mutter, sondern die Tochter des Ueberwinders der Karthager, die noch ein groesseres Unglueck kannte und erfuhr als den Tod ihrer Kinder. 3. Kapitel Die Revolution und Gaius Gracchus Tiberius Gracchus war tot; indes seine beiden Werke, die Landaufteilung wie die Revolution, ueberlebten ihren Urheber. Dem verkommenen agrikolen Proletariat gegenueber konnte der Senat wohl einen Mord wagen, aber nicht diesen Mord zur Aufhebung des Sempronischen Ackergesetzes benutzen; durch den wahnsinnigen Ausbruch der Parteiwut war das Gesetz selbst weit mehr befestigt als erschuettert worden. Die reformistisch gesinnte Partei der Aristokratie, welche die Domanialteilung offen beguenstigte, an ihrer Spitze Quintus Metellus, eben um diese Zeit (623 131) Zensor, und Publius Scaevola, gewann in Verbindung mit der Partei des Scipio Aemilianus, die der Reform wenigstens nicht abgeneigt war, selbst im Senat fuer jetzt die Oberhand, und ausdruecklich wies ein Senatsbeschluss die Teilherren an, ihre Arbeiten zu beginnen. Nach dem Sempronischen Gesetz sollten dieselben jaehrlich von der Gemeinde ernannt werden, und es ist dies auch wahrscheinlich geschehen; allein bei der Beschaffenheit ihrer Aufgabe war es natuerlich, dass die Wahl wieder und wieder auf dieselben Maenner fiel und eigentliche Neuwahlen nur stattfanden, wo ein Platz durch den Tod sich erledigte. So trat fuer Tiberius Gracchus in dieselbe ein der Schwiegervater seines Bruders Gaius, Publius Crassus Mucianus; und als dieser 624 (130) gefallen und auch Appius Claudius gestorben war, leiteten das Teilungsgeschaeft in Gemeinschaft mit dem jungen Gaius Gracchus zwei der taetigsten Fuehrer der Bewegungspartei, Marcus Fulvius Flaccus und Gaius Papirius Carbo. Schon die Namen dieser Maenner buergen dafuer, dass man das Geschaeft der Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes mit Eifer und Nachdruck angriff, und in der Tat fehlt es auch dafuer nicht an Beweisen. Bereits der Konsul des Jahres 622 (132), Publius Popillius, derselbe, der die Blutgerichte gegen die Anhaenger des Tiberius Gracchus leitete, verzeichnet auf einem oeffentlichen Denkmal sich als "den ersten, der auf den Domaenen die Hirten ausund dafuer die Bauern eingewiesen habe", und auch sonst ist es ueberliefert, dass sich die Aufteilung ueber ganz Italien erstreckte und ueberall in den bisherigen Gemeinden die Zahl der Bauernstellen vermehrt ward - denn nicht durch Gruendung neuer Gemeinden, sondern durch Verstaerkung der bestehenden die Bauernschaft zu heben, war die Absicht des Sempronischen Ackergesetzes. Den Umfang und die tiefgreifende Wirkung dieser Aufteilungen bezeugen die zahlreichen in der roemischen Feldmesserkunst auf die Gracchischen Landanweisungen zurueckgehenden Einrichtungen; wie denn zum Beispiel eine gehoerige und kuenftigen Irrungen vorbeugende Marksteinsetzung zuerst durch die Gracchischen Grenzgerichte und Landaufteilungen ins Leben gerufen zu sein scheint. Am deutlichsten aber reden die Zahlen der Buergerliste. Die Schaetzung, die im Jahre 623 (131) veroeffentlicht ward und tatsaechlich wohl Anfang 622 (132) stattfand, ergab nicht mehr als 319000 waffenfaehige Buerger, wogegen sechs Jahre spaeter (629 125) statt des bisherigen Sinkens sich die Ziffer auf 395000, also um 76000 hebt - ohne allen Zweifel lediglich infolge dessen, was die Teilungskommission fuer die roemische Buergerschaft tat. Ob dieselbe auch bei den Italikern die Bauernstellen in demselben Verhaeltnis vermehrt hat, laesst sich bezweifeln; auf alle Faelle war das, was sie erreichte, ein grosses und segensreiches Resultat. Freilich ging es dabei nicht ab ohne vielfache Verletzung achtbarer Interessen und bestehender Rechte. Das Teilherrenamt, besetzt mit den entschiedensten Parteimaennern und durchaus Richter in eigener Sache, ging mit seinen Arbeiten ruecksichtslos und selbst tumultuarisch vor; oeffentliche Anschlaege forderten jeden, der dazu imstande sei, auf ueber die Ausdehnung des Domaniallandes Nachweisungen zu geben; unerbittlich wurde zurueckgegangen auf die alten Erdbuecher und nicht bloss neue und alte Okkupation ohne Unterschied wieder eingefordert, sondern auch vielfaeltig wirkliches Privateigentum, ueber das der Inhaber sich nicht genuegend auszuweisen vermochte, mitkonfisziert. Wie laut und grossenteils begruendet auch die Klagen waren, der Senat liess die Aufteiler gewaehren: es war einleuchtend, dass, wenn man einmal die Domanialfrage erledigen wollte, ohne solches ruecksichtsloses Durchgreifen schlechterdings nicht durchzukommen war. Allein es hatte dies Gewaehrenlassen doch seine Grenze. Das italische Domanialland war nicht lediglich in den Haenden roemischer Buerger; grosse Strecken desselben waren einzelnen bundesgenoessischen Gemeinden durch Volksoder Senatsbeschluesse zu ausschliesslicher Benutzung zugewiesen, andere Stuecke von latinischen Buergern erlaubteroder unerlaubterweise okkupiert worden. Das Teilungsamt griff endlich auch diese Besitzungen an. Nach formalem Rechte war die Einziehung der von Nichtbuergern einfach okkupierten Stuecke unzweifelhaft zulaessig, nicht minder vermutlich die Einziehung des durch Senatsbeschluesse, ja selbst des durch Gemeindebeschluesse den italischen Gemeinden ueberwiesenen Domaniallandes, da der Staat damit keineswegs auf sein Eigentum verzichtete und allem Anschein nach an Gemeinden eben wie an Private nur auf Widerruf verlieh. Allein die Beschwerden dieser Bundesoder Untertanengemeinden, dass Rom die in Kraft stehenden Abmachungen nicht einhalte, konnten doch nicht, wie die Klagen der durch das Teilungsamt verletzten roemischen Buerger, einfach beiseite gelegt werden. Rechtlich mochten jene nicht besser begruendet sein als diese; aber wenn es in diesem Falle sich um Privatinteressen von Staatsangehoerigen handelte, so kam in Beziehung auf die latinischen Possessionen in Frage, ob es politisch richtig sei, die militaerisch so wichtigen und schon durch zahlreiche rechtliche und faktische Zuruecksetzungen Rom sehr entfremdeten latinischen Gemeinden noch durch diese empfindliche Verletzung ihrer materiellen Interessen aufs neue zu verstimmen. Die Entscheidung lag in den Haenden der Mittelpartei; sie war es gewesen, die nach der Katastrophe des Gracchus im Bunde mit seinen Anhaengern die Reform gegen die Oligarchie geschuetzt hatte, und sie allein vermochte jetzt in Vereinigung mit der Oligarchie der Reform eine Schranke zu setzen. Die Latiner wandten sich persoenlich an den hervorragendsten Mann dieser Partei, Scipio Aemilianus, mit der Bitte, ihre Rechte zu schuetzen; er sagte es zu, und wesentlich durch seinen Einfluss ^1 ward im Jahre 625 (129) durch Volksschluss der Teilkommission die Gerichtsbarkeit entzogen und die Entscheidung, was Domanialund was Privatbesitz sei, an die Zensoren und in deren Vertretung an die Konsuln gewiesen, denen sie nach den allgemeinen Rechtsbestimmungen zukam. Es war dies nichts anderes als eine Sistierung der weiteren Domanialaufteilung in milder Form. Der Konsul Tuditanus, keineswegs gracchanisch gesinnt und wenig geneigt, mit der bedenklichen Bodenregulierung sich zu befassen, nahm die Gelegenheit wahr, zum illyrischen Heer abzugehen und das ihm aufgetragene Geschaeft unvollzogen zu lassen; die Teilungskommission bestand zwar fort, aber da die gerichtliche Regulierung des Domaniallandes stockte, blieb auch sie notgedrungen untaetig. Die Reformpartei war tief erbittert. Selbst Maenner wie Publius Mucius und Quintus Metellus missbilligten Scipios Zwischentreten. In anderen Kreisen begnuegte man sich nicht mit der Missbilligung. Auf einen der naechsten Tage hatte Scipio einen Vortrag ueber die Verhaeltnisse der Latiner angekuendigt; am Morgen dieses Tages ward er tot in seinem Bette gefunden. Dass der sechsundfuenfzigjaehrige in voller Gesundheit und Kraft stehende Mann, der noch den Tag vorher oeffentlich gesprochen und dann am Abend, um seine Rede fuer den naechsten Tag zu entwerfen, sich frueher als gewoehnlich in sein Schlafgemach zurueckgezogen hatte, das Opfer eines politischen Mordes geworden ist, kann nicht bezweifelt werden; er selbst hatte kurz vorher der gegen ihn gerichteten Mordanschlaege oeffentlich erwaehnt. Welche meuchelnde Hand den ersten Staatsmann und den ersten Feldherrn seiner Zeit bei naechtlicher Weile erwuergt hat, ist nie an den Tag gekommen, und es ziemt der Geschichte weder die aus dem gleichzeitigen Stadtklatsch ueberlieferten Geruechte zu wiederholen noch den kindischen Versuch anzustellen, aus solchen Akten die Wahrheit zu ermitteln. Nur dass der Anstifter der Tat der Gracchenpartei angehoert haben muss, ist einleuchtend: Scipios Ermordung war die demokratische Antwort auf die aristokratische Blutszene am Tempel der Treue. Die Gerichte schritten nicht ein. Die Volkspartei, mit Recht fuerchtend, dass ihre Fuehrer, Gaius Gracchus, Flaccus, Carbo, schuldig oder nicht, in den Prozess moechten verwickelt werden, widersetzte sich mit allen Kraeften der Einleitung einer Untersuchung; und auch die Aristokratie, die an Scipio ebensosehr einen Gegner wie einen Verbuendeten verlor, liess nicht ungern die Sache ruhen. Die Menge und die gemaessigten Maenner standen entsetzt; keiner mehr als Quintus Metellus, der Scipios Einschreiten gegen die Reform gemissbilligt hatte, aber von solchen Bundesgenossen schaudernd sich abwandte und seinen vier Soehnen befahl, die Bahre des grossen Gegners zur Feuerstaette zu tragen. Die Leichenbestattung ward beschleunigt; verhuellten Hauptes ward der Letzte aus dem Geschlecht des Siegers von Zama hinausgetragen, ohne dass jemand zuvor des Toten Antlitz haette sehen duerfen, und die Flammen des Scheiterhaufens verzehrten mit der Huelle des hohen Mannes zugleich die Spuren des Verbrechens. ---------------------------------------------------------- ^1 Hierher gehoert ein Rede contra legem iudiciariam Ti. Gracchi, womit nicht, wie man gesagt hat, ein Gesetz ueber Quaestionengerichte gemeint ist, sondern das Supplementargesetz zu seiner Ackerrogation: ut triumviri iudicarent, qua publicus ager, qua privatus esset (Liv. ep. 28; oben S. 95). ---------------------------------------------------------- Die Geschichte Roms kennt manchen genialeren Mann als Scipio Aemilianus, aber keinen, der an sittlicher Reinheit, an voelliger Abwesenheit des politischen Egoismus, an edelster Vaterlandsliebe ihm gleich kommt; vielleicht auch keinen, dem das Geschick eine tragischere Rolle zugewiesen hat. Des besten Willens und nicht gemeiner Faehigkeiten sich bewusst, war er dazu verurteilt, den Ruin seines Vaterlandes vor seinen Augen sich vollziehen zu sehen und jeden ernstlichen Versuch einer Rettung, in der klaren Einsicht, nur uebel damit aerger zu machen, in sich niederzukaempfen; dazu verurteilt, Untaten wie die des Nasica gutheissen und zugleich das Werk des Ermordeten gegen seine Moerder verteidigen zu muessen. Dennoch durfte er sich sagen, nicht umsonst gelebt zu haben. Er war es, wenigstens ebensosehr wie der Urheber des Sempronischen Gesetzes, dem die roemische Buergerschaft einen Zuwachs von gegen 80000 neuen Bauernhufen verdankte; er war es auch, der diese Domanialteilung hemmte, als sie genuetzt hatte, was sie nuetzen konnte. Dass es an der Zeit war, damit abzubrechen, ward zwar damals auch von wohlmeinenden Maennern bestritten; aber die Tatsache, dass auch Gaius Gracchus auf diese nach dem Gesetz seines Bruders zu verteilenden und unverteilt gebliebenen Besitzungen nicht ernstlich zurueckkam, spricht gar sehr dafuer, dass Scipio im wesentlichen den richtigen Moment traf. Beide Massregeln wurden den Parteien abgezwungen, die erste der Aristokratie, die zweite den Reformfreunden; beide bezahlte ihr Urheber mit seinem Leben. Es war Scipio beschieden, auf manchem Schlachtfeld fuer sein Vaterland zu fechten und unverletzt heimzukehren, um dort den Tod von Moerderhand zu finden; aber er ist in seiner stillen Kammer nicht minder fuer Rom gestorben, als wenn er vor Karthagos Mauern gefallen waere. Die Landaufteilung war zu Ende; die Revolution ging an. Die revolutionaere Partei, die in dem Teilungsamt gleichsam eine konstituierte Vorstandschaft besass, hatte schon bei Scipios Lebzeiten hier und dort mit dem bestehenden Regiment geplaenkelt; namentlich Carbo, eines der ausgezeichnetsten Rednertalente dieser Zeit, hatte als Volkstribun 623 (131) dem Senat nicht wenig zu schaffen gemacht, die geheime Abstimmung in den Buergerschaftsversammlungen durchgesetzt, soweit es nicht bereits frueher geschehen war, und sogar den bezeichnenden Antrag gestellt, den Volkstribunen die Wiederbewerbung um dasselbe Amt fuer das unmittelbar folgende Jahr freizugeben, also das Hindernis, an dem Tiberius Gracchus zunaechst gescheitert war, gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Widerstand Scipios vereitelt worden; einige Jahre spaeter, wie es scheint nach dessen Tode, wurde das Gesetz, wenn auch mit beschraenkenden Klauseln, wieder einund durchgebracht 2. Die haupts aechliche Absicht der Partei ging indes auf Reaktivierung des faktisch ausser Taetigkeit gesetzten Teilungsamts: unter den Fuehrern ward der Plan ernstlich besprochen, die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen derselben entgegenstellten, durch Erteilung des Buergerrechts an dieselben zu beseitigen, und die Agitation nahm vorwiegend diese Richtung. Um ihr zu begegnen, liess der Senat 628 (126) durch den Volkstribun Marcus Iunius Pennus die Ausweisung saemtlicher Nichtbuerger aus der Hauptstadt beantragen und trotz des Widerstandes der Demokraten, namentlich des Gaius Gracchus, und der durch diese gehaessige Massregel hervorgerufenen Gaerung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629 125) als Konsul mit dem Antrag, den Buergern der Bundesgemeinden die Gewinnung der roemischen Buergerrechte zu erleichtern und auch denen, die sie nicht gewonnen, gegen Straferkenntnisse die Provokation an die roemischen Komitien einzuraeumen; allein er stand fast allein - Carbo hatte inzwischen die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius Gracchus abwesend als Quaestor in Sardinien - und scheiterte an dem Widerstand nicht bloss des Senats, sondern auch der Buergerschaft, die der Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt war. Flaccus verliess Rom, um den Oberbefehl gegen die Kelten zu uebernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den grossen Plaenen der Demokratie vorarbeitend, zog er zugleich sich damit aus der ueblen Lage heraus, gegen die von ihm selber aufgestifteten Bundesgenossen die Waffen tragen zu muessen. Fregellae, an der Grenze von Latium und Kampanien am Hauptuebergang ueber den Liris inmitten eines grossen und fruchtbaren Gebiets gelegen, damals vielleicht die zweite Stadt Italiens und in den Verhandlungen mit Rom der gewoehnliche Wortfuehrer fuer die saemtlichen latinischen Kolonien, begann infolge der Zurueckweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags den Krieg gegen Rom - seit hundertfuenfzig Jahren der erste Fall einer ernstlichen, nicht durch auswaertige Maechte herbeigefuehrten Schilderhebung Italiens gegen die roemische Hegemonie. Indes gelang es diesmal noch, den Brand, ehe er andere bundesgenoessische Gemeinden ergriff, im Keime zu ersticken; nicht durch die Ueberlegenheit der roemischen Waffen, sondern durch den Verrat eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus, ward der Praetor Lucius Opimius rasch Meister ueber die empoerte Stadt, die ihr Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf einem Teil ihres Gebietes ward 630 (124) die Kolonie Fabrateria gegruendet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wurden unter die umliegenden Gemeinden verteilt. Das schnelle und furchtbare Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft, und endlose Hochverratsprozesse verfolgten nicht bloss die Fregellaner, sondern auch die Fuehrer der Volkspartei in Rom, die begreiflicherweise der Aristokratie als an dieser Insurrektion mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefuerchteten Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die uebliche Abloesung unterliess und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren dennoch zurueckkam, ihn als einen der Urheber des Fregellanischen Aufstandes vor Gericht gezogen (629-630 125-124). Allein die Buergerschaft sprach ihn frei, und nun hob auch er den Handschuh auf, bewarb sich um das Volkstribunat und ward in einer ungewoehnlich zahlreich besuchten Wahlversammlung zum Volkstribun auf das Jahr 631 (123) ernannt. Der Krieg war also erklaert. Die demokratische Partei, immer arm an leitenden Kapazitaeten, hatte neun Jahre hindurch notgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Fuehrerschaft berufen war. ---------------------------------------------------- 2 Die Restriktion, dass die Kontinuierung nur statthaft sein solle, wenn es an anderen geeigneten Bewerbern fehle (App. civ. 1, 21), war nicht schwer zu umgehen. Das Gesetz selbst scheint nicht den aelteren Ordnungen anzugehoeren (Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, 3. Aufl., S. 473), sondern erst von den Gracchanern eingebracht zu sein. ---------------------------------------------------- Gaius Gracchus (601-633 153-121) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre aelteren Bruder. Wie dieser war er gemeiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt, ein durchgebildeter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia unter seinem Schwager und spaeter in Sardinien mit Auszeichnung gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leidenschaft war er dem Tiberius entschieden ueberlegen. An der Klarheit und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich spaeter in dem Drang der verschiedenartigsten, zur praktischen Durchfuehrung seiner zahlreichen Gesetze erforderlichen Geschaefte zu bewegen wusste, erkannte man die echte staatsmaennische Begabung, wie an der leidenschaftlichen bis zum Tode getreuen Hingebung, mit der seine naeheren Freunde an ihm hingen, die Liebefaehigkeit dieses adligen Gemuetes. Der Energie seines Wollens und Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die notgedrungene Zurueckhaltung waehrend der letzten neun Jahre zugute gekommen; nicht mit geminderter, nur mit verdichteter Glut flammte in ihm die tief in die innerste Brust zurueckgedraengte Erbitterung gegen die Partei, die das Vaterland zerruettet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch diese furchtbare Leidenschaft seines Gemuetes ist er der erste Redner geworden, den Rom jemals gehabt hat; ohne sie wuerden wir ihn wahrscheinlich den ersten Staatsmaennern aller Zeiten beizaehlen duerfen. Noch unter den wenigen Truemmern seiner aufgezeichneten Reden sind manche selbst in diesem Zustande von herzerschuetternder Maechtigkeit 3, und wohl begreift man, dass, wer sie hoerte oder auch nur las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. Dennoch, sosehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht selten ihn selber der Zorn, so dass dem glaenzenden Sprecher die Rede truebe oder stockend floss. Es ist das treue Abbild seines politischen Tuns und Leidens. In Gaius’ Wesen ist keine Ader von der Art seines Bruders, von jener etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichtigen und unklaren Gutmuetigkeit, die den politischen Gegner mit Bitten und Traenen umstimmen moechte; mit voller Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache. "Auch mir", schrieb ihm seine Mutter, "scheint nichts schoener und herrlicher, als dem Feinde zu vergelten, wofern dies geschehen kann, ohne dass das Vaterland zugrunde geht. Ist aber dies nicht moeglich, da moegen unsere Feinde bestehen und bleiben, was. sie sind, tausendmal lieber, als dass das Vaterland verderbe." Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntnis war eben das Gegenteil. Rache wollte er nehmen an der elenden Regierung, Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Gemeinwesen darueber zugrunde gehen - die Ahnung, dass das Verhaengnis ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, gleich dem toedlich Verwundeten, der sich auf den Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch den Sohn, diese tiefgereizte, leidenschaftlich erregte, durchaus italienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt, und sie hat recht daran getan. ------------------------------------------------------- 3 So die bei der Ankuendigung seiner Gesetzvorschlaege gesprochenen Worte: "Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebuesst habe und nun niemand weiter uebrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Gracchus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich fuer jetzt feiern zu lassen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein Sproessling dieses Geschlechts uebrig bleibe: so moechte wohl solches mir von euch bereitwillig zugestanden werden." ------------------------------------------------------ Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativreform vor die Buergerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschlaege einbrachte, war nichts anderes als eine vollstaendig neue Verfassung, als deren erster Grundstein die schon frueher durchgesetzte Neuerung erscheint, dass es dem Volkstribun freistehen solle, sich fuer das folgende Jahr wiederwaehlen zulassen. Wenn hiermit fuer das Volkshaupt die Moeglichkeit einer dauernden und den Inhaber schuetzenden Stellung gewonnen war, so galt es weiter, demselben die materielle Macht zu sichern, das heisst die hauptstaedtische Menge - denn dass auf das nur von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlass war, hatte sich sattsam gezeigt - mit ihren Interessen fest an den Fuehrer zu knuepfen. Hierzu diente zuvoerderst die Einfuehrung der hauptstaedtischen Getreideverteilung. Schon frueher war das dem Staat aus den Provinzialzehnten zukommende Getreide oftmals zu Schleuderpreisen an die Buergerschaft abgegeben worden. Gracchus verfuegte, dass fortan jedem persoenlich in der Hauptstadt sich meldenden Buerger monatlich eine bestimmte Quantitaet - es scheint 5 Modii (5/6 preuss. Scheffel) -aus den oeffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (2« Groschen) oder noch nicht die Haelfte eines niedrigen Durchschnittspreises; zu welchem Ende durch Anlage der neuen Sempronischen Speicher die oeffentlichen Kornmagazine erweitert wurden. Diese Verteilung, welche folgeweise die ausserhalb der Hauptstadt lebenden Buerger ausschloss und notwendig die ganze Masse des Buergerproletariats nach Rom ziehen musste, sollte das hauptstaedtische Buergerproletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie abgehangen hatte, in die Klientel der Fuehrer der Bewegungspartei bringen und damit dem neuen Herrn des Staats zugleich eine Leibwache und eine feste Majoritaet in den Komitien gewaehren. Zu mehrerer Sicherheit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Zenturiatkomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fuenf Vermoegensklassen in jedem Bezirk nacheinander ihre Stimmen abgaben, abgeschafft; statt dessen sollten in Zukunft saemtliche Zenturien durcheinander in einer jedesmal durch das Los festzustellenden Reihenfolge stimmen. Wenn diese Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten, durch das hauptstaedtische Proletariat dem neuen Staatsoberhaupt die vollstaendige Herrschaft ueber die Hauptstadt und damit ueber den Staat, die freieste Disposition ueber die Maschine der Komitien und die Moeglichkeit zu verschaffen, den Senat und die Beamten noetigenfalls zu terrorisieren, so fasste doch der Gesetzgeber daneben allerdings auch die Heilung der bestehenden sozialen Schaeden mit Ernst und Nachdruck an. Zwar die italische Domaenenfrage war in gewissem Sinne abgetan. Das Ackergesetz des Tiberius und selbst das Teilungsamt bestanden rechtlich noch fort; das von Gaius durchgebrachte Ackergesetz kann nichts neu festgesetzt haben als die Zurueckgabe der verlorenen Gerichtsbarkeit an die Teilherren. Dass hiermit nur das Prinzip gerettet werden sollte und die Ackerverteilung wenn ueberhaupt, doch nur in sehr beschraenktem Umfang wiederaufgenommen ward, zeigt die Buergerliste, die fuer die Jahre 629 (125) und 639 (115) genau dieselbe Kopfzahl ergibt. Unzweifelhaft ging Gaius hier deshalb nicht weiter, weil das von roemischen Buergern in Besitz genommene Domanialland wesentlich bereits verteilt war, die Frage aber wegen der von den Latinern benutzten Domaenen nur in Verbindung mit der sehr schwierigen ueber die Ausdehnung des Buergerrechts wiederaufgenommen werden durfte. Dagegen tat er einen wichtigen Schritt hinaus ueber das Ackergesetz des Tiberius, indem er die Gruendung von Kolonien in Italien, namentlich in Tarent und vor allem in Capua, beantragte, also auch das von Gemeinde wegen verpachtete, bisher von der Aufteilung ausgeschlossene Domanialland zur Verteilung mitheranzog, und zwar nicht zur Verteilung nach dem bisherigen, die Gruendung neuer Gemeinden ausschliessenden Verfahren, sondern nach dem Kolonialsystem. Ohne Zweifel sollten auch diese Kolonien die Revolution, der sie ihre Existenz verdankten, dauernd verteidigen helfen. Bedeutender und folgenreicher noch war es, dass Gaius Gracchus zuerst dazu schritt, das italische Proletariat in den ueberseeischen Gebieten des Staats zu versorgen, indem er an die Staette, wo Karthago gestanden, 6000 vielleicht nicht bloss aus den roemischen Buergern, sondern auch aus den italischen Bundesgenossen erwaehlte Kolonisten sendete und der neuen Stadt Iunonia das Recht einer roemischen Buergerkolonie verlieh. Die Anlage war wichtig, aber wichtiger noch das damit hingestellte Prinzip der ueberseeischen Emigration, womit fuer das italische Proletariat ein bleibender Abzugskanal und in der Tat eine mehr als provisorische Hilfe eroeffnet, freilich aber auch der Grundsatz des bisherigen Staatsrechts aufgegeben ward, Italien als das ausschliesslich regierende, das Provinzialgebiet als das ausschliesslich regierte Land zu betrachten. Zu diesen auf die grosse Frage hinsichtlich des Proletariats unmittelbar bezueglichen Massregeln kam eine Reihe von Verfuegungen, die hervorgingen aus der allgemeinen Tendenz, gegenueber der altvaeterischen Strenge der bestehenden Verfassung gelindere und zeitgemaessere Grundsaetze zur Geltung zu bringen. Hierher gehoeren die Milderungen im Militaerwesen. Hinsichtlich der Laenge der Dienstzeit bestand nach altem Recht keine andere Grenze, als dass kein Buerger vor vollendetem siebzehnten und nach vollendetem sechsundvierzigsten Jahre zum ordentlichen Felddienst pflichtig war. Als sodann infolge der Besetzung Spaniens der Dienst anfing stehend zu werden, scheint zuerst gesetzlich verfuegt zu sein, dass, wer sechs Jahre hintereinander im Felde gestanden, dadurch zunaechst ein Recht erhalte auf den Abschied, wenngleich dieser vor der Wiedereinberufung den Pflichtigen nicht schuetzte; spaeter, vielleicht um den Anfang dieses Jahrhunderts, kam der Satz auf, dass zwanzigjaehriger Dienst zu Fuss oder zehnjaehriger zu Ross ueberhaupt vom weiteren Kriegsdienst befreie 4. Gracchus erneuerte die vermutlich oefter gewaltsam verletzte Vorschrift, keinen Buerger vor dem begonnenen achtzehnten Jahr in das Heer einzustellen, und beschraenkte auch, wie es scheint, die zur vollen Befreiung von der Militaerpflicht erforderliche Zahl von Feldzuegen; ueberdies wurde den Soldaten die Kleidung, deren Betrag ihnen bisher am Solde gekuerzt worden war, fortan vom Staat unentgeltlich geliefert. ----------------------------------------------- 4 So moechte die Angabe Appians (Hisp. 78), dass sechsjaehriger Dienst berechtige, den Abschied zu fordern, auszugleichen sein mit der bekannteren des Polybios (6, 19), ueber welche Marquardt (Handbuch, Bd. 6, S. 381) richtig urteilt. Die Zeit, wo beide Neuerungen aufkamen, laesst sich nicht weiter bestimmen, als dass die erste wahrscheinlich schon im Jahre 603 (K. W. Nitzsch, Die Gracchen, S. 231), die zweite sicher schon zu Polybios’ Zeit bestand. Dass Gracchus die Zahl der gesetzlichen Dienstjahre herabsetzte, scheint aus Asconius (Corn. p. 68) zu folgen; vgl. Plut. Tib. Gracch. 16; Dio fr. 83; 7 Bekker. --------------------------------------------- Hierher gehoert ferner die mehrfach in der Gracchischen Gesetzgebung hervortretende Tendenz, die Todesstrafe wo nicht abzuschaffen, doch noch mehr, als es schon geschehen war, zu beschraenken, die zum Teil selbst in der Militaergerichtsbarkeit sich geltend macht. Schon seit Einfuehrung der Republik hatte der Beamte das Recht verloren, ueber den Buerger die Todesstrafe ohne Befragung der Gemeinde zu verhaengen ausser nach Kriegsrecht; wenn dies Provokationsrecht des Buergers bald nach der Gracchenzeit auch im Lager anwendbar und das Recht des Feldherrn, Todesstrafen zu vollstrecken, auf Bundesgenossen und Untertanen beschraenkt erscheint, so ist wahrscheinlich die Quelle hiervon zu suchen in dem Provokationsgesetz des Gaius Gracchus. Aber auch das Recht der Gemeinde, die Todesstrafe zu verhaengen oder vielmehr zu bestaetigen, ward mittelbar, aber wesentlich dadurch beschraenkt, dass Gracchus diejenigen gemeinen Verbrechen, die am haeufigsten zu Todesurteilen Veranlassung gaben, Giftmischerei und ueberhaupt Mord, der Buergerschaft entzog und an staendige Kommissionsgerichte ueberwies, welche nicht wie die Volksgerichte durch Einschreiten eines Tribuns gesprengt werden konnten und von denen nicht bloss keine Appellation an die Gemeinde ging, sondern deren Wahrsprueche auch so wenig wie die der althergebrachten Zivilgeschworenen der Kassation durch die Gemeinde unterlagen. Bei den Buergerschaftsgerichten war es, namentlich bei den eigentlich politischen Prozessen, zwar auch laengst Regel, dass der Angeklagte auf freiem Fuss prozessiert und ihm gestattet ward, durch Aufgebung seines Buergerrechts wenigstens Leben und Freiheit zu retten; denn die Vermoegensstrafe so wie die Zivilverurteilung konnten auch den Exilierten noch treffen. Allein vorgaengige Verhaftung und vollstaendige Exekution blieben hier wenigstens rechtlich moeglich und wurden selbst gegen Vornehme noch zuweilen vollzogen, wie zum Beispiel Lucius Hostilius Tubulus, Praetor 612 (142), der wegen eines schweren Verbrechens auf den Tod angeklagt war, unter Verweigerung des Exilrechts festgenommen und hingerichtet ward. Dagegen die aus dem Zivilprozess hervorgegangenen Kommissionsgerichte konnten wahrscheinlich von Haus aus Freiheit und Leben des Buergers nicht antasten und hoechstens auf Verbannung erkennen - diese, bisher eine dem schuldig befundenen Mann gestattete Strafmilderung, ward nun zuerst zur foermlichen Strafe. Auch dieses unfreiwillige Exil liess gleich dem freiwilligen dem Verbannten das Vermoegen, soweit es nicht zur Befriedigung der Ersatzforderungen und in Geldbussen daraufging. Im Schuldwesen endlich hat Gaius Gracchus zwar nichts geneuert; doch behaupten sehr achtbare Zeugen, dass er den verschuldeten Leuten auf Minderung oder Erlass der Forderungen Hoffnung gemacht habe, was, wenn es richtig ist, gleichfalls diesen radikal populaeren Massregeln beizuzaehlen ist. Waehrend Gracchus also sich lehnte auf die Menge, die von ihm eine materielle Verbesserung ihrer Lage teils erwartete, teils empfing, arbeitete er mit gleicher Energie an dem Ruin der Aristokratie. Wohl erkennend, wie unsicher jede bloss auf das Proletariat gebaute Herrschaft des Staatsoberhauptes ist, war er vor allem darauf bedacht, die Aristokratie zu spalten und einen Teil derselben in sein Interesse zu ziehen. Die Elemente einer solchen Spaltung waren vorhanden. Die Aristokratie der Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der Tat aus zwei wesentlich ungleichen Massen, die man einigermassen der Lordsund der Cityaristokratie Englands vergleichen kann. Die eine umfasste den tatsaechlich geschlossenen Kreis der regierenden senatorischen Familien, die der unmittelbaren Spekulation sich fernhielten und ihre ungeheuren Kapitalien teils in Grundbesitz anlegten, teils als stille Gesellschafter bei den grossen Assoziationen verwerteten. Den Kern der zweiten Klasse bildeten die Spekulanten, welche als Geschaeftsfuehrer dieser Gesellschaften oder auf eigene Hand die Grossund Geldgeschaefte im ganzen Umfang der roemischen Hegemonie betrieben. Es ist schon dargestellt worden, wie die letztere Klasse namentlich im Laufe des sechsten Jahrhunderts allmaehlich der senatorischen Aristokratie an die Seite trat und, wie die gesetzliche Ausschliessung der Senatoren von dem kaufmaennischen Betrieb durch den von dem Vorlaeufer der Gracchen Gaius Flaminius veranlassten Claudischen Volksschluss, eine aeussere Scheidewand zwischen den Senatoren und den Kaufund Geldleuten zog. In der gegenwaertigen Epoche beginnt die kaufmaennische Aristokratie unter dem Namen der "Ritterschaft" einen entscheidenden Einfluss auch in politischen Angelegenheiten zu ueben. Diese Bezeichnung, die urspruenglich nur der diensttuenden Buergerreiterei zukam, uebertrug sich allmaehlich, wenigstens im gewoehnlichen Sprachgebrauch, auf alle diejenigen, die als Besitzer eines Vermoegens von mindestens 400000 Sesterzen zum Rossdienst im allgemeinen pflichtig waren, und begriff also die gesamte senatorische und nichtsenatorische vornehme roemische Gesellschaft. Nachdem indes nicht lange vor Gaius Gracchus die Inkompatibilitaet des Sitzes in der Kurie und des Reiterdienstes gesetzlich festgestellt und die Senatoren also aus den Ritterfaehigen ausgeschieden waren, konnte der Ritterstand, im grossen und ganzen genommen, betrachtet werden als im Gegensatz zum Senat die Spekulantenaristokratie vertretend, obwohl die nicht in den Senat eingetretenen, namentlich also die juengeren Glieder der senatorischen Familien nicht aufhoerten, als Ritter zu dienen und also zu heissen, ja die eigentliche Buergerreiterei, das heisst die achtzehn Ritterzenturien, infolge ihrer Zusammensetzung durch die Zensoren, fortfuhren, vorwiegend aus der jungen senatorischen Aristokratie sich zu ergaenzen. Dieser Stand der Ritter, das heisst wesentlich der vermoegenden Kaufleute, beruehrte vielfaeltig sich unsanft mit dem regierenden Senat. Es war eine natuerliche Antipathie zwischen den vornehmen Adligen und den Maennern, denen mit dem Gelde der Rang gekommen war. Die regierenden Herren, vor allem die besseren von ihnen, standen der Spekulation ebenso fern, wie die politischen Fragen und Koteriefehden den Maennern der materiellen Interessen gleichgueltig waren. Jene und diese waren namentlich in den Provinzen schon oefter hart zusammengestossen; denn wenn auch im allgemeinen die Provinzialen weit mehr Grund hatten, sich ueber die Parteilichkeit der roemischen Beamten zu beschweren als die roemischen Kapitalisten, so liessen doch die regierenden Herren vom Senat sich nicht dazu herbei, den Begehrlichkeiten und Unrechtfertigkeiten der Geldmaenner auf Kosten der Untertanen so durchaus und unbedingt die Hand zu leihen, wie es von jenen begehrt ward. Trotz der Eintracht gegen einen gemeinschaftlichen Feind, wie Tiberius Gracchus gewesen war, klaffte zwischen der Adelsund Geldaristokratie ein tief gehender Riss; und geschickter als sein Bruder erweiterte ihn Gaius, bis das Buendnis gesprengt war und die Kaufmannschaft auf seiner Seite stand. Dass die aeusseren Vorrechte, durch die spaeterhin die Maenner von Ritterzensus von der uebrigen Menge sich unterschieden - der goldene Fingerreif statt des gewoehnlichen eisernen oder kupfernen und der abgesonderte und bessere Platz bei den Buergerfesten -, der Ritterschaft zuerst von Gaius Gracchus verliehen worden sind, ist nicht gewiss, aber nicht unwahrscheinlich. Denn aufgekommen sind sie auf jeden Fall um diese Zeit, und wie die Erstreckung dieser bisher im wesentlichen senatorischen Privilegien auf den von ihm emporgehobenen Ritterstand ganz in Gracchus’ Art ist, so war es auch recht eigentlich sein Zweck, der Ritterschaft den Stempel eines zwischen der senatorischen Aristokratie und der gemeinen Menge in der Mitte stehenden, ebenfalls geschlossenen und privilegierten Standes aufzudruecken; und ebendies haben jene Standesabzeichen, wie gering sie an sich auch waren und wie viele Ritterfaehige auch ihrer sich nicht bedienen mochten, mehr gefoerdert als manche an sich weit wichtigere Verordnung. Indes die Partei der materiellen. Interessen, wenn sie dergleichen Ehren auch keineswegs verschmaeht, ist doch dafuer allein nicht zu haben. Gracchus erkannte es wohl, dass sie zwar dem Meistbietenden von Rechts wegen zufaellt, aber es auch eines hohen und reellen Gebotes bedurfte; und so bot er ihr die asiatischen Gefaelle und die Geschworenengerichte. Das System der roemischen Finanzverwaltung, sowohl die indirekten Steuern wie auch die Domanialgefaelle durch Mittelsmaenner zu erheben, gewaehrte an sich schon dem roemischen Kapitalistenstand auf Kosten der Steuerpflichtigen die ausgedehntesten Vorteile. Die direkten Abgaben indes bestanden entweder, wie in den meisten Aemtern, in festen, von den Gemeinden zu entrichtenden Geldsummen, was die Dazwischenkunft roemischer Kapitalisten von selber ausschloss, oder, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Bodenzehnten, dessen Erhebung fuer jede einzelne Gemeinde in den Provinzen selbst verpachtet ward und wobei also regelmaessig die vermoegenden Provinzialen, und sehr haeufig die zehntpflichtigen Gemeinden selbst, den Zehnten ihrer Distrikte pachteten und dadurch die gefaehrlichen roemischen Mittelsmaenner von sich abwehrten. Als sechs Jahre zuvor die Provinz Asia an die Roemer gefallen war, hatte der Senat sie im wesentlichen nach dem ersten System einrichten lassen. Gaius Gracchus 5 stiess diese Verfuegung durch einen Volksschluss um und belastete nicht bloss die bis dahin fast steuerfreie Provinz mit den ausgedehntesten indirekten und direkten Abgaben, namentlich dem Bodenzehnten, sondern er verfuegte auch, dass diese Hebungen fuer die gesamte Provinz und in Rom verpachtet werden sollten - eine Bestimmung, die die Beteiligung der Provinzialen tatsaechlich ausschloss und die in der Mittelsmaennerschaft fuer Zehnten, Hutgeld und Zoelle der Provinz Asia eine Kapitalistenassoziation von kolossaler Ausdehnung ins Leben rief. Charakteristisch fuer Gracchus’ Bestreben, den Kapitalistenstand vom Senat unabhaengig zu machen, ist dabei noch die Bestimmung, dass der voellige oder teilweise Erlass der Pachtsumme nicht mehr, wie bisher, vom Senat nach Ermessen bewilligt werden, sondern unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich eintreten solle. Wenn hier dem Kaufmannsstand eine Goldgrube eroeffnet und in den Mitgliedern der neuen Gesellschaft ein selbst der Regierung imponierender Kern der hohen Finanz, ein "Senat der Kaufmannschaft" konstituiert ward, so ward denselben zugleich in den Geschworenengerichten eine bestimmte oeffentliche Taetigkeit zugewiesen. Das Gebiet des Kriminalprozesses, der von Rechts wegen vor die Buergerschaft gehoerte, war bei den Roemern von Haus aus sehr eng und ward, wie bemerkt, durch Gracchus noch weiter verengt; die meisten Prozesse, sowohl die wegen gemeiner Verbrechen als auch die Zivilsachen, wurden entweder von Einzelgeschworenen oder von teils stehenden, teils ausserordentlichen Kommissionen entschieden. Bisher waren jene und diese ausschliesslich aus dem Senat genommen worden; Gracchus ueberwies sowohl in den eigentlichen Zivilprozessen wie bei den staendigen und nichtstaendigen Kommissionen die Geschworenenfunktionen an den Ritterstand, indem er die Geschworenenlisten nach Analogie der Ritterzenturien aus den saemtlichen ritterfaehigen Individuen jaehrlich neu formieren liess und die Senatoren geradezu, die jungen Maenner der senatorischen Familien durch Festsetzung einer gewissen Altersgrenze von den Gerichten ausschloss 6. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Geschworenenwahl vorwiegend auf dieselben Maenner gelenkt ward, die in den grossen kaufmaennischen Assoziationen namentlich der asiatischen und sonstigen Steuerpaechter die erste Rolle spielten, eben weil diese ein sehr nahes eigenes Interesse daran hatten, in den Gerichten zu sitzen; und fielen also die Geschworenenliste und die Publikanensozietaeten in ihren Spitzen zusammen, so begreift man um so mehr die Bedeutung des also konstituierten Gegensenats. Die wesentliche Folge hiervon war, dass, waehrend bisher es nur zwei Gewalten im Staate gegeben hatte, die Regierung als verwaltende und kontrollierende, die Buergerschaft als legislative Behoerde, die Gerichte aber zwischen beiden geteilt waren, jetzt die Geldaristokratie nicht bloss auf der soliden Basis der materiellen Interessen als festgeschlossene und privilegierte Klasse sich zusammenfand, sondern auch als richtende und kontrollierende Gewalt in den Staat eintrat und der regierenden Aristokratie sich fast ebenbuertig zur Seite stellte. All die alten Antipathien der Kaufleute gegen den Adel mussten fortan in den Wahrspruechen der Geschworenen einen nur zu praktischen Ausdruck finden; vor allen Dingen in den Rechenschaftsgerichten der Provinzialstatthalter hatte der Senator nicht mehr wie bisher von seinesgleichen, sondern von Grosshaendlern und Bankiers die Entscheidung zu erwarten ueber seine buergerliche Existenz. Die Fehden zwischen den roemischen Kapitalisten und den roemischen Statthaltern verpflanzten sich aus der Provinzialverwaltung auf den bedenklichen Boden der Rechenschaftsprozesse. Die Aristokratie der Reichen war nicht bloss gespalten, sondern es war auch dafuer gesorgt, dass der Zwist immer neue Nahrung und leichten Ausdruck fand. ----------------------------------------------------- 5 Dass er und nicht Tiberius der Urheber dieses Gesetzes ist, zeigt jetzt Fronto in den Briefen an Verus z.A. Vgl. Gracchus bei Gell. 11, 10; Cic. rep. 3, 29 und Verr. 3, 6, 12; Vell. 2. 6. 6 Die zunaechst durch diese Veraenderung des Richterpersonals veranlasste neue Gerichtsordnung fuer die staendige Kommission wegen Erpressungen besitzen wir noch zum grossen Teil: sie ist bekannt unter dem Namen des Servilischen oder vielmehr Acilischen Repetundengesetzes. ------------------------------------------------- Mit den also bereiteten Waffen, dem Proletariat und dem Kaufmannsstand, ging Gracchus an sein Hauptwerk, an den Sturz der regierenden Aristokratie. Den Senat stuerzen hiess einerseits durch gesetzliche Neuerungen eine wesentliche Kompetenz ihm entziehen, andererseits durch Massregeln mehr persoenlicher und transitorischer Art die bestehende Aristokratie zugrunde richten. Gracchus hat beides getan. Vor allem die Verwaltung hatte bisher dem Senat ausschliesslich zugestanden; Gracchus nahm sie ihm ab, indem er teils die wichtigsten Administrativfragen durch Komitialgesetze, das heisst tatsaechlich durch tribunizische Machtsprueche entschied, teils in den laufenden Angelegenheiten den Senat moeglichst beschraenkte, teils selbst in der umfassendsten Weise die Geschaefte an sich zog. Die Massregeln der ersten Gattung sind schon erwaehnt: der neue Herr des Staats disponierte, ohne den Senat zu fragen, ueber die Staatskasse, indem er durch die Getreideverteilung den oeffentlichen Finanzen eine dauernde und drueckende Last aufbuerdete, ueber die Domaenen, indem er Kolonien nicht wie bisher nach Senatsund Volks-, sondern allein nach Volksschluss aussandte, ueber die Provinzialverwaltung, indem er die vom Senat der Provinz Asia gegebene Steuerverfassung durch ein Volksgesetz umstiess und eine durchaus andere an deren Stelle setzte. Eines der wichtigsten unter den laufenden Geschaeften des Senats, die willkuerliche Feststellung der jedesmaligen Kompetenz der beiden Konsuln, wurde ihm zwar nicht entzogen, aber der bisher dabei geuebte indirekte Druck auf die hoechsten Beamten dadurch beschraenkt, dass der Senat angewiesen ward, diese Kompetenzen festzustellen, bevor die betreffenden Konsuln gewaehlt seien. Mit beispielloser Taetigkeit endlich konzentrierte Gaius die verschiedenartigsten und verwickeltsten Regierungsgeschaefte in seiner Person: Er selbst ueberwachte die Getreideverteilung, erlas die Geschworenen, gruendete trotz des gesetzlich an die Stadt ihn fesselnden Amtes persoenlich die Kolonien, regulierte das Wegewesen und schloss die Bauvertraege ab, leitete die Senatsverhandlungen, bestimmte die Konsulwahlen - kurz er gewoehnte das Volk daran, dass in allen Dingen ein Mann der erste sei, und verdunkelte die schlaffe und lahme Verwaltung des senatorischen Kollegiums durch sein kraeftiges und gewandtes persoenliches Regiment. Noch energischer als in die Verwaltung griff Gracchus ein in die senatorische Gerichtsallmacht. Dass er die Senatoren als Geschworene beseitigte, ward schon gesagt; dasselbe geschah mit der Jurisdiktion, die der Senat als oberste Verwaltungsbehoerde sich in Ausnahmefaellen gestattete. Bei scharfer Strafe untersagte er, wie es scheint in dem erneuerten Provokationsgesetz 7, die Niedersetzung ausserordentlicher Hochverratskommissionen durch Senatsbeschluss, wie diejenige gewesen war, welche nach seines Bruders Ermordung ueber dessen Anhaenger zu Gericht gesessen hatte. Die Summe dieser Massregeln ist, dass der Senat die Kontrolle ganz verlor und von der Verwaltung nur behielt, was das Staatshaupt ihm zu lassen fuer gut befand. Indes diese konstitutiven Massregeln genuegten nicht; auch der gegenwaertig regierenden Aristokratie wurde unmittelbar zu Leibe gegangen. Ein blosser Akt der Rache war es, dass dem zuletzt erwaehnten Gesetz rueckwirkende Kraft beigelegt und dadurch derjenige Aristokrat, den nach Nasicas inzwischen erfolgtem Tode der Hass der Demokraten hauptsaechlich traf, Publius Popillius, genoetigt ward, das Land zu meiden. Merkwuerdigerweise ging dieser Antrag nur mit achtzehn gegen siebzehn Stimmen in der Bezirksversammlung durch - ein Zeichen, was wenigstens in Fragen persoenlichen Interesses noch der Einfluss der Aristokratie bei der Menge vermochte. Ein aehnliches, aber weit minder zu rechtfertigendes Dekret, den gegen Marcus Octavius gerichteten Antrag, dass, wer durch Volksschluss sein Amt verloren habe, auf immer unfaehig sein solle, einen oeffentlichen Posten zu bekleiden, nahm Gaius zurueck auf Bitten seiner Mutter und ersparte sich damit die Schande, durch die Legalisierung einer notorischen Verfassungsverletzung das Recht offen zu verhoehnen und an einem Ehrenmann, der kein bitteres Wort gegen Tiberius gesprochen und nur der Verfassung und seiner Pflicht, wie er sie verstand, gemaess gehandelt hatte, niedrige Rache zu nehmen. Aber von ganz anderer Wichtigkeit als diese Massregeln war Gaius’ freilich wohl schwerlich zur Ausfuehrung gelangter Plan, den Senat durch 300 neue Mitglieder, das heisst ungefaehr ebenso viele als er bisher hatte, zu verstaerken und diese aus dem Ritterstand durch Komitien waehlen zu lassen - eine Pairskreierung im umfassendsten Stil, die den Senat in die vollstaendigste Abhaengigkeit von dem Staatsoberhaupt gebracht haben wuerde. ------------------------------------------------ 7 Dies und das Gesetz ne quis iudicio circumveniatur duerften identisch sein. ------------------------------------------------ Dies ist die Staatsverfassung, welche Gaius Gracchus entworfen und waehrend der beiden Jahre seines Volkstribunats (631, 632 123, 122) in ihren wesentlichsten Punkten durchgefuehrt hat, soweit wir sehen, ohne auf irgendeinen nennenswerten Widerstand zu stossen und ohne zur Erreichung seiner Zwecke Gewalt anwenden zu muessen. Die Reihenfolge, in der die Massregeln durchgebracht sind, laesst in der zerruetteten Ueberlieferung sich nicht mehr erkennen, und auf manche naheliegende Frage muessen wir die Antwort schuldig bleiben; es scheint indes nicht, dass uns mit dem Fehlenden sehr wesentliche Momente entgangen sind, da ueber die Hauptsachen vollkommen sichere Kunde vorliegt und Gaius keineswegs wie sein Bruder durch den Strom der Ereignisse weiter und weiter gedraengt ward, sondern offenbar einen wohl ueberlegten, umfassenden Plan in einer Reihe von Spezialgesetzen im wesentlichen vollstaendig realisierte. Dass nun Gaius Gracchus keineswegs, wie viele gutmuetige Leute in alter und neuer Zeit gemeint haben, die roemische Republik auf neue demokratische Basen stellen, sondern vielmehr sie abschaffen und in der Form eines durch stehende Wiederwahl lebenslaenglich und durch unbedingte Beherrschung der formell souveraenen Komitien absolut gemachten Amtes, eines unumschraenkten Volkstribunats auf Lebenszeit, anstatt der Republik die Tyrannis, das heisst nach heutigem Sprachgebrauch die nicht feudalistische und nicht theokratische, die napoleonisch absolute Monarchie einfuehren wollte, das offenbart die Sempronische Verfassung selbst mit voller Deutlichkeit einem jeden, der Augen hat und haben will. In der Tat, wenn Gracchus, wie seine Worte deutlich und deutlicher seine Werke es sagen, den Sturz des Senatsregiments bezweckte, was blieb in einem Gemeinwesen, das ueber die Urversammlungen hinaus und fuer das der Parlamentarismus nicht vorhanden war, nach dem Sturz des aristokratischen Regiments fuer eine andere politische Ordnung moeglich als die Tyrannis? Traeumer, wie sein Vorgaenger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit herauffuehrte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann, und wenn auch die Formulierung, die der grosse Mann fuer sein grosses Werk bei sich selber aufstellte, uns nicht ueberliefert und in sehr verschiedener Weise denkbar ist, so wusste er doch unzweifelhaft, was er tat. Sowenig die beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen laesst, so wenig wird, wer die Verhaeltnisse uebersieht, den Gracchus deswegen tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein grosses Unglueck fuer die Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der Nation statt des groesseren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaftlich ernste und allem Gemeinen so fernstehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichtsdestoweniger darf sie es nicht verschweigen, dass durch die ganze Gesetzgebung desselben eine Zwiespaeltigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andererseits den persoenlichen Zwecken, ja der persoenlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war ernstlich bemueht, fuer die sozialen Schaeden eine Abhilfe zu finden und dem einreissenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich durch seine Getreideverteilungen, die fuer alles arbeitsscheue hungernde Buergergesindel eine Praemie werden sollten und wurden, ein hauptstaedtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich gross. Gracchus tadelte mit den bittersten Worten die Feilheit des Senats und deckte namentlich den skandaloesen Schacher, den Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Provinzen getrieben, mit schonungsloser und gerechter Strenge auf 8. Aber es war desselben Mannes Werk, dass der souveraene Poebel der Hauptstadt fuer seine Regierungssorgen sich on der Untertanenschaft alimentieren liess. Gracchus missbilligte lebhaft die schaendliche Auspluenderung der Provinzen und veranlasste nicht bloss, dass in einzelnen Faellen mit heilsamer Strenge eingeschritten ward, sondern auch die Abschaffung der durchaus unzureichenden senatorischen Gerichte, vor denen selbst Scipio Aemilianus, um die entschiedensten Frevler zur Strafe zu ziehen, sein ganzes Ansehen vergeblich eingesetzt hatte. Dennoch ueberlieferte er zugleich durch die Einfuehrung der Kaufmannsgerichte die Provinzialen mit gebundenen Haenden der Partei der materiellen Interessen und damit einer noch ruecksichtsloseren Despotie, als die aristokratische gewesen war, und fuehrte in Asia eine Besteuerung ein, gegen welche selbst die nach karthagischem Muster in Sizilien geltende Steuerverfassung gelind und menschlich heissen konnte - beides, weil er teils der Partei der Geldmaenner, teils fuer seine Getreideverteilungen und die sonstigen den Finanzen neu aufgebuerdeten Lasten neuer und umfassender Hilfsquellen bedurfte. Gracchus wollte ohne Zweifel eine feste Verwaltung und eine geordnete Rechtspflege, wie zahlreiche durchaus zweckmaessige Anordnungen bezeugen; dennoch beruht sein neues Verwaltungssystem auf einer fortlaufenden Reihe einzelner, nur formell legalisierter Usurpationen; dennoch zog er das Gerichtswesen, das jeder geordnete Staat, soweit irgend moeglich, zwar nicht ueber die politischen Parteien, aber doch ausserhalb derselben zu stellen bemueht sein wird, absichtlich mitten in den Strudel der Revolution. Allerdings faellt die Schuld dieser Zwiespaeltigkeit in Gaius Gracchus’ Tendenzen zu einem sehr grossen Teil mehr auf die Stellung als auf die Person. Gleich hier an der Schwelle der Tyrannis entwickelt sich das verhaengnisvolle sittlich-politische Dilemma, dass derselbe Mann zugleich, man moechte sagen, als Raeuberhauptmann sich behaupten und als der erste Buerger den Staat leiten soll; ein Dilemma, dem auch Perikles, Caesar, Napoleon bedenkliche Opfer haben bringen muessen. Indes ganz laesst sich Gaius Gracchus’ Verfahren aus dieser Notwendigkeit nicht erklaeren; es wirkt daneben in ihm die verzehrende Leidenschaft, die gluehende Rache, die, den eigenen Untergang voraussehend, den Feuerbrand schleudert in das Haus des Feindes. Er selber hat es ausgesprochen, wie er ueber seine Geschworenenordnung und aehnliche auf die Spaltung der Aristokratie abzweckende Massregeln dachte; Dolche nannte er sie, die er auf den Markt geworfen, damit die Buerger - die vornehmen, versteht sich - mit ihnen sich untereinander zerfleischen moechten. Er war ein politischer Brandstifter; nicht bloss die hundertjaehrige Revolution, die von ihm datiert, ist, soweit sie eines Menschen Werk ist, das Werk des Gaius Gracchus, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes entsetzlichen, von oben herab beschmeichelten und besoldeten hauptstaedtischen Proletariats, das durch seine aus den Getreidespenden von selber folgende Vereinigung in der Hauptstadt teils vollstaendig demoralisiert, teils seiner Macht sich bewusst ward und mit seinen bald pinselhaften, bald buebischen Anspruechen und seiner Fratze von Volkssouveraenitaet ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem roemischen Gemeinwesen lastend nur mit diesem zugleich unterging. Und doch - dieser groesste der politischen Verbrecher ist auch wieder der Regenerator seines Landes. Es ist kaum ein konstruktiver Gedanke in der roemischen Monarchie, der nicht zurueckreichte bis auf Gaius Gracchus. Von ihm ruehrt der wohl in gewissem Sinne im Wesen des althergebrachten Kriegsrechts begruendete, aber in dieser Ausdehnung und in dieser praktischen Anwendung doch dem aelteren Staatsrecht fremde Satz her, dass aller Grund und Boden der untertaenigen Gemeinden als Privateigentum des Staats anzusehen sei - ein Satz, der zunaechst benutzt ward, um dem Staat das Recht zu vindizieren, diesen Boden beliebig zu besteuern, wie es in Asien, oder auch zur Anlegung von Kolonien zu verwenden, wie es in Afrika geschah, und der spaeterhin ein fundamentaler Rechtssatz der Kaiserzeit ward. Von ihm ruehrt die Taktik der Demagogen und Tyrannen her, auf die materiellen Interessen sich stuetzend die regierende Aristokratie zu sprengen, ueberhaupt aber durch eine strenge und zweckmaessige Administration anstatt des bisherigen Missregiments die Verfassungsaenderung nachtraeglich zu legitimieren. Auf ihn gehen vor allem zurueck die Anfaenge einer Ausgleichung zwischen Rom und den Provinzen, wie sie die Herstellung der Monarchie unvermeidlich mit sich bringen musste; der Versuch, das durch die italische Rivalitaet zerstoerte Karthago wiederaufzubauen und ueberhaupt der italischen Emigration den Weg in die Provinzen zu eroeffnen, ist das erste Glied in der langen Kette dieser folgenund segensreichen Entwicklung. Es sind in diesem seltenen Mann und in dieser wunderbaren politischen Konstellation Recht und Schuld, Glueck und Unglueck so ineinander verschlungen, dass es hier sich wohl ziemen mag, was der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urteil zu verstummen. ------------------------------------------- 8 Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der Einziehung des Attalischen Reiches von Manius Aquillius den Koenigen von Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren durch Mehrgebot erstanden ward, bezieht sich ein noch vorhandenes laengeres Redebruchstueck des Gracchus. Er bemerkt darin, dass von den Senatoren keiner umsonst sich um die oeffentlichen Angelegenheiten bekuemmere, und fuegt hinzu: in Beziehung auf das in Rede stehende Gesetz (ueber die Verleihung Phrygiens an Koenig Mithradates) teile der Senat sich in drei Klassen: solcher, die dafuer seien, solcher, die dagegen seien, und solcher, die stillschwiegen - die ersten seien bestochen von Koenig Mithradates, die zweiten von Koenig Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn diese liessen sich von den Gesandten beider Koenige bezahlen und jede Partei glauben, dass in ihrem Interesse geschwiegen werde. -------------------------------------------------------- Als Gracchus die von ihm entworfene neue Staatsverfassung wesentlich vollendet hatte, legte er Hand an ein zweites und schwierigeres Werk. Noch schwankte die Frage hinsichtlich der italischen Bundesgenossen. Wie die Fuehrer der demokratischen Partei darueber dachten, hatte sich sattsam gezeigt; sie wuenschten natuerlich die moeglichste Ausdehnung des roemischen Buergerrechts, nicht bloss, um die von den Latinern okkupierten Domaenen zur Verteilung bringen zu koennen, sondern vor allem, um mit der ungeheuren Masse der Neubuerger ihre Klientel zu verstaerken, um die Komitialmaschine durch immer weitere Ausdehnung der berechtigten Waehlerschaft immer vollstaendiger in ihre Gewalt zu bringen, ueberhaupt um einen Unterschied zu beseitigen, der mit dem Sturz der republikanischen Verfassung ohnehin jede ernstliche Bedeutung verlor. Allein hier stiessen sie auf Widerstand bei ihrer eigenen Partei und vornehmlich bei derjenigen Bande, die sonst bereitwillig zu allem, was sie verstand und nicht verstand, ihr souveraenes Ja gab; aus dem einfachen Grunde, dass diesen Leuten das roemische Buergerrecht sozusagen wie eine Aktie erschien, die ihnen Anspruch gab auf allerlei sehr handgreifliche direkte und indirekte Gewinnanteile, sie also ganz und gar keine Lust hatten, die Zahl der Aktionaere zu vermehren. Die Verwerfung des Fulvischen Gesetzes im Jahre 629 (125) und der daraus entsprungene Aufstand der Fregellaner waren warnende Zeichen sowohl, der eigensinnigen Beharrlichkeit der die Komitien beherrschenden Fraktion der Buergerschaft als auch des ungeduldigen Draengens der Bundesgenossen. Gegen das Ende seines zweiten Tribunats (632 122) wagte Gracchus, wahrscheinlich durch uebernommene Verpflichtungen gegen die Bundesgenossen gedraengt, einen zweiten Versuch; in Gemeinschaft mit Marcus Flaccus, der, obwohl Konsular, um das frueher von ihm ohne Erfolg beantragte Gesetz jetzt durchzubringen, wiederum das Volkstribunat uebernommen hatte, stellte er den Antrag, den Latinern das volle Buerger-, den uebrigen italischen Bundesgenossen das bisherige Recht der Latiner zu gewaehren. Allein der Antrag stiess auf die vereinigte Opposition des Senats und des hauptstaedtischen Poebels; welcher Art diese Koalition war und wie sie focht, zeigt scharf und bestimmt ein aus der Rede, die der Konsul Gaius Fannius vor der Buergerschaft gegen den Antrag hielt, zufaellig erhaltenes Bruchstueck. "So meint ihr also", sprach der Optimat, "wenn ihr den Latinern das Buergerrecht erteilt, eben wie ihr jetzt dort vor mir steht, auch kuenftig in der Buergerversammlung oder bei den Spielen und Volkslustbarkeiten Platz finden zu koennen? Glaubt ihr nicht vielmehr, dass jene Leute jeden Fleck besetzen werden?" Bei der Buergerschaft des fuenften Jahrhunderts, die an einem Tage allen Sabinern das Buergerrecht verlieh, haette ein solcher Redner wohl moegen ausgezischt werden: die des siebenten fand seine Gruende ungemein einleuchtend und den von Gracchus ihr gebotenen Preis der Assignation der latinischen Domaenen weitaus zu niedrig. Schon dass der Senat es durchsetzte, die saemtlichen Nichtbuerger vor dem entscheidenden Abstimmungstag aus der Stadt weisen zu duerfen, zeigte das Schicksal, das dem Antrag selbst bevorstand. Als dann vor der Abstimmung ein Kollege des Gracchus, Livius Drusus, gegen das Gesetz einschritt, nahm das Volk dieses Veto in einer Weise auf, dass Gracchus nicht wagen konnte, weiterzugehen oder gar dem Drusus das Schicksal des Marcus Octavius zu bereiten. Es war, wie es scheint, dieser Erfolg, der dem Senat den Mut gab, den Sturz des siegreichen Demagogen zu versuchen. Die Angriffsmittel waren wesentlich dieselben, mit denen frueher Gracchus selbst operiert hatte. Gracchus’ Macht ruhte auf der Kaufmannschaft und dem Proletariat, zunaechst auf dem letzteren, das in diesem Kampf, in welchem militaerischer Rueckhalt beiderseits nicht vorhanden war, gleichsam die Rolle der Armee spielte. Es war einleuchtend, dass der Senat weder der Kaufmannschaft noch dem Proletariat ihre neuen Rechte abzuzwingen maechtig genug war; jeder Versuch, die Getreidegesetze oder die neue Geschworenenordnung anzugreifen, haette, in etwas plumperer oder etwas zivilisierterer Form, zu einem Strassenkrawall gefuehrt, dem der Senat voellig wehrlos gegenueberstand. Allein es war nicht minder einleuchtend, dass Gracchus selbst und diese Kaufleute und Proletarier einzig zusammengehalten wurden durch den gegenseitigen Vorteil, und dass sowohl die Maenner der materiellen Interessen ihre Posten als der eigentliche Poebel sein Brotkorn ebenso von jedem andern zu nehmen bereit waren wie von Gaius Gracchus. Gracchus’ Institutionen standen, fuer den Augenblick wenigstens, unerschuetterlich fest mit Ausnahme einer einzigen: seiner eigenen Oberhauptschaft. Die Schwaeche dieser lag darin, dass in Gracchus’ Verfassung zwischen Haupt und Heer schlechterdings ein Treuverhaeltnis nicht bestand und in der neuen Verfassung wohl alle anderen Elemente der Lebensfaehigkeit vorhanden waren, nur ein einziges nicht: das sittliche Band zwischen Herrscher und Beherrschten, ohne das jeder Staat auf toenernen Fuessen steht. In der Verwerfung des Antrags, die Latiner in den Buergerverband aufzunehmen, war es mit schneidender Deutlichkeit zu Tage gekommen, dass die Menge in der Tat niemals fuer Gracchus stimmte, sondern immer nur fuer sich; die Aristokratie entwarf den Plan, dem Urheber der Getreidespenden und Landanweisungen auf seinem eigenen Boden die Schlacht anzubieten. Es versteht sich von selbst, dass der Senat dem Proletariat nicht bloss das gleiche bot, was Gracchus ihm an Getreide und sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr. Im Auftrag des Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor, den Gracchischen Landempfaengern den auferlegten Zins zu erlassen und ihre Landlose fuer freies und veraeusserungsfaehiges Eigentum zu erklaeren; ferner, statt in den ueberseeischen, das Proletariat zu versorgen in zwoelf italischen Kolonien, jede von 3000 Kolonisten, zu deren Ausfuehrung das Volk die geeigneten Maenner ernennen moege; nur Drusus selbst verzichtete - im Gegensatz gegen das Gracchische Familienkollegium - auf jegliche Teilnahme an diesem ehrenvollen Geschaeft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen haetten, wurden vermutlich die Latiner genannt, denn anderes okkupiertes Domanialland von einigem Umfang als das von ihnen benutzte scheint nicht mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne Verfuegungen des Drusus, wie die Bestimmung, dass dem latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem roemischen Offizier Stockpruegel sollten zuerkannt werden duerfen, die allem Anschein nach den Zweck hatten, die Latiner fuer andere Verluste zu entschaedigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die Konkurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das Bestreben, das schoene Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere gemeinschaftliche Tyrannisierung der Latiner noch enger zu ziehen, die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die italischen Domaenen in der Hauptsache schon weggegeben waren - auch wenn man die gesamten, den Latinern ueberwiesenen konfiszierte -, das fuer zwoelf neu zu bildende, zahlreiche und geschlossene Buergerschaften erforderliche, okkupierte Domanialland eigentlich belegen sein moege, endlich Drusus’ Erklaerung, dass er mit der Ausfuehrung seines Gesetzes nichts zu tun haben wolle, so verwuenscht gescheit, dass sie beinahe herzlich albern war. Indes fuer das plumpe Wild, das man fangen wollte, war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht entscheidend, dass Gracchus, auf dessen persoenlichen Einfluss alles ankam, eben damals in Afrika die karthagische Kolonie einrichtete und sein Stellvertreter in der Hauptstadt, Marcus Flaccus, durch sein heftiges und ungeschicktes Auftreten den Gegnern in die Haende arbeitete. Das "Volk" ratifizierte demnach die Livischen Gesetze ebenso bereitwillig wie frueher die Sempronischen. Es vergalt sodann dem neuesten Wohltaeter wie ueblich dadurch, dass es dem frueheren einen maessigen Tritt versetzte und, als dieser sich fuer das Jahr 633 (121) zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wiederwaehlte; wobei uebrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus frueher beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. Damit brach die Grundlage seiner Machthaberschaft unter ihm zusammen. Ein zweiter Schlag traf ihn durch die Konsulwahlen, die nicht bloss im allgemeinen gegen die Demokratie ausfielen, sondern durch welche in Lucius Opimius der Mann, der als Praetor 629 (125) Fregellae erobert hatte, an die Spitze des Staates gestellt ward, eines der entschiedensten und am wenigsten bedenklichen Haeupter der strengen Adelspartei, ein Mann fest entschlossen, den gefaehrlichen Gegner bei erster Gelegenheit zu beseitigen. Sie fand sich bald. Am 10. Dezember 632 (122) hoerte Gracchus auf, Volkstribun zu sein; am 1. Januar 633 (121) trat Opimius sein Amt an. Der erste Angriff traf wie billig die nuetzlichste und die unpopulaerste Massregel des Gracchus, die Wiederherstellung von Karthago. Hatte man bisher die ueberseeischen Kolonien nur mittelbar durch die lockenderen italischen angegriffen, so wuehlten jetzt afrikanische Hyaenen die neugesetzten karthagischen Grenzsteine auf, und die roemischen Pfaffen bescheinigten auf Verlangen, dass solches Wunder und Zeichen ausdruecklich warnen solle vor dem Wiederaufbau der gottverfluchten Staette. Der Senat fand dadurch sich in seinem Gewissen gedrungen, ein Gesetz vorschlagen zu lassen, das die Ausfuehrung der Kolonie Iunonia untersagte. Gracchus, der mit den andern zur Anlegung derselben ernannten Maennern eben damals die Kolonisten auslas, erschien an dem Tag der Abstimmung auf dem Kapitol, wohin die Buergerschaft berufen war, um mit seinem Anhang die Verwerfung des Gesetzes zu bewirken. Gewalttaetigkeiten wuenschte er zu vermeiden, um den Gegnern nicht den Vorwand, den sie suchten, selbst an die Hand zu geben; indes hatte er nicht wehren koennen, dass ein grosser Teil seiner Getreuen, der Katastrophe des Tiberius sich erinnernd und wohl bekannt mit den Absichten der Aristokratie, bewaffnet sich einfand, und bei der ungeheuren Aufregung auf beiden Seiten waren Haendel kaum zu vermeiden. In der Halle des Kapitolinischen Tempels verrichtete der Konsul Lucius Opimius das uebliche Brandopfer; einer der ihm dabei behilflichen Gerichtsdiener, Quintus Antullius, herrschte, die heiligen Eingeweide in der Hand, die "schlechten Buerger" an, die Halle zu raeumen, und schien sogar an Gaius selbst Hand legen zu wollen; worauf ein eifriger Gracchaner das Schwert zog und den Menschen niederstiess. Es entstand ein furchtbarer Laerm. Gracchus suchte vergeblich zum Volk zu sprechen und die Urheberschaft der gotteslaesterlichen Mordtat von sich abzulehnen; er lieferte den Gegnern nur einen formalen Anklagegrund mehr, indem er, ohne dessen in dem Getuemmel gewahr zu werden, einem eben zum Volk sprechenden Tribun in die Rede fiel, worauf ein verschollenes Statut aus der Zeit des alten Staendehaders die schwerste Strafe gesetzt hatte. Der Konsul Lucius Opimius traf seine Massregeln, um den Aufstand zum Sturz der republikanischen Verfassung, wie man die Vorgaenge dieses Tages zu bezeichnen beliebte, mit bewaffneter Hand zu unterdruecken. Er selbst durchwachte die Nacht im Kastortempel am Markte; mit dem fruehesten Morgen fuellte das Kapitol sich mit kretischen Bogenschuetzen, Rathaus und Markt mit den Maennern der Regierungspartei, den Senatoren und der ihnen anhaengigen Fraktion der Ritterschaft, welche auf Geheiss des Konsuls saemtlich bewaffnet und jeder von zwei bewaffneten Sklaven begleitet sich eingefunden hatten. Es fehlte keiner von der Aristokratie; selbst der ehrwuerdige, hochbejahrte und der Reform wohlgeneigte Quintus Metellus war mit Schild und Schwert erschienen. Ein tuechtiger und in den spanischen Kriegen erprobter Offizier, Decimus Brutus, uebernahm das Kommando der bewaffneten Macht; der Rat trat in der Kurie zusammen. Die Bahre mit der Leiche des Gerichtsdieners ward vor der Kurie niedergesetzt; der Rat gleichsam ueberrascht, erschien in Masse an der Tuer, um die Leiche in Augenschein zu nehmen, und zog sich sodann wieder zurueck, um das weitere zu beschliessen. Die Fuehrer der Demokratie hatten sich vom Kapitol in ihre Haeuser begeben; Marcus Flaccus hatte die Nacht damit zugebracht, zum Strassenkrieg zu ruesten, waehrend Gracchus es zu verschmaehen schien, mit dem Verhaengnis zu kaempfen. Als man am andern Morgen die auf dem Kapitol und dem Markt getroffenen Anstalten der Gegner erfuhr, begaben beide sich auf den Aventin, die alte Burg der Volkspartei in den Kaempfen der Patrizier und Plebejer. Schweigend und unbewaffnet ging Gracchus dorthin; Flaccus rief die Sklaven zu den Waffen und verschanzte sich im Tempel der Diana, waehrend er zugleich seinen juengeren Sohn Quintus in das feindliche Lager sandte, um womoeglich einen Vergleich zu vermitteln. Dieser kam zurueck mit der Meldung, dass die Aristokratie unbedingte Ergebung verlange; zugleich brachte er die Ladung des Senats an Gracchus und Flaccus, vor demselben zu erscheinen und wegen Verletzung der tribunizischen Majestaet sich zu verantworten. Gracchus wollte der Vorladung folgen, allein Flaccus hinderte ihn daran und wiederholte stattdessen den ebenso verkehrten wie schwaechlichen Versuch, solche Gegner zu einem Vergleich zu bestimmen. Als statt der beiden vorgeladenen Fuehrer bloss der junge Quintus Flaccus abermals sich einstellte, behandelte der Konsul die Weigerung jener, sich zu stellen, als den Anfang der offenen Insurrektion gegen die Regierung; er liess den Boten verhaften und gab das Zeichen zum Angriff auf den Aventin, indem er zugleich in den Strassen ausrufen liess, dass dem, der das Haupt des Gracchus oder des Flaccus bringe, die Regierung dasselbe buchstaeblich mit Gold aufwiegen werde, sowie dass sie jedem, der vor dem Beginn des Kampfs den Aventin verlasse, volle Straflosigkeit gewaehrleiste. Die Reihen auf dem Aventin lichteten sich schnell; der tapfere Adel im Verein mit den Kretern und den Sklaven erstuermte den fast unverteidigten Berg und erschlug, wen er vorfand, bei 250 meist geringe Leute. Marcus Flaccus fluechtete mit seinem aeltesten Sohn in ein Versteck, wo sie bald nachher aufgejagt und niedergemacht wurden. Gracchus hatte, als das Gefecht begann, sich in den Tempel der Minerva zurueckgezogen und wollte hier sich mit dem Schwerte durchbohren, als sein Freund Publius Laetorius ihm in den Arm fiel und ihn beschwor, womoeglich sich fuer bessere Zeiten zu erhalten. Gracchus liess sich bewegen, einen Versuch zu machen, nach dem andern Ufer des Tiber zu entkommen; allein den Berg hinabeilend stuerzte er und verstauchte sich den Fuss. Ihm Zeit zum Entrinnen zu geben, warfen seine beiden Begleiter, Marcus Pomponius an der Porta Trigemina unter dem Aventin, Publius Laetorius auf der Tiberbruecke, da wo einst Horatius Cocles allein gegen das Etruskerheer gestanden haben sollte, den Verfolgern sich entgegen und liessen sich niedermachen; so gelangte Gracchus, nur von seinem Sklaven Euporus begleitet, in die Vorstadt am rechten Ufer des Tiber. Hier im Hain der Furrina fand man spaeter die beiden Leichen; es schien, als habe der Sklave zuerst dem Herrn und dann sich selber den Tod gegeben. Die Koepfe der beiden gefallenen Fuehrer wurden der Regierung, wie befohlen, eingehaendigt, auch dem Ueberbringer des Kopfes des Gracchus, einem vornehmen Mann, Lucius Septumuleius, der bedungene Preis und darueber ausgezahlt, dagegen die Moerder des Flaccus, geringe Leute, mit leeren Haenden fortgeschickt. Die Koerper der Getoeteten wurden in den Fluss geworfen, die Haeuser der Fuehrer zur Pluenderung der Menge preisgegeben. Gegen die Anhaenger des Gracchus begann der Prozesskrieg im grossartigsten Stil; bis 3000 derselben sollen im Kerker aufgeknuepft worden sein, unter ihnen der achtzehnjaehrige Quintus Flaccus, der an dem Kampf nicht teilgenommen hatte und wegen seiner Jugend und seiner Liebenswuerdigkeit allgemein bedauert ward. Auf dem Freiplatz unter dem Kapitol, wo der nach wiederhergestelltem innerem Frieden von Camillus geweihte Altar und andere, bei aehnlichen Veranlassungen errichtete Heiligtuemer der Eintracht sich befanden, wurden diese kleinen Kapellen niedergerissen und aus dem Vermoegen der getoeteten oder verurteilten Hochverraeter, das bis auf die Mitgift ihrer Frauen hin konfisziert ward, nach Beschluss des Senats von dem Konsul Lucius Opimius ein neuer glaenzender Tempel der Eintracht mit dazugehoeriger Halle errichtet - allerdings war es zeitgemaess, die Zeichen der alten Eintracht zu beseitigen und eine neue zu inaugurieren ueber den Leichen der drei Enkel des Siegers von Zama, die nun alle, zuerst Tiberius Gracchus, dann Scipio Aemilianus, endlich der juengste und gewaltigste von ihnen, Gaius Gracchus, von der Revolution verschlungen worden waren. Der Gracchen Andenken blieb offiziell geaechtet; nicht einmal das Trauergewand durfte Cornelia um den Tod ihres letzten Sohnes anlegen. Allein die leidenschaftliche Anhaenglichkeit, die gar viele im Leben fuer die beiden edlen Brueder und vornehmlich fuer Gaius empfunden hatten, zeigte sich in ruehrender Weise auch nach ihrem Tode in der fast religioesen Verehrung, die die Menge ihrem Andenken und an den Staetten, wo sie gefallen waren, allen polizeilichen Vorkehrungen zum Trotz fortfuhr zu zollen. 4. Kapitel Die Restaurationsherrschaft Das neue Gebaeude, das Gaius Gracchus aufgefuehrt hatte, war mit seinem Tode eine Ruine. Wohl war sein Tod wie der seines Bruders zunaechst nichts als ein Akt der Rache; allein es war doch zugleich ein sehr wesentlicher Schritt zur Restauration der alten Verfassung, dass aus der Monarchie, eben da sie im Begriff war, sich zu begruenden, die Person des Monarchen beseitigt ward; und in diesem Falle um so mehr, weil nach der Katastrophe des Gaius und dem gruendlichen Opimischen Blutgericht im Augenblick schlechterdings niemand vorhanden war, der, sei es durch Blutsverwandtschaft mit dem gefallenen Staatsoberhaupt, sei es durch ueberwiegende Faehigkeit, auch nur zu einem Versuch, den erledigten Platz einzunehmen, sich legitimiert gefuehlt haette. Gaius war ohne Kinder aus der Welt gegangen, und auch Tiberius’ hinterlassener Knabe starb, bevor er zu seinen Jahren kam; die ganze sogenannte Volkspartei war buchstaeblich ohne irgendeinen auch nur namhaft zu machenden Fuehrer. Die Gracchische Verfassung glich einer Festung ohne Kommandanten; Mauern und Besatzung waren unversehrt, aber der Feldherr fehlte, und es war niemand vorhanden, der an den leeren Platz sich haette setzen moegen als eben die gestuerzte Regierung. So kam es denn auch. Nach Gaius Gracchus’ erblosem Abgang stellte das Regiment des Senats gleichsam von selber sich wieder her; und es war dies um so natuerlicher, als dasselbe von dem Tribun nicht eigentlich formell abgeschafft, sondern nur durch die von ihm ausgehenden Ausnahmehandlungen tatsaechlich zunichte gemacht worden war. Dennoch wuerde man sehr irren, wenn man in dieser Restauration nichts weiter sehen wollte als ein Zurueckgleiten der Staatsmaschine in das alte, seit Jahrhunderten befahrene und ausgefahrene Geleise. Restauration ist immer auch Revolution; in diesem Falle aber ward nicht so sehr das alte Regiment restauriert als der alte Regent. Die Oligarchie erschien neu geruestet in dem Heerzeug der gestuerzten Tyrannis; wie der Senat den Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so fuhr er auch fort, in den wesentlichsten Stuecken mit der Verfassung der Gracchen zu regieren, allerdings mit dem Hintergedanken, sie seiner Zeit wo nicht ganz zu beseitigen, doch gruendlich zu reinigen von den der regierenden Aristokratie in der Tat feindlichen Elementen. Fuers erste reagierte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius Popillius nach Kassierung der ihn betreffenden Verfuegungen aus der Verbannung zurueck (633 121) und machte den Gracchanern den Prozesskrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei, den Lucius Opimius nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrats zur Verurteilung zu bringen, von der Regierungspartei vereitelt ward (634 120). Es ist fuer den Charakter dieser Restaurationsregierung bezeichnend, wie die Aristokratie an Gesinnungstuechtigkeit fortschritt. Gaius Carbo, einst Bundesgenosse der Gracchen, hatte seit langem sich bekehrt und noch kuerzlich als Verteidiger des Opimius seinen Eifer und seine Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Ueberlaeufer; als gegen ihn von den Demokraten die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, liess ihn die Regierung nicht ungern fallen, und Carbo, zwischen beiden Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So erwiesen die Maenner der Reaktion in Personenfragen sich als lautere Aristokraten. Dagegen die Getreideverteilungen, die Besteuerung der Provinz Asia, die Gracchische Geschworenenund Gerichtsordnung griff die Reaktion zunaechst nicht an und scho nte nicht bloss die Kaufmannschaft und das hauptstaedtische Proletariat, sondern huldigte, wie bereits bei der Einbringung der Livischen Gesetze, so auch ferner diesen Maechten und vor allem dem Proletariat noch weit entschiedener, als die Gracchen dies getan hatten. Es geschah dies nicht bloss, weil die Gracchische Revolution in den Gemuetern der Zeitgenossen noch lange nachzitterte und ihre Schoepfungen schuetzte: die Hegung und Pflegung wenigstens der Poebelinteressen vertrug sich in der Tat aufs vollkommenste mit dem eigenen Vorteil der Aristokratie, und es ward dabei nichts weiter geopfert als bloss das gemeine Beste. Alle diejenigen Massregeln, die von Gaius Gracchus zur Foerderung des oeffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich begreiflicherweise auch den unpopulaersten Teil seiner Gesetzgebung, liess die Aristokratie fallen. Nichts wurde so rasch und so erfolgreich angegriffen wie der grossartigste seiner Entwuerfe: der Plan, zunaechst die roemische Buergerschaft und Italien, sodann Italien und die Provinzen rechtlich gleichzustellen und, indem also der Unterschied zwischen bloss herrschenden und zehrenden und bloss dienenden und arbeitenden Staatsangehoerigen weggeraeumt ward, zugleich durch die umfassendste und systematischste Emigration, die die Geschichte kennt, die soziale Frage zu loesen. Mit der ganzen Verbissenheit und dem ganzen graemlichen Eigensinn der Altersschwaeche draengte die restaurierte Oligarchie den Grundsatz der abgelebten Geschlechter, dass Italien das herrschende Land und Rom in Italien die herrschende Stadt bleiben muesse, der Gegenwart aufs neue auf. Schon bei Lebzeiten des Gracchus war die Zurueckweisung der italischen Bundesgenossen eine vollendete Tatsache und war gegen den grossen Gedanken der ueberseeischen Kolonisation ein sehr ernsthafter Angriff gerichtet worden, der die naechste Ursache zu Gracchus’ Untergang geworden war. Nach seinem Tode wurde der Plan der Wiederherstellung Karthagos mit leichter Muehe von der Regierungspartei beseitigt, obgleich die einzelnen daselbst schon verteilten Landlose den Empfaengern geblieben sind. Zwar dass der demokratischen Partei auf einem andern Punkte eine aehnliche Gruendung gelang, konnte sie nicht wehren: im Verlauf der Eroberungen jenseits der Alpen, welche Marcus Flaccus begonnen hatte, wurde daselbst im Jahre 636 (118) die Kolonie Narbo (Narbonne) begruendet, die aelteste ueberseeische Buergerstadt im Roemischen Reiche, welche trotz vielfacher Anfechtungen der Regierungspartei, trotz des geradezu auf Aufhebung derselben vom Senat gestellten Antrags dennoch, geschuetzt wahrscheinlich durch die beteiligten kaufmaennischen Interessen, dauernden Bestand gehabt hat. Indes abgesehen von dieser, in ihrer Vereinzelung nicht sehr bedeutenden Ausnahme gelang es der Regierung, die Landanweisung ausserhalb Italiens durchgaengig zu verhindern. In gleichem Sinne wurde die italische Domanialfrage geordnet. Die italischen Kolonien des Gaius, vor allem Capua, wurden aufgehoben und, soweit sie bereits zur Ausfuehrung gekommen waren, wieder aufgeloest; nur die unbedeutende tarentinische blieb in der Art bestehen, dass die neue Stadt Neptunia der bisherigen griechischen Gemeinde an die Seite trat. Was durch die nichtkoloniale Assignation von den Domaenen bereits verteilt war, blieb den Empfaengern; die darauf von Gracchus im Interesse des Gemeinwesens gelegten Beschraenkungen, Erbzins und Veraeusserungsverbot, hatte bereits Marcus Drusus aufgehoben. Dagegen die noch nach Okkupationsrecht besessenen Domaenen, welche ausser dem von den Latinern genutzten Domanialland zum groessten Teil bestanden haben werden in dem gemaess des Gracchischen Maximum den Inhabern gebliebenen Grundbesitz, war man entschlossen, den bisherigen Okkupanten definitiv zuzuwenden und auch die Moeglichkeit kuenftiger Aufteilung abzuschneiden. Freilich waren es zunaechst diese Laendereien, aus denen die 36000 von Drusus verheissenen neuen Bauernhufen haetten gebildet werden sollen; allein man sparte sich die Untersuchung, wo denn unter dem Monde diese Hunderttausende von Morgen italischen Domaniallands belegen sein moechten, und legte das Livische Kolonialgesetz, das seinen Dienst getan, stillschweigend zu den Akten - nur etwa die kleine Kolonie von Scolacium (Squillace) mag auf das Koloniengesetz des Drusus zurueckgehen. Dagegen wurde durch ein Gesetz, das im Auftrag des Senats der Volkstribun Spurius Thorius durchbrachte, das Teilungsamt im Jahre 635 (119) aufgehoben und den Okkupanten des Domaniallandes ein fester Zins auferlegt, dessen Ertrag dem hauptstaedtischen Poebel zugute kam - es scheint, indem die Kornverteilung zum Teil darauf fundiert ward: noch weitergehende Vorschlaege, vielleicht eine Steigerung der Getreidespenden, wehrte der verstaendige Volkstribun Gaius Marius ab. Acht Jahre spaeter (643 111) geschah der letzte Schritt, indem durch einen neuen Volksschluss ^1 das okkupierte Domanialland geradezu umgewandelt ward in zinsfreies Privateigentum der bisherigen Okkupanten. Man fuegte hinzu, dass in Zukunft Domanialland ueberhaupt nicht okkupiert, sondern entweder verpachtet werden oder als gemeine Weide offenstehen solle; fuer den letzteren Fall ward durch Feststellung eines sehr niedrigen Maximum von zehn Stueck Grossund fuenfzig Stueck Kleinvieh dafuer gesorgt, dass nicht der grosse Herdenbesitzer den kleinen tatsaechlich ausschliesse - verstaendige Bestimmungen, in denen die Schaedlichkeit des uebrigen laengst aufgegebenen Okkupationssystems nachtraeglich offizielle Anerkennung fand, die aber leider erst getroffen wurden, als dasselbe den Staat bereits wesentlich um seine Domanialbesitzungen gebracht hatte. Indem die roemische Aristokratie also fuer sich selber sorgte und was von okkupiertem Lande noch in ihren Haenden war, sich in Eigentum umwandeln liess, beschwichtigte sie zugleich die italischen Bundesgenossen dadurch, dass sie denselben an dem von ihnen und namentlich von ihrer munizipalen Aristokratie genutzten latinischen Domanialland zwar nicht das Eigentum verlieh, aber doch das ihnen durch ihre Privilegien verbriefte Recht daran ungeschmaelert wahrte. Die Gegenpartei war in der ueblen Lage, dass in den wichtigsten materiellen Fragen die Interessen der Italiker denen der hauptstaedtischen Opposition schnurstracks entgegenliefen, ja jene mit der roemischen Regierung eine Art Buendnis eingingen und gegen die ausschweifenden Absichten mancher roemischen Demagogen bei dem Senat Schutz suchten und fanden. -------------------------------------------------------- ^1 Er ist grossenteils noch vorhanden und bekannt unter dem jetzt seit dreihundert Jahren fortgepflanzten falschen Namen des Thorischen Ackergesetzes. -------------------------------------------------------- Waehrend also die restaurierte Regierung es sich angelegen sein liess, die Keime zum Bessern, die in der Gracchischen Verfassung vorhanden waren, gruendlich auszureuten, blieb sie den nicht zum Heil des Ganzen von Gracchus erweckten feindlichen Maechten gegenueber vollstaendig ohnmaechtig. Das hauptstaedtische Proletariat blieb bestehen in anerkannter Zehrberechtigung; die Geschworenen aus dem Kaufmannsstand liess der Senat gleichfalls sich gefallen, so widerwaertig auch dieses Joch eben dem besseren und stolzeren Teil der Aristokratie fiel. Es waren unwuerdige Fesseln, die die Aristokratie trug; aber wir finden nicht, dass sie ernstlich dazu tat, sich derselben zu entledigen. Das Gesetz des Marcus Aemilius Scaurus von 632 (122), das wenigstens die verfassungsmaessigen Beschraenkungen des Stimmrechts der Freigelassenen einschaerfte, war fuer lange Jahre der einzige, sehr zahme Versuch der senatorischen Regierung, ihren Poebeltyrannen wieder zu baendigen. Der Antrag, den der Konsul Quintus Caepio siebzehn Jahre nach Einfuehrung der Rittergerichte (648 106) einbrachte auf Zurueckgabe der Prozesse an senatorische Geschworene, zeigte, was die Regierung wuenschte, aber auch, was sie vermochte, wenn es sich nicht darum handelte, Domaenen zu verschleudern, sondern einem einflussreichen Stande gegenueber eine Massregel durchzusetzen: sie fiel damit durch 2. Zu einer Emanzipation der Regierung von ihren unbequemen Machtgenossen kam es nicht; wohl aber trugen diese Massregeln dazu bei, das niemals aufrichtige Einverstaendnis der regierenden Aristokratie mit der Kaufmannschaft und dem Proletariat noch ferner zu trueben. Beide wussten sehr genau, dass der Senat alle Zugestaendnisse nur aus Angst und widerwillig gewaehrte; weder durch Dankbarkeitsnoch durch Vorteilsruecksichten an die Herrschaft des Senats dauernd gefesselt, waren beide sehr bereit, jedem anderen Machthaber, der ihnen mehr oder auch nur das gleiche bot, dieselben Dienste zu leisten, und hatten nichts dagegen, wenn sich eine Gelegenheit gab, den Senat zu schikanieren oder zu hemmen. So regierte die Restauration weiter mit den Wuenschen und Gesinnungen der legitimen Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloss auf den gleichen Basen wie die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Poebel im Bunde zweckmaessige Institutionen umstiess, aber den Gassenbanden wie den kaufmaennischen Interessen gegenueber vollkommen machtlos. Sie sass auf dem erledigten Thron mit boesem Gewissen und geteilten Hoffnungen, den Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfaehig, auch nur planmaessig sie anzugreifen, unsicher im Tun und Lassen ausser, wo der eigene materielle Vorteil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Widerspruchs, der klaeglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigennutzes, ein unuebertroffenes Ideal der Missregierung. ---------------------------------------------------- 2 Das zeigt, wie bekannt, der weitere Verlauf. Man hat dagegen geltend gemacht, dass bei Valerius Maximus Quintus Caepio Patron des Senats genannt werde; allein teils beweist dies nicht genug, teils passt, was daselbst erzaehlt wird, schlechterdings nicht auf den Konsul des Jahres 648 (106), und es muss hier eine Irrung sein, sei es nun im Namen oder in den berichteten Tatsachen. --------------------------------------------------- Es konnte nicht anders sein; die gesamte Nation war in intellektuellem und sittlichem Verfall, vor allem aber die hoechsten Staende. Die Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich nicht ueberreich an Talenten und die Baenke des Senats vollgedraengt von feigem und verlottertem adligen Gesindel; indes es sassen doch in demselben auch Scipio Aemilianus, Gaius Laelius, Quintus Metellus, Publius Crassus, Publius Scaevola und zahlreiche andere achtbare und faehige Maenner, und wer einigen guten Willen mitbrachte, konnte urteilen, dass der Senat in der Unrechtfertigkeit ein gewisses Mass und ein gewisses Dekorum in dem Missregiment einhalte. Diese Aristokratie war gestuerzt und sodann wiederhergestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der Restauration. Hatte die Aristokratie frueher regiert schlecht und recht und seit mehr als einem Jahrhundert ohne jede fuehlbare Opposition, so hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht ihr den Abgrund gezeigt, der vor ihren Fuessen klaffte. War es ein Wunder, dass fortan der Groll immer und, wo sie es wagte, der Schrecken das Regiment der altadligen Herrenpartei bezeichnete? dass die Regierenden noch unendlich schroffer und gewaltsamer als bisher gegen die nichtregierende Menge als festgeschlossene Partei zusammenstanden? dass die Familienpolitik jetzt, eben wie in den schlimmsten Zeiten des Patriziats, wiederum sich griff und zum Beispiel die vier Soehne und (wahrscheinlich) die zwei Neffen des Quintus Metellus, mit einer einzigen Ausnahme lauter unbedeutende, zum Teil ihrer Einfalt wegen berufene Leute, innerhalb fuenfzehn Jahren (631-645 123-109) saemtlich zum Konsulat, mit Ausnahme eines einzigen auch zum Triumph gelangten, von den Schwiegersoehnen und so weiter zu schweigen? dass, je gewaltund grausamer einer der Ihrigen gegen die Gegenpartei aufgetreten war, er desto entschiedener von ihnen gefeiert, dem echten Aristokraten jeder Frevel, jede Schamlosigkeit verziehen ward? dass die Regierenden und die Regierten nur darin nicht zwei kriegfuehrenden Parteien glichen, dass in ihrem Krieg kein Voelkerrecht galt? Es war leider nur zu begreiflich, dass, wenn die alte Aristokratie das Volk mit Ruten schlug, diese restaurierte es mit Skorpionen zuechtigte. Sie kam zurueck; aber sie kam weder klueger noch besser. Nie hat es bis auf diese Zeit der roemischen Aristokratie so vollstaendig an staatsmaennischen und militaerischen Kapazitaeten gemangelt wie in dieser Restaurationsepoche zwischen der Gracchischen und der Cinnanischen Revolution. Bezeichnend dafuer ist der Koryphaee der senatorischen Partei dieser Zeit, Marcus Aemilius Scaurus. Der Sohn hochadliger, aber unvermoegender Eltern und darum genoetigt, Gebrauch zu machen von seinen nicht gemeinen Talenten, schwang er sich auf zum Konsul (639 115) und Zensor (645 109), war lange Jahre Vormann des Senats und das politische Orakel seiner Standesgenossen und verewigte seinen Namen nicht bloss als Redner und Schriftsteller, sondern auch als Urheber einiger der ansehnlichsten in diesem Jahrhundert ausgefuehrten Staatsbauten. Indes wenn man naeher zusieht, laufen seine vielgefeierten Grosstaten darauf hinaus, dass er als Feldherr einige wohlfeile Dorftriumphe in den Alpen, als Staatsmann mit seinem Stimmund Luxusgesetz einige ungefaehr ebenso ernsthafte Siege ueber den revolutionaeren Zeitgeist erfocht, sein eigentliches Talent indes darin bestand, ganz ebenso zugaenglich und bestechlich zu sein wie jeder andere ehrenwerte Senator, aber mit einiger Schlauheit den Augenblick, wo die Sache bedenklich zu werden anfing, zu wittern und vor allem durch seine vornehme und ehrwuerdige Erscheinung vor dem Publikum den Fabricius zu agieren. In militaerischer Hinsicht finden sich zwar einige ehrenvolle Ausnahmen tuechtiger Offiziere aus den hoechsten Kreisen der Aristokratie; die Regel aber war, dass die vornehmen Herren, wenn sie an die Spitze der Armeen treten sollten, schleunigst aus den griechischen Kriegshandbuechern und den roemischen Annalen zusammenlasen, was noetig war, um einen militaerischen Diskurs zu fuehren und sodann im Feldlager im besten Fall das wirkliche Kommando einem niedrig geborenen Offizier von erprobter Faehigkeit und erprobter Bescheidenheit uebergaben. In der Tat, wenn ein paar Jahrhunderte zuvor der Senat einer Versammlung von Koenigen glich, so spielten diese ihre Nachfahren nicht uebel die Prinzen. Aber der Unfaehigkeit dieser restaurierten Adligen hielt voellig die Waage ihre politische und sittliche Nichtswuerdigkeit. Wenn nicht die religioesen Zustaende, auf die zurueckzukommen sein wird, von der wuesten Zerfahrenheit dieser Zeit ein treues Spiegelbild boeten und ebenso die aeussere Geschichte in dieser Epoche die vollkommene Schlechtigkeit des roemischen Adels als einen ihrer wesentlichsten Faktoren aufwiese, so wuerden die entsetzlichsten Verbrechen, die in den hoechsten Kreisen Roms Schlag auf Schlag zum Vorschein kamen, allein denselben hinreichend charakterisieren. Die Verwaltung war nach innen und nach aussen, was sie sein konnte unter einem solchen Regiment. Der soziale Ruin Italiens griff mit erschreckender Geschwindigkeit um sich; seit die Aristokratie das Auskaufen der Kleinbesitzer sich gesetzlich hatte erlauben lassen, und in ihrem neuen Uebermut das Austreiben derselben immer haeufiger sich selbst erlaubte, verschwanden die Bauernstellen wie die Regentropfen im Meer. Wie mit der politischen die oekonomische Oligarchie mindestens Schritt hielt, zeigt die Aeusserung, die ein gemaessigt demokratischer Mann, Lucius Marcius Philippus, um 650 (100) tat, dass es in der ganzen Buergerschaft kaum 2000 vermoegende Familien gebe. Den praktischen Kommentar dazu lieferten abermals die Sklavenaufstaende, welche in den ersten Jahren des Kimbrischen Krieges alljaehrlich in Italien ausbrachen, so in Nuceria, in Capua, im Gebiet von Thurii. Diese letzte Zusammenrottung war schon so bedeutend, dass gegen sie der staedtische Praetor mit seiner Legion hatte marschieren muessen und dennoch nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch tueckischen Verrat der Insurrektion Herr geworden war. Auch das war eine bedenkliche Erscheinung, dass an der Spitze derselben kein Sklave gestanden hatte, sondern der roemische Ritter Titus Vettius, den seine Schulden zu dem wahnsinnigen Schritt getrieben hatten, seine Sklaven frei und sich zu ihrem Koenig zu erklaeren (650 104). Wie gefaehrlich die Anhaeufung der Sklavenmassen in Italien der Regierung erschien, beweisen die Vorsichtsmassregeln hinsichtlich der Goldwaeschereien von Victumulae, die seit 611 (143) fuer Rechnung der roemischen Regierung betrieben wurden: die Paechter wurden zuerst verpflichtet, nicht ueber 5000 Arbeiter anzustellen, spaeter der Betrieb durch Senatsbeschluss gaenzlich eingestellt. Unter einem Regiment wie dem gegenwaertigen war in der Tat alles zu fuerchten, wenn, wie dies sehr moeglich war, ein Heer von Transalpinern in Italien eindrang und die grossenteils stammverwandten Sklaven zu den Waffen rief. Verhaeltnismaessig mehr noch litten die Provinzen. Man versuche sich vorzustellen, wie es in Ostindien aussehen wuerde, wenn die englische Aristokratie waere, was in jener Zeit die roemische war, und man wird eine Vorstellung der Lage von Sizilien und Asia haben. Die Gesetzgebung, indem sie der Kaufmannschaft die Kontrolle der Beamten uebertrug, noetigte diese, gewissermassen gemeinschaftliche Sache mit jener zu machen und durch unbedingte Nachgiebigkeit gegen die Kapitalisten in den Provinzen sich unbeschraenkte Pluenderungsfreiheit und Schutz vor der Anklage zu erkaufen. Neben diesen offiziell und halboffiziell angestellten Raeubern pluenderten Landund Seepiraten die saemtlichen Landschaften des Mittelmeers. Vor allem in den asiatischen Gewaessern trieben die Flibustier es so arg, dass selbst die roemische Regierung sich genoetigt sah, im Jahre 652 (102) eine wesentlich aus den Schiffen der abhaengigen Kaufstaedte gebildete Flotte unter dem mit prokonsularischer Gewalt bekleideten Praetor Marcus Antonius nach Kilikien zu entsenden. Diese brachte nicht bloss eine Anzahl Korsarenschiffe auf und nahm einige Felsennester aus, sondern die Roemer richteten hier sich sogar fuer die Dauer ein und besetzten zur Unterdrueckung des Seeraubs in dem Hauptsitz desselben, dem rauhen oder westlichen Kilikien, feste militaerische Positionen, was der Anfang war zur Einrichtung der seitdem unter den roemischen Aemtern erscheinenden Provinz Kilikien 3. Die Absicht war loeblich und der Plan an sich zweckmaessig entworfen; nur bewies leider der Fortbestand und die Steigerung des Korsarenunwesens in den asiatischen Gewaessern und speziell in Kilikien, mit wie unzulaenglichen Mitteln man von der neu genommenen Stellung aus die Piraterie bekaempfte. ----------------------------------------------------- 3 Vielfaeltig wird angenommen, dass die Einrichtung der Provinz Kilikien erst erfolgte nach der kilikischen Expedition des Publius Servilius 676 f. (78), allein mit Unrecht; denn schon 662 (92) finden wir Sulla (App. Mithr. 57; civ. 1, 77; Aur. Vict. 75), 674 und 675 (80 79) Gnaeus Dolabella (Cic. Verr. 1, 16 44) als Statthalter von Kilikien, wonach nichts uebrig bleibt, als die Einrichtung der Provinz in das Jahr 652 (102) zu setzen. Hierfuer spricht ferner, dass in dieser Zeit die Zuege der Roemer gegen die Korsaren, wie zum Beispiel die balearischen, ligurischen, dalmatischen, regelmaessig gerichtet erscheinen auf Besetzung der Kuestenpunkte, von wo der Seeraub ausging; natuerlich, denn da die Roemer keine stehende Flotte hatten, war das einzige Mittel, dem Seeraub wirksam zu steuern, die Besetzung der Kuesten. Uebrigens ist daran zu erinnern, dass der Begriff der provincia nicht unbedingt Besitz der Landschaft in sich schliesst, sondern an sich nichts ist als ein selbstaendiges militaerisches Kommando; es ist sehr moeglich, dass die Roemer zunaechst in dieser rauhen Landschaft nichts nahmen als Station fuer Schiffe und Mannschaft. Das ebene Ostkilikien blieb bis auf den Krieg gegen Tigranes bei dem Syrischen Reich (App. Syr. 48); die ehemals zu Kilikien gerechneten Landschaften noerdlich des Tauros, das sogenannte kappadokische Kilikien und Kataonien gehoerten jenes seit der Aufloesung des Attalischen Reiches (Iust. 37, 1; oben S. 62), dieses wohl schon seit dem Frieden mit Antiochos zu Kappadokien. ---------------------------------------------------- Aber nirgends kam die Ohnmacht und die Verkehrtheit der roemischen Provinzialverwaltung in so nackter Bloesse zu Tage wie in den Insurrektionen des Sklavenproletariats, welche mit der Restauration der Aristokratie zugleich in den vorigen Stand wieder eingesetzt zu sein schienen. Jene aus Aufstaenden zu Kriegen anschwellenden Schilderhebungen der Sklavenschaft, wie sie eben um das Jahr 620 (134) als eine und vielleicht die naechste Ursache der Gracchischen Revolution aufgetreten waren, erneuern und wiederholen sich in trauriger Einfoermigkeit. Wieder gaerte es wie dreissig Jahre zuvor in der gesamten Sklavenschaft im Roemischen Reiche. Der italischen Zusammenrottungen ward schon gedacht. In den attischen Silberbergwerken standen die Grubenarbeiter auf, besetzten das Vorgebirge Sunion und pluenderten laengere Zeit hindurch von dort aus die Umgegend; an anderen Orten zeigten sich aehnliche Bewegungen. Vor allem war wieder der Hauptsitz dieser fuerchterlichen Vorgaenge Sizilien mit seinen Plantagen und den dort zusammenstroemenden kleinasiatischen Sklavenhorden. Es ist charakteristisch fuer die Groesse des Uebels, dass ein Versuch der Regierung, den schlimmsten Unrechtfertigkeiten der Sklavenhalter zu steuern, die naechste Ursache der neuen Insurrektion ward. Dass die freien Proletarier in Sizilien wenig besser daran waren als die Sklavenschaft, hatte schon ihr Verhalten zu dem ersten Aufstand gezeigt; nach der Besiegung desselben nahmen die roemischen Spekulanten ihre Revanche und steckten die freien Provinzialen massenweise unter die Sklavenschaften ein. Infolge einer hiergegen im Jahre 650 (204) vom Senat erlassenen scharfen Verfuegung setzte der damalige Statthalter von Sizilien, Publius Licinius Nerva, in Syrakus ein Freiheitsgericht nieder, das in der Tat mit Ernst durchgriff; in kurzer Zeit war in achthundert Prozessen gegen die Sklavenbesitzer entschieden und die Zahl der anhaengig gemachten Sachen immer noch im Steigen. Die erschreckten Plantagenbesitzer stuermten nach Syrakus, um von dem roemischen Statthalter die Sistierung solcher unerhoerten Rechtspflege zu erzwingen; Nerva war schwach genug, sich terrorisieren zu lassen und die prozessbittenden Unfreien mit barschen Worten anzuweisen, dass sie sich des laestigen Verlangens von Recht und Gerechtigkeit zu begeben und augenblicklich zu denen zurueckzukehren haetten, die sich ihre Herren nennten. Die Abgewiesenen rotteten statt dessen sich zusammen und gingen in die Berge. Der Statthalter war auf militaerische Massregeln nicht gefasst und selbst der elende Landsturm der Insel nicht sogleich zur Hand; weshalb er ein Buendnis abschloss mit einem der bekanntesten Raeuberhauptleute auf der Insel und durch das Versprechen eigener Begnadigung ihn bewog, die aufstaendischen Sklaven durch Verrat den Roemern in die Hand zu spielen. Dieses Schwarmes ward man also Herr. Allein einer anderen Bande entlaufener Sklaven gelang es, dafuer eine Abteilung der Besatzung von Enna (Castrogiovanni) zu schlagen, und dieser erste Erfolg verschaffte den Insurgenten, was sie vor allem bedurften, Waffen und Zulauf. Das Heergeraet der gefallenen und fluechtigen Gegner gab die erste Grundlage fuer ihre militaerische Organisation, und bald war die Zahl der Insurgenten auf viele Tausende angeschwollen. Diese Syrer in der Fremde schienen bereits, gleich ihren Vorgaengern, sich nicht unwuerdig, von Koenigen regiert zu werden wie ihre Landsleute daheim und - den Lumpenkoenig der Heimat bis auf den Namen parodierend - stellten sie den Sklaven Salvius an ihre Spitze als Koenig Tryphon. In dem Strich zwischen Enna und Leontinoi (Lentini), wo diese Haufen ihren Hauptsitz hatten, war das offene Land ganz in den Haenden der Insurgenten und Morgantia und andere ummauerte Staedte schon von ihnen belagert, als mit den eiligst zusammengerafften sizilischen und italischen Scharen der roemische Statthalter das Sklavenheer vor Morgantia ueberfiel. Er besetzte das unverteidigte Lager; allein die Sklaven, obwohl ueberrascht, hielten stand, und wie es zum Gefecht kam, wich der Landsturm der Insel nicht bloss beim ersten Anprall, sondern, da die Sklaven jeden, der die Waffen wegwarf, ungehindert entkommen liessen, benutzten die Milizen fast ohne Ausnahme die gute Gelegenheit, ihren Abschied zu nehmen, und das roemische Heer lief vollstaendig auseinander. Haetten die Sklaven in Morgantia mit ihren Genossen vor den Toren gemeinschaftliche Sache machen wollen, so war die Stadt verloren; sie zogen es indes vor, von ihren Herren gesetzmaessig die Freiheit geschenkt zu nehmen und halfen ihnen durch ihre Tapferkeit die Stadt retten, worauf sodann der roemische Statthalter das den Sklaven von den Herren feierlich gegebene Freiheitsversprechen als widerrechtlich erzwungen von Rechts wegen kassierte. Waehrend also im Innern der Insel der Aufstand in besorglicher Weise um sich griff, brach ein zweiter aus auf der Westkueste. An der Spitze stand hier Athenion. Er war, eben wie Kleon, einst ein gefuerchteter Raeuberhauptmann in seiner Heimat Kilikien gewesen und von dort als Sklave nach Sizilien gefuehrt worden. Ganz wie seine Vorgaenger versicherte er sich der Gemueter der Griechen und Syrer vor allem durch Prophezeiungen und anderen erbaulichen Schwindel; aber kriegskundig und einsichtig wie er war, bewaffnete er nicht, wie die uebrigen Fuehrer, die ganze Masse der ihm zustroemenden Leute, sondern bildete aus den kriegstuechtigen Mannschaften ein organisiertes Heer, waehrend er die Masse zu friedlicher Beschaeftigung anwies. Bei der strengen Mannszucht, die in seinen Truppen jedes Schwanken und jede unbotmaessige Regung niederhielt, und der milden Behandlung der friedlichen Landbewohner und selbst der Gefangenen errang er rasche und grosse Erfolge. Die Hoffnung, dass die beiden Fuehrer sich veruneinigen wuerden, schlug den Roemern auch diesmal fehl; freiwillig fuegte sich Athenion dem weit minder faehigen Koenig Tryphon und erhielt damit die Einigkeit unter den Insurgenten. Bald herrschten diese so gut wie unumschraenkt auf dem platten Lande, wo die freien Proletarier wieder mehr oder minder offen mit den Sklaven hielten; die roemischen Behoerden waren nicht imstande, gegen sie das Feld zu nehmen, und mussten sich begnuegen, mit dem sizilischen und dem eiligst herangezogenen afrikanischen Landsturm die Staedte zu schuetzen, welche sich in der beklagenswertesten Verfassung befanden. Die Rechtspflege stockte auf der ganzen Insel, und es regierte einzig das Faustrecht. Da kein Ackerbuerger sich mehr vor das Tor, kein Landmann sich in die Stadt wagte, brach die fuerchterlichste Hungersnot herein, und die staedtische Bevoelkerung dieser sonst Italien ernaehrenden Insel musste von den roemischen Behoerden mit Getreidesendungen unterstuetzt werden. Dazu drohten ueberall im Innern die Verschwoerungen der Stadtsklaven und vor den Mauern die Insurgentenheere, wie denn selbst Messana um ein Haar von Athenion erobert worden waere. So schwer es der Regierung fiel, waehrend des ernsten Kimbrischen Krieges eine zweite Armee ins Feld zu stellen, sie konnte doch nicht umhin, im Jahre 651 (103) ein Heer von 14000 Roemern und Italikern, umgerechnet die ueberseeischen Milizen, unter dem Praetor Lucius Lucullus nach der Insel zu entsenden. Das vereinigte Sklavenheer stand in den Bergen oberhalb Sciacca und nahm die Schlacht an, die Lucullus anbot. Die bessere militaerische Organisation gab den Roemern den Sieg: Athenion blieb fuer tot auf der Walstatt, Tryphon musste sich in die Bergfestung Triokala werfen; die Insurgenten berieten ernstlich, ob es moeglich sei, den Kampf laenger fortzusetzen. Indes die Partei, die entschlossen war, auszuharren bis auf den letzten Mann, behielt die Oberhand; Athenion, der in wunderbarer Weise gerettet worden war, trat wieder unter die Seinigen und belebte den gesunkenen Mut; vor allem aber tat Lucullus unbegreiflicherweise nicht das geringste, um seinen Sieg zu verfolgen, ja er soll absichtlich die Armee desorganisiert und sein Feldgeraet verbrannt haben, um die gaenzliche Erfolglosigkeit seiner Amtsfuehrung zu bedecken und von seinem Nachfolger nicht in Schatten gestellt zu werden. Mag dies wahr sein oder nicht, sein Nachfolger Gaius Servilius (652 102) erlangte nicht bessere Resultate, und beide Generale sind spaeter ihrer Amtsfuehrung wegen kriminell belangt und verurteilt worden, was freilich auch durchaus kein sicherer Beweis fuer ihre Schuld ist. Athenion, der nach Tryphons Tode (652 102) den Oberbefehl allein uebernommen hatte, stand siegreich an der Spitze eines ansehnlichen Heeres, als im Jahre 653 (101) Manius Aquillius, der das Jahr zuvor unter Marius im Teutonenkriege sich ausgezeichnet hatte, als Konsul und Statthalter die Fuehrung des Krieges uebernahm. Nach zweijaehrigen harten Kaempfen - Aquillius soll mit Athenion persoenlich gefochten und ihn im Zweikampf getoetet haben - schlug der roemische Feldherr endlich die verzweifelte Gegenwehr nieder und ueberwand die Insurgenten in ihren letzten Schlupfwinkeln durch Hunger. Den Sklaven auf der Insel wurde das Waffentragen untersagt und der Friede zog wieder auf ihr ein, das heisst die neuen Peiniger wurden abgeloest von den altgewohnten; wie denn namentlich der Sieger selbst unter den zahlreichen und energischen Raeuberbeamten dieser Zeit eine hervorragende Stelle einnimmt. Fuer wen es aber noch eines Beweises bedurfte, wie das Regiment der restaurierten Aristokratie im Innern beschaffen war, den konnte man auf die Entstehung wie auf die Fuehrung dieses zweiten fuenfjaehrigen Sizilischen Sklavenkrieges verweisen. Wo man aber auch hinsehen mochte in dem weiten Kreis der roemischen Verwaltung, es traten dieselben Ursachen und dieselben Wirkungen hervor. Wenn der sizilische Sklavenkrieg zeigt, wie wenig die Regierung auch nur der einfachsten Aufgabe, das Proletariat niederzuhalten, gewachsen war, so offenbarten die gleichzeitigen Ereignisse in Afrika, wie man jetzt in Rom es verstand, Klientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der Sizilische Sklavenkrieg ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten Welt das Schauspiel aufgefuehrt, dass gegen die gewaltige Republik, die die Koenigreiche Makedonien und Asien mit einem Schlag ihres schweren Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender Klientelfuerst nicht mittels Waffen, sondern mittels der Erbaermlichkeit ihrer regierenden Herren eine vierzehnjaehrige Usurpation und Insurrektion durchzufuehren vermochte. Das Koenigreich Numidien dehnte vom Flusse Molochat sich aus bis an die Grosse Syrte, so dass es einerseits grenzte an das Mauretanische Reich von Tingis (das heutige Marokko), andererseits an Kyrene und Aegypten, und den schmalen Kuestenstrich der roemischen Provinz Africa westlich, suedlich und oestlich umschloss; es umfasste ausser den alten Besitzungen der numidischen Haeuptlinge den bei weitem groessten Teil desjenigen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten seiner Bluete in Afrika besessen hatte, darunter mehrere bedeutende altphoenikische Staedte wie Hippo regius (Bona) und Gross-Leptis (Lebidah), ueberhaupt den groessten und besten Teil des reichen nordafrikanischen Kuestenlandes. Naechst Aegypten war ohne Frage Numidien der ansehnlichste unter allen roemischen Klientelstaaten. Nach Massinissas Tode (605 149) hatte Scipio unter dessen drei Soehne, die Koenige Micipsa, Gulussa und Mastanabal, die vaeterliche Herrschaft in der Art geteilt, dass der erstgeborene die Residenz und die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit uebernahm. Jetzt regierte nach dem Tode seiner beiden Brueder wieder allein Massinissas aeltester Sohn Micipsa 4, ein schwacher, friedlicher Greis, der lieber als mit Staatsangelegenheiten sich mit dem Studium der griechischen Philosophie beschaeftigte. Da seine Soehne noch nicht erwachsen waren, fuehrte tatsaechlich die Zuegel der Regierung ein illegitimer Neffe des Koenigs, der Prinz Jugurtha. Jugurtha war kein unwuerdiger Enkel Massinissas. Er war ein schoener Mann und ein gewandter und mutiger Reiter und Jaeger; seine Landsleute hielten den klaren und einsichtigen Verwalter in hohen Ehren, und seine militaerische Brauchbarkeit hatte er als Fuehrer des numidischen Kontingents vor Numantia unter Scipios Augen erwiesen. Seine Stellung im Koenigreich und der Einfluss, dessen er durch seine zahlreichen Freunde und Kriegskameraden bei der roemischen Regierung genoss, liessen es Koenig Micipsa ratsam erscheinen, ihn zu adoptieren (634 120) und in seinem Testament zu verordnen, dass des Koenigs beide aelteste leibliche Soehne Adherbal und Hiempsal und sein Adoptivsohn Jugurtha selbdritt, ebenso wie er selbst mit seinen beiden Bruedern, zu gesamter Hand das Reich erben und regieren sollten. Zu groesserer Sicherheit wurde diese Verfuegung unter die Garantie der roemischen Regierung gestellt. Bald nachher, im Jahre 636 (118) starb Koenig Micipsa. Das Testament trat in Kraft; allein die beiden Soehne Micipsas, mehr noch als der schwache aeltere Bruder der heftige Hiempsal, gerieten bald mit ihrem Vetter, den sie als Eindringling in die legitime Erbfolge ansahen, so heftig zusammen, dass der Gedanke an eine Gesamtregierung der drei Koenige aufgegeben werden musste. Man versuchte eine Realteilung durchzufuehren; allein die hadernden Koenige vermochten ueber die Landesund Schatzquoten sich nicht zu einigen, und die Schutzmacht, der hier von Rechts wegen das entscheidende Wort zustand, bekuemmerte wie gewoehnlich um diese Angelegenheit sich nicht. Es kam zum Bruch; Adherbal und Hiempsal mochten das Testament des Vaters als erschlichen bezeichnen und Jugurthas Miterbrecht ueberhaupt bestreiten, wogegen Jugurtha auftrat als Praetendent auf das gesamte Koenigreich. Noch waehrend der Verhandlungen ueber die Teilung ward Hiempsal durch gedungene Meuchelmoerder aus dem Wege geschafft; zwischen Adherbal und Jugurtha kam es zum Buergerkriege, in dem ganz Numidien Partei nahm. Mit seinen minder zahlreichen, aber besser geuebten und besser gefuehrten Truppen siegte Jugurtha und bemaechtigte sich des gesamten Reichsgebiets unter den grausamsten Verfolgungen gegen die seinem Vetter anhaengenden Haeupter. Adherbal rettete sich nach der roemischen Provinz und ging von da nach Rom, um dort Klage zu fuehren. Jugurtha hatte es erwartet und sich darauf eingerichtet, der drohenden Intervention zu begegnen. Er hatte im Lager von Numantia noch mehr von Rom kennengelernt als die roemische Taktik: der numidische Prinz, eingefuehrt in die Kreise der roemischen Aristokraten, war zugleich eingeweiht worden in die roemischen Koterieintrigen und hatte an der Quelle studiert, was man roemischen Adligen zumuten koenne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte er illoyale Unterhandlungen ueber die numidische Erbfolge mit vornehmen roemischen Kameraden gepflogen und hatte Scipio ihn ernstlich erinnern muessen, dass es fremden Prinzen anstaendiger sei, mit dem roemischen Staat als mit einzelnen roemischen Buergern Freundschaft zu halten. Jugurthas Gesandte erschienen in Rom, nicht bloss mit Worten ausgeruestet; dass sie die richtigen diplomatischen Ueberzeugungsmittel gewaehlt hatten, bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von Adherbals gutem Recht ueberzeugten in unglaublicher Geschwindigkeit sich davon, dass Hiempsal seiner Grausamkeit halber von seinen Untertanen umgebracht worden und dass der Urheber des Erbfolgkrieges nicht Jugurtha sei, sondern Adherbal. Selbst die leitenden Maenner im Senat erschraken vor dem Skandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der Senat ueberging das Geschehene mit Stillschweigen und verfuegte, dass die beiden ueberlebenden Testamentserben das Reich zu gleichen Teilen erhalten und zur Verhuetung neuen Haders die Teilung durch eine Kommission des Senats vorgenommen werden solle. Sie kam; der Konsular Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der Revolution, hatte die Gelegenheit wahrgenommen, den Lohn fuer seinen Patriotismus einzuziehen, und sich an die Spitze dieser Kommission stellen lassen. Die Teilung fiel durchaus zu Jugurthas Gunsten und nicht zum Nachteil der Kommissarien aus; die Hauptstadt Cirta (Constantine) mit ihrem Hafen Rusicade (Philippeville) kam zwar an Adherbal, allein eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwuesten bestehende oestliche Teil des Reiches, Jugurtha dagegen die fruchtbare und bevoelkerte Westhaelfte (das spaetere Sitifensische und Caesariensische Mauretanien) zu teil. ---------------------------------------------- 4 Der Stammbaum der numidischen Fuersten ist folgender:

---------------------------------------------- Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der Verteidigung Adherbal um seine Haelfte bringen zu koennen, reizte Jugurtha denselben zum Kriege; indes da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen gewitzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen liess und sich begnuegte, in Rom Beschwerde zu fuehren, begann Jugurtha, ungeduldig ueber diese Weitlaeufigkeiten, auch ohne Vorwand den Krieg. In der Gegend des heutigen Philippeville ward Adherbal vollstaendig geschlagen und warf sich in seine nahe Hauptstadt Cirta. Waehrend die Belagerung ihren Fortgang nahm und Jugurthas Truppen mit den in Cirta zahlreich ansaessigen und bei der Verteidigung der Stadt lebhafter als die Afrikaner selbst sich beteiligenden Italikern taeglich sich herumschlugen, erschien die von dem roemischen Senat auf Adherbals erste Beschwerden abgeordnete Kommission; natuerlich junge unerfahrene Menschen, wie die Regierung damals sie zu gewoehnlichen Staatssendungen regelmaessig verwandte. Die Gesandten verlangten, dass Jugurtha sie als von der Schutzmacht an Adherbal abgeordnet in die Stadt einlasse, ueberhaupt aber den Kampf einstelle und ihre Vermittlung annehme. Jugurtha schlug beides kurzweg ab und die Gesandten zogen schleunigst heim wie die Knaben, die sie waren, um an die Vaeter der Stadt zu berichten. Die Vaeter hoerten den Bericht an und liessen ihre Landsleute in Cirta eben weiter fechten, solange es ihnen beliebte. Erst als im fuenften Monat der Belagerung ein Bote des Adherbal durch die Verschanzungen der Feinde sich durchschlich, und ein Schreiben des Koenigs voll der flehentlichsten Bitten an den Senat kam, raffte derselbe sich auf und fasste wirklich einen Beschluss - nicht etwa den Krieg zu erklaeren, wie die Minoritaet es verlangte, sondern eine neue Gesandtschaft zu schicken, aber eine Gesandtschaft mit Marcus Scaurus an der Spitze, dem grossen Bezwinger der Taurisker und der Freigelassenen, dem imponierenden Heros der Aristokratie, dessen blosses Erscheinen genuegen werde, den ungehorsamen Koenig auf andere Gedanken zu bringen. In der Tat erschien Jugurtha, wie geheissen, in Utica, um mit Scaurus zu verhandeln; endlose Debatten wurden gepflogen; als endlich die Konferenz geschlossen ward, war nicht das geringste Resultat erreicht. Die Gesandtschaft ging, ohne den Krieg erklaert zu haben, nach Rom zurueck und der Koenig wieder ab zur Belagerung von Cirta. Adherbal sah sich aufs Aeusserste gebracht und verzweifelte an der roemischen Unterstuetzung; die Italiker in Cirta, der Belagerung muede und fuer ihre eigene Sicherheit fest vertrauend auf die Furcht vor dem roemischen Namen, draengten ueberdies zur Uebergabe. So kapitulierte die Stadt. Jugurtha gab Befehl, seinen Adoptivbruder unter grausamen Martern hinzurichten, die saemtliche erwachsene maennliche Bevoelkerung der Stadt aber, Afrikaner wie Italiker, ueber die Klinge springen zu lassen (642 112). Ein Schrei der Entruestung ging durch ganz Italien. Die Minoritaet des Senats selbst und alles, was nicht Senat war, verdammten einmuetig diese Regierung, fuer die die Ehre und das Interesse des Landes nichts zu sein schienen als verkaeufliche Artikel; am lautesten die Kaufmannschaft, die durch die Hinopferung der roemischen und italischen Kaufleute in Cirta am naechsten getroffen worden war. Die Majoritaet des Senats straeubte sich zwar auch jetzt noch; sie appellierte an die Standesinteressen der Aristokratie und setzte alle Hebel der kollegialischen Geschaeftsverschleppung in Bewegung, um den lieben Frieden noch ferner zu bewahren. Indes als der fuer 643 (111) gewaehlte Volkstribun Gaius Memmius, ein taetiger und beredter Mann, sofort nach Antritt seines Amtes den Handel oeffentlich zur Sprache brachte und die schlimmsten Suender zu gerichtlicher Verantwortung ziehen zu wollen drohte, liess der Senat es geschehen, dass der Krieg an Jugurtha erklaert ward (642/43 112/11). Es schien ernst zu werden. Jugurthas Gesandte wurden, ohne vorgelassen zu sein, aus Italien ausgewiesen; der neue Konsul Lucius Calpurnius Bestia, der, unter seinen Standesgenossen wenigstens, durch Einsicht und Taetigkeit sich auszeichnete, betrieb die Ruestungen mit Energie; Marcus Scaurus selbst uebernahm eine Befehlshaberstelle in der afrikanischen Armee; in kurzer Zeit stand ein roemisches Heer auf afrikanischem Boden und rueckte, am Bagradas (Medscherda) hinaufmarschierend, ein in das Numidische Koenigreich, wo die vor dem Sitz der koeniglichen Macht entlegensten Staedte, wie Gross-Leptis, bereits freiwillig ihre Unterwerfung einsandten, waehrend Koenig Bocchus von Mauretanien, obwohl seine Tochter mit Jugurtha vermaehlt war, doch den Roemern Freundschaft und Buendnis antrug. Jugurtha selbst verlor den Mut und sandte Boten in das roemische Hauptquartier, um Waffenstillstand zu erbitten. Das Ende des Kampfes schien nahe und kam noch schneller, als man dachte. Der Vertrag mit Koenig Bocchus scheiterte daran, dass der Koenig, unbekannt mit den roemischen Sitten, diesen den Roemern vorteilhaften Vertrag umsonst abschliessen zu koennen gemeint und deshalb versaeumt hatte, seinen Boten den marktgaengigen Preis roemischer Buendnisse mitzugeben. Jugurtha kannte allerdings die roemischen Institutionen besser und hatte nicht versaeumt, seine Waffenstillstandsantraege durch die gehoerigen Begleitgelder zu unterstuetzen; indes auch er hatte sich getaeuscht. Nach den ersten Verhandlungen ergab es sich, dass im roemischen Hauptquartier nicht bloss der Waffenstillstand feil sei, sondern auch der Friede. Die koenigliche Schatzkammer war noch von Massinissas Zeiten her wohl gefuellt; rasch war man handelseinig. Der Vertrag ward abgeschlossen, nachdem der Form halber derselbe dem Kriegsrat vorgelegt und nach einer unordentlichen und moeglichst summarischen Verhandlung dessen Zustimmung erwirkt worden war. Jugurtha unterwarf sich auf Gnade und Ungnade; der Sieger aber uebte Gnade und gab dem Koenig sein Reich ungeschmaelert zurueck gegen eine maessige Busse und die Auslieferung der roemischen Oberlaeufer und der Kriegselefanten (643 111), welche letztere der Koenig grossenteils spaeter wiedereinhandelte durch Vertraege mit den einzelnen roemischen Platzkommandanten und Offizieren. Auf die Kunde davon brach in Rom abermals der Sturm los. Alle Welt wusste, wie der Friede zustande gekommen war; selbst Scaurus also war zu haben, nur um einen hoeheren als den gemeinen senatorischen Durchschnittspreis. Die Rechtsbestaendigkeit des Friedens ward im Senat ernstlich angefochten; Gaius Memmius erklaerte, dass der Koenig, wenn er wirklich unbedingt sich unterworfen habe, sich nicht weigern koenne, in Rom zu erscheinen und man ihn demnach vorladen moege, um hinsichtlich der durchaus irregulaeren Friedensverhandlungen durch Vernehmung der beiden paziszierenden Teile den Tatbestand festzustellen. Man fuegte sich der unbequemen Forderung; rechtswidrig aber, da der Koenig nicht als Feind kam, sondern als unterworfener Mann, ward demselben zugleich sicheres Geleit zugestanden. Daraufhin erschien der Koenig in der Tat in Rom und stellte sich zum Verhoer vor dem versammelten Volke, das muehsam bewogen ward, das sichere Geleit zu respektieren und den Moerder der cirtensischen Italiker nicht auf der Stelle zu zerreissen. Allein kaum hatte Gaius Memmius die erste Frage an den Koenig gerichtet, als einer seiner Kollegen kraft seines Veto einschritt und dem Koenige befahl zu schweigen. Auch hier also war das afrikanische Gold maechtiger als der Wille des souveraenen Volkes und seiner hoechsten Beamten. Inzwischen gingen im Senat die Verhandlungen ueber die Gueltigkeit des soeben abgeschlossenen Friedens weiter und der neue Konsul Spurius Postumius Albinus nahm eifrig Partei fuer den Antrag, denselben zu kassieren, in der Aussicht, dass dann der Oberbefehl in Afrika an ihn kommen werde. Dies veranlasste einen in Rom lebenden Enkel Massinissas, den Massiva, seine Ansprueche auf das erledigte Numidische Reich bei dem Senat geltend zu machen; worauf Bomilkar, einer der Vertrauten des Koenigs Jugurtha, den Konkurrenten seines Herrn, ohne Zweifel in dessen Auftrag, meuchlerisch aus dem Wege schaffte und, da ihm dafuer der Prozess gemacht ward, mit Hilfe Jugurthas aus Rom entfloh. Dies neue, unter den Augen der roemischen Regierung veruebte Verbrechen bewirkte wenigstens so viel, dass der Senat nun den Frieden kassierte und den Koenig aus der Stadt auswies (Winter 643/44 111/10). Der Krieg ging also wieder an, und der Konsul Spurius Albinus uebernahm den Oberbefehl (644 110). Allein das afrikanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab in derjenigen Zerruettung, wie sie einer solchen politischen und militaerischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloss von Disziplin war die Rede nicht mehr und die Pluenderung der numidischen Ortschaften, ja des roemischen Provinzialgebiets waehrend der Waffenruhe das Hauptgeschaeft der roemischen Soldateska gewesen, sondern es hatten auch nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche Einverstaendnisse angeknuepft mit dem Feinde. Dass ein solches Heer im Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch diesmal vom roemischen Obergeneral die Untaetigkeit kaufte, wie dies spaeter gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so tat er wahrlich ein uebriges. Spurius Albinus also begnuegte sich damit, nichts zu tun; dagegen sein Bruder, der nach seiner Abreise interimistisch den Oberbefehl uebernahm, der ebenso tolldreiste als unfaehige Aulus Postumius, kam mitten im Winter auf den Gedanken, durch einen kuehnen Handstreich sich der Schaetze des Koenigs zu bemaechtigen, die in der schwer zugaenglichen und schwer zu erobernden Stadt Suthul (spaeter Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und erreichte die Stadt; allein die Belagerung war erfolgund aussichtslos, und als der Koenig, der eine Zeitlang mit seinen Truppen vor der Stadt gestanden, in die Wueste ging, zog der roemische Feldherr es vor, ihn zu verfolgen. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen naechtlichen Angriff, wobei die Schwierigkeiten des Terrains und Jugurthas Einverstaendnisse in der roemischen Armee zusammenwirkten, eroberten die Numidier das roemische Lager und trieben die grossenteils waffenlosen Roemer in der vollstaendigsten und schimpflichsten Flucht vor sich her. Die Folge war eine Kapitulation, deren Bedingungen: Abzug des roemischen Heeres unter dem Joch, sofortige Raeumung des ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat kassierten Buendnisvertrages, von Jugurtha diktiert und von den Roemern angenommen wurden (Anfang 645 109). Dies war denn doch zu arg. Waehrend die Afrikaner jubelten und die ploetzlich eroeffnende Aussicht auf den kaum noch fuer moeglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahlreiche Staemme der freien und halbfreien Wuestenbewohner unter die Fahnen des siegreichen Koenigs fuehrte, brauste in Italien die oeffentliche Meinung hoch auf gegen die ebenso verdorbene wie verderbliche Regierungsaristokratie und brach los in einem Prozesssturm, der, genaehrt durch die Erbitterung der Kaufmannschaft, eine Reihe von Opfern aus den hoechsten Kreisen des Adels wegraffte. Auf den Antrag des Volkstribuns Gaius Mamilius Limetanus ward trotz der schuechternen Versuche des Senats, das Strafgericht abzuwenden, eine ausserordentliche Geschworenenkommission bestellt zur Untersuchung des in der numidischen Sukzessionsfrage vorgekommenen Landesverrats, und ihre Wahlsprueche sandten die beiden bisherigen Oberfeldherren, Gaius Bestia und Spurius Albinus, ferner den Lucius Opimius, das Haupt der ersten afrikanischen Kommission und nebenbei den Henker des Gaius Gracchus, ausserdem zahlreiche andere weniger namhafte schuldige und unschuldige Maenner der Regierungspartei in die Verbannung. Dass indes diese Prozesse einzig darauf hinausliefen, durch Aufopferung einiger der am meisten kompromittierten Personen die aufgeregte oeffentliche Meinung namentlich der Kapitalistenkreise zu beschwichtigen, und dass dabei von einer Auflehnung des Volkszorns gegen das rechtund ehrlose Regiment selbst nicht die leiseste Spur vorhanden war, zeigt sehr deutlich die Tatsache, dass an den schuldigsten unter den Schuldigen, an den klugen und maechtigen Scaurus nicht bloss niemand sich wagte, sondern dass er eben um diese Zeit zum Zensor, ja sogar unglaublicherweise zu einem der Vorstaende der ausserordentlichen Hochverratskommission erwaehlt ward. Um so weniger ward auch nur der Versuch gemacht, der Regierung in ihre Kompetenz zu greifen, und es blieb lediglich dem Senat ueberlassen, dem numidischen Skandal in der fuer die Aristokratie moeglichst gelinden Weise ein Ende zu machen; denn dass dies an der Zeit war, mochte wohl selbst der adligste Adlige anfangen zu begreifen. Der Senat kassierte zunaechst auch den zweiten Friedensvertrag - den Oberbefehlshaber, der ihn abgeschlossen, dem Feinde auszuliefern, wie dies noch vor dreissig Jahren geschehen war, schien nach den neuen Begriffen von der Heiligkeit der Vertraege nicht ferner noetig -, und die Erneuerung des Krieges ward diesmal allen Ernstes beschlossen. Man uebergab den Oberbefehl in Afrika zwar wie natuerlich einem Aristokraten, aber noch einem der wenigen vornehmen Maenner, die militaerisch und sittlich der Aufgabe gewachsen waren. Die Wahl fiel auf Quintus Metellus. Er war wie die ganze maechtige Familie, der er angehoerte, seinen Grundsaetzen nach ein starrer und ruecksichtsloser Aristokrat, als Beamter ein Mann, der es zwar sich zur Ehre rechnete, zum Besten des Staats Meuchelmoerder zu dingen, und was Fabricius gegen Pyrrhos tat, vermutlich als unpraktische Donquichotterie verlacht haben wuerde, aber doch ein unbeugsamer, weder der Furcht noch der Bestechung zugaenglicher Verwalter und ein einsichtiger und erfahrener Kriegsmann. In dieser Hinsicht war er auch von seinen Standesvorurteilen so weit frei, dass er sich zu seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, sondern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veraenderten und verbesserten Exerzierreglements in militaerischen Kreisen geschaetzt ward, und den tapferen, von der Pike emporgedienten latinischen Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und anderen faehigen Offizieren begleitet, erschien Metellus im Laufe des Jahres 645 (109) als Konsul und Oberfeldherr bei der afrikanischen Armee, die er in einem so zerruetteten Zustand antraf, dass die Generale bisher nicht gewagt hatten, sie auf das feindliche Gebiet zu fuehren und sie niemand fuerchterlich war als den ungluecklichen Bewohnern der roemischen Provinz. Streng und rasch wurde sie reorganisiert und im Fruehling des Jahres 646 (108) 5 fuehrte Metellus sie ueber die numidische Grenze. Wie Jugurtha der veraenderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte Vergleichsantraege, indem er schliesslich nichts weiter begehrte, als dass man ihm das Leben zusichere. Indes Metellus war entschlossen und vielleicht selbst angewiesen, den Krieg nicht anders zu beendigen als mit der unbedingten Unterwerfung und der Hinrichtung des verwegenen Klientelfuersten; was auch in der Tat der einzige Ausgang war, der den Roemern genuegen konnte. Jugurtha galt seit dem Sieg ueber Albinus als der Erloeser Libyens von der Herrschaft der verhassten Fremden; ruecksichtslos und schlau, wie er, und unbeholfen, wie die roemische Regierung war, konnte er jederzeit auch nach dem Frieden wieder in seiner Heimat den Krieg entzuenden; die Ruhe war nicht eher gesichert und die Entfernung der afrikanischen Armee nicht eher moeglich, als wenn Koenig Jugurtha nicht mehr war. Offiziell gab Metellus ausweichende Antworten auf die Antraege des Koenigs; insgeheim stiftete er die Boten desselben auf, ihren Herrn lebend oder tot an die Roemer auszuliefern. Indes wenn der roemische General es unternahm, mit dem Afrikaner auf dem Gebiet des Meuchelmordes zu wetteifern, so fand er hier seinen Meister; Jugurtha durchschaute den Plan und ruestete sich, da er nicht anders konnte, zur verzweifelten Gegenwehr. Jenseits des voellig oeden Gebirgszugs, ueber den der Weg der Roemer in das Innere fuehrte, erstreckte sich in der Breite von vier deutschen Meilen bis zu dem dem Gebirgszug parallel laufenden Flusse Muthul eine weite Ebene, welche bis auf die unmittelbare Nachbarschaft des Flusses wasserund baumlos war und nur durch einen mit niedrigem Gestruepp bedeckten Huegelruecken in der Quere durchsetzt ward. Auf diesem Huegelruecken erwartete Jugurtha das roemische Heer. Seine Truppen standen in zwei Massen: die eine, ein Teil der Infanterie und die Elefanten, unter Bomilkar da, wo der Ruecken auslief gegen den Fluss, die andere, der Kern des Fussvolks und die gesamte Reiterei, hoeher hinauf gegen den Gebirgszug, verdeckt durch das Gestruepp. Aus dem Gebirge debouchierend, erblickten die Roemer den Feind in einer ihre rechte Flanke vollstaendig beherrschenden Stellung und hatten, da sie auf dem kahlen und wasserlosen Gebirgskamm unmoeglich verweilen konnten und den Fluss notwendig erreichen mussten, die schwierige Aufgabe zu loesen, durch die vier Meilen breite, ganz offene Ebene, unter den Augen der feindlichen Reiter und selber ohne leichte Kavallerie, an den Strom zu gelangen. Metellus entsandte ein Detachement unter Rufus in gerader Richtung an den Fluss, um daselbst ein Lager zu schlagen; die Hauptmasse marschierte aus den Debouches des Gebirges in schraeger Richtung durch die Ebene auf den Huegelruecken zu, um den Feind von demselben herunterzuwerfen. Indes dieser Marsch in der Ebene drohte das Verderben des Heeres zu werden, denn waehrend numidische Infanterie im Ruecken der Roemer die Gebirgsdefileen besetzte, wie diese sie raeumten, sah sich die roemische Angriffskolonne auf allen Seiten von den feindlichen Reitern umschwaermt, die von dem Huegelruecken herab angriffen. Das stete Anprallen der feindlichen Schwaerme hinderte den Vormarsch, und die Schlacht drohte sich in eine Anzahl verwirrter Detailgefechte aufzuloesen; waehrend gleichzeitig Bomilkar mit seiner Abteilung das Korps unter Rufus festhielt, um es zu hindern, der schwer bedraengten roemischen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Jedoch gelang es Metellus und Marius mit ein paar tausend Soldaten, den Fuss des Huegelrueckens zu erreichen; und das numidische Fussvolk, das die Hoehen verteidigte, lief trotz der Ueberzahl und der guenstigen Stellung fast ohne Widerstand davon, als die Legionaere im Sturmschritt den Berg hinauf angriffen. Ebenso schlecht hielt sich das numidische Fussvolk gegen Rufus; es ward bei dem ersten Angriff zerstreut und die Elefanten in dem durchschnittenen Terrain alle getoetet oder gefangen. Spaet am Abend trafen die beiden roemischen Heerhaufen, jeder fuer sich Sieger und jeder besorgt um das Schicksal des andern, zwischen den beiden Walplaetzen zusammen. Es war eine Schlacht, die fuer Jugurthas ungemeines militaerisches Talent ebenso zeugte wie fuer die unverwuestliche Tuechtigkeit der roemischen Infanterie, welche allein die strategische Niederlage in einen Sieg umgewandelt hatte. Jugurtha sandte nach der Schlacht einen grossen Teil seiner Truppen heim und beschraenkte sich auf den kleinen Krieg, den er gleichfalls mit Gewandtheit leitete. Die beiden roemischen Kolonnen, die eine von Metellus gefuehrt, die andere von Marius, der, obwohl von Geburt und Rang der geringste, seit der Schlacht am Muthul unter den Korpschefs die erste Stelle einnahm, durchzogen das numidische Gebiet, besetzten die Staedte und machten, wo eine Ortschaft die Tore nicht gutwillig geoeffnet hatte, die erwachsene maennliche Bevoelkerung nieder. Allein die ansehnlichste unter den Staedten im oestlichen Binnenland, Zama, leistete den Roemern ernsthaften Widerstand, den der Koenig nachdruecklich unterstuetzte. Sogar ein Ueberfall des roemischen Lagers gelang ihm, und die Roemer sahen sich endlich genoetigt, die Belagerung aufzuheben und in das Winterquartier zu gehen. Der leichteren Verpflegung wegen verlegte Metellus dasselbe, unter Zuruecklassung von Besatzungen in den eroberten Staedten, in die roemische Provinz und benutzte die Waffenruhe, um wieder Unterhandlungen anzuknuepfen, indem er sich geneigt zeigte, dem Koenig einen ertraeglichen Frieden zu bewilligen. Jugurtha ging darauf bereitwillig ein; bereits hatte er sich anheischig gemacht, 200000 Pfund Silber zu entrichten, ja sogar seine Elefanten und 300 Geiseln schon abgeliefert, ebenso 3000 roemische Ueberlaeufer, die sofort niedergemacht wurden. Gleichzeitig aber wurde des Koenigs vertrautester Ratgeber, Bomilkar, der nicht mit Unrecht besorgte, dass, wenn es zum Frieden kaeme, Jugurtha ihn als den Moerder des Massiva den roemischen Gerichten ueberliefern werde, von Metellus gewonnen und gegen Zusicherung der Straflosigkeit fuer jenen Mord und grosser Belohnungen zu dem Versprechen bewogen, den Koenig den Roemern lebendig oder tot in die Haende zu liefern. Indes weder jene offizielle Verhandlung noch diese Intrige fuehrte zu dem gewuenschten Resultat. Als Metellus mit dem Ansinnen herausrueckte, dass der Koenig persoenlich sich als Gefangener zu stellen habe, brach dieser die Unterhandlungen ab; Bomilkars Verkehr mit dem Feinde ward entdeckt und derselbe festgenommen und hingerichtet. Es soll keine Schutzrede sein fuer diese diplomatischen Kabalen niedrigster Art; aber die Roemer hatten allen Grund, danach zu trachten, sich der Person ihres Gegners zu bemaechtigen. Der Krieg war auf dem Punkt angelangt, wo man ihn weder weiterfuehren noch aufgeben konnte. Wie die Stimmung in Numidien war, beweist zum Beispiel der Aufstand der bedeutendsten unter den Roemern besetzten Staedten Vaga 6 im Winter 646/47 (108/07), wobei die gesamte roemische Besatzung, Offiziere und Gemeine, niedergemacht wurde mit Ausnahme des Kommandanten Titus Turpilius Silanus, welcher spaeter wegen Einverstaendnisses mit dem Feinde, ob mit Recht oder Unrecht, laesst sich nicht sagen, von dem roemischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet ward. Die Stadt wurde von Metellus am zweiten Tage nach dem Abfall ueberrumpelt und der ganzen Strenge des Kriegsgerichts preisgegeben; allein wenn die Gemueter der leicht erreichbaren und verhaeltnismaessig fuegsamen Anwohner des Bagradas also gestimmt waren, wie mochte es da aussehen weiter landeinwaerts und bei den schweifenden Staemmen der Wueste? Jugurtha war der Abgott der Afrikaner, die in ihm den doppelten Brudermoerder gern uebersahen ueber dem Retter und Raecher der Nation. Zwanzig Jahre nachher musste ein numidisches Korps, das fuer die Roemer in Italien focht, schleunigst nach Afrika zurueckgesandt werden, als in den feindlichen Reihen Jugurthas Sohn sich zeigte: man mag daraus schliessen, was er selber ueber die Seinen vermochte. Wie war ein Ende des Krieges abzusehen in Landschaften, wo die vereinigten Eigentuemlichkeiten der Bevoelkerung und des Bodens einem Fuehrer, der sich einmal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten, den Krieg in endlosen Kleingefechten fortzuspinnen oder auch gar ihn eine Zeitlang schlafen zu legen, um ihn im rechten Augenblick mit neuer Gewalt wiederzuerwecken? ------------------------------------------------ 5 In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlaessigt. Der Krieg ging im Sommer 649 (105) zu Ende (c. 114); wenn also Marius seine Kriegfuehrung als Konsul 647 (107) begann, so fuehrte er dort das Kommando in drei Kampagnen. Allein die Erzaehlung schildert nur zwei, und mit Recht. Denn eben wie Metellus allem Anschein nach zwar schon 645 (109) nach Afrika ging, aber, da er spaet eintraf (c. 37, 44) und die Reorganisation des Heeres Zeit kostete (c. 44), seine Operationen erst im folgenden Jahr begann, trat auch Marius, der gleichfalls in Italien laengere Zeit sich mit Kriegsvorbereitungen aufhielt (c. 84), entweder als Konsul 647 (107) spaet im Jahre und nach beendigtem Feldzug oder auch erst als Prokonsul 648 (106) den Oberbefehl an; so dass also die beiden Feldzuege des Metellus 646, 647 (108, 107) die des Marius 648, 649 (106, 105) fallen. Dazu passt, dass Metellus erst im Jahre 648 (106) triumphierte (Eph. epigr. IV, S. 257). Dazu passt ferner, dass die Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhaeltnis, in dem sie zu Marius’ Bewerbung um das Konsulat stehen, notwendig in das Jahr 646 (108) gesetzt werden muessen. Von Ungenauigkeiten ist der Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 (105) bei ihm Konsul genannt wird. Die Verlaengerung des Kommandos des Metellus, die Sallustius (62, 10) berichtet, kann sich nach dem Platze, an dem sie steht, nur beziehen auf das Jahr 647 (107); als im Sommer 646 (108) auf Grund des Sempronischen Gesetzes die Provinzen der fuer 647 (107) zu waehlenden Konsuln festzusetzen waren, bestimmte der Senat zwei andere Provinzen und liess also Numidien dem Metellus. Diesen Senatsschluss stiess das 72, 7 erwaehnte Plebiszit um. Die folgenden in den besten Handschriften beider Familien lueckenhaft ueberlieferten Worte sed Paulo .... decreverat: ea res frustra fuit muessen entweder die den Konsuln vom Senat bestimmten Provinzen genannt haben - etwa sed paulo [ante uti consulibus Italia et Gallia provinciae essent senatus] decreverat - oder, nach der Ergaenzung der Vulgathandschriften: sed Paulo [ante senatus Metello Numidiam] decreverat. 6 Jetzt Bedschah an der Medscherda. ---------------------------------------- Als Metellus im Jahre 647 (107) wieder ins Feld rueckte, hielt Jugurtha ihm nirgends stand: bald tauchte er da auf, bald an einem andern, weit entfernten Punkt; es schien, als wuerde man ebenso leicht Herr werden ueber die Loewen wie ueber diese Reiter der Wueste. Eine Schlacht ward geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer zu sagen. Der Koenig war verschwunden in die unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der grossen Wueste, lag in quelliger Oase der feste Platz Thala 7; dorthin hatte Jugurtha sich zurueckgezogen mit seinen Kindern, seinen Schaetzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwarten. Metellus wagte es, durch eine Einoede, wo das Wasser auf zehn deutsche Meilen in Schlaeuchen mitgefuehrt werden musste, dem Koenig zu folgen; Thala ward erreicht und fiel nach vierzigtaegiger Belagerung; allein nicht bloss vernichteten die roemischen Ueberlaeufer mit dem Gebaeude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zugleich den wertvollsten Teil der Beute, sondern, worauf mehr ankam, der Koenig Jugurtha war mit seinen Kindern und seiner Kasse entkommen. Numidien zwar war so gut wie ganz in den Haenden der Roemer; aber statt dass man damit am Ziele gestanden haette, schien der Krieg nur ueber ein immer weiteres Gebiet sich auszudehnen. Im Sueden begannen die freien gaetulischen Staemme der Wueste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen die Roemer. Im Westen schien Koenig Bocchus von Mauretanien, dessen Freundschaft die Roemer in frueherer Zeit verschmaeht hatten, jetzt nicht abgeneigt, mit seinem Schwiegersohn gegen sie gemeinschaftliche Sache zu machen: er nahm ihn nicht bloss bei sich auf, sondern rueckte auch, mit den eigenen zahllosen Reiterscharen Jugurthas Haufen vereinigend, in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man begann zu unterhandeln; es war klar, dass er mit Jugurthas Person den eigentlichen Kampfpreis fuer Rom in Haenden hielt. Was er aber beabsichtigte, ob den Roemern den Schwiegersohn teuer zu verkaufen oder mit dem Schwiegersohn gemeinschaftlich den Nationalkrieg aufzunehmen, wussten weder die Roemer noch Jugurtha und vielleicht der Koenig selbst nicht; derselbe beeilte sich auch keineswegs, aus seiner zweideutigen Stellung herauszutreten. Darueber verliess Metellus die Provinz, die er durch Volksbeschluss genoetigt worden war, seinem ehemaligen Unterfeldherrn, dem jetzigen Konsul Marius abzutreten und dieser uebernahm fuer den naechsten Feldzug 648 (106) den Oberbefehl. Er verdankte ihn gewissermassen einer Revolution. Im Vertrauen auf die von ihm geleisteten Dienste und nebenher auf die ihm zuteil gewordenen Orakel hatte er sich entschlossen, als Bewerber um das Konsulat aufzutreten. Wenn die Aristokratie die ebenso verfassungsmaessige wie sonst vollkommen gerechtfertigte Bewerbung des tuechtigen, durchaus nicht oppositionell gesinnten Mannes unterstuetzt haette, so wuerde dabei nichts herausgekommen sein als die Verzeichnung eines neuen Geschlechts in den konsularischen Fasten; statt dessen wurde der nicht adlige Mann, der die hoechste Gemeinwuerde fuer sich begehrte, von der ganzen regierenden Kaste als ein frecher Neuerer und Revolutionaer geschmaeht - vollkommen wie einst der plebejische Bewerber von den Patriziern behandelt worden war, nur jetzt ohne jeden formalen Rechtsgrund -, der tapfere Offizier mit spitzen Reden von Metellus verhoehnt - Marius moege mit seiner Kandidatur warten, hiess es, bis Metellus’ Sohn, ein bartloser Knabe, mit ihm sich bewerben koenne - und kaum im letzten Augenblick aufs ungnaedigste entlassen, um fuer das Jahr 647 (107), als Bewerber um das Konsulat in der Hauptstadt aufzutreten. Hier vergalt er das erlittene Unrecht seinem Feldherrn reichlich, indem er vor der gaffenden Menge die Kriegfuehrung und Verwaltung des Metellus in Afrika in einer ebenso unmilitaerischen wie schmaehlich unbilligen Weise kritisierte, ja sogar es nicht verschmaehte, dem lieben, ewig von geheimen, hoechst unerhoerten und hoechst unzweifelhaften Konspirationen der vornehmen Herren munkelnden Poebel das platte Maerchen aufzutischen, dass Metellus den Krieg absichtlich verschleppe, um so lange wie moeglich Oberbefehlshaber zu bleiben. Den Gassenbuben leuchtete dies vollkommen ein; zahlreiche, aus guten und schlechten Ursachen der Regierung misswollende Leute, namentlich die mit Grund erbitterte Kaufmannschaft, verlangten nichts Besseres als eine solche Gelegenheit, die Aristokratie an ihrer empfindlichsten Stelle zu verletzen; er wurde nicht bloss mit ungeheurer Majoritaet zum Konsul gewaehlt, sondern ihm auch, waehrend sonst nach dem Gesetze des Gaius Gracchus die Entscheidung ueber die jedesmaligen Kompetenzen der Konsuln dem Senat zustand, unter Umstossung der vom Senat getroffenen Verfuegung, die den Metellus an seiner Stelle liess, durch Beschluss der souveraenen Komitien der Oberbefehl im Afrikanischen Krieg uebertragen. Demgemaess trat er im Laufe des Jahres 647 (107) an Metellus’ Stelle und fuehrte das Kommando in dem Feldzuge des folgenden Jahres; allein die zuversichtliche Verheissung, es besser zu machen als sein Vorgaenger und den Jugurtha an Haenden und Fuessen gebunden schleunigst nach Rom abzuliefern, war leichter gegeben als erfuellt. Marius schlug sich herum mit den Gaetulern; er unterwarf einzelne noch nicht besetzte Staedte; er unternahm eine Expedition nach Capsa (Gafsa) im aeussersten Suedosten des Koenigreichs, welche die von Thala an Schwierigkeit noch ueberbot, nahm die Stadt durch Kapitulation und liess trotz des Vertrages alle erwachsenen Maenner darin toeten - freilich das einzige Mittel, den Wiederabfall der fernliegenden Wuestenstadt zu verhueten; er griff ein am Fluss Molochath, der das numidische Gebiet vom mauretanischen schied, belegenes Bergkastell an, in das Jugurtha seine Kasse geschafft hatte, und erstuermte, eben als er schon am Erfolg verzweifelnd von der Belagerung abstehen wollte, durch den Handstreich einiger kuehner Kletterer gluecklich das unbezwingliche Felsennest. Wenn es bloss darauf angekommen waere, durch dreiste Razzias das Heer abzuhaerten und dem Soldaten Beute zu schaffen oder auch Metellus’ Zug in die Wueste durch eine noch weiter greifende Expedition zu verdunkeln, so konnte man diese Kriegfuehrung gelten lassen; in der Hauptsache ward das Ziel, worauf alles ankam und das Metellus mit fester Konsequenz im Auge behalten hatte, die Gefangennehmung des Jugurtha, dabei voellig beiseite gesetzt. Der Zug des Marius nach Capsa war ein ebenso zweckloses wie der des Metellus nach Thala ein zweckmaessiges Wagnis; die Expedition aber an den Molochath, welche an, wo nicht in das mauretanische Gebiet streifte, war geradezu zweckwidrig. Koenig Bocchus, in dessen Hand es lag, den Krieg zu einem fuer die Roemer guenstigen Ausgang zu bringen oder ihn ins Endlose zu verlaengern, schloss jetzt mit Jugurtha einen Vertrag ab, in dem dieser ihm einen Teil seines Reiches abtrat, Bocchus aber versprach, den Schwiegersohn gegen Rom taetig zu unterstuetzen. Das roemische Heer, das vom Fluss Molochath wieder zurueckkehrte, sah sich eines Abends ploetzlich umringt von ungeheuren Massen mauretanischer und numidischer Reiterei; man musste fechten, wo und wie die Abteilungen eben standen, ohne dass eine eigentliche Schlachtordnung und ein leitendes Kommando sich haetten durchfuehren lassen, und sich gluecklich schaetzen, die stark gelichteten Truppen auf zwei voneinander nicht weit entfernten Huegeln vorlaeufig fuer die Nacht in Sicherheit zu bringen. Indes die arge Nachlaessigkeit der von ihrem Siege trunkenen Afrikaner entriss ihnen die Folgen desselben; sie liessen sich von den waehrend der Nacht einigermassen wiedergeordneten roemischen Truppen beim grauenden Morgen im tiefen Schlafe ueberfallen und wurden gluecklich zerstreut. Darauf setzte das roemische Heer in besserer Ordnung und mit groesserer Vorsicht den Rueckzug fort; allein noch einmal wurde es auf demselben von allen vier Seiten zugleich angefallen und schwebte in grosser Gefahr, bis der Reiterobrist Lucius Cornelius Sulla zuerst die ihm gegenueberstehenden Reiterhaufen auseinanderstaeubte und von deren Verfolgung rasch zurueckkehrend sich weiter auf Jugurtha und Bocchus warf, da wo sie persoenlich das roemische Fussvolk im Ruecken bedraengten. Also ward auch dieser Angriff gluecklich abgeschlagen; Marius brachte sein Heer zurueck nach Cirta und nahm daselbst das Winterquartier (648/49 106/05). Es ist wunderlich, aber freilich begreiflich, dass man roemischerseits um die Freundschaft des Koenigs Bocchus, die man anfangs verschmaeht, sodann wenigstens nicht eben gesucht hatte, jetzt, nachdem er den Krieg begonnen hatte, anfing sich aufs eifrigste zu bemuehen, wobei es den Roemern zustatten kam, dass von mauretanischer Seite keine foermliche Kriegserklaerung stattgefunden hatte. Nicht ungern trat Koenig Bocchus zurueck in seine alte zweideutige Stellung; ohne den Vertrag mit Jugurtha aufzuloesen oder diesen zu entlassen, liess er mit dem roemischen Feldherrn sich ein auf Verhandlungen ueber die Bedingungen eines Buendnisses mit Rom. Als man einig geworden war oder zu sein schien, erbat sich der Koenig, dass Marius zum Abschluss des Vertrages und zur Uebernahme des koeniglichen Gefangenen den Lucius Sulla an ihn absenden moege, der dem Koenig bekannt und genehm sei teils von der Zeit her, wo er als Gesandter des Senats am mauretanischen Hofe erschienen war, teils durch Empfehlungen der nach Rom bestimmten mauretanischen Gesandten, denen Sulla unterwegs Dienste geleistet hatte. Marius war in einer unbequemen Lage. Lehnte er die Zumutung ab, so fuehrte dies wahrscheinlich zum Bruche; nahm er sie an, so gab er seinen adligsten und tapfersten Offizier einem mehr als unzuverlaessigen Mann in die Haende, der, wie maenniglich bekannt, mit den Roemern und mit Jugurtha doppeltes Spiel spielte, und der fast den Plan entworfen zu haben schien, an Jugurtha und Sulla sich vorlaeufig nach beiden Seiten hin Geiseln zu schaffen. Indes der Wunsch, den Krieg zu Ende zu bringen, ueberwog jede andere Ruecksicht, und Sulla verstand sich zu der bedenklichen Aufgabe, die Marius ihm ansann. Dreist brach er auf, geleitet von Koenig Bocchus’ Sohn Volux, und seine Entschlossenheit wankte selbst dann nicht, als sein Wegweiser ihn mitten durch das Lager des Jugurtha fuehrte. Er wies die kleinmuetigen Fluchtvorschlaege seiner Begleiter zurueck und zog, des Koenigs Sohn an der Seite, unverletzt durch die Feinde. Dieselbe Entschiedenheit bewaehrte der kecke Offizier in den Verhandlungen mit dem Sultan und bestimmte ihn endlich, ernstlich eine Wahl zu treffen. Jugurtha ward aufgeopfert. Unter dem Vorgeben, dass alle seine Begehren bewilligt werden sollten, wurde er von dem eigenen Schwiegervater in einen Hinterhalt gelockt, sein Gefolge niedergemacht und er selbst gefangengenommen. So fiel der grosse Verraeter durch den Verrat seiner Naechsten. Gefesselt brachte Lucius Sulla den listigen und rastlosen Afrikaner mit seinen Kindern in das roemische Hauptquartier; damit war nach siebenjaehriger Dauer der Krieg zu Ende. Der Sieg ging zunaechst auf den Namen des Marius; seinem Triumphalwagen schritt in koeniglichem Schmuck und in Fesseln Koenig Jugurtha mit seinen beiden Soehnen vorauf, als der Sieger am 1. Januar 650 (104) in Rom einzog; auf seinen Befehl starb der Sohn der Wueste wenige Tage darauf in dem unterirdischen Stadtgefaengnis, dem alten Brunnenhaus am Kapitol, dem "eisigen Badgemach", wie der Afrikaner es nannte, als er die Schwelle ueberschritt, um daselbst sei es erdrosselt zu werden, sei es umzukommen durch Kaelte und Hunger. Allein es liess sich nicht leugnen, dass Marius an den wirklichen Erfolgen den geringsten Anteil hatte, dass Numidiens Eroberung bis an den Saum der Wueste das Werk des Metellus, Jugurthas Gefangennahme das des Sulla war und zwischen beiden Marius eine fuer einen ehrgeizigen Emporkoemmling einigermassen kompromittierende Rolle spielte. Marius ertrug es ungern, dass sein Vorgaenger den Namen des Siegers von Numidien annahm; er brauste zornig auf, als Koenig Bocchus spaeter ein goldnes Bildwerk auf dem Kapitol weihte, welches die Auslieferung des Jugurtha an Sulla darstellte; und doch stellten auch in den Augen unbefangener Urteiler die Leistungen dieser beiden des Marius Feldherrnschaft gar sehr in Schatten, vor allem Sullas glaenzender Zug in die Wueste, der seinen Mut, seine Geistesgegenwart, seinen Scharfsinn, seine Macht ueber die Menschen vor dem Feldherrn selbst und vor der ganzen Armee zur Anerkennung gebracht hatte. An sich waere auf diese militaerischen Rivalitaeten wenig angekommen, wenn sie nicht in den politischen Parteikampf eingegriffen haetten; wenn nicht die Opposition durch Marius den senatorischen General verdraengt gehabt, nicht die Regierungspartei Metellus und mehr noch Sulla mit erbitternder Absichtlichkeit als die militaerischen Koryphaeen gefeiert und dem nominellen Sieger vorgezogen haette - wir werden auf die verhaengnisvollen Folgen dieser Verhetzungen in der Darstellung der inneren Geschichte zurueckzukommen haben. --------------------------------- 7 Die Oertlichkeit ist nicht wiedergefunden. Die fruehere Annahme, dass Thelepte (bei Feriana, noerdlich von Capsa) gemeint sei, ist willkuerlich und die Identifikation mit einer auch heute Thala genannten Oertlichkeit oestlich von Capsa auch nicht gehoerig begruendet. -------------------------------- Im uebrigen verlief diese Insurrektion des numidischen Klientelstaats, ohne weder in den allgemeinen politischen Verhaeltnissen noch auch nur in denen der afrikanischen Provinz eine merkliche Veraenderung hervorzubringen. Abweichend von der sonst in dieser Zeit befolgten Politik ward Numidien nicht in eine roemische Provinz umgewandelt; offenbar deshalb, weil das Land nicht ohne eine die Grenzen gegen die Wilden der Wueste deckende Armee zu behaupten und man keineswegs gemeint war, in Afrika ein stehendes Heer zu unterhalten. Man begnuegte sich deshalb, die westlichste Landschaft Numidiens, wahrscheinlich den Strich vom Fluss Molochath bis zum Hafen von Saldae (Bougie) - das spaetere Mauretanien von Caesarea (Provinz Algier) - zu dem Reich des Bocchus zu schlagen und das darum verkleinerte Koenigreich Numidien auf den letzten noch lebenden legitimen Enkel Massinissas, Jugurthas an Koerper und Geist schwachen Halbbruder Gauda, zu uebertragen, welcher bereits im Jahre 646 (108) auf Veranlassung des Marius seine Ansprueche bei dem Senat geltend gemacht hatte 8. Zugleich wurden die gaetulischen Staemme im inneren Afrika als freie Bundesgenossen unter die mit den Roemern in Vertrag stehenden unabhaengigen Nationen aufgenommen. ---------------------------------------------------------------- 8 Sallusts politisches Genregemaelde des jugurthinischen Krieges, in der sonst voellig verblassten und verwaschenen Tradition dieser Epoche das einzige in frischen Farben uebriggebliebene Bild, schliesst mit Jugurthas Katastrophe, seiner Kompositionsweise getreu, poetisch, nicht historisch; und auch anderweitig fehlt es an einem zusammenhaengenden Bericht ueber die Behandlung des Numidischen Reiches. Dass Gauda Jugurthas Nachfolger ward deuten Sallust (c. 64) und Dio Cassius (fr. 79, 4 Bekk.) an und bestaetigt eine Inschrift von Cartagena (Orelli 630), die ihn Koenig und Vater Hiempsals II. nennt. Dass im Westen die zwischen Numidien einerund dem roemischen Afrika und Kyrene andererseits bestehenden Grenzverhaeltnisse unveraendert blieben, zeigt Caesar (civ. 2, 38), Bell. Afr. 43, 77 und die spaetere Provinzialverfassung. Dagegen liegt es in der Natur der Sache und wird auch von Sallust (c. 97; 102; 111) angedeutet, dass Bocchus’ Reich bedeutend vergroessert ward; womit es unzweifelhaft zusammenhaengt, dass Mauretanien, urspruenglich beschraenkt auf die Landschaft von Tingis (Marokko), in spaeterer Zeit sich erstreckt auf die Landschaft von Caesarea (Provinz Algier) und die von Sitifis (westliche Haelfte der Provinz Constantine). Da Mauretanien zweimal von den Roemern vergroessert ward, zuerst 649 (105) nach Jugurthas Auslieferung, sodann 708 (46) nach Aufloesung des Numidischen Reiches, so ist wahrscheinlich die Landschaft von Caesarea bei der ersten, die von Sitifis bei der zweiten Vergroesserung hinzugekommen. -------------------------------------------------------------- Wichtiger als diese Regulierung der afrikanischen Klientel waren die politischen Folgen des Jugurthinischen Krieges oder vielmehr der Jugurthinischen Insurrektion, obgleich auch diese haeufig zu hoch angeschlagen worden sind. Allerdings waren darin alle Schaeden des Regiments in unverhuellter Nacktheit zu Tage gekommen; es war jetzt nicht bloss notorisch, sondern sozusagen gerichtlich konstatiert, dass den regierenden Herren Roms alles feil war, der Friedensvertrag wie das Interzessionsrecht, der Lagerwall und das Leben der Soldaten; der Afrikaner hatte nicht mehr gesagt als die einfache Wahrheit, als er bei seiner Abreise von Rom aeusserte, wenn er nur Geld genug haette, mache er sich anheischig, die Stadt selber zu kaufen. Allein das ganze aeussere und innere Regiment dieser Zeit trug den gleichen Stempel teuflischer Erbaermlichkeit. Fuer uns verschiebt der Zufall, dass uns der Krieg in Afrika durch bessere Berichte naeher gerueckt ist als die anderen gleichzeitigen militaerischen und politischen Ereignisse, die richtige Perspektive; die Zeitgenossen erfuhren durch jene Enthuellungen eben nichts, als was jedermann laengst wusste und jeder unerschrockene Patriot laengst mit Tatsachen zu belegen imstande war. Dass man fuer die nur durch ihre Unfaehigkeit aufgewogene Niedertraechtigkeit der restaurierten Senatsregierung jetzt einige neue, noch staerkere und noch unwiderleglichere Beweise in die Haende bekam, haette dennoch von Wichtigkeit sein koennen, wenn es eine Opposition und eine oeffentliche Meinung gegeben haette, mit denen die Regierung genoetigt gewesen waere sich abzufinden. Allein dieser Krieg hatte in der Tat nicht minder die Regierung prostituiert als die vollstaendige Nichtigkeit der Opposition offenbart. Es war nicht moeglich, schlechter zu regieren als die Restauration in den Jahren 637- 645 (117-109) es tat, nicht moeglich, wehrloser und verlorener dazustehen, als der roemische Senat im Jahre 645 (109) stand; haette es in Rom eine wirkliche Opposition gegeben, das heisst eine Partei, die eine prinzipielle Abaenderung der Verfassung wuenschte und betrieb, so musste diese notwendig jetzt wenigstens einen Versuch machen, den restaurierten Senat zu stuerzen. Er erfolgte nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute in die Verbannung. Damit stand es also fest, dass die sogenannte Popularpartei als solche weder regieren konnte, noch regieren wollte; dass es in Rom schlechterdings nur zwei moegliche Regierungsformen gab, die Tyrannis und die Oligarchie; dass, solange es zufaellig an einer Persoenlichkeit fehlte, die, wo nicht bedeutend, doch bekannt genug war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die aergste Misswirtschaft hoechstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefaehrdete; dass dagegen, sowie ein solcher Praetendent auftrat, nichts leichter war, als die morschen kurulischen Stuehle zu erschuettern. In dieser Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so voellig unmotiviert war. Wenn die Buergerschaft nach Albinus’ Niederlage die Kurie gestuermt haette, es waere begreiflich, um nicht zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem Numidischen Krieg gegeben hatte, konnte von schlechter Fuehrung, geschweige denn von Gefahr fuer das Gemeinwesen wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen Offizier, das auszufuehren, womit einst der aeltere Africanus der Regierung gedroht, und sich eines der vornehmsten militaerischen Kommandos gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen der Regierung zu verschaffen. Die oeffentliche Meinung, nichtig in den Haenden der sogenannten Popularpartei, ward zur unwiderstehlichen Waffe in der Hand des kuenftigen Koenigs von Rom. Es soll damit nicht gesagt werden, dass Marius beabsichtigte, den Praetendenten zu spielen, am wenigsten damals schon, als er um den Oberbefehl von Afrika bei dem Volke warb; aber mochte er begreifen oder nicht begreifen, was er tat, es war augenscheinlich zu Ende mit dem restaurierten aristokratischen Regiment, wenn die Komitialmaschine anfing, Feldherren zu machen oder, was ungefaehr dasselbe war, wenn jeder populaere Offizier imstande war, in legaler Weise sich selbst zum Feldherrn zu ernennen. Ein einziges neues Element trat in diesen vorlaeufigen Krisen auf; es war das Hineinziehen der militaerischen Maenner und der militaerischen Macht in die politische Revolution. Ob Marius’ Auftreten unmittelbar die Einleitung sein werde zu einem neuen Versuch, die Oligarchie durch die Tyrannis zu verdraengen, oder ob dasselbe, wie so manches Aehnliche, als vereinzelter Eingriff in die Praerogative der Regierung ohne weitere Folgen voruebergehen werde, liess sich noch nicht bestimmen; wohl aber war es vorauszusehen, dass, wenn diese Keime einer zweiten Tyrannis zur Entwicklung gelangten, in derselben nicht ein Staatsmann, wie Gaius Gracchus, sondern ein Offizier an die Spitze treten werde. Die gleichzeitige Reorganisation des Heerwesens, indem zuerst Marius bei der Bildung seiner nach Afrika bestimmten Armee von der bisher geforderten Vermoegensqualifikation absah und auch dem aermsten Buerger, wenn er sonst brauchbar war, als Freiwilligen den Eintritt in die Legion gestattete, mag von ihrem Urheber aus rein militaerischen Ruecksichten veranstaltet worden sein; allein darum war es nichtsdestoweniger ein folgenreiches politisches Ereignis, dass das Heer nicht mehr, wie ehemals, aus denen, die viel, nicht einmal mehr wie in der juengsten Zeit aus denen, die etwas zu verlieren hatten, gebildet ward, sondern anfing sich zu verwandeln in einen Haufen von Leuten, die nichts hatten als ihre Arme und was der Feldherr ihnen spendete. Die Aristokratie herrschte im Jahre 650 (104) ebenso unumschraenkt wie im Jahre 620 (134); aber die Zeichen der herannahenden Katastrophe hatten sich gemehrt, und am politischen Horizont war neben der Krone das Schwert aufgegangen. 5. Kapitel Die Voelker des Nordens Seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts beherrschte die roemische Gemeinde die drei grossen von dem noerdlichen Kontinent in das Mittelmeer hineinragenden Halbinseln, wenigstens im ganzen genommen; denn freilich innerhalb derselben fuhren im Norden und Westen Spaniens, in den Ligurischen Apenninen und Alpentaelern, in den Gebirgen Makedoniens und Thrakiens die ganzoder halbfreien Voelkerschaften fort, der schlaffen roemischen Regierung zu trotzen. Ferner war die kontinentale Verbindung zwischen Spanien und Italien wie zwischen Italien und Makedonien nur in der oberflaechlichsten Weise hergestellt und die Landschaften jenseits der Pyrenaeen, der Alpen und der Balkankette, die grossen Stromgebiete der Rhone, des Rheins und der Donau lagen wesentlich ausserhalb des politischen Gesichtskreises der Roemer. Es ist hier darzustellen, was roemischerseits geschah, um nach dieser Richtung hin das Reich zu sichern und zu arrondieren und wie zugleich die grossen Voelkermassen, die hinter jenem gewaltigen Gebirgsvorhang ewig auf und nieder wogten, anfingen, an die Tore der noerdlichen Gebirge zu pochen und die griechisch-roemische Welt wieder einmal unsanft daran zu mahnen, dass sie mit Unrecht meine, die Erde fuer sich allein zu besitzen. Fassen wir zunaechst die Landschaft zwischen den Westalpen und den Pyrenaeen ins Auge. Die Roemer beherrschten diesen Teil der Kueste des Mittelmeers seit langem durch ihre Klientelstadt Massalia, eine der aeltesten, treuesten und maechtigsten der von Rom abhaengigen bundesgenoessischen Gemeinden, deren Seestationen, westlich Agathe (Agde) und Rhode (Rosas), oestlich Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyeres?), Antipolis (Antibes) und Nikaea (Nizza), die Kuestenfahrt wie den Landweg von den Pyrenaeen zu den Alpen sicherten und deren merkantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland hineinreichten. Eine Expedition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die ligurischen Oxybier und Dekieten ward im Jahre 600 (154) von den Roemern teils auf Ansuchen der Massalioten, teils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen und zum Teil verlustvollen Gefechten dieser Teil des Gebirges gezwungen, den Massalioten fortan stehende Geiseln zu geben und ihnen jaehrlichen Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass um diese Zeit zugleich in dem ganzen von Massalia abhaengigen Gebiete jenseits der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst aufbluehende Weinund Oelbau im Interesse der italischen Gutsbesitzer und Kaufleute untersagt ward ^1. Einen aehnlichen Charakter finanzieller Spekulation traegt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwaeschereien von Victumulae (in der Gegend von Vercelli und Bard und im ganzen Tal der Dora Baltea) von den Roemern unter dem Konsul Appius Claudius im Jahre 611 (143) gegen die Salasser gefuehrt ward. Die grosse Ausdehnung dieser Waeschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser fuer ihre Aecker entzog, rief erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete Intervention der Roemer hervor; der Krieg, obwohl die Roemer auch ihn wie alle uebrigen dieser Epoche mit einer Niederlage begannen, fuehrte endlich zu der Unterwerfung der Salasser und der Abtretung des Goldbezirkes an das roemische Aerar. Einige Jahrzehnte spaeter (654 100) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Kolonie Eporedia (Ivrea) angelegt, hauptsaechlich wohl, um durch sie den westlichen wie durch Aquileia den oestlichen Alpenpass zu beherrschen. Einen ernsteren Charakter nahmen diese alpinischen Kriege erst an, als Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Konsul 629 (125) in dieser Gegend den Oberbefehl uebernahm. Er zuerst betrat die Bahn der transalpinischen Eroberungen. In der vielgeteilten keltischen Nation war um diese Zeit, nachdem der Gau der Biturigen seine wirkliche Hegemonie eingebuesst und nur eine Ehrenvorstandschaft behalten hatte, der effektiv fuehrende Gau in dem Gebiet von den Pyrenaeen bis zum Rhein und vom Mittelmeer bis zur Westsee der Arverner 2, und es erscheint danach nicht gerade uebertrieben, dass er bis 180000 Mann ins Feld zu stellen vermocht haben soll. Mit ihnen rangen daselbst die Haeduer (um Autun) um die Hegemonie als ungleiche Rivalen; waehrend in dem nordoestlichen Gallien die Koenige der Suessionen (um Soissons) den bis nach Britannien hinueber sich erstreckenden Voelkerbund der Belgen unter ihrer Schutzherrschaft vereinigten. Griechische Reisende jener Zeit wussten viel zu erzaehlen von der prachtvollen Hofhaltung des Arvernerkoenigs Luerius, wie derselbe, umgeben von seinem glaenzenden Clangefolge, den Jaegern mit der gekoppelten Meute und der wandernden Saengerschar, auf dem silberbeschlagenen Wagen durch die Staedte seines Reiches fuhr, das Gold mit vollen Haenden auswerfend unter die Menge, vor allen aber das Herz des Dichters mit dem leuchtenden Regen erfreuend - die Schilderungen von der offenen Tafel, die er in einem Raume von 1500 Doppelschritten ins Gevierte abhielt und zu der jeder des Wegs Kommende geladen war, erinnern lebhaft an die Hochzeitstafel Camachos. In der Tat zeugen die zahlreichen noch jetzt vorhandenen arvernischen Goldmuenzen dieser Zeit dafuer, dass der Arvernergau zu ungemeinem Reichtum und einer verhaeltnismaessig hoch gesteigerten Zivilisation gediehen war. Flaccus’ Angriff traf indes zunaechst nicht auf die Arverner, sondern auf die kleineren Staemme in dem Gebiet zwischen den Alpen und der Rhone, wo die urspruenglich ligurischen Einwohner mit nachgerueckten keltischen Scharen sich vermischt hatten und eine der keltiberischen vergleichbare keltoligurische Bevoelkerung entstanden war. Er focht (629, 630 125, 124) mit Glueck gegen die Salyer oder Salluvier in der Gegend von Aix und im Tal der Durance und gegen ihre noerdlichen Nachbarn, die Vocontier (Dept. Vaucluse und Drome), ebenso sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus (631, 632 123, 122) gegen die Allobrogen, einen maechtigen keltischen Clan in dem reichen Tal der Isere, der auf die Bitte des landfluechtigen Koenigs der Salyer, Tutomotulus, gekommen war, ihm sein Land wiedererobern zu helfen, aber in der Gegend von Aix geschlagen wurde. Da die Allobrogen indes nichtsdestoweniger sich weigerten, den Salyerkoenig auszuliefern, drang Calvinus’ Nachfolger Gnaeus Domitius Ahenobarbus in ihr eigenes Gebiet ein (632 122). Bis dahin hatte der fuehrende keltische Stamm dem Umsichgreifen der italischen Nachbarn zugesehen; der Arvernerkoenig Betuhus, jenes Luerius’ Sohn, schien nicht sehr geneigt, des losen Schutzverhaeltnisses wegen, in dem die oestlichen Gaue zu ihm stehen mochten, in einen bedenklichen Krieg sich einzulassen. Indes als die Roemer Miene machten, die Allobrogen auf ihrem eigenen Gebiet anzugreifen, bot er seine Vermittlung an, deren Zurueckweisung zur Folge hatte, dass er mit seiner gesamten Macht den Allobrogen zu Hilfe erschien; wogegen wieder die Haeduer Partei ergriffen fuer die Roemer. Auch die Roemer sandten auf die Nachricht von der Schilderhebung der Arverner den Konsul des Jahres 633 (121) Quintus Fabius Maximus, um in Verbindung mit Ahenobarbus dem drohenden Sturm zu begegnen. An der suedlichen Grenze des allobrogischen Kantons, am Einfluss der Isere in die Rhone, ward am 8. August 633 (121) die Schlacht geschlagen, die ueber die Herrschaft im suedlichen Gallien entschied. Koenig Betuitus, wie er die zahllosen Haufen der abhaengigen Clans auf der ueber die Rhone geschlagenen Schiffbruecke an sich vorueberziehen und gegen sie die dreimal schwaecheren Roemer sich aufstellen sah, soll ausgerufen haben, dass dieser ja nicht genug seien, um die Hunde des Keltenheeres zu saettigen. Allein Maximus, ein Enkel des Siegers von Pydna, erfocht dennoch einen entscheidenden Sieg, welcher, da die Schiffbruecke unter der Masse der Fluechtenden zusammenbrach, mit der Vernichtung des groessten Teils der arvernischen Armee endigte. Die Allobrogen, denen ferner Beistand zu leisten der Arvernerkoenig sich unfaehig erklaerte und denen er selber riet, mit Maximus ihren Frieden zu machen, unterwarfen sich dem Konsul, worauf derselbe, fortan der Allobrogiker genannt, nach Italien zurueckging und die nicht mehr ferne Beendigung des arvernischen Krieges dem Ahenobarbus ueberliess. Dieser, auf Koenig Betuitus persoenlich erbittert, weil er die Allobrogen veranlasst habe, sich dem Maximus und nicht ihm zu ergeben, bemaechtigte sich in treuloser Weise der Person des Koenigs und sandte ihn nach Rom, wo der Senat den Bruch des Treuworts zwar missbilligte, aber nicht bloss den verratenen Mann festhielt, sondern auch befahl, den Sohn desselben, Congonnetiacus, gleichfalls nach Rom zu senden. Dies scheint die Ursache gewesen zu sein, dass der fast schon beendigte arvernische Krieg noch einmal aufloderte und es bei Vindalium (oberhalb Avignon) am Einfluss der Sorgue in die Rhone zu einer zweiten Entscheidung durch die Waffen kam. Sie fiel nicht anders aus als die erste; es waren diesmal hauptsaechlich die afrikanischen Elefanten, die das Keltenheer zerstreuten. Hierauf bequemten sich die Arverner zum Frieden und die Ruhe war in dem Keltenland wiederhergestellt 3. ------------------------------------------ ^1 Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im Jahre 625 (129) sagen laesst (rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kommen lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung moeglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfuegung sich nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im Jahre 637 (117) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseid. fr. 25 Mueller; Strab. 4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrhundert der Stadt ist bekannt. 2 In der Auvergne. Ihre Hauptstadt, Nemetum oder Nemossus, lag nicht weit von Clermont. 3 Die Schlacht bei Vindalium stellen zwar der Livianische Epitomator und Orosius vor die an der Isara; allein auf die umgekehrte Folge fuehren Florus und Strabon (4, 191), und sie wird bestaetigt teils dadurch, dass Maximus nach dem Auszug des Livius und Plinius (nat. 7, 50) die Gallier als Konsul besiegte, teils besonders durch die Kapitolinischen Fasten, nach denen nicht bloss Maximus vor Ahenobarbus triumphierte, sondern auch jener ueber die Allobrogen und den Arvernerkoenig, dieser nur ueber die Arverner. Es ist einleuchtend, dass die Schlacht gegen Allobrogen und Arverner frueher stattgefunden haben muss als die gegen die Arverner allein. ------------------------------------------------ Das Ergebnis dieser militaerischen Operationen war die Einrichtung einer neuen roemischen Provinz zwischen den Seealpen und den Pyrenaeen. Die saemtlichen Voelkerschaften zwischen den Alpen und der Rhone wurden von den Roemern abhaengig und, soweit sie nicht nach Massalia zinsten, vermutlich schon jetzt den Roemern tributaer. In der Landschaft zwischen der Rhone und den Pyrenaeen behielten die Arverner zwar die Freiheit und wurden nicht den Roemern zinspflichtig; allein sie hatten den suedlichsten Teil ihres mitteloder unmittelbaren Gebiets, den Strich suedlich der Cevennen bis an das Mittelmeer und den oberen Lauf der Garonne bis nach Tolosa (Toulouse), an die Roemer abzutreten. Da der naechste Zweck dieser Okkupationen die Herstellung einer Landverbindung zwischen Spanien und Italien war, so wurde unmittelbar nach der Besetzung gesorgt fuer die Chaussierung des Kuestenweges. Zu diesem Ende wurde von den Alpen zur Rhone der Kuestenstrich in der Breite von 1/5 bis 3/10 deutschen Meile den Massalioten, die ja bereits eine Reihe von Seestationen an dieser Kueste besassen, ueberwiesen mit der Verpflichtung, die Strasse in gehoerigem Stand zu halten; wogegen von der Rhone bis zu den Pyrenaeen die Roemer selbst eine Militaerchaussee anlegten, die von ihrem Urheber Ahenobarbus den Namen der Domitischen Strasse erhielt. Wie gewoehnlich verband mit dem Strassenbau sich die Anlage neuer Festungen. Im oestlichen Teil fiel die Wahl auf den Platz, wo Gaius Sextius die Kelten geschlagen hatte und wo die Anmut und Fruchtbarkeit der Gegend wie die zahlreichen kalten und warmen Quellen zur Ansiedelung einluden; hier entstand eine roemische Ortschaft, die "Baeder des Sextius", Aquae Sextiae (Aix). Westlich von der Rhone siedelten die Roemer in Narbo sich an, einer uralten Keltenstadt an dem schiffbaren Fluss Atax (Aude) in geringer Entfernung vom Meere, die bereits Hekataeos nennt und die schon vor ihrer Besetzung durch die Roemer als lebhafter an dem britannischen Zinnhandel beteiligter Handelsplatz mit Massalia rivalisierte. Aquae erhielt nicht Stadtrecht, sondern blieb ein stehendes Lager 4; dagegen Narbo, obwohl gleichfalls wesentlich als Wachtund Vorposten gegen die Kelten gegruendet, ward als "Marsstadt" roemische Buergerkolonie und der gewoehnliche Sitz des Statthalters der neuen transalpinischen Keltenprovinz oder, wie sie noch haeufiger genannt wird, der Provinz Narbo. ------------------------------------------------------- 4 Aquae ward nicht Kolonie, wie Livius (ep. 61) sagt, sondern Kastell (Strab. 4, 180; Vell. 1, 15; J. N. Madvig, Opuscula academica. Bd. 1. Kopenhagen 1834, S. 303). Dasselbe gilt von Italica und vielen anderen Orten - so ist zum Beispiel Vindonissa rechtlich nie etwas anderes gewesen als ein keltisches Dorf, aber dabei zugleich ein befestigtes roemisches Lager und eine sehr ansehnliche Ortschaft. ------------------------------------------------------- Die Gracchische Partei, welche diese transalpinischen Gebietserwerbungen veranlasste, wollte offenbar sich hier ein neues und unermessliches Gebiet fuer ihre Kolonisationsplaene eroeffnen, das dieselben Vorzuege darbot wie Sizilien und Afrika und leichter den Eingeborenen entrissen werden konnte als die sizilischen und libyschen Aecker den italischen Kapitalisten. Der Sturz des Gaius Gracchus machte freilich auch hier sich fuehlbar in der Beschraenkung der Eroberungen und mehr noch der Stadtgruendungen; indes wenn die Absicht nicht in vollem Umfang erreicht ward, so ward sie doch auch nicht voellig vereitelt. Das gewonnene Gebiet und mehr noch die Gruendung von Narbo, welcher Ansiedelung der Senat vergeblich das Schicksal der karthagischen zu bereiten suchte, blieben als unfertige, aber den kuenftigen Nachfolger des Gracchus an die Fortsetzung des Baus mahnende Ansaetze stehen. Offenbar schuetzte die roemische Kaufmannschaft, die nur in Narbo mit Massalia in dem gallisch-britannischen Handel zu konkurrieren vermochte, diese Anlage vor den Angriffen der Optimaten. Eine aehnliche Aufgabe wie im Nordwesten war auch gestellt im Nordosten von Italien; sie ward gleichfalls nicht ganz vernachlaessigt, aber noch unvollkommener als jene geloest. Mit der Anlage von Aquileia (571 183) kam die Istrische Halbinsel in den Besitz der Roemer; in Epirus und dem ehemaligen Gebiet des Herrn von Skodra geboten sie zum Teil bereits geraume Zeit frueher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnenland hinein, und selbst an der Kueste beherrschten sie kaum dem Namen nach den unwirtlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen wildverschlungenen, weder von Flusstaelern noch von Kuestenebenen unterbrochenen, schuppenartig aneinandergereihten Bergkesseln und in der laengs des Ufers sich hinziehenden Kette felsiger Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als zusammenknuepft. Um die Stadt Delminium (an der Cettina bei Trigl) schloss sich hier die Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: waehrend die Nachbarvoelker bereits zu reicher Kulturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine Muenze und teilte den Acker, ohne daran ein Sondereigentum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf unter die gemeinsaessigen Leute. Landund Seeraub waren die einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Voelkerschaften hatten in frueheren Zeiten in einem losen Abhaengigkeitsverhaeltnis zu den Herren von Skodra gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den roemischen Expeditionen gegen die Koenigin Teuta und Demetrios von Pharos; allein bei dem Regierungsantritt des Koenigs Genthios hatten sie sich losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das suedliche Illyrien in den Sturz des Makedonischen Reiches verflocht und es von Rom dauernd abhaengig machte. Die Roemer ueberliessen die wenig lockende Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der roemischen Illyrier, namentlich der Daorser, die an der Narenta suedlich von den Dalmatern wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren kontinentale Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spalato) von den Eingeborenen schwer zu leiden hatten, noetigten die roemische Regierung, an diese eine Gesandtschaft abzuordnen und, da diese die Antwort zurueckbrachte, dass die Dalmater um die Roemer weder bisher sich gekuemmert haetten noch kuenftig kuemmern wuerden, im Jahre 598 (156) ein Heer unter dem Konsul Gaius Marcius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurueckgedraengt bis auf das roemische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 (155) die grosse und feste Stadt Delminium, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Roemern unt ertaenig. Indes war die arme und nur oberflaechlich unterworfene Landschaft nicht wichtig genug, um als eigenes Amt verwaltet zu werden; man begnuegte sich, wie man es schon fuer die wichtigeren Besitzungen in Epirus getan, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen; wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im Jahre 608 (146) die Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordoestliche Grenze noerdlich von Skodra festgestellt worden war 5. ------------------------------------------------ 5 3, 49. Die Pirusten in den Taelern des Drin gehoerten zur Provinz Makedonien, streiften aber hinueber in das benachbarte Illyricum (Caes. Gall. 5, 1). ------------------------------------------------ Aber ebendiese Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhaengige Landschaft gab den Beziehungen Roms zu den Voelkern im Nordosten groessere Bedeutung, indem sie den Roemern die Verpflichtung auferlegte, die ueberall offene Nordund Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen Staemme zu verteidigen; und in aehnlicher Weise ging nicht lange darauf (621 133) durch die Erwerbung des bisher zum Reich der Attaliden gehoerigen Thrakischen Chersones (Halbinsel von Gallipoli) die bisher den Koenigen von Pergamon obliegende Verpflichtung, die Hellenen hier gegen die Thraker zu schuetzen, gleichfalls auf die Roemer ueber. Von der zwiefachen Basis aus, die das Potal und die makedonische Landschaft darboten, konnten die Roemer jetzt ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorgehen und der noerdlichen Gebirge wenigstens insoweit sich bemaechtigen, als die Sicherheit der suedlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die maechtigste Nation das grosse Keltenvolk, welches der einheimischen Sage zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ozean sich um dieselbe Zeit suedlich der Hauptalpenkette in das Potal und noerdlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Von ihren Staemmen sassen auf beiden Ufern des Oberrheins die maechtigen, reichen und, da sie mit den Roemern nirgends sich unmittelbar beruehrten, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebenden Helvetier, die damals vom Genfer See bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und Franken innegehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Bayern und Boehmen gewesen sein moegen 6. Suedoestlich von ihnen begegnen wir einem anderen Keltenstamm, der in der Steiermark und Kaernten unter dem Namen der Taurisker, spaeter der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit noerdlich von Klagenfurt) war bluehend und weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin gelockt durch die dort zu Tage gekommenen reichen Goldlager, bis die Eingeborenen sie ausschlossen und dies Kalifornien der damaligen Zeit fuer sich allein nahmen. Diese zu beiden Seiten der Alpen sich ergiessenden keltischen Schwaerme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur das Flachund Huegelland besetzt; die eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der Etsch und des unteren Po war von ihnen unbesetzt und in den Haenden der frueher dort einheimischen Bevoelkerung geblieben, welche, ohne dass ueber ihre Nationalitaet bis jetzt etwas Sicheres zu ermitteln gelungen waere, unter dem Namen der Raeter in den Gebirgen der Ostschweiz und Tirols, unten dem der Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so dass an diesem letzten Punkt die beiden grossen Keltenstroeme fast sich beruehren und nur ein schmaler Streif eingeborener Bevoelkerung die keltischen Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter waren laengst friedliche Untertanen der Roemer; dagegen die eigentlichen Alpenvoelker waren nicht bloss noch frei, sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmaessig Streifzuege in die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnuegten zu brandschatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit fuerchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze maennliche Bevoelkerung bis zum Kinde in den Windeln niedermachten - vermutlich die tatsaechliche Antwort auf die roemischen Razzias in den Alpentaelern. Wie gefaehrlich diese raetischen Einfaelle waren, zeigt, dass einer derselben um das Jahr 660 (94) die ansehnliche Ortschaft Comum zugrunde richtete. Wenn bereits diese auf und jenseits der Alpenkette sitzenden keltischen und nichtkeltischen Staemme vielfach sich gemischt haben moegen, so ist die Voelkermengung, wie begreiflich, noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht, wie in den westlicheren, die hohen Gebirge als natuerliche Scheidewaende dienen. Die urspruenglich illyrische Bevoelkerung, deren letzter reiner Ueberrest die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war durchgaengig wenigstens im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elementen und die keltische Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl ueberall eingefuehrt. Zunaechst an die Taurisker schlossen sich die Japyden, die auf den Julischen Alpen im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng sassen, ein urspruenglich wohl illyrischer, aber stark mit Kelten gemischter Stamm. An sie grenzten im Litoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe Gebirge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Binnenland dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor allem maechtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den Keltenzuegen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der unteren Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die fuehrende Nation, die weit und breit nach Moesien, Thrakien und Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten man sich schreckliche Dinge erzaehlte. Ihr Hauptwaffenplatz war das feste Segestica oder Siscia an der Muendung der Kulpa in die Save. Die Voelker, die damals in Ungarn, Siebenbuergen, Rumaenien, Bulgarien sassen, blieben fuer jetzt noch ausserhalb des Gesichtskreises der Roemer; nur mit den Thrakern beruehrte man sich an der Ostgrenze Makedoniens in den Rhodopegebirgen. ------------------------------------------- 6 "Zwischen dem Herkynischen Walde (d. h. hier wohl der Rauhen Alb), dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier", sagt Tacitus (Germ. 28), "weiterhin die Boier." Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) gibt an, dass die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den Herkynischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der Rauhen Alb bis zum Boehmerwald. Wenn Caesar sie "jenseits des Rheines" versetzt (Gall. 1, 5), so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von helvetischen Verhaeltnissen ausgeht, kann er sehr wohl die Landschaft nordoestlich vom Bodensee meinen; womit vollkommen uebereinstimmt, dass Strabon die ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur dass er nicht ganz genau als Anwohner des Bodensees die Vindeliker daneben nennt, da diese sich dort erst festsetzten, nachdem die Boier diese Striche geraeumt hatten. Aus diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Markomannen und anderen deutschen Staemmen schon vor Poseidonios’ Zeit, also vor 650 (100) vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kaernten umher (Caes. Gall. 1, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein anderer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo er dann von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die sogenannte "boische Einoede", den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Voelker bewahrte. Vgl. 2, 193 A. ------------------------------------------ Es waere fuer eine kraeftigere Regierung, als die damalige roemische es war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzverteidigung einzurichten; was unter den Auspizien der Restaurationsregierung fuer den wichtigen Zweck geschah, genuegt auch den maessigsten Anforderungen nicht. An Expeditionen gegen die Alpenbewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im Jahre 636 (118) ward triumphiert ueber die Stoener, die in den Bergen oberhalb Verona gesessen haben duerften; im Jahre 659 (95) liess der Konsul Lucius Crassus die Alpentaeler weit und breit durchstoebern und die Einwohner niedermachen, und dennoch gelang es ihm nicht, derselben genug zu erschlagen, um einen Dorftriumph feiern und mit seinem Rednerruhm den Siegerlorbeer paaren zu koennen. Allein da man es bei derartigen Razzias bewenden liess, die die Eingeborenen nur erbitterten, ohne sie unschaedlich zu machen, und, wie es scheint, nach jedem solchen Ueberlauf die Truppen wieder wegzog, so blieb der Zustand in der Landschaft jenseits des Po im wesentlichen, wie er war. Auf der entgegengesetzten Grenze in Thrakien scheint man sich wenig um die Nachbarn bekuemmert zu haben; kaum dass im Jahre 651 (103) Gefechte mit den Thrakern, im Jahre 657 (97) andere mit den Maedern in den Grenzgebirgen zwischen Makedonien und Thrakien erwaehnt werden. Ernstlichere Kaempfe fanden statt im illyrischen Land, wo ueber die unruhigen Dalmater von den Nachbarn und den Schiffern auf der Adriatischen See bestaendig Beschwerde gefuehrt ward; und an der voellig offenen Nordgrenze Makedoniens, welche nach dem bezeichnenden Ausdruck eines Roemers so weit ging als die roemischen Schwerter und Speere reichten, ruhten die Kaempfe mit den Nachbarn niemals. Im Jahre 619 (135) ward ein Zug gemacht gegen die Ardyaeer oder Vardaeer und die Pleraeer oder Paralier, eine dalmatische Voelkerschaft in dem Litoral noerdlich der Narentamuendung, die nicht aufhoerte, auf dem Meer und an der gegenueberliegenden Kueste Unfug zu treiben; auf Geheiss der Roemer siedelten sie von der Kueste weg im Binnenland, der heutigen Herzegowina, sich an und begannen den Acker zu bauen, verkuemmerten aber in der rauben Gegend bei dem ungewohnten Beruf. Gleichzeitig ward von Makedonien aus ein Angriff gegen die Skordisker gerichtet, die vermutlich mit den angegriffenen Kuestenbewohnern gemeinschaftliche Sache gemacht hatten. Bald darauf (625 129) demuetigte der Konsul Tuditanus in Verbindung mit dem tuechtigen Decimus Brutus, dem Bezwinger der spanischen Callaeker, die Japyden und trug, nachdem er anfaenglich eine Niederlage erlitten, schliesslich die roemischen Waffen tief nach Dalmatien hinein bis an den Kerkafluss, 25 deutsche Meilen abwaerts von Aquileia; die Japyden erscheinen fortan als eine befriedete und mit Rom in Freundschaft lebende Nation. Dennoch erhoben zehn Jahre spaeter (635 119) die Dalmater sich aufs neue, abermals in Gemeinschaft mit den Skordiskern. Waehrend gegen diese der Konsul Lucius Cotta kaempfte und dabei, wie es scheint, bis Segestica vordrang, zog gegen die Dalmater sein Kollege, der aeltere Bruder des Besiegten von Numidien, Lucius Metellus, seitdem der Dalmatiker genannt, ueberwand sie und ueberwinterte in Salona (Spalato), welche Stadt fortan als der Hauptwaffenplatz der Roemer in dieser Gegend erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in diese Zeit auch die Anlage der Gabinischen Chaussee faellt, die von Salona in oestlicher Richtung nach Andetrium (bei Much) und von da weiter landeinwaerts fuehrte. Mehr den Charakter des Eroberungskrieges trug die Expedition des Konsuls des Jahres 539 (115), Marcus Aemilius Scaurus, gegen die Taurisker 7; er ueberstieg, der erste unter den Roemern, die Kette der Ostalpen an ihrer niedrigsten Senkung zwischen Triest und Laibach und schloss mit den Tauriskern Gastfreundschaft, wodurch der nicht unwichtige Handelsverkehr gesichert ward, ohne dass doch die Roemer, wie eine foermliche Unterwerfung dies nach sich gezogen haben wuerde, in die Voelkerbewegungen nordwaerts der Alpen hineingezogen worden waeren. ---------------------------------------------------------------------- 7 Galli Karni heissen sie in den Triumphalfasten, Ligures Taurisci (denn so ist statt des ueberlieferten Ligures et Cauristi zu schreiben) bei Victor. ----------------------------------------------------------------------- Von den fast verschollenen Kaempfen mit den Skordiskern ist durch einen kuerzlich in der Naehe von Thessalonike zum Vorschein gekommenen Denkstein aus dem Jahr Roms 636 (118) ein auch in seiner Vereinzelung deutlich redendes Blatt wieder zum Vorschein gekommen. Danach fiel in diesem Jahr der Statthalter Makedoniens Sextus Pompeius bei Argos (unweit Stobi am oberen Axios oder Vardar) in einer diesen Kelten gelieferten Schlacht; und nachdem dessen Quaestor Marcus Annius mit seinen Truppen herbeigekommen und der Feinde einigermassen Herr geworden war, brachen bald darauf dieselben Kelten in Verbindung mit dem Koenig der Maeder (am oberen Strymon) Tipas in noch groesseren Massen abermals ein, und mit Muehe erwehrten sich die Roemer der andringenden Barbaren 8. Die Dinge nahmen bald eine so drohende Gestalt an, dass es noetig wurde, konsularische Heere nach Makedonien zu entsenden 9. Wenige Jahre darauf wurde der Konsul des Jahres 640 (114), Gaius Porcius Cato, in den serbischen Gebirgen von denselben Skordiskern ueberfallen und sein Heer vollstaendig aufgerieben, waehrend er selbst mit wenigen schimpflich entfloh; muehsam schirmte der Praetor Marcus Didius die roemische Grenze. Gluecklicher fochten seine Nachfolger Gaius Metellus Caprarius (641, 642 113, 112), Marcus Livius Drusus (642, 643 112, 111), der erste roemische Feldherr, der die Donau erreichte, und Quintus Minucius Rufus (644-647 110-107), der die Waffen laengs der Morawa ^10 trug und die Skordisker nachdruecklich schlug. Aber nichtsdestoweniger fielen sie bald nachher, im Bunde wieder mit den Maedern und den Dardanern, in das roemische Gebiet und pluenderten sogar das delphische Heiligtum; erst da machte Lucius Scipio dem zweiunddreissigjaehrigen Skordiskerkrieg ein Ende und trieb den Rest hinueber auf das linke Ufer der Donau ^11. Seitdem beginnen an ihrer Stelle die ebengenannten Dardaner (in Serbien) in dem Gebiet zwischen der Nordgrenze Makedoniens und der Donau die erste Rolle zu spielen. ------------------------------------------------ 8 Der Quaestor von Makedonien M. Annius P. f., dem die Stadt Lete (Aivati, 4 Stadien nordwestlich von Thessalonike) im Jahre 29 der Provinz, der Stadt 636 (118) diesen Denkstein setzte (SIG 247), ist sonst nicht bekannt; der Praetor Sex. Pompeius, dessen Fall darin erwaehnt wird, kann kein anderer sein als der Grossvater des Pompeius, mit dem Caesar stritt, der Schwager des Dichters Lucilius. Die Feinde werden bezeichnet als Galat/o/n ethnos. Es wird hervorgehoben, dass Annius aus Schonung gegen die Provinzialen es unterliess, ihre Kontingente aufzubieten und mit den roemischen Truppen allein die Barbaren zuruecktrieb. Allem Anschein nach hat Makedonien schon damals eine faktisch stehende roemische Besatzung erfordert. 9 Ist Quintus Fabius Maximus Eburnus, Konsul 638 (116) nach Makedonien gegangen (CIG 1534; A. Zumpt, Commentationes epigraphicae. Bd. z. Berlin 1854, S. 167), so muss auch er dort einen Misserfolg erlitten haben, da Cicero (Pis. 16, 38) sagt: ex (Macedonia) aliquot praetorio imperio, consulari quidem nemo rediit, qui incolumis fuerit, quin triumpharit; denn die fuer diese Epoche vollstaendige Triumphalliste kennt nur die drei makedonischen Triumphe des Metellus 643 (111), des Drusus 644 (110) und des Minucius 648 (106). ^10 Da nach Frontinus (grom. 2, 4, 3), Velleius und Eutrop die von Minucius besiegte Voelkerschaft die Skordisker waren, so kann es nur ein Fehler von Florus sein, dass er statt des Margos (Morawa) den Hebros (die Maritza) nennt. ^11 Von dieser Vernichtung der Skordisker, waehrend die Maeder und Dardaner zum Vertrag zugelassen wurden, berichtet Appian (Ill. 5), und in der Tat sind seitdem die Skordisker aus dieser Gegend verschwunden. Wenn die schliessliche Ueberwaeltigung im 32. Jahr apo t/e/s pr/o/t/e/s eis Kelto?s peiras stattgefunden hat, so scheint dies von einem zweiunddreissigjaehrigen Krieg zwischen den Roemern und den Skordiskern verstanden werden zu muessen, dessen Beginn vermutlich nicht lange nach der Konstituierung der Provinz Makedonien (608 146) faellt und von dem die oben verzeichneten Waffenereignisse (636-647 118-107) ein Teil sind. Dass die Ueberwindung kurz vor dem Ausbruch der italischen Buergerkriege, also wohl spaetestens 663 (91) erfolgt ist, geht aus Appians Erzaehlung hervor. Sie faellt zwischen 650 (104) und 656 (98), wenn ihr ein Triumph gefolgt ist, denn vorund nachher ist das Triumphalverzeichnis vollstaendig; indes ist es moeglich, dass es aus irgendeinem Grund zum Triumph nicht kam. Der Sieger ist weiter nicht bekannt; vielleicht ist es kein anderer als der Konsul des Jahres 671 (83), da dieser infolge der cinnanischmarianischen Wirren fueglich verspaetet zum Konsulat gelangt sein kann. ------------------------------------------------- Indes diese Siege hatten eine Folge, welche die Sieger nicht ahnten. Schon seit laengerer Zeit irrte ein "unstetes Volk" an dem noerdlichen Saum der zu beiden Seiten der Donau von den Kelten eingenommenen Landschaft. Sie nannten sich die Kimbrer, das heisst die Chempho, die Kaempen oder, wie ihre Feinde uebersetzten, die Raeuber, welche Benennung indes allem Anschein nach schon vor ihrem Auszug zum Volksnamen geworden war. Sie kamen aus dem Norden und stiessen unter den Kelten zuerst, soweit bekannt, auf die Boier, wahrscheinlich in Boehmen. Genaueres ueber die Ursache und die Richtung ihrer Heerfahrt haben die Zeitgenossen aufzuzeichnen versaeumt ^12 und kann auch durch keine Mutmassung ergaenzt werden, da die derzeitigen Zustaende noerdlich von Boehmen und dem Main und oestlich vom unteren Rheine unseren Blicken sich vollstaendig entziehen. Dagegen dafuer, dass die Kimbrer und nicht minder der ihnen spaeter sich anschliessende gleichartige Schwarm der Teutonen ihrem Kerne nach nicht der keltischen Nation angehoeren, der die Roemer sie anfaenglich zurechneten, sondern der deutschen, sprechen die bestimmtesten Tatsachen: das Erscheinen zweier kleiner gleichnamiger Staemme, allem Anschein nach in den Ursitzen zurueckgebliebener Reste, der Kimbrer im heutigen Daenemark, der Teutonen im nordoestlichen Deutschland in der Naehe der Ostsee, wo ihrer schon Alexanders des Grossen Zeitgenosse Pytheas bei Gelegenheit des Bernsteinhandels gedenkt; die Verzeichnung der Kimbrer und Teutonen in der germanischen Voelkertafel unter den Ingaevonen neben den Chaukern; das Urteil Caesars, der zuerst die Roemer den Unterschied der Deutschen und der Kelten kennen lehrte und die Kimbrer, deren er selbst noch manchen gesehen haben muss, den Deutschen beizaehlt; endlich die Voelkernamen selbst und die Angaben ueber ihre Koerperbildung und ihr sonstiges Wesen, die zwar auf die Nordlaender ueberhaupt, aber doch vorwiegend auf die Deutschen passen. Andererseits ist es begreiflich, dass ein solcher Schwarm, nachdem er vielleicht Jahrzehnte auf der Wanderschaft sich befunden und auf seinen Zuegen an und in dem Keltenland ohne Zweifel jeden Waffenbruder, der sich anschloss, willkommen geheissen hatte, eine Menge keltischer Elemente in sich schloss; so dass es nicht befremdet, wenn Maenner keltischen Namens an der Spitze der Kimbrer stehen oder wenn die Roemer sich keltisch redender Spione bedienen, um bei ihnen zu kundschaften. Es war ein wunderbarer Zug, dessengleichen die Roemer noch nicht gesehen hatten; nicht eine Raubfahrt reisiger Leute, auch nicht ein "heiliger Lenz" in die Fremde wandernder junger Mannschaft, sondern ein wanderndes Volk, das mit Weib und Kind, mit Habe und Gut auszog, eine neue Heimat sich zu suchen. Der Karren, der ueberall bei den noch nicht voellig sesshaft gewordenen Voelkern des Nordens eine andere Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und auch von den Kelten durchgaengig ins Lager mitgefuehrt ward, war hier gleichsam das Haus, wo unter dem uebergespannten Lederdach neben dem Geraet Platz sich fand fuer die Frau und die Kinder und selbst fuer den Haushund. Die Suedlaender sahen mit Verwunderung diese hohen schlanken Gestalten mit den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen Frauen, die den Maennern an Groesse und Staerke wenig nachgaben, die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundert die flachskoepfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegswesen war wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr, wie einst die italischen, barhaeuptig und bloss mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit kupfernen, oft reichgeschmueckten Helmen und mit einer eigentuemlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das grosse Schwert geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Roemer in dieser Waffe ihnen ueberlegen. Die Schlachtordnung war wie frueher eine rohe, angeblich ebensoviel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied in gefaehrlichen Gefechten nicht selten die metallenen Leibguertel mit Stricken zusammenknuepfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward haeufig roh verschlungen. Heerkoenig war der tapferste und womoeglich der laengste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und ueberhaupt der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten Verhoehnungen des Feindes durch unschickliche Gebaerden und ein entsetzliches Gelaerm, indem die Maenner ihr Schlachtgebruell erhoben und die Frauen und Kinder durch Rufpauken auf die ledernen Wagendeckel nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer - galt ihm doch der Tod auf dem Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes wuerdig war -, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste Bestialitaet und verhiess auch wohl im voraus den Schlachtgoettern, darzubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben wuerde. Dann wurden die Geraete zerschlagen, die Pferde getoetet, die Gefangenen aufgeknuepft oder nur aufbehalten, um den Goettern geopfert zu werden. Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weissen linnenen Gewaendern und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Skythenland diese Opfer vollzogen und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegsgefangenen oder Verbrechers die Zukunft wiesen. Wieviel von diesen Sitten allgemeiner Brauch der nordischen Barbaren, wieviel von den Kelten entlehnt, wie viel deutsches Eigen sei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbekannte Land, ein ungeheures Knaeuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern deutscher Auswanderer von der Ostsee sich zusammengeballt hatte, nicht unvergleichbar den Emigrantenmassen, die in unseren Zeiten aehnlich belastet und aehnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein uebers Meer fahren; ihre schwerfaellige Wagenburg mit der Gewandtheit, die ein langes Wanderleben gibt, hinueberfuehrend ueber Stroeme und Gebirge, gefaehrlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und die Windsbraut, aber wie diese latinisch und unberechenbar, bald rasch vordringend, bald ploetzlich stockend oder seitwaerts und rueckwaerts sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten haette, das wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man spaeter anfing, die Kette zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den Kreis der antiken Zivilisation beruehrt hat, ein Glied ist, war die unmittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen. ------------------------------------------------------ ^12 Denn der Bericht, dass an den Kuesten der Nordsee durch Sturmfluten grosse Landschaften weggerissen und dadurch die massenhafte Auswanderung der Kimbrer veranlasst worden sei (Strab. 7, 293), erscheint zwar uns nicht wie denen, die ihn aufzeichneten, maerchenhaft, allein ob er auf Ueberlieferung oder Vermutung sich gruendet, ist doch nicht zu entscheiden. ------------------------------------------------------ Dies heimatlose Volk der Kimbrer, das bisher von den Kelten an der Donau, namentlich den Boiern verhindert worden war, nach Sueden vorzudringen, durchbrach diese Schranke infolge der von den Roemern gegen die Donaukelten gerichteten Angriffe, sei es nun, dass die Donaukelten die kimbrischen Gegner zu Hilfe riefen gegen die vordringenden Legionen, oder dass jene durch den Angriff der Roemer verhindert wurden, ihre Nordgrenzen so wie bisher zu schirmen. Durch das Gebiet der Skordisker einrueckend in das Tauriskerland, naeherten sie im Jahre 641 (113) sich den Krainer Alpenpaessen, zu deren Deckung der Konsul Gnaeus Papirius Carbo auf den Hoehen unweit Aquileia sich aufstellte. Hier hatten siebzig Jahre zuvor keltische Staemme sich diesseits der Alpen anzusiedeln versucht, aber auf Geheiss der Roemer den schon okkupierten Boden ohne Widerstand geraeumt; auch jetzt erwies die Furcht der transalpinischen Voelker vor dem roemischen Namen sich maechtig. Die Kimbrer griffen nicht an; ja sie fuegten sich, als Carbo sie das Gebiet der Gastfreunde Roms, der Taurisker, raeumen hiess, wozu der Vertrag mit diesen ihn keineswegs verpflichtete, und folgten den Fuehrern, die ihnen Carbo gegeben hatte, um sie ueber die Grenze zu geleiten. Allein diese Fuehrer waren vielmehr angewiesen, die Kimbrer in einen Hinterhalt zu locken, wo der Konsul ihrer wartete. So kam es unweit Noreia im heutigen Kaernten zum Kampf, in dem die Verratenen ueber den Verraeter siegten und ihm betraechtlichen Verlust beibrachten; nur ein Unwetter, das die Kaempfenden trennte, verhinderte die vollstaendige Vernichtung der roemischen Armee. Die Kimbrer haetten sogleich ihren Angriff gegen Italien richten koennen; sie zogen es vor, sich westwaerts zu wenden. Mehr durch Vertrag mit den Helvetiern und den Sequanern als durch Gewalt der Waffen eroeffneten sie sich den Weg auf das linke Rheinufer und ueber den Jura und bedrohten hier einige Jahre nach Carbos Niederlage abermals in naechster Naehe das roemische Gebiet. Die Rheingrenze und das zunaechst gefaehrdete Gebiet der Allobrogen zu decken, erschien 645 (109) im suedlichen Gallien ein roemisches Heer unter Marcus Iunius Silanus. Die Kimbrer baten, ihnen Land anzuweisen, wo sie friedlich sich niederlassen koennten - eine Bitte, die sich allerdings nicht gewaehren liess. Der Konsul griff statt aller Antwort sie an; er ward vollstaendig geschlagen und das roemische Lager erobert. Die neuen Aushebungen, welche durch diesen Unfall veranlasst wurden, stiessen bereits auf so grosse Schwierigkeit, dass der Senat deshalb die Aufhebung der vermutlich von Gaius Gracchus herruehrenden, die Verpflichtung zum Kriegsdienst der Zeit nach einschraenkenden Gesetze bewirkte. Indes die Kimbrer, statt ihren Sieg gegen die Roemer zu verfolgen, sandten an den Senat nach Rom, die Bitte um Anweisung von Land zu wiederholen, und beschaeftigten sich inzwischen, wie es scheint, mit der Unterwerfung der umliegenden keltischen Kantone. So hatten vor den Deutschen die roemische Provinz und die neue roemische Armee fuer den Augenblick Ruhe; dagegen stand ein neuer Feind auf im Keltenland selbst. Die Helvetier, die in den steten Kaempfen mit ihren nordoestlichen Nachbarn viel zu leiden hatten, fuehlten durch das Beispiel der Kimbrer sich gereizt, gleichfalls im westlichen Gallien sich ruhigere und fruchtbarere Sitze zu suchen, und hatten vielleicht schon, als die Kimbrerscharen durch ihr Land zogen, sich dazu mit ihnen verbuendet; jetzt ueberschritten unter Divicos Fuehrung die Mannschaften der Tougener (unbekannter Lage) und der Tigoriner (am See von Murten) den Jura ^13 und gelangten bis in das Gebiet der Nitiobrogen (um Agen an der Garonne). Das roemische Heer unter dem Konsul Lucius Cassius Longinus, auf das sie hier stiessen, liess sich von den Helvetiern in einen Hinterhalt locken, wobei der Feldherr selber und sein Legat, der Konsular Lucius Piso, mit dem groessten Teil der Soldaten ihren Tod fanden; der interimistische Oberbefehlshaber der Mannschaft, die sich in das Lager gerettet hatte, Gaius Popillius, kapitulierte auf Abzug unter dem Joch gegen Auslieferung der Haelfte der Habe, die die Truppen mit sich fuehrten, und Stellung von Geiseln (647 107). So bedenklich standen die Dinge fuer die Roemer, dass in ihrer eigenen Provinz eine der wichtigsten Staedte, Tolosa, sich gegen sie erhob und die roemische Besatzung in Fesseln schlug. ------------------------------------- ^13 Die gewoehnliche Annahme, dass die Tougener und Tigoriner mit den Kimbrern zugleich in Gallien eingerueckt seien, laesst sich auf Strabon 7, 293 nicht stuetzen und stimmt wenig zu dem gesonderten Auftreten der Helvetier. Die Ueberlieferung ueber diesen Krieg ist uebrigens in einer Weise truemmerhaft, dass eine zusammenhaengende Geschichtserzaehlung, voellig wie bei den Samnitischen Kriegen, nur Anspruch machen kann auf ungefaehre Richtigkeit. -------------------------------------- Indes da die Kimbrer fortfuhren, sich anderswo zu tun zu machen und auch die Helvetier vorlaeufig die roemische Provinz nicht weiter belaestigten, hatte der neue roemische Oberfeldherr Quintus Servilius Caepio volle Zeit, sich der Stadt Tolosa durch Verrat wieder zu bemaechtigen und das alte und beruehmte Heiligtum des Keltischen Apollon von den darin aufgehaeuften ungeheuren Schaetzen mit Musse zu leeren - ein erwuenschter Gewinn fuer die bedraengte Staatskasse, nur dass leider die Goldund Silberfaesser auf dem Wege von Tolosa nach Massalia der schwachen Bedeckung durch einen Raeuberhaufen abgenommen wurden und spurlos verschwanden; wie es hiess, waren die Anstifter dieses Ueberfalles der Konsul selbst und sein Stab (648 106). Inzwischen beschraenkte man sich gegen den Hauptfeind auf die strengste Defensive und huetete mit drei starken Heeren die roemische Provinz, bis es den Kimbrern gefallen wuerde, den Angriff zu wiederholen. Sie kamen im Jahre 649 (105) unter ihrem Koenig Boiorix, diesmal ernstlich denkend an einen Einfall in Italien. Gegen sie befehligte am rechten Rhoneufer der Prokonsul Caepio, am linken der Konsul Gnaeus Mallius Maximus und unter ihm, an der Spitze eines abgesonderten Korps, sein Legat, der Konsular Marcus Aurelius Scaurus. Der erste Angriff traf diesen: er ward voellig geschlagen und selbst gefangen in das feindliche Hauptquartier gebracht, wo der kimbrische Koenig, erzuernt ueber die stolze Warnung des gefangenen Roemers, sich nicht mit seinem Heer nach Italien zu wagen, ihn niederstiess. Maximus befahl darauf seinem Kollegen, sein Heer ueber die Rhone zu fuehren; widerwillig sich fuegend erschien dieser endlich bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses, wo nun die ganze roemische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenueberstand und ihm durch ihre ansehnliche Zahl so imponiert haben soll, dass die Kimbrer anfingen zu unterhandeln. Allein die beiden Fuehrer lebten im heftigsten Zerwuerfnis. Maximus, ein geringer und unfaehiger Mann, war als Konsul seinem stolzeren und besser geborenen, aber nicht besser gearteten prokonsularischen Kollegen Caepio von Rechts wegen uebergeordnet; allein dieser weigerte sich, ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und gemeinschaftlich die Operationen zu beraten, und behauptete nach wie vor sein selbstaendiges Kommando. Vergeblich versuchten Abgeordnete des roemischen Senats eine Ausgleichung zu bewirken; auch eine persoenliche Zusammenkunft der Feldherren, welche die Offiziere erzwangen, erweiterte nur den Riss. Als Caepio den Maximus mit den Boten der Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff, die Ehre ihrer Unterwerfung allein zu gewinnen, und warf mit seinem Heerteil allein sich schleunigst auf den Feind. Er ward voellig vernichtet, so dass auch das Lager dem Feinde in die Haende fiel (6. Oktober 649 105); und sein Untergang zog die nicht minder vollstaendige Niederlage der zweiten roemischen Armee nach sich. Es sollen 80000 roemische Soldaten und halb soviel von dem ungeheuren und unbehilflichen Tross gefallen, nur zehn Mann entkommen sein - so viel ist gewiss, dass es nur wenigen von den beiden Heeren gelang, sich zu retten, da die Roemer mit dem Fluss im Ruecken gefochten hatten. Es war eine Katastrophe, die materiell und moralisch den Tag von Cannae weit ueberbot. Die Niederlagen des Carbo, des Silanus, des Longinus waren an den Italikern ohne nachhaltigen Eindruck voruebergegangen. Man war es schon gewohnt, jeden Krieg mit Unfaellen zu eroeffnen; die Unueberwindlichkeit der roemischen Waffen stand so unerschuetterlich fest, dass es ueberfluessig schien, die ziemlich zahlreichen Ausnahmen zu beachten. Die Schlacht von Arausio aber, das den unverteidigten Alpenpaessen in erschreckender Weise sich naehernde Kimbrerheer, die sowohl in der roemischen Landschaft jenseits der Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstaerkt ausbrechende Insurrektion, der wehrlose Zustand Italiens ruettelten furchtbar auf aus diesen Traeumen. Man gedachte wieder der nie voellig vergessenen Keltenstuerme des vierten Jahrhunderts, des Tages an der Allia und des Brandes von Rom; mit der doppelten Gewalt zugleich aeltester Erinnerung und frischester Angst kam der Gallierschreck ueber Italien; im ganzen Okzident schien man es inne zu werden, dass die Roemerherrschaft anfange zu wanken. Wie nach der Cannensischen Schlacht wurde durch Senatsbeschluss die Trauerzeit abgekuerzt ^14. Die neuen Werbungen stellten den drueckendsten Menschenmangel heraus. Alle waffenfaehigen Italiker mussten schwoeren, Italien nicht zu verlassen; die Kapitaene der in den italischen Haefen liegenden Schiffe wurden angewiesen, keinen dienstpflichtigen Mann an Bord zu nehmen. Es ist nicht zu sagen, was haette kommen moegen, wenn die Kimbrer sogleich nach ihrem Doppelsieg durch die Alpenpforten in Italien eingerueckt waeren. Indes sie ueberschwemmten zunaechst das Gebiet der Arverner, die muehsam in ihren Festungen der Feinde sich erwehrten, und zogen bald von da, der Belagerung muede, nicht nach Italien, sondern westwaerts gegen die Pyrenaeen. ---------------------------------------------- ^14 Hierher gehoert ohne Zweifel das Fragment Diodors Vat. p. 122. ---------------------------------------------- Wenn der erstarrte Organismus der roemischen Politik noch aus sich selber zu einer heilsamen Krise gelangen konnte, so musste sie jetzt eintreten, wo durch einen der wunderbaren Gluecksfaelle, an denen die Geschichte Roms so reich ist, die Gefahr nahe genug drohte, um alle Energie und allen Patriotismus in der Buergerschaft aufzuruetteln, und doch nicht so ploetzlich hereinbrach, dass diesen Kraeften kein Raum geblieben waere, sich zu entwickeln. Allein es wiederholten sich nur ebendieselben Erscheinungen, die vier Jahre zuvor nach den afrikanischen Niederlagen eingetreten waren. In der Tat waren die afrikanischen und die gallischen Unfaelle wesentlich gleicher Art. Es mag sein, dass zunaechst jene mehr der Oligarchie im ganzen, diese mehr einzelnen Beamten zur Last fielen; allein die oeffentliche Meinung erkannte mit Recht in beiden vor allen Dingen den Bankrott der Regierung, welche in fortschreitender Entwicklung zuerst die Ehre des Staats und jetzt bereits dessen Existenz in Frage stellte. Man taeuschte sich damals so wenig wie jetzt ueber den wahren Sitz des Uebels, allein jetzt so wenig wie damals brachte man es auch nur zu einem Versuch, an der rechten Stelle zu bessern. Man sah es wohl, dass das System die Schuld trug; aber man blieb auch diesmal dabei stehen, einzelne Personen zur Verantwortung zu ziehen - nur entlud freilich ueber den Haeuptern der Oligarchie dies zweite Gewitter sich mit um so viel schwereren Schlaegen, als die Katastrophe von 649 (105) die von 645 (109) an Umfang und Gefaehrlichkeit uebertraf. Das instinktmaessig sichere Gefuehl des Publikums, dass es gegen die Oligarchie kein Mittel gebe als die Tyrannis, zeigte sich wiederum, indem dasselbe bereitwillig einging auf jeden Versuch namhafter Offiziere, der Regierung die Hand zu zwingen und unter dieser oder jener Form das oligarchische Regiment durch eine Diktatur zu stuerzen. Zunaechst war es Quintus Caepio, gegen den die Angriffe sich richteten; mit Recht, insofern die Niederlage von Arausio zunaechst durch seine Unbotmaessigkeit herbeigefuehrt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich gegruendeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosanischen Beute; indes trug zu der Wut, die die Opposition gegen ihn entwickelte, wesentlich auch das bei, dass er als Konsul einen Versuch gewagt hatte, den Kapitalisten die Geschworenenstellen zu entreissen. Um seinetwillen ward der alte ehrwuerdige Grundsatz, auch im schlechtesten Gefaess die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, waehrend gegen den Urheber des cannensischen Unglueckstages der Tadel in die stille Brust verschlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio durch Volksbeschluss des Prokonsulats entsetzt und - was seit den Krisen, in denen das Koenigtum untergegangen, nicht wieder vorgekommen war - sein Vermoegen von der Staatskasse eingezogen (649? 105). Nicht lange nachher wurde derselbe durch einen zweiten Buergerschluss aus dem Senat gestossen (650 104). Aber dies genuegte nicht; man wollte mehr Opfer und vor allem Caepios Blut. Eine Anzahl oppositionell gesinnter Volkstribune, an ihrer Spitze Lucius Appuleius Saturninus und Gaius Norbanus, beantragten im Jahre 651 (103) wegen des in Gallien begangenen Unterschleifs und Landesverrats ein Ausnahmegericht niederzusetzen; trotz der faktischen Abschaffung der Untersuchungshaft und der Todesstrafe fuer politische Vergehen wurde Caepio verhaftet und die Absicht unverhohlen ausgesprochen, das Todesurteil ueber ihn zu faellen und zu vollstrecken. Die Regierungspartei versuchte, durch tribunizische Interzession den Antrag zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen Auflauf die ersten Maenner des Senats durch Steinwuerfe verletzt. Die Untersuchung war nicht zu verhindern und der Prozesskrieg ging im Jahre 651 (103) seinen Gang wie sechs Jahre zuvor; Caepio selbst, sein Kollege im Oberbefehl Gnaeus Malbus Maximus und zahlreiche andere angesehene Maenner wurden verurteilt; mit Muehe gelang es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun, durch Aufopferung seiner eigenen buergerlichen Existenz den Hauptangeklagten wenigstens das Leben zu retten ^15. ------------------------------------------ ^15 Die Amtsentsetzung des Prokonsuls Caepio, mit der die Vermoegenseinziehung verbunden war (Liv. ep. 67), ward wahrscheinlich unmittelbar nach der Schlacht von Arausio (6. Oktober 649 105) von der Volksversammlung ausgesprochen. Dass zwischen der Absetzung und der eigentlichen Katastrophe einige Zeit verstrich, zeigt deutlich der im Jahre 650 (104) gestellte, auf Caepio gemuenzte Antrag, dass Amtsentsetzung den Verlust des Sitzes im Senat nach sich ziehen solle (Ascon. Corn. 78). Die Fragmente des Licinianus (p. 10: Cn. Manilius ob eandem causam quam et Caepio L. Saturnini rogatione e civitate est cito [?] eiectus; wodurch die Andeutung bei Cicero (De orat. 2, 28,125) klar wird, lehren jetzt, dass ein von Lucius Appuleius Saturninus vorgeschlagenes Gesetz diese Katastrophe herbeigefuehrt hat. Es ist dies offenbar kein anderes als das Appuleische Gesetz ueber die geschmaelerte Majestaet des roemischen Staates (Cic. De orat. 2, 25, 107; 49, 201) oder, wie der Inhalt desselben schon frueher (Bd. 2, S. 193 der ersten Auflage [Orig.]) bestimmt ward, Saturninus’ Antrag auf Niedersetzung einer ausserordentlichen Kommission zur Untersuchung der waehrend der kimbrischen Unruhen vorgekommenen Landesverraetereien. Die Untersuchungskommission wegen des Goldes von Tolosa (Cic. nat. deor. 3, 30, 74) entsprang in ganz aehnlicher Weise aus dem Appuleischen Gesetz, wie die dort weiter genannten Spezialgerichte ueber eine aergerliche Richterbestechung aus dem Mucischen von 613 (141), die ueber die Vorgaenge mit den Vestalinnen aus dem Peducaeischen von 641 (113), die ueber den Jugurthinischen Krieg aus dem Mamilischen von 644 (110). Die Vergleichung dieser Faelle lehrt auch, dass von dergleichen Spezialkommissionen, anders als von den ordentlichen, selbst Strafen an Leib und Leben erkannt werden konnten und erkannt worden sind. Wenn anderweitig der Volkstribun Gaius Norbanus als derjenige genannt wird, der das Verfahren gegen Caepio veranlasste und dafuer spaeter zur Verantwortung gezogen ward (Cic. De orat. 2, 40, 167; 48, 199; 4, 200. part. 30, 105 u. a. St.), so ist dies damit nicht in Widerspruch; denn der Antrag ging, wie gewoehnlich, von mehreren Volkstribunen aus (Rhet. Her. 1, 14, 24; Cic. De orat. 2, 47, 197), und da Saturninus bereits tot war, als die aristokratische Partei daran denken konnte, Vergeltung zu ueben, hielt man sich an den Kollegen. Was die Zeit dieser zweiten und schliesslichen Verurteilung Caepios anlangt, so ist die gewoehnliche, sehr unueberlegte Annahme, welche dieselbe in das Jahr 650 (95), zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio setzt, bereits frueher zurueckgewiesen worden. Sie beruht lediglich darauf, dass Crassus als Konsul, also 659 (95) fuer Caepio sprach (Cic. Brut. 44,162); was er aber offenbar nicht als dessen Sachwalter tat, sondern als Norbanus wegen seines Verfahrens gegen Caepio im Jahre 659 (95) von Publius Sulpicius Rufus zur Verantwortung gezogen ward. Frueher wurde fuer diese zweite Anklage das Jahr 650 (104) angenommen; seit wir wissen, dass sie aus einem Antrag des Saturninus hervorging, kann man nur schwanken zwischen dem Jahr 651 (103), wo dieser zum ersten (Plut. Mar. 14; Oros. hist. 5, 17; App. 1, 28; Diod. p. 608, 631) und 654 (100), wo er zum zweiten Male Volkstribun war. Ganz sicher entscheidende Momente finden sich nicht, aber die sehr ueberwiegende Wahrscheinlichkeit spricht fuer das erstere Jahr, teils weil dies den Ungluecksfaellen in Gallien naeher steht, teils weil in den ziemlich ausfuehrlichen Berichten ueber Saturninus’ zweites Tribunat Quintus Caepio des Vaters und der gegen diesen gerichteten Gewaltsamkeiten nicht gedacht wird. Dass die infolge der Urteilssprueche wegen der unterschlagenen tolosanischen Beute an den Staatsschatz zurueckgezahlten Summen von Saturninus im zweiten Tribunat fuer seine Kolonisationsplaene in Anspruch genommen werden (Vir. ill. 73, 5 und dazu Orelli ind. legg. p. 137), ist an sich nicht entscheidend und kann ueberdies leicht durch Verwechslung von dem ersten afrikanischen auf das zweite allgemeine Ackergesetz des Saturninus uebertragen worden sein. Dass spaeterhin, als Norbanus belangt ward, dies eben auf Grund des von ihm mitveranlassten Gesetzes geschah, ist eine dem roemischen politischen Prozess dieser Zeit gewoehnliche Ironie (Cic. Brut. 89, 305) und darf etwa nicht zu dem Glauben verleiten, als sei das Appuleische Gesetz schon, wie das spaetere Cornelische, ein allgemeines Hochverratsgesetz gewesen. ------------------------------------------------ Wichtiger als diese Massregel der Rache war die Frage, wie der gefaehrliche Krieg jenseits der Alpen ferner gefuehrt und zunaechst, wem darin die Oberfeldherrnschaft uebertragen werden sollte. Bei unbefangener Behandlung war es nicht schwer, eine passende Wahl zu treffen. Rom war zwar im Vergleich mit frueheren Zeiten an militaerischen Notabilitaeten nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in Gallien, Marcus Aemilius Scaurus und Quintus Minucius in den Donaulaendern, Quintus Metellus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Afrika mit Auszeichnung kommandiert; und es handelte sich ja nicht darum, einen Pyrrhos oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens gegenueber die oft erprobte Ueberlegenheit roemischer Waffen und roemischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines genialen, sondern nur eines strengen und tuechtigen Kriegsmanns bedurfte. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher moeglich war als die unbefangene Erledigung einer Verwaltungsfrage. Die Regierung war, wie es nicht anders sein konnte und wie schon der jugurthinische Krieg gezeigt hatte, in der oeffentlichen Meinung so vollstaendig bankrott, dass ihre tuechtigsten Feldherren in der vollen Siegeslaufbahn weichen mussten, sowie es einem namhaften Offizier einfiel, sie vor dem Volk herunterzumachen und als Kandidat der Opposition von dieser sich an die Spitze der Geschaefte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, dass, was nach den Siegen des Metellus geschehen war, gesteigert sich wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus, Mallius und Quintus Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz des Gesetzes, das das Konsulat mehr als einmal zu uebernehmen verbot, auf als Bewerber um das hoechste Staatsamt und nicht bloss ward er, waehrend er noch in Afrika an der Spitze des dortigen Heeres stand, zum Konsul ernannt und ihm der Oberbefehl in dem Gallischen Krieg uebergeben, sondern es ward ihm auch fuenf Jahre hintereinander (650-654 104-100) wieder und wieder das Konsulat uebertragen, in einer Weise, welche aussah wie ein berechneter Hohn gegen den eben in Beziehung auf diesen Mann in seiner ganzen Torheit und Kurzsichtigkeit bewaehrten exklusiven Geist der Nobilitaet, aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhoert und in der Tat mit dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unvertraeglich war. Namentlich in dem roemischen Militaerwesen, dessen im Afrikanischen Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Buergerwehr in eine Soeldnerschar Marius waehrend seines fuenfjaehrigen, durch die Not der Zeit mehr noch als durch die Klauseln seiner Bestallung unumschraenkten Oberkommandos fortsetzte und vollendete, sind die tiefen Spuren dieser inkonstitutionellen Oberfeldherrnschaft des ersten demokratischen Generals fuer alle Zeit sichtbar geblieben. Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im Jahre 650 (164) jenseits der Alpen, gefolgt von einer Anzahl erprobter Offiziere, unter denen der kuehne Faenger des Jugurtha, Lucius Sulla, bald sich abermals hervortat, und von zahlreichen Scharen italischer und bundesgenoessischer Soldaten. Zunaechst fand er den Feind, gegen den er geschickt war, nicht vor. Die wunderlichen Leute, die bei Arausio gesiegt hatten, waren inzwischen, wie schon gesagt ward, nachdem sie die Landschaft westlich der Rhone ausgeraubt hatten, ueber die Pyrenaeen gestiegen und schlugen sich eben in Spanien mit den tapferen Bewohnern der Nordkueste und des Binnenlandes herum; es schien, als wollten die Deutschen ihr Talent, nicht zuzugreifen, gleich bei ihrem ersten Auftreten in der Geschichte beweisen. So fand Marius volle Zeit, einesteils die abgefallenen Tektosagen zum Gehorsam zurueckzubringen, die schwankende Treue der untertaenigen gallischen und ligurischen Gaue wieder zu befestigen und innerhalb wie ausserhalb der roemischen Provinz von den gleich den Roemern durch die Kimbrer gefaehrdeten Bundesgenossen, wie zum Beispiel von den Massalioten, den Allobrogen, den Sequanern, Beistand und Zuzug zu erlangen; andrerseits durch strenge Mannszucht und unparteiische Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe das ihm anvertraute Heer zu disziplinieren und durch Maersche und ausgedehnte Schanzarbeiten - insbesondere die Anlegung eines spaeter den Massalioten ueberwiesenen Rhonekanals zur leichteren Herbeischaffung der von Italien dem Heer nachgesandten Transporte - die Soldaten fuer die ernstere Kriegsarbeit tuechtig zu machen. Auch er verhielt sich in strenger Defensive und ueberschritt nicht die Grenzen der roemischen Provinz. Endlich, es scheint im Laufe des Jahres 651 (103), flutete der Kimbrenstrom, nachdem er in Spanien an dem tapferen Widerstand der eingeborenen Voelkerschaften, namentlich der Keltiberer sich gebrochen hatte, wieder zurueck ueber die Pyrenaeen und von da, wie es scheint, am Atlantischen Ozean hinauf, wo alles den schrecklichen Maennern sich unterwarf, von den Pyrenaeen bis zur Seine. Erst hier, an der Landesgrenze der tapferen Eidgenossenschaft der Belgen, trafen sie auf ernstlichen Widerstand; allein eben auch hier, waehrend sie im Gebiet der Veliocasser (bei Rouen) standen, kam ihnen ansehnlicher Zuzug. Nicht bloss drei Quartiere der Helvetier, darunter die Tigoriner und Tougener, welche frueher an der Garonne gegen die Roemer gefochten hatten, gesellten, wie es scheint um diese Zeit, sich zu den Kimbrern, sondern es stiessen auch zu ihnen die stammverwandten Teutonen unter ihrem Koenig Teutobod, welche durch uns nicht ueberlieferte Fuegungen aus ihrer Heimat an der Ostsee hierher an die Seine verschlagen waren ^16. Aber auch die vereinigten Scharen vermochten den tapferen Widerstand der Belgen nicht zu ueberwaeltigen. Die Fuehrer entschlossen sich daher, mit der also angeschwollenen Menge den schon mehrmals beratenen Zug nach Italien nun allen Ernstes anzutreten. Um nicht mit dem bisher zusammengeraubten Gut sich zu schleppen, wurde dasselbe hier zurueckgelassen unter dem Schutz einer Abteilung von 6000 Mann, aus denen spaeter nach mancherlei Irrfahrten die Voelkerschaft der Aduatuker an der Sambre erwachsen ist. Indes sei es wegen der schwierigen Verpflegung auf den Alpenstrassen, sei es aus anderen Gruenden, die Massen loesten sich wieder auf in zwei Heerhaufen, von denen der eine, die Kimbrer und Tigoriner, ueber den Rhein zurueck und durch die schon im Jahre 641 (113) erkundeten Paesse der Ostalpen, der andere, die neuangelangten Teutonen, die Tougener und die schon in der Schlacht von Arausio bewaehrte kimbrische Kernschar der Ambronen, durch das roemische Gallien und die Westpaesse nach Italien eindringen sollte. Diese zweite Abteilung war es, die im Sommer 652 (102) abermals ungehindert die Rhone ueberschritt und am linken Ufer derselben mit den Roemern den Kampf nach fast dreijaehriger Pause wieder aufnahm. Marius erwartete sie in einem wohlgewaehlten und wohlverproviantierten Lager am Einfluss der Isere in die Rhone, in welcher Stellung er die beiden einzigen damals gangbaren Heerstrassen nach Italien, die ueber den Kleinen Bernhard und die an der Kueste, zugleich den Barbaren verlegte. Die Teutonen griffen das Lager an, das ihnen den Weg sperrte; drei Tage nacheinander tobte der Sturm der Barbaren um die roemischen Verschanzungen, aber der wilde Mut scheiterte an der Ueberlegenheit der Roemer im Festungskrieg und an der Besonnenheit des Feldherrn. Nach hartem Verlust entschlossen sich die dreisten Gesellen, den Sturm aufzugeben und am Lager vorbei fuerbass nach Italien zu marschieren. Sechs Tage hintereinander zogen sie daran vorueber, ein Beweis mehr noch fuer die Schwerfaelligkeit ihres Trosses als fuer ihre ungeheure Zahl. Der Feldherr liess es geschehen ohne anzugreifen; dass er durch den hoehnischen Zuruf der Feinde, ob die Roemer nicht Auftraege haetten an ihre Frauen daheim, sich nicht irren liess, ist begreiflich, aber dass er dies verwegene Vorbeidefilieren der feindlichen Kolonnen vor der konzentrierten roemischen Masse nicht benutzte um zu schlagen, zeigt, wie wenig er seinen ungeuebten Soldaten vertraute. Als der Zug vorueber war, brach auch er sein Lager ab und folgte dem Feinde auf dem Fuss, in strenger Ordnung und Nacht fuer Nacht sich sorgfaeltig verschanzend. Die Teutonen, die der Kuestenstrasse zustrebten, gelangten laengs der Rhone hinabmarschierend bis in die Gegend von Aquae Sextiae, gefolgt von den Roemern. Beim Wasserschoepfen stiessen hier die leichten ligurischen Truppen der Roemer mit der feindlichen Nachhut, den Ambronen, zusammen; das Gefecht ward bald allgemein; nach heftigem Kampf siegten die Roemer und verfolgten den weichenden Feind bis an die Wagenburg. Dieser erste glueckliche Zusammenstoss erhoehte dem Feldherrn wie den Soldaten den Mut; am dritten Tage nach demselben ordnete Marius auf dem Huegel, dessen Spitze das roemische Lager trug, seine Reihen zur entscheidenden Schlacht. Die Teutonen, laengst ungeduldig, mit ihren Gegnern sich zu messen, stuermten sofort den Huegel hinauf und begannen das Gefecht. Es war ernst und langwierig; bis zum Mittag standen die Deutschen wie die Mauern; allein die ungewohnte Glut der provencalischen Sonne erschlaffte ihre Sehnen und ein blinder Laerm in ihrem Ruecken, wo ein Haufen roemischer Trossbuben aus einem waldigen Versteck mit gewaltigem Geschrei hervorrannte, entschied vollends die Aufloesung der schwankenden Reihen. Der ganze Schwarm ward gesprengt und, wie begreiflich in dem fremden Lande, entweder getoetet oder gefangen; unter den Gefangenen war der Koenig Teutobod, unter den Toten eine Menge Frauen, welche, nicht unbekannt mit der Behandlung, die ihnen als Sklavinnen bevorstand, teils auf ihren Karren in verzweifelter Gegenwehr sich hatten niedermachen lassen, teils in der Gefangenschaft, nachdem sie umsonst gebeten, sie dem Dienst der Goetter und der heiligen Jungfrauen der Vesta zu widmen, sich selber den Tod gegeben hatten (Sommer 652 102). ----------------------------------------------- ^16 Diese Darstellung beruht im wesentlichen auf dem verhaeltnismaessig zuverlaessigsten Livianischen Bericht in der Epitome (67, wo zu lesen ist: reversi in Galliam in Vellocassis se Teutonis coniunxerunt) und bei Obsequens, mit Beseitigung der geringeren Zeugnisse, die die Teutonen schon frueher, zum Teil, wie App. Celt. 13, schon in der Schlacht von Noreia, neben den Kimbrern auftreten lassen. Damit sind verbunden die Notizen bei Caesar (Gall. 1, 33; 2, 4 u. 29), da mit dem Zug der Kimbrer in die roemische Provinz und nach Italien nur die Expedition von 652 (102) gemeint sein kann. ---------------------------------------------- So hatte Gallien Ruhe vor den Deutschen; und es war Zeit, denn schon standen deren Waffenbrueder diesseits der Alpen. Mit den Helvetiern verbuendet, waren die Kimbrer ohne Schwierigkeit von der Seine in das obere Rheintal gelangt, hatten die Alpenkette auf dem Brennerpass ueberschritten und waren von da durch die Taeler der Eisack und Etsch hinabgestiegen in die italische Ebene. Hier sollte der Konsul Quintus Lutatius Catulus die Paesse bewachen; allein der Gegend nicht voellig kundig und fuerchtend, umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut, in die Alpen selbst vorzuruecken, sondern unterhalb Trient am linken Ufer der Etsch sich aufgestellt und fuer alle Faelle den Rueckzug auf das rechte durch Anlegung einer Bruecke sich gesichert. Allein als nun die Kimbrer in dichten Scharen aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein panischer Schreck das roemische Heer und Legionaere und Reiter liefen davon, diese geradeswegs nach der Hauptstadt, jene auf die naechste Anhoehe, die Sicherheit zu gewaehren schien. Mit genauer Not brachte Catulus wenigstens den groessten Teil seines Heeres durch eine Kriegslist wieder an den Fluss und ueber die Bruecke zurueck, ehe es den Feinden, die den oberen Lauf der Etsch beherrschten und schon Baeume und Balken gegen die Bruecke hinabtreiben liessen, gelang, diese zu zerstoeren und damit dem Heer den Rueckzug abzuschneiden. Eine Legion indes hatte der Feldherr auf dem anderen Ufer zuruecklassen muessen und bereits wollte der feige Tribun, der sie fuehrte, kapitulieren, als der Rottenfuehrer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstiess und mitten durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich durchschlug. So war das Heer und einigermassen selbst die Waffenehre gerettet; allein die Folgen der versaeumten Besetzung der Paesse und des uebereilten Rueckzugs waren dennoch sehr empfindlich. Catulus musste auf das rechte Ufer des Po sich zurueckziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Alpen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so dass man die Verbindung mit Aquileia nur zur See noch unterhielt. Dies geschah im Sommer 652 (102), um dieselbe Zeit, wo es zwischen den Teutonen und den Roemern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Haetten die Kimbrer ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr bedraengte Lage geraten; indes ihrer Gewohnheit, im Winter zu rasten, blieben sie auch diesmal getreu und um so mehr, als das reiche Land, die ungewohnten Quartiere unter Dach und Fach, die warmen Baeder, die neuen reichlichen Speisen und Getraenke sie einluden, es sich vorlaeufig wohl sein zu lassen. Dadurch gewannen die Roemer Zeit, ihnen mit vereinigten Kraeften in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische General sonst wohl getan haben wuerde, den unterbrochenen Eroberungsplan des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das siegreiche Heer an den Po gefuehrt und nach kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach voelliger Ueberwindung der Barbaren zurueckwies, traf auch Marius selbst bei den vereinigten Armeen ein. Im Fruehjahr 653 (101) ueberschritten sie, 50000 Mann stark, unter dem Konsul Marius und dem Prokonsul Catulus wiederum den Po und zogen gegen die Kimbrer, welche ihrerseits flussaufwaerts marschiert zu sein scheinen, um den maechtigen Strom an seiner Quelle zu ueberschreiten. Unterhalb Vercellae unweit der Muendung der Sesia in den Po ^17, ebenda, wo Hannibal seine erste Schlacht auf italischem Boden geschlagen hatte, trafen die beiden Heere aufeinander. Die Kimbrer wuenschten die Schlacht und sandten, ihrer Landessitte gemaess, zu den Roemern, Zeit und Ort dazu auszumachen: Marius willfahrte ihnen und nannte den naechsten Tag - es war der 30. Juli 653 (101) - und das Raudische Feld, eine weite Ebene, auf der die ueberlegene roemische Reiterei einen vorteilhaften Spielraum fand. Hier stiess man auf den Feind, erwartet und doch ueberraschend; denn in dem dichten Morgennebel fand sich die kimbrische Reiterei im Handgemenge mit der staerkeren roemischen, ehe sie es vermutete, und ward von ihr zurueckgeworfen auf das Fussvolk, das eben zum Kampfe sich ordnete. Mit geringen Opfern ward ein vollstaendiger Sieg erfochten und die Kimbrer vernichtet. Gluecklich mochte heissen, wer den Tod in der Schlacht fand, wie die meisten, unter ihnen der tapfere Koenig Boiorix; gluecklicher mindestens als die, die nachher verzweifelnd Hand an sich selbst legten oder gar auf dem Sklavenmarkt in Rom den Herrn suchen mussten, der dem einzelnen Nordmannen die Dreistigkeit vergalt, des schoenen Suedens begehrt zu haben, ehe denn es Zeit war. Die Tigoriner, die auf den Vorbergen der Alpen zurueckgeblieben waren, um den Kimbrern spaeter zu folgen, verliefen sich auf die Kunde von der Niederlage in ihre Heimat. Die Menschenlawine, die dreizehn Jahre hindurch von der Donau bis zum Ebro, von der Seine bis zum Po die Nationen alarmiert hatte, ruhte unter der Scholle oder fronte im Sklavenjoch; der verlorene Posten der deutschen Wanderungen hatte seine Schuldigkeit getan; das heimatlose Volk der Kimbrer mit seinen Genossen war nicht mehr. ------------------------------------------------- ^17 Man hat nicht wohl getan, von der Ueberlieferung abweichend das Schlachtfeld nach Verona zu verlegen; wobei uebersehen ward, dass zwischen den Gefechten an der Etsch und dem entscheidenden Treffen ein ganzer Winter und vielfache Truppenbewegungen liegen, und dass Catulus nach ausdruecklicher Angabe (Plut. Mar. 24) bis auf das rechte Poufer zurueckgewichen war. Auch die Angaben, dass am Po (Hier. chron. a. Abr.) und dass da, wo Stilicho spaeter die Geten schlug, d. h. bei Cherasco am Tanaro, die Kimbrer geschlagen wurden, fuehren, obwohl beide ungenau, doch viel eher nach Vercellae als nach Verona. --------------------------------------------------- Ueber den Leichen haderten die politischen Parteien Roms ihren kuemmerlichen Hader weiter, ohne um das grosse Kapitel der Weltgeschichte sich zu bekuemmern, davon hier das erste Blatt sich aufgeschlagen hatte, ohne auch nur Raum zu geben dem reinen Gefuehl, dass an diesem Tage Roms Aristokraten wie Roms Demokraten ihre Schuldigkeit getan hatten. Die Rivalitaet der beiden Feldherren, die nicht bloss politische Gegner, sondern auch durch den so verschiedenen Erfolg der beiden vorjaehrigen Feldzuege militaerisch gespannt waren, kam sofort nach der Schlacht zum widerwaertigsten Ausbruch. Catulus mochte mit Recht behaupten, dass das Mitteltreffen, das er befehligte, den Sieg entschieden habe und dass von seinen Leuten einunddreissig, von den Marianern nur zwei Feldzeichen eingebracht seien - seine Soldaten fuehrten sogar die Abgeordneten der Stadt Parma durch die Leichenhaufen, um ihnen zu zeigen, dass Marius tausend geschlagen habe, Catulus aber zehntausend. Nichtsdestoweniger galt Marius als der eigentliche Besieger der Kimbrer, und mit Recht; nicht bloss, weil er kraft seines hoeheren Ranges an dem entscheidenden Tage den Oberbefehl gefuehrt hatte und an militaerischer Begabung und Erfahrung seinem Kollegen ohne Zweifel weit ueberlegen war, sondern vor allem, weil der zweite Sieg von Vercellae in der Tat nur moeglich geworden war durch den ersten von Aquae Sextiae. Allein in der damaligen Zeit waren es weniger diese Erwaegungen, die den Ruhm von den Kimbrern und Teutonen Rom errettet zu haben ganz und voll an Marius’ Namen knuepften, als die politischen Parteiruecksichten. Catulus war ein feiner und gescheiter Mann, ein so anmutiger Sprecher, dass der Wohllaut seiner Worte fast wie Beredsamkeit klang, ein leidlicher Memoirenschreiber und Gelegenheitspoet und ein vortrefflicher Kunstkenner und Kunstrichter; aber er war nichts weniger als ein Mann des Volkes und sein Sieg ein Sieg der Aristokratie. Die Schlachten aber des groben Bauern, welcher von dem gemeinen Volke auf den Schild gehoben war und das gemeine Volk zum Siege gefuehrt hatte, diese Schlachten waren nicht bloss Niederlagen der Kimbrer und Teutonen, sondern auch Niederlagen der Regierung; es knuepften daran sich noch ganz andere Hoffnungen als die, dass man wieder ungestoert jenseits der Alpen Geldgeschaefte machen oder diesseits den Acker bauen koenne. Zwanzig Jahre waren verstrichen, seit Gaius Gracchus’ blutende Leiche den Tiber hinabgetrieben war; seit zwanzig Jahren ward das Regiment der restaurierten Oligarchie ertragen und verwuenscht; immer noch war dem Gracchus kein Raecher, seinem angefangenen Bau kein zweiter Meister erstanden. Es hassten und hofften viele, viele von den schlechtesten und viele von den besten Buergern des Staats; war der Mann, der diese Rache und diese Wuensche zu erfuellen verstand, endlich gefunden in dem Sohn des Tageloehners von Arpinum? Stand man wirklich an der Schwelle der neuen, vielgefuerchteten und vielersehnten zweiten Revolution? 6. Kapitel Revolutionsversuch des Marius und Reformversuch des Drusus Gaius Marius ward, eines armen Tageloehners Sohn, geboren im Jahre 599 (155) in dem damals arpinatischen Dorfe Cereatae, das spaeter als Cereatae Marianae Stadtrecht erhielt und noch heute den Namen "Mariusheimat" (Casamare) traegt. Beim Pfluge war er aufgekommen, in so duerftigen Verhaeltnissen, dass sie ihm selbst zu den Gemeindeaemtern von Arpinum den Zugang zu verschliessen schienen; er lernte frueh, was er spaeter noch als Feldherr uebte, Hunger und Durst, Sonnenbrand und Winterkaelte ertragen und auf der harten Erde schlafen. Sowie das Alter es ihm erlaubte, war er in das Heer eingetreten und hatte in der schweren Schule der Spanischen Kriege sich rasch zum Offizier emporgedient; in Scipios Numantinischem Kriege zog er, damals dreiundzwanzigjaehrig, des strengen Feldherrn Augen auf sich durch die saubere Haltung seines Pferdes und seiner Waffen wie durch seine Tapferkeit im Gefecht und sein ehrbares Betragen im Lager. Er war heimgekehrt mit ehrenvollen Narben und kriegerischen Abzeichen und mit dem lebhaften Wunsch, in der ruehmlich betretenen Laufbahn sich einen Namen zu machen; allein unter den damaligen Verhaeltnissen konnte zu den politischen Aemtern, die allein zu hoeheren Militaerstellen fuehrten, auch der verdienteste Mann nicht gelangen ohne Vermoegen und ohne Verbindungen. Beides ward dem jungen Offizier zuteil durch glueckliche Handelsspekulationen und durch die Verbindung mit einem Maedchen aus dem altadligen Geschlecht der Julier; so gelangte er unter grossen Anstrengungen und nach vielfachen Misserfolgen im Jahre 639 (115) bis zur Praetur, in welcher er als Statthalter des jenseitigen Spaniens seine militaerische Tuechtigkeit aufs neue zu bewaehren Gelegenheit fand. Wie er sodann der Aristokratie zum Trotz im Jahre 647 (107) das Konsulat uebernahm und als Prokonsul (648, 649 106, 105) den Afrikanischen Krieg beendigte, wie er, nach dem Unglueckstag von Arausio zur Oberleitung des Krieges gegen die Deutschen berufen, unter viermal vom Jahre 650 (104) bis zum Jahre 653 (101) wiederholter, in den Annalen der Republik beispielloser Erneuerung des Konsulats, die Kimbrer jenseits, die Teutonen diesseits der Alpen ueberwand und vernichtete, ist bereits erzaehlt worden. In seinem Kriegsamt hatte er sich gezeigt als einen braven und rechtschaffenen Mann, der unparteiisch Recht sprach, ueber die Beute mit seltener Ehrlichkeit und Uneigennuetzigkeit verfuegte und durchaus unbestechlich war; als einen geschickten Organisator, der die einigermassen eingerostete Maschine des roemischen Heerwesens wi eder in brauchbaren Stand gesetzt hatte; als einen faehigen Feldherrn, der den Soldaten in Zucht und doch bei guter Laune erhielt und zugleich im kameradschaftlichen Verkehr seine Liebe gewann, dem Feinde aber kuehn ins Auge sah und zur rechten Zeit sich mit ihm schlug. Eine militaerische Kapazitaet im eminenten Sinn war er, soweit wir urteilen koennen, nicht; allein die sehr achtungswerten Eigenschaften, die er besass, genuegten unter den damals bestehenden Verhaeltnissen vollkommen, um ihm den Ruf einer solchen zu verschaffen, und auf diesen gestuetzt war er in einer beispiellos ehrenvollen Weise eingetreten unter die Konsulare und die Triumphatoren. Allein er passte darum nicht besser in den glaenzenden Kreis. Seine Stimme blieb rauh und laut, sein Blick wild, als saehe er noch Libyer oder Kimbrer vor sich und nicht wohlerzogene und parfuemierte Kollegen. Dass er aberglaeubisch war wie ein echter Lanzknecht, dass er zur Bewerbung um sein erstes Konsulat sich nicht durch den Drang seiner Talente, sondern zunaechst durch die Aussagen eines etruskischen Eingeweidebeschauers bestimmen liess, und bei dem Feldzug gegen die Teutonen eine syrische Prophetin Martha mit ihren Orakeln dem Kriegsrat aushalf, war nicht eigentlich unaristokratisch; in solchen Dingen begegneten sich damals wie zu allen Zeiten die hoechsten und die niedrigsten Schichten der Gesellschaft. Allein unverzeihlich war der Mangel an politischer Bildung; es war zwar loeblich, dass er die Barbaren zu schlagen verstand, aber was sollte man denken von einem der verfassungsmaessigen Etikette so unkundigen Konsul, dass er im Triumphalkostuem im Senat erschien! Auch sonst hing die Rotuere ihm an. Er war nicht bloss - nach aristokratischer Terminologie - ein armer Mann, sondern, was schlimmer war, genuegsam und ein abgesagter Feind aller Bestechung und Durchstecherei. Nach Soldatenart war er nicht waehlerisch, aber becherte gern, besonders in spaeteren Jahren; Feste zu geben verstand er nicht und hielt einen schlechten Koch. Ebenso uebel war es, dass der Konsular nur Lateinisch verstand und die griechische Konversation sich verbitten musste; dass er bei den griechischen Schauspielen sich langweilte, mochte hingehen - er war vermutlich nicht der einzige -, aber dass er sich zu seiner Langenweile bekannte, war naiv. So blieb er zeit seines Lebens ein unter die Aristokraten verschlagener Bauersmann und geplagt von den empfindlichen Stichelworten und dem empfindlicheren Mitleiden seiner Kollegen, das wie diese selber zu verachten er denn doch nicht ueber sich vermochte. Nicht viel weniger wie ausserhalb der Gesellschaft stand Marius ausserhalb der Parteien. Die Massregeln, die er in seinem Volkstribunat (635 119) durchsetzte, eine bessere Kontrolle bei der Abgabe der Stimmtaefelchen zur Abstellung der argen dabei stattfindenden Betruegereien und die Verhinderung ausschweifender Antraege auf Spenden an das Volk, tragen nicht den Stempel einer Partei, am wenigsten den der demokratischen, sondern zeigen nur, dass ihm Unrechtfertigkeit und Unvernunft verhasst waren; und wie haette auch ein Mann wie dieser, Bauer von Geburt und Soldat aus Neigung, von Haus aus revolutionaer sein koennen? Die Anfeindungen der Aristokratie hatten ihn zwar spaeter in das Lager der Gegner der Regierung getrieben, und rasch sah er sich hier auf den Schild gehoben zunaechst als Feldherr der Opposition und demnaechst vielleicht bestimmt zu noch hoeheren Dingen. Allein es war dies weit mehr die Folge der zwingenden Gewalt der Verhaeltnisse und des allgemeinen Beduerfnisses der Opposition nach einem Haupte als sein eigenes Werk; hatte er doch seit seinem Abgang nach Afrika 647/48 (107/06) kaum voruebergehend auf kurze Zeit in der Hauptstadt verweilt. Erst in der zweiten Haelfte des Jahres 653 (101) kam er, Sieger wie ueber die Kimbrer so ueber die Teutonen, nach Rom zurueck, um den verschobenen Triumph nun zwiefach zu feiern, entschieden der erste Mann in Rom und doch zugleich politischer Anfaenger. Es war unwidersprechlich ausgemacht, nicht bloss dass Marius Rom gerettet habe, sondern dass er der einzige Mann sei, der Rom habe retten koennen; sein Name war auf allen Lippen; die Vornehmen erkannten seine Leistungen an; bei dem Volk war er populaer wie keiner vor oder nach ihm, populaer durch seine Tugenden wie durch seine Fehler, durch seine unaristokratische Uneigennuetzigkeit nicht minder wie durch seine baeurische Derbheit; er hiess der Menge der dritte Romulus und der zweite Camillus; gleich den Goettern wurden ihm Trankopfer gespendet. Es war kein Wunder, wenn dem Bauernsohn der Kopf mitunter schwindelte von all der Herrlichkeit, wenn er seinen Zug von Afrika ins Kettenland den Siegesfahrten des Dionysos von Erdteil zu Erdteil verglich und sich fuer seinen Gebrauch einen Becher - keinen von den kleinsten - nach dem Muster des Bakchischen fertigen liess. Es war ebensoviel Hoffnung wie Dankbarkeit in dieser taumelnden Begeisterung des Volkes, die wohl einen Mann von kaelterem Blut und gereifterer politischer Erfahrung zu irren vermocht haette. Marius’ Werk schien seinen Bewunderern keineswegs vollendet. Schwerer als die Barbaren lastete auf dem Lande die elende Regierung; ihm, dem ersten Manne Roms, dem Liebling des Volkes, dem Haupt der Opposition kam es zu, Rom zum zweitenmal zu retten. Zwar war ihm, dem Bauer und Soldaten, das hauptstaedtische politische Treiben fremd und unbequem; er sprach so schlecht, wie er gut kommandierte, und bewies den Lanzen und Schwertern der Feinde gegenueber eine weit festere Haltung als gegen die klatschende oder zischende Menge; aber auf seine Neigung kam wenig an. Hoffnungen binden. Seine militaerische und politische Stellung war von der Art, dass, wenn er mit seiner ruhmvollen Vergangenheit nicht brechen, die Erwartungen seiner Partei, ja der Nation nicht taeuschen, seiner eigenen Gewissenspflicht nicht untreu werden wollte, er der Missverwaltung der oeffentlichen Angelegenheiten steuern und dem Restaurationsregiment ein Ende machen musste, und wenn er nur die inneren Eigenschaften eines Volkshauptes besass, so konnte er dessen, was zum Volksfuehrer ihm abging, allerdings entraten. Eine furchtbare Waffe hielt er in der Hand in der neu organisierten Armee. Bis auf seine Zeit hatte man von dem Grundgedanken der Servianischen Verfassung, die Aushebung lediglich auf die vermoegenden Buerger zu beschraenken und die Unterschiede der Waffengattungen allein nach den Vermoegensklassen zu ordnen, wohl schon manches nachlassen muessen: es war das zum Eintritt in das Buergerheer verpflichtende Minimalvermoegen von 11000 Assen (300 Talern) herabgesetzt worden auf 4000 (115 Taler; 2, 345); es waren die aelteren sechs in den Waffengattungen unterschiedenen Vermoegensklassen beschraenkt worden auf drei, indem man zwar wie nach der Servianischen Ordnung die Reiter aus den vermoegendsten, die Leichtbewaffneten aus den aermsten Dienstpflichtigen auslas, aber den Mittelstand, die eigentliche Linieninfanterie unter sich nicht mehr nach dem Vermoegen, sondern nach dem Dienstalter in die drei Treffen der Hastaten, Principes und Triarier ordnet. Man hatte ferner schon laengst die italischen Bundesgenossen in sehr ausgedehntem Masse zum Kriegsdienst mitherangezogen, indes auch hier, ganz wie bei der roemischen Buergerschaft, die Militaerpflicht vorzugsweise auf die besitzenden Klassen gelegt. Nichtsdestoweniger ruhte das roemische Militaerwesen bis auf Marius im wesentlichen auf jener uralten Buergerwehrordnung. Allein fuer die veraenderten Verhaeltnisse passte dieselbe nicht mehr. Die besseren Klassen der Gesellschaft zogen teils vom Heerdienst mehr und mehr sich zurueck, teils schwand der roemische und italische Mittelstand ueberhaupt zusammen; dagegen waren einesteils die betraechtlichen Streitmittel der ausseritalischen Bundesgenossen und Untertanen verfuegbar geworden, andererseits bot das italische Proletariat, richtig verwandt, ein militaerisch wenigstens sehr brauchbares Material. Die Buergerreiterei, die aus der Klasse der Wohlhabenden gebildet werden sollte, war im Felddienst schon vor Marius tatsaechlich eingegangen. Als wirklicher Heerkoerper wird sie zuletzt genannt in dem spanischen Feldzug von 614 (140), wo sie den Feldherrn durch ihren hoehnischen Hochmut und ihre Unbotmaessigkeit zur Verzweiflung bringt und zwischen beiden ein von den Reitern wie vom Feldherrn mit gleicher Gewissenlosigkeit gefuehrter Krieg ausbricht. Im Jugurthinischen Krieg erscheint sie schon nur noch als eine Art Nobelgarde fuer den Feldherrn und fremde Prinzen; von da an verschwindet sie ganz. Ebenso erwies sich die Ergaenzung der Legionen mit gehoerig qualifizierten Pflichtigen schon im gewoehnlichen Lauf der Dinge schwierig, so dass Anstrengungen, wie sie nach der Schlacht von Arausio noetig waren, unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften ueber die Dienstpflicht wohl in der Tat materiell unausfuehrbar gewesen sein wuerden. Andererseits wurden schon vor Marius, namentlich in der Kavallerie und der leichten Infanterie, die ausseritalischen Untertanen, die schweren Berittenen Thrakiens, die leichte afrikanische Reiterei, das vortreffliche leichte Fussvolk der bebenden Ligurer, die Schleuderer von den Balearen, in immer groesserer Anzahl auch ausserhalb ihrer Provinzen bei den roemischen Heeren mitverwendet; und zugleich draengten sich, waehrend an qualifizierten Buergerrekruten Mangel war, die nichtqualifizierten aermeren Buerger ungerufen zum Eintritt in die Armee, wie denn bei der Masse des arbeitslosen oder arbeitsscheuen Buergergesindels und bei den ansehnlichen Vorteilen, die der roemische Kriegsdienst abwarf, die Freiwilligenwerbung nicht schwierig sein konnte. Es war demnach nichts als eine notwendige Konsequenz der politischen und sozialen Umwandlung des Staats, dass man im Militaerwesen ueberging von dem System des Buergeraufgebots zu dem Zuzugund Werbesystem, die Reiterei und die leichten Truppen wesentlich aus den Kontingenten der Untertanen bildete, wie denn fuer den kimbrischen Feldzug schon bis nach Bithynien Zuzug angesagt ward, fuer die Linieninfanterie aber zwar die bisherige Dienstpflichtordnung nicht aufhob, allein daneben jedem freigeborenen Buerger den freiwilligen Eintritt in das Heer gestattete, was zuerst Marius 647 (107) tat. Hierzu kam die Nivellierung innerhalb der Linieninfanterie, die gleichfalls auf Marius zurueckgeht. Die roemische Weise aristokratischer Gliederung hatte bis dahin auch innerhalb der Legion geherrscht. Die vier Treffen der Leichten, der Hastaten, der Principes, der Triarier oder, wie man auch sagen kann, der Vorhut, der ersten, zweiten und dritten Linie hatten bis dahin jedes seine besondere Qualifikation nach Vermoegensoder Dienstalter und grossenteils auch verschiedene Bewaffnung, jedes seinen ein fuer allemal bestimmten Platz in der Schlachtordnung, jedes seinen bestimmten militaerischen Rang und sein eigenes Feldzeichen gehabt. Alle diese Unterschiede fielen jetzt ueber den Haufen. Wer ueberhaupt als Legionaer zugelassen ward, bedurfte keiner weiteren Qualifikation, um in jeder Abteilung zu dienen; ueber die Einordnung entschied einzig das Ermessen der Offiziere. Alle Unterschiede der Bewaffnung fielen weg und somit wurden auch alle Rekruten gleichmaessig geschult. Ohne Zweifel in Verbindung damit stehen die vielfachen Verbesserungen, die in der Bewaffnung, dem Tragen des Gepaecks und aehnlichen Dingen von Marius herruehren und ein ruehmliches Zeugnis ablegen von der Einsicht desselben in das praktische Detail des Kriegshandwerks und seiner Fuersorge fuer die Soldaten; vor allem aber das neue, von dem Kameraden des Marius im Afrikanischen Krieg, Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105), entworfene Exerzierreglement; es ist bezeichnend, dass dasselbe die militaerische Ausbildung des einzelnen Mannes betraechtlich steigerte und wesentlich sich anlehnte an die in den damaligen Fechterschulen uebliche Ausbildung der kuenftigen Gladiatoren. Die Gliederung der Legion ward eine gaenzlich andere. An die Stelle der 30 Faehnlein (manipuli) schwerer Infanterie, die - jedes zu zwei Zuegen (centuriae) von je 60 Mann in den beiden ersten und je 30 Mann im dritten Treffen - bisher die taktische Einheit gebildet hatten, traten 10 Haufen (cohortes), jeder mit eigenem Feldzeichen und jeder zu sechs, oft auch nur zu fuenf Zuegen von je 100 Mann; so dass, obgleich gleichzeitig durch Einziehung der leichten Infanterie der Legion 1200 Mann erspart wurden, dennoch die Gesamtzahl der Legion von 4200 auf 5000 bis 6000 Mann stieg. Die Sitte, in drei Treffen zu fechten, blieb bestehen, allein wenn bisher jedes Treffen einen eigenen Truppenkoerper gebildet hatte, so war es in Zukunft dem Feldherrn ueberlassen, die Kohorten, ueber die er disponierte, in die drei Linien nach Ermessen zu verteilen. Den militaerischen Rang bestimmte einzig die Ordnungsnummer der Soldaten und der Abteilungen. Die vier Feldzeichen der einzelnen Legionsteile, der Wolf, der mannkoepfige Stier, das Ross, der Eber, die bisher wahrscheinlich der Reiterei und den drei Treffen der schweren Infanterie waren vorgetragen worden, verschwanden; dafuer traten die Faehnlein der neuen Kohorten ein und das neue Zeichen, das Marius der gesamten Legion verlieh, der silberne Adler. Wenn also innerhalb der Legion jede Spur der bisherigen buergerlichen und aristokratischen Gliederung verschwand und unter den Legionaeren fortan nur noch rein soldatische Unterschiede vorkamen, so hatte sich dagegen schon einige Jahrzehnte frueher aus zufaelligen Anlaessen eine bevorzugte Heeresabteilung neben den Legionen entwickelt: die Leibwache des Feldherrn. Bis dahin hatten ausgesuchte Mannschaften aus den bundesgenoessischen Kontingenten die persoenliche Bedeckung des Feldherrn gebildet; roemische Legionaere oder gar freiwillig sich erbietende Mannschaften zum persoenlichen Dienst bei dem selben zu verwenden, widerstritt der strengen Gebundenheit des gewaltigen Gemeinwesens. Aber als der Numantinische Krieg ein beispiellos demoralisiertes Heer grossgezogen hatte und Scipio Aemilianus, der berufen ward, dem wuesten Unwesen zu steuern, es nicht bei der Regierung hatte durchsetzen koennen, voellig neue Truppen unter die Waffen zu rufen, ward es ihm wenigstens gewaehrt, ausser einer Anzahl von Mannschaften, die ihm die abhaengigen Koenige und Freistaedte des Auslandes zur Verfuegung stellten, aus freiwilligen roemischen Buergern eine persoenliche Bedeckungsmannschaft von 500 Mann zu bilden. Diese Kohorte, teils aus den besseren Staenden, teils aus der niederen persoenlichen Klientel des Feldherrn hervorgegangen und daher bald die der Freunde, bald die des Hauptquartiers (praetoriani) genannt, hatte den Dienst in diesem (praetorium), wofuer sie vom Lagerund Schanzdienst frei war, und genoss hoeheren Sold und groesseres Ansehen. Diese vollstaendige Revolution der roemischen Heerverfassung scheint allerdings wesentlich aus rein militaerischen Motiven hervorgegangen und ueberhaupt weniger das Werk eines einzelnen, am wenigsten eines berechnenden Ehrgeizigen, als die vom Drang der Umstaende gebotene Umgestaltung unhaltbar gewordener Einrichtungen gewesen zu sein. Es ist wahrscheinlich, dass die Einfuehrung des inlaendischen Werbesystems durch Marius ebenso den Staat militaerisch vom Untergang gerettet hat, wie manches Jahrhundert spaeter Arbogast und Stilicho durch Einfuehrung des auslaendischen ihm noch auf eine Weile die Existenz fristeten. Nichtsdestoweniger lag in ihr, wenn auch noch unentwickelt, zugleich eine vollstaendige politische Revolution. Die republikanische Verfassung ruhte zumeist darauf, dass der Buerger zugleich Soldat, der Soldat vor allem Buerger war; es war mit ihr zu Ende, sowie ein Soldatenstand sich bildete. Hierzu musste schon das neue Exerzierreglement fuehren mit seiner dem Kunstfechter abgeborgten Routine; der Kriegsdienst ward allmaehlich Kriegshandwerk. Weit rascher noch wirkte die wenn auch beschraenkte Zuziehung des Proletariats zum Militaerdienst, besonders in Verbindung mit den uralten Satzungen, die dem Feldherrn ein nur mit sehr soliden republikanischen Institutionen vertraegliches arbitraeres Belohnungsrecht seiner Soldaten einraeumten und dem tuechtigen und gluecklichen Soldaten eine Art Anrecht gaben, vom Feldherrn einen Teil der beweglichen Beute, vom Staat ein Stueck des gewonnenen Ackers zu heischen. Wenn der ausgehobene Buerger und Bauer in dem Kriegsdienst nichts sah als eine fuer das gemeine Beste zu uebernehmende Last und im Kriegsgewinn nichts als einen geringen Entgelt fuer den ihm aus dem Dienst erwachsenden weit ansehnlicheren Verlust, so war dagegen der geworbene Proletarier nicht bloss fuer den Augenblick allein angewiesen auf seinen Sold, sondern auch fuer die Zukunft musste er, den nach der Entlassung kein Invaliden- , ja nicht einmal ein Armenhaus aufnahm, wuenschen, zunaechst bei der Fahne zu bleiben und diese nicht anders zu verlassen als mit Begruendung seiner buergerlichen Existenz. Seine einzige Heimat war das Lager, seine einzige Wissenschaft der Krieg, seine einzige Hoffnung der Feldherr - was hierin lag, leuchtet ein. Als Marius nach dem Treffen auf dem Raudischen Feld zwei Kohorten italischer Bundesgenossen ihrer tapferen Haltung wegen in Masse das Buergerrecht auf dem Schlachtfeld selbst verfassungswidrig verlieh, rechtfertigte er spaeter sich damit, dass er im Laerm der Schlacht die Stimme der Gesetze nicht habe unterscheiden koennen. Wenn einmal in wichtigeren Fragen das Interesse des Heers und des Feldherrn in verfassungswidrigem Begehren sich begegneten, wer mochte dafuer stehen, dass alsdann nicht noch andere Gesetze ueber dem Schwertergeklirr nicht wuerden vernommen werden? Man hatte das stehende Heer, den Soldatenstand, die Garde; wie in der buergerlichen Verfassung, so standen auch in der militaerischen bereits alle Pfeiler der kuenftigen Monarchie: es fehlte einzig an dem Monarchen. Wie die zwoelf Adler um den Palatinischen Huegel kreisten, da riefen sie dem Koenigtum; der neue Adler, den Gaius Marius den Legionen verlieh, verkuendete das Reich der Kaiser. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dass Marius einging auf die glaenzenden Aussichten, die seine militaerische und politische Stellung ihm eroeffnete. Es war eine truebe, schwere Zeit. Man hatte Frieden, aber man ward des Friedens nicht froh; es war nicht mehr wie einst nach dem ersten gewaltigen Anprall der Nordlaender auf Rom, wo nach ueberstandener Krise im frischen Gefuehl der Genesung alle Kraefte sich neu geregt, wo sie in ueppiger Entfaltung das Verlorene rasch und reichlich ersetzt hatten. Alle Welt fuehlte, dass, mochten auch tuechtige Feldherren noch aber und abermals das unmittelbare Verderben abwehren, das Gemeinwesen darum nur um so sicherer zu Grunde gehe unter dem Regiment der restaurierten Oligarchie; aber alle Welt fuehlte auch, dass die Zeit nicht mehr war, wo in solchen Faellen die Buergerschaft sich selber half, und dass nichts besser ward, solange des Gaius Gracchus Platz leer blieb. Wie tief die Menge die nach dem Verschwinden jener beiden hohen Juenglinge, welche der Revolution das Tor geoeffnet hatten, zurueckgebliebene Luecke empfand, freilich auch wie kindisch sie nach jedem Schatten des Ersatzes griff, beweist der falsche Sohn des Tiberius Gracchus, welcher, obwohl die eigene Schwester der beiden Gracchen ihn auf offenem Markte des Betruges zieh, dennoch einzig seines usurpierten Namens wegen vom Volke fuer 655 (99) zum Tribun gewaehlt ward. In demselben Sinne jubelte die Menge dem Gaius Marius entgegen; wie sollte sie nicht? Wenn irgendeiner, schien er der rechte Mann; war er doch der erste Feldherr und der populaerste Name seiner Zeit, anerkannt brav und rechtschaffen und selbst durch seine von dem Parteitreiben entfernte Stellung zum Regenerator des Staats, empfohlen - wie haette nicht das Volk, wie haette er selbst nicht sich dafuer halten sollen! Die oeffentliche Meinung war so entschieden wie moeglich oppositionell; es ist bezeichnend dafuer, dass die Besetzung der in den hoechsten geistlichen Kollegien erledigten Stellen durch die Buergerschaft anstatt durch die Kollegien selbst, die die Regierung noch im Jahre 609 (145) durch Anregung der religioesen Bedenken in den Komitien zu Fall gebracht hatte, im Jahre 650 (104) auf den Antrag des Gnaeus Domitius durchging, ohne dass der Senat es haette wagen koennen, sich auch nur ernstlich zu widersetzen. Durchaus schien es nur an einem Haupte zu fehlen, das der Opposition einen festen Mittelpunkt und ein praktisches Ziel gab; und dies war jetzt in Marius gefunden. Zur Durchfuehrung seiner Aufgabe bot sich ihm ein doppelter Weg: Marius konnte die Oligarchie zu stuerzen versuchen als Imperator an der Spitze der Armee oder auf dem fuer konstitutionelle Aenderungen verfassungsmaessig bezeichneten Weg; dorthin wies seine eigene Vergangenheit, hierin der Vorgang des Gracchus. Es ist sehr begreiflich, dass er den ersteren Weg nicht betrat, vielleicht nicht einmal die Moeglichkeit dachte, ihn zu betreten. Der Senat war oder schien so machtund ratlos, so verhasst und verachtet, dass Marius gegen ihn kaum einer anderen Stuetze als seiner ungeheuren Popularitaet zu beduerfen, noetigenfalls aber trotz der Aufloesung des Heeres sie in den entlassenen und ihrer Belohnungen harrenden Soldaten zu finden meinte. Es ist wahrscheinlich, dass Marius, im Hinblick auf Gracchus’ leichten und scheinbar fast vollstaendigen Sieg und auf seine eigenen, denen des Gracchus weit ueberlegenen Hilfsmittel, den Umsturz einer vierhundertjaehrigen, mit dem nach komplizierter Hierarchie geordneten Staatskoerper und der mannigfaltigsten Gewohnheiten und Interessen innig verwachsenen Verfassung fuer weit leichter hielt, als er war. Aber selbst wer tiefer in die Schwierigkeiten des Unternehmens hineinsah, als es Marius wahrscheinlich tat, mochte erwaegen, dass das Heer, obwohl im Uebergang begriffen von der Buergerwehr zur Soeldnerschar, doch waehrend dieses Uebergangszustandes noch keineswegs zum blinden Werkzeug eines Staatsstreiches sich schickte und dass ein Versuch, die widerstrebenden Elemente durch militaerische Mittel zu beseitigen, die Widerstandsfaehigkeit der Gegner wahrscheinlich gesteigert haben wuerde. Die organisierte Waffengewalt in den Kampf zu verwickeln, musste auf den ersten Blick ueberfluessig, auf den zweiten bedenklich erscheinen: man war eben am Anfang der Krise und die Gegensaetze von ihrem letzten, kuerzesten und einfachsten Ausdruck noch weit entfernt. Marius entliess also der bestehenden Ordnung gemaess nach dem Triumph sein Heer und schlug den von Gaius Gracchus vorgezeichneten Weg ein, vermittels der Uebernahme der verfassungsmaessigen Staatsaemter die Oberhauptschaft im Staate an sich zu bringen. Er fand sich damit angewiesen auf die sogenannte Volkspartei und in deren damaligen Fuehrern um so mehr seine Bundesgenossen, als der siegreiche General die zur Gassenherrschaft erforderlichen Gaben und Erfahrungen durchaus nicht besass. So gelangte die demokratische Partei nach langer Nichtigkeit ploetzlich wieder zu politischer Bedeutung. Sie hatte in dem langen Interim von Gaius Gracchus bis auf Marius sich wesentlich verschlechtert. Wohl war das Missvergnuegen ueber das senatorische Regiment jetzt nicht geringer als damals; aber manche der Hoffnungen, die den Gracchen ihre treuesten Anhaenger zugefuehrt hatten, war inzwischen als Illusion erkannt worden und die Ahnung inzwischen manchem aufgegangen, dass diese Gracchische Agitation auf ein Ziel hinausliefe, wohin ein sehr grosser Teil der Missvergnuegten keineswegs zu folgen willig war; wie denn ueberhaupt in dem zwanzigjaehrigen Hetzen und Treiben gar viel verschliffen und vergriffen war von der frischen Begeisterung, dem felsenfesten Glauben, der sittlichen Reinheit des Strebens, die die Anfangsstadien der Revolutionen bezeichnen. Aber wenn die demokratische Partei nicht mehr war, was sie unter Gaius Gracchus gewesen, so standen die Fuehrer der Zwischenzeit jetzt ebenso tief unter ihrer Partei, als Gaius Gracchus hoch ueber derselben gestanden hatte. Es lag dies in der Natur der Sache. Bis wieder ein Mann auftraf, der es wagte, wie Gaius Gracchus nach der Staatsoberhauptschaft zu greifen, konnten die Fuehrer nur Lueckenbuesser sein: entweder politische Anfaenger, die ihre jugendliche Oppositionslust austobten und sodann, als sprudelnde Feuerkoepfe und beliebte Sprecher legitimiert, mit mehr oder minder Geschicklichkeit ihren Rueckzug in das Lager der Regierungspartei bewerkstelligten; oder auch Leute, die an Vermoegen und Einfluss nichts zu verlieren, an Ehre gewoehnlich nicht einmal etwas zu gewinnen hatten, und die aus persoenlicher Erbitterung oder auch aus blosser Lust am Laermschlagen sich ein Geschaeft daraus machten, die Regierung zu hindern und zu aergern. Der ersten Gattung gehoerten zum Beispiel an Gaius Memmius und der bekannte Redner Lucius Crassus, die ihre in den Reihen der Opposition gewonnenen oratorischen Lorbeern demnaechst als eifrige Regierungsmaenner verwerteten. Die namhaftesten Fuehrer der Popularpartei aber um diese Zeit waren Maenner der zweiten Gattung: sowohl Gaius Servilius Glaucia, von Cicero der roemische Hyperbolos genannt, ein gemeiner Gesell niedrigster Herkunft und unverschaemtester Strassenberedsamkeit, aber wirksam und selbst gefuerchtet wegen seiner drastischen Witze, als auch sein besserer und faehigerer Genosse Lucius Appuleius Saturninus, der selbst nach den Berichten seiner Feinde ein feuriger und eindringlicher Sprecher war und wenigstens nicht von gemein eigennuetzigen Motiven geleitet ward. Ihm war als Quaestor die in ueblicher Weise ihm zugefallene Getreideverwaltung durch Beschluss des Senats entzogen worden, weniger wohl wegen fehlerhafter Amtsfuehrung als um das eben damals populaere Amt lieber einem der Haeupter der Regierungspartei, dem Marcus Scaurus, als einem unbekannten, keiner der herrschenden Familien angehoerigen jungen Manne zuzuwenden. Diese Kraenkung hatte den aufstrebenden und lebhaften Mann in die Opposition gedraengt; und er vergalt als Volkstribun 651 (103) das Empfangene mit Zinsen. Ein aergerlicher Handel hatte damals den anderen gedraengt. Er hatte die von den Gesandten des Koenigs Mithradates in Rom bewirkten Bestechungen auf offenem Markt zur Sprache gebracht - diese den Senat aufs hoechste kompromittierenden Enthuellungen haetten fast dem kuehnen Tribun das Leben gekostet. Er hatte gegen den Besieger Numidiens Quintus Metellus, als derselbe sich fuer 652 (102) um die Zensur bewarb, einen Auflauf erregt und denselben auf dem Kapitol belagert gehalten, bis die Ritter ihn nicht ohne Blutvergiessen befreiten; des Zensors Metellus Vergeltung, die schimpfliche Ausstossung des Saturninus wie des Glaucia aus dem Senat bei Gelegenheit der Revision des Senatorenverzeichnisses, war nur gescheitert an der Schlaffheit des dem Metellus zugegebenen Kollegen. Er hauptsaechlich hatte jenes Ausnahmegericht gegen Caepio und dessen Genossen trotz des heftigsten Widerstrebens der Regierungspartei, er gegen dieselben die lebhaft bestrittene Wiederwahl des Marius zum Konsul fuer 652 (102) durchgesetzt. Saturninus war entschieden der energischste Feind des Senats und der taetigste und beredteste Fuehrer der Volkspartei seit Gaius Gracchus, freilich auch gewalttaetig und ruecksichtslos wie keiner vor ihm, immer bereit, in die Strasse hinabzusteigen und statt mit Worten den Gegner mit Knuetteln zu widerlegen. Solcher Art waren die beiden Fuehrer der sogenannten Popularpartei, die mit dem siegreichen Feldherrn jetzt gemeinschaftliche Sache machten. Es war natuerlich; die Interessen und die Zwecke gingen zusammen, und auch schon bei Marius’ frueheren Bewerbungen hatte wenigstens Saturninus aufs entschiedenste und erfolgreichste fuer ihn Partei genommen. Sie wurden sich dahin einig, dass fuer 654 (100) Marius um das sechste Konsulat, Saturninus um das zweite Tribunat, Glaucia um die Praetur sich bewerben sollten, um im Besitz dieser Aemter die beabsichtigte Staatsumwaelzung durchzufuehren. Der Senat liess die Ernennung des minder gefaehrlichen Glaucia geschehen, aber tat, was er konnte, um Marius’ und Saturninus’ Wahl zu hindern oder doch wenigstens jenem in Quintus Metellus einen entschlossenen Gegner als Kollegen im Konsulat an die Seite zu setzen. Von beiden Parteien wurden alle Hebel, erlaubte und unerlaubte, in Bewegung gesetzt; allein es gelang dem Senat nicht, die gefaehrliche Verschwoerung im Keim zu ersticken. Marius selbst verschmaehte es nicht, Stimmenbettel, es heisst sogar auch Stimmenkauf zu betreiben; ja als in den tribunizischen Wahlen neun Maenner von der Liste der Regierungspartei proklamiert waren und auch die zehnte Stelle bereits einem achtbaren Mann derselben Farbe, Quintus Nunnius, gesichert schien, ward dieser von einem wuesten Haufen, der vorzugsweise aus entlassenen Soldaten des Marius bestanden haben soll, angefallen und erschlagen. So gelangten die Verschworenen, freilich auf die gewaltsamste Weise, zum Ziel. Marius wurde gewaehlt als Konsul, Glaucia als Praetor, Saturninus als Volkstribun fuer 654 (109): nicht Quintus Metellus, sondern ein unbedeutender Mann, Lucius Valerius Flaccus, erhielt die zweite Konsulstelle; die verbuendeten Maenner konnten daran gehen, ihre weiter beabsichtigten Plaene ins Werk zu setzen und das 633 (121) unterbrochene Werk zu vollenden. Erinnern wir uns, welche Ziele Gaius Gracchus und mit welchen Mitteln er sie verfolgt hatte. Es galt, die Oligarchie nach innen wie nach aussen zu brechen, also teils die vom Senat voellig abhaengig gewordene Beamtengewalt in ihre urspruenglichen souveraenen Rechte wiedereinzusetzen und die Ratsversammlung aus der regierenden wieder in eine beratende Behoerde umzuwandeln, teils der aristokratischen Gliederung des Staats in die drei Klassen der herrschenden Buerger-, der italischen Bundesgenossenund der Untertanenschaft durch allmaehliche Ausgleichung dieser mit einem nichtoligarchischen Regiment unvertraeglichen Gegensaetze ein Ende zu machen. Diese Gedanken nahmen die drei verbuendeten Maenner wieder auf in den Kolonialgesetzen, die Saturninus als Volkstribun teils schon frueher (651 103) eingebracht hatte, teils jetzt (654 100) einbrachte ^1. Schon in jenem Jahre war zunaechst zu Gunsten der Marianischen Soldaten, der Buerger nicht bloss, sondern, wie es scheint, auch der italischen Bundesgenossen, die unterbrochene Verteilung des karthagischen Gebiets wieder aufgenommen und jedem dieser Veteranen ein Landlos von 100 Morgen oder etwa dem fuenffachen Mass eines gewoehnlichen italischen Bauernhofs in der Provinz Africa zugesichert worden. Jetzt ward fuer die roemisch-italische Emigration nicht bloss das bereits zur Verfuegung stehende Provinzialland in weitester Ausdehnung in Anspruch genommen, sondern auch mittels der rechtlichen Fiktion, dass den Roemern durch die Besiegung der Kimbrer das gesamte von diesen besetzte Gebiet von Rechts wegen erworben sei, alles Land der noch unabhaengigen Keltenstaemme jenseits der Alpen. Zur Leitung der Landanweisungen wie der zu diesem Behuf etwa noetig erscheinenden weiteren Massregeln ward Gaius Marius berufen; die unterschlagenen, aber von den schuldigen Aristokraten erstatteten oder noch zu erstattenden Tempelschaetze von Tolosa wurden zur Ausstattung der neuen Landempfaenger bestimmt. Dieses Gesetz nahm also nicht bloss die Eroberungsplaene jenseits der Alpen und die transalpinischen und ueberseeischen Kolonisationsentwuerfe, wie Gaius Gracchus und Flaccus sie entworfen hatten, im ausgedehntesten Umfang wieder auf, sondern indem es die Italiker neben den Roemern zur Emigration zuliess und doch ohne Zweifel die saemtlichen neuen Gemeinden als Buergerkolonien einzurichten vorschrieb, machte es einen Anfang, die so schwer durchzubringenden und doch unmoeglich auf die Laenge abzuweisenden Ansprueche der Italiker auf Gleichstellung mit den Roemern zu befriedigen. Zunaechst aber wurde, wenn das Gesetz durchging und Marius zur selbstaendigen Ausfuehrung dieser ungeheuren Eroberungsund Aufteilungsplaene berufen ward, tatsaechlich derselbe bis zur Realisierung jener Plaene oder vielmehr, bei der Unbestimmtheit und Schrankenlosigkeit derselben, auf zeit seines Lebens Monarch von Rom; wozu denn vermutlich, wie Gracchus das Tribunat, so Marius das Konsulat alljaehrlich sich erneuern zu lassen gedachte. ueberhaupt ist bei der sonstigen Uebereinstimmung der fuer den juengeren Gracchus und fuer Marius entworfenen politischen Stellungen in allen wesentlichen Stuecken oder zwischen dem landanweisenden Tribun und dem landanweisenden Konsul darin ein sehr wesentlicher Unterschied, dass jener eine rein buergerliche, dieser daneben eine militaerische Stellung einnehmen sollte: ein Unterschied, der zwar mit, aber doch keineswegs allein aus den persoenlichen Verhaeltnissen hervorging, unter denen die beiden Maenner an die Spitze des Staates getreten waren. ----------------------------------------------- ^1 Es ist nicht moeglich, genau zu unterscheiden, was dem ersten und was dem zweiten Tribunat des Saturninus angehoert; um so weniger, als derselbe in beiden offenbar dieselben Gracchischen Tendenzen verfolgte. Das afrikanische Ackergesetz setzt die Schrift ’De viris illustribus’ (73, 1) mit Bestimmtheit in 651 (103): und es pafft dies auch zu der erst kurz vorher erfolgten Beendigung des Jugurthinischen Krieges. Das zweite Ackergesetz gehoert unzweifelhaft in das Jahr 654 (100). Das Majestaetsund das Getreidegesetz sind nur vermutungsweise jenes in 651 (103), dieses in 654 (100) gesetzt worden. ---------------------------------------------- Wenn also das Ziel beschaffen war, das Marius und seine Genossen sich vorgesteckt hatten, so fragte es sich weiter um die Mittel, durch welche man den voraussichtlich hartnaeckigen Widerstand der Regierungspartei zu brechen gedachte. Gaius Gracchus hatte seine Schlachten geschlagen mit dem Kapitalistenstand und dem Proletariat. Seine Nachfolger versaeumten zwar nicht, auch diesen entgegenzukommen. Den Rittern liess man nicht bloss die Gerichte, sondern ihre Geschworenengewalt wurde ansehnlich gesteigert teils durch eine verschaerfte Ordnung fuer die den Kaufleuten vor allem wichtige stehende Kommission wegen Erpressungen seitens der Staatsbeamten in den Provinzen, welche Glaucia, wahrscheinlich in diesem Jahr, durchbrachte, teils durch das wohl schon 651 (103) auf Saturninus’ Antrag niedergesetzte Spezialgericht ueber die waehrend der kimbrischen Bewegung in Gallien vorgekommenen Unterschlagungen und sonstigen Amtsvergehen. Zum Frommen des hauptstaedtischen Proletariats ferner ward der bisher bei den Getreideverteilungen fuer den roemischen Scheffel zu entrichtende Schleuderpreis von 6 1/3 As herabgesetzt auf eine blosse Rekognitionsgebuehr von 5/6 As. Indes obwohl man das Buendnis mit den Rittern und dem hauptstaedtischen Proletariat nicht verschmaehte, so ruhte doch die eigentlich zwingende Macht der Verbuendeten wesentlich nicht darauf, sondern auf den entlassenen Soldaten der Marianischen Armee, welche ebendeshalb in den Kolonialgesetzen selbst in so ausschweifender Weise bedacht worden waren. Auch hierin tritt der vorwiegend militaerische Charakter hervor, der hauptsaechlich diesen Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet. Man ging also ans Werk. Das Getreideund das Kolonialgesetz stiessen bei der Regierung, wie begreiflich, auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat mit schlagenden Zahlen, dass jenes die oeffentlichen Kassen bankrott machen muesse; Saturninus kuemmerte sich nicht darum. Man erwirkte gegen beide Gesetze tribunizische Interzession; Saturninus liess weiterstimmen. Man zeigte den die Abstimmung leitenden Beamten an, dass ein Donnerschlag vernommen worden sei, durch welches Zeichen nach altem Glauben die Goetter befahlen, die Volksversammlung zu entlassen; Saturninus bemerkte den Abgesandten, der Senat werde wohl tun, sich ruhig zu verhalten, sonst koenne gar leicht nach dem Donner der Hagel folgen. Endlich trieb der staedtische Quaestor Quintus Caepio, vermutlich der Sohn des drei Jahre zuvor verurteilten Feldherrn 2 und gleich seinem Vater ein heftiger Gegner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt auseinander. Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach Rom gestroemt waren, sprengten, rasch zusammengerafft, wieder die staedtischen Haufen, und so gelang es, auf dem wiedereroberten Stimmfeld die Abstimmung ueber die Appuleischen Gesetze zu Ende zu fuehren. Der Skandal war arg; als es indes zur Frage kam, ob der Senat der Klausel des Gesetzes genuegen werde, dass binnen fuenf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rat bei Verlust seiner Ratsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen Eid die saemtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Metellus, der es vorzog, die Heimat zu verlassen. Nicht ungern sahen Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tuechtigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus dem Staate scheiden. ---------------------------------------- 2 Dahin fuehren alle Spuren. Der aeltere Quintus Caepio war 648 (106) Konsul, der juengere 651 (103) oder 654 (100) Quaestor, also jener um oder vor 605 (149), dieser um 624 (130) oder 627 (117) geboren; dass jener starb, ohne Soehne zu hinterlassen (Strab. 4, 188), widerspricht nicht, denn der juengere Caepio fiel 664 (90) und der aeltere, der im Exil zu Smyrna sein Leben beschloss, kann gar wohl ihn ueberlebt haben. ----------------------------------------- Man schien am Ziel; dem schaerfer Sehenden musste schon jetzt das Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der ungeschickten Allianz eines politisch unfaehigen Feldherrn und eines faehigen, aber ruecksichtslos heftigen, und mehr von Leidenschaft als von staatsmaennischen Zwecken erfuellten Demagogen von der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, solange es sich nur noch um Plaene handelte; als es dann aber zur Ausfuehrung kam, zeigte es sich sehr bald, dass der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine Inkapazitaet; dass sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adligen an Titeln erreichen und womoeglich ueberbieten moechte, nicht aber der des Staatsmannes, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fuehlt; dass jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persoenlichkeit gebaut war, auch unter den sonst guenstigsten Verhaeltnissen notwendig an ihm selber scheitern musste. Er wusste weder seine Gegner zu gewinnen noch seine Partei zu baendigen. Die Opposition gegen ihn und seine Genossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloss die Regierungspartei in Masse gehoerte dazu, sondern auch der grosse Teil der Buergerschaft, der mit eifersuechtigen Blicken den Italikern gegenueber ueber seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die Dinge nahmen, wurde noch die gesamte begueterte Klasse zu der Regierung hinuebergedraengt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren und Diener des Proletariats und darum keineswegs auf gutem Fusse mit der Geldaristokratie, die zwar nichts dagegen hatte, mittels des Poebels dem Senat einmal Schach zu bieten, aber Strassenauflaeufe und arge Gewalttaetigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus’ erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumgeschlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun fuer 654 (100) stiess, zeigt deutlich, wie klein die ihm guenstige Partei war. Es waere Marius’ Aufgabe gewesen, der bedenklichen Hilfe dieser Genossen sich nur mit Massen zu bedienen und maenniglich zu ueberzeugen, dass sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegenteil davon tat und die Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum, einen intelligenten und kraeftigen Herrn, sondern die reine Kanaille ans Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenueber die Maenner der materiellen Interessen, zum Tode erschrocken ueber das wueste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Waehrend Gaius Gracchus, wohl erkennend, dass mit dem Proletariat allein keine Regierung gestuerzt werden kann, vor allen Dingen bemueht gewesen war, die besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an, die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versoehnen. Aber noch rascher als die Versoehnung der Feinde fuehrte den Ruin des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche unter dessen Urhebern Marius’ mehr als zweideutiges Auftreten notwendigerweise hervorrief. Waehrend die entscheidenden Antraege von seinen Genossen gestellt, von seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollstaendig leidend, gleich als ob der politische Fuehrer nicht ebenso wie der militaerische, wenn es zum Hauptangriff geht, ueberall und vor allen einstehen muesste mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor den Geistern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reissaus. Als seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen liess, versuchte er in der ueblichen Weise politisch-moralischer Konfusionaere sich von der Teilnahme an jenen Verbrechen reinzuwaschen und zugleich das Ergebnis derselben sich zunutze zu machen. Es gibt ein Geschichtchen, dass der General einst in zwei verschiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem Saturninus und den Seinen, in dem anderen mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlungen gepflogen habe, dort ueber das Losschlagen gegen dem Senat, hier ueber das Einschreiten gegen die Revolte, und dass er unter einem Vorwand, wie er der Peinlichkeit der Situation entsprach, zwischen beiden Konferenzen ab und zu gegangen sei - ein Geschichtchen, so sicherlich erfunden und so sicher treffend wie nur irgendein Einfall des Aristophanes. Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs Miene machte, den durch die Appuleischen Gesetze geforderten Eid der bei ihrer Durchbringung vorgekommenen Formfehler halber selbst zu verweigern und dann denselben unter den Vorbehalt schwor, wofern die Gesetze wirklich rechtsbestaendig seien; ein Vorbehalt, der den Eid selber aufhob, und den natuerlich saemtliche Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so dass durch diese Weise der Beeidigung die Gueltigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern vielmehr erst recht in Frage gestellt ward. Die Folgen dieses unvergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn entwickelten sich rasch. Saturninus und Glaucia hatten nicht deswegen die Revolution unternommen und dem Marius die Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm verleugnen und aufopfern zu lassen; wenn Glaucia, der spasshafte Volksmann, bisher den Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen Beredsamkeit ueberschuettet hatte, so dufteten die Kraenze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollstaendigen Bruch, womit beide Teile verloren waren; denn weder stand Marius fest genug, um allein das von ihm selbst in Frage gestellte Kolonialgesetz zu halten und der ihm darin bestimmten Stellung sich zu bemaechtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage, das fuer Marius begonnene Geschaeft auf eigene Rechnung fortzufuehren. Indes die beiden Demagogen waren so kompromittiert, dass sie nicht zurueckkonnten und nur die Wahl hatten, ihre Aemter in gewoehnlicher Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Haenden zu ueberliefern oder nun selber nach dem Szepter zu greifen, dessen Gewicht sie freilich fuehlten nicht tragen zu koennen. Sie entschlossen sich zu dem letzteren; Saturninus wollte fuer 655 (99) abermals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, obwohl Praetor und erst nach zwei Jahren wahlfaehig zum Konsulat, um dieses sich bewerben. In der Tat wurden die tribunizischen Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius’ Versuch, den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern, diente nur dazu, dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularitaet jetzt noch wert war; die Menge sprengte die Tuer des Gefaengnisses, in dem Gracchus eingesperrt sass, trug ihn im Triumph durch die Strassen und waehlte ihn mit grosser Majoritaet zu ihrem Tribun. Die wichtigere Konsulnwahl suchten Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahr erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Konkurrenzen in die Hand zu bekommen; der Gegenkandidat der Regierungspartei, Gaius Memmius, derselbe, der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition gefuehrt hatte, wurde von einem Haufen Gesindel ueberfallen und mit Knuetteln erschlagen. Aber die Regierungspartei hatte nur auf ein eklatantes Ereignis der Art gewartet, um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Konsul Gaius Marius auf, einzuschreiten, und dieser gab in der Tat sich dazu her, das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und fuer sie zu fuehren versprochen hatte, nun fuer die konservative Partei zu ziehen. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den oeffentlichen Gebaeuden ausgeruestet und militaerisch geordnet; der Senat selbst erschien bewaffnet auf dem Markt, an der Spitze sein greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegenpartei war wohl im Strassenlaerm ueberlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; sie musste nun sich wehren, wie es ging. Man erbrach die Tore der Gefaengnisse und rief die Sklaven zur Freiheit und unter die Waffen; man rief - so heisst es wenigstens - den Saturninus zum Koenig oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen Volkstribune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dezember 654 (100), kam es auf dem Grossen Markte zur Schlacht, der ersten, die, seit Rom stand, innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert worden ist. Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularen wurden geschlagen und hinaufgedraengt auf das Kapitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch noetigte, sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl fuehrte, haette gern seinen ehemaligen Verbuendeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, dass alles, was er beantragt, im Einverstaendnis mit dem Konsul geschehen sei; selbst einem schlechteren Mann, als Marius war, musste grauen vor der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indes er war laengst nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Jugend das Dach des Rathauses am Markt, in das man vorlaeufig die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und steinigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit den meisten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Versteck gefunden und gleichfalls getoetet. Ohne Urteil und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des roemischen Volkes. ein Praetor, ein Quaestor, zwei Volkstribune und eine Anzahl anderer bekannter und zum Teil guten Familien angehoeriger Maenner. Trotz der schweren und blutigen Verschuldungen, die die Haeupter auf sich geladen hatten, durfte man dennoch sie bedauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer im Stich laesst und sie noetigt, im verzweifelten Kampf zwecklos unterzugehen. Nie hatte die Regierungspartei einen vollstaendigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine haertere Niederlage erlitten als an diesem 10. Dezember. Es war das wenigste, dass man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer fiel ins Gewicht, dass der einzige Mann, der damals imstande war, der Regierung gefaehrlich zu werden, sich selber oeffentlich und vollstaendig vernichtet hatte; am schwersten, dass die beiden oppositionellen Elemente, der Kapitalistenstand und das Proletariat, gaenzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgingen. Zwar das Werk der Regierung war dies nicht; teils die Macht der Verhaeltnisse, teils und vor allem die grobe Bauernfaust seines unfaehigen Nachtreters hatten wieder aufgeloest, was unter Gaius Gracchus’ gewandter Hand sich zusammenfuegte; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung oder Glueck der Regierung zum Siege verhalf. Eine klaeglichere Stellung ist kaum zu erdenken, als wie sie der Held von Aquae und Vercellae nach jener Katastrophe einnahm - nur um so klaeglicher, weil man nicht anders konnte, als sie mit dem Glanze vergleichen, der nur wenige Monate zuvor denselben Mann umgab. Weder auf aristokratischer noch auf demokratischer Seite gedachte weiter jemand des siegreichen Feldherrn bei der Besetzung der Aemter; der Mann der sechs Konsulate konnte nicht einmal wagen, sich 656 (98) um die Zensur zu bewerben. Er ging fort in den Osten, wie er sagte, um ein Geluebde dort zu loesen, in der Tat, um nicht von der triumphierenden Rueckkehr seines Todfeindes, des Quintus Metellus, Zeuge zu sein; man liess ihn gehen. Er kam wieder zurueck und oeffnete sein Haus; seine Saele standen leer. Immer hoffte er, dass es wieder Kaempfe und Schlachten geben und man seines erprobten Armes abermals beduerfen werde; er dachte sich im Osten, wo die Roemer allerdings Ursache genug gehabt haetten, energisch zu intervenieren, Gelegenheit zu einem Kriege zu machen. Aber auch dies schlug ihm fehl wie jeder andere seiner Wuensche; es blieb tiefer Friede. Und dabei frass der einmal in ihm aufgestachelte Hunger nach Ehren, je oefter er getaeuscht ward, immer tiefer sich ein in sein Gemuet; aberglaeubisch wie er war, naehrte er in seinem Busen ein altes Orakelwort, das ihm sieben Konsulate verheissen hatte, und sann in finsteren Gedanken, wie es geschehen moege, dass dies Wort seine Erfuellung und er seine Rache bekomme, waehrend er allen, nur sich selbst nicht, unbedeutend und unschaedlich erschien. Folgenreicher noch als die Beseitigung des gefaehrlichen Mannes war die tiefe Erbitterung gegen die sogenannten Popularen, welche die Schilderhebung des Saturninus in der Partei der materiellen Interessen zurueckliess. Mit der ruecksichtslosesten Haerte verurteilten die Rittergerichte jeden, der zu den oppositionellen Ansichten sich bekannte; so ward Sextus Titius mehr noch als wegen seines Ackergesetzes deswegen verdammt, weil er des Saturninus Bild im Hause gehabt hatte; so Gaius Appuleius Decianus, weil er als Volkstribun das Verfahren gegen Saturninus als ein ungesetzliches bezeichnet hatte. Sogar fuer aeltere, von den Popularen der Aristokratien zugefuegte Unbill wurde nun nicht ohne Aussicht auf Erfolg vor den Rittergerichten Genugtuung gefordert. Weil Gaius Norbanus acht Jahre zuvor in Gemeinschaft mit Saturninus den Konsular Quintus Caepio ins Elend getrieben hatte, wurde er jetzt (659 95) auf Grund seines eigenen Gesetzes des Hochverrats angeklagt, und lange schwankten die Geschworenen - nicht, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig, sondern ob sein Bundesgenosse oder sein Feind, Saturninus oder Caepio ihnen hassenswerter erscheine, bis sie denn doch zuletzt fuer Freisprechung sich entschieden. War man auch der Regierung an sich nicht geneigter als frueher, so erschien doch nun, seit man sich, wenn auch nur einen Augenblick, am Rande der eigentlichen Poebelherrschaft befunden hatte, jedem, der etwas zu verlieren hatte, das bestehende Regiment in einem anderen Licht es war notorisch elend und staatsverderberisch, aber die kuemmerliche Furcht vor dem noch elenderen und noch staatsverderblicheren Regiment der Proletarier hatte ihm einen relativen Wert verliehen. So ging jetzt die Stroemung, dass die Menge einen Volkstribun zerriss, der es gewagt hatte, die Rueckkehr des Quintus Metellus zu verzoegern, und dass die Demokraten anfingen, ihr Heil zu suchen in dem Buendnis mit Moerdern und Giftmischern, wie sie zum Beispiel des verhassten Metellus durch Gift sich entledigten, oder gar in dem Buendnis mit dem Landesfeind, wie denn einzelne von ihnen schon fluechteten an den Hof des Koenigs Mithradates, der im stillen zum Krieg ruestete gegen Rom. Auch die aeusseren Verhaeltnisse gestalteten fuer die Regierung sich guenstig. Die roemischen Waffen waren in der Zeit vom Kimbrischen bis auf den Bundesgenossenkrieg nur wenig, ueberall aber mit Ehren taetig. Ernstlich gestritten wurde nur in Spanien, wo waehrend der letzten fuer Rom so schweren Jahre die Lusitaner (649f. 105) und die Keltiberer sich reit ungewohnter Heftigkeit gegen die Roemer aufgelehnt hatten; hier stellten in dem Jahre 656- 661 (98-93) der Konsul Titus Didius in der noerdlichen und der Konsul Publius Crassus in der suedlichen Provinz mit Tapferkeit und Glueck nicht bloss das Obergewicht der roemischen Waffen wieder her, sondern schleiften auch die wiederspenstigen Staedte und versetzten, wo es noetig schien, die Bevoelkerung der festen Bergstaedte in die Ebenen. Dass um dieselbe Zeit die roemische Regierung auch wieder des ein Menschenalter hindurch vernachlaessigten Ostens gedachte und energischer, als seit langem erhoert war, in Kyrene, Syrien, Kleinasien auftrat, wird spaeter darzustellen sein. Noch niemals seit dem Beginn der Revolution war das Regiment der Restauration so fest begruendet, so populaer gewesen. Konsularische Gesetze loesten die tribunizischen, Freiheitsbeschraenkungen die Fortschrittsmassregeln ab. Die Kassierung der Gesetze des Saturninus verstand sich von selbst; die ueberseeischen Kolonien des Marius schwanden zusammen zu einer einzigen winzigen Ansiedelung auf der wuesten Insel Korsika. Als der Volkstribun Sextus Titius, ein karikierter Alkibiades, der im Tanz und Ballspiel staerker war als in der Politik und dessen hervorragendstes Talent darin bestand, nachts auf den Strassen die Goetterbilder zu zerschlagen, das Appuleische Ackergesetz im Jahre 655 (99) wieder einund durchbrachte, konnte der Senat das neue Gesetz unter einem religioesen Vorwand kassieren, ohne dass jemand dafuer einzustehen auch nur versucht haette; den Urheber straften, wie schon erwaehnt ward, die Ritter in ihren Gerichten. Das Jahr darauf (656 98) machte ein von den beiden Konsuln eingebrachtes Gesetz die uebliche vierundzwanzigtaegige Frist zwischen Einund Durchbringung eines Gesetzvorschlags obligatorisch und verbot, mehrere verschiedenartige Bestimmungen in einen Antrag zusammenzufassen; wodurch die unvernuenftige Ausdehnung der legislatorischen Initiative wenigstens etwas beschraenkt und offenbare Ueberrumpelungen der Regierung durch neue Gesetze abgewehrt wurden. Immer deutlicher zeigte es sich, dass die Gracchische Verfassung, die den Sturz ihres Urhebers ueberdauert hatte, jetzt, seit die Menge und die Geldaristokratie nicht mehr zusammengingen, in ihren Grundfesten schwankte. Wie diese Verfassung geruht hatte auf der Spaltung der Aristokratie, so schien die Zwiespaeltigkeit der Opposition sie zu Falle bringen zu muessen. Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, um das unvollkommene Restaurationswerk von 633 (121) zu vollenden, um dem Tyrannen endlich auch seine Verfassung nachzusenden und die regierende Oligarchie in den Alleinbesitz der politischen Gewalt wiedereinzusetzen. Es kam alles an auf die Wiedergewinnung der Geschworenenstellen. Die Verwaltung der Provinzen, die hauptsaechliche Grundlage des senatorischen Regiments, war von den Geschworenengerichten, namentlich von der Kommission wegen Erpressungen, in dem Masse abhaengig geworden, dass der Statthalter die Provinz nicht mehr fuer den Senat, sondern fuer den Kapitalistenund Kaufmannsstand zu verwalten schien. Wie bereitwillig immer die Geldaristokratie der Regierung entgegenkam, wenn es um Massregeln gegen die Demokraten sich handelte, so unnachsichtlich ahndete sie jeden Versuch, sie in diesem ihrem wohlerworbenen Recht freiesten Schaltens in den Provinzen zu beschraenken. Einzelne derartige Versuche wurden jetzt gemacht; die regierende Aristokratie fing wieder an, sich zu fuehlen und eben ihre besten Maenner hielten sich verpflichtet, der entsetzlichen Misswirtschaft in den Provinzen wenigstens fuer ihre Person entgegenzutreten. Am entschlossensten tat dies Quintus Mucius Scaevola, gleich seinem Vater Publius Oberpontifex und im Jahre 659 (95) Konsul, der erste Jurist und einer der vorzueglichsten Maenner seiner Zeit. Als praetorischer Statthalter (um 656 98) von Asia, der reichsten und gemisshandeltsten unter allen Provinzen, statuierte er in Gemeinschaft mit seinem aelteren, als Offizier, Jurist und Geschichtschreiber ausgezeichneten Freunde, dem Konsular Publius Rutilius Rufus, ein ernstes und abschreckendes Exempel. Ohne einen Unterschied zwischen Italikern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen, nahm er jede Klage an und zwang nicht bloss die roemischen Kaufleute und Staatspaechter wegen erwiesener Schaedigungen, vollen Geldersatz zu leisten, sondern, als einige ihrer angesehensten und ruecksichtslosesten Agenten todeswuerdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, liess er diese, taub gegen alle Bestechungsantraege, ans Kreuz schlagen wie Rechtens. Der Senat billigte sein Verfahren und setzte sogar seitdem den Statthaltern von Asia es in die Instruktion, dass sie sich die Verwaltungsgrundsaetze Scaevolas zum Muster nehmen moechten; allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadligen und vielvermoegenden Staatsmann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefaehrten vor Gericht, zuletzt (um 662 92) sogar den angesehensten derselben, seinen Legaten Publius Rufus, der nur durch Verdienste und anerkannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang verteidigt war. Die Anklage, dass dieser Mann sich in Asia habe Erpressungen zuschulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen Laecherlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklaegers, eines gewissen Apicius; allein man liess dennoch die willkommene Gelegenheit, den Konsular zu demuetigen, nicht voruebergehen, und da dieser, die falsche Beredsamkeit, die Trauergewaender, die Traenen verschmaehend, sich kurz, einfach und sachlich verteidigte und den souveraenen Kapitalisten die begehrte Huldigung stolz verweigerte, ward er in der Tat verurteilt und sein maessiges Vermoegen zur Befriedigung erdichteter Entschaedigungsansprueche eingezogen. Der Verurteilte begab sich in die angeblich von ihm ausgepluenderte Provinz und verlebte daselbst, von saemtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und zeit seines Lebens gefeiert und beliebt, in literarischer Musse die ihm noch uebrigen Tage. Und diese schmachvolle Verurteilung war wohl der aergste, aber keineswegs der einzige Fall der Art. Mehr vielleicht noch als solcher Missbrauch der Justiz gegen Maenner fleckenlosen Wandels, aber neuen Adels erbitterte es die senatorische Partei, dass der reinste Adel nicht mehr genuegte, die etwaigen Flecken der Ehrlichkeit zuzudecken. Kaum war Rufus aus dem Lande, als der angesehenste aller Aristokraten, seit zwanzig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjaehrige Marcus Scaurus, wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; nach aristokratischen Begriffen ein Sacrilegium, selbst wenn er schuldig war. Das Anklaegeramt fing an von schlechten Gesellen gewerbsmaessig betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter schuetzte mehr vor den frevelhaftesten und gefaehrlichsten Angriffen. Die Erpressungskommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre schlimmste Geissel; der offenkundige Dieb ging frei aus, wenn er nur seine Mitthebe gewaehren liess und sich nicht weigerte, einen Teil der erpressten Summen den Geschworenen zufliessen zu lassen; aber jeder Versuch, den billigen Forderungen der Provinzialen auf Recht und Gerechtigkeit zu entsprechen, reichte hin zur Verurteilung. Die roemische Regierung schien in dieselbe Abhaengigkeit von dem kontrollierenden Gericht versetzt werden zu sollen, in der einst das Richterkollegium in Karthago den dortigen Rat gehalten hatte. In furchtbarer Weise erfuellte sich Gaius Gracchus’ ahnungsvolles Wort, dass mit dem Dolche seines Geschworenengesetzes die vornehme Welt sich selber zerfleischen werde. Ein Sturm auf die Rittergerichte war unvermeidlich. Wer in der Regierungspartei noch Sinn dafuer hatte, dass das Regieren nicht bloss Rechte, sondern auch Pflichten in sich schliesst, ja wer nur noch edleren und stolzeren Ehrgeiz in sich empfand, musste sich auflehnen gegen diese erdrueckende und entehrende politische Kontrolle, die jede Moeglichkeit, rechtschaffen zu verwalten, von vornherein abschnitt. Die skandaloese Verurteilung des Rutilius Rufus schien eine Aufforderung, den Angriff sofort zu beginnen, und Marcus Livius Drusus, der im Jahre 663 (91) Volkstribun war, betrachtete dieselbe als besonders an sich gerichtet. Der Sohn des gleichnamigen Mannes, der dreissig Jahre zuvor zunaechst den Gaius Gracchus gestuerzt und spaeter auch als Offizier durch die Unterwerfung der Skordisker sich einen Namen gemacht hatte, war Drusus, gleich seinem Vater, streng konservativ gesinnt und hatte diese seine Gesinnung bereits in dem Aufstand des Saturninus tatsaechlich bewaehrt. Er gehoerte den Kreisen des hoechsten Adels an und war Besitzer eines kolossalen Vermoegens; auch der Gesinnung nach war er ein echter Aristokrat - ein energisch stolzer Mann, der es verschmaehte, mit den Ehrenzeichen seiner Aemter sich zu behaengen, aber auf dem Totenbette es aussprach, dass nicht bald ein Buerger wiederkommen werde, der ihm gleich sei; ein Mann, dem das schoene Wort, dass der Adel verpflichtet, die Richtschnur seines Lebens ward und blieb. Mit der ganzen ernsten Leidenschaft seines Gemuetes hatte er sich abgewandt von der Eitelkeit und Feilheit des vornehmen Poebels; zuverlaessig und sittenstreng war er bei den geringen Leuten, denen seine Tuer und sein Beutel immer offenstanden, mehr geachtet als eigentlich beliebt und trotz seiner Jugend durch die persoenliche Wuerde seines Charakters von Gewicht im Senat wie auf dem Markte. Auch stand er nicht allein. Marcus Scaurus hatte den Mut, bei Gelegenheit seiner Verteidigung in dem Prozess wegen Erpressungen den Drusus oeffentlich aufzufordern, Hand zu legen an die Reform der Geschworenenordnung; er sowie der beruehmte Redner Lucius Crassus waren im Senat die eifrigsten Verfechter, vielleicht die Miturheber seiner Antraege. Indes die Masse der regierenden Aristokratie dachte keineswegs wie Drusus, Scaurus und Crassus. Es fehlte im Senat nicht an entschiedenen Anhaengern der Kapitalistenpartei, unter denen namentlich sich bemerkbar machten der derzeitige Konsul Lucius Marcius Philippus, der wie frueher die Sache der Demokratie, so jetzt die des Ritterstandes mit Eifer und Klugheit verfocht, und der verwegene und ruecksichtslose Quintus Caepio, den zunaechst die persoenliche Feindschaft gegen Drusus und Scaurus zu dieser Opposition bestimmte. Allein gefaehrlicher als diese entschiedenen Gegner war die feige und faule Masse der Aristokratie, die zwar die Provinzen lieber allein gepluendert haette, aber am Ende auch nicht viel dawider hatte, mit den Rittern die Beute zu teilen, und, statt den Ernst und die Gefahren des Kampfes gegen die uebermuetigen Kapitalisten zu uebernehmen, es viel billiger und bequemer fand, sich von ihnen durch gute Worte und gelegentlich durch einen Fussfall oder auch eine runde Summe Straflosigkeit zu erkaufen. Nur der Erfolg konnte zeigen, wieweit es gelingen werde, diese Masse mit fortzureissen, ohne die es nun einmal nicht moeglich war, zum Ziele zu gelangen. Drusus entwarf den Antrag, die Geschworenenstellen den Buergern vom Ritterzensus zu entziehen und sie dem Senat zurueckzugeben, welcher zugleich durch Aufnahme von 300 neuen Mitgliedern in den Stand gesetzt werden sollte, den vermehrten Obliegenheiten zu genuegen; zur Aburteilung derjenigen Geschworenen, die der Bestechlichkeit sich schuldig gemacht haetten oder schuldig machen wuerden, sollte eine eigene Kriminalkommission niedergesetzt werden. Hiermit war der naechste Zweck erreicht, die Kapitalisten ihrer politischen Sonderrechte zu berauben und sie fuer die veruebte Unbill zur Verantwortung zu ziehen. Indes Drusus’ Antraege und Absichten beschraenkten sich hierauf keineswegs; seine Vorschlaege waren keine Gelegenheitsmassregeln, sondern ein umfassender und durchdachter Reformplan. Er beantragte ferner, die Getreideverteilung zu erhoehen und die Mehrkosten zu decken durch die dauernde Emission einer verhaeltnismaessigen Zahl von kupfernen plattierten neben den silbernen Denaren, sodann das gesamte noch unverteilte italische Ackerland, also namentlich die Kampanische Domaene, und den besten Teil Siziliens zur Ansiedlung von Buergerkolonisten zu bestimmen; endlich ging er gegen die italischen Bundesgenossen die bestimmtesten Verpflichtungen ein, ihnen das roemische Buergerrecht zu verschaffen. So erschienen denn hier von aristokratischer Seite ebendieselben Herrschaftsstuetzen und ebendieselben Reformgedanken, auf denen Gaius Gracchus’ Verfassung beruht hatte - ein seltsames und doch sehr begreifliches Zusammentreffen. Es war nur in der Ordnung, dass, wie die Tyrannis gegen die Oligarchie, so diese gegen die Geldaristokratie sich stuetzte auf das besoldete und gewissermassen organisierte Proletariat; hatte die Regierung frueher die Ernaehrung des Proletariats auf Staatskosten als ein unvermeidliches Uebel hingenommen, so dachte Drusus jetzt dasselbe, wenigstens fuer den Augenblick, gegen die Geldaristokratie zu gebrauchen. Es war nur in der Ordnung, dass der bessere Teil der Aristokratie, ebenwie ehemals auf das Ackergesetz des Tiberius Gracchus, so jetzt bereitwillig einging auf alle diejenigen Reformmassregeln, die, ohne die Oberhauptsfrage zu beruehren, nur darauf abzweckten, die alten Schaeden des Staats auszuheilen. In der Emigrationsund Kolonisationsfrage konnte man zwar so weit nicht gehen wie die Demokratie, da die Herrschaft der Oligarchie wesentlich beruhte auf dem freien Schalten ueber die Provinzen und durch jedes dauernde militaerische Kommando gefaehrdet ward; die Gedanken, Italien und die Provinzen gleichzustellen und jenseits der Alpen zu erobern, vertrugen mit den konservativen Prinzipien sich nicht. Allein die launischen und selbst die kampanischen Domaenen so wie Sizilien konnte der Senat recht wohl aufopfern, um den italischen Bauernstand zu heben und dennoch die Regierung nach wie vor behaupten; wobei noch hinzukam, dass man kuenftigen Agitationen nicht wirksamer vorbeugen konnte als dadurch, dass alles irgend verfuegbare Land von der Aristokratie selbst zur Aufteilung gebracht ward und fuer kuenftige Demagogen, nach Drusus’ eigenem Ausdruck, nichts zu verteilen uebrig blieb als der Gassenkot und das Morgenrot. Ebenso war es fuer die Regierung, mochte dies nun ein Monarch sein oder eine geschlossene Anzahl herrschender Familien, ziemlich einerlei, ob halb oder ganz Italien zum roemischen Buergerverband gehoerte; und daher mussten wohl beiderseits die reformierenden Maenner sich in dem Gedanken begegnen, durch zweckmaessige und rechtzeitige Erstreckung des Buergerrechts die Gefahr abzuwenden, dass die Insurrektion von Fregellae in groesserem Massstab wiederkehre, nebenher auch an den zahlund einflussreichen Italikern sich Bundesgenossen fuer ihre Plaene suchen. So scharf in der Oberhauptsfrage die Ansichten und Absichten der beiden grossen politischen Parteien sich schieden, so vielfach beruehrten sich in den Operationsmitteln und in den reformistischen Tendenzen die besten Maenner aus beiden Lagern; und wie Scipio Aemilianus ebenso unter den Widersachern des Tiberius Gracchus wie unter den Foerderern seiner Reformbestrebungen genannt werden kann, so war auch Drusus der Nachfolger und Schueler nicht minder als der Gegner des Gaius. Die beiden hochgeborenen und hochsinnigen jugendlichen Reformatoren waren sich aehnlicher, als es auf den ersten Blick schien und auch persoenlich beide nicht unwert, ueber dem trueben Nebel des befangenen Parteitreibens in reineren und hoeheren Anschauungen sich mit dem Kern ihrer patriotischen Bestrebungen zu begegnen. Es handelte sich um die Durchbringung der von Drusus entworfenen Gesetze, von denen uebrigens der Antragsteller, ebenwie Gaius Gracchus, den bedenklichen Vorschlag, den italischen Bundesgenossen das roemische Buergerrecht zu verleihen, vorlaeufig zurueckhielt und zunaechst nur das Geschworenen-, Ackerund Getreidegesetz vorlegte. Die Kapitalistenpartei widerstand aufs heftigste und wuerde bei der Unentschlossenheit des groessten Teils der Aristokratie und der Haltlosigkeit der Komitien ohne Frage die Verwerfung des Geschworenengesetzes durchgesetzt haben, wenn es allein zur Abstimmung gekommen waere. Drusus fasste deshalb seine saemtlichen Antraege in einen einzigen zusammen; und indem also alle bei den Getreideund Landverteilungen interessierten Buerger genoetigt wurden, auch fuer das Geschworenengesetz zu stimmen, gelang es durch sie und durch die Italiker, welche mit Ausnahme der in ihrem Domanialbesitz bedrohten grossen Grundbesitzer, namentlich der umbrischen und etruskischen, fest zu Drusus standen, das Gesetz durchzubringen - freilich erst, nachdem Drusus den Konsul Philippus, der nicht aufhoerte zu widerstreben, hatte verhaften und durch den Buettel in den Kerker abfuehren lassen. Das Volk feierte den Tribun als seinen Wohltaeter und empfing ihn im Theater mit Aufstehen und Beifallklatschen; allein die Abstimmung hatte den Kampf nicht so sehr entschieden als auf einen anderen Boden verlegt, da die Gegenpartei den Antrag des Drusus mit Recht als dem Gesetz von 656 (98) zuwiderlaufend und deshalb als nichtig bezeichnete. Der Hauptgegner des Tribuns, der Konsul Philippus, forderte den Senat auf, aus diesem Grunde das Livische Gesetz als formwidrig zu kassieren; allein die Majoritaet des Senats, erfreut, die Rittergerichte los zu sein, wies den Antrag zurueck. Der Konsul erklaerte darauf auf offenem Markte, dass mit einem solchen Senat zu regieren nicht moeglich sei und er sich nach einem anderen Staatsrat umsehen werde; er schien einen Staatsstreich zu beabsichtigen. Der Senat, von Drusus deswegen berufen, sprach nach stuermischen Verhandlungen gegen den Konsul ein Tadelsund Misstrauensvotum aus; allein im geheimen begann sich in einem grossen Teil der Majoritaet die Angst vor der Revolution zu regen, mit der sowohl Philippus als ein grosser Teil der Kapitalisten zu drohen schien. Andere Umstaende kamen hinzu. Einer der taetigsten und angesehensten unter Drusus’ Gesinnungsgenossen, der Redner Lucius Crassus, starb ploetzlich wenige Tage nach jener Senatssitzung (September 663 91). Die von Drusus mit den Italikern angeknuepften Verbindungen, die er anfangs nur wenigen seiner Vertrautesten mitgeteilt hatte, wurden allmaehlich ruchbar, und in das wuetende Geschrei ueber Landesverrat, das die Gegner erhoben, stimmten viele, vielleicht die meisten Maenner der Regierungspartei mit ein; selbst die edelmuetige Warnung, die er dem Konsul Philippus zukommen liess, bei dem Bundesfest auf dem Albanerberg vor den von den Italikern ausgesandten Moerdern sich zu hueten, diente nur dazu, ihn weiter zu kompromittieren, indem sie zeigte, wie tief er in die unter den Italikern gaerenden Verschwoerungen verwickelt war. Immer heftiger draengte Philippus auf Kassation des Livischen Gesetzes; immer lauer ward die Majoritaet in der Verteidigung desselben. Bald erschien die Rueckkehr zu den frueheren Verhaeltnissen der grossen Menge der Furchtsamen und Unentschiedenen im Senat als der einzige Ausweg, und der Kassationsbeschluss wegen formeller Maengel erfolgte. Drusus, nach seiner Art streng sich bescheidend, begnuegte sich daran zu erinnern, dass der Senat also selbst die verhassten Rittergerichte wiederherstelle, und begab sich seines Rechtes, den Kassationsbeschluss durch Interzession ungueltig zu machen. Der Angriff des Senats auf die Kapitalistenpartei war vollstaendig abgeschlagen, und willig oder unwillig fuegte man sich abermals in das bisherige Joch. Aber die hohe Finanz begnuegte sich nicht gesiegt zu haben. Als Drusus eines Abends auf seinem Hausflur die wie gewoehnlich ihn begleitende Menge eben verabschieden wollte, stuerzte er ploetzlich vor dem Bilde seines Vaters zusammen; eine Moerderhand hatte ihn getroffen und so sicher, dass er wenige Stunden darauf den Geist aufgab. Der Taeter war in der Abenddaemmerung verschwunden, ohne dass jemand ihn erkannt hatte, und eine gerichtliche Untersuchung fand nicht statt; aber es brauchte derselben nicht, um hier jenen Dolch zu erkennen, mit dem die Aristokratie sich selber zerfleischte. Dasselbe gewaltsame und grauenvolle Ende, das die demokratischen Reformatoren weggerafft hatte, war auch dem Gracchus der Aristokratie bestimmt. Es lag darin eine tiefe und traurige Lehre. An dem Widerstand oder an der Schwaeche der Aristokratie scheiterte die Reform, selbst wenn der Versuch zu reformieren aus ihren eigenen Reihen hervorging. Seine Kraft und sein Leben hatte Drusus darangesetzt, die Kaufmannsherrschaft zu stuerzen, die Emigration zu organisieren, den drohenden Buergerkrieg abzuwenden; er sah noch selbst die Kaufleute unumschraenkter regieren als je, sah alle seine Reformgedanken vereitelt und starb mit dem Bewusstsein, dass seid jaeher Tod das Signal zu dem fuerchterlichsten Buergerkrieg sein werde, der je das schoene italische Land verheert hat. 7. Kapitel Die Empoerung der italischen Untertanen und die Sulpicische Revolution Seitdem mit Pyrrhos’ Ueberwindung der letzte Krieg, den die Italiker fuer ihre Unabhaengigkeit gefuehrt hatten, zu Ende gegangen war, das heisst seit fast zweihundert Jahren, hatte jetzt das roemische Prinzipat in Italien bestanden, ohne dass es selbst unter den gefaehrlichsten Verhaeltnissen ein einziges Mal in seiner Grundlage geschwankt haette. Vergeblich hatte das Heldengeschlecht der Barleiden, vergeblich die Nachfolger des grossen Alexander und der Achaemeniden versucht, die italische Nation zum Kampf aufzuruetteln gegen die uebermaechtige Hauptstadt; gehorsam war dieselbe auf den Schlachtfeldern am Guadalquivir und an der Medscherda, am Tempepass und am Sipylos erschienen und hatte mit dem besten Blute ihrer Jugend ihren Herren die Untertaenigkeit dreier Weltteile erfechten helfen. Ihre eigene Stellung indessen hatte sich wohl veraendert, aber eher verschlechtert als verbessert. In materieller Hinsicht zwar hatte sie sich im allgemeinen nicht zu beklagen. Wenn auch der kleine und der mittlere Grundbesitzer durch ganz Italien infolge der unverstaendigen roemischen Korngesetzgebung litt, so gediehen dafuer die groesseren Gutsherren und mehr noch der Kaufmannsund Kapitalistenstand, da die Italiker hinsichtlich der finanziellen Ausbeutung der Provinzen im wesentlichen denselben Schutz und dieselben Vorrechte genossen wie die roemischen Buerger und also die materiellen Vorteile des politischen Uebergewichts der Roemer grossenteils auch ihnen zugute kamen. Ueberhaupt waren die wirtschaftlichen und sozialen Zustaende Italiens nicht zunaechst abhaengig von den politischen Unterschieden; es gab vorzugsweise bundesgenoessische Landschaften, wie Etrurien und Umbrien, in denen der freie Bauernstand verschwunden war, andere, wie die Abruzzentaeler, in denen derselbe noch leidlich und zum Teil fast unberuehrt sich erhalten hatte - aehnlich wie sich gleiche Verschiedenheit auch in den verschiedenen roemischen Buergerdistrikten nachweisen laesst. Dagegen die politische Zuruecksetzung ward immer herber, immer schroffer. Wohl fand ein foermlicher unverhuellter Rechtsbruch wenigstens in Hauptfragen nicht statt. Die Kommunalfreiheit, welche unter dem Namen der Souveraenitaet den italischen Gemeinden vertragsmaessig zustand, wurde von der roemischen Regierung im ganzen respektiert; den Angriff, den die roemische Reformpartei im Anfang der agrarischen Bewegung auf die den besser gestellten Gemeinden verbrieften roemischen Domaenen machte, hatte nicht bloss die streng konservative sowie die Mittelpartei in Rom ernstlich bekaempft, sondern auch die roemische Opposition selbst sehr bald aufgegeben. Allein die Rechte, welche Rom als der fuehrenden Gemeinde zustanden und zustehen mussten, die oberste Leitung des Kriegswesens und die Oberaufsicht ueber die gesamte Verwaltung, wurden in einer Weise ausgeuebt, die fast ebenso schlimm war, als wenn man die Bundesgenossen geradezu fuer rechtlose Untertanen erklaert haette. Die zahlreichen Milderungen des furchtbar strengen roemischen Kriegsrechts, welche im Laufe des siebenten Jahrhunderts in Rom eingefuehrt wurden, scheinen saemtlich auf die roemischen Buergersoldaten beschraenkt geblieben zu sein; von der wichtigsten, der Abschaffung der standrechtlichen Hinrichtungen, ist dies gewiss und der Eindruck leicht zu ermessen, wenn, wie dies im Jugurthinischen Krieg geschah, angesehene latinische Offiziere nach Urteil des roemischen Kriegsrats enthauptet wurden, dem letzten Buergersoldaten aber im gleichen Fall das Recht zustand, an die buergerlichen Gerichte Roms Berufung einzulegen. In welchem Verhaeltnis die Buerger und die italischen Bundesgenossen zum Kriegsdienst angezogen werden sollten, war vertragsmaessig wie billig unbestimmt geblieben; allein waehrend in frueherer Zeit beide durchschnittlich die gleiche Zahl Soldaten gestellt hatten, wurden jetzt, obwohl das Bevoelkerungsverhaeltnis wahrscheinlich eher zu Gunsten als zum Nachteil der Buergerschaft sich veraendert hatte, die Forderungen an die Bundesgenossen allmaehlich unverhaeltnismaessig gesteigert, so dass man ihnen teils den schwereren und kostbareren Dienst vorzugsweise aufbuerdete, teils jetzt regelmaessig auf einen Buerger zwei Bundesgenossen aushob. Aehnlich wie die militaerische Oberleitung wurde die buergerliche Oberaufsicht, welche mit Einschluss der davon kaum zu trennenden obersten Administrativjurisdiktion die roemische Regierung stets und mit Recht ueber die abhaengigen italischen Gemeinden sich vorbehalten hatte, in einer Weise ausgedehnt, dass die Italiker fast nicht minder als die Provinzialen sich der Willkuer eines jeden der zahllosen roemischen Beamten schutzlos preisgegeben sahen. In Teanum Sidicinum, einer der angesehensten Bundesstaedte, hatte ein Konsul den Buergermeister der Stadt an dem Schandpfahl auf dem Markt mit Ruten staeupen lassen, weil seiner Gemahlin, die in dem Maennerbad zu baden verlangte, die Munizipalbeamten nicht schleunig genug die Badenden ausgetrieben hatten und ihr das Bad nicht sauber erschienen war. Aehnliche Auftritte waren in Ferentinum, gleichfalls einer Stadt besten Rechts, ja in der alten und wichtigen latinischen Kolonie Cales vorgefallen. In der latinischen Kolonie Venusia war ein freier Bauersmann von einem durchpassierenden jungen, amtlosen roemischen Diplomaten wegen eines Spasses, den er sich ueber dessen Saenfte erlaubt hatte, angehalten, niedergeworfen und mit dem Tragriemen der Saenfte zu Tode gepeitscht worden. Dieser Vorfaelle wird um die Zeit des fregellanischen Aufstandes gelegentlich gedacht; es leidet keinen Zweifel, dass aehnliche Unrechtfertigkeiten haeufig vorkamen und ebensowenig, dass eine ernstliche Genugtuung fuer solche Missetaten nirgends zu erlangen war, wogegen das nicht leicht ungestraft verletzte Provokationsrecht wenigstens Leib und Leben des roemischen Buergers einigermassen schuetzte. Es konnte nicht fehlen, dass infolge dieser Behandlung der Italiker seitens der roemischen Regierung die Spannung, welche die Weisheit der Ahnen zwischen den latinischen und den sonstigen italischen Gemeinden sorgfaeltig unterhalten hatte, wenn nicht verschwand, so doch nachliess. Die Zwingburgen Roms und die durch die Zwingburgen in Gehorsam erhaltenen Landschaften lebten jetzt unter dem gleichen Druck; der Latiner konnte den Picenter daran erinnern, dass sie beide in gleicher Weise "den Beilen unterworfen" seien; die Voegte und die Knechte von ehemals vereinigte jetzt der gemeinsame Hass gegen den gemeinsamen Zwingherrn. Wenn also der gegenwaertige Zustand der italischen Bundesgenossen aus einem leidlichen Abhaengigkeitsverhaeltnis umgeschlagen war in die drueckendste Knechtschaft, so war zugleich denselben jede Aussicht auf Erlangung besseren Rechts genommen worden. Schon mit der Unterwerfung Italiens hatte die roemische Buergerschaft sich abgeschlossen und die Erteilung des Buergerrechts an ganze Gemeinden vollstaendig aufgegeben, die an einzelne Personen sehr beschraenkt. Jetzt ging man noch einen Schritt weiter: bei Gelegenheit der die Erstreckung des roemischen Buergerrechts auf ganz Italien bezweckenden Agitation in den Jahren 628, 632 (126, 122) griff man das Uebersiedlungsrecht selbst an und wies geradezu die saemtlichen in Rom sich aufhaltenden Nichtbuerger durch Volksund Senatbeschluss aus der Hauptstadt aus - eine ebenso durch ihre Illiberalitaet gehaessige wie durch die vielfach dabei verletzten Privatinteressen gefaehrliche Massregel. Kurz, wenn die italischen Bundesgenossen zu den Roemern frueher gestanden hatten teils als bevormundete Brueder, mehr beschuetzt als beherrscht und nicht zu ewiger Unmuendigkeit bestimmt, teils als leidlich gehaltene und der Hoffnung auf die Freilassung nicht voellig beraubte Knechte, so standen sie jetzt saemtlich ungefaehr in gleicher Untertaenigkeit und gleicher Hoffnungslosigkeit unter den Ruten und Beilen ihrer Zwingherren und durften hoechstens als bevorrechtete Knechte sich es herausnehmen, die von den Herren empfangenen Fusstritte an die armen Provinzialen weiterzugeben. Es liegt in der Natur solcher Zerwuerfnisse, dass sie anfangs, zurueckgehalten durch das Gefuehl der nationalen Einheit und die Erinnerung gemeinschaftlich ueberdauerter Gefahr, leise und gleichsam bescheiden auftreten, bis allmaehlich der Riss sich erweitert und zwischen den Herrschern, deren Recht lediglich ihre Macht ist, und den Beherrschten, deren Gehorsam nicht weiter reicht als ihre Furcht, das unverhohlene Gewaltverhaeltnis sich offenbart. Bis zu der Empoerung und Schleifung von Fregellae im Jahre 629 (125), die gleichsam offiziell den veraenderten Charakter der roemischen Herrschaft konstatierte, trug die Gaerung unter den Italikern nicht eigentlich einen revolutionaeren Charakter. Das Begehren nach Gleichberechtigung hatte allmaehlich sich gesteigert von stillem Wunsch zu lauter Bitte, nur um, je bestimmter es auftrat, desto entschiedener abgewiesen zu werden. Sehr bald konnte man erkennen, dass eine gutwillige Gewaehrung nicht zu hoffen sei, und der Wunsch, das Verweigerte zu ertrotzen, wird nicht gefehlt haben; allein Roms damalige Stellung liess den Gedanken, diesen Wunsch zur Tat zu machen, kaum aufkommen. Obwohl das Zahlenverhaeltnis der Buerger und Nichtbuerger in Italien sich nicht gehoerig ermitteln laesst, so kann es doch als ausgemacht gelten, dass die Zahl der Buerger nicht sehr viel geringer war als die der italischen Bundesgenossen und auf ungefaehr 400000 waffenfaehige Buerger mindestens 500000, wahrscheinlich 600000 Bundesgenossen kamen ^1. Solange bei einem solchen Verhaeltnis die Buergerschaft einig und kein nennenswerter aeusserer Feind vorhanden war, konnte die in eine Unzahl einzelner Stadtund Gaugemeinden zersplitterte und durch tausendfache oeffentliche und Privatverhaeltnisse mit Rom verknuepfte italische Bundesgenossenschaft zu einem gemeinschaftlichen Handeln nimmermehr gelangen und mit maessiger Klugheit es der Regierung nicht fehlen, die schwierigen und grollenden Untertanenschaften teils durch die kompakte Masse der Buergerschaft, teils durch die sehr ansehnlichen Hilfsmittel, die die Provinzen darboten, teils eine Gemeinde durch die andere zu beherrschen. Darum verhielten die Italiker sich ruhig, bis die Revolution Rom zu erschuettern begann; sowie aber diese ausgebrochen war, griffen auch sie ein in das Treiben und Wogen der roemischen Parteien, um durch die eine oder die andere die Gleichberechtigung zu erlangen. Sie hatten gemeinschaftliche Sache gemacht erst mit der Volks-, sodann mit der Senatspartei und bei beiden gleich wenig erreicht. Sie hatten sich ueberzeugen muessen, dass zwar die besten Maenner beider Parteien die Gerechtigkeit und Billigkeit ihrer Forderungen anerkannten, dass aber diese besten Maenner, Aristokraten wie Populare, gleich wenig vermochten, bei der Masse ihrer Partei diesen Forderungen Gehoer zu verschaffen. Sie hatten es mitangesehen, wie die begabtesten, energischsten, gefeiertsten Staatsmaenner Roms in demselben Augenblick, wo sie als Sachwalter der Italiker auftraten, sich von ihren eigenen Anhaengern verlassen gefunden hatten und deshalb gestuerzt worden waren. In all den Wechselfaellen der dreissigjaehrigen Revolution und Restauration waren Regierungen genug einund abgesetzt worden, aber wie auch das Programm wandelbar sein mochte, die kurzsichtige Engherzigkeit sass ewig am Steuer. Vor allem die neuesten Vorgaenge hatten es deutlich offenbart, wie vergeblich die Italiker die Beruecksichtigung ihrer Ansprueche von Rom erwarteten. Solange sich die Begehren der Italiker mit denen der Revolutionspartei gemischt hatten und bei dieser an dem Unverstand der Massen gescheitert waren, konnte man sich noch dem Glauben ueberlassen, als sei die Oligarchie nur den Antragstellern, nicht dem Antrag selbst feindlich gesinnt gewesen, als sei noch eine Moeglichkeit vorhanden, dass der intelligentere Staat die mit dem Wesen der Oligarchie vertraegliche und dem Senat heilsame Massregel seinerseits aufnehmen werde. Allein die letzten Jahre, in denen der Senat wieder fast unumschraenkt regierte, hatten ueber die Absichten auch der roemischen Oligarchie eine nur zu leidige Klarheit verbreitet. Statt der gehofften Milderungen erging im Jahre 659 (95) ein konsularisches Gesetz, das den Nichtbuergern aufs strengste untersagte, des Buergerrechts sich anzumassen, und die Kontravenienten mit Untersuchung und Strafe bedrohte - ein Gesetz, das eine grosse Anzahl der angesehensten und bei der Gleichberechtigungsfrage am meisten interessierten Personen aus den Reihen der Roemer in die der Italiker zurueckwarf und das in seiner juristischen Unanfechtbarkeit und staatsmaennischen Wahnwitzigkeit vollkommen auf einer Linie steht mit jener beruehmten Akte, welche den Grund legte zur Trennung Nordamerikas vom Mutterland, und denn auch ebenwie diese die naechste Ursache des Buergerkrieges ward. Es war nur um so schlimmer, dass die Urheber dieses Gesetzes keineswegs zu den verstockten und unverbesserlichen Optimaten gehoerten, sondern keine anderen waren als der kluge und allgemein verehrte, freilich, wie Georg Grenville, von der Natur zum Rechtsgelehrten und vom Verhaengnis zum Staatsmann bestimmte Quintus Scaevola, welcher durch seine ebenso ehrenwerte als schaedliche Rechtlichkeit erst den Krieg zwischen Senat und Rittern und dann den zwischen Roemern und Italikern mehr als irgendein zweiter entzuendet hat, und der Redner Lucius Crassus, der Freund und Bundesgenosse des Drusus und ueberhaupt einer der gemaessigtsten und einsichtigsten Optimaten. Inmitten der heftigen Gaerung, die dies Gesetz und die daraus entstandenen zahlreichen Prozesse in ganz Italien hervorriefen, schien den Italikern noch einmal der Stern der Hoffnung aufzugehen in Marcus Drusus. Was fast unmoeglich geduenkt hatte, dass ein Konservativer die reformatorischen Gedanken der Gracchen aufnehmen und die Gleichberechtigung der Italiker durchfechten werde, war nun dennoch eingetreten; ein hocharistokratischer Mann hatte sich entschlossen, zugleich die Italiker von der sizilischen Meerenge bis an die Alpen hin und die Regierung zu emanzipieren und all seinen ernsten Eifer, all seine zuverlaessige Hingebung an diese hochherzigen Reformplaene zu setzen. Ober wirklich, wie erzaehlt wird, sich an die Spitze eines Geheimbundes gestellt hat, dessen Faeden durch ganz Italien liefen und dessen Mitglieder sich eidlich 2 verpflichteten, zusammenzustehen fuer Drusus und die gemeinschaftliche Sache, ist nicht auszumachen; aber wenn er auch nicht zu so gefaehrlichen und in der Tat fuer einen roemischen Beamten unverantwortlichen Dingen die Hand geboten hat, so ist es doch sicher nicht bei allgemeinen Verheissungen geblieben und sind, wenngleich vielleicht ohne und gegen seinen Willen, auf seinen Namen hin bedenkliche Verbindungen geknuepft worden. Jubelnd vernahm man in Italien, dass Drusus unter Zustimmung der grossen Mehrheit des Senats seine ersten Antraege durchgesetzt habe; mit noch groesserem Jubel feierten alle Gemeinden Italiens nicht lange darauf die Genesung des ploetzlich schwer erkrankten Tribuns. Aber wie Drusus’ weitere Absichten sich enthuellten, wechselten die Dinge; er konnte nicht wagen, das Hauptgesetz einzubringen; er musste verschieben, musste zoegern, musste bald zurueckweichen. Man vernahm, dass die Majoritaet des Senats unsicher werde und von ihrem Fuehrer abzufallen drohe; in rascher Folge lief durch die Gemeinden Italiens die Kunde, dass das durchgebrachte Gesetz kassiert sei, dass die Kapitalisten unumschraenkter schalteten als je, dass der Tribun von Moerderhand getroffen, dass er tot sei (Herbst 663 91). ----------------------------------------------------- ^1 Diese Ziffern sind den Zensuszahlen der Jahre 639 (115) und 684 (70) entnommen; waffenfaehige Buerger zaehlte man in jenem Jahr 394336, in diesem 910000 (nach Phlegon fr. 13 Mueller, welchen Satz Clinton und dessen Ausschreiber faelschlich auf den Zensus von 668 (86) beziehen; nach Liv. ep. 98 wurden - nach der richtigen Lesung - 900000 Koepfe gezaehlt). Die einzige zwischen diesen beiden bekannte Zaehlungsziffer, die des Zensus von 668 (86), der nach Hieronymus 463000 Koepfe ergab, ist wohl nur deshalb so gering ausgefallen, weil er mitten in der Krise der Revolution stattfand. Da ein Steigen der Bevoelkerung Italiens in der Zeit von 639 (115) bis 684 (70) nicht denkbar ist, und selbst die Sullanischen Landanweisungen die Luecken, die der Krieg gerissen, hoechstens gedeckt haben koennen, so darf der Ueberschuss von reichlich 500000 Waffenfaehigen mit Sicherheit auf die inzwischen erfolgte Aufnahme der Bundesgenossen zurueckgefuehrt werden. Indes ist es moeglich und sogar wahrscheinlich, dass in diesen verhaengnisvollen Jahren der Gesamtstand der italischen Bevoelkerung vielmehr zurueckging; rechnet man das Gesamtdefizit auf 100000 Waffenfaehige, was nicht uebertrieben erscheint, so kommen fuer die Zeit des Bundesgenossenkrieges in Italien auf zwei Buerger drei Nichtbuerger. 2 Die Eidesformel ist erhalten (bei Diod. Vat. p. 128); sie lautet: "Ich schwoere bei dem Kapitolinischen Jupiter und bei der roemischen Vesta und bei dem angestammten Mars und bei der zeugenden Sonne und bei der naehrenden Erde und bei den goettlichen Gruendern und Mehrern (den Penaten) der Stadt Rom, dass mir Freund sein soll und Feind sein soll, wer Freund und Feind ist dem Drusus; ingleichen dass ich weder meines eigenen noch des Lebens meiner Kinder und meiner Eltern schonen will, ausser insoweit es dem Drusus frommt und den Genossen dieses Eides. Wenn ich aber Buerger werden sollte durch das Gesetz des Drusus, so will ich Rom achten als meine Heimat und Drusus als den groessten meiner Wohltaeter. Diesen Eid will ich abnehmen so vielen meiner Mitbuerger, als ich vermag; und schwoere ich recht, so gehe es mir wohl, schwoere ich falsch, so gehe es mir uebel!" Indes wird man Wohltun, diesen Bericht mit Vorsicht zu benutzen; er ruehrt entweder her aus den gegen Drusus von Philippus gehaltenen Reden (worauf die sinnlose, von dem Auszugmacher der Eidesformel vorgesetzte Ueberschrift ’Eid des Philippus’ zu fuehren scheint) oder im besten Fall aus den spaeter ueber diese Verschwoerung in Rom aufgenommenen Kriminalprozessakten; und auch bei der letzteren Annahme bleibt es fraglich, ob diese Eidesformel aus den Inkulpaten herausoder in sie hineininquiriert ward. --------------------------------------- Die letzte Hoffnung, durch Vertrag die Aufnahme in den roemischen Buergerverband zu erlangen, ward den Italikern mit Marcus Drusus zu Grabe getragen. Wozu dieser konservative und energische Mann unter den guenstigsten Verhaeltnissen seine eigene Partei nicht hatte bestimmen koennen, dazu war ueberhaupt auf dem Wege der Guete nicht zu gelangen. Den Italikern blieb nur die Wahl, entweder geduldig sich zu fuegen oder den Versuch, der vor fuenfunddreissig Jahren durch die Zerstoerung von Fregellae im Keim erstickt worden war, noch einmal und womoeglich mit gesamter Hand zu wiederholen und mit den Waffen sei es Rom zu vernichten und zu beerben, sei es wenigstens die Gleichberechtigung mit Rom zu erzwingen. Es war dieser letztere Entschluss freilich ein Entschluss der Verzweiflung; wie die Sachen lagen, mochte die Auflehnung der einzelnen Stadtgemeinden gegen die roemische Regierung gar leicht noch hoffnungsloser erscheinen als der Aufstand der amerikanischen Pflanzstaedte gegen das Britische Imperium; allem Anschein nach konnte die roemische Regierung mit maessiger Aufmerksamkeit und Tatkraft dieser zweiten Schilderhebung das Schicksal der frueheren bereiten. Allein war es etwa minder ein Entschluss der Verzweiflung, wenn man stillsass und die Dinge ueber sich kommen liess? Wenn man sich erinnerte, wie die Roemer ungereizt in Italien zu hausen gewohnt waren, was war jetzt zu erwarten, wo die angesehensten Maenner in jeder italischen Stadt mit Drusus in einem Einverstaendnis gestanden hatten oder haben sollten - beides war hinsichtlich der Folgen ziemlich dasselbe -, das geradezu gegen die jetzt siegreiche Partei gerichtet und fueglich als Hochverrat zu qualifizieren war? Allen denen, die an diesem Geheimbund teilgehabt, ja allen, die nur der Teilhaberschaft verdaechtigt werden konnten, blieb keine andere Wahl, als den Krieg zu beginnen oder ihren Nacken unter das Henkerbeil zu beugen. Es kam hinzu, dass fuer eine allgemeine Schilderhebung durch ganz Italien der gegenwaertige Augenblick noch verhaeltnismaessig guenstige Aussichten darbot. Wir sind nicht genau darueber unterrichtet, inwieweit die Roemer die Sprengung der groesseren italischen Eidgenossenschaften durchgefuehrt hatten; es ist indes nicht unwahrscheinlich, dass die Marser, die Paeligner, vielleicht sogar die Samniten und Lucaner damals noch in ihrer alten, wenn auch politisch bedeutungslos gewordenen, zum Teil wohl auf blosse Festund Opfergemeinschaft zurueckgefuehrten Gemeindebuenden zusammenstanden. Immer fand die beginnende Insurrektion jetzt noch an diesen Verbaenden einen Stuetzpunkt; wer aber konnte sagen, wie bald die Roemer ebendarum dazu schreiten wuerden, auch sie zu beseitigen? Der Geheimbund ferner, an dessen Spitze Drusus gestanden haben sollte, hatte sein wirkliches oder gehofftes Haupt an ihm verloren, aber er selber bestand und gewaehrte fuer die politische Organisation des Aufstandes einen wichtigen Anhalt, waehrend die militaerische daran anknuepfen konnte, dass jede Bundesstadt ihr eigenes Heerwesen und erprobte Soldaten besass. Andrerseits war man in Rom auf nichts ernstlich gefasst. Man vernahm wohl davon, dass unruhige Bewegungen in Italien stattfaenden und die bundesgenoessischen Gemeinden miteinander einen auffallenden Verkehr unterhielten; aber statt schleunigst die Buerger unter die Waffen zu rufen, begnuegte das regierende Kollegium sich damit, in herkoemmlicher Art die Beamten zur Wachsamkeit zu ermahnen und Spione auszusenden, um etwas Genaueres zu erfahren. Die Hauptstadt war so voellig unverteidigt, dass ein entschlossener marsischer Offizier Quintus Pompaedius Silo, einer von den vertrautesten Freunden des Drusus, den Plan entworfen haben soll, an der Spitze einer Schar zuverlaessiger, unter den Gewaendern Schwerter fuehrender Maenner sich in dieselbe einzuschleichen und sich ihrer durch einen Handstreich zu bemaechtigen. Ein Aufstand bereitete also sich vor; Vertraege wurden geschlossen, die Ruestungen still und taetig betrieben, bis endlich, wie gewoehnlich noch etwas frueher, als die leitenden Maenner beabsichtigt hatten, durch einen Zufall die Insurrektion zum Ausbruch kam. Der roemische Praetor mit prokonsularischer Gewalt Gaius Servilius, durch seine Kundschafter davon benachrichtigt, dass die Stadt Asculum (Ascoli) in den Abruzzen an die Nachbargemeinden Geiseln sende, begab sich mit seinem Legaten Fonteius und wenigem Gefolge dorthin und richtete an die eben zur Feier der grossen Spiele im Theater versammelte Menge eine donnernde Drohrede. Der Anblick der nur zu bekannten Beile, die Verkuendigung der nur zu ernst gemeinten Drohungen warf den Funken in den seit Jahrhunderten aufgehaeuften Zunder des erbitterten Hasses; die roemischen Beamten wurden im Theater selbst von der Menge zerrissen und sofort, gleich als gelte es, durch einen furchtbaren Frevel jede Bruecke der Versoehnung abzubrechen, die Tore auf Befehl der Obrigkeit geschlossen, die saemtlichen in Asculum verweilenden Roemer niedergemacht und ihre Habe gepluendert. Wie die Flamme durch die Steppe lief die Empoerung durch die Halbinsel. Voran ging das tapfere und zahlreiche Volk der Marser in Verbindung mit den kleinen, aber kernigen Eidgenossenschaften in den Abruzzen, den Paelignern, Marrucinern, Frentanern und Vestinern; der schon genannte tapfere und kluge Quintus Silo war hier die Seele der Bewegung. Von den Marsern wurde zuerst den Roemern foermlich abgesagt, wonach spaeterhin dem Krieg der Name des marsischen blieb. Dem gegebenen Beispiel folgten die samnitischen und ueberhaupt die Masse der Gemeinden vom Liris und den Abruzzen bis hinab nach Kalabrien und Apulien, so dass bald in ganz Mittelund Sueditalien gegen Rom geruestet ward. Die Etrusker und Umbrer dagegen hielten zu Rom, wie sie bereits frueher mit den Rittern zusammengehalten hatten gegen Drusus. Es ist bezeichnend, dass in diesen Landschaften seit alten Zeiten die Grundund Geldaristokratie uebermaechtig und der Mittelstand gaenzlich verschwunden war, wogegen in und an den Abruzzen der Bauernstand sich reiner und frischer bewahrt hatte als irgendwo sonst in Italien; der Bauernund ueberhaupt der Mittelstand also war es, aus dem der Aufstand wesentlich hervorging, wogegen die munizipale Aristokratie auch jetzt noch Hand in Hand ging mit der hauptsaechlichen Regierung. Danach ist es auch leicht erklaerlich, dass in den aufstaendischen Distrikten einzelne Gemeinden und in den aufstaendischen Gemeinden Minoritaeten festhielten an dem roemischen Buendnis; wie zum Beispiel die Vestinerstadt Pinna fuer Rom eine schwere Belagerung aushielt und ein im Hirpinerland gebildetes Loyalistenkorps unter Minatus Magius von Aeclanum die roemischen Operationen in Kampanien unterstuetzte. Endlich hielten fest an Rom die am besten gestellten bundesgenoessischen Gemeinden, in Kampanien, Nola und Nuceria, und die griechischen Seestaedte Neapolis und Rhegion, desgleichen wenigstens die meisten latinischen Kolonien, wie zum Beispiel Alba und Aesernia - ebenwie im Hannibalischen Kriege die latinischen und die griechischen Staedte im ganzen fuer die sabellischen gegen Rom Partei genommen hatten. Die Vorfahren hatten Italiens Beherrschung auf die aristokratische Gliederung gegruendet und mit geschickter Abstufung der Abhaengigkeiten die schlechter gestellten Gemeinden durch die besseren Rechts, innerhalb jeder Gemeinde aber die Buergerschaft durch die Munizipalaristokratie in Untertaenigkeit gehalten. Erst jetzt, unter dem unvergleichlich schlechten Regiment der Oligarchie, erprobte es sich vollstaendig, wie fest und gewaltig die Staatsmaenner des vierten und fuenften Jahrhunderts ihre Werksteine ineinandergefuegt hatten; auch diese Sturmflut hielt der vielfach erschuetterte Bau noch aus. Freilich war damit, dass die besser gestellten Staedte nicht auf den ersten Stoss von Rom liessen, noch keineswegs gesagt, dass sie auch jetzt, wie im Hannibalischen Kriege, auf die Laenge und nach schweren Niederlagen ausdauern wuerden, ohne in ihrer Treue gegen Rom zu schwanken; die Feuerprobe war noch nicht ueberstanden. Das erste Blut war also geflossen und Italien in zwei grosse Heerlager auseinandergetreten. Zwar fehlte, wie wir sahen, noch gar viel an einer allgemeinen Schilderhebung der italischen Bundesgenossenschaft; dennoch hatte die Insurrektion schon eine vielleicht die Hoffnungen der Fuehrer selbst uebertreffende Ausdehnung gewonnen, und die Insurgenten konnten ohne Uebermut daran denken, der roemischen Regierung ein billiges Abkommen anzubieten. Sie sandten Boten nach Rom und machten sich anheischig, gegen Aufnahme in den Buergerverband die Waffen niederzulegen; es war vergebens. Der Gemeinsinn, der so lange in Rom vermisst worden war, schien ploetzlich wiedergekehrt zu sein, nun es sich darum handelte, einem gerechten und jetzt auch mit ansehnlicher Macht unterstuetzten Begehren der Untertanen mit starrer Borniertheit in den Weg zu treten. Die naechste Folge der italischen Insurrektion war, aehnlich wie nach den Niederlagen, die die Regierungspolitik in Afrika und Gallien erlitten hatte, die Eroeffnung eines Prozesskrieges, mittels dessen die Richteraristokratie Rache nahm an denjenigen Maennern der Regierung, in denen man, mit Recht oder Unrecht, die naechste Ursache dieses Unheils sah. Auf den Antrag des Tribuns Quintus Varius ward trotz des Widerstandes der Optimaten und trotz der tribunizischen Interzession eine besondere Hochverratskommission, natuerlich aus dem mit offener Gewalt fuer diesen Antrag kaempfenden Ritterstand, niedergesetzt zur Untersuchung der von Drusus angezettelten und, wie in Italien so auch in Rom, weitverzweigten Verschwoerung, aus der die Insurrektion hervorgegangen war und die jetzt, da halb Italien in Waffen stand, der gesamten erbitterten und erschreckten Buergerschaft als unzweifelhafter Landesverrat erschien. Die Urteile dieser Kommission raeumten stark auf in den Reihen der senatorischen Vermittlungspartei; unter andern namhaften Maennern ward Drusus’ genauer Freund, der junge talentvolle Gaius Cotta, in die Verbannung gesandt, und mit Not entging der greise Marcus Scaurus dem gleichen Schicksal. Der Verdacht gegen die den Reformen des Drusus geneigten Senatoren ging soweit, dass bald nachher der Konsul Lupus aus dem Lager an den Senat berichtete ueber die Verbindungen, die zwischen den Optimaten in seinem Lager und dem Feinde bestaendig unterhalten wuerden; ein Verdacht, der sich freilich bald durch das Aufgreifen marsischer Spione als unbegruendet auswies. Insofern konnte der Koenig Mithradates nicht mit Unrecht sagen, dass der Hader der Faktionen aerger als der Bundesgenossenkrieg selbst den roemischen Staat zerruettete. Zunaechst indes stellte der Ausbruch der Insurrektion und der Terrorismus, den die Hochverratskommission uebte, wenigstens einen Schein her von Einigkeit und Kraft. Die Parteifehden schwiegen; die faehigen Offiziere aller Farben, Demokraten wie Gaius Marius, Aristokraten wie Lucius Sulla, Freunde des Drusus wie Publius Sulpicius Rufus, stellten sich der Regierung zur Verfuegung; die Getreideverteilungen wurden, wie es scheint, um diese Zeit durch Volksbeschluss wesentlich beschraenkt, um die finanziellen Kraefte des Staates fuer den Krieg zusammenzuhalten, was um so notwendiger wir, als bei der drohenden Stellung des Koenigs Mithradates die Provinz Asia jeden Augenblick in Feindeshand geraten und damit eine der Hauptquellen des roemischen Schatzes versiegen konnte; die Gerichte stellten mit Ausnahme der Hochverratskommission nach Beschluss des Senats vorlaeufig ihre Taetigkeit ein; alle Geschaefte stockten und man dachte an nichts als an Aushebung von Soldaten und Anfertigung von Waffen. Waehrend also der fuehrende Staat in Voraussicht des bevorstehenden schweren Krieges sich straffer zusammennahm, hatten die Insurgenten die schwierigere Aufgabe zu loesen, sich waehrend des Kampfes politisch zu organisieren. In dem inmitten der marsischen, samnitischen, marrucinischen und vestinischen Gaue, also im Herzen der insurgierten Landschaften belegenen Gebiete der Paeligner, in der schoenen Ebene an dem Pescarafluss ward die Stadt Corfinium auserlesen zum Gegen-Rom oder zur Stadt Italia, deren Buergerrecht den Buergern saemtlicher insurgierter Gemeinden erteilt ward; hier wurden in entsprechender Groesse Markt und Rathaus abgesteckt. Ein Senat von fuenfhundert Mitgliedern erhielt den Auftrag, die Verfassung festzustellen, und die Oberleitung des Kriegswesens. Nach seiner Anordnung erlas die Buergerschaft aus den Maennern senatorischen Ranges zwei Konsuln und zwoelf Praetoren, die ebenwie Roms zwei Konsuln und sechs Praetoren die hoechste Amtsgewalt in Krieg und Frieden .uebernahmen. Die lateinische Sprache, die damals schon bei den Marsern und Picentern die landuebliche war, blieb in offiziellem Gebrauch, aber es trat ihr die samnitische als die im suedlichen Italien vorherrschende gleichberechtigt zur Seite und beider bediente man sich abwechselnd auf den Silbermuenzen, die man nach roemischen Mustern und nach roemischem Fuss auf den Namen des neuen italischen Staates zu schlagen anfing, also das seit zwei Jahrhunderten von Rom ausgeuebte Muenzmonopol ebenfalls ihm aneignend. Es geht aus diesen Bestimmungen hervor, was sich freilich schon von selbst versteht, dass die Italiker jetzt nicht mehr sich Gleichberechtigung von den Roemern zu erstreiten, sondern diese zu vernichten oder zu unterwerfen und einen neuen Staat zu bilden gedachten. Aber es geht daraus auch hervor, dass ihre Verfassung nichts war als ein reiner Abklatsch der roemischen oder, was dasselbe ist, die altgewohnte, bei den italischen Nationen seit undenklicher Zeit hergebrachte Politik: eine Stadtordnung statt einer Staatskonstitution, mit Urversammlungen von gleicher Unbehilflichkeit und Nichtigkeit, wie die roemischen Komitien es waren, mit einem regierenden Kollegium, das dieselben Elemente der Oligarchie in sich trug wie der roemische Senat, mit einer in gleicher Art durch eine Vielzahl konkurrierender hoechster Beamten ausgeuebten Exekutive - es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie zum Beispiel der Konsuloder Praetortitel des hoechstkommandierenden Magistrats auch von den Feldherren der Italiker nach einem Siege vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es aendert sich eben nichts als der Name, ganz wie auf den Muenzen der Insurgenten dasselbe Goetterbild erscheint und nur die Beschrift nicht Roma, sondern Italia lautet. Nur darin unterscheidet, nicht zu seinem Vorteil, sich dies Insurgenten-Rom von dem urspruenglichen, dass das letztere denn doch eine staedtische Entwicklung gehabt und seine unnatuerliche Zwischenstellung zwischen Stadt und Staat wenigstens auf natuerlichem Wege sich gebildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als der Kongressplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiktion die Bewohner der Halbinsel zu Buergern dieser neuen Hauptstadt gestempelt wurden. Bezeichnend aber ist es, dass hier, wo die ploetzliche Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen Einheit den Gedanken einer Repraesentativverfassung im modernen Sinn so nahelegte, doch von einer solchen keine Spur, ja das Gegenteil sich zeigt 3 und nur die kommunale Organisation in einer noch widersinnigeren Weise als bisher reproduziert wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deutlich wie hier, dass dem Altertum die freie Verfassung unzertrennlich ist von dem Auftreten des souveraenen Volkes in eigener Person in den Urversammlungen oder von der Stadt, und dass der grosse Grundgedanke des heutigen republikanisch-konstitutionellen Staates: die Volkssouveraenitaet auszudruecken durch eine Repraesentantenversammlung, dieser Gedanke, ohne den der freie Staat ein Unding waere, ganz und vollkommen modern ist. Selbst die italische Staatenbildung, obwohl sie in den gewissermassen repraesentativen Senaten und in dem Zuruecktreten der Komitien dem freien Staat der Neuzeit sich naehert, hat doch weder als Rom noch als Italia jemals die Grenzlinie zu ueberschreiten vermocht. --------------------------------------------------- 3 Selbst aus unserer duerftigen Kunde, worunter Diodor (p. 538) und Strabon (5, 4, 2) noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum Beispiel der letztere ausdruecklich sagt, dass die Buergerschaft die Beamten waehlte. Dass der Senat von Italia in anderer Weise gebildet werden und andere Kompetenz haben sollte als der roemische, ist wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten Zusammensetzung natuerlich fuer eine einigermassen gleichmaessige Vertretung der insurgierten Staedte gesorgt haben; allein dass die Senatoren von Rechts wegen von den Gemeinden deputiert werden sollten, ist nirgends ueberliefert. Ebensowenig schliesst der Auftrag an den Senat, die Verfassung zu entwerfen, die Promulgation durch den Beamten und die Ratifikation durch die Volksversammlung aus. ------------------------------------------------- So begann wenige Monate nach Drusus’ Tode im Winter 663/64 (91/90) der Kampf, wie eine der Insurgentenmuenzen ihn darstellt, des sabellinischen Stiers gegen die roemische Woelfin. Beiderseits ruestete man eifrig; in Italia wurden grosse Vorraete an Waffen, Zufuhr und Geld aufgehaeuft; in Rom bezog man aus den Provinzen, namentlich aus Sizilien, die erforderlichen Vorraete und setzte fuer alle Faelle die lange vernachlaessigten Mauern in Verteidigungszustand. Die Streitkraefte waren einigermassen gleich gewogen. Die Roemer fuellten die Luecken in den italischen Kontingenten teils durch gesteigerte Aushebung aus der Buergerschaft und aus den schon fast ganz romanisierten Bewohnern der Keltenlandschaften diesseits der Alpen, von denen allein bei der kampanischen Armee 10000 dienten 4, teils durch die Zuzuege der Numidier und anderer ueberseeischer Nationen, und brachten mit Hilfe der griechischen und kleinasiatischen Freistaedte eine Kriegsflotte zusammen 5. Beiderseits wurden, ohne die Besatzungen zu rechnen, bis 100000 Soldaten mobil gemacht 6 und an Tuechtigkeit der Mannschaft, an Kriegstaktik und Bewaffnung standen die Italiker hinter den Roemern in nichts zurueck. Die Fuehrung des Krieges war fuer die Insurgenten wie fuer die Roemer deswegen sehr schwierig, weil das aufstaendische Gebiet sehr ausgedehnt und eine grosse Zahl zu Rom haltender Festungen in demselben zerstreut war; so dass einerseits die Insurgenten sich genoetigt sahen, einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden, andrerseits die Roemer nicht wohl anders konnten, als die nirgends recht zentralisierte Insurrektion in allen insurgierten Landschaften zu bekaempfen. Militaerisch zerfiel das insurgierte Land in zwei Haelften: in der noerdlichen, die von Picenum und den Abruzzen bis an die kampanische Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden Distrikte umfasste, uebernahmen italischerseits der Marser Quintus Silo, roemischerseits Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den Oberbefehl; in der suedlichen, welche Kampanien, Samnium und ueberhaupt die sabellisch redenden Landschaften in sich schloss, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als roemischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf roemischer fuenf Unterbefehlshaber zur Seite, so dass ein jeder von diesen in einem bestimmten Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber die Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten roemischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und Publius Crassus, stellten fuer diese Posten den Konsuln sich zur Verfuegung; und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg, dass ihre Fuehrer den roemischen militaerisch in nichts nachstanden. --------------------------------------------------- 4 Die Schleuderbleie von Asculum beweisen, dass auch im Heere des Strabo die Gallier sehr zahlreich waren. 5 Wir haben noch einen roemischen Senatsbeschluss vom 22. Mai 676 (78), welcher dreien griechischen Schiffskapitaenen von Karystos, Klazomenae und Miletos fuer die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90) geleisteten treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile zuerkennt. Gleichartig ist die Nachricht Memnons, dass von Herakleia am Schwarzen Meer fuer den Italischen Krieg zwei Trieren aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit reichen Ehrengaben heimgekehrt seien. 6 Dass diese Angaben Appians nicht uebertrieben ist, beweisen die Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen die fuenfzehnte Legion nennen. ---------------------------------------------------- Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf seiten der Roemer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es faellt auf, dass weder die Roemer ihre Truppen zusammennahmen, um einen ueberlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszufuehren, noch die Insurgenten den Versuch machten, in Latium einzuruecken und sich auf die feindliche Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen Verhaeltnissen zu wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders haette handeln koennen und inwieweit die Schlaffheit der roemischen Regierung einerund die lose Verbindung der foederierten Gemeinden andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in der Kriegfuehrung beigetragen haben. Es ist begreiflich, dass bei diesem System es wohl zu Siegen und Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer endgueltigen Erledigung; nicht minder aber auch, sass von einem solchen Krieg, der in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald kombiniert operierender Korps sich aufloeste, aus unserer beispiellos truemmerhaften Ueberlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen laesst. Der erste Sturm traf selbstverstaendlich die in den insurgierten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia: dort wie hier trafen sie auf den entschlossensten Widerstand. Aehnliche Kaempfe moegen im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Sueden um Luceria, Benevent, Nola, Paestum getobt haben, bevor und waehrend die roemischen Heere sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten. Nachdem die Suedarmee unter Caesar in der groesstenteils noch zu Rom haltenden kampanischen Landschaft sich im Fruehjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit seinem fuer die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die bedeutenderen Bundesstaedte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur Offensive ueberzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter Publius Vettius Scato mit starkem Verlust zurueckgewiesen, und die wichtige Stadt Venafrum trat hierauf ueber zu den Insurgenten, denen sie die roemische Besatzung in die Haende lieferte. Durch den Abfall dieser Stadt, die auf der Heerstrasse von Kampanien nach Samnium lag, war Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Festung sah sich jetzt ausschliesslich auf den Mut und die Ausdauer ihrer Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte ein Streifzug, den Sulla mit derselben kuehnen Verschlagenheit wie vor Jahren den Zug zu Bocchus gluecklich zu Ende fuehrte, den bedraengten Aeserninern fuer einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach hartnaeckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahres durch die aeusserste Hungersnot gezwungen zu kapitulieren. Auch in Lucanien ward Publius Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genoetigt, sich in Grumentum einzuschliessen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und die suedlichen Landschaften hatte man ohnehin gaenzlich sich selbst ueberlassen muessen. Die Insurrektion griff um sich; wie Mutilus an der Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrueckte, uebergab die Buergerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die roemische Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mutilus’ Befehl hingerichtet, die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger Ausnahme von Nuceria, das fest an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis zum Vesuv den Roemern verloren; Salernum, Stabiae, Pompeii, Herculaneum erklaerten sich fuer die Insurgenten; Mutilus konnte in das Gebiet noerdlich vom Vesuv vorruecken und mit seiner samnitischlucanischen Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in grosser Zahl bei Caesars Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus ueberzugehen oder vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Uebergabe von Venusia den Samniten in die Haende gefallen war und nun im koeniglichen Purpur in den Reihen der Samniten erschien, so dass Caesar sich genoetigt sah, das ganze afrikanische Korps in die Heimat zurueckzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das roemische Lager; allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem Abzug die roemische Reiterei in den Ruecken gefallen war, liessen bei 6000 Tote auf dem Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege die Roemer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und in der Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder an sich zu heben. Zwar ward nicht lange darauf die siegreiche Armee bei einem Flussuebergang von Marius Egnatius angegriffen und so nachdruecklich geschlagen, dass sie bis Teanum zurueckweichen und dort wieder organisiert werden musste; indes gelang es den Anstrengungen des taetigen Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in kriegsfaehigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder einzunehmen unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee unter Mutilus fortfuhr zu belagern. Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo der Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in gefaehrlicher Naehe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbstaendiges Korps unter Gnaeus Pompeius Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestuetzt, Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse dagegen der roemischen Nordarmee stellte unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des marsischen Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee der Feind der Hauptstadt am naechsten stand; der kleine Fluss Tolenus (Turano), der zwischen Tibur und Alba die Valerische Strasse schneidet und bei Rieti in den Velino faellt, schied die beiden Heere. Ungeduldig draengte der Konsul Lupus zur Entscheidung und ueberhoerte den unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu ueben. Zunaechst ward ihm die 10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollstaendig geschlagen. Der Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte den Rest des Korps mit dem unter Marius’ Befehl stehenden, liess sich aber dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von ihm selbst, teils von Marius gefuehrten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander geschlagenen Bruecken den Tolenus zu ueberschreiten. Ihnen gegenueber stand Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo Marius den Bach ueberschritt, allein ehe der Uebergang stattfand, sich mit Hinterlassung der blossen Lagerposten von dort weggezogen und weiter flussaufwaerts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das roemische Korps unter Lupus unvermutet waehrend des Uebergehens angriff und es teils niedermachte, teils in den Fluss sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heissen, dass Marius, Scatos Abmarsch endlich gewahrend, ueber den Fluss gegangen war und nicht ohne Verlust der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flussuebergang und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius ueber die Paeligner erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurueckzunehmen, und Marius, welcher nach Beschluss des Senats als Hoechstkommandierender an Lupus’ Stelle trat, verhinderte wenigstens, dass der Feind weitere Erfolge errang. Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur Seite gesetzt ward, weniger wegen eines gluecklich von ihm bestandenen Gefechtes, als weil er den damals in Rom tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition gegen Drusus sich empfohlen hatte, liess sich von Silo durch die Vorspiegelung, ihm sein Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit einem grossen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen. Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch seinen zaehen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu benutzen, und drang allmaehlich tief in das marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er lange; als er endlich sie lieferte, ueberwand er seinen stuermischen Gegner, der unter anderen Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt zurueckliess. In einem zweiten Treffen wirkten Marius’ Heer und das zur Suedarmee gehoerige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre dieses Tages aber blieb dem juengeren Offizier, denn Marius hatte zwar die Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Fluechtigen den Rueckzug verlegt und sie aufgerieben. Waehrend also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten ward, hatte auch das picenische Korps unter Strabo ungluecklich und gluecklich gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kraeften dasselbe angegriffen, es geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo belagert hielt, waehrend Iudacilius in Apulien einrueckte und Canusium, Venusia und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden Staedte zum Anschluss an die Aufstaendischen bestimmte. Allein auf der roemischen Seite bekam Servius Sulpicius durch seinen Sieg ueber die Paeligner freie Hand, um in Picenum einzuruecken und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, waehrend von vorn Strabo ihn angriff, von Sulpicius in den Ruecken gefasst und sein Lager in Brand gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgeloester Flucht nach Asculum. So vollstaendig hatte im Picenischen die Lage der Dinge sich geaendert, dass wie vorher die Roemer auf Firmum, so jetzt die Italiker auf Asculum sich beschraenkt sahen und der Krieg also sich abermals in eine Belagerung verwandelte. Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und vielgeteilten Kriegen im suedlichen und mittleren Italien noch ein dritter in der noerdlichen Landschaft gekommen, indem die fuer Rom so gefaehrliche Lage der Dinge nach den ersten Kriegsmonaten einen grossen Teil der umbrischen und einzelne etruskische Gemeinden veranlasst hatte, sich fuer die Insurrektion zu erklaeren, so dass es noetig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stiessen die Roemer auf einen weit minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und behaupteten das entschiedenste Uebergewicht im Felde. So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militaerisch wie politisch truebe Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militaerisch waren beide Armeen der Roemer, die marsische wie die kampanische, durch schwere Niederlagen geschwaecht und entmutigt, die Nordarmee genoetigt, vor allem auf die Deckung der Hauptstadt bedacht zu sein, die Suedarmee bei Neapel in ihren Kommunikationen ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit aus dem marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und Neapel sich festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion waehrend dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der festen und grossen latinischen Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen, dass die roemische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht imstande sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der Buergerschaft das Aeusserste zugemutet, schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen Kueste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Buergermiliz eingereiht, schon von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es war nicht moeglich, die Sehne des Bogens noch schaerfer anzuziehen, ohne alles aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der Buergerschaft war unglaublich gedrueckt. Nach der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm gefallenen namhaften Buerger von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als Leichen zurueckgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum Zeichen der oeffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von sich legten, als von der Regierung an die hauptstaedtischen Bewohner der Befehl erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung ueberlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock wieder mit dem Buergerkleid vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der Landestrauer abgelegt; aber es war doch nicht zweifelhaft, dass im ganzen die Roemer in diesem Waffengang den kuerzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen war aus dem Senat wie aus der Buergerschaft der Geist entwichen, der sie einst durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte. Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Uebermut wie damals, aber man wusste ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn, die zaehe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht. Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die aeussere und innere Politik ploetzlich eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel, dass man damit das Kluegste tat, was sich tun liess; aber nicht weil man, durch die unmittelbare Gewalt der Waffen genoetigt, nicht umhin konnte, sich nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, sondern weil das, worum gestritten ward, die Verewigung des politischen Vorranges der Roemer vor den uebrigen Italikern, dem Gemeinwesen selber mehr schaedlich als foerderlich war. Es trifft im oeffentlichen Leben wohl, dass ein Fehler den anderen ausgleicht; hier machte, was der Eigensinn verschuldet hatte, die Feigheit gewissermassen wieder gut. Das Jahr 664 (90) hatte begonnen mit der schroffsten Zurueckweisung des von den Insurgenten angebotenen Vergleichs und mit der Eroeffnung eines Prozesskrieges, in welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger des patriotischen Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die im Verdacht standen, der Maessigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das Wort geredet zu haben. Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der am 10. Dezember desselben Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die Hochverratskommission den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der freien, nicht staendisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, dass diese Kommission aus einer Geissel der Moderierten zu einer Geissel der Ultras ward und sie unter anderen ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die oeffentliche Stimme die schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des Quintus Metellus und die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die Verbannung sandte. Wichtiger als diese seltsam offenherzige politische Palinodie war die veraenderte Richtung, die man in der Politik gegen die Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre waren verflossen, seit Rom zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren lassen muessen; Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte, war derselbe nur moeglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich erhoben hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstoeren, war die Fehde zu erbittert geworden, als dass man in Rom es ueber sich gewonnen haette, ihnen die verlangten Zugestaendnisse zu machen; und haette man es getan, sie waeren vielleicht jetzt von der anderen Seite zurueckgewiesen worden. Indes wenn den bis jetzt noch treugebliebenen Gemeinden die urspruenglichen Forderungen unter gewissen Einschraenkungen gewaehrt wurden, so ward damit teils der Schein freiwilliger Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche Konsolidierung der Konfoederation verhindert und damit der Weg zu ihrer Ueberwindung gebahnt. So taten denn die Pforten des roemischen Buergertums, die der Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt ploetzlich sich auf, als die Schwerter daran pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz, sondern selbst fuer die Aufgenommenen in widerwilliger und kraenkender Weise. Ein von dem Konsul Lucius Caesar 7 durchgebrachtes Gesetz verlieh das roemische Buergerrecht den Buergern aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis dahin noch nicht Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus Plautius Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbuergerten und domizilierten Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein solle, durch Anmeldung bei einem roemischen Beamten das roemische Buergerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubuerger, aehnlich den Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschraenkt sein, dass von den fuenfunddreissig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelassenen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob die Beschraenkung persoenlich oder, wie es scheint, erblich war, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Massregel bezog sich zunaechst auf das eigentliche Italien, das noerdlich damals noch wenig ueber Ancona und Florenz hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der Alpen, das zwar rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in der Kolonisierung laengst als Teil Italiens galt, wurden saemtliche latinische Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im uebrigen war hier diesseits des Po der groesste Teil des Bodens nach Aufloesung der alten keltischen Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen Schema organisiert, stand aber doch im Eigentum roemischer, meist in Marktflecken (fora) zusammenwohnender Buerger. Die nicht zahlreichen bundesgenoessischen Ortschaften diesseits des Po, namentlich Ravenna, sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alp en ward infolge eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten Gesetzes nach italischer Stadtverfassung organisiert, so dass die hierzu sich nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den Alpentaelern, einzelnen Staedten als abhaengige und zinspflichtige Doerfer zugelegt wurden, diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem roemischen Buergertum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiktion, dass sie latinische Kolonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, welche bisher den latinischen Staedten geringeren Rechts zugestanden hatten. Italien endigte also damals tatsaechlich am Po, waehrend die transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier, noerdlich vom Po, gab es ausser Cremona, Eporedia und Aquileia keine Buergeroder latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Staemme hier keineswegs, wie suedlich vom Po, verdraengt worden. Die Abschaffung der keltischen Gauund die Einfuehrung der italischen Stadtverfassung bahnte die Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war dies der erste Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des gallischen Stammes, im Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals Italien sich zusammengefunden hatte, in Genossen ihrer italischen Herren. ------------------------------------------ 7 Das Julische Gesetz muss in den letzten Monaten des Jahres 664 (90) erlassen sein, da waehrend der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das Plautische ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Antraege, unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664 (90) oder Januar 665 (89) durchgebracht worden. ----------------------------------------- So ansehnlich diese Zugestaendnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als hundertfuenfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der roemischen Buergerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils die schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten, teils moeglichst viele Ueberlaeufer aus den feindlichen Reihen herueberziehen. In welchem Umfang diese Gesetze, namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur Anwendung gekommen sind, laesst sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben vermoegen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, dass die bisher latinischen Gemeinden, sowohl die Ueberreste der alten latinischen Eidgenossenschaft, wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die latinischen Kolonien, mit Ausnahme der wenigen zu den Insurgenten uebergegangenen, dadurch eintraten in den roemischen Buergerverband. Ausserdem fand das Gesetz Anwendung auf die treugebliebenen Bundesstaedte in Etrurien und besonders in Sueditalien, wie Nuceria und Neapolis. Dass einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden ueber die Annahme des Buergerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug, seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Buergern Freiheit vom Landdienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch ueberdies Domanialnutzungen garantierte, gegen das beschraenkte Neubuergerrecht hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstaende wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten, dass diese Stadt, sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in Italien, selbst nach dem Eintritt in den Buergerverband ihre bisherige Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle unveraendert beibehalten haben. Auf alle Faelle ward infolge dieser Gesetze der roemische Buergerverband ausserordentlich erweitert durch das Aufgehen von zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge bis zum Po zerstreuten Stadtgemeinden in denselben, ausserdem die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Erteilung des besten bundesgenoessischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft auf das volle Buergerrecht beliehen. Gestuetzt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die Roemer mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufstaendischen Distrikte. Man hatte von den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen, als notwendig schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die Insurrektion griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische Gesetz als durch den Erfolg der roemischen Waffen so auffallend rasch ueberwaeltigt. In den ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten Polandschaft eroeffneten sich reiche und jetzt zuverlaessige Hilfsquellen; mit diesen und mit denen der Buergerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt isolierten Brand zu bewaeltigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen nach Rom zurueck, Caesar als erwaehlter Zensor, Marius, weil man seine Kriegfuehrung als unsicher und langsam tadelte und den sechsundsechzigjaehrigen Mann fuer altersschwach erklaerte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf unbegruendet; Marius bewies, indem er taeglich in Rom auf dem Turnplatz erschien, wenigstens seine koerperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber scheint er in dem letzten Feldzug im ganzen die alte Tuechtigkeit bewaehrt zu haben; aber glaenzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen Bankrott sich haette in der oeffentlichen Meinung rehabilitieren koennen, hatte er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren Kummer jetzt auch als Offizier ohne Umstaende zu dem alten Eisen geworfen. An Marius’ Stelle trat bei der marsischen Armee der Konsul dieses Jahres Lucius Porcius Cato, der mit Auszeichnungen in Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der kampanischen der Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten Erfolge des vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul, das mit so grossem Erfolg von ihm gefuehrte Kommando im picenischen Gebiet. So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten eroeffneten durch den kuehnen, an den grossartigen Gang der Samnitischen Kriege erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann der in Norditalien gaerenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu senden. Allein Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte, verlegte ihm den Weg und schlug ihn vollstaendig; nur wenige gelangten zurueck in die weit entfernte Heimat. Als dann die Jahreszeit den roemischen Heeren gestattete, die Offensive zu ergreifen, betrat Cato das marsische Gebiet und drang unter gluecklichen Gefechten in demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei einem Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschliessliche Oberleitung der Operationen in Mittelitalien auf Strabo ueberging. Dieser beschaeftigte sich teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der Unterwerfung der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften. Zum Entsatz seiner bedraengten Heimatstadt erschien vor Asculum Iudacilius mit dem picentischen Aufgebot und griff die belagernde Armee an, waehrend gleichzeitig die ausfallende Besatzung sich auf die roemischen Linien warf. Es sollen an diesem Tage 75000 Roemer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Roemern, doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig 8 durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung der Bewohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche Kriegserklaerung innerhalb ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach mehrmonatlicher tapferer Verteidigung die Kapitulation herankommen sah, liess er die Haeupter der roemisch gesinnten Fraktion der Buergerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den Tod. So wurden die Tore geoeffnet und die roemischen Exekutionen loesten die italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Buerger wurden hingerichtet, die uebrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, saemtliches Hab und Gut von Staats wegen eingezogen. Waehrend der Belagerung und nach dem Fall von Asculum durchzogen zahlreiche roemische Korps die benachbarten aufstaendischen Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner fuegten sich, nachdem Servius Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdruecklich geschlagen hatte. In Apulien drang der Praetor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia und Cannae und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter Marius Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die Roemer zurueckdraengte, gelang es dem roemischen Feldherrn bei dem Uebergang ueber den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres musste in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Roemer drangen wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien. Auch am Fuciner See und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen der Insurrektion, stellten die Roemer ihre Herrschaft wieder her; die Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos, Quintus Metellus Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666 88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die bescheidene paelignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen Senats fluechteten auf samnitisches Gebiet. ---------------------------------------------- 8 Schleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit Verwuenschungen der "entlaufenen Sklaven" - demnach roemische - oder mit der Aufschrift entweder: "triff die Picenter" oder "triff den Pompeius" -jene roemische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch jetzt zahlreich in der Gegend von Ascoli. --------------------------------------------- Die roemische Suedarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind besetzte suedliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und zerstoert (30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es scheint bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Laenger widerstand Pompeii. Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz zu bringen, allein er ward von Sulla zurueckgewiesen, und als er, durch Keltenscharen verstaerkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsaechlich durch den Wankelmut dieser unzuverlaessigen Gesellen so vollstaendig geschlagen, dass sein Lager erobert und er selbst mit dem groessten Teil der Seinigen auf der Flucht nach Nola zu niedergehauen ward. Das dankbare roemische Heer verlieh seinem Feldherrn den Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der Soldat geschmueckt wurde, der durch seine Tuechtigkeit eine Abteilung seiner Kameraden gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den Samniten noch besetzten kampanischen Staedte sich aufzuhalten, rueckte Sulla sofort in das innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche Eroberung und fuerchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in der ganzen hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der lucanische Zuzug herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft. Der Pass, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde umgangen, die samnitische Armee im Ruecken angegriffen und geschlagen; das Lager ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rueckte vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die vorgerueckte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende. Es war der vollstaendigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so siegreich, so vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte, so tiefgebeugt, so ueberall geschlagen, so voellig hoffnungslos ging sie aus demselben hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide Kuesten voellig in roemischer Gewalt, die Abruzzen fast vollstaendig, Apulien bis auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Haenden der Roemer und durch die Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den beiden einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der samnitischen und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer erloeschenden ungeheuren Brandstaette; ueberall traf das Auge auf Asche und Truemmer und verglimmende Braende, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen die Flamme empor, aber man war des Feuers ueberall Meister und nirgends drohte mehr Gefahr. Es ist zu bedauern, dass wir die Ursachen dieses ploetzlichen Umschwunges in der oberflaechlichen Ueberlieferung nicht mehr genuegend erkennen. So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas geschickte Fuehrung und namentlich die energischere Konzentrierung der roemischen Streitkraefte, die raschere Offensive wesentlich dazu beigetragen hat, so moegen doch neben den militaerischen auch politische Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht im Spiel gewesen sein; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat der gemeinen Sache in die Reihen der Feinde zu tragen, erfuellt haben, es mag, wie so oft, unter die lose verknuepften aufstaendischen Gemeinden das Unglueck als Apfel der Zwietracht gefallen sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies auf eine sicher unter heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Aufloesung der Italia -, dass die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der Marser landfluechtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich eine andere, rein landschaftliche Organisation gaben und, nachdem die "Italia" ueberwunden war, es unternahmen, als "Safinen" oder Samniten den Kampf noch weiter fortzusetzen 9. Das feste Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuss und 1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven verstaerkt; fuenf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjaehriger Pause die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk abermals, ganz wie im fuenften Jahrhundert, nachdem die italische Konfoederation gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine landschaftliche Unabhaengigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. Allein dieser Entschluss der tapfersten Verzweiflung aenderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende. ---------------------------------------------------- 9 Dieser Epoche muessen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in oskischer Schrift angehoeren; denn solange die Italia von den Insurgenten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveraene Macht Muenzen mit dem eigenen Namen schlagen. ---------------------------------------------------- Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht hatten, an Koenig Mithradates von Pontos den Krieg zu erklaeren und fuer das naechste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee nach Kleinasien zu bestimmen. Waere dieser Krieg ein Jahr frueher zum Ausbruch gekommen, so haette die gleichzeitige Empoerung des halben Italiens und der wichtigsten Provinz dem roemischen Staat eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt, nachdem in dem raschen Sturz der italischen Insurrektion das wunderbare Glueck Roms sich abermals bewaehrt hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg, trotzdem dass er mit dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht eigentlich bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Uebermut die Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von der Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die Zeiten waren nicht mehr, wo man einen italischen und einen ueberseeischen Krieg unbedenklich nebeneinander fuehrte; die Staatskasse war nach zwei Kriegsjahren bereits vollstaendig erschoepft, die Bildung einer neuen Armee neben den bereits im Felde stehenden schien kaum ausfuehrbar. Indes man half sich wie man konnte. Der Verkauf der seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plaetze an die Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2« Mill. Taler) geloest wurden, lieferte die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht gebildet, sondern die in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach Asien sich einzuschiffen, sobald der Stand der Dinge im suedlichen Italien es ihr gestatten wuerde sich zu entfernen; war bei den Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden Armee voraussichtlich bald geschehen konnte. So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter guenstigen Aussichten fuer Rom. Strabo daempfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward. In Apulien machte Cosconius’ Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn des Ueberwinders von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an militaerischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden. In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer Schlacht, die er dem roemischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die Roemer, und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die Samniten auf der Walstatt liessen, war auch Silo. In Kampanien wurden die kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der roemische Feldherr Aulus Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei einem Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der Insurgentenfuehrer Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestoert in der weiten und oeden lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions zu bemaechtigen, den indes der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte. Trotz einzelner Unfaelle naeherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von Nola, die Unterwerfung von Samnium, die Moeglichkeit, ansehnliche Streitkraefte fuer Asien verfuegbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung der Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion unvermutet Luft machte. Rom war in fuerchterlicher Gaerung. Drusus’ Angriff auf die Rittergerichte und sein durch die Ritterpartei bewirkter jaeher Sturz, sodann der zweischneidige Varische Prozesskrieg hatten die bitterste Zwietracht gesaet zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen den Gemaessigten und den Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der Nachgiebigkeit vollstaendig recht gegeben: was sie beantragt hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr als halb gezwungen zugestehen muessen; allein die Art, wie dies Zugestaendnis erfolgt war, trug eben wie die fruehere Weigerung den Charakter des eigensinnigen und kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das gleiche Recht zu gewaehren, hatte man die Zuruecksetzung nur anders formuliert. Man hatte eine grosse Anzahl italischer Gemeinden in den roemischen Buergerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem ehrenruehrigen Makel behaftet, die Neuneben die Altbuerger ungefaehr wie die Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die Gemeinden zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugestaendnis des latinischen Rechts mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem ansehnlichen und nicht dem schlechtesten Teil der Italiker, saemtlichen wieder unterworfenen insurgierten Gemeinden, nicht bloss das Buergerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre ehemaligen, durch den Aufstand vernichteten Vertraege ihnen nicht wieder rechtlich verbrieft, hoechstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf dieselben erneuert ^10. Die Zuruecksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer, als sie bei der damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und die scheinheilige Fuersorge der Regierung fuer die unbefleckte Reinheit der Waehlerschaft jedem Unbefangenen laecherlich erscheinen musste; all jene Beschraenkungen aber waren insofern gefaehrlich, als sie jeden Demagogen dazu einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder gerechten Forderungen der Neubuerger sowohl wie der vom Buergerrecht ausgeschlossenen Italiker seine anderweitigen Zwecke durchzusetzen. Wenn somit die heller sehende Aristokratie diese halben und missguenstigen Konzessionen ebenso unzulaenglich finden musste wie die Neubuerger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermisste sie ferner schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vorzueglichen Maenner, die die Varische Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die zurueckzurufen deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch Volks-, sondern durch Geschworenengerichte verurteilt worden waren; denn sowenig man Bedenken trug, einen Volksschluss auch richterlicher Natur durch einen zweiten zu kassieren, so erschien doch die Kassation eines Geschworenenverdikts durch das Volk eben der besseren Aristokratie als ein sehr gefaehrliches Beispiel. So waren weder die Ultras noch die Gemaessigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden. Aber von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus unfreiwillig zurueckgekommen war, mit dem Bewusstsein, neue Dienste geleistet und dafuer neue schwerste Kraenkungen empfangen zu haben, mit dem bitteren Gefuehle, von den Feinden nicht mehr gefuerchtet, sondern geringgeschaetzt zu werden, mit jenem Wurm der Rache im Herzen, der sich aufnaehrt an seinem eigenen Gifte. Auch von ihm galt, was von den Neubuergern und den Ausgeschlossenen: unfaehig und unbehilflich wie er sich erwiesen hatte, war doch sein populaerer Name in der Hand eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug. ---------------------------------------------- ^10 Dediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus [ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV ... cobortes miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu civltas data est) in teilweise schaerferer Fassung wiedererscheint. Dediticii sind nach roemischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius inst. 13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Roemern untertan geworden und zu keinem Buendnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloss Leben, Freiheit und Eigentum, sondern koennen auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert sein. Apolides, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19, 17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur missbraeuchlich und bei besseren Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12; Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani. Aber die dediticii sind dennoch dem roemischen Staate gegenueber insofern rechtlos, als nach roemischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist (Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdruecklich oder stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen Widerruf zugestanden werden (App. Hisp. 44), der roemische Staat also, was er auch gleich oder spaeter ueber seine Deditizier verhaengen mag, niemals gegen sie eine Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hoert erst auf durch Abschliessung eines Buendnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio und foedus als staatsrechtlich sich ausschliessende Gegenstaende (Liv. 4, 30; 28, 34; Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch der den Juristen gelaeufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner, denn die Latiner sind eben die Foederierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24, 54). Nach dem aelteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen, infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Vertraege verlustig erklaerten Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von 664/65 (90/89) schloss die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber unter den dediticii, die 667 (87) nachtraeglich das Buergerrecht empfingen, doch nicht fueglich bloss die Brettier und Picenter verstanden sein koennen, so wird man annehmen duerfen, dass alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Buergerrecht erworben hatten, als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, dass ihre durch die Insurrektion von selbst kassierten Vertraege (darum qui foederati fuerunt in der angefuehrten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung nicht rechtlich erneuert wurden. --------------------------------------------- Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militaerischen Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in sich trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit waehrend des demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfaehigen Mann ohne Unterschied zum Dienst zuzulassen noetigte und der vor allem unmittelbar in das Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda trug. Bald zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der militaerischen Hierarchie. Waehrend der Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten, mit Steinen und Knuetteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla begnuegte sich, die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung an diesen Vorgang auszuloeschen. Die Urheber dieser Tat waren die Flottensoldaten, von jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine vorwiegend aus dem Stadtpoebel ausgehobene Abteilung der Legionaere dem gegebenen Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius, vergriff sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als Cato dann bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der juengere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet. Zu dieser beginnenden politischen und militaerischen kam die vielleicht noch entsetzlichere oekonomische Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges und der asiatischen Unruhen ueber die roemischen Geldmaenner hereingebrochen war. Die Schuldner, unfaehig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch von ihren Glaeubigern unerbittlich gedraengt, hatten bei dem beikommenden Gerichtsvorstand, dem Stadtpraetor Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen zu koennen, teils die alten verschollenen Zinsgesetze wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Glaeubigern eingeklagt. Asellio gab sich dazu her, das tatsaechlich bestehende Recht durch dessen Buchstaben zu beugen, und instruierte in gewoehnlicher Weise die verlangten Zinsklagen; worauf die verletzten Glaeubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammentaten und den Praetor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der Eintracht ueberfielen und erschlugen - eine Freveltat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665 89). Andererseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, dass der leidenden Menge nicht anders geholfen werden koenne als durch "neue Rechnungsbuecher", das heisst durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen saemtlicher Glaeubiger an saemtliche Schuldner. Es war genau wieder wie waehrend des Staendestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit der befangenen Aristokratie der gedrueckten Menge und der zur Maessigung des starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozess; wieder stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte Schuldner den Glaeubiger mit sich hinabreisst; nur war seitdem an die Stelle der einfach buergerlichen und sittlichen Ordnung einer grossen Ackerstadt die soziale Zerrissenheit einer Kapitale vieler Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Missverhaeltnisse breiter, schroffer, in grauenhafter Weise grossartiger geworden. Indem der Bundesgenossenkrieg all die gaerenden politischen und sozialen Elemente in der Buergerschaft gegeneinander ruettelte, legte er den Grund zu einer neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall. Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei der Buergerschaft die Antraege stellte, jeden Senator, der ueber 2000 Denare (600 Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklaeren; den durch unfreie Geschworenengerichte verurteilten Buergern die Rueckkehr in die Heimat freizugeben; die Neubuerger durch saemtliche Distrikte zu verteilen und ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu gestatten. Es waren Vorschlaege, die aus dem Munde dieses Mannes zum Teil wenigstens ueberraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630 124) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die maechtige Stimme, die lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebaerden, die ueppige Fuelle seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht ueberzeugten. Seiner Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats, und sein erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des der Regierungspartei toedlich verhassten Norbanus gewesen. Unter den Konservativen gehoerte er zu der Fraktion des Crassus und Drusus. Was ihn zunaechst veranlasste, sich fuer das Jahr 666 (88) um das Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen patrizischen Adel abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, dass auch er, wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionaer verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionaer geworden zu sein und keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus beabsichtigt zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen Prozesssturm unversehrt hervorgegangene namhafte Mann der Partei des Crassus und Drusus, sich berufen gefuehlt haben, das Werk des Drusus zu vollenden und die noch bestehenden Zuruecksetzungen der Neubuerger schliesslich zu beseitigen, wozu er des Tribunats bedurfte. Noch aus seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm erwaehnt, die das gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so hinderte er durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluss zu kassieren; und als der gewesene Aedil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit Ueberspringung der Praetur um das Konsulat fuer 667 (87) bewarb, wie es heisst in der Absicht, sich spaeter die Fuehrung des Asiatischen Krieges uebertragen zu lassen, trat, entschlossener und schaerfer als irgendein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte er von sich wie von andern zunaechst und vor allem die Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte er ebensowenig wie Drusus das Unvertraegliche zu vereinigen und die von ihm beabsichtigte, an sich verstaendige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der Altbuergerschaft auf guetlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsaenderung in strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der maechtigen Familie der Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular Lucius Caesar, im Senat sehr einflussreich war, und mit der derselben anhaengenden Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den zornmuetigen Mann durch persoenliche Erbitterung ueber die urspruengliche Absicht hinausgefuehrt. Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Antraege ist doch von der Art, dass sie keineswegs die Persoenlichkeit und die bisherige Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der Neubuerger mit den Altbuergern war nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus entworfenen Antraege zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfuellung der Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurueckrufung der durch die Varischen Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der Unverletzlichkeit des Geschworenenwahrspruchs, fuer den Sulpicius eben noch selbst mit der Tat eingestanden war, aber sie kam zunaechst wesentlich den eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den gemaessigten Konservativen, zugute, und es laesst sich von dem stuermischen Mann recht wohl begreifen, dass er bei seinem ersten Auftreten eine solche Massregel entschieden bekaempfte und dann, ergrimmt ueber den Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte. Die Massregel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel herbeigefuehrt durch die Blosslegung der trotz alles aeusseren Glanzes tief zerruetteten oekonomischen Lage der regierenden Familien bei Gelegenheit der letzten finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen Interesse der Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags sein musste, alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten, ihre Passiva rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der Ueberschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigefuehrten Abhaengigkeit von den reichen Kollegen seinen hauptsaechlichen Halt fand, durch die Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedaempft ward - womit natuerlich nicht geleugnet werden soll, dass Rufus eine den Senat so schroff und gehaessig prostituierende Saeuberung der Kurie, wie er sie vorschlug, ohne seine persoenlichen Zerwuerfnisse mit den herrschenden Koteriehaeuptern sicher niemals beantragt haben wuerde. Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen hatte unzweifelhaft zunaechst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse zu machen; an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen zum Militaerdienst mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts insofern gerechtfertigt, als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen waren. Vor allen Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr wenig darauf an, ob in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die Moeglichkeit, mit den Komitien zu regieren, ward fuer die Oligarchie eher gesteigert als gemindert durch die unbeschraenkte Zulassung der Freigelassenen, welche ja zu einem sehr grossen Teil von den regierenden Familien persoenlich und oekonomisch abhaengig waren und richtig verwandt eben ein Mittel fuer die Regierung abgeben konnten, die Wahlen gruendlicher noch als bisher zu beherrschen. Wider die Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief diese Massregel allerdings wie jede andere politische Beguenstigung des Proletariats; allein sie war auch fuer Rufus schwerlich etwas anderes, als was das Getreidegesetz fuer Drusus gewesen war: ein Mittel, um das Proletariat auf seine Seite zu ziehen und mit dessen Hilfe den Widerstand gegen die beabsichtigten, wahrhaft gemeinnuetzigen Reformen zu brechen. Es liess sich leicht voraussehen, dass dieser nicht gering sein, dass die bornierte Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie vor dem Ausbruch der Insurrektion jetzt nach ihrer Ueberwindung betaetigen, dass die grosse Majoritaet aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten Gefahr gemachten halben Zugestaendnisse im stillen oder auch laut als unzeitige Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich leidenschaftlich widersetzen werde. Drusus’ Beispiel hatte gezeigt, was dabei herauskam, wenn man konservative Reformen allein im Vertrauen auf die Senatsmajoritaet durchzusetzen unternahm; es war vollkommen erklaerlich, dass sein Freund und Gesinnungsgenosse verwandte Absichten in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der Demagogie zu realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Muehe, durch den Koeder der Geschworenengerichte den Senat fuer sich zu gewinnen. Besseren Rueckhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem bewaffneten Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus 3000 gedungenen Leuten und einem "Gegensenat" von 600 jungen Maennern aus der besseren Klasse -, mit dem er in den Strassen und auf dem Markte erschien. Seine Antraege stiessen denn auch auf den entschiedensten Widerstand bei der Majoritaet des Senats, welche zunaechst, um Zeit zu gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und Quintus Pompeius Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog, ausserordentliche religioese Festlichkeiten anzuordnen, waehrend deren die Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen Auflauf, bei welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius, der Sohn des einen und Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand und das Leben der beiden Konsuln selbst ernstlich bedroht ward - Sulla soll sogar nur dadurch gerettet worden sein, dass Marius ihm sein Haus oeffnete. Man musste nachgeben; Sulla verstand sich dazu, die angekuendigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen Antraege gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die Aristokratie geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem Beginn der Revolution - noch eine andere Macht in Italien, die nicht uebersehen werden durfte: die beiden starken und siegreichen Armeen des Prokonsuls Strabo und des Konsuls Sulla. War auch Strabos politische Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl er der offenbaren Gewalt fuer den Augenblick gewichen war, nicht bloss mit der Senatsmajoritaet in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem er die Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner Armee. Den unbewaffneten Konsul durch die Knuettelmaenner oder die wehrlose Hauptstadt durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren, lief am Ende auf dasselbe hinaus; Sulpicius setzte voraus, dass der Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit Gewalt vergelten und an der Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt zurueckkehren werde, um den konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen ueber den Haufen zu werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wuenschte den Krieg gegen Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstaedtischen politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und seiner unuebertroffenen politischen Nonchalance hat es grosse Wahrscheinlichkeit, dass er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, keineswegs beabsichtigte und dass er, wenn man ihn haette gewaehren lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen Belagerung ihn noch beschaeftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien eingeschifft haben wuerde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius entwarf, um den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den Oberbefehl abzunehmen, und liess zu diesem Ende mit Marius sich ein, dessen Name noch immer hinreichend populaer war, um einen Antrag, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu uebertragen, der Menge plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militaerische Stellung und Kapazitaet fuer den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stuetze werden konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfaehigen als rachund ehrsuechtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu stellen, mochte Sulpicius nicht uebersehen und ebensowenig die arge Abnormitaet, einem Privatmann ein ausserordentliches Oberkommando durch Volksschluss zu uebertragen; aber eben Marius’ erprobte staatsmaennische Unfaehigkeit gab eine Art Garantie dafuer, dass er die Verfassung nicht ernstlich wuerde gefaehrden koennen, und vor allem war Sulpicius’ eigene Lage, wenn er Sullas Absichten richtig beurteilte, eine so bedrohte, dass dergleichen Ruecksichten kaum mehr in Betracht kamen. Dass der abgestandene Held selbst bereitwillig jedem entgegenkam, der ihn als Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg geluestete sein Herz seit vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gruendlich abzurechnen mit der Senatsmajoritaet. Demnach erhielt auf Antrag des Sulpicius durch Beschluss des Volkes Gaius Marius mit ausserordentlicher hoechster oder sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der kampanischen Armee und den Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates, und es wurden, um das Heer von Sulla zu uebernehmen, zwei Volkstribune in das Lager von Nola abgesandt. Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen war, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu fuehren, so war es Sulla. Er hatte wenige Jahre zuvor mit dem groessten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz kommandiert: er hatte mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur Ueberwaeltigung der gefaehrlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des Jahres, in welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der hergebrachten Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreundeten und verschwaegerten Kollegen das Kommando in demselben uebertragen worden. Es war ein starkes Ansinnen, einen unter solchen Verhaeltnissen uebernommenen Oberbefehl nach Beschluss der souveraenen Buergerschaft von Rom abzugeben an einen alten militaerischen und politischen Antagonisten, in dessen Haenden die Armee, niemand mochte sagen zu welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten, missbraucht werden konnte. Sulla war weder gutmuetig genug, um freiwillig einem solchen Befehl Folge zu leisten, noch abhaengig genug, um es zu muessen. Sein Heer war, teils infolge der von Marius herruehrenden Umgestaltungen des Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere und militaerisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem Fuehrer unbedingt ergebene und in politischen Dingen indifferente Lanzknechtschar. Sulla selbst war ein blasierter, kalter und klarer Kopf, dem die souveraene roemische Buergerschaft ein Poebelhaufen war, der Held von Aquae Sextiae ein bankrotter Schwindler, die formelle Legalitaet eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne Besatzung und mit halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von Rom angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen anzudeuten, dass der neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern andere, neu gebildete Truppen nach Kleinasien fuehren werde. Die hoeheren Offiziere, immer noch mehr Buerger als Militaers, hielten sich zurueck, und nur ein einziger von ihnen folgte dem Feldherrn gegen die Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach frueheren Erfahrungen in Asien einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu finden hofften, brausten auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen Tribune zerrissen und von allen Seiten erscholl der Zuruf, dass der Feldherr sie auf Rom zu fuehren moege. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs seinen Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen Maerschen, wenig sich kuemmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden Abgesandten, die ihn aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der Hauptstadt. Unerwartet sah man Sullas Heersaeulen sich aufstellen an der Tiberbruecke und am Collinischen und Esquilinischen Tore und sodann zwei Legionen in Reih’ und Glied, ihre Feldzeichen voran, den Befriedeten Mauerring ueberschreiten, jenseits dessen das Gesetz den Krieg gebannt hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende Fehden waren innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne dass ein roemisches Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen haette; jetzt geschah es, zunaechst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier berufen sei, im Osten zu kommandieren. Die einrueckenden Legionen gingen vor bis auf die Hoehe des Esquilin; als die von den Daechern heranregnenden Geschosse und Steine die Soldaten unsicher machten und sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst die flammende Fackel und, mit Brandpfeilen und Anzuendung der Haeuser drohend, brachen die Legionen sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S. Maria Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden Kolonnen durch die Ueberzahl zurueck. Aber von den Toren kam denselben Verstaerkung; eine andere Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der Suburastrasse die Verteidiger zu umgehen; sie mussten zurueck. Am Tempel der Tellus, wo der Esquilin anfaengt sich gegen den Grossen Marktplatz zu senken, versuchte Marius noch einmal sich zu setzen; er beschwor Senat und Ritter und die gesamte Buergerschaft, den Legionen sich entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Buergern in Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die Sklaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu bewaffnen, erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Fuehrern nichts uebrig, als eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen; nach wenigen Stunden war Sulla unumschraenkter Herr von Rom. Diese Nacht brannten die Wachfeuer der Legionen auf dem Grossen Marktplatz der Hauptstadt. Die erste militaerische Intervention in den buergerlichen Fehden hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl dass die politischen Kaempfe auf dem Punkt angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die Entscheidung gibt, als auch dass die Gewalt des Knuettels nichts ist gegen die Gewalt des Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums ueber den, der zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfuellt hat. Fuer jetzt triumphierte sie vollstaendig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber formulieren. Von selbst verstand es sich, dass die Sulpicischen Gesetze als von Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhaenger hatten sich gefluechtet; sie wurden, zwoelf an der Zahl, von dem Senat als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf ebenderselben Rednerbuehne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage zuvor in voller Jugendund Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geaechteten wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Moerder auf den Fersen. Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette von Erbaermlichkeiten getruebt haben mochte, jetzt, wo der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae und mit atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um nach Afrika zu segeln; allein widrige Winde und Mangel an Vorraeten zwangen ihn, am Circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glueck in die Irre zu gehen. Von wenigen begleitet und keinem Dach sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu Fuss, oft vom Hunger gepeinigt, in die Naehe der roemischen Kolonie Minturnae an der Muendung des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden Reiter; mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die aengstlichen Schiffer legten bald wieder an und suchten das Weite, waehrend Marius am Strande schlief. In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Guertel in den Schlamm versunken und das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen, fanden ihn seine Verfolger und lieferten ihn ab an die Stadtbehoerde von Minturnae. Er ward ins Gefaengnis gelegt und der Stadtbuettel, ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten; allein der Deutsche erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und das Beil entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu toeten. Als man dies vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, dass der Retter Roms groessere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die Knechtschaft, als bei den Mitbuergern, denen er die Freiheit gebracht hatte; sie loesten seine Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und sandten ihn nach Aenaria (Ischia). Die Verbannten mit Ausnahme des Sulpicius fanden in diesen Gewaessern sich allmaehlich zusammen; sie liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an, allein die roemischen Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurueck. So entrannen sie nach Numidien, dessen oede Strandduenen ihnen einen Zufluchtsort fuer den Winter gewaehrten. Allein der Koenig Hiempsal II., den sie zu gewinnen hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben hatte, mit ihnen sich verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um sie sicher zu machen, und versuchte jetzt, sich ihrer Personen zu bemaechtigen. Mit genauer Not entrannen die Fluechtlinge seinen Reitern und fanden vorlaeufig eine Zuflucht auf der kleinen Insel Kerkina (Kerkena) an der tunesischen Kueste. Wir wissen es nicht, ob Sulla seinem Gluecksstern auch dafuer dankte, dass es ihm erspart blieb, den Kimbrersieger toeten zu lassen; wenigstens scheint es nicht, dass die minturnensischen Beamten bestraft worden sind. Um die vorhandenen Uebelstaende zu beseitigen und kuenftige Umwaelzungen zu verhueten, veranlasste Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Fuer die bedraengten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als dass man die Vorschriften ueber das Zinsmaximum einschaerfte ^11; ausserdem wurde die Ausfuehrung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat ward ergaenzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl natuerlich im optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der legislatorischen Initiative wesentliche Aenderungen vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der die erste Steuerklasse mit einem Vermoegen von 100000 Sesterzen (7600 Talern) oder darueber allein fast die Haelfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die Stelle der im Jahre 513 (241) eingefuehrten, das Uebergewicht der ersten Klasse mildernden Ordnungen. Tatsaechlich ward damit fuer die Wahl der Konsuln, Praetoren und Zensoren ein Zensus eingefuehrt, der die nicht Wohlhabenden vom aktiven Wahlrecht der Sache nach ausschloss. Die legislatorische Initiative wurde den Volkstribunen dadurch beschraenkt, dass jeder Antrag fortan von ihnen zunaechst dem Senat vorgelegt werden musste und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, an das Volk gelangen konnte. ------------------------------------------------ ^11 Klar ist es nicht, was das "Zwoelftelgesetz’, der Konsuln Sulla und Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so dass der hoechste erlaubte Zinsfuss wieder 1/12 des Kapitals fuer das zehnmonatliche oder 10 Prozent fuer das zwoelfmonatliche Jahr ward. ------------------------------------------------- Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen Verfuegungen desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz eigentuemlichen Charakter. Sulla wagte es, ohne die Buergerschaft oder Geschworene zu fragen, ueber zwoelf der angesehensten Maenner, darunter fungierende Beamte und den beruehmtesten General seiner Zeit, das Todesurteil zu verhaengen und oeffentlich zu diesen Aechtungen sich zu bekennen, eine Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die selbst von sehr konservativen Maennern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende Wahlordnung umzustossen und den seit langem verschollenen und verfemten Wahlzensus wiederherzustellen. Er wagte es, das Recht der Legislation seinen beiden uralten Faktoren, den Beamten und den Komitien, tatsaechlich zu entziehen und es auf eine Behoerde zu uebertragen, die zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu koennen. Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geuebt, mit so ruecksichtsloser Kuehnheit an den Fundamenten der Verfassung geruettelt und gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen Ergebnissen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche, in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen, die Schuld, ueberwunden zu sein, gleichsam als ein Verbrechen buessen. Wer sich erinnert an die prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, der fuehlt sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der Offenheit und der relativen Maessigung zu erteilen, indem er einmal ohne viel Umstaende das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die geschlagenen Maenner als rechtlose Feinde in die Acht erklaerte; zweitens die Zahl der Opfer moeglichst beschraenkte und wenigstens das widerliche Wueten gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine aehnliche Maessigung zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung hinsichtlich der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste, brachte in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben in Einklang. Die roemische Legislation, wo jeder Konsul, Praetor oder Tribun jede beliebige Massregel bei der Buergerschaft beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus unvernuenftig gewesen und mit der steigenden Nullitaet der Komitien es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil faktisch der Senat sich das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und regelmaessig den ohne solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag erstickte durch politische oder religioese Interzession. Diese Daemme hatte die Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System an, seine Konsequenzen vollstaendig und jedem mutwilligen Buben den Umsturz des Staats in formell legaler Weise moeglich zu machen. Was war unter solchen Umstaenden natuerlicher, notwendiger, im rechten Sinne konservativer, als die bisher auf Umwegen realisierte Legislation des Senats jetzt foermlich und ausdruecklich anzuerkennen? Etwas Aehnliches gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die aeltere Verfassung ruhte durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241) hatte die Bevorzugung der Vermoegenden nur beschraenkt. Aber seit diesem Jahr war eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhoehung des Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie aenderte also den Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben treu zu bleiben, indem sie zugleich dem schaendlichen Stimmenkauf samt allem, was daran hing, in der moeglichst milden Form zu wehren wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner, die Wiederaufnahme der Kolonisationsplaene gaben den redenden Beweis, dass Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius’ leidenschaftlichen Antraegen beizupflichten, doch eben wie er und wie Drusus, wie ueberhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht uebersehen werden darf, dass er diese Massregel nach dem Siege und durchaus freiwillig beantragte. Wenn man hiermit verbindet, dass Sulla die hauptsaechlichen Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen liess und weder an den Rittergerichten noch an den Kornverteilungen ruettelte, so wird man das Urteil gerechtfertigt finden, dass die Sullanische Ordnung von 666 (86) an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment zunaechst Gefahr drohenden ueberlieferten Satzungen zeitgemaess aenderte, teils den vorhandenen sozialen Uebeln nach Kraeften abzuhelfen suchte, soweit beides sich tun liess, ohne die tieferliegenden Schaeden zu beruehren. Energische Verachtung des konstitutionellen Formalismus in Verbindung mit einem lebendigen Gefuehl fuer den inneren Gehalt der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und loebliche Absichten bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse Leichtfertigkeit und Oberflaechlichkeit, wie denn namentlich sehr viel guter Wille dazu gehoerte, um zu glauben, dass die Feststellung des Zinsmaximums den verwirrten Kreditverhaeltnissen aufhelfen und dass das Vorberatungsrecht des Senats sich gegen die kuenftige Demagogie widerstandsfaehiger erweisen werde als bisher das Interzessionsrecht und die Religion. In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhaeltnisse nahmen einen immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, dass die Sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzoegert hatte, den schwersten Schaden erlitten; die Einschiffung konnte auf keinen Fall laenger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla teils in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewaehlt wuerden, teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen Insurrektion beschaeftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf die Oligarchie in Italien zurueckzulassen. Allein in den Konsularkomitien fiel die Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten Kandidaten, sondern neben Gnaeus Octavius, einem allerdings streng optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius Cornelius Cinna, der zur entschiedensten Opposition gehoerte. Vermutlich war es hauptsaechlich die Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des Zinsgesetzes vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklaerung hin, dass es ihn freue, die Buerger von ihrer verfassungsmaessigen Wahlfreiheit Gebrauch machen zu sehen, und begnuegte sich, beiden Konsuln den Schwur abzunehmen auf treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den Armeen kam es vornehmlich auf die Nordarmee an, da die kampanische groessten teils nach Asien abzugehen bestimmt war. Sulla liess durch Volksschluss das Kommando ueber jene auf seinen treuergebenen Kollegen Quintus Rufus uebertragen und den bisherigen Feldherrn Gnaeus Strabo in moeglichst schonender Weise zurueckrufen, um so mehr als dieser der Ritterpartei angehoerte und seine passive Haltung waehrend der Sulpicischen Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt hatte. Rufus traf bei dem Heer ein und uebernahm an Strabos Stelle den Oberbefehl; allein wenige Tage nachher ward er von den Soldaten erschlagen und Strabo trat wieder zurueck in das kaum abgegebene Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiss ist es, dass er ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die Fruechte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten strafte. Fuer Sulla war Rufus’ Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft eine neue und ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando abzunehmen. Als bald darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich einerseits von seinem Nachfolger Cinna gedraengt, endlich nach Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings dringend not tat, andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht geladen; es war dem bloedesten Auge klar, dass ein neuer Sturm gegen ihn und seine Partei sich vorbereitete und dass die Gegner seine Entfernung wuenschten. Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu treiben und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen Angelegenheiten gehen zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach einem andern Weltteil sich zu entfernen. Sulla entschied sich - ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus Indifferenz, wird nie ausgemacht werden - fuer die letztere Alternative, uebergab das in Samnium zurueckbleibende Korps dem zuverlaessigen und kriegskundigen Quintus Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen Oberbefehl in Unteritalien uebernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem Propraetor Appius Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen Legionen nach dem hellenischen Osten sich ein. 8. Kapitel Der Osten und Koenig Mithradates Die atemlose Spannung, in welcher die Revolution mit ihrem ewig sich erneuernden Feuerlaerm und Loeschruf die roemische Regierung erhielt, war die Ursache, dass dieselbe die Provinzialverhaeltnisse ueberhaupt aus den Augen verlor, am meisten aber die des asiatischen Ostens, dessen ferne und unkriegerische Nationen nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die transalpinischen Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdraengten. Nach der Einziehung des Attalischen Koenigreiches, die mit dem Ausbruch der Revolution zusammenfaellt, ist ein volles Menschenalter hindurch kaum irgendeine ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen Angelegenheiten nachzuweisen, mit Ausnahme der durch die masslose Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den Roemern abgedrungenen Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102), welche der Sache nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden Station fuer eine kleine roemische Heerund Flottenabteilung in den oestlichen Gewaessern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100) die Restaurationsregierung einigermassen konsolidiert hatte, begann die roemische Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige Aufmerksamkeit zuzuwenden. In vieler Hinsicht waren die Verhaeltnisse noch, wie wir dreissig Jahre zuvor sie verliessen. Das Reich Aegypten mit seinen beiden Nebenlaendern Kyrene und Kypros loeste mit dem Tode Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils tatsaechlich sich auf. Kyrene kam an den natuerlichen Sohn desselben, Ptolemaeos Apion, und trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem haderten die Witwe des letzten Koenigs, Kleopatra (+ 665 89), und dessen beide Soehne Soter II. Lathyros (+ 673 81) und Alexander I. (+ 666 88), was die Ursache ward, dass auch Kypros auf laengere Zeit von Aegypten sich schied. Die Roemer griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im Jahre 658 (96) das Kyrenische Reich durch das Testament des kinderlosen Koenigs Apion anfiel, schlugen sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber ueberliessen doch die Landschaft im wesentlichen sich selbst, indem sie die griechischen Staedte des Reiches, Kyrene, Ptolemais, Berenike, zu Freistaedten erklaerten und denselben sogar die Nutzung der koeniglichen Domaenen ueberwiesen. Die Oberaufsicht des Statthalters von Africa ueber dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch weit mehr eine bloss nominelle als die des Statthalters von Makedonien ueber die hellenischen Freistaedte. Die Folgen dieser Massregel, die ohne Zweifel nicht aus dem Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwaeche und Nachlaessigkeit der roemischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die unter gleichen Verhaeltnissen in Hellas eingetreten waren: Buergerkriege und Usurpation zerrissen die Landschaft so, dass, als dort zufaellig im Jahre 668 (86) ein hoeherer roemischer Offizier erschien, die Einwohner ihn dringend ersuchten, ihre Verhaeltnisse zu ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen zu begruenden. Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten besser geworden. Waehrend des zwanzigjaehrigen Erbfolgekrieges der beiden Halbbrueder Antiochos Grypos (+ 658 96) und Antiochos von Kyzikos (+ 659 95), der sich nach dem Tode derselben auf ihre Soehne forterbte, ward das Reich, um das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die kilikischen Seekoenige, die Araberscheichs der syrischen Wueste, die Fuersten der Juden und die Magistrate der groesseren Staedte in der Regel mehr zu sagen hatten als die Traeger des Diadems. Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Roemer sich fest und ging das wichtige Mesopotamien definitiv ueber an die Parther. Die Monarchie der Arsakiden hatte, ha uptsaechlich infolge der Einfaelle turanischer Staemme, um die Zeit der Gracchen eine gefaehrliche Krise durchzumachen gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Grosse (630 ? - 667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine ueberwiegende Stellung in Innerasien zurueckgegeben, die Skythen zurueckgeschlagen und gegen Syrien und Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen das Ende seines Lebens laehmten neue Unruhen sein Regiment; und waehrend die Grossen des Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den Koenig sich auflehnten und endlich dieser Bruder ihn stuerzte und toeten liess, erhob sich das bis dahin unbedeutende Armenien. Dieses Land, das seit seiner Selbstaendigkeitserklaerung in die nordoestliche Haelfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die suedwestliche oder Sophene, das Reich der Zariadriden, geteilt gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94) zum erstenmal zu einem Koenigreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung, teils die Schwaeche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen Koenig von ganz Armenien moeglich, nicht bloss aus der Klientel der Parther sich zu loesen und die frueher an sie abgetretenen Landschaften zurueckzugewinnen, sondern sogar das Oberkoenigtum von Asien, wie es von den Achaemeniden auf die Seleukiden und von diesen auf die Arsakiden uebergegangen war, an Armenien zu bringen. In Kleinasien endlich bestand die Laenderteilung, wie sie nach der Aufloesung des Attalischen Reiches unter roemischer Einwirkung festgestellt worden war, noch wesentlich ungeaendert. In dem Zustande der Klientelstaaten, der Koenigreiche Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fuerstentuemer Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen Staedtebuende und Freistaedte, war eine aeusserliche Aenderung zunaechst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der roemischen Herrschaft allerdings ueberall sich wesentlich umgestaltet. Teils durch die bei jedem tyrannischen Regiment naturgemaess eintretende stetige Steigerung des Druckes, teils durch die mittelbare Einwirkung der roemischen Revolution - man erinnere sich an die Einziehung des Bodeneigentums in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die roemischen Zehnten und Zoelle und an die Menschenjagden, die die Zoellner daselbst nebenbei betrieben - lastete die schon von Haus aus schwer ertraegliche roemische Herrschaft in einer Weise auf Asien, dass weder die Koenigskrone noch die Bauernhuette daselbst mehr sicher war vor Konfiskation, dass jeder Halm fuer den roemischen Zehntherrn zu wachsen, jedes Kind freier Eltern fuer die roemischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der Asiate in seiner unerschoepflichen Passivitaet auch diese Qual; allein es waren nicht Geduld und Ueberlegung, die ihn ruhig tragen hiessen, sondern der eigentuemlich orientalische Mangel der Initiative, und es konnten in diesen friedlichen Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat, der es verstand, das Zeichen zu geben. Es regierte damals im Reiche Pontus Koenig Mithradates VI. mit dem Beinamen Eupator (geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von vaeterlicher Seite im sechzehnten Glied auf den Koenig Dareios Hystaspes’ Sohn, im achten auf den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I., zurueckfuehrte, von muetterlicher den Alexandriden und Seleukiden entstammte. Nach dem fruehen Tode seines Vaters Mithradates Euergetes, der in Sinope von Moerderhand fiel, war er um 634 (120) als elfjaehriger Knabe Koenig genannt worden; allein das Diadem brachte ihm nur Not und Gefahr. Die Vormuender, ja, wie es scheint, die eigene, durch des Vaters Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem koeniglichen Knaben nach dem Leben; es wird erzaehlt, dass er, um den Dolchen seiner gesetzlichen Beschuetzer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht fuer Nacht die Ruhestaette wechselnd, ein Fluechtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses Jaegerleben gefuehrt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann. Wenngleich unsere Berichte ueber ihn im wesentlichen auf schriftliche Aufzeichnungen der Zeitgenossen zurueckgehen, so hat nichtsdestoweniger die im Orient blitzschnell sich bildende Sage den maechtigen Koenig frueh geschmueckt mit manchen der Zuege ihrer Simson und Rustem; aber auch diese gehoeren zum Charakter ebenwie die Wolkenkrone zum Charakter der hoechsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes erscheinen in beiden Faellen nur farbiger und phantastischer, nicht getruebt noch wesentlich geaendert. Die Waffenstuecke, die dem riesengrossen Leibe des Koenigs Mithradates passten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr noch der Italiker. Als Laeufer ueberholte er das schnellste Wild; als Reiter baendigte er das wilde Ross und vermochte mit gewechselten Pferden an einem Tage 25 deutsche Meilen zurueckzulegen; als Wagenlenker fuhr er mit sechzehn und gewann im Wettrennen manchen Preis - freilich war es gefaehrlich, in solchem Spiel dem Koenig obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde herab, ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen - er veranstaltete wohl Wettschmaeuse und gewann darin selber die fuer den derbsten Esser und fuer den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - und nicht minder in den Freuden des Harems, wie unter anderm die zuegellosen Billets seiner griechischen Maetressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. Seine geistigen Beduerfnisse befriedigte er im wuestesten Aberglauben -Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen fuellten nicht wenige der Stunden des Koenigs aus - und in einer rohen Aneignung der hellenischen Zivilisation. Er liebte griechische Kunst und Musik, das heisst er sammelte Pretiosen, reiches Geraet, alte persische und griechische Prachtstuecke - sein Ringkabinett war beruehmt -, hatte stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen fuer Esser und Trinker auch welche aus fuer den drolligsten Spassmacher und den besten Saenger. So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im Orient, wo das Verhaeltnis des Herrschers und der Beherrschten mehr den Charakter des Naturals des sittlichen Gesetzes traegt, ist der Untertan huendisch treu und huendisch falsch, der Herrscher grausam und misstrauisch. In beiden ist Mithradates kaum uebertroffen worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft wegen wirklicher oder angeblicher Verraeterei seine Mutter, sein Bruder, seine ihm vermaehlte Schwester, drei seiner Soehne und ebenso viele seiner Toechter. Vielleicht noch empoerender ist es, dass sich unter seinen geheimen Papieren im voraus aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner vertrautesten Diener vorfanden. Ebenso ist es echt sultanisch, dass er spaeterhin, nur um seinen Feinden die Siegestrophaeen zu entziehen, seine beiden griechischen Gattinnen, seine Schwestern und seinen ganzen Harem toeten liess und den Frauen nur die Wahl der Todesart freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschaefte und versuchte, seinen Koerper an einzelne Gifte zu gewoehnen. Verrat und Mord hatte er von frueh auf von jedermann und zumeist von den Naechsten erwarten und gegen jedermann und zumeist gegen die Naechsten ueben gelernt, wovon denn die notwendige und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, dass all seine Unternehmungen schliesslich misslangen durch die Treulosigkeit seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Zuege von hochherziger Gerechtigkeit; wenn er Verraeter bestrafte, schonte er in der Regel diejenigen, welche nur durch ihr persoenliches Verhaeltnis zu dem Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfaelle von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in der Tat auszeichnet unter der grossen Anzahl gleichartiger Sultane, ist seine grenzenlose Ruehrigkeit. Eines schoenen Morgens war er aus seiner Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so dass man ihn bereits verloren gab; als er zurueckkam, hatte er unerkannt ganz Vorderasien durchwandert und Land und Leute ueberall militaerisch erkundet. Von gleicher Art ist es, dass er nicht bloss ueberhaupt ein redefertiger Mann war, sondern auch den zweiundzwanzig Nationen, ueber die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht sprach, ohne eines Dolmetschers zu beduerfen - ein bezeichnender Zug fuer den regsamen Herrscher des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter traegt seine ganze Regententaetigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren Verwaltung schweigt unsere Ueberlieferung leider durchaus -, geht sie auf wie die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schaetzen, im Zusammentreiben der Heere, die wenigstens in seinen frueheren Jahren gewoehnlich nicht der Koenig selbst, sondern irgendein griechischer Condottiere gegen den Feind fuehrt, in dem Bestreben, neue Satrapien zu den alten zu fuegen; von hoeheren Elementen, Foerderung der Zivilisation, ernstlicher Fuehrerschaft der nationalen Opposition, eigenartiger Genialitaet finden sich, in unserer Ueberlieferung wenigstens, bei Mithradates keine bewussten Spuren, und wir haben keinen Grund, auch nur mit den grossen Regenten der Osmanen, wie Muhamed II. und Suleiman waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der hellenischen Bildung, die ihm nicht viel besser sitzt als seinen Kappadokiern die roemische Ruestung, ist er durchaus ein Orientale gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit, aberglaeubisch, grausam, treuund ruecksichtslos, aber so kraeftig organisiert, so gewaltig physisch begabt, dass sein trotziges Umsichschlagen, sein unverwuestlicher Widerstandsmut haeufig wie Talent, zuweilen sogar wie Genie aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, dass waehrend der Agonie der Republik es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in den Zeiten Scipios oder Traians, und dass nur die Verschlingung der asiatischen Ereignisse mit den inneren Bewegungen Italiens es Mithradates moeglich machte, doppelt so lange als Jugurtha den Roemern zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr, dass bis auf die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den Roemern ernstlich zu schaffen gemacht, und dass er gegen sie sich gewehrt hat wie gegen den Jaeger der Loewe der Wueste. Aber mehr als solchen naturkraeftigen Widerstand sind wir nach dem, was vorliegt, auch nicht berechtigt, in ihm zu erkennen. Indes wie man immer ueber die Individualitaet des Koenigs urteilen moege, seine geschichtliche Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die Mithradatischen Kriege sind zugleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen Gegensaetzen beruhenden Auflehnung gegen die roemische Suprematie, der nationalen Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herrschend am Hofe und ueberhaupt unter den Vornehmen, die Religion der Landesbewohner wie die offizielle des Hofes vorwiegend der alte Nationalkult; der Hellenismus daselbst war wenig verschieden von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen kurzen Augenblick fuer ihre politischen Traeume an diesem Koenig einen Halt zu finden meinen; in der Tat ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als worueber auf den Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem ungeheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von den Kaempfen bei Marathon auf die heutige Generation sich vererbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden zaehlen mag wie seine Vergangenheit. So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun des kappadokischen Koenigs das fremdartige und unhellenische Wesen hervortritt, so schwierig ist es, das hier obwaltende nationale Element bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen, in dieser Hinsicht ueber Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen Anschauung zu gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es keinen Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster Zeit mannigfaltig verschlungene Staemme nebenund durcheinander geschoben und wo demzufolge die Verhaeltnisse der Nationalitaeten weniger klar waeren wie in Kleinasien. Die semitische Bevoelkerung setzt sich von Syrien her in ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien fort, und es scheint ihr ferner auch an der Ostkueste in der karischen lydischen Landschaft der Grundstock der Bevoelkerung anzugehoeren, waehrend die nordwestliche Spitze von den Bithynern, den Stammverwandten der europaeischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das Binnenland und die Nordkueste sind vorwiegend von indogermanischen, am naechsten den iranischen verwandten Voelkerschaften erfuellt. Von der armenischen und der phrygischen Sprache ^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen hoechstwahrscheinlich, dass sie zunaechst an das Zend grenzten; und wenn von den Mysern angegeben wird, dass bei ihnen lydische und phrygische Sprache sich begegneten, so bezeichnet dies eben eine semitisch-iranische, etwa der assyrischen vergleichbare Mischbevoelkerung. Was die zwischen Kilikien und Karien sich ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so mangelt es, trotz der gerade hier in Fuelle vorhandenen Ueberreste einheimischer Sprache und Schrift, bis jetzt ueber dieselbe noch an gesicherten Ergebnissen, und es ist nur wahrscheinlich, dass diese Staemme eher den Indogermanen als den Semiten zuzuzaehlen sind. Wie dann ueberall dieses Voelkergewirre sich zuerst ein Netz griechischer Kaufstaedte, sodann der durch das kriegerische wie das geistige Uebergewicht der griechischen Nation ins Leben gerufene Hellenismus gelegt hat, ist in seinen Umrissen bereits frueher auseinandergesetzt worden. ------------------------------------------ ^1 Die als phrygisch angefuehrten Woerter Bagaios = Zeus und der alte Koenigsname Manis sind unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und das deutsche Mannus, indisch Manus zurueckgefuehrt worden. Chr. Lassen in: ZDMG, 10, 1888, S. 329f. ------------------------------------------ In diesen Gebieten herrschte Koenig Mithradates und zwar zunaechst in Kappadokien am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo, am nordoestlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in steter Beruehrung, sich die iranische Nationalitaet vermutlich minder gemischt als irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal der Hellenismus war hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Kueste, wo mehrere urspruenglich griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplaetze Trapezus, Amisos und vor allem die Geburtsund Residenzstadt Mithradats und die bluehendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr primitiven Zustand. Nicht als haette es wuest gelegen; vielmehr wie die pontische Landschaft noch heute eine der lachendsten der Erde ist, in der Getreidefelder mit Waeldern von wilden Obstbaeumen wechseln, war sie ohne Zweifel auch zu Mithradates’ Zeit wohl bebaut und verhaeltnismaessig auch bevoelkert. Allein eigentliche Staedte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die den Ackerleuten als Zufluchtsstaetten und dem Koenig als Schatzkammern zur Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in Kleinarmenien fuenfundsiebzig solcher kleiner koeniglicher Kastelle gezaehlt wurden. Wir finden nicht, dass Mithradates wesentlich dazu getan haette, das staedtische Wesen in seinem Reiche emporzubringen; und wie er gestellt war, in tatsaechlicher, wenn auch vielleicht ihm selbst nicht voellig bewusster Reaktion gegen den Hellenismus, begreift sich dies wohl. Um so taetiger erscheint er, gleichfalls in ganz orientalischer Weise, bemueht, sein Reich, das schon nicht klein war, wenn auch der Umfang desselben wohl uebertrieben auf 500 deutsche Meilen angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine Flotten und seine Botschafter taetig. Nirgends aber bot sich ihm ein so freier und so weiter Spielraum wie an den oestlichen und den noerdlichen Gestaden des Schwarzen Meeres, auf deren damalige Zustaende hier einen Blick zu werfen nicht unterlassen werden darf, so schwierig oder vielmehr unmoeglich es ist, ein wirklich anschauliches Bild davon zu geben. An dem oestlichen Ufer des Schwarzen Meeres, das bisher fast unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde aufgeschlossen ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen Fuersten entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. Folgenreicher noch waren seine Unternehmungen in den noerdlichen Landschaften 2. Die weiten huegelund waldlosen Steppen, die sich noerdlich vom Schwarzen Meer, vom Kaukasus und von der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich wegen der zwischen dem Klima von Stockholm und von dem von Madeira schwankenden Temperaturdifferenz und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und laenger anhaltenden absoluten Regenund Schneelosigkeit, fuer den Ackerbau und ueberhaupt fuer feste Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer, wenngleich vor zweitausend Jahren die klimatischen Verhaeltnisse vermutlich etwas weniger unguenstig standen, als dies heutzutage der Fall ist 3. Die verschiedenen Staemme, die der Wandertrieb in diese Gegenden gefuehrt hatte, fuegten sich diesem Gebot der Natur und fuehrten und fuehren zum Teil noch jetzt ein wanderndes Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinderoder haeufiger noch mit ihren Rossherden Wohnund Weideplaetze wechselten und ihr Geraet auf Wagenhaeusern sich nachfuehrten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete sich hiernach: die Bewohner dieser Steppen fochten grossenteils beritten und immer aufgeloest, mit Helm und Panzer von Leder und lederueberzogenem Schild geruestet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und Bogen - die Vorfahren der heutigen Kosaken. Den urspruenglich hier ansaessigen Skythen, die mongolischer Rasse und in Sitte und Koerpergestalt den heutigen Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu sein scheinen, hatten sich, von Osten nach Westen vorrueckend, sarmatische Staemme nachgeschoben, Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich fuer slawischer Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen, welche man ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und persischen sich verwandt zeigen und vielleicht jene Voelker vielmehr dem grossen Zendstamme angehoert haben. In entgegengesetzter Richtung fluteten thrakische Schwaerme, namentlich die Geten, die bis zum Dnjestr gelangten; dazwischen draengten sich, wahrscheinlich als Auslaeufer der grossen germanischen Wanderung, deren Hauptmasse das Schwarze Meer nicht beruehrt zu haben scheint, am Dnjepr sogenannte Kelten, ebendaselbst die Bastarner, an der Donaumuendung die Peukinen. Ein eigentlicher Staat bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm unter seinen Fuersten und Aeltesten fuer sich. Zu all diesen Barbaren in scharfem Gegensatz standen die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des gewaltigen Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an diesen Gestaden gegruendet worden waren, teils als Emporien, teils als Stationen fuer den wichtigen Fischfang und selbst fuer den Ackerbau, fuer welchen, wie schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des Schwarzen Meeres im Altertum minder unguenstige Verhaeltnisse darbot, als dies heutzutage der Fall ist; fuer die Benutzung des Bodens zahlten hier die Hellenen, wie die Phoeniker in Libyen, den einheimischen Herren Schoss und Grundzins. Die wichtigsten dieser Ansiedlungen waren die Freistadt Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet der Skythen in der Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht vorteilhaften Verhaeltnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist ihrer Buerger in maessigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der gegenueberliegenden Seite der Halbinsel an der Strasse von dem Schwarzen in das Asowsche Meer Pantikapaeon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297) Roms regiert von erblichen Buergermeistern, spaeter bosporanische Koenige genannt, den Archaeanaktiden, Spartokiden und Paerisaden. Der Getreidebau und der Fischfang im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell zur Bluete gebracht. Ihr Gebiet umfasste in der Mithradatischen Zeit noch die kleinere Osthaelfte der Krim mit Einschluss der Stadt Theodosia und auf dem gegenueberliegenden asiatischen Kontinent die Stadt Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten hatten die Herren von Pantikapaeon zu Lande die Voelker an der Ostkueste des Asowschen Meeres und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze Meer beherrscht; allein Pantikapaeon war nicht mehr, was es gewesen war. Nirgends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den traurigen Rueckgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der fuehrenden Macht erfuellte, die allerdings auch den Athenern durch ihren Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt wurden. Von dem Sturz der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im ganzen sich selbst ueberlassen. Die griechischen Landmaechte sind nie dazu gelangt, ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders, und Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Roemer, auf welche mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung ueberging, hier, wo die griechische Zivilisation dessen bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlaessigten voellig das Gebot des Vorteils wie der Ehre. Der Fall von Sinope, das Sinken von Rhodos vollendeten die Isolierung der Hellenen am Nordgestade des Schwarzen Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenueber gibt uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dnjeprmuendung bei Ocakov), die nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit gesetzt zu sein scheint. Die Buergerschaft muss dem Barbarenkoenig nicht bloss jaehrlichen Zins an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in aehnlicher Weise auch geringere Haeuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr uebel, wenn die Gabe zu geringfuegig erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott, und man muss die Tempelkleinode zum Pfand setzen. Inzwischen draengen draussen vor den Toren sich die Staemme der Wilden: das Gebiet wird verwuestet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja, was das aergste ist, die schwaecheren der barbarischen Nachbarn, die Skythen, suchen, um vor dem Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt sich zu bemaechtigen, so dass zahlreiche Buerger dieselbe verlassen und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben. --------------------------------------------- 2 Sie sind hier zusammengefasst, da sie freilich zum Teil erst zwischen den ersten und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und eine Erzaehlung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings nicht durchfuehren laesst. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos hat in dieser Hinsicht keinen Aufschluss gegeben. Danach ist Diophantos zweimal gegen die taurischen Skythen gesandt worden; aber dass die zweite Schilderhebung derselben mit dem Beschluss des roemischen Senats zu Gunsten der skythischen Fuersten in Verbindung steht, erhellt aus der Urkunde nicht und ist nicht einmal wahrscheinlich. 3 Es hat viele Wahrscheinlichkeit, dass die ungemeine Trockenheit, die vornehmlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden ueberhaupt erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Waelder des mittleren und suedlichen Russland, die ehemals bis zu einem gewissen Grad die Kuestenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind schuetzten. --------------------------------------------- Diese Zustaende fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm des Kaukasus ueberschreitend hinabstieg in die Taeler des Kuban und Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewaessern der Krim sich zeigte. Kein Wunder, dass auch hier ueberall, wie es schon in Dioskurias geschehen war, die Hellenen den pontischen Koenig mit offenen Armen empfingen und in dem Halbhellenen und seinen griechisch geruesteten Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es zeigte sich, was Rom hier versaeumt hatte. Den Herren von Pantikapaeon waren ebendamals die Tributforderungen zu unerschwinglicher Hoehe gesteigert worden; die Stadt Chersonesos sah sich von dem Koenig der auf der Halbinsel hausenden Skythen, Skiluros, und dessen fuenfzig Soehnen hart bedraengt; gern gaben jene ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit hin, um ihr letztes Gut, ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht umsonst. Mithradates’ tapfere Feldherren Diophantos und Neoptolemos und seine disziplinierten Truppen wurden leicht mit den Steppenvoelkern fertig. Neoptolemos schlug sie in der Strasse von Pantikapaeon teils zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde befreit, die Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmaessig angelegte Festungen der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie sie spaeter heissen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den Tauriern zu Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor seinen 6000 Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen 4. So erwarb Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen verbundenes und gleich diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer Handelsstaedte gegruendetes Koenigreich, das Bosporanische genannt, das die heutige Krim mit der gegenueberliegenden asiatischen Landspitze umfasste und jaehrlich 200 Talente (314000 Taler) und 180000 Scheffel Getreide in die koeniglichen Kassen und Magazine lieferte. Die Steppenvoelker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur Donaumuendung traten wenigstens zum grossen Teil in Klientel oder in Vertrag mit dem pontischen Koenig und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch wenigstens einen unerschoepflichen Werbeplatz fuer seine Armeen. ------------------------------------------------------ 4 Das kuerzlich aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos fuer diesen Diophantos (SIG 252) bestaetigt die Ueberlieferung durchaus. Es zeigt uns die Stadt in naechster Naehe - den Hafen von Balaklava muessen die Taurer, Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, bedraengt teils von den Taurern an der Suedkueste der Krim, teils und vor allem von den Skythen, die das ganze Innere der Halbinsel und das angrenzende Festland in der Gewalt haben; es zeigt uns ferner, wie der Feldherr des Koenigs Mithradates nach allen Seiten hin der Griechenstadt Luft macht die Taurer niederschlaegt und in ihrem Gebiet eine Zwingburg (wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen den westlichen und den oestlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im Westen die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfuersten Saumakos ueberwaeltigt, die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich sie mit den Reuxinalern - so heissen hier, wo sie zuerst auftreten, die spaeteren Roxolaner - in der grossen Feldschlacht besiegt, deren auch die schriftliche Ueberlieferung gedenkt. Eine formelle Unterordnung der Griechenstadt unter den Koenig scheint nicht stattgefunden zu haben; Mithradates erscheint nur als schuetzender Bundesgenosse, der gegen die als unbesiegbar geltenden (to?s anypostatoys doko?ntas eimen) Skythen fuer die Griechenstadt die Schlachten schlaegt, welche wahrscheinlich zu ihm ungefaehr in dem Verhaeltnis gestanden hat wie Massalia und Athen zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (ypakoioi) des Mithradates. ------------------------------------------------------- Waehrend also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der Koenig zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als die Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhaengigen Herrschaft zum integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die enge Verbindung, in die er mit dem Koenig von Grossarmenien trat. Er gab dem Tigranes nicht bloss seine Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern er war es auch wesentlich, durch dessen Unterstuetzung Tigranes sich der Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre Stelle in Asien einnahm. Es scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art getroffen zu sein, dass Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates Kleinasien und die Kuesten des Schwarzen Meeres zu besetzen uebernahmen unter Zusage gegenseitiger Unterstuetzung, und ohne Zweifel war es der taetigere und faehigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Ruecken zu decken und einen maechtigen Bundesgenossen zu sichern. In Kleinasien endlich richtete der Koenig die Blicke auf das binnenlaendische Paphlagonien - die Kueste gehoerte seit langem zum Poptischen Reich - und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprueche als durch Testament des letzten der Pylaemeniden vermacht an den Koenig Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime Praetendenten und das Land selbst protestierten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die pontischen Herrscher nicht vergessen, dass dies Land und Kappadokien am Meer einst zusammengehoert hatten, und trugen sich fortwaehrend mit Reunionsideen. Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit Koenig Nikomedes von Bithynien, mit dem er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch erhob, fuegte sich Mithradates demselben, waehrend Nikomedes einen seiner Soehne mit dem Namen Pylaemenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbuendeten in Kappadokien. Koenig Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es hiess im Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes Mithradates Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wusste den Uebergriffen des Koenigs von Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen Hilfe seines Oheims, fuer welche dieser dann ihm ansann, dem fluechtig gewordenen Moerder seines Vaters die Rueckkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierueber zum Bruch und zum Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich gegenueberstanden, begehrte der Oheim zuvor eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stiess dabei den unbewaffneten Juengling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Moerder des Vaters, uebernahm hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige Bevoelkerung sich gegen ihn erhob und den juengeren Sohn des letzten Koenigs zur Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats ueberlegenen Streitkraeften keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem Volke auf den Thron gesetzten Juenglings gab dem pontischen Koenig um so mehr freie Hand, als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent ward, ebenwie in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert, unter dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete. Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte Koenig Mithradates am noerdlichen wie am suedlichen Gestade des Schwarzen Meeres und weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des Koenigs fuer den Krieg zu Lande und zu Wasser schienen unermesslich. Sein Werbeplatz reichte von der Donaumuendung bis zum Kaukasus und dem Kaspischen Meer; Thraker, Skythen, Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien) draengten sich unter seine Fahne; vor allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den tapferen Bastarnern. Fuer die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie ausser Flachs, Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgefloesste Bauholz; Steuermaenner und Offiziere wurden in Phoenikien und Syrien gedungen. In Kappadokien, hiess es, sei der Koenig eingerueckt mit 600 Sichelwagen, 1000 Pferden und 8000 Mann zu Fuss; und er hatte fuer diesen Krieg bei weitem noch nicht aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer roemischen oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pontische Flotte, gestuetzt auf Sinope und die Haefen der Krim, das Schwarze Meer ausschliesslich. ------------------------------------------------ 5 Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefaehr zu bestimmen. Um 640 (114) etwa scheint Mithradates Eupator tatsaechlich die Regierung angetreten zu haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70), womit die Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreissig Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In die Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen Sukzessionshaendel, mit denen die von Mithradates, wie es scheint, in Saturninus’ erstem Tribunat 651 (103) in Rom versuchte Bestechung (Diod. 631) wahrscheinlich schon zusammenhaengt. Marius, der 655 (99) Rom verliess und nicht lange im Osten verweilte, traf Mithradates schon in Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen seiner Uebergriffe (Cic. Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also damals schon ermordet. ---------------------------------------------- Dass der roemische Senat seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von ihm abhaengigen Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend machte, beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem ploetzlichen Tode Mithradates V. Dem unmuendigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem Vater fuer seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr fuer sein gutes Geld verliehene Grossphrygien genommen und diese Landschaft dem unmittelbar roemischen Gebiet hinzugefuegt 6. Aber nachdem dieser Knabe dann zu seinen Jahren gelangt war, bewies derselbe Senat gegen dessen allseitige Uebergriffe und gegen diese imposante Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen zwanzigjaehrigen Zeitraum ausfuellt, voellige Passivitaet. Er liess es geschehen, dass einer seiner Klientelstaaten sich militaerisch zu einer Grossmacht entwickelte, die ueber hunderttausend Bewaffnete gebot; dass er in die engste Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die Spitze der innerasiatischen Staaten gestellten Grosskoenig des Ostens; dass er die benachbarten asiatischen Koenigreiche und Fuerstentuemer unter Vorwaenden einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und weit entfernte Schutzmacht klangen; dass er endlich sogar in Europa sich festsetzte und als Koenig auf der Taurischen Halbinsel, als Schutzherr fast bis an die makedonischthrakische Grenze gebot. Wohl ward ueber diese Verhaeltnisse im Senat verhandelt; aber wenn das hohe Kollegium sich in der paphlagonischen Erbangelegenheit schliesslich dabei beruhigte, dass Nikomedes sich auf seinen falschen Pylaemenes berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getaeuscht als dankbar fuer jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte. Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die Fuersten der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdraengt hatte, wandten sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der traditionellen Maximen der roemischen Politik gedachte, musste sich erinnern, dass einst unter so ganz anderen Verhaeltnissen der Uebergang des Koenigs Antiochos nach Europa und die Besetzung des thrakischen Chersones durch seine Truppen das Signal zu dem Asiatischen Krieg geworden war, und musste begreifen, dass die Besetzung des taurischen durch den pontischen Koenig jetzt noch viel weniger geduldet werden konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Koenigreichs Kappadokien, wegen welcher ueberdies Nikomedes von Bithymen, der auch seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz zu nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Praetendenten den seinigen ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die roemische Regierung zur Intervention zu draengen. Der Senat beschloss, dass Mithradates die skythischen Fuersten wiedereinzusetzen habe - so weit war man durch die schlaffe Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen Politik gedraengt, dass man jetzt, statt die Hellenen gegen die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben Landsleute unterstuetzen musste. Paphlagonien wurde abhaengig erklaert und der falsche Pylaemenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu raeumen. Ebenso sollte der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen und, da die Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, durch freie Volkswahl ihm wiederum ein Koenig gesetzt werden. Die Beschluesse klangen energisch genug; nur war es uebel, dass man, statt ein Heer zu senden, den Statthalter von Kilikien, Lucius Sulla, mit der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die Raeuber und Piraten kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum Glueck vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Roemer besser ihr Interesse als ihr gegenwaertiges Regiment und ergaenzte die Energie und Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden vermissen liess. Mithradates hielt sich zurueck und begnuegte sich, den Grosskoenig Tigranes von Armenien, der den Roemern gegenueber eine freiere Stellung hatte als er, zu veranlassen, Truppen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine Mannschaft und die Zuzuege der asiatischen Bundesgenossen zusammen, ueberstieg den Taurus und schlug den Statthalter Gordios samt seinen armenischen Hilfstruppen aus Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen Stuecken nach; Gordios musste die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich nehmen und der falsche Ariarathes verschwand; die Koenigswahl, die der pontische Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den angesehenen Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner Expedition in die Gegend des Euphrat gelangte, in dessen Wellen damals zuerst roemische Feldzeichen sich spiegelten, fand bei dieser Gelegenheit auch die erste Beruehrung statt zwischen den Roemern und den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen ihnen und Tigranes Ursache hatten, den Roemern sich zu naehern. Beiderseits schien man zu fuehlen, dass etwas darauf ankam bei dieser ersten Beruehrung der beiden Grossmaechte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf die Herrschaft der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der parthische Bote, nahm und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz zwischen dem Koenig von Kappadokien und dem parthischen Abgesandten. Mehr als durch seine Siege im Osten mehrte Sullas Ruhm sich durch diese vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der parthische Gesandte buesste spaeter seinem Herrn dafuer mit dem Kopfe. Indes fuer den Augenblick hatte diese Beruehrung keine weitere Folge. Nikomedes unterliess es im Vertrauen auf die Gunst der Roemer, Paphlagonien zu raeumen; aber die gegen Mithradates gefassten Senatsbeschluesse wurden ferner vollzogen, die Wiederherstellung der skythischen Haeuptlinge von ihm wenigstens zugesagt; der fruehere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662 92). ----------------------------------------------- 6 Ein vor kurzem in dem Dorfe Aresli suedlich von Synnada gefundener Senatsbeschluss vom Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus usus sit, S. 51) bestaetigt saemtliche, von dem Koenig bis zu seinem Tode getroffenen Anordnungen und zeigt also, dass Grossphrygien nach dem Tode des Vaters nicht bloss dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet, sondern damit geradezu unter roemische Botmaessigkeit kam. ------------------------------------------------- So hiess es; in der Tat war von einer ernstlichen Zurueckfuehrung der frueheren Ordnung der Dinge wenig zu verspueren. Kaum hatte Sulla Asien verlassen, als Koenig Tigranes von Grossarmenien ueber den neuen Koenig von Kappadokien, Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den pontischen Praetendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem Tode des alten Koenigs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III. Philopator vom Volk und vom roemischen Senat als rechtmaessiger Koenig anerkannt worden war. trat dessen juengerer Bruder Sokrates als Kronpraetendent auf und bemaechtigte sich der Herrschaft. Es war klar, dass der eigentliche Urheber der kappadokischen wie der bithynischen Wirren kein anderer als Mithradates war, obwohl er sich jeder offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wusste, dass Tigranes nur handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit pontischen Truppen eingerueckt und des rechtmaessigen Koenigs Leben durch Mithradates’ Meuchelmoerder bedroht. In der Krim gar und den benachbarten Landschaften dachte der pontische Koenig nicht daran zurueckzuweichen und trug vielmehr seine Waffen weiter und weiter. Die roemische Regierung, von den Koenigen Ariobarzanes und Nikomedes persoenlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur Unterstuetzung des dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular Manius Aquillius, einen im Kimbrischen und im Sizilischen Krieg erprobten Offizier, jedoch nicht als Feldherrn an der Spitze einer Armee, sondern als Gesandten, und wies die asiatischen Klientelstaaten und namentlich den Mithradates an, noetigenfalls mit gewaffneter Hand Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der roemische Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen roemischen Korps, ueber das der Statthalter der Provinz Asia verfuegte, und des Aufgebots der Phryger und der Galater; Koenig Nikomedes und Koenig Ariobarzanes bestiegen wieder ihre schwankenden Throne; Mithradates entzog sich zwar der Aufforderung, Zuzug zu gewaehren, unter verschiedenen Vorwaenden, allein er leistete nicht bloss den Roemern keinen offenen Widerstand, sondern der bithynische Praetendent Sokrates wurde sogar auf sein Geheiss getoetet (664 90). Es war eine sonderbare Verwicklung. Mithradates war vollkommen ueberzeugt, gegen die Roemer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu koennen und es nicht zum offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu duerfen. Waere er nicht also entschlossen gewesen, so fand sich kein guenstigerer Augenblick, den Kampf zu beginnen, als der gegenwaertige: eben damals, als Aquillius in Bithymen und Kappadokien einrueckte, stand die italische Insurrektion auf dem Hoehepunkt ihrer Macht und konnte selbst den Schwachen Mut machen, gegen Rom sich zu erklaeren; dennoch liess Mithradates das Jahr 664 (90) ungenutzt verstreichen. Aber nichtsdestoweniger verfolgte er so zaeh wie ruehrig seinen Plan, in Kleinasien sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung der Politik des Friedens um jeden Preis mit der der Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und beweist nur aufs neue, dass Mithradates nicht zu den Staatsmaennern rechter Art gehoerte und weder zum Kampf zu ruesten wusste wie Koenig Philippos noch sich zu fuegen wie Koenig Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hinund hergezogen ward zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefuehl seiner eigenen Schwaeche. Aber auch so laesst sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich erinnert, dass Mithradates in zwanzigjaehriger Erfahrung die damalige roemische Politik kennengelernt hatte. Er wusste sehr genau, dass die roemische Regierung nichts weniger als kriegslustig war, ja dass sie, im Hinblick auf die ernstliche Gefahr, die jeder beruehmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer Erinnerung an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womoeglich noch mehr fuerchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, in einer Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch egoistische Ruecksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlass zur Kriegserklaerung gegeben haben wuerde; aber er vermied sorgfaeltig den offenen Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu versetzt haette. Sowie Ernst gezeigt ward, wich er zurueck, vor Sulla wie vor Aquillius; er hoffte unzweifelhaft darauf, dass nicht immer energische Feldherren ihm gegenueberstehen, dass auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus treffen wuerde. Es muss zugestanden werden, dass diese Hoffnung nicht unverstaendig war, obwohl freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt hatte, wie verkehrt es war, die Bestechung eines roemischen Heerfuehrers und die Korruption einer roemischen Armee mit der Ueberwindung des roemischen Volkes zu verwechseln. So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und liessen ganz dazu an, noch lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber dies zuzulassen war Aquillius’ Absicht nicht, und da er seine Regierung nicht zwingen konnte, Mithradates den Krieg zu erklaeren, so bediente er sich dazu des Koenigs Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des roemischen Feldherrn gegeben und ueberdies noch fuer die abgelaufenen Kriegskosten und die dem Feldherrn persoenlich zugesicherten Summen sein Schuldner, konnte sich dem Ansinnen desselben, mit Mithradates den Krieg zu beginnen, nicht entziehen. Die bithynische Kriegserklaerung erfolgte; aber selbst als Nikomedes’ Schiffe den pontischen den Bosporus sperrten, seine Truppen in die pontischen Grenzdistrikte einrueckten und die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb Mithradates noch unerschuettert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner ueber die Grenze zu werfen, fuehrte er Klage bei der roemischen Gesandtschaft und bat dieselbe, entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung gestatten zu wollen. Allein er ward von Aquillius dahin beschieden, dass er unter allen Umstaenden sich des Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war deutlich. Genau dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet; man liess das Schlachtopfer von der roemischen Meute ueberfallen und verbot ihm, gegen dieselbe sich zu wehren. Auch Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die Karthager es getan hatten; aber wenn die Phoeniker sich aus Verzweiflung ergaben, so tat dagegen der Koenig von Sinope das Gegenteil und rief seine Truppen und Schiffe zusammen - "Wehrt nicht", so soll er gesagt haben, "auch wer unterliegen muss, dennoch sich gegen den Raeuber?" Sein Sohn Ariobarzanes erhielt Befehl, in Kappadokien einzuruecken; es ging noch einmal eine Botschaft an die roemischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, wozu die Notwehr den Koenig gezwungen habe, und eine letzte Erklaerung von ihnen zu fordern. Sie lautete, wie zu erwarten war. Obwohl weder der roemische Senat noch Koenig Mithradates noch Koenig Nikomedes den Bruch gewollt hatten, Aquillius wollte ihn und man hatte Krieg (Ende 665 80). Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und militaerischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor allen Dingen knuepfte er das Buendnis mit Koenig Tigranes von Armenien fester und erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das in Vorderasien einruecken und Grund und Boden daselbst fuer Koenig Mithradates, die bewegliche Habe fuer Koenig Tigranes in Besitz nehmen sollte. Der parthische Koenig, verletzt durch das stolze Verhalten Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner, doch auch nicht als Bundesgenosse der Roemer auf. Den Griechen war der Koenig bemueht, sich in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der griechischen Nation gegen die roemische Fremdherrschaft darzustellen. Pontische Gesandte gingen an den Koenig von Aegypten und an den letzten Ueberrest des freien Griechenlands, den kretensischen Staedtebund, und beschworen sie, fuer die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt im letzten Augenblick einzustehen fuer die Rettung der hellenischen Nationalitaet; es war dies wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich, und zahlreiche Kretenser nahmen Dienste im pontischen Heer. Man hoffte auf die sukzessive Insurrektion der kleineren und kleinsten Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen Republiken, auf die Empoerung der Provinzen, vor allem des masslos gedrueckten Vorderasiens. Man arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an der Insurgierung Makedoniens. Die schon vorher bluehende Piraterie wurde jetzt als willkommene Bundesgenossin ueberall entfesselt, und mit furchtbarer Raschheit erfuellten bald Korsarengeschwader, pontische Kaper sich nennend, weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung und Freude die Kunde von den Gaerungen innerhalb der roemischen Buergerschaft und von der zwar ueberwundenen, aber doch noch lange nicht unterdrueckten italischen Insurrektion. Unmittelbare Beziehungen indes mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden nicht; nur wurde in Asien ein roemisch bewaffnetes und organisiertes Fremdenkorps gebildet, dessen Kern roemische und italische Fluechtlinge waren. Streitkraefte gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen in Asien nicht gesehen worden. Die Angaben, dass er, das armenische Hilfsheer ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuss und 40 000 Reitern das Feld nahm, dass 300 pontische Deckund 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen nicht allzu uebertrieben bei einem Kriegsherrn, der ueber die zahllosen Steppenbewohner verfuegte. Die Feldherrn, namentlich die Brueder Neoptolemos und Archelaos, waren erfahrene und umsichtige griechische Hauptleute; auch unter den Soldaten des Koenigs fehlte es nicht an tapferen todverachtenden Maennern, und die goldund silberblinkenden Ruestungen und reichen Gewaender der Skythen und Meder mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen. Ein einheitlicher militaerischer Organismus freilich hielt diese buntscheckigen Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates war nichts als eine jener ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, wie sie oft schon, zuletzt, genau ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia einer hoeheren militaerischen Organisation unterlegen waren; immer aber stand doch der Osten gegen die Roemer in Waffen, waehrend auch in der westlichen Haelfte des Reichs es nichts weniger als friedlich aussah. So sehr es an sich fuer Rom eine politische Notwendigkeit war, Mithradates den Krieg zu erklaeren, so war doch gerade dieser Augenblick so uebel gewaehlt wie moeglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr wahrscheinlich, dass Manius Aquillius zunaechst aus Ruecksichten auf seine eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben jetzt herbeigefuehrt hat. Fuer den Augenblick hatte man in Asien keine anderen Truppen zur Verfuegung als die kleine roemische Abteilung unter Lucius Cassius und die vorderasiatischen Milizen, und bei der militaerischen und finanziellen Klemme, in der man daheim sich infolge des Insurrektionskrieges befand, konnte eine roemische Armee im guenstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien landen. Bis dahin hatten die roemischen Beamten daselbst einen schweren Stand; indes hoffte man, die roemische Provinz decken und sich behaupten zu koennen, wo man stand: das bithynische Heer unter Koenig Nikomedes in seiner im vorigen Jahr eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet zwischen Amastris und Sinope, weiter rueckwaerts in der bithynischen, galatischen, kappadokischen Landschaft die Abteilungen unter Lucius Cassius, Manius Aquillius, Quintus Oppius, waehrend die bithynisch-roemische Flotte fortfuhr, den Bosporus zu sperren. Mit dem Beginn des Fruehjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive. An einem Nebenfluss des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch koepri), stiess der pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die bithynische Armee und sprengte dieselbe trotz ihrer sehr ueberlegenen Zahl im ersten Anlauf so vollstaendig auseinander, dass das geschlagene Heer sich aufloeste und Lager und Kriegskasse den Siegern in die Haende fielen. Es waren hauptsaechlich Neoptolemos und Archelaos, denen der Koenig diesen glaenzenden Erfolg verdankte. Die weiter zurueckstehenden, noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben hierauf sich ueberwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstiessen; wo Mithradates’ Feldherren sich ihnen naeherten, stoben sie auseinander. Eine roemische Abteilung ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte in Phrygien mit dem Landsturm das Feld zu halten, allein er entliess ihn wieder, ohne mit ihm eine Schlacht wagen zu moegen, und warf sich mit seinen wenigen zuverlaessigen Leuten in die Ortschaften am oberen Maeander, namentlich nach Apameia; Oppius raeumte in gleicher Weise Pamphylien und schloss in dem phrygischen Laodikeia sich ein; Aquillius ward im Zurueckweichen am Sangarios im bithynischen Gebiet eingeholt und so vollstaendig geschlagen, dass er sein Lager verlor und sich in die roemische Provinz nach Pergamon retten musste; bald war auch diese ueberschwemmt und Pergamon selbst in den Haenden des Koenigs, ebenso der Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte Mithradates saemtliche Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen und nichts versaeumt, die von Anfang an ihm zugewandten nationalen Sympathien zu steigern. Jetzt war die ganze Landschaft bis zum Maeander mit Ausnahme weniger Festungen in seiner Gewalt; zugleich erfuhr man, dass in Rom eine neue Revolution ausgebrochen, dass der gegen Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach Asien sich einzuschiffen, gegen Rom marschiert sei, dass die gefeiertsten roemischen Generale sich untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem der Oberbefehl im Asiatischen Kriege gebuehre. Rom schien eifrigst bemueht, sich selber zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, dass, wenngleich Minoritaeten auch jetzt noch ueberall zu Rom hielten, doch die grosse Masse der Kleinasiaten den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es ward ueblich, den Koenig, in dem wie in dem goettlichen Indersieger Asien und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu verehren unter dem Namen des neuen Dionysos. Die Staedte und Inseln sandten, wo er hinkam, ihm Boten entgegen, "den rettenden Gott" zu sich einzuladen, und festlich gekleidet stroemte die Buergerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen. Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden roemischen Offiziere gebunden an den Koenig ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7. Die ganze Wut des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine Macht bekommt, entlud sich ueber den ungluecklichen Urheber des Krieges. Bald zu Fuss an einen gewaltigen berittenen Bastarner angefesselt, bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der bejahrte Mann durch ganz Kleinasien gefuehrt und, als endlich das arme Schaustueck wieder am koeniglichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl des Koenigs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlasst habe, zu saettigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, dass er unter Qualen den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, der allein hinreicht, seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der adligen Maenner. Von Ephesos aus erliess Koenig Mithradates an alle von ihm abhaengigen Statthalter und Staedte den Befehl, an einem und demselben Tage saemtliche in ihrem Bezirk sich aufhaltende Italiker, Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters zu toeten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Voegeln zum Frass hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Haelfte an die Moerder, zur Haelfte an den Koenig abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit Ausnahme weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, puenktlich vollzogen und achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfuenfzigtausend wenn nicht unschuldige, so doch wehrlose Maenner, Frauen und Kinder mit kaltem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle Exekution, bei welcher die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu entledigen und die dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereite asiatische Schergenwillfaehrigkeit wenigstens ebensosehr mitgewirkt haben wie das vergleichungsweise edle Gefuehl der Rache. Politisch war diese Massregel nicht bloss ohne jeden vernuenftigen Zweck - denn der finanzielle liess auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die Kleinasiaten waren selbst durch das Bewusstsein der aergsten Blutschuld nicht zum kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem sie einerseits den roemischen Senat, soweit er irgend noch der Energie faehig war, zur ernstlichen Kriegfuehrung zwang, andererseits nicht bloss die Roemer traf, sondern ebensogut des Koenigs natuerliche Bundesgenossen, die nichtroemischen Italiker. Es ist dieser ephesische Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Akt der tierisch blinden Rache, welcher nur durch die kolossalen Proportionen, in denen hier der Sultanismus auftritt, einen falschen Schein von Grossartigkeit erhaelt. --------------------------------------------------- 7 Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf fuenfundzwanzig Jahre spaeter die Vergeltung, indem sie nach Mithradates’ Tode dessen Sohn Pharnakes an die Roemer uebergab. --------------------------------------------------- Ueberhaupt ging des Koenigs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefuerchteten Sulla liessen ihn uebergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete sich haeuslich in Vorderasien ein; der Sitz des roemischen Statthalters, Pergamon, ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde als Statthalterschaft an des Koenigs Sohn Mithradates zur Verwaltung uebergeben; Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als pontische Satrapien. Die Grossen des Reichs und des Koenigs Guenstlinge wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und saemtlichen Gemeinden nicht bloss die rueckstaendigen Steuern erlassen, sondern auch Steuerfreiheit auf fuenf Jahre zugesichert - eine Massregel, die ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Roemer, wenn der Koenig dadurch sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. Freilich fuellte des Koenigs Schatz ohnehin sich reichlich durch die unermesslichen Summen, die aus dem Vermoegen der Italiker und anderen Konfiskationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000 Taler), welche die Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der noerdliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehoerigen Inseln waren in des Koenigs Gewalt; ausser einigen kleinen paphlagonischen Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das gesamte Aegaeische Meer ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der Suedwesten, die Staedtebuende von Karien und Lykien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Sipylos aber bestand gluecklich eine schwere Belagerung, bei welcher Mithradates’ tuechtigster Offizier Archelaos geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien entkommenen Roemer, unter ihnen des Statthalters Lucius Cassius, wurde von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer Uebermacht angegriffen. Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des Koenigs ihre Pflicht taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor, dass rhodische Geschwader vielfach staerkere pontische ueberwanden und mit erbeuteten Schiffen heimkehrten. Auch zu Lande rueckte die Belagerung nicht vor; nachdem ein Teil der Arbeiten zerstoert worden war, gab Mithradates das Unternehmen auf und die wichtige Insel sowie das gegenueberliegende Festland blieben in den Haenden der Roemer. Aber nicht bloss die asiatische Provinz wurde, hauptsaechlich infolge der zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast unverteidigt von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon den Angriff auch gegen Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten die Grenznachbarn Makedoniens gegen Norden und Osten ihre Einfaelle mit auffallender Heftigkeit und Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664, 665 (90, 89) ueberrannten die Thraker. Makedonien und ganz Epeiros und pluenderten den Tempel von Dodona. Noch auffallender ist es, dass damit noch einmal der Versuch verbunden ward, einen Praetendenten auf den makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes aufzustellen. Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern unterhielt, war all diesen Vorgaengen schwerlich fremd. Zwar erwehrte sich der Praetor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten dieser Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, dass ihm maechtigere Gegner kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen Erfolgen, den kuehnen Entschluss gefasst, wie Antiochos den Krieg um die Herrschaft ueber Asien in Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und zu Lande oder zur See den Kern seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in das schwach verteidigte Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend und in pontische Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstuetzpunkte der pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, gefuehrt von Mithradates’ bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Aegaeischen Meer, wo kaum ein roemisches Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des roemischen Handels in diesen Gewaessern, ward besetzt und bei 20000 Menschen, groesstenteils Italiker, daselbst niedergemetzelt; Euboea erlitt ein gleiches Schicksal; bald waren oestlich vom Malfischen Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte weitergehen zum Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die pontische Flotte von Euboea aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug Bruttius Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und besetzte sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, dass der Feind im eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier wirkte Mithradates nicht bloss mit den Waffen, sondern zugleich mit der nationalen Propaganda. Sein Hauptwerkzeug fuer Athen war ein gewisser Aristion, seiner Geburt nach ein attischer Sklave, seines Handwerks ehemals Schulmeister der Epikurischen Philosophie, jetzt Guenstling Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetaeros, der durch die glaenzende Karriere, die er bei Hof gemacht, den Poebel zu blenden und ihm mit Aplomb zu versichern verstand, dass aus dem seit beilaeufig sechzig Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe fuer Mithradates schon unterwegs sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht, dass die wenigen Verstaendigen aus Athen entwichen, der Poebel aber und ein paar toll gewordene Literaten den Roemern foermlich absagten. So ward aus dem Exphilosophen ein Gewaltherrscher, der, gestuetzt auf seine pontische Soeldnerbande, ein Schandund Blutregiment begann, und aus dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz. Sowie Mithradats Truppen auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die meisten der kleinen Freistaaten ihnen zu: Achaeer, Lakonen, Boeoter, bis hinauf nach Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstaerkung herangezogen hatte, rueckte in Boeotien ein, um dem belagerten Thespiae Hilfe zu bringen, und schlug sich bei Chaeroneia in dreitaegigen Gefechten mit Archelaos und Aristion; aber sie fuehrten zu keiner Entscheidung und Sura musste zurueckgehen, als die pontischen Verstaerkungen aus dem Peloponnes sich naeherten (Ende 666, Anfang 667 88, 87). So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, dass eine Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, einen Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals bereits verloren und der Koenig wies das Ansinnen zurueck. Die Lage der roemischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien und Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten Gebieten Italiens unbestritten die Herrschaft fuehrte; dazu die kaum beschwichtigte Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und furchtbarer emporzulodern; dazu endlich die durch die inneren Unruhen in Italien und die ungeheuren Verluste der asiatischen Kapitalisten hervorgerufene fuerchterliche Handelsund Geldkrise und der Mangel an zuverlaessigen Truppen. Die Regierung haette dreier Armeen bedurft, um in Rom die Revolution niederzuhalten, in Italien die Insurrektion voellig zu ersticken und in Asien Krieg zu fuehren; sie hatte eine einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem unzuverlaessigen Gnaeus Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die Wahl unter jenen drei Aufgaben stand bei Sulla; er entschied sich, wie wir sahen, fuer den asia tischen Krieg. Es war nichts Geringes, man darf vielleicht sagen eine grosse patriotische Tat, dass in diesem Konflikt des allgemeinen vaterlaendischen und des besonderen Parteiinteresses das erstere die Oberhand behielt und Sulla trotz der Gefahren, die seine Entfernung aus Italien fuer seine Verfassung und fuer seine Partei nach sich zog, dennoch im Fruehling 667 (87) landete an der Kueste von Epeiros. Aber er kam nicht, wie sonst roemische Oberfeldherrn im Osten aufzutreten pflegten. Dass sein Heer von fuenf Legionen oder hoechstens 30000 Mann 8 wenig staerker war als eine gewoehnliche Konsulararmee, war das wenigste. Sonst hatte in den oestlichen Kriegen eine roemische Flotte niemals gefehlt, ja ohne Ausnahme die See beherrscht; Sulla, gesandt, um zwei Kontinente und die Inseln des Aegaeischen Meeres wiederzuerobern, kam ohne ein einziges Kriegsschiff. Sonst hatte der Feldherr eine volle Kasse mit sich gefuehrt und den groessten Teil seiner Beduerfnisse auf dem Seeweg aus der Heimat bezogen; Sulla kam mit leeren Haenden - denn die fuer den Feldzug von 666 (88) mit Not fluessig gemachten Summen waren in Italien draufgegangen - und sah sich ausschliesslich angewiesen auf Requisitionen. Sonst hatte der Feldherr seinen einzigen Gegner im feindlichen Lager gefunden und hatten dem Landesfeind gegenueber seit der Beendigung des Staendekampfes die politischen Faktionen ohne Ausnahme zusammengestanden; unter Mithradates’ Feldzeichen fochten namhafte roemische Maenner, grosse Landschaften Italiens begehrten, mit ihm in Buendnis zu treten, und es war wenigstens zweifelhaft, ob die demokratische Partei das ruehmliche Beispiel, das Sulla ihr gegeben, befolgen und mit ihm Waffenstillstand halten werde, solange er gegen den asiatischen Koenig focht. Aber der rasche General, der mit all diesen Verlegenheiten zu ringen hatte, war nicht gewohnt, vor Erledigung der naechsten Aufgabe um die ferneren Gefahren sich zu bekuemmern. Da seine an den Koenig gerichteten Friedensantraege, die im wesentlichen auf die Wiederherstellung des Zustandes vor dem Kriege hinausliefen, keine Annahme fanden, so rueckte er, wie er gelandet war, von den epeirotischen Haefen bis nach Boeotien vor, schlug hier am Thilphossischen Berge die Feldherren der Feinde, Archelaos und Aristion, und bemaechtigte sich nach diesem Siege fast ohne Widerstand des gesamten griechischen Festlandes mit Ausnahme der Festung Athen und des Peiraeeus, wohin Aristion und Archelaos sich geworfen hatten und die durch einen Handstreich zu nehmen misslang. Eine roemische Abteilung unter Lucius Hortensius besetzte Thessalien und streifte bis in Makedonien; eine andere unter Munatius stellte vor Chalkis sich auf, um das unter Neoptolemos auf Euboea stehende feindliche Korps abzuwehren; Sulla selbst bezog ein Lager bei Eleusis und Megara, von wo aus er Griechenland und den Peloponnes beherrschte und die Belagerung der Stadt und des Hafens von Athen betrieb. Die hellenischen Staedte, wie immer von der naechsten Furcht regiert, unterwarfen sich den Roemern auf jede Bedingung und waren froh, wenn sie mit Lieferungen von Vorraeten und Mannschaft und mit Geldbussen schwerere Strafen abkaufen durften. Minder rasch gingen die Belagerungen in Attika vonstatten. Sulla sah sich genoetigt, in aller Form das schwere Belagerungszeug zu ruesten, wozu die Baeume der Akademie und des Lykeion das Holz liefern mussten. Archelaos leitete die Verteidigung ebenso kraeftig wie besonnen; er bewaffnete seine Schiffsmannschaft, schlug also verstaerkt die Angriffe der Roemer mit ueberlegener Macht ab und machte haeufige und nicht selten glueckliche Ausfaelle. Zwar die zum Entsatz herbeirueckende pontische Armee des Dromichaetes ward unter den Mauern Athens nach hartem Kampf, bei dem namentlich Sullas tapferer Unterfeldherr Lucius Licinius Murena sich hervortat, von den Roemern geschlagen; aber die Belagerung schritt darum nicht rascher vor. Von Makedonien aus, wo die Kappadokier inzwischen sich definitiv festgesetzt hatten, kam reichliche und regelmaessige Zufuhr zur See, die Sulla nicht imstande war, der Hafenfestung abzuschneiden; in Athen gingen zwar die Vorraete auf die Neige, doch konnte bei der Naehe der beiden Festungen Archelaos mehrfache Versuche machen, Getreidetransporte nach Athen zu werfen, die nicht alle misslangen. So verfloss in peinlicher Resultatlosigkeit der Winter 667/68 (87/86). Wie die Jahreszeit es erlaubte, warf Sulla sich mit Ungestuem auf den Peiraeeus; in der Tat gelang es, durch Geschuetze und Minen einen Teil der gewaltigen Perikleischen Mauern in Bresche zu legen, und sofort schritten die Roemer zum Sturm; allein er ward abgeschlagen, und als er wiederholt ward, fanden sich hinter den eingestuerzten Mauerteilen halbmondfoermige Verschanzungen errichtet, aus denen die Eindringenden sich von drei Seiten beschossen und zur Umkehr gezwungen sahen. Sulla hob darauf die Belagerung auf und begnuegte sich mit einer Blockade. In Athen waren inzwischen die Lebensmittel ganz zu Ende gegangen; die Besatzung versuchte eine Kapitulation zustande zu bringen, aber Sulla wies ihre redefertigen Boten zurueck mit dem Bedeuten, dass er nicht als Student, sondern als General vor ihnen stehe und nur unbedingte Unterwerfung annehme. Als Aristion, wohl wissend, welches Schicksal dann ihm bevorstand, damit zoegerte, wurden die Leitern angelegt und die kaum noch verteidigte Stadt erstuermt (1. Maerz 668 86). Aristion warf sich in die Akropolis, wo er bald darauf sich ergab. Der roemische Feldherr liess die Soldateska in der eroberten Stadt morden und pluendern und die angeseheneren Raedelsfuehrer des Abfalls hinrichten; die Stadt selbst aber erhielt von ihm ihre Freiheit und ihre Besitzungen, sogar das wichtige Delos zurueck und ward also noch einmal gerettet durch ihre herrlichen Toten. ---------------------------------------------------- 8 Man muss sich erinnern, dass seit dem Bundesgenossenkrieg auf die Legion, da sie nicht mehr von italischen Kontingenten begleitet ist, mindestens nur die halbe Mannzahl kommt wie vordem. ----------------------------------------------------- Ueber den Epikureischen Schulmeister also hatte man gesiegt; indes Sullas Lage blieb im hoechsten Grade peinlich, ja verzweifelt. Mehr als ein Jahr stand er nun im Felde, ohne irgendeinen nennenswerten Schritt vorwaertsgekommen zu sein, ein einziger Hafenplatz spottete all seiner Anstrengungen, waehrend Asien gaenzlich sich selbst ueberlassen, die Eroberung Makedoniens von Mithradates’ Statthaltern kuerzlich durch die Einnahme von Amphipolis vollendet war. Ohne Flotte - dies zeigte sich immer deutlicher - war es nicht bloss unmoeglich, die Verbindungen und die Zufuhr von den feindlichen und den zahllosen Piratenschiffen zu sichern, sondern auch nur den Peiraeeus, geschweige denn Asien und die Inseln wiederzugewinnen; und doch liess sich nicht absehen, wie man zu Kriegsschiffen gelangen konnte. Schon im Winter 667/68 (87/86) hatte Sulla einen seiner faehigsten und gewandtesten Offiziere, Lucius Licinius Lucullus, in die oestlichen Gewaesser entsandt, um dort womoeglich Schiffe aufzutreiben. Mit sechs offenen Booten, die er von den Rhodiern und andern kleinen Gemeinden zusammengeborgt hatte, lief Lucullus aus; einem Piratengeschwader, das die meisten seiner Boote aufbrachte, entging er selbst nur durch einen Zufall; mit gewechselten Schiffen den Feind taeuschend, gelangte er ueber Kreta und Kyrene nach Alexandreia; allein der aegyptische Hof schlug die Bitte um Unterstuetzung mit Kriegsschiffen ebenso hoeflich wie entschieden ab. Kaum irgendwo zeigt sich so deutlich wie hier der tiefe Verfall des roemischen Staats, der einst das Angebot der Koenige von Aegypten, mit ihrer ganzen Seemacht den Roemern beizustehen, dankbar abzulehnen vermocht hatte und jetzt selbst den alexandrinischen Staatsmaennern schon bankrott erschien. Zu allem dem kam die finanzielle Bedraengnis; schon hatte Sulla die Schatzhaeuser des Olympischen Zeus, des Delphischen Apollon, des Epidaurischen Asklepios leeren muessen, wofuer die Goetter entschaedigt wurden durch die zur Strasse eingezogene Halbscheid des thebanischen Gebiets. Aber weit schlimmer als all diese militaerische und finanzielle Verlegenheit war der Rueckschlag der politischen Umwaelzung in Rom, deren rasche, durchgreifende, gewaltsame Vollendung die aergsten Befuerchtungen weit hinter sich gelassen hatte. Die Revolution fuehrte in der Hauptstadt das Regiment; Sulla war abgesetzt, das asiatische Kommando an seiner Stelle dem demokratischen Konsul Lucius Valerius Flaccus uebertragen worden, den man taeglich in Griechenland erwarten konnte. Zwar hatte die Soldateska festgehalten an Sulla, der alles tat, um sie bei guter Laune zu erhalten; aber was liess sich erwarten, wo Geld und Zufuhr ausblieben, wo der Feldherr abgesetzt und geaechtet, sein Nachfolger im Anmarsch war und zu allem diesem der Krieg gegen den zaehen seemaechtigen Gegner aussichtslos sich hinspann! Koenig Mithradates uebernahm es, den Gegner aus seiner bedenklichen Lage zu befreien. Allem Anschein nach war er es, der das Defensivsystem seiner Generale missbilligte und ihnen Befehl schickte, den Feind foerdersamst zu ueberwinden. Schon 667 (87) war sein Sohn Ariarathes aus Makedonien aufgebrochen, um Sulla im eigentlichen Griechenland zu bekaempfen; nur der ploetzliche Tod, der den Prinzen auf dem Marsch am Tisaeischen Vorgebirg in Thessalien ereilte, hatte die Expedition damals rueckgaengig gemacht. Sein Nachfolger Taxiles erschien jetzt (668 86), das in Thessalien stehende roemische Korps vor sich hertreibend, mit einem Heer von angeblich 100000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern an den Thermopylen. Mit ihm vereinigte sich Dromichaetes. Auch Archelaos raeumte - es scheint, weniger durch Sullas Waffen gezwungen als durch Befehle seines Herrn - den Peiraeeus erst teilweise, sodann ganz und stiess in Boeotien zu der pontischen Hauptarmee. Sulla, nachdem der Peiraeeus mit all seinen vielbewunderten Bauwerken auf seinen Befehl zerstoert worden war, folgte der pontischen Armee in der Hoffnung, vor dem Eintreffen des Flaccus eine Hauptschlacht liefern zu koennen. Vergeblich riet Archelaos, sich hierauf nicht einzulassen, sondern die See und die Kuesten besetzt und den Feind hinzuhalten; wie einst unter Dareios und Antiochos, so stuerzten auch jetzt die Massen der Orientalen, wie geaengstigte Tiere in die Feuersbrunst, sich rasch und blindlings in den Kampf; und toerichter als je war dies hier angewandt, wo die Asiaten vielleicht nur einige Monate haetten warten duerfen, um bei einer Schlacht zwischen Sulla und Flaccus die Zuschauer abzugeben. In der Ebene des Kephissos unweit Chaeroneia im Maerz 668 (86) trafen die Heere aufeinander. Selbst mit Einschluss der aus Thessalien zurueckgedraengten Abteilung, der es geglueckt war, ihre Verbindung mit der roemischen Hauptarmee zu bewerkstelligen, und mit Einschluss der griechischen Kontingente fand sich das roemische Heer einem dreifach staerkeren Feind gegenueber und namentlich einer weit ueberlegenen und bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes sehr gefaehrlichen Reiterei, gegen die Sulla seine Flanken durch verschanzte Graeben zu decken noetig fand, sowie er in der Front zum Schutz gegen die feindlichen Streitwagen zwischen seiner ersten und zweiten Linie eine Palisadenkette anbringen liess. Als die Streitwagen den Kampf zu eroeffnen heranrollten, zog sich das erste Treffen der Roemer hinter diese Pfahlreihe zurueck; die Wagen, an ihr abprallend und gescheucht durch die roemischen Schleuderer und Schuetzen, warfen sich auf die eigene Linie und brachten Verwirrung sowohl in die makedonische Phalanx wie in das Korps der italischen Fluechtlinge. Archelaos zog eilig seine Reiterei von beiden Flanken herbei und schickte sie dem Feinde entgegen, um Zeit zu gewinnen, sein Fussvolk wieder zu ordnen; sie griff mit grossem Feuer an und durchbrach die roemischen Reihen; allein die roemische Infanterie formierte sich rasch in geschlossene Massen und hielt den von allen Seiten auf sie anstuermenden Reitern mutig stand. Inzwischen fuehrte Sulla selbst auf dem rechten Fluegel seine Reiterei in die entbloesste Flanke des Feindes; die asiatische Infanterie wich, ohne eigentlich zum Schlagen gekommen zu sein, und ihr Weichen brachte Unruhe auch in die Reitermassen. Ein allgemeiner Angriff des roemischen Fussvolks, das durch die schwankende Haltung der feindlichen Reiter wieder Luft bekam, entschied den Sieg. Die Schliessung der Lagertore, die Archelaos anordnete, um die Flucht zu hemmen, bewirkte nur, dass das Blutbad um so groesser ward und, als die Tore endlich sich auftaten, die Roemer mit den Asiaten zugleich eindrangen. Nicht den zwoelften. Mann soll Archelaos nach Chalkis gerettet haben. Sulla folgte ihm bis an den Euripos; den schmalen Meeresarm zu ueberschreiten war er nicht imstande. Es war ein grosser Sieg, aber die Resultate waren geringfuegig, was wegen des Mangels einer Flotte, teils weil der roemische Sieger sich genoetigt sah, statt die Besiegten zu verfolgen, zunaechst vor seinen Landsleuten sich zu schuetzen. Die See war noch immer ausschliesslich bedeckt von den pontischen Geschwadern, die jetzt selbst westlich vom Malfischen Vorgebirge sich zeigten; noch nach der Schlacht von Chaeroneia setzte Archelaos auf Zakynthos Truppen ans Land und machte einen Versuch, auf dieser Insel sich festzusetzen. Ferner war inzwischen in der Tat Lucius Flaccus mit zwei Legionen in Epeiros gelandet, nicht ohne unterwegs durch Stuerme und durch die im Adriatischen Meer kreuzenden feindlichen Kriegsschiffe starken Verlust erlitten zu haben; bereits standen seine Truppen in Thessalien; dorthin zunaechst musste Sulla sich wenden. Bei Melitaea am noerdlichen Abhang des Othrysgebirges lagerten beide roemischen Heere sich gegenueber; ein Zusammenstoss schien unvermeidlich. Indes Flaccus, nachdem er Gelegenheit gehabt hatte sich zu ueberzeugen, dass Sullas Soldaten keineswegs geneigt war ihren siegreichen Fuehrer an den gaenzlich unbekannten demokratischen Oberfeldherrn zu verraten, dass vielmehr seine eigene Vorhut anfing, in das Sullanische Lager zu desertieren, wich dem Kampfe aus, dem er in keiner Hinsicht gewachsen war, und brach auf gegen Norden, um durch Makedonien und Thrakien nach Asien zu gelangen und dort durch Ueberwaeltigung Mithradats sich den Weg zu weiteren Erfolgen zu bahnen. Dass Sulla den schwaecheren Gegner ungehindert abziehen liess und, statt ihm zu folgen, vielmehr zurueck nach Athen ging, wo er den Winter 668/69 (86/85) verweilt zu haben scheint, ist militaerisch betrachtet auffallend; vielleicht darf man annehmen, dass auch hier politische Beweggruende ihn leiteten und er gemaessigt und Patriotisch genug dachte, um wenigstens so lange, als man doch mit den Asiaten zu tun hatte, gern einen Sieg ueber die Landsleute zu vermeiden und die ertraeglichste Loesung der leidigen Verwicklung darin zu finden, wenn die Revolutionsarmee in Asien, die der Oligarchie in Europa mit dem gemeinschaftlichen Feinde stritt. Mit dem Fruehling 669 (85) gab es in Europa wieder neue Arbeit. Mithradates, der in Kleinasien seine Ruestungen unermuedlich fortsetzte, hatte eine, der bei Chaeroneia aufgeriebenen an Zahl nicht viel nachstehende Armee unter Dorylaos nach Euboea gesandt; von dort war dieselbe in Verbindung mit den Ueberbleibseln der Armee des Archelaos ueber den Euripos nach Boeotien gegangen. Der pontische Koenig, der in den Siegen ueber die bithynische und die kappadokische Miliz den Massstab fand fuer die Leistungsfaehigkeit seiner Armee, begriff die unguenstige Wendung nicht, die die Dinge in Europa nahmen; schon fluesterten die Kreise der Hoeflinge von Verrat des Archelaos; peremtorischer Befehl war gegeben, mit der neuen Armee sofort eine zweite Schlacht zu liefern und nun unfehlbar die Roemer zu vernichten. Der Wille des Herrn geschah, wo nicht im Siegen, doch wenigstens im Schlagen. Abermals in der Kephissosebene bei Orchomenos, begegneten sich die Roemer und die Asiaten. Die zahlreiche und vortreffliche Reiterei der letzteren warf sich ungestuem auf das roemische Fussvolk, das zu schwanken und zu weichen begann; die Gefahr ward so dringend, dass Sulla ein Feldzeichen ergriff und mit seinen Adjutanten und Ordonnanzen gegen den Feind vorgehend mit lauter Stimme den Soldaten zurief, wenn man daheim sie frage, wo sie ihren Feldherrn im Stich gelassen haetten, so moechten sie antworten: bei Orchomenos. Dies wirkte; die Legionen standen wieder und ueberwaeltigten die feindlichen Reiter, worauf auch die Infanterie mit leichter Muehe geworfen ward. Am folgenden Tage wurde das Lager der Asiaten umstellt und erstuermt; der weitaus groesste Teil derselben fiel oder kam in den Kopaischen Suempfen um; nur wenige, unter ihnen Archelaos, gelangten nach Euboea. Die boeotischen Gemeinden hatten den abermaligen Abfall von Rom schwer, zum Teil bis zur Vernichtung zu buessen. Dem Einmarsch in Makedonien und Thrakien stand nichts im Wege: Philippi ward besetzt, Abdera von der pontischen Besatzung freiwillig geraeumt, ueberhaupt das europaeische Festland von den Feinden gesaeubert. Am Ende des dritten Kriegsjahres (669 85) konnte Sulla Winterquartiere in Thessalien beziehen, um im Fruehjahr 670 (84) 9 den asiatischen Feldzug zu beginnen, zu welchem Ende er Befehl gab, in den thessalischen Haefen Schiffe zu bauen. ----------------------------------------- 9 Die Chronologie dieser Ereignisse liegt, wie alle Einzelheiten ueberhaupt, in einem Dunkel, das die Forschung hoechstens bis zur Daemmerung zu zerstreuen vermag. Dass die Schlacht von Chaeroneia, wenn auch nicht an demselben Tage wie die Erstuermung von Athen (Paus. 1, 20), doch bald nachher, etwa im Maerz 668 (86), stattfand, ist ziemlich sicher. Dass die darauf folgende thessalische und die zweite boeotische Kampagne nicht bloss den Rest des Jahres 668 (86), sondern auch das ganze Jahr 669 (85) in Anspruch nahmen, ist an sich wahrscheinlich und wird es noch mehr dadurch, dass Sullas Unternehmungen in Asien nicht genuegen, um mehr als einen Feldzug auszufuellen. Auch scheint Licinianus anzudeuten, dass Sulla fuer den Winter 668/69 (86/85) wieder nach Athen zurueckging und hier die Untersuchungen und Bestrafungen vornahm; worauf dann die Schlacht von Orchomenos erzaehlt wird. Darum ist der Uebergang Sullas nach Asien nicht 669 (85), sondern 670 (84) gesetzt worden. -------------------------------------------- Inzwischen hatten auch die kleinasiatischen Verhaeltnisse sich wesentlich geaendert. Wenn Koenig Mithradates einst aufgetreten war als der Befreier der Hellenen, wenn er mit Foerderung der staedtischen Unabhaengigkeit und mit Steuererlassen seine Herrschaft eingeleitet hatte, so war auf diesen kurzen Taumel nur zu rasch und nur zu bitter die Enttaeuschung gefolgt. Sehr bald war er in seinem wahren Charakter hervorgetreten und hatte eine die Tyrannei der roemischen Voegte weit ueberbietende Zwingherrschaft zu ueben begonnen, die sogar die geduldigen Kleinasiaten zu offener Auflehnung trieb. Der Sultan griff dagegen wieder zu den gewaltsamsten Mitteln. Seine Verordnungen verliehen den zugewandten Ortschaften die Selbstaendigkeit, den Insassen das Buergerrecht, den Schuldnern vollen Schuldenerlass, den Besitzlosen Aecker, den Sklaven die Freiheit; an 15000 solcher freigelassener Sklaven fochten im Heer des Archelaos. Die fuerchterlichsten Szenen waren die Folge dieser von oben herab erfolgenden Umwaelzung aller bestehenden Ordnung. Die ansehnlichsten Kaufstaedte, Smyrna, Kolophon, Ephesos, Tralleis, Sardeis, schlossen den Voegten des Koenigs die Tore oder brachten sie um und erklaerten sich fuer Rom ^10. Dagegen liess der koenigliche Vogt Diodoros, ein namhafter Philosoph wie Aristion, von anderer Schule, aber gleich brauchbar zur schlimmsten Herrendienerei, im Auftrag seines Herrn den gesamten Stadtrat von Adramytion niedermachen. Die Chier, die der Hinneigung zu Rom verdaechtig schienen, wurden zunaechst um 2000 Talente (3150000 Taler) gebuesst und, da die Zahlung nicht richtig befunden wurde, in Masse auf Schiffe gesetzt und gebunden, unter Aufsicht ihrer eigenen Sklaven, an die kolchische Kueste deportiert, waehrend ihre Insel mit pontischen Kolonisten besetzt ward. Die Haeuptlinge der kleinasiatischen Kelten befahl der Koenig saemtlich an einem Tage mit ihren Weibern und Kindern umzubringen und Galatien in eine pontische Satrapie zu verwandeln. Die meisten dieser Blutbefehle wurden auch entweder an Mithradates’ eigenem Hoflager oder im galatischen Lande vollstreckt, allein die wenigen Entronnenen stellten sich an die Spitze ihrer kraeftigen Staemme und schlugen den Statthalter des Koenigs, Eumachos, aus ihren Grenzen hinaus. Dass diesen Koenig die Dolche der Moerder verfolgten, ist begreiflich; sechzehnhundert Menschen wurden als in solche Komplotte verwickelt von den koeniglichen Untersuchungsgerichten zum Tode verurteilt. ----------------------------------------------- ^10 Es ist kuerzlich (Waddington, Zusaetze zu Lebas, 3, 136a) der desfaellige Beschluss der Buergerschaft von Ephesos aufgefunden worden. Sie seien, erklaeren die Buerger, in die Gewalt des "Koenigs von Kappadokien" Mithradates geraten, erschreckt durch die Masse seiner Streitkraefte und die Ploetzlichkeit seines Angriffs; wie aber die Gelegenheit dazu sich darbiete, erklaerten sie "fuer die Herrschaft (/e/gemonia) der Roemer und die gemeine Freiheit" ihm den Krieg. ---------------------------------------------- Wenn also der Koenig durch dies selbstmoerderische Wueten seine derzeitigen Untertanen gegen sich unter die Waffen rief, so begannen gleichzeitig die Roemer auch in Asien, ihn zur See und zu Lande zu draengen. Lucullus hatte, nachdem der Versuch, die aegyptische Flotte gegen Mithradates vorzufuehren, gescheitert war, sein Bemuehen, sich Kriegsschiffe zu verschaffen, in den syrischen Seestaedten mit besserem Erfolg wiederholt und seine werdende Flotte in den kyprischen, pamphylischen und rhodischen Haefen verstaerkt, bis er sich stark genug fand, zum Angriff ueberzugehen. Gewandt vermied er es, mit ueberlegenen Streitkraeften sich zu messen und errang dennoch nicht unbedeutende Erfolge. Die knidische Insel und Halbinsel wurden von ihm besetzt, Samos angegriffen, Kolophon und Chios den Feinden entrissen. Inzwischen war auch Flaccus mit seiner Armee durch Makedonien und Thrakien nach Byzantion und von dort, die Meerenge passierend, nach Kalchedon gelangt (Ende 668 86). Hier brach gegen den Feldherrn eine Militaerinsurrektion aus, angeblich weil er den Soldaten die Beute unterschlug; die Seele derselben war einer der hoechsten Offiziere des Heeres, ein Mann, dessen Name in Rom sprichwoertlich geworden war fuer den rechten Poebelredner, Gaius Flavius Fimbria, welcher, nachdem er mit seinem Oberfeldherrn sich entzweit hatte, das auf dem Markt begonnene Demagogengeschaeft ins Lager uebertrug. Flaccus ward von dem Heer abgesetzt und bald nachher in Nikomedeia unweit Kalchedon getoetet; an seine Stelle trat nach Beschluss der Soldaten Fimbria. Es versteht sich, dass er seinen Leuten alles nachsah: in dem befreundeten Kyzikos zum Beispiel ward der Buergerschaft befohlen, ihre gesamte Habe an die Soldaten bei Todesstrafe auszuliefern und zum warnenden Exempel zwei der angesehensten Buerger sogleich vorlaeufig hingerichtet. Allein militaerisch war der Wechsel des Oberbefehls dennoch ein Gewinn; Fimbria war nicht wie Flaccus ein unfaehiger General, sondern energisch und talentvoll. Bei Miletopolis (am Rhyndakos westlich von Brussa) schlug er den juengeren Mithradates, der als Statthalter der pontischen Satrapie ihm entgegengezogen war, vollstaendig in einem naechtlichen Ueberfall und oeffnete sich durch diesen Sieg den Weg nach der Hauptstadt sonst der roemischen Provinz, jetzt des pontischen Koenigs, Pergamon, von wo er den Koenig vertrieb und ihn zwang, sich nach dem wenig entfernten Hafen Pitane zu retten, um dort sich einzuschiffen. Eben jetzt erschien Lucullus mit seiner Flotte in diesen Gewaessern; Fimbria beschwor ihn, durch seinen Beistand ihm die Gefangennehmung des Koenigs moeglich zu machen. Aber der Optimat war maechtiger in Lucullus als der Patriot; er segelte weiter, und der Koenig entkam nach Mytilene. Auch so war Mithradates’ Lage bedraengt genug. Am Ende des Jahres 669 (85) war Europa verloren, Kleinasien gegen ihn teils im Aufstand begriffen, teils von einem roemischen Heer eingenommen und er selbst von diesem in unmittelbarer Naehe bedroht. Die roemische Flotte unter Lucullus hatte an der Kueste der troischen Landschaft in zwei gluecklichen Seegefechten am Vorgebirg Lekton und bei der Insel Tenedos ihre Stellung behauptet; sie zog daselbst die inzwischen nach Sullas Anordnung in Thessalien erbauten Schiffe an sich und verbuergte in ihrer den Hellespont beherrschenden Stellung dem Feldherrn der roemischen Senatsarmee fuer das naechste Fruehjahr den sicheren und bequemen Uebergang nach Asien. Mithradates versuchte zu unterhandeln. Unter anderen Verhaeltnissen zwar haette der Urheber des ephesischen Mordedikts nie und nimmermehr hoffen duerfen, zum Frieden mit Rom gelassen zu werden; allein bei den inneren Konvulsionen der roemischen Republik, wo die herrschende Regierung den gegen Mithradates ausgesandten Feldherrn in die Acht erklaert hatte und daheim gegen seine Parteigenossen in der grauenhaftesten Weise wuetete, wo ein roemischer General gegen den andern und doch wieder beide gegen denselben Feind standen, hoffte er nicht bloss einen Frieden, sondern einen guenstigen Frieden erlangen zu koennen. Er hatte die Wahl, sich an Sulla oder an Fimbria zu wenden; mit beiden liess er unterhandeln, doch scheint seine Absicht von Haus aus gewesen zu sein, mit Sulla abzuschliessen, der wenigstens in dem Horizont des Koenigs als seinem Nebenbuhler entschieden ueberlegen erschien. Sein Feldherr Archelaos forderte nach Anweisung seines Herrn Sulla auf, Asien an den Koenig abzutreten und dafuer die Hilfe desselben gegen die demokratische Partei in Rom zu gewaertigen. Aber Sulla, kuehl und klar wie immer, wuenschte zwar wegen der Lage der Dinge in Italien dringend die schleunige Erledigung der asiatischen Angelegenheiten, schlug aber die Vorteile der kappadokischen Allianz fuer den ihm in Italien bevorstehenden Krieg sehr niedrig an und war ueberhaupt viel zu sehr Roemer, um in eine so entehrende und so nachteilige Abtretung zu willigen. In den Friedenskonferenzen, die im Winter 669/70 (85/84) zu Delion an der boeotischen Kueste, Euboea gegenueber, stattfanden, weigerte er sich bestimmt, auch nur einen Fussbreit Landes abzutreten, ging aber, der alten roemischen Sitte, die vor dem Kampfe erhobenen Forderungen nach dem Siege nicht zu steigern, aus gutem Grunde getreu, ueber die frueher gestellten Bedingungen nicht hinaus. Er forderte die Rueckgabe aller von dem Koenig gemachten und ihm noch nicht wiederentrissenen Eroberungen, Kappadokiens, Paphlagoniens, Galatiens, Bithyniens, Kleinasiens und der Inseln, die Auslieferung der Gefangenen und Ueberlaeufer, die Uebergabe der achtzig Kriegsschiffe des Archelaos zur Verstaerkung der immer noch geringen roemischen Flotte, endlich Sold und Verpflegung fuer das Heer und Ersatz der Kriegskosten mit der sehr maessigen Summe von 3000 Talenten (4_ Mill. Taler). Die nach dem Schwarzen Meer weggefuehrten Chier sollten heimgesandt, den roemisch gesinnten Makedoniern ihre weggefuehrten Familien zurueckgegeben, den mit Rom verbuendeten Staedten eine Anzahl Kriegsschiffe zugestellt werden. Von Tigranes, der streng genommen gleichfalls mit in den Frieden haette eingeschlossen werden sollen, schwieg man auf beiden Seiten, da an den endlosen Weiterungen, die seine Beiziehung machen musste, keinem der kontrahierenden Teile gelegen war. Der Besitzstand also, den der Koenig vor dem Kriege gehabt hatte, blieb ihm und es ward ihm keine ehrenkraenkende Demuetigung angesonnen ^11. Archelaos, deutlich erkennend, dass verhaeltnismaessig unerwartet viel erreicht und mehr nicht zu erreichen sei, schloss auf diese Bedingungen die Praeliminarien und den Waffenstillstand ab und zog die Truppen aus den Plaetzen heraus, die die Asiaten noch in Europa innehatten. Allein Mithradates verwarf den Frieden und begehrte wenigstens, dass die Roemer auf die Auslieferung der Kriegsschiffe verzichten und ihm Paphlagonien einraeumen wollten; indem er zugleich geltend machte, dass Fimbria ihm weit guenstigere Bedingungen zu gewaehren bereit sei. Sulla, beleidigt durch dies Gleichstellen seiner Anerbietungen mit denen eines amtlosen Abenteurers und bei dem aeussersten Mass der Nachgiebigkeit bereits angelangt, brach die Unterhandlungen ab. Er hatte die Zwischenzeit benutzt, um Makedonien wiederzuordnen und die Dardaner, Sinter, Maeder zu zuechtigen, wobei er zugleich seinem Heer Beute verschaffte und sich Asien naeherte; denn dahin zu gehen war er auf jeden Fall entschlossen, um mit Fimbria abzurechnen. Nun setzte er sofort seine in Thrakien stehenden Legionen sowie seine Flotte in Bewegung nach dem Hellespont. Da endlich gelang es Archelaos, seinem eigensinnigen Herrn die widerstrebende Einwilligung zu dem Traktat zu entreissen; wofuer er spaeter am koeniglichen Hofe als der Urheber des nachteiligen Friedens scheel angesehen, ja des Verrats bezichtigt ward, so dass einige Zeit nachher er sich genoetigt sah, das Land zu raeumen und zu den Roemern zu fluechten, die ihn bereitwillig aufnahmen und mit Ehren ueberhaeuften. Auch die roemischen Soldaten murrten; dass die gehoffte asiatische Kriegsbeute ihnen entging, mochte dazu freilich mehr beitragen als der an sich wohl gerechtfertigte Unwille, dass man den Barbarenfuersten, der achtzigtausend ihrer Landsleute ermordet und ueber Italien und Asien unsaegliches Elend gebracht hatte, mit dem groessten Teil der in Asien zusammengepluenderten Schaetze ungestraft abziehen liess in seine Heimat. Sulla selbst mag es schmerzlich empfunden haben, dass die politischen Verwicklungen seine militaerisch so einfache Aufgabe in peinlichster Weise durchkreuzten und ihn zwangen, nach solchen Siegen sich mit einem solchen Frieden zu begnuegen. Indes zeigt sich die Selbstverleugnung und die Einsicht, mit der er diesen ganzen Krieg gefuehrt hat, nur aufs neue in diesem Friedensschluss; denn der Krieg gegen einen Fuersten, dem fast die ganze Kueste des Schwarzen Meeres gehorchte und dessen Starrsinn noch die letzten Verhandlungen deutlich offenbarten, nahm selbst im guenstigsten Fall Jahre in Anspruch, und die Lage Italiens war von der Art, dass es fast schon fuer Sulla zu spaet schien, um mit den wenigen Legionen, die er besass, der dort regierenden Partei entgegenzutreten ^12. Indes bevor dies geschehen konnte, war es schlechterdings notwendig, den kecken Offizier niederzuwerfen, der in Asien an der Spitze der demokratischen Armee stand, damit derselbe nicht, wie Sulla jetzt von Asien aus die. italische Revolution zu unterdruecken hoffte, so dereinst ebenfalls von Asien aus derselben zu Hilfe komme. Bei Kypsela am Hebros erreichte Sulla die Nachricht von der Ratifikation des Friedens durch Mithradates; allein der Marsch nach Asien ging weiter. Der Koenig, hiess es, wuensche persoenlich mit dem roemischen Feldherrn zusammenzutreffen und den Frieden mit ihm zu vereinbaren; vermutlich war dies nichts als ein schicklicher Vorwand, um das Heer nach Asien ueberzufuehren und dort mit Fimbria ein Ende zu machen. So ueberschritt Sulla, begleitet von seinen Legionen und von Archelaos, den Hellespont; nachdem er am asiatischen Ufer desselben in Dardanos mit Mithradates zusammengetroffen war und muendlich den Vertrag abgeschlossen hatte, liess er den Marsch fortsetzen, bis er bei Thyateira unweit Pergamon auf das Lager des Fimbria traf. Hart an demselben schlug er das seinige auf. Die Sullanischen Soldaten, an Zahl, Zucht, Fuehrung und Tuechtigkeit den Fimbrianern weit ueberlegen, sahen mit Verachtung auf die verzagten und demoralisierten Haufen und deren unberufenen Oberfeldherrn. Die Desertionen unter den Fimbrianern wurden immer zahlreicher. Als Fimbria anzugreifen befahl, weigerten die Soldaten sich, gegen ihre Mitbuerger zu fechten, ja sogar den geforderten Eid, treulich im Kampf zusammenzustehen, in seine Haende abzulegen. Ein Mordversuch auf Sulla schlug fehl; zu der von Fimbria erbetenen Zusammenkunft erschien Sulla nicht, sondern begnuegte sich, ihm durch einen seiner Offiziere eine Aussicht auf persoenliche Rettung zu eroeffnen. Fimbria war eine frevelhafte Natur, aber keine Memme; statt das von Sulla ihm angebotene Schiff anzunehmen und zu den Barbaren zu fliehen, ging er nach Pergamon und fiel im Tempel des Asklepios in sein eigenes Schwert. Die kompromittiertesten aus seinem Heer begaben sich zu Mithradates oder zu den Piraten, wo sie bereitwillige Aufnahme fanden; die Masse stellte sich unter die Befehle Sullas. ----------------------------------------------- ^11 Die Angabe, dass Mithradates den Staedten, die seine Partei ergriffen hatten im Frieden Straflosigkeit ausbedungen habe (Memn. 35), erscheint schon nach dem Charakter des Siegers wie des Besiegten wenig glaublich und fehlt auch bei Appian wie bei Licinianus. Die schriftliche Abfassung des Friedensvertrages ward versaeumt, was spaeter zu vielen Entstellungen benutzt ward. ^12 Auch die armenische Tradition kennt den Ersten Mithradatischen Krieg. Koenig Ardasches von Armenien, berichtet Moses von Khorene, begnuegte sich nicht mit dem zweiten Rang, der ihm im Persischen (Parthischen) Reich von Rechts wegen zukam, sondern zwang den Partherkoenig Arschagan, ihm die hoechste Gewalt abzutreten, worauf er in Persien sich einen Palast bauen und daselbst Muenzen mit eigenem Bildnis schlagen liess und den Arschagan zum Unterkoenig Persiens, seinen Sohn Dicran (Tigranes) zum Unterkoenig Armeniens bestellte, seine Tochter Ardaschama aber vermaehlte mit dem Grossfuersten der Iberer Mihrdates (Mithradates), der von dem Mihrdates, Satrapen des Dareios und Statthalters Alexanders ueber die besiegten Iberer, abstammte und in den noerdlichen Bergen sowie ueber das Schwarze Meer befahl. Ardasches nahm darauf den Koenig der Lydier Kroesos gefangen, unterwarf das Festland zwischen den beiden grossen Meeren (Kleinasien) und ging ueber das Meer mit unzaehligen Schiffen, um den Westen zu bezwingen. Da in Rom damals Anarchie war, fand er nirgends ernstlichen Widerstand, aber seine Soldaten brachten einander um und Ardasches fiel von der Hand seiner Leute. Nach Ardasches’ Tode rueckte sein Nachfolger Dicran gegen die Armee der Griechen (d. i. der Roemer), die jetzt ihrerseits in das armenische Land eindrangen; er setzte ihrem Vordringen ein Ziel, uebergab seinem Schwager Mithradates die Verwaltung von Madschag (Mazaka in Kappadokien) und des Binnenlandes nebst einer ansehnlichen Streitmacht und kehrte zurueck nach Armenien. Viele Jahre spaeter zeigte man noch in den armenischen Staedten Statuen griechischer Goetter von bekannten Meistern, Siegeszeichen aus diesem Feldzug. Man erkennt hier verschiedene Tatsachen des Ersten Mithradatischen Kriegs ohne Muehe wieder, aber die ganze Erzaehlung ist augenscheinlich durcheinandergeworfen, mit fremdartigen Zusaetzen ausgestattet und namentlich durch patriotische Faelschung auf Armenien uebertragen. Ganz ebenso wird spaeter der Sieg ueber Crassus den Armeniern beigelegt. Diese orientalischen Nachrichten sind mit um so groesserer Vorsicht aufzunehmen, als sie keineswegs reine Volkssage sind, sondern teils die Nachrichten des Josephus, Eusebius und anderer, den Christen des fuenften Jahrhunderts gelaeufiger Quellen darin mit den armenischen Traditionen verschmolzen, teils auch die historischen Romane der Griechen und ohne Frage auch die eigenen patriotischen Phantasien des Moses dafuer ansehnlich in Kontribution gesetzt sind. So schlecht unsere okzidentalische Ueberlieferung an sich ist, so kann die Zuziehung der orientalischen in diesem und in aehnlichen Faellen, wie zum Beispiel der unkritische Saint-Martin sie versucht hat, doch nur dahin fuehren, sie noch staerker zu trueben. --------------------------------------------------- Sulla beschloss, diese beiden Legionen, denen er fuer den bevorstehenden Krieg doch nicht traute, in Asien zurueckzulassen, wo die entsetzliche Krise noch lange in den einzelnen Staedten und Landschaften nachzitterte. Das Kommando ueber dieses Korps und die Statthalterschaft im roemischen Asien uebergab er seinem besten Offizier Lucius Licinius Murena. Die revolutionaeren Massregeln Mithradats, wie die Befreiung der Sklaven und die Kassation der Forderungen, wurden natuerlich aufgehoben; eine Restauration, die freilich an vielen Orten nicht ohne Waffengewalt durchgesetzt werden konnte. Die Staedte des oestlichen Grenzgebiets unterlagen einer durchgreifenden Reorganisation und rechneten seit dem Jahre 670 (84) als dem ihrer Konstituierung. Es ward ferner Gerechtigkeit geuebt, wie die Sieger sie verstanden. Die namhaftesten Anhaenger Mithradats und die Urheber der an den Italikern veruebten Mordtaten traf die Todesstrafe. Die Steuerpflichtigen mussten die saemtlichen von den letzten fuenf Jahren her rueckstaendigen Zehnten und Zoelle sofort nach Abschaetzung bar erlegen; ausserdem hatten sie eine Kriegsentschaedigung von 20000 Talenten (32 Mill. Talern) zu entrichten, zu deren Eintreibung Lucius Lucullus zurueckblieb. Es waren die Massregeln von furchtbarer Strenge und schrecklichen Folgen; wenn man sich indes des ephesischen Dekrets und seiner Exekution erinnert, so fuehlt man sich geneigt, dieselben als eine verhaeltnismaessig noch gelinde Vergeltung zu betrachten. Dass die sonstigen Erpressungen nicht ungewoehnlich drueckend waren, beweist der Betrag der spaeter im Triumph aufgefuehrten Beute, der an edlem Metall sich nur auf etwa 8 Mill. Taler belief. Die wenigen treugebliebenen Gemeinden dagegen, namentlich die Insel Rhodos, die lykische Landschaft, Magnesia am Maeander wurden reich belohnt; Rhodos erhielt wenigstens einen Teil der nach dem Kriege gegen Perseus ihm entzogenen Besitzungen zurueck. Desgleichen wurden die Chier fuer die ausgestandene Not, die Ilienser fuer die wahnsinnig grausame Misshandlung, die ihnen Fimbria wegen der mit Sulla angeknuepften Verhandlungen zugefuegt hatte, nach Moeglichkeit durch Freibriefe und Verguenstigungen entschaedigt. Die Koenige von Bithynien und Kappadokien hatte Sulla schon in Dardanos mit dem pontischen Koenig zusammengefuehrt und sie alle Frieden und gute Nachbarschaft geloben lassen; wobei freilich der stolze Mithradates sich geweigert hatte, den nicht von koeniglichem Blute stammenden Ariobarzanes, den Sklaven, wie er ihn nannte, persoenlich vor sich zu lassen. Gaius Scribonius Curio ward beauftragt, in den beiden von Mithradates geraeumten Reichen die Wiederherstellung der gesetzlichen Zustaende zu ueberwachen. So war man am Ziel. Nach vier Kriegsjahren war der pontische Koenig wieder ein Klient der Roemer und in Griechenland, Makedonien und Kleinasien ein einheitliches und geordnetes Regiment wiederhergestellt; die Gebote des Vorteils und der Ehre waren, wo nicht zur Genuege, doch zur Notdurft befriedigt. Sulla hatte nicht bloss als Soldat und Feldherr glaenzend sich hervorgetan, sondern die schwere Mittelstrasse zwischen kuehnem Ausharren und klugem Nachgeben auf seinem von tausendfachen Hindernissen durchkreuzten Gange einzuhalten verstanden. Fast wie Hannibal hatte er gekriegt und gesiegt, um mit den Streitkraeften, die der erste Sieg ihm gab, alsbald zu einem zweiten und schwereren Kampfe sich zu schicken. Nachdem er seine Soldaten durch die ueppigen Winterquartiere in dem reichen Vorderasien einigermassen fuer ihre ausgestandenen Strapazen entschaedigt hatte, ging er im Fruehjahr 671 (83) auf 1600 Schiffen von Ephesos nach dem Peiraeeus und von da auf dem Landweg nach Patrae, wo die Schiffe wiederum bereit standen, um die Truppen nach Brundisium zu fuehren. Ihm vorauf ging ein Bericht an den Senat ueber seine Feldzuege in Griechenland und Asien, dessen Schreiber von seiner Absetzung nichts zu wissen schien; es war die stumme Ankuendigung der bevorstehenden Restauration. 9. Kapitel Cinna und Sulla Die gespannten und unklaren Verhaeltnisse, in denen Sulla bei seiner Abfahrt nach Griechenland im Anfang des Jahres 667 (87) Italien zurueckliess, sind frueher dargelegt worden: die halb erstickte Insurrektion, die Hauptarmee unter dem mehr als halb usurpierten Kommando eines politisch sehr zweideutigen Generals, die Verwirrung und die vielfach taetige Intrige in der Hauptstadt. Der Sieg der Oligarchie durch Waffengewalt hatte trotz oder wegen seiner Maessigung vielfaeltige Missvergnuegte gemacht. Die Kapitalisten, von den Schlaegen der schwersten Finanzkrise, die Rom noch erlebt hatte, schmerzlich getroffen, grollten der Regierung wegen des Zinsgesetzes, das sie erlassen, und wegen des Italischen und des Asiatischen Krieges, die sie nicht verhuetet hatte. Die Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt, beklagten nicht bloss den Verlust ihrer stolzen Hoffnungen auf Erlangung gleicher Rechte mit der herrschenden Buergerschaft, sondern auch den ihrer althergebrachten Vertraege und ihre neue voellig rechtlose Untertanenstellung. Die Gemeinden zwischen Alpen und Po waren ebenfalls unzufrieden mit den ihnen gemachten halben Zugestaendnissen und die Neubuerger und Freigelassenen erbittert durch die Kassation der Sulpicischen Gesetze. Der Stadtpoebel litt unter der allgemeinen Bedraengnis und fand es unerlaubt, dass das Saebelregiment sich die verfassungsmaessige Knuettelherrschaft nicht ferner hatte wollen gefallen lassen. Der hauptstaedtische Anhang der nach der Sulpicischen Umwaelzung Geaechteten, der infolge der ungemeinen Maessigung Sullas sehr zahlreich geblieben war, arbeitete eifrig daran, diesen die Erlaubnis zur Rueckkehr zu erwirken; namentlich einige reiche und angesehene Frauen sparten fuer diesen Zweck keine Muehe und kein Geld. Keine dieser Verstimmungen war eigentlich von der Art, dass sie einen neuen gewaltsamen Zusammenstoss der Parteien in nahe Aussicht stellte; groesstenteils waren sie zielloser und voruebergehender Art: aber sie alle naehrten das allgemeine Missbehagen und hatten schon mehr oder minder mitgewirkt bei der Ermordung des Rufus, den wiederholten Mordversuchen gegen Sulla, dem zum Teil oppositionellen Ausfall der Konsulund Tribunenwahlen fuer 667 (87). Der Name des Mannes, den die Missvergnuegten an die Spitze des Staats berufen hatten, des Lucius Cornelius Cinna, war bis dahin kaum genannt worden, ausser insofern er als Offizier im Bundesgenossenkrieg sich gut geschlagen hatte; ueber die Persoenlichkeit desselben und seine urspruenglichen Absichten sind wir weniger unterrichtet als ueber die irgendeines andern Parteifuehrers in der roemischen Revolution. Die Ursache ist allem Anschein nach keine andere, als dass dieser ganz gemeine und durch den niedrigsten Egoismus geleitete Gesell weitergehende politische Plaene von Haus aus gar nicht gehabt hat. Es ward gleich bei seinem Auftreten behauptet, dass er gegen ein tuechtiges Stueck Geld sich den Neubuergern und der Koterie des Marius verkauft habe, und die Beschuldigung sieht sehr glaublich aus; waere sie aber auch falsch, so bleibt es nichtsdestoweniger charakteristisch, dass ein derartiger Verdacht, wie er nie gegen Saturninus und Sulpicius geaeussert worden war, an Cinna haftete. In der Tat hat die Bewegung, an deren Spitze er sich stellte, ganz den Anschein der Geringhaltigkeit sowohl der Beweggruende wie der Ziele. Sie ging nicht so sehr von einer Partei aus als von einer Anzahl Missvergnuegter ohne eigentlich politische Zwecke und nennenswerten Rueckhalt, die hauptsaechlich die Rueckberufung der Verbannten in gesetzlicher oder ungesetzlicher Weise durchzusetzen sich vorgenommen hatte. Cinna scheint in die Verschwoerung nur nachtraeglich und nur deshalb hineingezogen zu sein, weil die Intrige, die infolge der Beschraenkung der tribunizischen Gewalt zur Vorbringung ihrer Antraege einen Konsul brauchte, unter den Konsularkandidaten fuer 667 (87) in ihm das geeignetste Werkzeug ersah und dann ihn als den Konsul vorschob. Unter den in zweiter Linie erscheinenden Leitern der Bewegung fanden sich einige faehigere Koepfe, so der Volkstribun Gnaeus Papirius Carbo, der durch seine stuermische Volksberedsamkeit sich einen Namen gemacht hatte, und vor allem Quintus Sertorius, einer der talentvollsten roemischen Offiziere und in jeder Hinsicht ein vorzueglicher Mann, welcher seit seiner Bewerbung um das Volkstribunat mit Sulla persoenlich verfeindet und durch diesen Hader in die Reihen der Missvergnuegten gefuehrt worden war, wohin er seiner Art nach keineswegs gehoerte. Der Prokonsul Strabo, obwohl mit der Regierung gespannt, war dennoch weit entfernt, mit dieser Fraktion sich einzulassen. Solange Sulla in Italien stand, hielten die Verbuendeten aus guten Gruenden sich still. Als indes der gefuerchtete Prokonsul, nicht den Mahnungen des Konsuls Cinna, sondern dem dringenden Stand der Dinge im Osten nachgebend, sich eingeschifft hatte, legte Cinna, unterstuetzt von der Majoritaet des Tribunenkollegiums, sofort die Gesetzentwuerfe vor, wodurch man uebereingekommen war, gegen die Sullanische Restauration von 666 (88) teilweise zu reagieren; sie enthielten die politische Gleichstellung der Neubuerger und der Freigelassenen, wie Sulpicius sie beantragt hatte, und die Wiedereinsetzung der infolge der Sulpicischen Revolution Geaechteten in den vorigen Stand. In Masse stroemten die Neubuerger nach der Hauptstadt, um dort mit den Freigelassenen zugleich die Gegner einzuschuechtern und noetigenfalls zu zwingen. Aber auch die Regierungspartei war entschlossen, nicht zu weichen; es stand Konsul gegen Konsul, Gnaeus Octavius gegen Lucius Cinna, und Tribun gegen Tribun; beiderseits erschien man am Tage der Abstimmung grossenteils bewaffnet auf dem Stimmplatz. Die Tribune von der Senatspartei legten Interzession ein; als gegen sie auf der Rednerbuehne selbst die Schwerter gezueckt wurden, brauchte Octavius gegen die Gewalttaeter Gewalt. Seine geschlossenen Haufen bewaffneter Maenner saeuberten nicht bloss die Heilige Strasse und den Marktplatz, sondern wueteten auch, der Befehle ihres milder gesinnten Fuehrers nicht achtend, in grauenhafter Weise gegen die versammelten Massen. Der Marktplatz schwamm in Blut an diesem "Octaviustag", wie niemals voroder nachher - auf zehntausend schaetzte man die Zahl der Leichen. Cinna rief die Sklaven auf, sich durch Teilnahme an dem Kampf die Freiheit zu erkaufen; aber sein Ruf war ebenso erfolglos wie der gleiche des Marius das Jahr zuvor, und es blieb den Fuehrern der Bewegung nichts uebrig, als zu fluechten. Weiter gegen die Haeupter der Verschwoerung, solange ihr Amtsjahr lief, zu verfahren gab die Verfassung kein Mittel an die Hand. Allein ein vermutlich mehr loyaler als frommer Prophet hatte geweissagt, dass die Verbannung des Konsuls Cinna und der sechs mit ihm haltenden Volkstribune dem Lande Frieden und Ruhe wiedergeben werde; und in Gemaessheit zwar nicht der Verfassung, aber wohl dieses gluecklich von den Orakelbewahrern aufgefangenen Goetterratschlags wurde durch Beschluss des Senats der Konsul Cinna seines Amtes entsetzt, an seiner Stelle Lucius Cornelius Merula gewaehlt und gegen die fluechtigen Haeupter die Acht ausgesprochen. Die ganze Krise schien damit endigen zu sollen, dass die Zahl der ausgetretenen Maenner in Numidien um einige Koepfe sich vermehrte. Ohne Zweifel waere auch bei der Bewegung nichts weiter herausgekommen, wenn nicht teils der Senat in seiner gewoehnlichen Schlaffheit es unterlassen haette, die Fluechtlinge rasch wenigstens zur Raeumung Italiens zu noetigen, teils diese in der Lage gewesen waeren, zu ihren Gunsten als der Verfechter der Emanzipation der Neubuerger gewissermassen den Aufstand der Italiker zu erneuern. Ungehindert erschienen sie in Tibur, in Praeneste, in allen bedeutenden Neubuergergemeinden Latiums und Kampaniens und forderten und erhielten ueberall zur Durchfuehrung der gemeinschaftlichen Sache Geld und Mannschaft. So unterstuetzt zeigten sie sich bei der Belagerungsarmee von Nola. Die Heere dieser Zeit waren demokratisch und revolutionaer gesinnt, wo immer nicht der Feldherr durch seine imponierende Persoenlichkeit sie an sich selber fesselte; die Reden der fluechtigen Beamten, die ueberdies zum Teil, wie namentlich Cinna und Sertorius, aus den letzten Feldzuegen in gutem Andenken bei den Soldaten standen, machten tiefen Eindruck; die verfassungswidrige Absetzung des popularen Konsuls, der Eingriff des Senats in die Rechte des souveraenen Volkes wirkten auf den gemeinen Mann, und den Offizieren machte das Gold des Konsuls oder vielmehr der Neubuerger den Verfassungsbruch deutlich. Das kampanische Heer erkannte den Cinna als Konsul an und schwor ihm Mann fuer Mann den Eid der Treue; es ward der Kern fuer die von den Neubuergern und selbst den bundesgenoessischen Gemeinden herbeistroemenden Scharen. Bald bewegten ansehnliche, wenn auch meistens aus Rekruten bestehende Haufen sich von Kampanien auf die Hauptstadt zu. Andere Schwaerme nahten ihr von Norden. Auf Cinnas Einladung waren die das Jahr zuvor Verbannten bei Telamon an der etruskischen Kueste gelandet. Es waren nicht mehr als etwa 500 Bewaffnete, groesstenteils Sklaven der Fluechtlinge und geworbene numidische Reiter; aber Gaius Marius, wie er das Jahr zuvor mit dem hauptstaedtischen Gesindel hatte Gemeinschaft machen wollen, liess jetzt die Zwinghaeuser erbrechen, in denen die Gutsbesitzer dieser Gegend ihre Feldarbeiter zur Nachtzeit einschlossen, und die Waffen, die er diesen bot, um sich die Freiheit zu erfechten, wurden nicht verschmaeht. Durch diese Mannschaft und die Zuzuege der Neubuerger sowie der von allen Seiten mit ihrem Anhang herbeistroemenden landfluechtigen Leute verstaerkt, zaehlte er bald 6000 Mann unter seinen Adlern und konnte vierzig Schiffe bemannen, die sich vor die Tibermuendung legten und auf die nach Rom segelnden Getreideschiffe Jagd machten. Mit diesen stellte er sich dem "Konsul" Cinna zur Verfuegung. Die Fuehrer der kampanischen Armee schwankten; die einsichtigeren, namentlich Sertorius, warnten ernstlich vor der allzuengen Gemeinschaft mit einem Manne, der durch seinen Namen an die Spitze der Bewegung gefuehrt werden musste und doch notorisch ebenso jedes staatsmaennischen Handelns unfaehig wie von wahnsinnigem Rachedurst gepeinigt war; indes Cinna achtete diese Bedenklichkeiten nicht und bestaetigte dem Marius den Oberbefehl in Etrurien und zur See mit prokonsularischer Gewalt. So zog sich das Gewitter um die Hauptstadt zusammen, und es konnte nicht laenger verschoben werden, zu ihrem Schutz die Regierungstruppen heranzuziehen ^1. Aber die Streitkraefte des Metellus wurden in Samnium und vor Nola durch die Italiker festgehalten; Strabo allein war imstande, der Hauptstadt zu Hilfe zu eilen. Er erschien auch und schlug sein Lager am Collinischen Tor; mit seiner starken und krieggewohnten Armee waere er wohl imstande gewesen, die noch schwachen Insurgentenhaufen rasch und voellig zu vernichten; allein dies schien nicht in seiner Absicht zu liegen. Vielmehr liess er es geschehen, dass Rom von den Insurgenten in der Tat umstellt ward. Cinna mit seinem Korps und dem des Carbo stellten sich am rechten Tiberufer dem Ianiculum gegenueber auf, Sertorius am linken, Pompeius gegenueber gegen den Servianischen Wall zu. Marius, mit seinem allmaehlich auf drei Legionen angewachsenen Haufen und im Besitz einer Anzahl von Kriegsschiffen, besetzte einen Kuestenplatz nach dem andern, bis zuletzt sogar Ostia durch Verrat in seine Gewalt kam und, gleichsam zum Vorspiel der herannahenden Schreckensherrschaft, der wilden Bande von dem Feldherrn zu Mord und Pluenderung preisgegeben ward. Die Hauptstadt schwebte, schon durch die blosse Hemmung des Verkehrs, in grosser Gefahr; auf Befehl des Senats wurden Mauern und Tore in Verteidigungszustand gesetzt und das Buergeraufgebot auf das Ianiculum befehligt. Strabos Untaetigkeit erregte bei Vornehmen und Geringen gleichmaessig Befremden und Entruestung. Der Verdacht, dass er mit Cinna insgeheim unterhandle, lag nahe, war indes wahrscheinlich unbegruendet; ein ernstliches Gefecht, das er dem Haufen des Sertorius lieferte, und die Unterstuetzung, die er dem Konsul Octavius gewaehrte, als Marius durch Einverstaendnis mit einem der Offiziere der Besatzung in das Ianiculum eingedrungen war, und durch die es in der Tat gelang, die Insurgenten mit starkem Verlust wieder hinauszuschlagen, bewiesen es, dass er nichts weniger beabsichtigte, als sich den Insurgentenfuehrern anzuschliessen oder vielmehr unterzuordnen. Vielmehr scheint seine Absicht gewesen zu sein, der geaengsteten hauptstaedtischen Regierung und Buergerschaft seinen Beistand gegen die Insurrektion um den Preis des Konsulats fuer das naechste Jahr zu verkaufen und damit das Heft des Regiments selber in die Haende zu bekommen. Der Senat war indes nicht geneigt, um dem einen Usurpator zu entgehen, sich dem andern in die Arme zu werfen, und suchte sich anderweitig zu helfen. Den saemtlichen, an dem Aufstand der Bundesgenossen beteiligten italischen Gemeinden, die die Waffen niedergelegt und infolgedessen ihr altes Buendnis eingebuesst hatten, wurde durch Senatsbeschluss nachtraeglich das Buergerrecht verliehen 2. Es schien gleichsam offiziell konstatiert werden zu sollen, dass Rom in dem Krieg gegen die Italiker seine Existenz nicht um eines grossen Zweckes, sondern um der eigenen Eitelkeit willen eingesetzt hatte: in der ersten augenblicklichen Verlegenheit wurde, um ein paar tausend Soldaten mehr auf die Beine zu bringen, alles aufgeopfert, was in dem Bundesgenossenkrieg um so fuerchterlich teuren Preis errungen worden war. In der Tat kamen auch Truppen aus den Gemeinden, denen diese Nachgiebigkeit zugute kam; aber statt der versprochenen vielen Legionen betrug ihr Zuzug im ganzen nicht mehr als hoechstens zehntausend Mann. Wichtiger noch waere es gewesen, mit den Samniten und Nolanern zu einem Abkommen zu gelangen, um die Truppen des durchaus zuverlaessigen Metellus zum Schutze der Hauptstadt verwenden zu koennen. Allein die Samniten stellten Forderungen, die an das Caudinische Joch erinnerten: Rueckgabe des den Samniten abgenommenen Beuteguts und ihrer Gefangenen und Ueberlaeufer; Verzicht auf die samnitischerseits den Roemern entrissene Beute; Bewilligung des Buergerrechts an die Samniten selbst sowie an die zu ihnen uebergetretenen Roemer. Der Senat verwarf selbst in dieser Not so entehrende Friedensbedingungen, wies aber den noch den Metellus an, mit Zuruecklassung einer kleinen Abteilung alle im suedlichen Italien irgend entbehrlichen Truppen schleunigst selber nach Rom zu fuehren. Er gehorchte; aber die Folge war, dass die Samniten den gegen sie zurueckgelassenen Legaten des Metellus Plautius mit seinem schwachen Haufen angriffen und schlugen, dass die nolanische Besatzung ausrueckte und die benachbarte, mit Rom verbuendete Stadt Abella in Brand steckte; dass ferner Cinna und Marius den Samniten alles bewilligten, was sie begehrten - was lag ihnen an roemischer Ehre! -und samnitischer Zuzug die Reihen der Insurgenten verstaerkte. Ein empfindlicher Verlust war es auch, dass nach einem fuer die Regierungstruppen ungluecklichen Gefecht Ariminum von den Insurgenten besetzt und dadurch die wichtige Verbindung zwischen Rom und dem Potal, von wo Mannschaft und Zufuhren erwartet wurden, unterbrochen ward. Mangel und Hunger stellten sich ein. Die grosse volkreiche, stark mit Truppen besetzte Stadt war nur ungenuegend mit Vorraeten versehen; und namentlich Marius liess es sich angelegen sein, ihr die Zufuhr mehr und mehr abzuschneiden. Schon frueher hatte er den Tiber durch eine Schiffbruecke gesperrt; jetzt brachte er durch die Eroberung von Antium, Lanuvium, Aricia und anderen Ortschaften die noch offenen Landverbindungswege in seine Gewalt und kuehlte zugleich vorlaeufig seine Rache, indem er, wo immer Gegenwehr geleistet worden war, die gesamte Buergerschaft mit Ausnahme derer, die etwa die Stadt ihm verraten hatten, ueber die Klinge springen liess. Ansteckende Krankheiten waren die Folge der Not und raeumten in den dicht um die Hauptstadt zusammengedraengten Heermassen fuerchterlich auf von Strabos Veteranenheer sollen 11000, von den Truppen des Octavius 6000 Mann denselben erlegen sein. Dennoch verzweifelte die Regierung nicht; und ein glueckliches Ereignis fuer sie war Strabos ploetzlicher Tod. Er starb an der Pest 3; die aus vielen Gruenden gegen ihn erbitterten Massen rissen seinen Leichnam von der Bahre und schleiften ihn durch die Strassen. Was von seinen Truppen uebrig war, vereinigte der Konsul Octavius mit seiner Armee. Nach Metellus’ Eintreffen und Strabos Abscheiden war die Regierungsarmee wieder ihren Gegnern wenigstens gewachsen und konnte am Albaner Gebirge gegen die Insurgenten zum Kampfe sich stellen. Allein die Gemueter der Regierungssoldaten waren tief erschuettert; als Cinna ihnen gegenueber erschien, empfingen sie ihn mit Zuruf, als waere er noch ihr Feldherr und Konsul; Metellus fand es geraten, es nicht auf die Schlacht ankommen zu lassen, sondern die Truppen in das Lager zurueckzufuehren. Die Optimaten selbst wurden unsicher und unter sich uneins. Waehrend eine Partei, an ihrer Spitze der ehrenwerte, aber stoerrige und kurzsichtige Konsul Octavius, sich beharrlich gegen jede Nachgiebigkeit setzte, versuchte der kriegskundigere und verstaendigere Metellus einen Vergleich zustande zu bringen; aber seine Zusammenkunft mit Cinna erregte den Zorn der Ultras beider Parteien: Cinna hiess dem Marius ein Schwaechling, Metellus dem Octavius ein Verraeter. Die Soldaten, ohnehin verstoert und nicht ohne Ursache der Fuehrung des unerprobten Octavius misstrauend, sannen Metellus an, den Oberbefehl zu uebernehmen, und begannen, da dieser sich weigerte, haufenweise die Waffen wegzuwerfen oder gar zum Feind zu desertieren. Die Stimmung der Buergerschaft wurde taeglich gedrueckter und schwieriger. Auf den Ruf der Herolde Cinnas, dass den ueberlaufenden Sklaven die Freiheit zugesichert sei, stroemten dieselben scharenweise aus der Hauptstadt in das feindliche Lager. Dem Vorschlage aber, dass der Senat den Sklaven, die in das Heer eintreten wuerden, die Freiheit zusichern solle, widersetzte Octavius sich entschieden. Die Regierung konnte es sich nicht verbergen, dass sie geschlagen war und dass nichts uebrig blieb, als mit den Fuehrern der Bande womoeglich ein Abkommen zu treffen, wie der ueberwaeltigte Wanderer es trifft mit dem Raeuberhauptmann. Boten gingen an Cinna; allein da sie toerichterweise Schwierigkeiten machten, ihn als Konsul anzuerkennen und Cinna waehrend dieser Weiterungen sein Lager hart vor die Stadttore verlegte, so griff das Ueberlaufen so sehr um sich, dass es nicht mehr moeglich war, irgendwelche Bedingungen festzusetzen, sondern der Senat sich einfach dem in die Acht erklaerten Konsul unterwarf, indem er nur die Bitte hinzufuegte, des Blutvergiessens sich zu enthalten. Cinna sagte es zu, aber weigerte sich, sein Versprechen eidlich zu bekraeftigen; Marius, ihm zur Seite den Verhandlungen beiwohnend, verharrte in finsterem Schweigen. ------------------------------------ ^1 Die ganze folgende Darstellung beruht wesentlich auf dem neu aufgefundenen Bericht des Licinianus, der eine Anzahl frueher unbekannter Tatsachen mitteilt und vor allem die Folge und Verknuepfung dieser Vorgaenge deutlicher, als bisher moeglich war, erkennen laesst. 2 3, 258. Dass eine Bestaetigung durch die Komitien nicht stattfand, geht aus Cic. Phil. 12, 11, 27 hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben, die Frist des Plautisch-Papirischen Gesetzes einfach zu verlaengern, was ihm nach Herkommen freistand und tatsaechlich hinauslief auf Erteilung des Buergerrechts an alle Italiker. 3 Adflatus sidere wie Livius (nach Obsequens 56) sagt, heisst "von der Pest ergriffen" (Petr. 2; Plin. nat. 2, 41, 108; Liv. 8, 9, 12), nicht "vom Blitz getroffen", wie die Spaeteren es missverstanden haben. ------------------------------------------------- Die Tore der Hauptstadt oeffneten sich. Der Konsul zog ein mit seinen Legionen; aber Marius, spoettisch erinnernd an das Achtgesetz, weigerte sich, die Stadt zu betreten, bevor das Gesetz es ihm gestatte, und eilig versammelten sich die Buerger auf dem Markt, um den kassierenden Beschluss zu fassen. So kam er denn und mit ihm die Schreckensherrschaft. Es war beschlossen, nicht einzelne Opfer auszuwaehlen, sondern die namhaften Maenner der Optimatenpartei saemtlich niedermachen zu lassen und ihre Gueter einzuziehen. Die Tore wurden gesperrt; fuenf Tage und fuenf Naechte waehrte unausgesetzt die Schlaechterei; einzelne Entkommene oder Vergessene wurden auch nachher noch taeglich erschlagen und monatelang ging die Blutjagd durch ganz Italien. Der Konsul Gnaeus Octavius war das erste Opfer. Seinem oft ausgesprochenen Grundsatz getreu, lieber den Tod zu leiden als den rechtlosen Leuten das geringste Zugestaendnis zu machen, weigerte er auch jetzt sich zu fliehen, und im konsularischen Schmuck harrte er auf dem Ianiculum des Moerders, der nicht lange saeumte. Es starben Lucius Caesar (Konsul 644 90), der gefeierte Sieger von Acerrae; sein Bruder Gaius, dessen unzeitiger Ehrgeiz den Sulpicischen Tumult heraufbeschworen hatte, bekannt als Redner und Dichter und als liebenswuerdiger Gesellschafter; Marcus Antonius (Konsul 665 99), nach dem Tode des Lucius Crassus unbestritten der erste Sachwalter seiner Zeit; Publius Crassus (Konsul 657 97), der im Spanischen und im Bundesgenossenkrieg und noch waehrend der Belagerung Roms mit Auszeichnung kommandiert hatte: ueberhaupt eine Menge der angesehensten Maenner der Regierungspartei, unter denen von den gierigen Haeschern namentlich die reichen mit besonderem Eifer verfolgt wurden. Jammervoll vor allen schien der Tod des Lucius Merula, der sehr wider seinen Wunsch Cinnas Nachfolger geworden war und nun deswegen peinlich angeklagt und vor die Komitien geladen, um der unvermeidlichen Verurteilung zuvorzukommen, sich die Adern oeffnete und am Altar des Hoechsten Jupiter, dessen Priester er war, nach Ablegung der priesterlichen Kopfbinde, wie es die religioese Pflicht des sterbenden Flamen mit sich brachte, den Geist aushauchte; und mehr noch der Tod des Quintus Catulus (Konsul 652 102), einst in besseren Tagen in dem herrlichsten Sieg und Triumph der Gefaehrte desselben Marius, der jetzt fuer die flehenden Verwandten seines alten Kollegen keine andere Antwort hatte als den einsilbigen Bescheid: "Er muss sterben!" Der Urheber all dieser Untaten war Gaius Marius. Er bezeichnete die Opfer und die Henker - nur ausnahmsweise ward, wie gegen Merula und Catulus, eine Rechtsform beobachtet; nicht selten war ein Blick oder das Stillschweigen, womit er die Begruessenden empfing, das Todesurteil, das stets sofort vollstreckt ward. Selbst mit dem Tode des Opfers ruhte seine Rache nicht; er verbot, die Leichen zu bestatten; er liess - worin freilich Sulla ihm vorangegangen war - die Koepfe der getoeteten Senatoren an die Rednerbuehne auf dem Marktplatz heften; einzelne Leichen liess er ueber den Markt schleifen, die des Gaius Caesar an der Grabstaette des vermutlich einst von Caesar angeklagten Quintus Varius noch einmal durchbohren; er umarmte oeffentlich den Menschen, der ihm, waehrend er bei Tafel sass, den Kopf des Antonius ueberreichte, den selber in seinem Versteck aufzusuchen und mit eigener Hand umzubringen er kaum hatte abgehalten werden koennen. Hauptsaechlich seine Sklavenlegionen, namentlich eine Abteilung Ardyaeer, dienten ihm als Schergen und versaeumten nicht, in diesen Saturnalien ihrer neuen Freiheit die Haeuser ihrer ehemaligen Herren zu pluendern und was ihnen darin vorkam, zu schaenden und zu morden. Seine eigenen Genossen waren in Verzweiflung ueber dieses wahnsinnige Wueten; Sertorius beschwor den Konsul, demselben um jeden Preis Einhalt zu tun, und auch Cinna war erschrocken. Aber in Zeiten, wie diese waren, wird der Wahnsinn selbst eine Macht; man stuerzt sich in den Abgrund, um vor dem Schwindel sich zu retten. Es war nicht leicht, dem rasenden alten Mann und seiner Bande in den Arm zu fallen, und am wenigsten Cinna hatte den Mut dazu; er waehlte den Marius vielmehr fuer das naechste Jahr zu seinem Kollegen im Konsulat. Das Schreckensregiment terrorisierte die gemaessigteren Sieger nicht viel weniger als die geschlagene Partei; nur die Kapitalisten waren nicht unzufrieden damit, dass eine fremde Hand sich dazu herlieh, die stolzen Oligarchen einmal gruendlich zu demuetigen, und zugleich infolge der umfassenden Konfiskationen und Versteigerungen der beste Teil der Beute an sie kam - sie erwarben in diesen Schreckenszeiten bei dem Volke sich den Beinamen der "Einsaeckler". Dem Urheber dieses Terrorismus, dem alten Gaius Marius, hatte also das Verhaengnis seine beiden hoechsten Wuensche gewaehrt. Er hatte Rache genommen an der ganzen vornehmen Meute, die ihm seine Siege vergaellt, seine Niederlagen vergiftet hatte; er hatte jeden Nadelstich mit einem Dolchstich vergelten koennen. Er trat ferner das neue Jahr noch einmal an als Konsul; das Traumbild des siebenten Konsulates, das der Orakelspruch ihm zugesichert, nach dem er seit dreizehn Jahren gegriffen hatte, war nun wirklich geworden. Was er wuenschte, hatten die Goetter ihm gewaehrt; aber auch jetzt noch, wie in der alten Sagenzeit, uebten sie die verhaengnisvolle Ironie, den Menschen zu verderben durch die Erfuellung seiner Wuensche. In seinen ersten Konsulaten der Stolz, im sechsten das Gespoett seiner Mitbuerger, stand er jetzt im siebenten belastet mit dem Fluche aller Parteien, mit dem Hass der ganzen Nation; er, der von Haus aus rechtliche, tuechtige, kernbrave Mann, gebrandmarkt als das wahnwitzige Oberhaupt einer ruchlosen Raeuberbande. Er selbst schien es zu fuehlen. Wie im Taumel vergingen ihm die Tage, und des Nachts versagte ihm seine Lagerstatt die Ruhe, so dass er zum Becher griff, um nur sich zu betaeuben. Ein hitziges Fieber ergriff ihn; nach siebentaegigem Krankenlager, in dessen wilden Phantasien er auf den kleinasiatischen Gefilden die Schlachten schlug, deren Lorbeer Sulla bestimmt war, am 13. Januar 668 (86) war er eine Leiche. Er starb, ueber siebzig Jahr alt, im Vollbesitz dessen, was er Macht und Ehre nannte, und in seinem Bette; aber die Nemesis ist mannigfaltig und suehnt nicht immer Blut mit Blut. Oder war es etwa keine Vergeltung, dass Rom und Italien bei der Nachricht von dem Tode des gefeierten Volkserretters jetzt aufatmeten wie kaum bei der Kunde von der Schlacht auf dem Raudischen Feld? Auch nach seinem Tode zwar kamen einzelne Auftritte vor, die an die Schreckenszeit erinnerten; so machte zum Beispiel Gaius Fimbria, der wie kein anderer bei den Marianischen Schlaechtereien seine Hand in Blut getaucht hatte, bei dem Leichenbegaengnis des Marius selbst einen Versuch, den allgemein verehrten und selbst von Marius verschonten Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95) umzubringen und klagte dann, als derselbe von der empfangenen Wunde genas, ihn peinlich an, wegen des Verbrechens, wie er scherzhaft sich ausdrueckte, dass er sich nicht habe wollen ermorden lassen. Aber die Orgien des Mordens waren doch vorueber. Unter dem Vorwand der Soldzahlung rief Sertorius die Marianischen Banditen zusammen, umzingelte sie mit seinen zuverlaessigen keltischen Truppen und liess sie, nach den geringsten Angaben 4000 an der Zahl, saemtlich niederhauen. Mit dem Schreckensregiment zugleich war die Tyrannis gekommen. Cinna stand nicht bloss vier Jahre nacheinander (667-670 87-84) als Konsul an der Spitze des Staats, sondern er ernannte auch regelmaessig sich und seine Kollegen, ohne das Volk zu befragen; es war, als ob diese Demokraten die souveraene Volksversammlung mit absichtlicher Geringschaetzung beiseite schoeben. Kein anderes Haupt der Popularpartei voroder nachher hat eine so vollkommen absolute Gewalt in Italien wie in dem groessten Teil der Provinzen so lange Zeit hindurch fast ungestoert besessen wie Cinna; aber es ist auch keiner zu nennen, dessen Regiment so vollkommen nichtig und ziellos gewesen waere. Man nahm natuerlich das von Sulpicius und spaeter von Cinna selbst beantragte, den Neubuergern und den Freigelassenen gleiches Stimmrecht mit den Altbuergern zusichernde Gesetz wieder auf und liess dasselbe durch einen Senatsbeschluss foermlich als zu Recht bestehend bestaetigen (670 84). Man ernannte Zensoren (668 86), um demgemaess saemtliche Italiker in die fuenfunddreissig Buergerbezirke zu verteilen - eine seltsame Fuegung dabei war es, dass infolge des Mangels von faehigen Kandidaten zur Zensur derselbe Philippus, der als Konsul 663 (91) hauptsaechlich den Plan des Drusus, den Italikern das Stimmrecht zu verleihen, hatte scheitern machen, jetzt dazu ausersehen ward, sie als Zensor in die Buergerrollen einzuschreiben. Man stiess natuerlich die von Sulla im Jahre 666 (88) begruendeten reaktionaeren Institutionen um. Man tat einiges, um dem Proletariat sich gefaellig zu erweisen - so wurden wahrscheinlich die vor einigen Jahren eingefuehrten Beschraenkungen der Getreideverteilung jetzt wiederum beseitigt; so wurde nach dem Vorschlag des Volkstribuns Marcus Iunius Brutus die von Gaius Gracchus beabsichtigte Koloniegruendung in Capua im Fruehjahr 671 (83) in der Tat ins Werk gesetzt; so veranlasste Lucius Valerius Flaccus der Juengere ein Schuldgesetz, das jede Privatforderung auf den vierten Teil ihres Nominalbetrags herabsetzte und drei Viertel zu Gunsten der Schuldner kassierte. Diese Massregeln aber, die einzigen konstitutiven waehrend des ganzen Cinnanischen Regiments, sind ohne Ausnahme vom Augenblick diktiert; es liegt - und vielleicht ist dies das Entsetzlichste bei dieser ganzen Katastrophe - derselben nicht etwa ein verkehrter, sondern gar kein politischer Plan zu Grunde. Man liebkoste den Poebel und verletzte ihn zugleich in hoechst unnoetiger Weise durch zwecklose Missachtung der verfassungsmaessigen Wahlordnung. Man konnte an der Kapitalistenpartei einen Halt finden und schaedigte sie aufs empfindlichste durch das Schuldgesetz. Die eigentliche Stuetze des Regiments waren - durchaus ohne dessen Zutun - die Neubuerger; man liess sich ihren Beistand gefallen, aber es geschah nichts, um die seltsame Stellung der Samniten zu regeln, die dem Namen nach jetzt roemische Buerger waren, aber offenbar tatsaechlich ihre landschaftliche Unabhaengigkeit als den eigentlichen Zweck und Preis des Kampfes betrachteten und diese gegen all und jeden zu verteidigen in Waffen blieben. Man schlug die angesehenen Senatoren tot wie tolle Hunde; aber nicht das geringste ward getan, um den Senat im Interesse der Regierung zu reorganisieren oder auch nur dauernd zu terrorisieren, so dass dieselbe auch seiner keineswegs sicher war. So hatte Gaius Gracchus den Sturz der Oligarchie nicht verstanden, dass der neue Herr sich auf seinem selbstgeschaffenen Thron verhalten koenne, wie es legitime Nullkoenige zu tun belieben. Aber diesen Cinna hatte nicht sein Wollen, sondern der reine Zufall emporgetragen; war es ein Wunder, dass er blieb, wo die Sturmflut der Revolution ihn hingespuelt hatte, bis eine zweite Sturmflut kam, ihn wiederfortzuschwemmen? Dieselbe Verbindung der gewaltigsten Machtfuelle mit der vollstaendigsten Impotenz und Inkapazitaet der Machthaber zeigte die Kriegfuehrung der revolutionaeren Regierung gegen die Oligarchie, an der denn doch zunaechst ihre Existenz hing. In Italien gebot sie unumschraenkt. Unter den Altbuergern war ein sehr grosser Teil grundsaetzlich demokratisch gesinnt; die noch groessere Masse der ruhigen Leute missbilligte zwar die Marianischen Greuel, sahen aber in einer oligarchischen Restauration nichts als die Eroeffnung eines zweiten Schreckensregiments der entgegengesetzten Partei. Der Eindruck der Untaten des Jahres 667 (87) auf die Nation insgesamt war verhaeltnismaessig gering gewesen, da sie vorwiegend doch nur die hauptstaedtische Aristokratie betroffen hatten, und ward ueberdies einigermassen ausgeloescht durch das darauffolgende dreijaehrige, leidlich ruhige Regiment. Die gesamte Masse der Neubuerger endlich, vielleicht drei Fuenftel der Italiker, stand entschieden wo nicht fuer die gegenwaertige Regierung, doch gegen die Oligarchie. Gleich Italien hielten zu jener die meisten Provinzen: Sizilien, Sardinien, beide Gallien, beide Spanien. In Africa machte Quintus Metellus, der den Moerdern gluecklich entkommen war, einen Versuch, diese Provinz fuer die Optimaten zu halten; zu ihm begab sich aus Spanien Marcus Crassus, der juengste Sohn des in dem Marianischen Blutbad umgekommenen Publius Crassus, und verstaerkte ihn durch einen in Spanien zusammengebrachten Haufen. Allein sie mussten, da sie sich untereinander entzweiten, dem Statthalter der revolutionaeren Regierung, Gaius Fabius Hadrianus, weichen. Asien war in den Haenden Mithradats; somit blieb als einzige Freistatt der verfemten Oligarchie die Provinz Makedonien, soweit sie in Sullas Gewalt war. Dorthin retteten sich Sullas Gemahlin und Kinder, die mit Muehe dem Tode entgangen waren, und nicht wenige entkommene Senatoren, so dass bald in seinem Hauptquartier eine Art von Senat sich bildete. An Dekreten gegen den oligarchischen Prokonsul liess es die Regierung nicht fehlen. Sulla ward durch die Komitien seines Kommandos und seiner sonstigen Ehren und Wuerden entsetzt und geaechtet, wie das in gleicher Weise auch gegen Metellus, Appius Claudius und andere angesehene Fluechtlinge geschah; sein Haus in Rom wurde geschleift, seine Landgueter verwuestet. Indes damit freilich war die Sache nicht erledigt. Haette Gaius Marius laenger gelebt, so waere er ohne Zweifel selbst gegen Sulla dorthin marschiert, wohin noch auf seinem Todbette die Fieberbilder ihn fuehrten; welche Massregeln nach seinem Tode die Regierung ergriff, ward schon erzaehlt. Lucius Valerius Flaccus der juengere 4, der nach Marius’ Tode das Konsulat und das Kommando im Osten uebernahm (668 86), war weder Soldat noch Offizier, sein Begleiter Gaius Fimbria nicht unfaehig, aber unbotmaessig, das ihnen mitgegebene Heer schon der Zahl nach dreifach schwaecher als die Sullanische Armee. Man vernahm nacheinander, dass Flaccus, um nicht von Sulla erdrueckt zu werden, an ihm vorueber nach Asien abgezogen sei (668 86), dass Fimbria ihn beseitigt und sich selbst an seine Stelle gesetzt habe (Anfang 669 85), dass Sulla Frieden geschlossen habe mit Mithradates (669/70 85/84). Bis dahin hatte Sulla den in der Hauptstadt regierenden Behoerden gegenueber geschwiegen; jetzt lief ein Schreiben von ihm an den Senat ein, worin er die Beendigung des Krieges berichtete und seine Rueckkehr nach Italien ankuendigte; die den Neubuergern erteilten Rechte werde er achten; Strafexekutionen seien zwar unvermeidlich, allein sie wuerden nicht die Massen, sondern die Urheber treffen. Diese Ankuendigung schreckte Cinna aus seiner Untaetigkeit auf; wenn er bisher nichts gegen Sulla getan hatte, als dass einige Mannschaft unter die Waffen gestellt und eine Anzahl Schiffe im Adriatischen Meere versammelt worden war, so beschloss er jetzt, schleunigst nach Griechenland ueberzugehen. Aber andererseits weckte Sullas Schreiben, das den Umstaenden nach aeusserst gemaessigt zu nennen war, in der Mittelpartei Hoffnungen auf eine friedliche Ausgleichung. Die Majoritaet des Senats beschloss nach dem Vorschlag des aelteren Flaccus, einen Suehneversuch einzuleiten und zu dem Ende Sulla aufzufordern, sich unter Verbuergung sicheren Geleits in Italien einzufinden, die Konsuln Cinna und Carbo aber zu veranlassen, bis zum Eingang von Sullas Antwort die Ruestungen einzustellen. Sulla wies die Vorschlaege nicht unbedingt von der Hand; er kam zwar natuerlich nicht selbst, aber liess durch Boten erklaeren, dass er nichts fordere als Wiedereinsetzung der Verbannten in den vorigen Stand und gerichtliche Bestrafung der begangenen Verbrechen, Sicherheit uebrigens nicht geleistet begehre, sondern denen daheim zu bringen gedenke. Seine Abgesandten fanden den Stand der Dinge in Italien wesentlich veraendert. Cinna hatte, ohne um jenen Senatsbeschluss sich weiter zu bekuemmern, sofort nach aufgehobener Sitzung sich zum Heer begeben und die Einschiffung desselben betrieben. Die Aufforderung, in der boesen Jahreszeit sich dem Meer anzuvertrauen, rief unter den schon schwierigen Truppen im Hauptquartier zu Ancona eine Meuterei hervor, deren Opfer Cinna ward (Anfang 670 84), worauf sein Kollege Carbo sich genoetigt sah, die schon uebergegangenen Abteilungen zurueckzufuehren und, auf das Aufnehmen des Krieges in Griechenland verzichtend, Winterquartiere in Ariminum zu beziehen. Sullas Antraege aber fanden darum keine bessere Aufnahme: der Senat wies seine Vorschlaege zurueck, ohne auch nur die Boten nach Rom zu lassen, und befahl ihm kurzweg, die Waffen niederzulegen. Es war nicht zunaechst die Koterie der Marianer, welche dies entschiedene Auftreten bewirkte. Eben jetzt, wo es galt, musste diese Faktion die bisher usurpierte Besetzung des hoechsten Amtes abgeben und fuer das entscheidende Jahr 671 (83) wieder Konsulwahlen veranstalten. Die Stimmen vereinigten hierbei sich nicht auf den bisherigen Konsul Carbo noch auf einen der faehigen Offiziere der bis dahin regierenden Clique, wie Quintus Sertorius oder Gaius Marius den Sohn, sondern auf Lucius Scipio und Gaius Norbanus, zwei Inkapazitaeten, von denen keiner zu schlagen, Scipio nicht einmal zu sprechen verstand, und von denen jener nur als der Urenkel des Antiochossiegers, dieser als politischer Gegner der Oligarchie sich der Menge empfahlen. Die Marianer wurden nicht so sehr ihrer Untaten wegen verabscheut als ihrer Nichtigkeit wegen verachtet; aber wenn die Nation nichts von diesen, so wollte sie in ihrer grossen Majoritaet noch viel weniger von Sulla und einer oligarchischen Restauration etwas wissen. Man dachte ernstlich an Abwehr. Waehrend Sulla nach Asien ueberging, das Heer des Fimbria zum Uebertritt bestimmte und dessen Fuehrer durch seine eigene Hand fiel, benutzte die Regierung in Italien die durch diese Schritte Sullas ihr gegoennte weitere Jahresfrist zu energischen Ruestungen: es sollen bei Sullas Landung 100000, spaeter sogar die doppelte Anzahl von Bewaffneten gegen ihn gestanden haben. ------------------------------------------- 4 Lucius Valerius Flaccus, den die Fasten als Konsul 668 (86) nennen, ist nicht der Konsul des Jahres 654 (100), sondern ein gleichnamiger juengerer Mann, vielleicht des vorigen Sohn. Einmal ist das Gesetz, das die Wiederwahl zum Konsulat untersagte, von ca. 603 (151) bis 673 (81) rechtlich in Kraft geblieben, und es ist nicht wahrscheinlich, dass dasselbe, war fuer Scipio Aemilianus und Marius, auch fuer Flaccus geschah. Zweitens wird nirgends, wo der eine oder der andere Flaccus genannt wird, eines doppelten Konsulats gedacht, auch nicht, wo es notwendig war wie Cic. Flacc. 32, 77. Drittens kann der Lucius Valerius Flaccus, der im Jahre 669 (85) als Vormann des Senats, also als Konsulat in Rom taetig war (Liv. 83), nicht der Konsul des Jahres 668 (86) sein, da dieser damals bereits nach Asien abgegangen und wahrscheinlich schon tot war. Der Konsul 654 (100), Zensor 657 (97), ist derjenige, den Cicero (Att. 8, 3, 6) unter den 667 (87) in Rom anwesenden Konsulaten nennt; er war 669 (85) unzweifelhaft der aelteste lebende Altzensor und also geeignet zum Vormann des Senats; er ist auch der Zwischenkoenig und der Reiterfuehrer von 672 (82). Dagegen ist der Konsul 668 (86), der in Nikomedeia umkam, der Vater des von Cicero verteidigten Lucius Flaccus (Flacc. 25, 61; vgl. 23, 55; 32, 77). --------------------------------------------- Gegen diese italische Macht hatte Sulla nichts in die Waagschale zu legen als seine fuenf Legionen, die, auch mit Einrechnung einiger in Makedonien und im Peloponnes aufgebotener Zuzuege, kaum auf 40000 Mann sich belaufen mochten. Allerdings hatte dies Heer in siebenjaehrigen Kaempfen in Italien, Griechenland und Asien des Politisierens sich entwoehnt und hing seinem Feldherrn, der den Soldaten alles, Schwelgerei, Bestialitaet, sogar Meuterei gegen die Offiziere, nachsah, nichts verlangte als Tapferkeit und Treue gegen den Feldherrn und fuer den Sieg die verschwenderischsten Belohnungen in Aussicht stellte, mit allem jenem soldatischen Enthusiasmus an, der um so gewaltiger ist, als dabei die edelsten und die gemeinsten Leidenschaften oft in derselben Brust sich begegnen. Freiwillig schworen nach roemischer Sitte die Sullanischen Soldaten sich einander es zu, fest zusammenzuhalten, und freiwillig brachte ein jeder dem Feldherrn seinen Sparpfennig als Beisteuer zu den Kriegskosten. Allein so ansehnlich diese geschlossene Kernschar gegen die feindlichen Massen ins Gewicht fiel, so erkannte doch Sulla sehr wohl, dass Italien nicht mit fuenf Legionen bezwungen werden konnte, wenn es im entschlossenen Widerstande einig zusammenhielt. Mit der Popularpartei und ihren unfaehigen Autokraten fertig zu werden, waere nicht schwierig gewesen; aber er sah sich gegenueber und mit dieser vereinigt die ganze Masse derer, die keine oligarchische Schreckensrestauration wollten, und vor allen Dingen die gesamte Neubuergerschaft, sowohl diejenigen, die durch das Julische Gesetz von der Teilnahme an der Insurrektion sich hatten abhalten lassen, als diejenigen, deren Schilderhebung vor wenigen Jahren Rom an den Rand des Verderbens gefuehrt hatte. Sulla uebersah vollkommen die Lage der Verhaeltnisse und war weit entfernt von der blinden Erbitterung und der eigensinnigen Starrheit, die die Majoritaet seiner Partei charakterisierten. Waehrend das Staatsgebaeude in vollen Flammen stand, waehrend man seine Freunde ermordete, seine Haeuser zerstoerte, seine Familie ins Elend trieb, war er unbeirrt auf seinem Posten verblieben, bis der Landesfeind ueberwaeltigt und die roemische Grenze gesichert war. In demselben Sinne patriotischer und einsichtiger Maessigung behandelte er auch jetzt die italischen Verhaeltnisse und tat, was er irgend tun konnte, um die Gemaessigten und die Neubuerger zu beruhigen und um zu verhindern, dass nicht unter dem Namen des Buergerkrieges der weit gefaehrlichere Krieg zwischen den Altroemern und den italischen Bundesgenossen abermals emporlodere. Schon das erste Schreiben, das Sulla an den Senat richtete, hatte nichts als Recht und Gerechtigkeit gefordert und eine Schreckensherrschaft ausdruecklich zurueckgewiesen; im Einklang damit stellte er nun allen denen, die noch jetzt von der revolutionaeren Regierung sich lossagen wuerden, unbedingte Begnadigung in Aussicht und veranlasste seine Soldaten, Mann fuer Mann, zu schwoeren, dass sie den Italikern durchaus als Freunden und Mitbuergern begegnen wuerden. Die buendigsten Erklaerungen sicherten den Neubuergern die von ihnen erworbenen politischen Rechte; so dass Carbo deshalb von jeder italischen Stadtgemeinde sich Geiseln wollte stellen lassen, was indes an der allgemeinen Indignation und an dem Widerspruch des Senats scheiterte. Die Hauptschwierigkeit der Lage Sullas bestand in der Tat darin, dass bei der eingerissenen Wortund Treulosigkeit die Neubuerger allen Grund hatten, wenn nicht an seinen persoenlichen Absichten, doch daran zu zweifeln, ob er es vermoegen werde, seine Partei zum Worthalten nach dem Siege zu bestimmen. Im Fruehling 671 (83) landete Sulla mit seinen Legionen in dem Hafen von Brundisium. Der Senat erklaerte auf die Nachricht davon das Vaterland in Gefahr und uebertrug den Konsuln unbeschraenkte Vollmacht; aber diese unfaehigen Leiter hatten sich nicht vorgesehen und waren durch die seit Jahren in Aussicht stehende Landung dennoch ueberrascht. Das Heer befand sich noch in Ariminum, die Haefen waren unbesetzt und ueberhaupt unglaublicherweise in dem ganzen suedoestlichen Litoral kein Mann unter den Waffen. Die Folgen zeigten sich bald. Gleich Brundisium selbst, eine ansehnliche Neubuergergemeinde, oeffnete ohne Widerstand dem oligarchischen General die Tore und dem gegebenen Beispiel folgte ganz Messapien und Apulien. Die Armee marschierte durch diese Gegenden wie durch Freundesland und hielt, ihres Eides eingedenk, durchgaengig die strengste Mannszucht. Von allen Seiten stroemten die versprengten Reste der Optimatenpartei in das Lager Sullas. Aus den Bergschluchten Liguriens, wohin er von Afrika sich gerettet hatte, kam Quintus Metellus und uebernahm wieder, als Kollege Sullas, das im Jahr 667 (87) ihm uebertragene und von der Revolution ihm aberkannte prokonsularische Kommando; ebenso erschien von Afrika her mit einer kleinen Schar Bewaffneter Marcus Crassus. Die meisten Optimaten freilich kamen als vornehme Emigranten mit grossen Anspruechen und geringer Kampflust, so dass sie von Sulla selbst bittere Worte zu hoeren bekamen ueber die adligen Herren, die zum Heil des Staates sich wollten retten lassen und nicht einmal dazu zu bringen seien, ihre Sklaven zu bewaffnen. Wichtiger war es, dass schon Ueberlaeufer aus dem demokratischen Lager sich einstellten - so der feine und angesehene Lucius Philippus, nebst ein paar notorisch unfaehigen Leuten der einzige Konsular, der mit der revolutionaeren Regierung sich eingelassen und unter ihr Aemter angenommen hatte; er fand bei Sulla die zuvorkommendste Aufnahme und erhielt den ehrenvollen und bequemen Auftrag, die Provinz Sardinien fuer ihn zu besetzen. Ebenso wurden Quintus Lucretius Ofelia und andere brauchbare Offiziere empfangen und sofort beschaeftigt; selbst Publius Cethegus, einer der nach der Sulpicischen Erneute von Sulla geaechteten Senatoren, erhielt Verzeihung und eine Stellung im Heer. Wichtiger noch als die einzelnen Uebertritte war der der Landschaft Picenum, der wesentlich dem Sohne des Strabo, dem jungen Gnaeus Pompeius, verdankt ward. Dieser, gleich seinem Vater von Haus aus kein Anhaenger der Oligarchie, hatte die revolutionaere Regierung anerkannt und sogar in Cinnas Heer Dienste genommen; allein es ward ihm nicht vergessen, dass sein Vater die Waffen gegen die Revolution getragen hatte; er sah sich vielfach angefeindet, ja sogar durch Anklage auf Herausgabe der nach der Einnahme von Asculum von seinem Vater wirklich oder angeblich unterschlagenen Beute mit dem Verlust seines sehr betraechtlichen Vermoegens bedroht. Zwar wendete mehr als die Beredsamkeit des Konsulars Lucius Philippus und des jungen Quintus Hortensius der Schutz des ihm persoenlich gewogenen Konsuls Carbo den oekonomischen Ruin von ihm ab; aber die Verstimmung blieb. Auf die Nachricht von Sullas Landung ging er nach Picenum, wo er ausgedehnte Besitzungen und von seinem Vater und dem Bundesgenossenkriege her die besten munizipalen Verbindungen hatte und pflanzte in Auximum (Osimo) die Fahne der optimatischen Partei auf. Die meistens von Altbuergern bewohnte Landschaft fiel ihm zu; die junge Mannschaft, welche grossenteils mit ihm unter seinem Vater gedient hatte, stellte sich bereitwillig unter den beherzten Fuehrer, der, noch nicht dreiundzwanzigjaehrig, ebensosehr Soldat wie General war, im Reitergefecht den Seinen voraussprengte und tuechtig mit in den Feind einhieb. Das picenische Freiwilligenkorps wuchs bald auf drei Legionen; den aus der Hauptstadt zur Daempfung der picenischen Insurrektion ausgesandten Abteilungen unter Cloelius, Gaius Carrinas, Lucius Iunius Brutus Damasippus 5 wusste der improvisierte Feldherr, die unter denselben entstandenen Zwistigkeiten geschickt benutzend, sich zu entziehen oder sie einzeln zu schlagen und mit dem Hauptheer Sullas, wie es scheint in Apulien, die Verbindung herzustellen. Sulla begruesste ihn als Imperator, das heisst als einen im eigenen Namen kommandierenden und nicht unter, sondern nehmen ihm stehenden Offizier und zeichnete den Juengling durch Ehrenbezeigungen aus, wie er sie keinem seiner vornehmen Klienten erwies - vermutlich nicht ohne die Nebenabsicht, der charakterlosen Schwaeche seiner eigenen Parteigenossen damit eine indirekte Zuechtigung zukommen zu lassen. --------------------------------------------- 5 Nur an diesen kann hier gedacht werden, da Marcus Brutus, der Vater des sogenannten Befreiers, im Jahr 671 (83) Volkstribun war, also nicht im Felde kommandieren konnte. --------------------------------------------- Also moralisch und materiell ansehnlich verstaerkt gelangten Sulla und Metellus nach Apulien durch die immer noch insurgierten samnitischen Gegenden nach Kampanien. Hierhin wandte sich auch die feindliche Hauptmacht, und es schien die Entscheidung hier fallen zu muessen. Das Heer des Konsuls Gaius Norbanus stand bereits bei Capua, wo eben die neue Kolonie mit allem demokratischen Pomp sich konstituierte; die zweite Konsulararmee rueckte ebenfalls auf der Appischen Strasse heran. Aber bevor sie eintraf, stand Sulla schon dem Norbanus gegenueber. Ein letzter Vermittlungsversuch, den Sulla machte, fuehrte nur dazu, dass man an seinen Boten sich vergriff. In frischer Erbitterung warfen seine kampfgewohnten Scharen sich auf den Feind; ihr gewaltiger Stoss vom Berge Tifata herab zersprengte den in der Ebene aufgestellten Feind im ersten Anlauf; mit dem Rest seiner Mannschaft warf sich Norbanus in die revolutionaere Kolonie Capua und die Neubuergerstadt Neapolis und liess dort sich blockieren. Sullas Truppen, bisher nicht ohne Besorgnis ihre schwache Zahl mit den feindlichen Massen vergleichend, hatten durch diesen Sieg das Vollgefuehl militaerischer Ueberlegenheit gewonnen; statt mit der Belagerung der Truemmer der geschlagenen Armee sich aufzuhalten, liess Sulla die Staedte umstellen, wo sie sich befanden, und rueckte auf der Appischen Strasse vor gegen Teanum, wo Scipio stand. Auch ihm bot er, ehe der Kampf begann, noch einmal die Hand zum Frieden; es scheint in gutem Ernste. Scipio, schwach wie er war, ging darauf ein; ein Waffenstillstand ward geschlossen; zwischen Cales und Teanum kamen die beiden Feldherren, beide Glieder des gleichen Adelsgeschlechts, beide gebildet und feingesittet und langjaehrige Kollegen im Senat, persoenlich zusammen; man liess sich auf die einzelnen Fragen ein; schon war man so weit, dass Scipio einen Boten nach Capua absandte, um die Meinung seines Kollegen einzuholen. Inzwischen mischten sich die Soldaten beider Lager; die Sullaner, von ihrem Feldherrn reichlich mit Geld versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim Becher leicht begreiflich, dass es besser sei, sie zu Kameraden als zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn, diesem gefaehrlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die Verstaendigung, die so nahe geschienen, trat doch nicht ein; Scipio war es, welcher den Waffenstillstand kuendigte. Aber Sulla behauptete, dass es zu spaet und der Vertrag bereits abgeschlossen gewesen sei; und unter dem Vorwand, dass ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, gingen Scipios Soldaten in Masse ueber in die feindlichen Reihen. Die Szene schloss mit einer allgemeinen Umarmung, der die kommandierenden Offiziere der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla liess den Konsul auffordern, sein Amt niederzulegen, was er tat, und ihn nebst seinem Stab durch seine Reiter dahin eskortieren, wohin sie begehrten; allein kaum in Freiheit gesetzt, legte Scipio die Abzeichen seiner Wuerde wieder an und begann aufs neue, Truppen zusammenzuziehen, ohne indes weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen Winterquartiere in Kampanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch, mit Norbanus sich zu verstaendigen, gescheitert war, Capua den Winter ueber blockiert. Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren fuer Sulla die Unterwerfung von Apulien, Picenum und Kampanien, die Aufloesung der einen, die Besiegung und Blockierung der anderen konsularischen Armee. Schon traten die italischen Gemeinden, genoetigt, zwischen ihren zwiefachen Draengern jede fuer sich Partei zu ergreifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und liessen sich die von der Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch foermliche Separatvertraege von dem Feldherrn der Oligarchie garantieren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug sie absichtlich zur Schau, die revolutionaere Regierung in dem naechsten Feldzug niederzuwerfen und wieder in Rom einzuziehen. Aber auch der Revolution schien die Verzweiflung neue Kraefte zu geben. Das Konsulat uebernahmen zwei ihrer entschiedensten Fuehrer, Carbo zum dritten Male und Gaius Marius der Sohn; dass der letztere eben zwanzigjaehrige Mann gesetzmaessig das Konsulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig wie jeden anderen Punkt der Verfassung. Quintus Sertorius, der in dieser und in anderen Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde angewiesen, um neue Werbungen vorzunehmen, nach Etrurien und von da in seine Provinz, das Diesseitige Spanien, abzugehen. Die Kasse zu fuellen, musste der Senat die Einschmelzung des goldenen und silbernen Tempelgeraets der Hauptstadt verfuegen; wie bedeutend der Ertrag war, erhellt daraus, dass nach mehrmonatlicher Kriegfuehrung davon noch ueber 4 Millionen Taler (14000 Pfund Gold und 6000 Pfund Silber) vorraetig waren. In dem betraechtlichen Teile Italiens, der gezwungen oder freiwillig noch zu der Revolution hielt, wurden die Ruestungen lebhaft betrieben. Aus Etrurien, wo die Neubuergergemeinden sehr zahlreich waren, und dem Pogebiet kamen ansehnliche neu gebildete Abteilungen. Auf den Ruf des Sohnes stellten die Marianischen Veteranen in grosser Anzahl sich bei den Fahnen ein. Aber nirgends ward zum Kampf gegen Sulla so leidenschaftlich geruestet wie in dem insurgierten Samnium und einzelnen Strichen von Lucanien. Es war nichts weniger als Ergebenheit gegen die revolutionaere roemische Regierung, dass zahlreicher Zuzug aus den oskischen Gegenden ihre Heere verstaerkte; wohl aber begriff man daselbst, dass eine von Sulla restaurierte Oligarchie sich die jetzt faktisch bestehende Selbstaendigkeit dieser Landschaften nicht so gefallen lassen werde wie die schlaffe Cinnanische Regierung; und darum erwachte in dem Kampf gegen Sulla noch einmal die uralte Rivalitaet der Sabeller gegen die Latiner. Fuer Samnium und Latium war dieser Krieg so gut ein Nationalkampf wie die Kriege des fuenften Jahrhunderts; man stritt nicht um ein Mehr oder Minder von politischen Rechten, sondern um den lange verhaltenen Hass durch Vernichtung des Gegners zu saettigen. Es war darum kein Wunder, wenn dieser Teil des Krieges einen ganz anderen Charakter trug als die uebrigen Kaempfe, wenn hier keine Verstaendigung versucht, kein Quartier gegeben oder genommen, die Verfolgung bis aufs aeusserste fortgesetzt ward. So trat man den Feldzug des Jahres 672 (82) beiderseits mit verstaerkten Streitkraeften und gesteigerter Leidenschaft an. Vor allem die Revolution warf die Scheide weg; auf Carbos Antrag aechteten die roemischen Komitien alle in Sullas Lager befindlichen Senatoren. Sulla schwieg; er mochte denken, dass man im voraus sich selber das Urteil spreche. Die Armee der Optimaten teilte sich. Der Prokonsul Metellus uebernahm es, gestuetzt auf die picenische Insurrektion, nach Oberitalien vorzudringen, waehrend Sulla von Kampanien aus geradeswegs gegen die Hauptstadt marschierte. Jenem warf Carbo sich entgegen; der feindlichen Hauptarmee wollte Marius in Latium begegnen. Auf der Launischen Strasse heranrueckend, traf Sulla unweit Signia auf den Feind, der vor ihm zurueckwich bis nach dem sogenannten "Hafen des Sacer" zwischen Signia und dem Hauptwaffenplatz der Marianen dem festen Praeneste. Hier stellte Marius sich zur Schlacht. Sein Heer war etwa 40000 Mann stark und er an wildem Grimme und persoenlicher Tapferkeit seines Vaters rechter Sohn; aber es waren nicht die wohlgeuebten Scharen, mit denen dieser seine Schlachten geschlagen hatte, und noch minder durfte der unerfahrene junge Mann mit dem alten Kriegsmeister sich vergleichen. Bald wichen seine Truppen; der Uebertritt einer Abteilung noch waehrend des Gefechts beschleunigte die Niederlage. Ueber die Haelfte der Marianer waren tot oder gefangen; der Ueberrest, weder imstande, das Feld zu halten, noch, das andere Ufer des Tiber zu gewinnen, genoetigt, in den benachbarten Festungen Schutz zu suchen; die Hauptstadt, die zu verproviantieren man versaeumt hatte, unrettbar verloren. Infolgedessen gab Marius dem daselbst befehligten Praetor Lucius Brutus Damasippus den Befehl, sie zu raeumen, vorher aber alle bisher noch verschonten angesehenen Maenner der Gegenpartei niederzumachen. Der Auftrag, durch den der Sohn die Aechtungen des Vaters noch ueberbot, ward vollzogen; Damasippus berief unter einem Vorwand den Senat, und die bezeichneten Maenner wurden teils in der Sitzung selbst, teils auf der Flucht vor dem Rathaus niedergestossen. Trotz der vorhergegangenen gruendlichen Aufraeumung fanden sich doch noch einzelne namhaftere Opfer: so der gewesene Aedil Publius Antistius, der Schwiegervater des Gnaeus Pompeius, und der gewesene Praetor Gaius Carbo, der Sohn des bekannten Freundes und nachherigen Gegners der Gracchen, nach dem Tode so vieler ausgezeichneter Talente die beiden besten Gerichtsredner auf dem veroedeten Markt; der Konsular Lucius Domitius und vor allem der ehrwuerdige Oberpriester Quintus Scaevola, der dem Dolch des Fimbria nur entgangen war, um jetzt waehrend der letzten Kraempfe der Revolution in der Halle des seiner Obhut anvertrauten Vestatempels zu verbluten. Mit stummem Entsetzen sah die Menge die Leichen dieser letzten Opfer des Terrorismus durch die Strassen schleifen und sie in den Fluss werfen. Marius’ aufgeloeste Haufen warfen sich in die nahen und festen Neubuergerstaedte Norba und Praeneste, er selbst mit der Kasse und dem groessten Teil der Fluechtlinge in die letztere. Sulla liess, ebenwie das Jahr zuvor vor Capua, vor Praeneste einen tuechtigen Offizier, den Quintus Ofelia, zurueck, mit dem Auftrag, seine Kraefte nicht an die Belagerung der festen Stadt zu vergeuden, sondern sie mit einer weiten Blockadelinie einzuschliessen und sie auszuhungern; er selbst rueckte von verschiedenen Seiten auf die Hauptstadt zu, welche er wie die ganze Umgegend vom Feinde verlassen fand und ohne Gegenwehr besetzte. Kaum nahm er sich die Zeit, das Volk durch eine Ansprache zu beruhigen und die noetigsten Anordnungen zu treffen; sofort ging er weiter nach Etrurien, um in Verbindung mit Metellus die Gegner auch aus Norditalien zu vertreiben. Metellus war inzwischen am Fluss Aesis (Esino zwischen Ancona und Sinigaglia), der die picenische Landschaft von der gallischen Provinz schied, auf Carbos Unterfeldherrn Carrinas gestossen und hatte diesen geschlagen; als Carbo selbst mit seiner ueberlegenen Armee herbeikam, hatte er das weitere Vordringen aufgeben muessen. Allein auf die Nachricht von der Schlacht am Sacerhafen war Carbo, um seine Kommunikationen besorgt, zurueckgegangen bis auf die Flaminische Chaussee, um in deren Knotenpunkt Ariminum sein Hauptquartier zu nehmen und von dort teils die Paesse des Apennin, teils das Potal zu behaupten. Bei dieser rueckgaengigen Bewegung gerieten nicht bloss verschiedene Abteilungen dem Feinde in die Haende, sondern ward auch von Pompeius Sena gallica erstuermt und Carbos Nachhut in einem glaenzenden Reitergefecht zersprengt; indes erreichte Carbo im ganzen seinen Zweck. Der Konsulat Norbanus uebernahm im Potal das Kommando; Carbo selbst begab sich nach Etrurien. Aber der Marsch Sullas mit seinen siegreichen Legionen nach Etrurien aenderte die Lage der Dinge: bald reichten von Gallien, Umbrien und Rom aus drei Sullanische Heere einander die Haende. Metellus ging mit der Flotte an Ariminum vorbei nach Ravenna und schnitt bei Faventia die Verbindung ab zwischen Ariminum und dem Potal, in das auf der grossen Strasse nach Placentia er eine Abteilung vorgehen liess unter Marcus Lucullus, dem Quaestor Sullas und dem Bruder seines Flottenfuehrers im Mithradatischen Krieg. Der junge Pompeius und sein Altersgenosse und Nebenbuhler Crassus drangen aus dem Picenischen auf Bergwegen in Umbrien ein und gewannen die Flaminische Strasse bei Spoletium, wo sie Carbos Unterfeldherrn Carrinas schlugen und in die Stadt einschlossen; indes gelang es diesem in einer regnerischen Nacht, aus derselben zu entweichen und, wenngleich nicht ohne Verlust, zum Heer des Carbo durchzudringen. Sulla selbst rueckte von Rom aus in zwei Heerhaufen in Etrurien ein, von denen der eine an der Kueste vorgehend bei Saturnia (zwischen den Fluessen Ombrone und Albegna) das ihm entgegenstehende Korps schlug, der zweite unter Sullas eigener Fuehrung im Clanistal auf die Armee des Carbo traf und ein glueckliches Gefecht mit dessen spanischer Reiterei bestand. Aber die Hauptschlacht, die zwischen Carbo und Sulla in der Gegend von Chiusi geschlagen ward, endigte zwar ohne eigentliche Entscheidung, jedoch insofern zu Gunsten Carbos, als Sullas siegreiches Vordringen gehemmt ward. Auch in der Umgegend von Rom schienen die Dinge fuer die revolutionaere Partei sich guenstiger wenden und der Krieg wieder sich hauptsaechlich nach dieser Gegend ziehen zu wollen. Denn waehrend die oligarchische Partei alle ihre Kraefte um Etrurien konzentrierte, machte die Demokratie aller Orten die aeusserste Anstrengung, um die Blockade von Praeneste zu sprengen. Selbst der Statthalter von Sizilien, Marcus Perpenna, machte sich dazu auf; es scheint indes nicht, dass er nach Praeneste gelangte. Ebensowenig glueckte dies dem von Carbo detachierten, sehr ansehnlichen Korps unter Marcius; von den bei Spoletium stehenden feindlichen Truppen ueberfallen und geschlagen, durch Unordnung, Mangel an Zufuhr und Meuterei demoralisiert, ging ein Teil zu Carbo zurueck, ein anderer nach Ariminum, der Rest verlief sich. Ernstliche Hilfe dagegen kam aus Sueditalien. Hier brachen die Samniten unter Pontius von Telesia, die Lucaner unter ihrem erprobten Feldherrn Marcus Lamponius auf, ohne dass der Abmarsch ihnen gewehrt worden waere, zogen im Kampanien, wo Capua noch immer sich hielt, eine Abteilung der Besatzung unter Gutta an sich und rueckten also, angeblich 70000 Mann stark, auf Praeneste zu. Sulla selbst kehrte darauf, mit Zuruecklassung eines Korps gegen Carbo, nach Latium zurueck und nahm in den Engpaessen vorwaerts Praeneste 6 eine wohlgewaehlte Stellung, in der er dem Entsatzheer den Weg sperrte. Vergeblich versuchte die Besatzung, Ofelias Linien zu durchbrechen, vergeblich das Entsatzherr Sulla zu vertreiben; beide verharrten unbeweglich in ihren festen Stellungen, selbst nachdem, von Carbo gesendet, Damasippus mit zwei Legionen das Entsatzheer verstaerkt hatte. Waehrend aber der Gang des Krieges in Etrurien wie in Latium stockte, kam es im Potal zur Entscheidung. Hier hatte bisher der Feldherr der Demokratie Gaius Norbanus die Oberhand behauptet, den Unterfeldherrn des Metellus, Marcus Lucullus, mit ueberlegener Macht angegriffen und ihn genoetigt, sich in Placentia einzuschliessen, endlich sich gegen Metellus selbst gewandt. Bei Faventia traf er auf diesen und griff am spaeten Nachmittag mit seinen vom Marsch ermuedeten Truppen sofort an; die Folge war eine vollstaendige Niederlage und die totale Aufloesung seines Korps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurueckkamen. Auf die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und schlug die gegen ihn zurueckgebliebene Abteilung bei Fidentia (zwischen Piacenza und Parma). Die lucanischen Truppen des Albinovanus traten in Masse ueber; ihr Fuehrer machte seine anfaengliche Zoegerung wieder gut, indem er die vornehmsten Offiziere der revolutionaeren Armee zu einem Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen liess; ueberhaupt schloss, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum mit allen Vorraeten und Kassen geriet in Metellus’ Gewalt; Norbanus schiffte nach Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschaeftigten Truppen konnten sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung. Obwohl er eine noch immer ansehnliche Truppenmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch heimlich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Afrika sich ein. Die im Stich gelassenen Truppen befolgten teils das Beispiel, mit dem der Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, teils wurden sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Scharen nahm Carrinas zusammen und fuehrte sie nach Latium zu der Armee von Praeneste. Hier hatte inzwischen nichts sich veraendert; und die letzte Entscheidung nahte heran. Carrinas’ Haufen waren nicht zahlreich genug, um Sullas Stellung zu erschuettern; schon naeherte sich der Vortrab der bisher in Etrurien beschaeftigten Armee der oligarchischen Partei unter Pompeius; in wenigen Tagen zog die Schlinge um das Heer der Demokraten und der Samniten sich zusammen. Da entschlossen sich die Fuehrer desselben, von Praeneste abzulassen und mit gesamter Macht auf das nur einen starken Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militaerisch waren sie damit verloren; ihre Rueckzugslinie, die Latinische Strasse, geriet durch diesen Marsch in Sullas Hand, und wenn sie auch Roms sich bemaechtigten, so wurden sie, eingeschlossen in die zur Verteidigung keineswegs geeignete Stadt und eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit ueberlegene Armeen, darin unfehlbar erdrueckt. Aber es handelte sich auch nicht mehr um Rettung, sondern einzig um Rache bei diesem Zug nach Rom, dem letzten Wutausbruch der leidenschaftlichen Revolutionaere und vor allem der verzweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius von Telesia den Seinigen zurief: um der Woelfe, die Italien die Freiheit geraubt haetten, loszuwerden, muesse man den Wald vernichten, in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr geschwebt als am 1. November 672 (82), als Pontius, Lamponius, Carrinas, Damasippus auf der Latinischen Strasse gegen Rom herangezogen, etwa eine Viertelmeile vom Collinischen Tor lagerten. Es drohte ein Tag wie der 20. Juli 365 der Stadt (389) und der 15. Juni 455 n. Chr., die Tage der Kelten und der Vandalen. Die Zeiten waren nicht mehr, wo ein Handstreich gegen Rom ein toerichtes Unternehmen war, und an Verbindungen in der Hauptstadt konnte es den Anrueckenden nicht fehlen. Die Freiwilligenschar, die aus der Stadt ausrueckte, meist vornehme Juenglinge, zerstob wie Spreu vor der ungeheuren Uebermacht. Die einzige Hoffnung der Rettung beruhte auf Sulla. Dieser war, auf die Nachricht vom Abmarsch des samnitischen Heeres in der Richtung auf Rom, gleichfalls eiligst aufgebrochen der Hauptstadt zu Hilfe. Den sinkenden Mut der Buergerschaft belebte im Laufe des Morgens das Erscheinen seiner ersten Reiter unter Balbus; am Mittag erschien er selbst mit der Hauptmacht und ordnete sofort am Tempel der Erykinischen Aphrodite vor dem Collinischen Tor (unweit Porta Pia) die Reihen zur Schlacht. Seine Unterbefehlshaber beschworen ihn, nicht die durch den Gewaltmarsch erschoepften Truppen sofort in den Kampf zu schicken; aber Sulla erwog, was die Nacht ueber Rom bringen koenne, und befahl noch am spaeten Nachmittag den Angriff. Die Schlacht war hart bestritten und blutig. Der linke Fluegel Sullas, den er selbst anfuehrte, wich zurueck bis an die Stadtmauer, so dass es notwendig ward, die Stadttore zu schliessen; schon brachten Versprengte die Nachricht an Ofelia, dass die Schlacht verloren sei. Allein auf den rechten Fluegel warf Marcus Crassus den Feind und verfolgte ihn bis Antemnae, wodurch auch der andere Fluegel wider Luft bekam und eine Stunde nach Sonnenuntergang seinerseits ebenfalls zum Vorruecken ueberging. Die ganze Nacht und noch den folgenden Morgen ward gefochten; erst der Uebertritt einer Abteilung von 3000 Mann, die sofort die Waffen gegen die frueheren Kameraden wandten, setzte dem Kampf ein Ziel. Rom war gerettet. Die Insurgentenarmee, fuer die es nirgends einen Rueckzug gab, wurde vollstaendig aufgerieben. Die in der Schlacht gemachten Gefangenen, 3000 bis 4000 an der Zahl, darunter die Generale Damasippus, Carrinas und den schwer verwundeten Pontius, liess Sulla am dritten Tage nach der Schlacht in das staedtische Meierhaus auf dem Marsfeld fuehren und daselbst bis auf den letzten Mann niederhauen, so dass man in dem nahen Tempel der Bellona, wo Sulla eben eine Senatssitzung abhielt, deutlich das Klirren der Waffen und das Stoehnen der Sterbenden vernahm. Es war eine graessliche Exekution und sie soll nicht entschuldigt werden; aber es ist nicht gerecht zu verschweigen, dass diese selben Menschen, die dort starben, wie eine Raeuberbande ueber die Hauptstadt und die Buergerschaft hergefallen waren und sie, wenn sie Zeit gefunden haetten, so weit vernichtet haben wuerden, als Feuer und Schwert eine Stadt und eine Buergerschaft zu vernichten vermoegen. --------------------------------------------------- 6 Es wird gemeldet, dass Sulla in dem Engpass stand, durch den Praeneste allein zugaenglich war (App. I, 90); und die weiteren Ereignisse zeigen, dass sowohl ihm als dem Entsatzheer die Strasse nach Rom offenstand. Ohne Zweifel stand Sulla auf der Querstrasse, die von der Latinischen, auf der sie Samniten herankamen, bei Valmontono nach Palestrina abbiegt; in diesem Fall kommunizierte Sulla auf der praenestinischen, die Feinde auf der Launischen oder labicanischen mit der Hauptstadt. ------------------------------------------------- Damit war der Krieg in der Hauptsache zu Ende. Die Besatzung von Praeneste ergab sich, als die aus den ueber die Mauer geworfenen Koepfen des Carrinas und anderer Offiziere den Ausgang der Schlacht von Rom erfuhr. Die Fuehrer, der Konsul Gaius Marius und der Sohn des Pontius, stuerzten, nachdem ein Versuch zu entkommen ihnen vereitelt war, sich einer in des andern Schwert. Die Menge gab der Hoffnung sich hin und ward durch Cethegus darin bestaerkt, dass der Sieger fuer sie auch jetzt noch Gnade walten lassen werde. Aber deren Zeiten waren vorbei. Je unbedingter Sulla bis zum letzten Augenblick den Uebertretenden volle Verzeihung gewaehrt hatte, desto unerbittlicher erwies er sich gegen die Fuehrer und Gemeinden, die ausgehalten hatten bis zuletzt. Von den praenestinischen Gefangenen, 12000 an der Zahl, wurden zwar ausser den Kindern und Frauen die meisten Roemer und einzelne Praenestiner entlassen, aber die roemischen Senatoren, fast alle Praenestiner und saemtliche Samniten wurden entwaffnet und zusammengehauen, die reiche Stadt gepluendert. Es ist begreiflich, dass nach solchem Vorgang die noch nicht uebergegangenen Neubuergerstaedte den Widerstand in hartnaeckigster Weise fortsetzten. So toeteten in der latinischen Stadt Norba, als Aemilius Lepidus durch Verrat daselbst eindrang, die Buerger sich untereinander und zuendeten selbst ihre Stadt an, um nur ihren Henkern die Rache und die Beute zu entziehen. In Unteritalien war bereits frueher Neapolis erstuermt und, wie es scheint, Capua freiwillig aufgegeben worden; Nola aber wurde erst im Jahr 674 (80) von den Samniten geraeumt. Auf der Flucht von hier fiel der letzte noch uebrige namhafte Fuehrer der Italiker, der Insurgentenkonsul des hoffnungsreichen Jahres 664 (90), Gaius Papius Mutilus, abgewiesen von seiner Gattin, zu der er verkleidet sich durchgeschlichen und bei der er einen Zufluchtsort zu finden gedacht hatte, vor der Tuer des eigenen Hauses in Teanum in sein Schwert. Was die Samniten anlangt, so erklaerte der Diktator, dass Rom nicht Ruhe haben werde, solange Samnium bestehe, und dass darum der samnitische Name von der Erde vertilgt werden muesse; und wie er diese Worte an den vor Rom und in Praeneste Gefangenen in schrecklicher Weise wahr machte, so scheint er auch noch einen Verheerungszug durch die Landschaft unternommen, Aesernia 7 eingenommen (674? 80) und die bis dahin bluehende und bevoelkerte Landschaft in die Einoede umgewandelt zu haben, die sie seitdem geblieben ist. Ebenso ward in Umbrien Tuder durch Marcus Crassus erstuermt. Laenger wehrten sich in Etrurien Populonium und vor allem das unbezwingliche Volaterrae, das aus den Resten der geschlagenen Partei ein Heer von vier Legionen um sich sammelte und eine zweijaehrige, zuerst von Sulla persoenlich, sodann von dem gewesenen Praetor Gaius Carbo, dem Bruder des demokratischen Konsuls, geleitete Belagerung aushielt, bis endlich im dritten Jahre nach der Schlacht am Collinischen Tor (675 79) die Besatzung gegen freien Abzug kapitulierte. Aber in dieser entsetzlichen Zeit galt weder Kriegsrecht noch Kriegszucht; die Soldaten schrien ueber Verrat und steinigten ihren allzu nachgiebigen Feldherrn; eine von der roemischen Regierung geschickte Reiterschar hieb die gemaess der Kapitulation abziehende Besatzung nieder. Das siegreiche Heer wurde durch Italien verteilt und alle unsicheren Ortschaften mit starken Besatzungen belegt; unter der eisernen Hand der Sullanischen Offiziere verendeten langsam die letzten Zuckungen der revolutionaeren und nationalen Opposition. ----------------------------------------------------- 7 Ein anderer Name kann wohl kaum in der Korruptel Liv. 89 miam in Samnio sich verbergen; vgl. Strab. 5, 3, 10. ------------------------------------------------------ Noch gab es in den Provinzen zu tun. Zwar Sardinien war dem Statthalter der revolutionaeren Regierung Quintus Antonius rasch durch Lucius Philippus entrissen worden (672 82) und auch das Transalpinische Gallien leistete geringen oder gar keinen Widerstand; aber in Sizilien, Spanien, Africa schien die Sache der in Italien geschlagenen Partei noch keineswegs verloren. Sizilien regierte fuer sie der zuverlaessige Statthalter Marcus Perpenna. Quintus Sertorius hatte im Diesseitigen Spanien die Provinzialen an sich zu fesseln und aus den in Spanien ansaessigen Roemern eine nicht unansehnliche Armee sich zu bilden gewusst, welche zunaechst die Pyrenaeenpaesse sperrte; er hatte auch hier wieder bewiesen, dass, wo immer man ihn hinstellte, er an seinem Platze und unter all den revolutionaeren Inkapazitaeten er der einzige praktisch brauchbare Mann war. In Africa war der Statthalter Hadrianus zwar, da er das Revolutionieren allzu gruendlich betrieb und den Sklaven die Freiheit zu schenken anfing, bei einem durch die roemischen Kaufleute von Utica angezettelten Auflauf in seiner Amtswohnung ueberfallen und mit seinem Gesinde verbrannt worden (672 82); indes hielt die Provinz nichtsdestoweniger zu der revolutionaeren Regierung, und Cinnas Schwiegersohn, der junge faehige Gnaeus Domitius Ahenobarbus, uebernahm daselbst den Oberbefehl. Es war sogar von dort aus die Propaganda in die Klientelstaaten Numidien und Mauretanien getragen worden. Deren legitime Regenten Hiempsal II., des Gauda, und Bogud, des Bocchus Sohn, hielten zwar mit Sulla; aber mit Hilfe der Cinnaner war jener durch den demokratischen Praetendenten Hiarbas vom Thron gestossen worden, und aehnliche Fehden bewegten das Mauretanische Reich. Der aus Italien gefluechtete Konsul Carbo verweilte auf der Insel Kossyra (Pantellaria) zwischen Afrika und Sizilien, unschluessig, wie es scheint, ob er nach Aegypten sich fluechten oder in einer der treuen Provinzen versuchen sollte, den Kampf zu erneuern. Sulla sandte nach Spanien den Gaius Annius und den Gaius Valerius Flaccus, als Statthalter jenen der jenseitigen, diesen der Ebroprovinz. Das schwierige Geschaeft, die Pyrenaeenpaesse mit Gewalt sich zu eroeffnen, ward ihnen dadurch erspart, dass der von Sertorius dort hingestellte General durch einen seiner Offiziere ermordet ward und darauf die Truppen desselben sich verliefen. Sertorius, viel zu schwach, um sich im gleichen Kampfe zu behaupten, raffte eilig die naechststehenden Abteilungen zusammen und schiffte in Neukarthago sich ein - wohin, wusste er selbst nicht, vielleicht an die afrikanische Kueste oder nach den Kanarischen Inseln, nur irgendwohin, wohin Sullas Arm nicht reiche. Spanien unterwarf hierauf sich willig den Sullanischen Beamten (um 673 81), und Flaccus focht gluecklich mit den Kelten, durch deren Gebiet er marschierte, und mit den spanischen Keltiberern (674 80). Nach Sizilien ward Gnaeus Pompeius als Propraetor gesandt und die Insel, als Pompeius mit 120 Segeln und sechs Legionen sich an der Kueste zeigte, von Perpenna ohne Gegenwehr geraeumt. Pompeius schickte von dort ein Geschwader nach Kossyra, das die daselbst verweilenden Marianischen Offiziere aufhob; Marcus Brutus und die uebrigen wurden sofort hingerichtet, den Konsul Carbo aber hatte Pompeius befohlen, vor ihn selbst nach Lilybaeon zu fuehren, um ihn hier, uneingedenk des in gefaehrlicher Zeit ihm von ebendiesem Manne zuteil gewordenen Schutzes, persoenlich dem Henker zu ueberliefern (672 82). Von hier weiter beordert nach Afrika, schlug Pompeius die von Ahenobarbus und Hiarbas gesammelten, nicht unbedeutenden Streitkraefte mit seinem allerdings weit zahlreicheren Heer aus dem Felde und gab, die Begruessung als Imperator vorlaeufig ablehnend, sogleich das Zeichen zum Sturm auf das feindliche Lager. So ward er an einem Tage der Feinde Herr; Ahenobarbus war unter den Gefallenen; mit Hilfe des Koenigs Bogud ward Hiarbas in Bulla ergriffen und getoetet und Hiempsal in sein angestammtes Reich wiedereingesetzt; eine grosse Razzia gegen die Bewohner der Wueste, von denen eine Anzahl gaetulischer, von Marius als frei anerkannter Staemme Hiempsal untergeben wurden, stellte auch hier die gesunkene Achtung des roemischen Namens wieder her; in vierzig Tagen nach Pompeius’ Landung in Afrika war alles zu Ende (674? 80). Der Senat wies ihn an, sein Heer aufzuloesen, worin die Andeutung lag, dass er nicht zum Triumph gelassen werden solle, auf welchen er als ausserordentlicher Beamter dem Herkommen nach keinen Anspruch machen durfte. Der Feldherr grollte heimlich, die Soldaten laut; es schien einen Augenblick, als werde die afrikanische Armee gegen den Senat revoltieren und Sulla gegen seinen Tochtermann zu Felde ziehen. Indes Sulla gab nach und liess den jungen Mann sich beruehmen, der einzige Roemer zu sein, der eher Triumphator (12. Maerz 675 79) als Senator geworden war; ja bei der Heimkehr von diesen bequemen Grosstaten begruesste der "Glueckliche", vielleicht nicht ohne einige Ironie, den Juengling als den "Grossen". Auch im Osten hatten nach Sullas Einschiffung im Fruehling 671 (83) die Waffen nicht geruht. Die Restauration der alten Verhaeltnisse und die Unterwerfung einzelner Staedte kostete, wie in Italien so auch in Asien, noch manchen blutigen Kampf; namentlich gegen die freie Stadt Mytilene musste Lucius Lucullus, nachdem er alle milderen Mittel erschoepft hatte, endlich Truppen fuehren, und selbst ein Sieg im freien Felde machte dem eigensinnigen Widerstand der Buergerschaft kein Ende. Mittlerweile war der roemische Statthalter von Asien, Lucius Murena, mit dem Koenig Mithradates in neue Verwicklungen geraten. Dieser hatte sich nach dem Frieden beschaeftigt, seine auch in den noerdlichen Provinzen erschuetterte Herrschaft wieder zu befestigen; er hatte die Kolchier beruhigt, indem er seinen tuechtigen Sohn Mithradates ihnen zum Statthalter setzte, dann diesen selbst aus dem Wege geraeumt, und ruestete nun zu einem Zug in sein Bosporanisches Reich. Auf die Versicherungen des Archelaos hin, der inzwischen bei Murena eine Freistatt hatte suchen muessen, dass diese Ruestungen gegen Rom gerichtet seien, setzte sich Murena unter dem Vorgeben, dass Mithradates noch kappadokische Grenzdistrikte in Besitz habe, mit seinen Truppen nach dem kappadokischen Komana in Bewegung, verletzte also die pontische Grenze (671 83). Mithradates begnuegte sich, bei Murena und, da dies vergeblich war, bei der roemischen Regierung Beschwerde zu fuehren. In der Tat erschienen Beauftragte Sullas den Statthalter abzumahnen; allein er fuegte sich nicht, sondern ueberschritt den Halys und betrat das unbestritten pontische Gebiet, worauf Mithradates beschloss, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Sein Feldherr Gordios musste das roemische Heer festhalten, bis der Koenig mit weit ueberlegenen Streitkraeften herankam und die Schlacht erzwang; Murena ward besiegt und mit grossem Verlust bis ueber die roemische Grenze nach Phrygien zurueckgeworfen, die roemischen Besatzungen aus ganz Kappadokien vertrieben. Murena hatte zwar die Stirn, wegen dieser Vorgaenge sich Sieger zu nennen und den Imperatorentitel anzunehmen (672 82); indes die derbe Lektion und eine zweite Mahnung Sullas bewogen ihn doch endlich, die Sache nicht weiterzutreiben; der Friede zwischen Rom und Mithradates ward erneuert (673 81). Ueber diese toerichte Fehde war die Bezwingung der Mytilenaeer verzoegert worden; erst Murenas Nachfolger gelang es nach langer Belagerung zu Lande und zur See, wobei die bithynische Flotte gute Dienste tat, die Stadt mit Sturm einzunehmen (675 79). Die zehnjaehrige Revolution und Insurrektion war im Westen und im Osten zu Ende; der Staat hatte wieder eine einheitliche Regierung und Frieden nach aussen und innen. Nach den fuerchterlichen Konvulsionen der letzten Jahre war schon diese Rast eine Erleichterung; ob sie mehr gewaehren sollte, ob der bedeutende Mann, dem das schwere Werk der Bewaeltigung des Landesfeindes, das schwerere der Baendigung der Revolution gelungen war, auch dem schwersten von allen, der Wiederherstellung der in ihren Grundfesten schwankenden sozialen und politischen Ordnung zu genuegen vermochte, musste demnaechst sich entscheiden. 10. Kapitel Die Sullanische Verfassung Um die Zeit, als die erste Feldschlacht zwischen Roemern und Roemern geschlagen ward, in der Nacht des 6. Juli 671 (83), war der ehrwuerdige Tempel, den die Koenige errichtet, die junge Freiheit geweiht, die Stuerme eines halben Jahrtausends verschont hatten, der Tempel des Roemischen Jupiter, auf dem Kapitol in Flammen aufgegangen. Es war kein Anzeichen, aber wohl ein Abbild des Zustandes der roemischen Verfassung. Auch diese lag in Truemmern und bedurfte eines neuen Aufbaus. Die Revolution war zwar besiegt, aber es fehlte doch viel, dass damit von selber das alte Regiment wieder sich hergestellt haette. Allerdings meinte die Masse der Aristokratie, dass jetzt nach dem Tode der beiden revolutionaeren Konsuln es genuegen werde, die gewoehnliche Ergaenzungswahl zu veranstalten und es dem Senat zu ueberlassen, was ihm zur Belohnung der siegreichen Armee, zur Bestrafung der schuldigsten Revolutionaere, etwa auch zur Verhuetung aehnlicher Ausbrueche weiter erforderlich erscheinen werde. Allein Sulla, in dessen Haenden der Sieg fuer den Augenblick alle Macht vereinigt hatte, urteilte richtiger ueber die Verhaeltnisse und die Personen. Die Aristokratie Roms war in ihrer besten Epoche nicht hinausgekommen ueber ein halb grossartiges, halb borniertes Festhalten an den ueberlieferten Formen; wie sollte das schwerfaellige kollegialische Regiment dieser Zeit dazu kommen, eine umfassende Staatsreform energisch und konsequent durchzufuehren? Und eben jetzt, nachdem die letzte Krise fast alle Spitzen des Senats weggerafft hatte, war in demselben die zu einem solchen Beginnen erforderliche Kraft und Intelligenz weniger als je zu finden. Wie unbrauchbar durchgaengig das aristokratische Vollblut und wie wenig Sulla ueber dessen Nichtsnutzigkeit im unklaren war, beweist die Tatsache, dass mit Ausnahme des ihm verschwaegerten Quintus Metellus er sich seine Werkzeuge saemtlich auslas aus der ehemaligen Mittelpartei und den Ueberlaeufern aus dem demokratischen Lager - so Lucius Flaccus, Lucius Philippus, Quintus Ofella, Gnaeus Pompeius. Sulla war die Wiederherstellung der alten Verfassung so sehr Ernst wie nur dem leidenschaftlichsten aristokratischen Emigranten; aber er begriff, wohl auch nicht in dem ganzen und vollen Umfang - wie haette er sonst ueberhaupt Hand ans Werk zu legen vermocht? -, aber doch besser als seine Partei, welchen ungeheuren Schwierigkeiten dieses Restaurationswerk unterlag. Als unumgaenglich betrachtete er teils umfassende Konzessionen, soweit Nachgiebigkeit moeglich war, ohne das Wesen der Oligarchie anzutasten, teils die Herstellung eines energischen Repressivund Praeventivsystems; und er sah es deutlich, dass der Senat, wie er war, jede Konzession verweigern oder verstuemmeln, jeden systematischen Neubau parlamentarisch ruinieren werde. Hatte Sulla schon nach der Sulpicischen Revolution, ohne viel zu fragen, in der einen und der andern Richtung durchgesetzt, was er fuer noetig erachtete, so war er auch jetzt unter weit schaerferen und gespannteren Verhaeltnissen entschlossen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen auf eigene Hand zu restaurieren. Sulla aber war nicht wie damals Konsul, sondern bloss mit prokonsularischer, das heisst rein militaerischer Gewalt ausgestattet; er bedurfte einer moeglichst nahe an den verfassungsmaessigen Formen sich haltenden, aber doch ausserordentlichen Gewalt, um Freunden und Feinden seine Reform zu oktroyieren. In einem Schreiben an den Senat eroeffnete er demselben, dass es ihm unumgaenglich scheine, die Ordnung des Staates in die Haende eines einzigen, mit unumschraenkter Machtvollkommenheit ausgeruesteten Mannes zu legen, und dass er sich fuer geeignet halte, diese schwierige Aufgabe zu erfuellen. Dieser Vorschlag, so unbequem er vielen kam, war unter den obwaltenden Umstaenden ein Befehl. Im Auftrag des Senats brachte der Vormann desselben, der Zwischenkoenig Lucius Valerius Flaccus der Vater, als interimistischer Inhaber der hoechsten Gewalt bei der Buergerschaft den Antrag ein, dass dem Prokonsul Lucius Cornelius Sulla fuer die Vergangenheit die nachtraegliche Billigung aller von ihm als Konsul und Prokonsul vollzogenen Amtshandlungen, fuer die Zukunft aber das Recht erteilt werden moege, ueber Leben und Eigentum der Buerger in erster und letzter Instanz zu erkennen, mit den Staatsdomaenen nach Gutduenken zu schalten, die Grenzen Roms, Italiens, des Staats nach Ermessen zu verschieben, in Italien Stadtgemeinden aufzuloesen oder zu gruenden, ueber die Provinzen und die abhaengigen Staaten zu verfuegen, das hoechste Imperium anstatt des Volkes zu vergeben und Prokonsuln und Propraetoren zu ernennen, endlich durch neue Gesetze fuer die Zukunft den Staat zu ordnen; dass es in sein eigenes Ermessen gestellt werden solle, wann er seine Aufgabe geloest und es an der Zeit erachte, dies ausserordentliche Amt niederzulegen; dass endlich waehrend desselben es von seinem Gutfinden abhaengen solle, die ordentliche hoechste Magistratur daneben eintreten oder auch ruhen zu lassen. Es versteht sich, dass die Annahme ohne Widerspruch stattfand (November 672 82), und nun erst erschien der neue Herr des Staates, der bisher als Prokonsul die Hauptstadt zu betreten vermieden hatte, innerhalb der Mauern von Rom. Den Namen entlehnte dies neue Amt von der seit dem Hannibalischen Kriege tatsaechlich abgeschafften Diktatur; aber sie ausser seinem bewaffneten Gefolge ihm doppelt so viele Liktoren vorausschritten als dem Diktator der aelteren Zeit, so war auch in der Tat diese neue "Diktatur zur Abfassung von Gesetzen und zur Ordnung des Gemeinwesens", wie die offizielle Titulatur lautet, ein ganz anderes als jenes ehemalige, der Zeit und der Kompetenz nach beschraenkte, die Provokation an die Buergerschaft nicht ausschliessende und die ordentliche Magistratur nicht annullierende Amt. Es glich dasselbe vielmehr dem der "Zehnmaenner zur Abfassung von Gesetzen", die gleichfalls als ausserordentliche Regierung mit unbeschraenkter Machtvollkommenheit unter Beseitigung der ordentlichen Magistratur aufgetreten waren und tatsaechlich wenigstens ihr Amt als ein der Zeit nach unbegrenztes verwaltet hatten. Oder vielmehr dies neue Amt mit seiner auf einem Volksbeschluss ruhenden, durch keine Befristung und Kollegialitaet eingeengten absoluten Gewalt war nichts anderes als das alte Koenigtum, das ja eben auch beruhte auf der freien Verpflichtung der Buergerschaft, einem aus ihrer Mitte als absolutem Herrn zu gehorchen. Selbst von Zeitgenossen wird zur Rechtfertigung Sullas es geltend gemacht, dass ein Koenig besser sei als eine schlechte Verfassung ^1, und vermutlich ward auch der Diktatortitel nur gewaehlt um anzudeuten, dass, wie die ehemalige Diktatur eine vielfach beschraenkte, so diese neue eine vollstaendige Wiederaufnahme der koeniglichen Gewalt in sich enthalte. So fiel denn seltsamerweise Sullas Weg auch hier zusammen mit dem, den in so ganz anderer Absicht Gaius Gracchus eingeschlagen hatte. Auch hier musste die konservative Partei von ihren Gegnern borgen, der Schirmherr der oligarchischen Verfassung selbst auftreten als Tyrann, um die ewig andringende Tyrannis abzuwehren. Es war gar viel Niederlage in diesem letzten Siege der Oligarchie. ---------------------------------------- ^1 Satius est uti regibus quam uti malis legibus (Rhet. Her. 2, 22). ---------------------------------------- Sulla hatte die schwierige und grauenvolle Arbeit des Restaurationswerkes nicht gesucht und nicht gewuenscht; da ihm aber keine andere Wahl blieb, als sie gaenzlich unfaehigen Haenden zu ueberlassen oder sie selber zu uebernehmen, griff er sie an mit ruecksichtsloser Energie. Vor allen Dingen musste eine Feststellung hinsichtlich der Schuldigen getroffen werden. Sulla war an sich zum Verzeihen geneigt. Sanguinischen Temperaments wie er war, konnte er wohl zornig aufbrausen, und der mochte sich hueten, der sein Auge flammen und seine Wangen sich faerben sah; aber die chronische Rachsucht, wie sie Marius in seiner greisenhaften Verbitterung eigen war, war seinem leichten Naturell durchaus fremd. Nicht bloss nach der Revolution von 666 (88) war er mit verhaeltnismaessig grosser Milde aufgetreten; auch die zweite, die so furchtbare Greuel veruebt und ihn persoenlich so empfindlich getroffen hatte, hatte ihn nicht aus dem Gleichgewicht gebracht. In derselben Zeit, so der Henker die Koerper seiner Freunde durch die Strassen der Hauptstadt schleifte, hatte er dem blutbefleckten Fimbria das Leben zu retten gesucht und, da dieser freiwillig den Tod nahm, Befehl gegeben, seine Leiche anstaendig zu bestatten. Bei der Landung in Italien hatte er ernstlich sich erboten, zu vergeben und zu vergessen, und keiner, der seinen Frieden zu machen kam, war zurueckgewiesen worden. Noch nach den ersten Erfolgen hatte er in diesem Sinne mit Lucius Scipio verhandelt; die Revolutionspartei war es gewesen, die diese Verhandlungen nicht bloss abgebrochen, sondern nach denselben, im letzten Augenblicke vor ihrem Sturz, die Mordtaten abermals und grauenvoller als je wieder aufgenommen, ja zur Vernichtung der Stadt Rom sich mit dem uralten Landesfeind verschworen hatte. Nun war es genug. Kraft seiner neuen Amtsgewalt erklaerte Sulla unmittelbar nach Uebernahme der Regentschaft als Feinde des Vaterlands vogelfrei saemtliche Zivilund Militaerbeamte, welche nach dem, Sullas Behauptung zufolge rechtsbestaendig abgeschlossenen, Vertrag mit Scipio noch fuer die Revolution taetig gewesen waeren, und von de n uebrigen Buergern diejenigen, die in auffallender Weise derselben Vorschub getan haetten. Wer einen dieser Vogelfreien toetete, war nicht bloss straffrei wie der Henker, der ordnungsmaessig eine Exekution vollzieht, sondern erhielt auch fuer die Hinrichtung eine Verguetung von 12000 Denaren (3600 Taelern); jeder dagegen, der eines Geaechteten sich annahm, selbst der naechste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermoegen der Geaechteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kinder und Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlossen, dennoch aber, insofern sie senatorischen Standes waren, verpflichtet, die senatorischen Lasten fuer ihren Teil zu uebernehmen. Die letzten Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Gueter und die Nachkommen derjenigen, die im Kampfe fuer die Revolution gefallen waren; was noch hinausging selbst ueber die im aeltesten Recht gegen solche, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen. Das Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der aufgestellten Kategorien, gegen die sofort im Senat remonstriert ward und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, dass er die Namen der Geaechteten oeffentlich anschlagen liess und als letzten Termin fuer den Schluss der Aechtungsliste den 1. Juni 673 (81) festsetzte. Sosehr diese taeglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende Bluttafel 2 das gerechte Entsetzen der Buerger war, so war doch damit der reinen Schergenwillkuer in etwa gesteuert. Es war wenigstens nicht der persoenliche Groll des Regenten, dem die Masse dieser Opfer fiel; sein grimmiger Hass richtete sich einzig gegen die Marier, die Urheber der scheusslichen Metzeleien von 667 (87) und 672 (82). Auf seinen Befehl ward das Grab des Siegers von Aquae Sextiae wiederaufgerissen und die Asche desselben in den Anio gestreut, die Denkmaeler seiner Siege ueber Afrikaner und Deutsche umgestuerzt und, da ihn selbst sowie seinen Sohn der Tod seiner Rache entrueckt hatte, sein Adoptivneffe Marcus Marius Gratidianus, der zweimal Praetor gewesen und bei der roemischen Buergerschaft sehr beliebt war, an dem Grabe des bejammernswertesten der Marianischen Schlachtopfer, des Catulus, unter den grausamsten Martern hingerichtet. Auch sonst hatte der Tod schon die namhaftesten der Gegner hingerafft; von den Fuehrern waren nur noch uebrig Gaius Norbanus, der in Rhodos Hand an sich selbst legte, waehrend die Ekklesia ueber seine Auslieferung beriet; Lucius Scipio, dem seine Bedeutungslosigkeit und wohl auch seine vornehme Geburt Schonung verschafften und die Erlaubnis, in seiner Zufluchtsstaette Massalia seine Tage in Ruhe beschliessen zu duerfen; und Quintus Sertorius, der landfluechtig an der mauretanischen Kueste umherirrte. Aber dennoch haeuften sich am Servilischen Bassin, da wo die Jugarische Gasse in den Marktplatz einmuendete, die Haeupter der getoeteten Senatoren, welche hier oeffentlich auszustellen der Diktator befohlen hatte, und vor allem unter den Maennern zweiten und dritten Ranges hielt der Tod eine furchtbare Ernte. Ausser denen, die fuer Ehre Dienste in der oder fuer die revolutionaere Armee ohne viele Wahl, zuweilen wegen eines einem der Offiziere derselben gemachten Vorschusses oder wegen der mit einem solchen geschlossenen Gastfreundschaft, in die Liste eingetragen wurden, traf namentlich jene Kapitalisten, die ueber die Senatoren zu Gericht gesessen und in Marianischen Konfiskationen spekuliert hatten, "die Einsaeckler", die Vergeltung; etwa sechzehnhundert der sogenannten Ritter 3 waren auf der Aechtungsliste verzeichnet. Ebenso buessten die gewerbsmaessigen Anklaeger, die schwerste Geissel der Vornehmen, die sich ein Geschaeft daraus machten, die Maenner senatorischen Standes vor die Rittergerichte zu ziehen - "Wie geht es nur zu", fragte bald darauf ein Sachwalter, "dass sie uns die Gerichtsbaenke gelassen haben, da sie doch Anklaeger und Richter totschlugen?" Die wildesten und schaendlichsten Leidenschaften rasten viele Monate hindurch ungefesselt durch Italien. In der Hauptstadt war es ein Keltentrupp, dem zunaechst die Exekutionen aufgetragen wurden, und Sullanische Soldaten und Unteroffiziere durchzogen zu gleichem Zweck die verschiedenen Distrikte Italiens; aber auch jeder Freiwillige war ja willkommen, und vornehmes und niederes Gesindel draengte sich herbei, nicht bloss, um die Mordpraemie zu verdienen, sondern auch, um unter dem Deckmantel der politischen Verfolgung die eigene Rachsucht oder Habsucht zu befriedigen. Es kam wohl vor, dass der Eintragung in die Aechtungsliste die Ermordung nicht nachfolgte, sondern voranging. Ein Beispiel zeigt, in welcher Art diese Exekutionen erfolgten. In Larinum, einer marianisch gesinnten Neubuergerstadt, trat ein gewisser Statius Albius Oppianicus, der um einer Anklage wegen Mordes zu entgehen in das Sullanische Hauptquartier entwichen war, nach dem Sieg auf als Kommissarius des Regenten, setzte die Stadtobrigkeit ab und sich und seine Freunde an deren Stelle und liess den, der ihn mit der Anklage bedroht hatte, nebst dessen naechsten Verwandten und Freunden aechten und toeten. So fielen unzaehlige, darunter nicht wenige entschiedene Anhaenger der Oligarchie, als Opfer der Privatfeindschaft oder ihres Reichtums; die fuerchterliche Verwirrung und die straefliche Nachsicht, die Sulla wie ueberall so auch hier gegen die ihm naeher Stehenden bewies, verhinderten jede Ahndung auch nur der hierbei mit untergelaufenen gemeinen Verbrechen. ------------------------------------------------- 2 Diese Gesamtzahl gibt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian (civ. 1, 9.5) wurden von Sulla geaechtet gegen 40 Senatoren, wozu nachtraeglich noch einige hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus (2, 9; daraus Aug. civ. 3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch (Sull. 31) wurden in den ersten drei Tagen 520, nach Orosius (hist. 5, 21) in den ersten Tagen 580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja teils nicht bloss Senatoren und Ritter getoetet wurden, teils die Liste monatelang offenblieb, Wenn an einer anderen Stelle Appian (civ. 1, 103) als von Sulla getoetet oder verbannt auffuehrt fuenfzehn Konsulare, 90 Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt, die Opfer des Buergerkriegs ueberhaupt und die Opfer Sullas verwechselt. Die fuenfzehn Konsulate sind Quintus Catulus Konsul 652 (102), Marcus Antonius 655 (99), Publius Crassus 657 (97) Quintus Scaevola 659 (95), Lucius Domitius 660 (94), Lucius Caesar 664 (90), Quintus Rufus 666 (88), Lucius Cinna 667-670 (87- 84), Gnaeus Octavius 667 (87), Lucius Merula 667 (87), Lucius Flaccus 668 (86), Gnaeus Carbo 669, 670, 672 (85, 84, 82), Gaius Norbanus 671 (83), Lucius Scipio 671 (83), Gaius Marius 672 (82), von denen vierzehn getoetet, einer, Lucius Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der Livianische Bericht bei Eutrop (5, 9) und Orosius (5, 22) als im Bundesgenossenund Buergerkrieg weggerafft (consumpti) angibt 24 Konsulare, sieben Praetorier, sechs Aedilizier, 200 Senatoren, so sind hier teils die im Italischen Kriege gefallenen Maenner mitgezaehlt, wie die Konsulare Aulus Albinus, Konsul 655 (99), Titus Didius 656 (98), Publius Lupus 664 (90), Lucius Cato 665 (89), teils vielleicht Quintus Metellus Numidicus, Manius Aquillius, Gaius Marius der Vater, Gnaeus Strabo, die man allenfalls auch als Opfer dieser Zeit ansehen konnte, oder andere Maenner, deren Schicksal uns nicht bekannt ist. Von den vierzehn getoeteten Konsularen sind drei, Rufus, Cinna und Flaccus, durch Militaerrevolten, dagegen acht Sullanische, drei Marianische Konsulate als Opfer der Gegenpartei gefallen. Nach der Vergleichung der oben angegebenen Ziffern galten als Opfer des Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, als Opfer des Sulla 40 Senatoren und 1600 Ritter; es gibt dies einen wenigstens nicht ganz willkuerlichen Massstab zur Abschaetzung des Umfangs der beiderseitigen Frevel. 3 Einer von diesen ist der in Ciceros Rede fuer Publius Quinctius oefter genannte Senator Sextus Alfenus. ---------------------------------------------------------- In aehnlicher Weise ward mit dem Beutegut verfahren. Sulla wirkte aus politischen Ruecksichten dahin, dass die angesehenen Buerger sich bei dessen Ersteigerung beteiligten; ein grosser Teil draengte uebrigens freiwillig sich herbei, keiner eifriger als der junge Marcus Crassus. Unter den obwaltenden Umstaenden war die aergste Schleuderwirtschaft nicht zu vermeiden, die uebrigens zum Teil schon aus der roemischen Weise folgte, die vom Staat eingezogenen Vermoegen gegen eine Pauschalsumme zur Realisierung zu verkaufen; es kam noch hinzu, dass der Regent teils sich selbst nicht vergass, teils besonders seine Gemahlin Metella und andere ihm nahestehende vornehme und geringe Personen, selbst Freigelassene und Kneipgenossen, bald ohne Konkurrenz kaufen liess, bald ihnen den Kaufschilling ganz oder teilweise erliess - so soll zum Beispiel einer seiner Freigelassenen ein Vermoegen von 6 Millionen (457000 Talern) fuer 2000 Sesterzen (152 Taler) ersteigert haben und einer seiner Unteroffiziere durch derartige Spekulationen zu einem Vermoegen von 10 Mill. Sesterzen (761000 Talern) gelangt sein. Der Unwille war gross und gerecht; schon waehrend Sollas Regentschaft fragte ein Advokat, ob der Adel den Buergerkrieg nur gefuehrt habe, um seine Freigelassenen und Knechte zu reichen Leuten zu machen. Trotz dieser Schleuderei indes betrug der Gesamterloes aus den konfiszierten Guetern nicht weniger als 350 Mill. Sesterzen (27 Mill. Taler), was von dem ungeheuren Umfang dieser hauptsaechlich auf den reichsten Teil der Buergerschaft fallenden Einziehungen einen ungefaehren Begriff gibt. Es war durchaus ein fuerchterliches Strafgericht. Es gab keinen Prozess, keine Begnadigung mehr; bleischwer lastete der dumpfe Schrecken auf dem Lande, und das freie Wort war auf dem Markte der Hauptwie der Landstadt verstummt. Das oligarchische Schreckensregiment trug wohl einen anderen Stempel als das revolutionaere; wenn Marius seine persoenliche Rachsucht im Blute seiner Feinde geloescht hatte, so schien Sulla den Terrorismus man moechte sagen abstrakt als zur Einfuehrung der neuen Gewaltherrschaft notwendig zu erachten und die Metzelei fast gleichgueltig zu betreiben oder betreiben zu lassen. Aber nur um so entsetzlicher erschien das Schreckensregiment, indem es von der konservativen Seite her und gewissermassen ohne Leidenschaft auftrat; nur um so unrettbarer schien das Gemeinwesen verloren, indem der Wahnsinn und der Frevel auf beiden Seiten im Gleichgewicht standen. In der Ordnung der Verhaeltnisse Italiens und der Hauptstadt hielt Sulla, obwohl er sonst im allgemeinen alle waehrend der Revolution vorgenommenen, nicht bloss die laufenden Geschaefte erledigenden Staatshandlungen als nichtig behandelte, doch fest an dem von ihr aufgestellten Grundsatz, dass jeder Buerger einer italischen Gemeinde damit von selbst auch Buerger von Rom sei; die Unterschiede zwischen Buergern und italischen Bundesgenossen, zwischen Altbuergern besseren und Neubuergern beschraenkteren Rechts waren und blieben beseitigt. Nur den Freigelassenen ward das unbeschraenkte Stimmrecht abermals entzogen und fuer sie das alte Verhaeltnis wiederhergestellt. Den aristokratischen Ultras mochte dies als eine grosse Konzession erscheinen; Sulla sah, dass den revolutionaeren Fuehrern jene maechtigen Hebel notwendig aus der Hand gewunden werden mussten und dass die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung der Zahl der Buerger nicht wesentlich gefaehrdet ward. Aber mit dieser Nachgiebigkeit im Prinzip verband sich das haerteste Gericht ueber die einzelnen Gemeinden in saemtlichen Landschaften Italiens, ausgefuehrt durch Spezialkommissare und unter Mitwirkung der durch die ganze Halbinsel verteilten Besatzungen. Manche Staedte wurden belohnt, wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen hatte, Brundisium, jetzt die fuer diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit erhielt; mehrere bestraft. Den minder Schuldigen wurden Geldbussen, Niederreissung der Mauern, Schleifung der Burgen diktiert; den hartnaeckigsten Gegnern konfiszierte der Regent einen Teil ihrer Feldmark, zum Teil sogar das ganze Gebiet, wie denn dies rechtlich allerdings als verwirkt angesehen werden konnte, mochte man nun sie als Buergergemeinden behandeln, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen, oder als Bundesstaaten, die dem ewigen Friedensvertrag zuwider mit Rom Krieg gefuehrt hatten. In diesem Falle ward zugleich allen aus dem Besitz gesetzten Buergern, aber auch nur diesen, ihr Stadtund zugleich das roemische Buergerrecht aberkannt, wogegen sie das schlechteste latinische empfingen 4. Man vermied also an italischen Untertanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu gewaehren; die heimatlosen Expropriierten mussten bald in der Masse des Proletariats sich verlieren. In Kampanien ward nicht bloss, wie sich von selbst versteht, die demokratische Kolonie Capua aufgehoben und die Domaene an den Staat zurueckgegeben, sondern auch, wahrscheinlich um diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen. In Latium wurde die gesamte Mark der grossen und reichen Stadt Praeneste und vermutlich auch die von Norba eingezogen, ebenso in Umbrien die von Spoletium. Sulmo in der paelignischen Landschaft ward sogar geschleift. Aber vor allem schwer lastete des Regenten eiserner Arm auf den beiden Landschaften, die bis zuletzt und noch nach der Schlacht am Collinischen Tor ernstlichen Widerstand geleistet hatten, auf Etrurien und Samnium. Dort traf die Gesamtkonfiskation eine Reihe der ansehnlichsten Kommunen, zum Beispiel Florentia, Faesulae, Arretium, Volaterrae. Von Samniums Schicksal ward schon gesprochen; hier ward nicht konfisziert, sondern das Land fuer immer verwuestet, seine bluehenden Staedte, selbst die ehemalige latinische Kolonie Aesernia, oede gelegt und die Landschaft der bruttischen und lucanischen gleichgestellt. --------------------------------------------- 4 Es kam hierbei noch die eigentuemliche Erschwerung hinzu, dass das latinische Recht sonst regelmaessig, ebenwie das peregrinische, die Mitgliedschaft in einer bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloss, hier aber - aehnlich wie bei den spaeteren Freigelassenen latinischen und deditizischen Rechts (vgl. 3, 258 A.) - ohne ein solches eigenes Stadtrecht auftrat. Die Folge war, dass diese Latiner die an die Stadtverfassung geknuepften Privilegien entbehrten, genau genommen auch nicht testieren konnten, da niemand anders ein Testament errichten kann als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus roemischen Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich wie mit Roemern oder Latinern in den Formen des roemischen Rechts verkehren. ----------------------------------------------- Diese Anordnungen ueber das italische Bodeneigentum stellten teils diejenigen roemischen Domaniallaendereien, welche den ehemaligen Bundesgenossengemeinden zur Nutzniessung uebertragen waren und jetzt mit deren Aufloesung an die roemische Regierung zurueckfielen, teils die eingezogenen Feldmarken der straffaelligen Gemeinden zur Verfuegung des Regenten; und er benutzte sie, um darauf die Soldaten der siegreichen Armee ansaessig zu machen. Die meisten dieser neuen Ansiedlungen kamen nach Etrurien, zum Beispiel nach Faesulae und Arretium, andere nach Latium und Kampanien, wo unter andern Praeneste und Pompeii Sullanische Kolonien wurden. Samnium wiederzubevoelkern lag, wie gesagt, nicht in der Absicht des Regenten. Ein grosser Teil dieser Assignationen erfolgte in gracchanischer Weise, so dass die Angesiedelten zu einer schon bestehenden Stadtgemeinde hinzutraten. Wie umfassend die Ansiedelung war, zeigt die Zahl der verteilten Landlose, die auf 120000 angegeben wird; wobei dennoch einige Ackerkomplexe anderweitig verwandt wurden, wie zum Beispiel der Dianentempel auf dem Berg Tifata mit Laendereien beschenkt ward, andere, wie die volaterranische Mark und ein Teil der arretinischen, unverteilt blieben, andere endlich nach dem alten, gesetzlich untersagten, aber jetzt wiederauftauchenden Missbrauch von Sullas Guenstlingen nach Okkupationsrecht eingenommen wurden. Die Zwecke, die Sulla bei dieser Kolonisation verfolgte, waren mannigfacher Art. Zunaechst loeste er damit seinen Soldaten das gegebene Wort. Ferner nahm er damit den Gedanken auf, in dem die Reformpartei und die gemaessigten Konservativen zusammentrafen und demgemaess er selbst schon im Jahre 666 (88) die Gruendung einer Anzahl von Kolonien angeordnet hatte: die Zahl der ackerbauenden Kleinbesitzer in Italien durch Zerschlagung groesserer Besitzungen von Seiten der Regierung zu vermehren; wie ernstlich ihm hieran gelegen war, zeigt das erneuerte Verbot des Zusammenschlagens der Ackerlose. Endlich und vor allem sah er in diesen angesiedelten Soldaten gleichsam stehende Besatzungen, die mit ihrem Eigentumsrecht zugleich seine neue Verfassung schirmen wuerden; weshalb auch, wo nicht die ganze Mark eingezogen ward, wie zum Beispiel in Pompeii, die Kolonisten nicht mit der Stadtgemeinde verschmolzen, sondern die Altbuerger und die Kolonisten als zwei in demselben Mauerring vereinigte Buergerschaften konstituiert wurden. Diese Kolonialgruendungen ruhten wohl auch wie die aelteren auf Volksschluss, aber doch nur mittelbar, insofern sie der Regent auf Grund der desfaelligen Klausel des Valerischen Gesetzes konstituierte; der Sache nach gingen sie hervor aus der Machtvollkommenheit des Herrschers und erinnerten insofern an das freie Schalten der ehemaligen koeniglichen Gewalt ueber das Staatsgut. Insofern aber, als der Gegensatz des Soldaten und des Buergers, der sonst eben durch die Deduktion der Soldaten aufgehoben ward, bei den Sullanischen Kolonien noch nach ihrer Ausfuehrung lebendig bleiben sollte und blieb, und als diese Kolonisten gleichsam das stehende Heer des Senats bildeten, werden sie nicht unrichtig im Gegensatz gegen die aelteren als Militaerkolonien bezeichnet. Dieser faktischen Konstituierung einer stehenden Armee des Senats verwandt ist die Massregel des Regenten, aus den Sklaven der Geaechteten ueber 10000 der juengsten und kraeftigsten Maenner auszuwaehlen und insgesamt freizusprechen. Diese neuen Cornelier, deren buergerliche Existenz an die Rechtsbestaendigkeit der Institutionen ihres Patrons geknuepft war, sollten eine Art von Leibwache fuer die Oligarchie sein und ihr den staedtischen Poebel beherrschen helfen, auf den nun einmal in der Hauptstadt in Ermangelung einer Besatzung alles ankam. Diese ausserordentlichen Stuetzen, auf die zunaechst der Regent die Oligarchie lehnte, schwach und ephemer wie sie wohl auch ihrem Urheber erscheinen mochten, waren doch die einzig moeglichen, wenn man nicht zu Mitteln greifen wollte, wie die foermliche Aufstellung eines stehendes Heeres in Rom und dergleichen Massregeln mehr, die der Oligarchie noch weit eher ein Ende gemacht haben wuerden als ,die demagogischen Angriffe. Das dauernde Fundament der ordentlichen Regierungsgewalt der Oligarchie musste natuerlich der Senat sein mit einer so gesteigerten und so konzentrierten Gewalt, dass er an jedem einzelnen Angriffspunkt den nichtorganisierten Gegnern ueberlegen gegenueberstand. Das vierzig Jahre hindurch befolgte System der Transaktionen war zu Ende. Die Gracchische Verfassung, noch geschont in der ersten Sullanischen Reform von 666, ward jetzt von Grund aus beseitigt. Seit Gaius Gracchus hatte die Regierung dem hauptstaedtischen Proletariat gleichsam das Recht der Erneute zugestanden und es abgekauft durch regelmaessige Getreideverteilungen an die in der Hauptstadt domizilierten Buerger; Sulla schaffte dieselben ab. Durch die Verpachtung der Zehnten und Zoelle der Provinz Asia in Rom hatte Gaius Gracchus den Kapitalistenstand organisiert und fundiert; Sulla hob das System der Mittelsmaenner auf und verwandelte die bisherigen Leistungen der Asiaten in feste Abgaben, welche nach den zum Zweck der Nachzahlung der Rueckstaende entworfenen Schaetzungslisten auf die einzelnen Bezirke umgelegt wurden 5. Gaius Gracchus hatte durch Uebergabe der Geschworenenposten an die Maenner vom Ritterzensus dem Kapitalistenstand eine indirekte Mitverwaltung und Mitregierung erwirkt, die nicht selten sich staerker als die offizielle Verwaltung und Regierung erwies; Sulla schaffte die Rittergerichte ab und stellte die senatorischen wieder her. Gaius Gracchus oder doch die gracchische Zeit hatte den Rittern einen Sonderstand bei den Volksfesten eingeraeumt, wie ihn schon seit laengerer Zeit die Senatoren besassen; Sulla hob ihn auf und wies die Ritter zurueck auf die Plebejerbaenke 6. Der Ritterstand, als solcher durch Gaius Gracchus geschaffen, verlor seine politische Existenz durch Sulla. Unbedingt, ungeteilt und auf die Dauer sollte der Senat die hoechste Macht in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichten ueberkommen und auch aeusserlich nicht bloss als privilegierter, sondern als einzig privilegierter Stand auftreten. ------------------------------------------------ 5 Dass Sullas Umlage der rueckstaendigen fuenf Jahresziele und der Kriegskosten auf die Gemeinden von Asia (App. Mithr. 62 und sonst) auch fuer die Zukunft massgebend war, zeigt schon die Zurueckfuehrung der Einteilung Asias in vierzig Distrikte auf Sulla (Cassiod. chron. 670) und die Zugrundelegung der sullanischen Repartition bei spaeteren Ausschreibungen (Cic. Flacc. 14, 32), ferner, dass bei dem Flottenbau 672 (81) die hierzu verwandten Summen an der Steuerzahlung (ex pecunia vectigali populo Romano) gekuerzt werden (Cic. Verr. 1, 35, 89). Geradezu sagt endlich Cicero (ad Q. fr. 1, 11, 33), dass die Griechen "nicht imstande waren, von sich aus den von Sulla ihnen auferlegten Zins zu zahlen ohne Steuerpaechter". 6 Ueberliefert ist es freilich nicht, von wem dasjenige Gesetz erlassen ward, welches die Erneuerung des aelteren Privilegs durch das Roscische Theatergesetz 687 (67) noetig machte (Friedlaender in Becker, Handbuch, Bd. 4, S. 531), aber nach der Lage der Sache war der Urheber dieses Gesetzes unzweifelhaft Sulla. ---------------------------------------------- Vor allem musste zu diesem Ende die Regierungsbehoerde ergaenzt und selber unabhaengig gestellt werden. Durch die letzten Krisen war die Zahl der Senatoren furchtbar zusammengeschwunden. Zwar stellte Sulla den durch die Rittergerichte Verbannten jetzt die Rueckkehr frei, wie dem Konsular Publius Rutilius Rufus, der uebrigens von der Erlaubnis keinen Gebrauch machte, und dem Freunde des Drusus, Gaius Cotta; allein es war dies ein geringer Ersatz fuer die Luecken, die der revolutionaere wie der reaktionaere Terrorismus in die Reihen des Senats gerissen hatte. Deshalb wurde nach Sullas Anordnung der Senat ausserordentlicherweise ergaenzt durch etwa 300 neue Senatoren, welche die Distriktversammlung aus den Maennern vom Ritterzensus zu ernennen hatte und die sie, wie begreiflich, vorzugsweise teils aus den juengeren Maennern der senatorischen Haeuser, teils aus Sullanischen Offizieren und anderen, durch die letzte Umwaelzung Emporgekommenen auslas. Aber auch fuer die Zukunft ward die Aufnahme in den Senat neu geordnet und auf wesentlich andere Grundlagen gestellt. Nach der bisherigen Verfassung trat man in den Senat ein entweder durch zensorische Berufung, was der eigentliche und ordentliche Weg war, oder durch die Bekleidung eines der drei kurulischen Aemter: des Konsulats, der Praetur oder der Aedilitaet, an welche seit dem Ovinischen Gesetz von Rechts wegen Sitz und Stimme im Senat geknuepft war; die Bekleidung eines niederen Amtes, des Tribunats oder der Quaestur, gab wohl einen faktischen Anspruch auf einen Platz im Senat, insofern die zensorische Auswahl vorzugsweise auf diese Maenner sich lenkte, aber keineswegs eine rechtliche Anwartschaft. Von diesen beiden Eintrittswegen hob Sulla den ersteren auf durch die wenigstens tatsaechliche Beseitigung der Zensur und aenderte den zweiten dahin ab, dass der gesetzliche Eintritt in den Senat statt an die Aedilitaet an die Quaestur geknuepft und zugleich die Zahl der jaehrlich zu ernennenden Quaestoren auf zwanzig 7 erhoeht ward. Die bisher den Zensoren rechtlich zustehende, obwohl tatsaechlich laengst nicht mehr in ihrem urspruenglichen ernstlichen Sinn geuebte Befugnis, bei den von fuenf zu fuenf Jahren stattfindenden Revisionen jeden Senator unter Angabe von Gruenden von der Liste zu streichen, fiel fuer die Zukunft ebenfalls fort; die bisherige faktische Unabsetzbarkeit der Senatoren ward also von Sulla schliesslich festgestellt. Die Gesamtzahl der Senatoren, die bis dahin vermutlich die alte Normalzahl von 300 nicht viel ueberstiegen und oft wohl nicht einmal erreicht hatte, ward dadurch betraechtlich, vielleicht durchschnittlich um das Doppelte erhoeht, 8 was auch schon die durch die Uebertragung der Geschworenenfunktionen stark vermehrten Geschaefte des Senats notwendig machten. Indem ferner sowohl die ausserordentlich eintretenden Senatoren als die Quaestoren ernannt wurden von den Tributkomitien, wurde der bisher mittelbar auf den Wahlen des Volkes ruhende Senat jetzt durchaus auf direkte Volkswahl gegruendet, derselbe also einem repraesentativen Regiment so weit genaehert, als dies mit dem Wesen der Oligarchie und den Begriffen des Altertums ueberhaupt sich vertrug. Aus einem nur zum Beraten der Beamten bestimmten Kollegium war im Laufe der Zeit der Senat eine den Beamten befehlende und selbstregierende Behoerde geworden; es war hiervon nur eine konsequente Weiterentwicklung, wenn das den Beamten urspruenglich zustehende Recht, die Senatoren zu ernennen und zu kassieren, denselben entzogen und der Senat auf dieselbe rechtliche Grundlage gestellt wurde, auf welcher die Beamtengewalt selber ruhte. Die exorbitante Befugnis der Zensoren, die Ratliste zu revidieren und nach Gutduenken Namen zu streichen oder zuzusetzen, vertrug in der Tat sich nicht mit einer geordneten oligarchischen Verfassung. Indem jetzt durch die Quaestorenwahl fuer eine genuegende regelmaessige Ergaenzung gesorgt ward, wurden die zensorischen Revisionen ueberfluessig und durch deren Wegfall das wesentliche Grundprinzip jeder Oligarchie, die Inamovibilitaet und Lebenslaenglichkeit der zu Sitz und Stimme gelangten Glieder des Herrenstandes, endgueltig konsolidiert. ------------------------------------------------ 7 Wieviele Quaestoren bis dahin jaehrlich gewaehlt wurden, ist nicht bekannt. Im Jahre 487 (267) stellte sich die Zahl auf acht: zwei staedtische, zwei Militaerund vier Flottenquaestoren; wozu dann die in den Aemtern beschaeftigten Quaestoren hinzugetreten sind. Denn die Flottenquaesturen in Ostia, Cales und so weiter gingen keineswegs ein, und auch die Militaerquaestoren konnten nicht anderweitig verwendet werden, da sonst der Konsul, wo er als Oberfeldherr auftrat, ohne Quaestor gewesen sein wuerde. Da es nun bis auf Sulla neun Aemter gab, ueberdies nach Sizilien zwei Quaestoren gingen, so koennte er moeglicherweise schon achtzehn Quaestoren vorgefunden haben. Wie indes auch die Zahl der Oberbeamten dieser Zeit betraechtlich geringer als die ihrer Kompetenzen gewesen und hier stets durch Fristerstreckung und andere Aushilfen Rat geschafft worden ist, ueberhaupt die Tendenz der roemischen Regierung darauf ging, die Zahl der Beamten moeglichst zu beschraenken, so mag es auch mehr quaestorische Kompetenzen gegeben haben als Quaestoren, und es kann selbst sein, dass in kleine Provinzen, wie zum Beispiel Kilikien, in dieser Zeit gar kein Quaestor ging. Aber sicher hat es doch schon vor Sulla mehr als acht Quaestoren gegeben. 8 Von einer festen Zahl der Senatoren kann genau genommen ueberhaupt nicht die Rede sein. Wenn auch die Zensoren vor Sulla jedesmal eine Liste von 300 Koepfen anfertigten, so traten doch zu dieser immer noch diejenigen Nichtsenatoren hinzu, die nach Abfassung der Liste bis zur Aufstellung der naechsten ein kurulisches Amt bekleideten; und nach Sulla gab es so viele Senatoren, als gerade Quaestorier am Leben waren. Wohl aber ist anzunehmen, dass Sulla den Senat auf ungefaehr 500 bis 600 Koepfe zu bringen bedacht war; und diese Zahl ergibt sich, wenn jaehrlich 20 neue Mitglieder von durchschnittlich 30 Jahren eintraten und man die durchschnittliche Dauer der senatorischen Wuerde auf 25 bis 30 Jahre ansetzt. In einer stark besuchten Senatssitzung der ciceronischen Zeit waren 417 Mitglieder anwesend. ------------------------------------------------- Hinsichtlich der Gesetzgebung begnuegte sich Sulla, die im Jahre 666 (88) getroffenen Bestimmungen wiederaufzunehmen und die legislatorische Initiative, wie sie laengst tatsaechlich dem Senat zustand, wenigstens den Tribunen gegenueber auch gesetzlich ihm zu sichern. Die Buergerschaft blieb der formelle Souveraen; allein was ihre Urversammlungen anlangt, so schien es dem Regenten notwendig, die Form zwar sorgfaeltig zu konservieren, aber jede wirkliche Taetigkeit derselben noch sorgfaeltiger zu verhueten. Sogar mit dem Buergerrecht selbst ging Sulla in der geringschaetzigsten Weise um; er machte keine Schwierigkeit, weder den Neubuergergemeinden es zuzugestehen noch Spanier und Kelten in Masse damit zu beschenken; ja es geschah, wahrscheinlich nicht ohne Absicht, schlechterdings gar nichts fuer die Feststellung der Buergerliste, die doch nach so gewaltigen Umwaelzungen einer Revision dringend bedurfte, wenn es ueberhaupt der Regierung noch mit den hieran sich knuepfenden Rechtsbefugnissen Ernst war. Geradezu beschraenkt wurde die legislatorische Kompetenz der Komitien uebrigens nicht; es war auch nicht noetig, da ja infolge der besser gesicherten Initiative des Senats das Volk ohnehin nicht leicht wider den Willen der Regierung in die Verwaltung, das Finanzwesen und die Kriminaljurisdiktion eingreifen konnte und seine legislative Mitwirkung wesentlich wieder zurueckgefuehrt ward auf das Recht, zu Aenderungen der Verfassung ja zu sagen. Wichtiger war die Beteiligung der Buergerschaft bei den Wahlen, deren man nun einmal nicht entbehren zu koennen schien, ohne mehr aufzuruetteln, als Sullas obenhin sich haltende Restauration aufruetteln konnte und wollte. Die Eingriffe der Bewegungspartei in die Priesterwahlen wurden beseitigt; nicht bloss das Domitische Gesetz von 650 (104), das die Wahlen zu den hoechsten Priesteraemtern ueberhaupt dem Volke uebertrug, sondern auch die aelteren gleichartigen Verfuegungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio wurden von Sulla kassiert und den Priesterkollegien das Recht der Selbstergaenzung in seiner urspruenglichen Unbeschraenktheit zurueckgegeben. Hinsichtlich der Wahlen zu den Staatsaemtern aber blieb es im ganzen bei der bisherigen Weise; ausser insofern die sogleich zu erwaehnende neue Regulierung des militaerischen Kommandos allerdings folgeweise eine wesentliche Beschraenkung der Buergerschaft in sich schloss, ja gewissermassen das Vergebungsrecht der Feldherrnstellen von der Buergerschaft auf den Senat uebertrug. Es scheint nicht einmal, dass Sulla die frueher versuchte Restauration der Servianischen Stimmordnung jetzt wiederaufnahm, sei es nun, dass er es ueberhaupt als gleichgueltig betrachtete, ob die Stimmabteilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es, dass diese aeltere Ordnung ihm den gefaehrlichen Einfluss der Kapitalisten zu steigern schien. Nur die Qualifikationen wurden wiederhergestellt und teilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs neue eingeschaerft; ebenso die Bestimmung, dass jeder Bewerber um das Konsulat vorher die Praetur, jeder Bewerber um die Praetur vorher die Quaestur bekleidet haben muesse, wogegen es gestattet war, die Aedilitaet zu uebergehen. Mit besonderer Strenge wurde, in Hinblick auf die juengst mehrfach vorgenommenen Versuche, in der Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten Konsulats die Tyrannis zu begruenden, gegen diesen Missbrauch eingeschritten und verfuegt, dass zwischen der Bekleidung zweier ungleicher Aemter mindestens zwei, zwischen der zweimaligen Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verfliessen sollten; mit welcher letzteren Bestimmung, anstatt der in der juengsten ultraoligarchischen Epoche beliebten absoluten Untersagung jeder Wiederwahl zum Konsulat, wieder die aeltere Ordnung vom Jahre 412 (342) aufgenommen ward. Im ganzen aber liess Sulla den Wahlen ihren Lauf und suchte nur die Beamtengewalt in der Art zu fesseln, dass, wen auch immer die unberechenbare Laune der Komitien zum Amte berief, der Gewaehlte ausserstande sein wuerde, gegen die Oligarchie sich aufzulehnen. Die hoechsten Beamten des Staats waren in dieser Zeit tatsaechlich die drei Kollegien der Volkstribune, der Konsuln und Praetoren und der Zensoren. Sie alle gingen aus der Sullanischen Restauration mit wesentlich geschmaelerten Rechten hervor; vor allem das tribunizische Amt, das dem Regenten erschien als ein zwar auch fuer das Senatsregiment unentbehrliches, aber dennoch, als von der Revolution erzeugt und stets geneigt, wieder Revolutionen aus sich zu erzeugen, strenger und dauernder Fesselung beduerftiges Werkzeug. Von dem Rechte, die Amtshandlungen der Magistrate durch Einschreiten zu kassieren, den Kontravenienten eventuell zu braechen und dessen weitere Bestrafung zu veranlassen, war die tribunizische Gewalt ausgegangen; dies blieb den Tribunen auch jetzt, nur dass auf den Missbrauch des Interzessionsrechts eine schwere, die buergerliche Existenz regelmaessig vernichtende Geldstrafe gesetzt ward. Die weitere Befugnis des Tribuns, mit dem Volke nach Gutduenken zu verhandeln, teils um Anklagen einzubringen, insbesondere gewesene Beamte vor dem Volk zur Rechenschaft zu ziehen, teils um Gesetze zur Abstimmung vorzulegen, war der Hebel gewesen, durch den die Gracchen, Saturninus, Sulpicius den Staat umgewaelzt hatten; sie ward nicht aufgehoben, aber wohl von einer vorgaengig bei dem Senat nachzusuchenden Erlaubnis abhaengig gemacht 9. Endlich wurde hinzugefuegt, dass die Bekleidung des Tribunats in Zukunft zur Uebernahme eines hoeheren Amtes unfaehig machen solle - eine Bestimmung, die wie so manches andere in Sullas Restauration wieder auf die altpatrizischen Satzungen zurueckkam und, ganz wie in den Zeiten vor der Zulassung der Plebejer zu den buergerlichen Aemtern, das Tribunat einerund die kurulischen Aemter andererseits miteinander unvereinbar erklaerte. Auf diese Weise hoffte der Gesetzgeber der Oligarchie, der tribunizischen Demagogie zu wehren und alle ehrgeizigen und aufstrebenden Maenner von dem Tribunat fernzuhalten, dagegen dasselbe festzuhalten als Werkzeug des Senats, sowohl zur Vermittlung zwischen diesem und der Buergerschaft, als auch vorkommendenfalls zur Niederhaltung der Magistratur; und wie die Herrschaft des Koenigs und spaeter der republikanischen Beamten ueber die Buergerschaft kaum irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satze, dass ausschliesslich sie das Recht haben, oeffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die jetzt zuerst rechtlich festgestellte Oberherrlichkeit des Senats am bestimmtesten in dieser von dem Vormann des Volkes fuer jede Verhandlung mit demselben vom Senat zu erbittenden Erlaubnis. --------------------------------------------- 9 Darauf gehen die Worte des Lepidus bei Sallust (bist. 1, 41, 11 Dietsch): populus Romanus exutus ... iure agitandi, auf die Tacitus (ann. 3, 27) anspielt: statim turbidis Lepidi rogationibus neque multo post tribunis reddita licentia quoquo vellent populum agitandi. Dass die Tribune nicht ueberhaupt das Recht verloren, mit dem Volke zu verhandeln, zeigt deutlicher als Cic. leg. 3, 4, 10 das Plebiszit de Thermensibus, welches aber auch in der Eingangsformel sich bezeichnet als de senatus sententia erlassen. Dass die Konsuln dagegen auch nach der Sullanischen Ordnung ohne vorgaengigen Senatsbeschluss Antraege an das Volk bringen konnten, beweist nicht bloss das Stillschweigen der Quellen, sondern auch der Verlauf der Revolutionen von 667 (87) und 676 (78), deren Fuehrer eben aus diesem Grunde nicht Tribune, sondern Konsuln gewesen sind. Darum begegnen auch in dieser Zeit konsularische Gesetze ueber administrative Nebenfragen, wie zum Beispiel das Getreidegesetz von 681 (73), fuer die zu andern Zeiten sicher Plebiszite eingetreten sein wuerden. ------------------------------------------- Auch Konsulat und Praetur, obwohl sie von dem aristokratischen Regenerator Roms mit guenstigeren Augen betrachtet wurden als das an sich verdaechtige Tribunat, entgingen doch keineswegs dem Misstrauen gegen das eigene Werkzeug, welches durchaus die Oligarchie bezeichnet. Sie wurden in schonenderen Formen, aber in sehr fuehlbarer Weise beschraenkt. Sulla knuepfte hier an die Geschaeftsteilung an. Zu Anfang dieser Periode bestand dafuer die folgende Ordnung. Den beiden Konsuln lag immer noch, wie ehemals der Inbegriff der Geschaefte des hoechsten Amtes ueberhaupt, so jetzt derjenige Inbegriff der hoechsten Amtsgeschaefte ob, fuer welchen nicht gesetzlich besondere Kompetenzen festgestellt waren. Dies letztere war der Fall mit dem hauptstaedtischen Gerichtswesen, womit die Konsuln sich nach einer unverbruechlich festgehaltenen Regel nicht befassen durften, und mit den damals bestehenden ueberseeischen Aemtern: Sizilien, Sardinien und den beiden Spanien, in denen der Konsul das Kommando zwar fuehren konnte, aber nur ausnahmsweise fuehrte. Im ordentlichen Lauf der Dinge wurden demnach sechs Spezialkompetenzen, die beiden hauptstaedtischen Gerichtsvorstandschaften und die vier ueberseeischen Aemter unter die sechs Praetoren vergeben, woneben den beiden Konsuln kraft ihrer Generalkompetenz die Leitung der hauptstaedtischen nichtgerichtlichen Geschaefte und das militaerische Kommando in den festlaendischen Besitzungen oblag. Da diese Generalkompetenz also doppelt besetzt war, blieb der Sache nach der eine Konsul zur Verfuegung der Regierung, und fuer gewoehnliche Zeiten kam man demnach mit jenen acht hoechsten Jahresbeamten vollstaendig, ja reichlich aus. Fuer ausserordentliche Faelle blieb es ferner vorbehalten, teils die nicht militaerischen Kompetenzen zu kumulieren, teils die militaerischen ueber die Endfrist hinaus fortdauern zu lassen (prorogare). Es war nicht ungewoehnlich, die beiden Gerichtsvorstandschaften demselben Praetor zu uebertragen und die regelmaessig von den Konsuln zu beschaffenden hauptstaedtischen Geschaefte durch den Stadtpraetor versehen zu lassen; wogegen es verstaendigerweise moeglichst vermieden ward, mehrere Kommandos in derselben Hand zu vereinigen. Hier half vielmehr die Regel aus, dass im militaerischen Imperium es kein Interregnum gab, also dasselbe, obwohl gesetzlich befristet, doch nach Eintritt des Endtermines von Rechts wegen noch so lange fortdauerte, bis der Nachfolger erschien und dem Vorgaenger das Kommando abnahm, oder, was dasselbe ist, dass der kommandierende Konsul oder Praetor nach Ablauf seiner Amtszeit, wenn der Nachfolger nicht erschien, an Konsuls oder Praetors Statt weiter fungieren konnte und musste. Der Einfluss des Senats auf diese Geschaeftsverteilung bestand darin, dass es observanzmaessig von ihm abhing, entweder die Regel walten, also die sechs Praetoren die sechs Spezialkompetenzen unter sich verlosen und die Konsuln die festlaendischen, nichtgerichtlichen Geschaefte besorgen zu lassen, oder irgendeine Abweichung von derselben anzuordnen, etwa dem Konsul ein augenblicklich besonders wichtiges ueberseeisches Kommando zuzuweisen oder eine ausserordentliche militaerische und gerichtliche Kommission, zum Beispiel das Flottenkommando oder eine wichtige Kriminaluntersuchung, unter die zur Verteilung kommenden Kompetenzen aufzunehmen und die dadurch weiter noetig werdenden Kumulationen und Fristerstreckungen zu veranlassen - wobei uebrigens lediglich die Absteckung der jedesmaligen konsularischen und respektiv praetorischen Kompetenzen, nicht die Bezeichnung der fuer das einzelne Amt eintretenden Personen dem Senate zustand, die letztere vielmehr durchgaengig durch Vereinbarung der konkurrierenden Beamten oder durch das Los erfolgte. Die Buergerschaft war in der aelteren Zeit wohl veranlasst worden, die in dem Unterlassen der Abloesung enthaltene tatsaechliche Verlaengerung des Kommandos durch besonderen Gemeindebeschluss zu regularisieren; indes war dies mehr dem Geiste, als dem Buchstaben der Verfassung nach notwendig und bald griff die Buergerschaft hierbei nicht weiter ein. Im Laufe des siebenten Jahrhunderts traten nun allmaehlich zu den bestehenden sechs Spezialkompetenzen sechs andere hinzu; die fuenf neuen Statthalterschaften von Makedonien, Africa, Asia, Narbo und Kilikien und die Vorstandschaft in dem stehenden Kommissionsgericht wegen Erpressungen. Mit dem immer mehr sich ausdehnenden Wirkungskreise der roemischen Regierung trat ueberdies immer haeufiger der Fall ein, dass die Oberbeamten fuer ausserordentliche militaerische oder prozessualische Kommissionen in Anspruch genommen wurden. Dennoch wurde die Zahl der ordentlichen hoechsten Jahrbeamten nicht vermehrt; und es kamen also auf acht jaehrlich zu ernennende Beamte, von allem andern abgesehen, mindestens zwoelf jaehrlich zu besetzende Spezialkompetenzen. Natuerlich war es nicht Zufall, dass man dies Defizit nicht durch Kreierung neuer Praetorenstellen ein fuer allemal deckte. Dem Buchstaben der Verfassung gemaess sollten die saemtlichen hoechsten Beamten Jahr fuer Jahr von der Buergerschaft ernannt werden; nach der neuen Ordnung oder vielmehr Unordnung, derzufolge die entstehenden Luecken wesentlich durch Fristerstreckung ausgefuellt wurden und den gesetzlich ein Jahr fungierenden Beamten in der Regel vom Senat ein zweites Jahr zugelegt, nach Befinden dasselbe aber auch verweigert ward, besetzte die wichtigsten und lukrativsten Stellen im Staate nicht mehr die Buergerschaft, sondern aus einer durch die Buergerschaftswahlen gebildeten Konkurrentenliste der Senat. Ueblich ward es dabei, da unter diesen Stellen die ueberseeischen Kommandos als die eintraeglichsten vor allem gesucht waren, denjenigen Beamten, die ihr Amt entweder rechtlich oder doch tatsaechlich an die Hauptstadt fesselte, also den beiden Vorstehern der staedtischen Gerichtsbarkeit und haeufig auch den Konsuln, nach Ablauf ihres Amtsjahrs ein ueberseeisches Kommando zu uebertragen, was mit dem Wesen der Prorogation sich vertrug, da die Amtsgewalt des in Rom und des in der Provinz fungierenden Oberbeamten wohl anders bezogen, aber nicht eigentlich staatsrechtlich eine qualitativ andere war. Diese Verhaeltnisse fand Sulla vor und sie lagen seiner neuen Ordnung zu Grunde. Der Grundgedanke derselben war die vollstaendige Scheidung der politischen Gewalt, welche in den Buerger-, und der militaerischen, welche in den Nichtbuergerdistrikten regierte, und die durchgaengige Erstreckung der Dauer des hoechsten Amtes von einem Jahr auf zwei, von denen das erstere den buergerlichen, das zweite den militaerischen Geschaeften gewidmet ward. Raeumlich waren die buergerliche und die militaerische Gewalt allerdings laengst schon durch die Verfassung geschieden, und endete jene an dem Pomerium, wo diese begann; allein immer noch hielt derselbe Mann die hoechste politische und die hoechste militaerische Macht in seiner Hand vereinigt. Kuenftig sollte der Konsul und Praetor mit Rat und Buergerschaft verhandeln, der Prokonsul und Propraetor die Armee kommandieren, jenem aber jede militaerische, diesem jede politische Taetigkeit gesetzlich abgeschnitten sein. Dies fuehrte zunaechst zu der politischen Trennung der norditalischen Landschaft von dem eigentlichen Italien. Bisher hatten dieselben wohl in einem nationalen Gegensatz gestanden, insofern Norditalien vorwiegend von Ligurern und Kelten, Mittelund Sueditalien von Italikern bewohnt ward; allein politisch und administrativ stand das gesamte festlaendische Gebiet des roemischen Staates von der Meerenge bis an die Alpen mit Einschluss der illyrischen Besitzungen, Buerger-, latinische und Nichtitalikergemeinden ohne Unterschied, im ordentlichen Laufe der Dinge unter der Verwaltung der in Rom eben fungierenden hoechsten Beamten, wie denn ja auch die Kolonialgruendungen sich durch dies ganze Gebiet erstreckten. Nach Sullas Ordnung wurde das eigentliche Italien, dessen Nordgrenze zugleich statt des Aesis der Rubico ward, als ein jetzt ohne Ausnahme von roemischen Buergern bewohntes Gebiet, den ordentlichen roemischen Obrigkeiten untergeben und dass in diesem Sprengel regelmaessig keine Truppen und kein Kommandant standen, einer der Fundamentalsaetze des roemischen Staatsrechts; das Keltenland diesseits der Alpen dagegen, in dem schon der bestaendig fortwaehrenden Einfaelle der Alpenvoelker wegen ein Kommando nicht entbehrt werden konnte, wurde nach dem Muster der aelteren ueberseeischen Kommandos als eigene Statthalterschaft konstituiert ^10. Indem nun endlich die Zahl der jaehrlich zu ernennenden Praetoren von sechs auf acht erhoeht ward, stellte sich die neue Geschaeftsordnung dahin, dass die jaehrlich zu ernennenden zehn hoechsten Beamten waehrend ihres ersten Amtsjahrs als Konsuln oder Praetoren den hauptstaedtischen Geschaeften - die beiden Konsuln der Regierung und Verwaltung, zwei der Praetoren der Zivilrechtspflege, die uebrigen sechs der reorganisierten Kriminaljustiz - sich widmeten, waehrend ihres zweiten Amtsjahrs als Prokonsuln oder Propraetoren das Kommando in einer der zehn Statthalterschaften: Sizilien, Sardinien, beiden Spanien, Makedonien, Asia, Africa, Narbo, Kilikien und dem italischen Keltenland uebernahmen. Die schon erwaehnte Vermehrung der Quaestorenzahl durch Sulla auf zwanzig gehoert ebenfalls in diesen Zusammenhang ^11. --------------------------------- ^10 Fuer diese Annahme gibt es keinen anderen Beweis, als dass das italische Keltenland eine Provinz in dem Sinne, wo das Wort einen geschlossenen und von einem jaehrlich erneuerten Statthalter verwalteten Sprengel bedeutet, in den aelteren Zeiten ebenso entschieden nicht ist wie allerdings in der caesarischen es eine ist (vgl. Licin. p. 39: Data erat et Sullae provincia Gallia cisalpina). Nicht viel anders steht es mit der Vorschiebung der Grenze; wir wissen, dass ehemals der Aesis, zu Caesars Zeit der Rubico, das Keltenland von Italien schied, aber nicht, wann die Vorrueckung stattfand. Man hat zwar daraus, dass Marcus Terentius Varro Lucullus als Propraetor in dem Distrikt zwischen Aesis und Rubico eine Grenzregulierung vornahm (Orelli 570), geschlossen, dass derselbe wenigstens im Jahre nach Lucullus’ Praetur 679 (75) noch Provinzialland gewesen sein muesse, da auf italischem Boden der Propraetor nichts zu schaffen habe. Indes nur innerhalb des Pomerium hoert jedes prorogierte Imperium von selber auf; in Italien dagegen ist auch nach Sullas Ordnung ein solches zwar nicht regelmaessig vorhanden, aber doch zulaessig, und ein ausserordentliches ist das von Lucullus bekleidete Amt doch auf jeden Fall gewesen. Wir koennen aber auch nachweisen, wann und wie Lucullus ein solches in dieser Gegend bekleidet hat. Gerade er war schon vor der Sullanischen Reorganisation 672 (82) als kommandierender Offizier eben hier taetig und wahrscheinlich, ebenwie Pompeius, von Sulla mit propraetorischer Gewalt ausgestattet; in dieser Eigenschaft wird er 672 (82) oder 673 (81) (vgl. App. 1, 95) die fragliche Grenze reguliert haben. Aus dieser Inschrift folgt also fuer die rechtliche Stellung Norditaliens ueberhaupt nichts und am wenigsten fuer die Zeit nach Sullas Diktatur. Dagegen ist es ein bemerkenswerter Fingerzeig, dass Sulla das roemische Pomerium vorschob (Sen. dial. 10, 14; Dio Cass. 43, 50), was nach roemischem Staatsrecht nur dem gestattet war, der nicht etwa die Reichs-, sondern die Stadt-, d. h. die italische Grenze vorgerueckt hatte. ^11 Da nach Sizilien zwei, in jede andere Provinz ein Quaestor gingen, ueberdies die zwei staedtischen und die zwei den Konsuln bei der Kriegsfuehrung beigeordneten und die vier Flottenquaestoren bestehen blieben, so waren hierfuer neunzehn Beamte jaehrlich erforderlich. Die zwanzigste Quaestorenkompetenz laesst sich nicht nachweisen. -------------------------------- Zunaechst ward hiermit an die Stelle der bisherigen unordentlichen und zu allen moeglichen schlechten Manoevern und Intrigen einladenden Aemterverteilung eine klare und feste Regel gesetzt, dann aber auch den Ausschreitungen der Beamtengewalt nach Moeglichkeit vorgebeugt und der Einfluss der obersten Regierungsbehoerde wesentlich gesteigert. Nach der bisherigen Ordnung ward in dem Reiche rechtlich nur unterschieden die Stadt, welche der Mauerring umschloss, und die Landschaft ausserhalb des Pomerium; die neue Ordnung setzte an die Stelle der Stadt das neue, fortan als ewig befriedet dem regelmaessigen Kommando entzogene Italien ^12 und ihm gegenueber das festlaendische und ueberseeische Gebiet, das umgekehrt notwendig unter Militaerkommandanten steht, die von jetzt an sogenannten Provinzen. Nach der bisherigen Ordnung war derselbe Mann sehr haeufig zwei, oft auch mehr Jahre in demselben Amte verblieben; die neue Ordnung beschraenkte die hauptstaedtischen Aemter wie die Statthalterposten durchaus auf ein Jahr, und die spezielle Verfuegung, dass jeder Statthalter binnen dreissig Tagen, nachdem der Nachfolger in seinem Sprengel eingetroffen sei, denselben unfehlbar zu verlassen habe, zeigt sehr klar, namentlich wenn man damit noch das frueher erwaehnte Verbot der unmittelbaren Wiederwahl des gewesenen Beamten zu demselben oder einem anderen Volksamt zusammennimmt, was die Tendenz dieser Einrichtungen war: es war die alterprobte Maxime, durch die einst der Senat das Koenigtum sich dienstbar gemacht hatte, dass die Beschraenkung der Magistratur der Kompetenz nach der Demokratie, die der Zeit nach der Oligarchie zugute komme. Nach der bisherigen Ordnung hatte Gaius Marius zugleich als Haupt des Senats und als Oberfeldherr des Staates amtiert; wenn er es nur seiner eigenen Ungeschicklichkeit zuzuschreiben hatte, dass es ihm misslang, mittels dieser doppelten Amtsgewalt die Oligarchie zu stuerzen, so schien nun dafuer gesorgt, dass nicht etwa ein kluegerer Nachfolger denselben Hebel besser gebrauche. Nach der bisherigen Ordnung hatte auch der vom Volke unmittelbar ernannte Beamte eine militaerische Stellung haben koennen; die sullanische dagegen behielt diese ausschliesslich denjenigen Beamten vor, die der Senat durch Erstreckung der Amtsfrist in ihrer Amtsgewalt bestaetigte. Zwar war diese Amtsverlaengerung jetzt stehend geworden; dennoch wurde sie den Auspizien und dem Namen, ueberhaupt der staatsrechtlichen Formulierung nach auch ferner als ausserordentliche Fristerstreckung behandelt. Es war dies nicht gleichgueltig. Den Konsul oder den Praetor konnte nur die Buergerschaft seines Amtes entsetzen; den Prokonsul und den Propraetor ernannte und entliess der Senat, so dass durch diese Verfuegung die gesamte Militaergewalt, auf die denn doch zuletzt alles ankam, formell wenigstens vom Senat abhaengig wurde. -------------------------------------------------- ^12 Die italische Eidgenossenschaft ist viel aelter; aber sie ist ein Staatenbund, nicht, wie das sullanische Italien, ein innerhalb des Roemischen Reiches einheitlich abgegrenztes Staatsgebiet. --------------------------------------------------- Dass endlich das hoechste aller Aemter, die Zensur, nicht foermlich aufgehoben, aber in derselben Art beseitigt ward wie ehemals die Diktatur, ward schon bemerkt. Praktisch konnte man derselben allenfalls entraten. Fuer die Ergaenzung des Senats war anderweitig gesorgt. Seit Italien tatsaechlich steuerfrei war und das Heer wesentlich durch Werbung gebildet ward, hatte das Verzeichnis der Steuerund Dienstpflichtigen in der Hauptsache seine Bedeutung verloren; und wenn in der Ritterliste und dem Verzeichnis der Stimmberechtigten Unordnung einriss, so mochte man dies nicht gerade ungern sehen. Es blieben also nur die laufenden Finanzgeschaefte, welche die Konsuln schon bisher verwaltet hatten, wenn, wie dies haeufig vorkam, die Zensorenwahl unterblieben war, und nun als einen Teil ihrer ordentlichen Amtstaetigkeit uebernahmen. Gegen den wesentlichen Gewinn, dass der Magistratur in den Zensoren ihre hoechste Spitze entzogen ward, kam nicht in Betracht und tat der Alleinherrschaft des hoechsten Regierungskollegiums durchaus keinen Eintrag, dass, um die Ambition der jetzt so viel zahlreicheren Senatoren zu befriedigen, die Zahl der Pontifices und die der Augurn von neun, die der Orakelbewahrer von zehn auf je fuenfzehn, die der Schmausherren von drei auf sieben vermehrt ward. In dem Finanzwesen stand schon nach der bisherigen Verfassung die entscheidende Stimme bei dem Senat; es handelte sich demnach hier um die Wiederherstellung einer geordneten Verwaltung. Sulla hatte anfaenglich sich in nicht geringer Geldnot befunden; die aus Kleinasien mitgebrachten Summen waren fuer den Sold des zahlreichen und stets anschwellenden Heeres bald verausgabt. Noch nach dem Siege am Collinischen Tor hatte der Senat, da die Staatskasse nach Praeneste entfuehrt worden war, sich zu Notschritten entschliessen muessen. Verschiedene Bauplaetze in der Hauptstadt und einzelne Stuecke der kampanischen Domaene wurden feilgeboten, die Klientelkoenige, die befreiten und bundesgenoessischen Gemeinden ausserordentlicherweise in Kontribution gesetzt, zum Teil ihnen ihr Grundbesitz und ihre Zoelle eingezogen, anderswo denselben fuer Geld neue Privilegien zugestanden. Indes der bei der Uebergabe von Praeneste vorgefundene Rest der Staatskasse von beilaeufig 4 Mill. Talern, die bald beginnenden Versteigerungen und andere ausserordentliche Hilfsquellen halfen der augenblicklichen Verlegenheit ab. Fuer die Zukunft aber ward gesorgt weniger durch die asiatische Abgabenreform, bei der vorzugsweise die Steuerpflichtigen gewannen und die Staatskasse wohl nur nicht verlor, als durch die Wiedereinziehung der kampanischen Domaene, wozu jetzt noch Aenaria gefuegt ward, und vor allem durch die Abschaffung der Kornverteilungen, die seit Gaius Gracchus wie ein Krebs an den roemischen Finanzen gezehrt hatten. Dagegen ward das Gerichtswesen wesentlich umgestaltet, teils aus politischen Ruecksichten, teils um in die bisherige sehr unzulaengliche und unzusammenhaengende Prozesslegislation groessere Einheit und Brauchbarkeit zu bringen. Nach der bisherigen Ordnung gingen die Prozesse zur Entscheidung teils an die Buergerschaft, teils an Geschworene. Die Gerichte, in denen die ganze Buergerschaft auf Provokation von dem Urteil des Magistrats hin entschied, lagen bis auf Sulla in den Haenden in erster Reihe der Volkstribune, in zweiter der Aedilen, indem saemtliche Prozesse, durch die ein Beamter oder Beauftragter der Gemeinde wegen seiner Geschaeftsfuehrung zur Verantwortung gezogen ward, mochten sie auf Leib und Leben oder auf Geldbussen gehen, von den Volkstribunen, alle uebrigen Prozesse, in denen schliesslich das Volk entschied, von den kurulischen oder plebejischen Aedilen in erster Instanz abgeurteilt, in zweiter geleitet wurden. Sulla hat den tribunizischen Rechenschaftsprozess wenn nicht geradezu abgeschafft, so doch, ebenwie die legislatorische Initiative der Tribune, von der vorgaengigen Einwilligung des Senats abhaengig gemacht und vermutlich auch den aedilizischen Strafprozess in aehnlicher Weise beschraenkt. Dagegen erweiterte er die Kompetenz der Geschworenengerichte. Es gab damals ein doppeltes Verfahren vor Geschworenen. Das ordentliche, welches anwendbar war in allen nach unserer Auffassung zu einem Kriminaloder Zivilprozess sich eignenden Faellen, mit Ausnahme der unmittelbar gegen den Staat gerichteten Verbrechen, bestand darin, dass der eine der beiden hauptstaedtischen Gerichtsherren die Sache instruierte und ein von ihm ernannter Geschworener auf Grund dieser Instruktion entschied. Der ausserordentliche Geschworenenprozess trat ein in einzelnen wichtigen Ziviloder Kriminalfaellen, wegen welcher durch besondere Gesetze anstatt des Einzelgeschworenen ein eigener Geschworenenhof bestellt worden war. Dieser Art waren teils die fuer einzelne Faelle konstituierten Spezialgerichtsstellen; teils die stehenden Kommissionalgerichtshoefe, wie sie fuer Erpressungen, fuer Giftmischerei und Mord, vielleicht auch fuer Wahlbestechung und andere Verbrechen im Laufe des siebenten Jahrhunderts niedergesetzt worden waren; teils endlich die beiden Hoefe der Zehnmaenner fuer den Freiheitsund der Hundertundfuenfoder kuerzer der Hundertmaenner fuer den Erbschaftsprozess, auch von dem bei allem Eigentumsstreit gebrauchten Lanzenschaft das Schaftgericht (hasta) genannt. Der Zehnmaennerhof (decemviri litibus iudicandis) war eine uralte Institution zum Schutze der Plebejer gegen ihre Herren. Zeit und Veranlassung der Entstehung des Schaftgerichts liegen im Dunkeln, werden aber vermutlich ungefaehr dieselben sein wie bei den oben erwaehnten wesentlich gleichartigen Kriminalkommissionen. Ueber die Leitung dieser verschiedenen Gerichtshoefe war in den einzelnen Gerichtsordnungen verschieden bestimmt; so standen dem Erpressungsgericht ein Praetor, dem Mordgericht ein aus den gewesenen Aedilen besonders ernannter Vorstand, dem Schaftgericht mehrere aus den gewesenen Quaestoren genommene Direktoren vor. Die Geschworenen wurden wenigstens fuer das ordentliche wie fuer das ausserordentliche Verfahren in Gemaessheit der Gracchischen Ordnung aus den nichtsenatorischen Maennern von Ritterzensus genommen; die Auswahl stand im allgemeinen den Magistraten zu, die die Gerichtsleitung hatten, jedoch in der Weise, dass sie mit dem Antritt ihres Amts die Geschworenenliste ein fuer allemal aufzustellen hatten und dann das einzelne Geschworenenkollegium aus diesen nicht durch freie Auswahl des Magistrats, sondern durch Losung und durch Rejektion der Parteien gebildet ward. Aus der Volkswahl gingen nur die Zehnmaenner fuer den Freiheitsprozess hervor. Sullas Reformen waren hauptsaechlich dreifacher Art. Einmal vermehrte er die Zahl der Geschworenenhoefe sehr betraechtlich. Es gab spaeterhin besondere Geschworenenkommissionen fuer Erpressung; fuer Mord mit Einschluss von Brandstiftung und falschem Zeugnis; fuer Wahlbestechung; ferner fuer Hochverrat und jede Entehrung des roemischen Namens; fuer die schwersten Betrugsfaelle: Testamentsund Muenzfaelschung; fuer Ehebruch; fuer die schwersten Ehrverletzungen, namentlich Realinjurien und Stoerung des Hausfriedens; vielleicht auch fuer Unterschlagung oeffentlicher Gelder, fuer Zinswucher und andere Vergehen; und wenigstens die meisten dieser Hoefe sind von Sulla entweder vorgefunden oder ins Leben gerufen und von ihm mit einer besonderen Kriminalund Kriminalprozessordnung versehen worden. Uebrigens blieb es der Regierung unbenommen, vorkommendenfalls fuer einzelne Gruppen von Verbrechen Spezialhoefe zu bestellen. Folgeweise wurden hierdurch die Volksgerichte im wesentlichen abgeschafft, namentlich die Hochverratsprozesse an die neue Hochverratskommission gewiesen, der ordentliche Geschworenenprozess bedeutend beschraenkt, indem ihm die schwereren Faelschungen und Injurien entzogen wurden. Was zweitens die Oberleitung der Gerichte anlangt, so standen, wie schon erwaehnt ward, jetzt fuer die Leitung der verschiedenen Geschworenenhoefe sechs Praetoren zur Disposition, denen noch fuer die am meisten in Anspruch genommene Kommission fuer Mordtaten eine Anzahl anderer Dirigenten zugegeben wurden. In die Geschworenenstellen traten drittens statt der gracchischen Ritter wieder die Senatoren ein. Der politische Zweck dieser Verfuegungen, der bisherigen Mitregierung der Ritter ein Ende zu machen, liegt klar zu Tage; aber ebensowenig laesst es sich verkennen, dass dieselben nicht bloss politische Tendenzmassregeln waren, sondern hier der erste Versuch gemacht wurde, dem seit den staendischen Kaempfen immer mehr verwilderten roemischen Kriminalprozess und Kriminalrecht wiederaufzuhelfen. Von dieser Sullanischen Gesetzgebung datiert sich die dem aelteren Recht unbekannte Scheidung von Kriminalund Zivilsachen in dem Sinn, den wir noch heute damit verbinden: als Kriminalsache erscheint seitdem, was vor die von dem Praetor geleitete Geschworenenbank gehoert, als Zivilsache dasjenige Verfahren, wo der oder die Geschworenen nicht unter praetorischem Vorsitz funktionieren. Die Gesamtheit der Sullanischen Quaestionenordnungen laesst sich zugleich als das erste roemische Gesetzbuch nach den Zwoelf Tafeln und als das erste ueberhaupt je besonders erlassene Kriminalgesetzbuch bezeichnen. Aber auch im einzelnen zeigt sich ein loeblicher und liberaler Geist. So seltsam es von dem Urheber der Proskriptionen klingen mag, so bleibt es darum nichtsdestoweniger wahr, dass er die Todesstrafe fuer politische Vergehen abgeschafft hat; denn da nach roemischer, auch von Sulla unveraendert festgehaltener Sitte nur das Volk, nicht die Geschworenenkommission auf Verlust des Lebens oder auf gefaengliche Haft erkennen konnte, so kam die Uebertragung der Hochverratsprozesse von der Buergerschaft auf eine stehende Kommission hinaus auf die Abschaffung der Todesstrafe fuer solche Vergehen, waehrend andererseits in der Beschraenkung der verderblichen Spezialkommissionen fuer einzelne Hochverratsfaelle, wie deren eine die Varische im Bundesgenossenkrieg gewesen war; gleichfalls ein Fortschritt zum Besseren lag. Die gesamte Reform ist von ungemeinem und dauerndem Nutzen gewesen und ein bleibendes Denkmal des praktischen, gemaessigten, staatsmaennischen Geistes, der ihren Urheber wohl wuerdig machte, gleich den alten Dezemvirn als souveraener Vermittler mit der Rolle des Gesetzes zwischen die Parteien zu treten. Als einen Anhang zu diesen Kriminalgesetzen mag man die polizeilichen Ordnungen betrachten, durch welche Sulla, das Gesetz an die Stelle des Zensors setzend, gute Zucht und strenge Sitte wieder einschaerfte und durch Feststellung neuer Maximalsaetze anstatt der alten laengst verschollenen den Luxus bei Mahlzeiten, Begraebnissen und sonst zu beschraenken versuchte. Endlich ist wenn nicht Sullas, doch das Werk der sullanischen Epoche die Entwicklung eines selbstaendigen roemischen Munizipalwesens. Dem Altertum ist der Gedanke, die Gemeinde als ein untergeordnetes politisches Ganze dem hoeheren Staatsganzen organisch einzufuegen, urspruenglich fremd; die Despotie des Ostens kennt staedtische Gemeinwesen im strengen Sinne des Worts nicht und in der ganzen hellenisch-italischen Welt faellt Stadt und Staat notwendig zusammen. Insofern gibt es in Griechenland wie in Italien von Haus aus ein eigenes Munizipalwesen nicht. Vor allem die roemische Politik hielt mit der ihr eigenen zaehen Konsequenz hieran fest; noch im sechsten Jahrhundert wurden die abhaengigen Gemeinden Italiens entweder, um ihnen ihre munizipale Verfassung zu bewahren, als formell souveraene Nichtbuergerstaaten konstituiert oder, wenn sie roemisches Buergerrecht erhielten, zwar nicht gehindert, sich als Gesamtheit zu organisieren, aber doch der eigentlich munizipalen Rechte beraubt, so dass in allen Buergerkolonien und Buergermunizipien selbst die Rechtspflege und das Bauwesen von den roemischen Praetoren und Zensoren verwaltet ward. Das Hoechste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernannten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen. Nicht anders verfuhr man in den Provinzen, ausser dass hier an die Stelle der hauptstaedtischen Behoerden der Statthalter trat. In den freien, das heisst formell souveraenen Staedten ward die Ziviloder Kriminaljurisdiktion von den Munizipalbeamten nach den Lokalstatuten verwaltet; nur dass freilich, wo nicht ganz besondere Privilegien entgegenstanden, jeder Roemer sowohl als Beklagter wie als Klaeger verlangen konnte, seine Sache vor italischen Richtern nach italischem Recht entschieden zu sehen. Fuer die gewoehnlichen Provinzialgemeinden war der roemische Statthalter die einzige regelmaessige Gerichtsbehoerde, der die Instruierung aller Prozesse oblag. Es war schon viel, wenn, wie in Sizilien, in dem Fall, dass der Beklagte ein Siculer war, der Statthalter durch das Provinzialstatut gehalten war, einen einheimischen Geschworenen zu geben und nach Ortsgebrauch entscheiden zu lassen; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des instruierenden Beamten abgehangen zu haben. Im siebenten Jahrhundert ward diese unbedingte Zentralisation des oeffentlichen Lebens der roemischen Gemeinde in dem einen Mittelpunkt Rom wenigstens fuer Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige staedtische Gemeinde war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sizilischen Meerenge reichte, musste man wohl sich entschliessen, innerhalb dieser grossen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach Vollbuergergemeinden organisiert, bei welcher Gelegenheit man zugleich die durch ihren Umfang gefaehrlichen groesseren Gaue, soweit dies nicht schon frueher geschehen war, in mehrere kleinere Stadtbezirke aufgeloest haben mag. Die Stellung dieser neuen Vollbuergergemeinden war ein Kompromiss zwischen derjenigen, die ihnen bis dahin als Bundesstaaten zugekommen war, und derjenigen, die ihnen als integrierenden Teilen der roemischen Gemeinde nach aelterem Recht zugekommen sein wuerde. Zugrunde lag im ganzen die Verfassung der bisherigen formell souveraenen latinischen oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzuegen der roemischen gleich ist, di e der roemischen altpatrizisch-konsularischen Gemeinde; nur dass darauf gehalten ward, fuer dieselben Institutionen in dem Munizipium andere und geringere Namen zu verwenden als in der Hauptstadt, das heisst im Staat. Eine Buergerversammlung tritt an die Spitze mit der Befugnis, Gemeindestatute zu erlassen und die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderat von hundert Mitgliedern uebernimmt die Rolle des roemischen Senats. Das Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei ordentlichen Richtern, die den beiden Konsuln, zwei Marktrichtern, die den kurulischen Aedilen entsprechen. Die Zensurgeschaefte, die wie in Rom von fuenf zu fuenf Jahr sich erneuerten und allem Anschein nach vorwiegend in der Leitung der Gemeindebauten bestanden, wurden von den hoechsten Gemeindebeamten, also den beiden ordentlichen Gerichtsherren, mit uebernommen, welche in diesem Fall den auszeichnenden Titel der "Gerichtsherren mit zensorischer oder Fuenfjahrgewalt" annahmen. Die Gemeindekasse verwalteten zwei Quaestoren. Fuer das Sakralwesen sorgten zunaechst die beiden der aeltesten latinischen Verfassung allein bekannten Kollegien priesterlicher Sachverstaendigen, die munizipalen Pontifices und Augurn. Was das Verhaeltnis dieses sekundaeren politischen Organismus zu dem primaeren des Staates anlangt, so standen im allgemeinen jenem wie diesem die politischen Befugnisse vollstaendig zu und band also der Gemeindebeschluss und das Imperium der Gemeindebeamten den Gemeindebuerger ebenso wie der Volksbeschluss und das konsularische Imperium den Roemer. Dies fuehrte im ganzen zu einer konkurrierenden Taetigkeit der Staatsund der Stadtbehoerden: Es hatten beispielsweise beide das Recht der Schatzung und Besteuerung, ohne dass bei den etwaigen staedtischen Schatzungen und Steuern die von Rom ausgeschriebenen oder bei diesen jene beruecksichtigt worden waeren; es durften oeffentliche Bauten sowohl von den roemischen Beamten in ganz Italien als auch von den staedtischen in ihrem Sprengel angeordnet werden, und was dessen mehr ist. Im Kollisionsfall wich natuerlich die Gemeinde dem Staat und brach der Volksschluss den Stadtschluss. Eine foermliche Kompetenzteilung fand wohl nur in der Rechtspflege statt, wo das reine Konkurrenzsystem zu der groessten Verwirrung gefuehrt haben wuerde; hier wurden im Kriminalprozess vermutlich alle Kapitalsachen, im Zivilverfahren die schwereren, und ein selbstaendiges Auftreten der dirigierenden Beamten voraussetzenden Prozesse den hauptstaedtischen Behoerden und Geschworenen vorbehalten und die italischen Stadtgerichte auf die geringeren und minder verwickelten oder auch sehr dringenden Rechtshaendel beschraenkt. Die Entstehung dieses italischen Gemeindewesens ist nicht ueberliefert. Es ist wahrscheinlich, dass sie in ihren Anfaengen zurueckgeht auf Ausnahmebestimmungen fuer die grossen Buergerkolonien, die am Ende des sechsten Jahrhunderts gegruendet wurden; wenigstens deuten einzelne, an sich gleichgueltige formelle Differenzen zwischen Buergerkolonien und Buergermunizipien darauf hin, dass die neue, damals praktisch an die Stelle der latinischen tretende Buergerkolonie urspruenglich eine bessere staatsrechtliche Stellung gehabt hat als das weit aeltere Buergermunizipium, und diese Bevorzugung kann wohl nur bestanden haben in einer der latinischen sich annaehernden Gemeindeverfassung, wie sie spaeterhin saemtlichen Buergerkolonien wie Buergermunizipien zukam. Bestimmt nachweisen laesst sich die neue Ordnung zuerst fuer die revolutionaere Kolonie Capua, und keinem Zweifel unterliegt es, dass sie ihre volle Anwendung erst fand, als die saemtlichen bisher souveraenen Staedte Italiens infolge des Bundesgenossenkriegs als Buergergemeinden organisiert werden mussten. Ob schon das Julische Gesetz, ob die Zensoren von 668 (86), ob erst Sulla das einzelne geordnet hat, laesst sich nicht entscheiden; die Uebertragung der zensorischen Geschaefte auf die Gerichtsherren scheint zwar nach Analogie der Sullanischen, die Zensur beseitigenden Ordnung eingefuehrt zu sein, kann aber auch ebensogut auf die aelteste latinische Verfassung zurueckgehen, die ja auch die Zensur nicht kannte. Auf alle Faelle ist diese dem eigentlichen Staat sich einund unterordnende Stadtverfassung eines der merkwuerdigsten und folgenreichsten Erzeugnisse der sullanischen Zeit und des roemischen Staatslebens ueberhaupt. Staat und Stadt ineinanderzufuegen hat allerdings das Altertum ebensowenig vermocht, als es vermocht hat, das repraesentative Regiment und andere grosse Grundgedanken unseres heutigen Staatslebens aus sich zu entwickeln; aber es hat seine politische Entwicklung bis an diejenigen Grenzen gefuehrt, wo diese die gegebenen Masse ueberwaechst und sprengt, und vor allem ist dies in Rom geschehen, das in jeder Beziehung an der Scheide und in der Verbindung der alten und der neuen geistigen Welt steht. In der Sullanischen Verfassung sind einerseits die Urversammlung und der staedtische Charakter des Gemeinwesens Rom fast zur bedeutungslosen Form zusammengeschwunden, andererseits die innerhalb des Staates stehende Gemeinde schon in der italischen vollstaendig entwickelt; bis auf den Namen, der freilich in solchen Dingen die Haelfte der Sache ist, hat diese letzte Verfassung der freien Republik das Repraesentativsystem und den auf den Gemeinden sich aufbauenden Staat durchgefuehrt. Das Gemeindewesen in den Provinzen ward hierdurch nicht geaendert; die Gemeindebehoerden der unfreien Staedte blieben vielmehr, von besonderen Ausnahmen abgesehen, beschraenkt auf Verwaltung und Polizei und auf diejenige Jurisdiktion, welche die roemischen Behoerden vorzogen, nicht selbst in die Hand zu nehmen. Dieses war die Verfassung, die Lucius Cornelius Sulla der Gemeinde Rom gab. Senat und Ritterstand, Buergerschaft und Proletariat, Italiker und Provinzialen nahmen sie hin, wie sie vom Regenten ihnen diktiert ward, wenn nicht ohne zu grollen, doch ohne sich aufzulehnen; nicht so die Sullanischen Offiziere. Das roemische Heer hatte seinen Charakter gaenzlich veraendert. Es war allerdings durch die Marianische Reform wieder schlagfertiger und militaerisch brauchbarer geworden, als da es vor den Mauern von Numantia nicht focht; aber es hatte zugleich sich aus einer Buergerwehr in eine Schar von Lanzknechten verwandelt, welche dem Staat gar keine und dem Offizier nur dann Treue bewiesen, wenn er verstand, sie persoenlich an sich zu fesseln. Diese voellige Umgestaltung des Armeegeistes hatte der Buergerkrieg in graesslicher Weise zur Evidenz gebracht: sechs kommandierende Generale, Albinus, Cato, Rufus, Flaccus, Cinna und Gaius Carbo, waren waehrend desselben gefallen von der Hand ihrer Soldaten; einzig Sulla hatte bisher es vermocht, der gefaehrlichen Meute Herr zu bleiben, freilich nur, indem er allen ihren wilden Begierden den Zuegel schiessen liess wie noch nie vor ihm ein roemischer Feldherr. Wenn deshalb ihm der Verderb der alten Kriegszucht schuld gegeben wird, so ist dies nicht gerade unrichtig, aber dennoch ungerecht; er war eben der erste roemische Beamte, der seiner militaerischen und politischen Aufgabe nur dadurch zu genuegen imstande war, dass er auftrat als Condottiere. Aber er hatte die Militaerdiktatur nicht uebernommen, um den Staat der Soldateska untertaenig zu machen, sondern vielmehr, um alles im Staat, vor allem aber das Heer und die Offiziere, unter die Gewalt der buergerlichen Ordnung zurueckzuzwingen. Wie dies offenbar ward, erhob sich gegen ihn eine Opposition mit seinem eigenen Stab. Mochte den uebrigen Buergern gegenueber die Oligarchie den Tyrannen spielen; aber dass auch die Generale, die mit ihrem guten Schwert die umgestuerzten Senatorensessel wieder aufgerichtet hatten, jetzt ebendiesem Senat unweigerlichen Gehorsam zu leisten aufgefordert wurden, schien unertraeglich. Eben die beiden Offiziere, denen Sulla das meiste Vertrauen geschenkt hatte, widersetzten sich der neuen Ordnung der Dinge. Als Gnaeus Pompeius, den Sulla mit der Eroberung von Sizilien und Afrika beauftragt und zu seinem Tochtermanne erkoren hatte, nach Vollzug seiner Aufgabe vom Senat den Befehl erhielt, sein Heer zu entlassen, unterliess er es zu gehorsamen und wenig fehlte an offenem Aufstand. Quintus Ofella, dessen festem Ausharren vor Praeneste wesentlich der Erfolg des letzten und schwersten Feldzuges verdankt ward, bewarb sich in ebenso offenem Widerspruch gegen die neu erlassenen Ordnungen um das Konsulat, ohne die niederen Aemter bekleidet zu haben. Mit Pompeius kam, wenn nicht eine herzliche Aussoehnung, doch ein Vergleich zustande. Sulla, der seinen Mann genug kannte, um ihn nicht zu fuerchten, nahm die Impertinenz hin, die Pompeius ihm ins Gesicht sagte, dass mehr Leute sich um die aufgehende Sonne kuemmerten als um die untergehende, und bewilligte dem eitlen Juengling die leeren Ehrenbezeigungen, an denen sein Herz hing. Wenn er hier sich laesslich zeigte, so bewies er dagegen Ofella gegenueber, dass er nicht der Mann war, sich von seinen Marschaellen imponieren zu lassen: So wie dieser verfassungswidrig als Bewerber vor das Volk trat, liess ihn Sulla auf oeffentlichem Marktplatz niederstossen und setzte sodann der versammelten Buergerschaft auseinander, dass die Tat auf seinen Befehl und warum sie vollzogen sei. So verstummte zwar fuer jetzt diese bezeichnende Opposition des Hauptquartiers gegen die neue Ordnung der Dinge; aber sie blieb bestehen und gab den praktischen Kommentar zu Sullas Worten, dass das, was er diesmal tue, nicht zum zweitenmal getan werden koenne. Eines blieb noch uebrig -vielleicht das schwerste von allem: die Zurueckfuehrung der Ausnahmezustaende in die neualten gesetzlichen Bahnen. Sie ward dadurch erleichtert, dass Sulla dieses letzte Ziel nie aus den Augen verloren hatte. Obwohl das Valerische Gesetz ihm absolute Gewalt und jeder seiner Verordnungen Gesetzeskraft gegeben, hatte er dennoch dieser exorbitanten Befugnis sich nur bei Massregeln bedient, die von voruebergehender Bedeutung waren und wo die Beteiligung Rat und Buergerschaft bloss nutzlos kompromittiert haben wuerde, namentlich bei den Aechtungen. Regelmaessig hatte er schon selbst diejenigen Bestimmungen beobachtet, die er fuer die Zukunft vorschrieb. Dass das Volk befragt ward, lesen wir in dem Quaestorengesetz, das zum Teil noch vorhanden ist, und von anderen Gesetzen, zum Beispiel dem Aufwandgesetz und denen ueber die Konfiskation der Feldmarken, ist es bezeugt. Ebenso ward bei wichtigeren Administrativakten, zum Beispiel bei der Entsendung und Zurueckberufung der afrikanischen Armee und bei Erteilung von staedtischen Freibriefen, der Senat vorangestellt. In demselben Sinn liess Sulla schon fuer 673 (81) Konsuln waehlen, wodurch wenigstens die gehaessige offizielle Datierung nach der Regentschaft vermieden ward; doch blieb die Macht noch ausschliesslich bei dem Regenten und ward die Wahl auf sekundaere Persoenlichkeiten geleitet. Aber im Jahre darauf (674 80) setzte Sulla die ordentliche Verfassung wieder vollstaendig in Wirksamkeit und verwaltete als Konsul in Gemeinschaft mit seinem Waffengenossen Quintus Metellus den Staat, waehrend er die Regentschaft zwar noch beibehielt, aber vorlaeufig ruhen liess. Er begriff es wohl, wie gefaehrlich es eben fuer seine eigenen Institutionen war, die Militaerdiktatur zu verewigen. Da die neuen Zustaende sich haltbar zu erweisen schienen, und von den neuen Einrichtungen zwar manches, namentlich in der Kolonisierung, noch zurueck, aber doch das meiste und wichtigste vollendet war, so liess er den Wahlen fuer 675 (79) freien Lauf, lehnte die Wiederwahl zum Konsulat als mit seinen eigenen Verordnungen unvereinbar ab und legte, bald nachdem die neuen Konsuln Publius Servilius und Appius Claudius ihr Amt angetreten hatten, im Anfang des Jahres 675 (79) die Regentschaft nieder. Es ergriff selbst starre Herzen, als der Mann, der bis dahin mit dem Leben und dem Eigentum von Millionen nach Willkuer geschaltet hatte, auf dessen Wink so viele Haeupter gefallen waren, dem in jeder Gasse Roms, in jeder Stadt Italiens Todfeinde wohnten und der ohne einen ebenbuertigen Verbuendeten, ja genau genommen ohne den Rueckhalt einer festen Partei sein tausend Interessen und Meinungen verletzendes Werk der Reorganisation des Staates zu Ende gefuehrt hatte, als dieser Mann auf den Marktplatz der Hauptstadt trat, sich seiner Machtfuelle freiwillig begab, seine bewaffneten Begleiter verabschiedete, seine Gerichtsdiener entliess und die dichtgedraengte Buergerschaft aufforderte zu reden, wenn einer von ihm Rechenschaft begehre. Alles schwieg; Sulla stieg herab von der Rednerbuehne und zu Fuss, nur von den Seinigen begleitet, ging er mitten durch ebenjenen Poebel, der ihm vor acht Jahren das Haus geschleift hatte, zurueck nach seiner Wohnung. Die Nachwelt hat weder Sulla selbst noch sein Reorganisationswerk richtig zu wuerdigen verstanden, wie sie denn unbillig zu sein pflegt gegen die Persoenlichkeiten, die dem Strom der Zeiten sich entgegenstemmen. In der Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen eine einzige Erscheinung in der Geschichte. Physisch und psychisch ein Sanguiniker, blauaeugig, blond, von auffallend weisser, aber bei jeder leidenschaftlichen Bewegung sich roetender Gesichtsfarbe, uebrigens ein schoener, feurig blickender Mann, schien er nicht eben bestimmt, dem Staat mehr zu sein als seine Ahnen, die seit seines Grossvaters Grossvater Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277), einem der angesehensten Feldherrn und zugleich dem prunkliebendsten Mann der pyrrhischen Zeit, in Stellungen zweiten Ranges verharrt hatten. Er begehrte vom Leben nichts als heiteren Genuss. Aufgewachsen in dem Raffinement des gebildeten Luxus, wie er in jener Zeit auch in den minder reichen senatorischen Familien Roms einheimisch war, bemaechtigte er rasch und bebend sich der ganzen Fuelle sinnlich geistiger Genuesse, welche die Verbindung hellenischer Feinheit und roemischen Reichtums zu gewaehren vermochten. Im adligen Salon und unter dem Lagerzelt war er gleich willkommen als angenehmer Gesellschafter und guter Kamerad; vornehme und geringe Bekannte fanden in ihm den teilnehmenden Freund und den bereitwilligen Helfer in der Not, der sein Geld weit lieber seinem bedraengten Genossen als seinem reichen Glaeubiger goennte. Leidenschaftlich huldigte er dem Becher, noch leidenschaftlicher den Frauen; selbst in seinen spaeteren Jahren war er nicht mehr Regent, wenn er nach vollbrachtem Tagesgeschaeft sich zur Tafel setzte. Ein Zug der Ironie, man koennte vielleicht sagen der Bouffonnerie, geht durch seine ganze Natur. Noch als Regent befahl er, waehrend er die Versteigerung der Gueter der Geaechteten leitete, fuer ein ihm ueberreichtes schlechtes Lobgedicht dem Verfasser eine Verehrung aus der Beute zu verabreichen unter der Bedingung, dass er gelobe, ihn niemals wieder zu besingen. Als er vor der Buergerschaft Ofenas Hinrichtung rechtfertigte, geschah es, indem er den Leuten die Fabel erzaehlte von dem Ackersmann und den Laeusen. Seine Gesellen waehlte er gern unter den Schauspielern und liebte es, nicht bloss mit Quintus Roscius, dem roemischen Talma, sondern auch mit viel geringeren Buehnenleuten beim Weine zu sitzen; wie er denn auch selbst nicht schlecht sang und sogar zur Auffuehrung in seinem Zirkel selber Possen schrieb. Doch ging in diesen lustigen Bacchanalien ihm weder die koerperliche noch die geistige Spannkraft verloren; noch in der laendlichen Musse seiner letzten Jahre lag er eifrig der Jagd ob, und dass er aus dem eroberten Athen die Aristotelischen Schriften nach Rom brachte, beweist doch wohl fuer sein Interesse auch an ernsterer Lektuere. Das spezifische Roemertum stiess ihn eher ab. Von der plumpen Morgue, die die roemischen Grossen gegenueber den Griechen zu entwickeln liebten, und von der Feierlichkeit beschraenkter grosser Maenner hatte Sulla nichts, vielmehr liess er gern sich gehen, erschien wohl zum Skandal mancher seiner Landsleute in griechischen Staedten in griechischer Tracht oder veranlasste seine adligen Gesellen, bei den Spielen selber die Rennwagen zu lenken. Noch weniger war ihm von den halb patriotischen, halb egoistischen Hoffnungen geblieben, die in Laendern freier Verfassung jede jugendliche Kapazitaet auf den politischen Tummelplatz locken und die auch er wie jeder andere einmal empfunden haben mag; in einem Leben, wie das seine war, schwankend zwischen leidenschaftlichem Taumel und mehr als nuechternem Erwachen, verzetteln sich rasch die Illusionen. Wuenschen und Streben mochte ihm eine Torheit erscheinen in einer Welt, die doch unbedingt vom Zufall regiert ward und wo, wenn ueberhaupt auf etwas, man ja doch auf nichts spannen konnte als auf diesen Zufall. Dem allgemeinen Zug der Zeit, zugleich dem Unglauben und dem Aberglauben, sich zu ergeben folgte auch er. Seine wunderliche Glaeubigkeit ist nicht der plebejische Koehlerglaube des Marius, der von dem Pfaffen fuer Geld sich wahrsagen und seine Handlungen durch ihn bestimmen laesst; noch weniger der finstere Verhaengnisglaube des Fanatikers, sondern jener Glaube an das Absurde, wie er bei jedem von dem Vertrauen auf eine zusammenhaengende Ordnung der Dinge durch und durch zurueckgekommenen Menschen notwendig sich einstellt, der Aberglaube des gluecklichen Spielers, der sich vom Schicksal privilegiert erachtet, jedesmal und ueberall die rechte Nummer zu werfen. In praktischen Fragen verstand Sulla sehr wohl, mit den Anforderungen der Religion ironisch sich abzufinden. Als er die Schatzkammern der griechischen Tempel leerte, aeusserte er, dass es demjenigen nimmermehr fehlen koenne, dem die Goetter selbst die Kasse fuellten. Als die delphischen Priester ihm berichteten, dass sie sich scheuten, die verlangten Schaetze zu senden, da die Zither des Gottes hell geklungen, als man sie beruehrt, liess er ihnen zuruecksagen, dass man sie nun um so mehr schicken moege, denn offenbar stimme der Gott seinem Vorhaben zu. Aber darum wiegte er nicht weniger gern sich in dem Gedanken, der auserwaehlte Liebling der Goetter zu sein, ganz besonders jener, der er bis in seine spaeten Jahre vor allen den Preis gab, der Aphrodite. In seinen Unterhaltungen wie in seiner Selbstbiographie ruehmte er sich vielfach des Verkehrs, den in Traeumen und Anzeichen die Unsterblichen mit ihm gepflogen. Er hatte wie wenig andere ein Recht, auf seine Taten stolz zu sein; er war es nicht, wohl aber stolz auf sein einzig treues Glueck. Er pflegte wohl zu sagen, dass jedes improvisierte Beginnen ihm besser ausgeschlagen sei als das planmaessig angelegte, und eine seiner wunderlichsten Marotten, die Zahl der in den Schlachten auf seiner Seite gefallenen Leute regelmaessig als null anzugeben, ist doch auch nichts als die Kinderei eines Glueckskindes. Es war nur der Ausdruck der ihm natuerlichen Stimmung, als er, auf dem Gipfel seiner Laufbahn angelangt und alle seine Zeitgenossen in schwindelnder Tiefe unter sich sehend, die Bezeichnung des Gluecklichen, Sulla Felix, als foermlichen Beinamen annahm und auch seinen Kindern entsprechende Benennungen beilegte. Nichts lag Sulla ferner als der planmaessige Ehrgeiz. Er war zu gescheit, um gleich den Dutzendaristokraten seiner Zeit die Verzeichnung seines Namens in die konsularischen Register als das Ziel seines Lebens zu betrachten; zu gleichgueltig und zu wenig Ideolog, um sich mit der Reform des morschen Staatsgebaeudes freiwillig befassen zu moegen. Er blieb, wo Geburt und Bildung ihn hinwiesen, in dem Kreis der vornehmen Gesellschaft und machte wie ueblich die Aemterlaufbahn durch; Ursache sich anzustrengen hatte er nicht und ueberliess dies den politischen Arbeitsbienen, an denen es ja nicht fehlte. So fuehrte ihn im Jahre 647 (107) bei der Verlosung der Quaestorenstellen der Zufall nach Afrika in das Hauptquartier des Gaius Marius. Der unversuchte hauptstaedtische Elegant ward von dem rauben baeurischen Feldherrn und seinem erprobten Stab nicht zum besten empfangen. Durch diese Aufnahme gereizt, machte Sulla, furchtlos und anstellig wie er war, im Fluge das Waffenhandwerk sich zu eigen und entwickelte auf dem verwegenen Zug nach Mauretanien zuerst jene eigentuemliche Verbindung von Keckheit und Verschmitztheit, wegen deren seine Zeitgenossen von ihm sagten, dass er halb Loewe, halb Fuchs und der Fuchs in ihm gefaehrlicher sei als der Loewe. Dem jungen, hochgeborenen, brillanten Offizier, der anerkanntermassen der eigentliche Beendiger des laestigen Numidischen Krieges war, oeffnete jetzt sich die glaenzendste Laufbahn; er nahm auch teil am Kimbrischen Krieg und offenbarte in der Leitung des schwierigen Verpflegungsgeschaeftes sein ungemeines Organisationstalent; nichtsdestoweniger zogen ihn auch jetzt die Freuden des hauptstaedtischen Lebens weit mehr an als Krieg oder gar Politik. In der Praetur, welches Amt er, nachdem er sich einmal vergeblich beworben hatte, im Jahre 661 (93) uebernahm, fuegte es sich abermals, dass ihm in seiner Provinz, der unbedeutendsten von allen, der erste Sieg ueber Koenig Mithradates und der erste Vertrag mit den maechtigen Arsakiden sowie deren erste Demuetigung gelang. Der Buergerkrieg folgte. Sulla war es wesentlich, der den ersten Akt desselben, die italische Insurrektion zu Roms Gunsten entschied und dabei mit dem Degen das Konsulat sich gewann; er war es ferner, der als Konsul den Sulpicischen Aufstand mit energischer Raschheit zu Boden schlug. Das Glueck schien sich ein Geschaeft daraus zu machen, den alten Helden Marius durch diesen juengeren Offizier zu verdunkeln. Die Gefangennehmung Jugurthas, die Besiegung Mithradats, die beide Marius vergeblich erstrebt hatte, wurden in untergeordneten Stellungen von Sulla vollfuehrt; im Bundesgenossenkrieg, in dem Marius seinen Feldherrnruhm einbuesste und abgesetzt ward, gruendete Sulla seinen militaerischen Ruf und stieg empor zum Konsulat; die Revolution von 666 (88), die zugleich und vor allem ein persoenlicher Konflikt zwischen den beiden Generalen war, endigte mit Marius’ Aechtung und Flucht. Fast ohne es zu wollen war Sulla der beruehmteste Feldherr seiner Zeit, der Hort der Oligarchie geworden. Es folgten neue und furchtbarere Krisen, der Mithradatische Krieg, die Cinnanische Revolution: Sullas Stern blieb immer im Steigen. Wie der Kapitaen, der das brennende Schiff nicht loescht, sondern fortfaehrt, auf den Feind zu feuern, harrte Sulla, waehrend die Revolution in Italien tobte, in Asien unerschuettert aus, bis der Landesfeind gezwungen war. Mit diesem fertig, zerschmetterte er die Anarchie und rettete die Hauptstadt vor der Brandfackel der verzweifelnden Samniten und Revolutionaere. Der Moment der Heimkehr war fuer Sulla ein ueberwaeltigender in Freude und in Schmerz; er selbst erzaehlt in seinen Memoiren, dass er die erste Nacht in Rom kein Auge habe zutun koennen, und wohl mag man es glauben. Aber immer noch war seine Aufgabe nicht zu Ende, sein Stern in weiterem Steigen. Absoluter Selbstherrscher wie nur je ein Koenig und doch durchaus verharrend auf dem Boden des formellen Rechts, zuegelte er die ultrareaktionaere Partei, vernichtete die seit vierzig Jahren die Oligarchie einengende Gracchische Verfassung und zwang zuerst die der Oligarchie Konkurrenz machenden Maechte der Kapitalisten und des hauptstaedtischen Proletariats, endlich den im Schosse seines eigenen Stabes erwachsenen Uebermut des Saebels wieder unter das neu befestigte Gesetz. Selbstaendiger als je stellte er die Oligarchie hin, legte die Beamtenmacht als dienendes Werkzeug in ihre Haende, verlieh ihr die Gesetzgebung, die Gerichte, die militaerische und finanzielle Obergewalt und gab ihr eine Art Leibwache in den befreiten Sklaven, eine Art Heer in den angesiedelten Militaerkolonisten. Endlich, als das Werk vollendet war, trat der Schoepfer zurueck von seiner Schoepfung; freiwillig ward der absolute Selbstherrscher wieder einfacher Senator. In dieser ganzen langen militaerischen und politischen Bahn hat Sulla nie eine Schlacht verloren, nie einen Schritt zuruecktun muessen und ungeirrt von Feinden und Freunden sein Werk gefuehrt bis an das selbstgesteckte Ziel. Wohl hatte er Ursache, seinen Stern zu preisen. Die launenhafte Goettin des Gluecks schien hier einmal die Laune der Bestaendigkeit angewandelt und sie darin sich gefallen zu haben, auf ihren Liebling an Erfolgen und Ehren zu haeufen, was er begehrte und nicht begehrte. Aber die Geschichte wird gerechter gegen ihn sein muessen, als er es gegen sich selber war, und ihn in eine hoehere Reihe stellen als in die der blossen Favoriten der Fortuna. Nicht als waere die Sullanische Verfassung ein Werk politischer Genialitaet, wie zum Beispiel die Gracchische und die Caesarische. Es begegnet in ihr, wie dies ja schon das Wesen der Restauration mit sich bringt, auch nicht ein staatsmaennisch neuer Gedanke; alle ihre wesentlichsten Momente: der Eintritt in den Senat durch Bekleidung der Quaestur, die Aufhebung des zensorischen Rechts, den Senator aus dem Senate zu stossen, die legislatorische Initiative des Senats, die Verwandlung des tribunizischen Amtes in ein Werkzeug des Senats zur Fesselung des Imperiums, die Erstreckung der Dauer des Oberamts auf zwei Jahre, der Uebergang des Kommandos von dem Volksmagistrat auf den senatorischen Prokonsul oder Propraetor, selbst die neue Kriminalund Munizipalordnung sind nicht von Sulla geschaffene, sondern frueher schon aus dem oligarchischen Regiment entwickelte und durch ihn nur regulierte und fixierte Institutionen. Ja selbst die seiner Restauration anhaftenden Greuel, die Aechtungen und Konfiskationen, sind sie, verglichen mit den Taten der Nasica, Popillius, Opimius, Caepio und so weiter, etwas anderes als die rechtliche Formulierung der hergebrachten oligarchischen Weise, sich der Gegner zu entledigen? Ueber die roemische Oligarchie dieser Zeit nun gibt es kein Urteil als unerbittliche und ruecksichtslose Verdammung; und wie alles andere, was ihr anhaengt, ist davon auch die Sullanische Verfassung vollstaendig mitbetroffen. Das von der Genialitaet des Boesen bestochene Lob versuendigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte; aber daran wird man doch erinnern duerfen, dass weit weniger Sulla die Sullanische Restauration zu verantworten hat als die seit Jahrhunderten als Clique regierende und mit jedem Jahr mehr der greisenhaften Entnervung und Verbissenheit verfallende roemische Aristokratie insgesamt, und dass alles, was darin schal, und alles, was darin verrucht ist, am letzten Ende auf diese zurueckfaellt. Sulla hat den Staat reorganisiert, aber nicht wie der Hausherr, der sein zerruettetes Gewese und Gesinde nach eigener Einsicht in Ordnung bringt, sondern wie der zeitweilige Geschaeftsfuehrer, der seiner Anweisung getreu nachkommt; es ist flach und falsch, in diesem Falle die schliessliche und wesentliche Verantwortung von dem Geschaeftsherrn ab auf den Verwalter zu waelzen. Man schlaegt Sullas Bedeutung viel zu hoch an oder findet vielmehr mit jenen schauderhaften, nie wiedergutzumachenden und nie wiedergutgemachten Proskriptionen, Expropriationen und Restaurationen viel zu leicht sich ab, wenn man sie als das Werk eines zufaellig an die Spitze des Staats geratenen Wueterichs ansieht. Adelstaten waren dies und Restaurationsterrorismus, Sulla aber nicht mehr dabei als, mit dem Dichter zu reden, das hinter dem bewussten Gedanken unbewusst herwandelnde Richtbeil. Diese Rolle hat Sulla mit wunderbarer, ja daemonischer Vollkommenheit durchgefuehrt; innerhalb der Grenzen aber, die sie ihm gezogen, hat er nicht bloss grossartig, sondern selbst nuetzlich gewirkt. Nie wieder hat eine tief gesunkene und stetig tiefer sinkende Aristokratie, wie die roemische damals war, einen Vormund gefunden, der so wie Sulla willig und faehig war, ohne jede Ruecksicht auf eigenen Machtgewinn fuer sie den Degen des Feldherrn und den Griffel des Gesetzgebers zu fuehren. Es ist freilich ein Unterschied, ob ein Offizier aus Buergersinn das Szepter verschmaeht oder aus Blasiertheit es wegwirft; aber in der voelligen Abwesenheit des politischen Egoismus - freilich auch nur in diesem einen - verdient Sulla neben Washington genannt zu werden. Aber nicht bloss die Aristokratie, das gesamte Land ward ihm mehr schuldig, als die Nachwelt gern sich eingestand. Sulla hat die italische Revolution, insoweit sie beruhte auf der Zuruecksetzung einzelner minder berechtigter gegen andere besser berechtigte Distrikte, endgueltig geschlossen und ist, indem er sich und seine Partei zwang, die Gleichberechtigung aller Italiker vor dem Gesetz anzuerkennen, der wahre und letzte Urheber der vollen staatlichen Einheit Italiens geworden - ein Gewinn, der mit endloser Not und Stroemen von Blut dennoch nicht zu teuer erkauft war. Aber Sulla hat noch mehr getan. Seit laenger als einem halben Jahrhundert war Roms Macht im Sinken und die Anarchie daselbst in Permanenz; denn das Regiment des Senats mit der Gracchischen Verfassung war Anarchie und gar das Regiment Cinnas und Carbos noch weit aergere Meisterlosigkeit, deren grauenvolles Bild sich am deutlichsten in jenem ebenso verwirrten wie naturwidrigen Buendnis mit den Samniten widerspiegelt, der unklarste, unertraeglichste, heilloseste aller denkbaren politischen Zustaende, in der Tat der Anfang des Endes. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass das lange unterhoehlte roemische Gemeinwesen notwendig haette zusammenstuerzen muessen, wenn nicht durch die Intervention in Asien und in Italien Sulla die Existenz desselben gerettet haette. Freilich hat Sullas Verfassung so wenig Bestand gehabt wie die Cromwells, und es war nicht schwer zu sehen, dass sein Bau kein solider war; aber es ist eine arge Gedankenlosigkeit, darueber zu uebersehen, dass ohne Sulla hoechstwahrscheinlich der Bauplatz selbst von den Fluten waere fortgerissen worden; und auch jener Tadel trifft zunaechst nicht Sulla. Der Staatsmann baut nur, was er in dem ihm angewiesenen Kreise bauen kann. Was ein konservativ Gesinnter tun konnte, um die alte Verfassung zu retten, das hat Sulla getan; und geahnt hat er es selbst, dass er wohl eine Festung, aber keine Besatzung zu schaffen vermoege und die grenzenlose Nichtigkeit der Oligarchen jeden Versuch, die Oligarchie zu retten, vergeblich machen werde. Seine Verfassung glich einem in das brandende Meer hineingeworfenen Notdamm; es ist kein Vorwurf fuer den Baumeister, wenn ein Jahrzehnt spaeter die Wellen den naturwidrigen und von den Geschuetzten selbst nicht verteidigten Bau verschlangen. Der Staatsmann wird nicht der Hinweisung auf hoechst loebliche Einzelformen, zum Beispiel des asiatischen Steuerwesens und der Kriminaljustiz, beduerfen, um Sullas ephemere Restauration nicht geringschaetzig abzufertigen, sondern wird darin eine richtig entworfene und unter unsaeglichen Schwierigkeiten im grossen und ganzen konsequent durchgefuehrte Reorganisation des roemischen Gemeinwesens bewundern und den Retter Roms, den Vollender der italischen Einheit unter, aber doch auch neben Cromwell stellen. Freilich ist es nicht bloss der Staatsmann, der im Totengericht Stimme hat, und das empoerte menschliche Gefuehl wird mit Recht sich nie mit dem versoehnen, was Sulla getan oder das andere taten, gelitten hat. Sulla hat seine Gewaltherrschaft nicht bloss mit ruecksichtsloser Gewaltsamkeit begruendet, sondern dabei auch die Dinge mit einer gewissen zynischen Offenheit beim rechten Namen genannt, durch die er es unwiederbringlich verdorben hat mit der grossen Masse der Schwachherzigen, die mehr vor dem Namen als vor der Sache sich entsetzen, durch die er aber allerdings auch dem sittlichen Urteil wegen der Kuehle und Klarheit seines Frevels noch empoerender erscheint als der leidenschaftliche Verbrecher. Aechtungen, Belohnungen der Henker, Gueterkonfiskationen, kurzer Prozess gegen unbotmaessige Offiziere waren hundertmal vorgekommen, und die stumpfe politische Sittlichkeit der antiken Zivilisation hatte fuer diese Dinge nur lauen Tadel; aber das freilich war unerhoert, dass die Namen der vogelfreien Maenner oeffentlich angeschlagen und die Koepfe oeffentlich ausgestellt wurden, dass den Banditen eine feste Summe ausgesetzt und dieselbe in die oeffentlichen Kassenbuecher ordnungsmaessig eingetragen ward, dass das eingezogene Gut gleich der feindlichen Beute auf offenem Markt unter den Hammer kam, dass der Feldherr den widerspenstigen Offizier geradezu niederhauen liess und vor allem Volk sich zu der Tat bekannte. Diese oeffentliche Verhoehnung der Humanitaet ist auch ein politischer Fehler; er hat nicht wenig dazu beigetragen, spaetere revolutionaere Krisen im voraus zu vergiften, und noch jetzt ruht deswegen verdientermassen ein finsterer Schatten auf dem Andenken des Urhebers der Proskriptionen. Mit Recht darf man ferner tadeln, dass Sulla, waehrend er in allen wichtigen Dingen ruecksichtslos durchgriff, doch in untergeordneten, namentlich in Personenfragen sehr haeufig seinem sanguinischen Temperament nachgab und nach Neigung oder Abneigung verfuhr. Er hat, wo er wirklich einmal Hass empfand, wie gegen die Marier, ihm zuegellos auch gegen Unschuldige den Lauf gelassen und von sich selbst geruehmt, dass niemand besser als er Freunden und Feinden vergolten habe ^13. Er verschmaehte es nicht, bei Gelegenheit seiner Machtstellung, ein kolossales Vermoegen zu sammeln. Der erste absolute Monarch des roemischen Staats, bewaehrte er den Kernspruch des Absolutismus, dass den Fuersten die Gesetze nicht binden, sogleich an den von ihm selbst erlassenen Ehebruchsund Verschwendungsgesetzen. Verderblicher aber als diese Nachsicht gegen sich selbst ward dem Staat sein laessliches Verfahren gegen seine Partei und seinen Kreis. Schon seine schlaffe Soldatenzucht, obwohl sie zum Teil durch politische Notwendigkeit geboten war, laesst sich hierher rechnen; viel schaedlicher aber noch war die Nachsicht gegen seinen politischen Anhang. Es ist kaum glaublich, was er gelegentlich hinnahm; so zum Beispiel ward dem Lucius Murena fuer die durch die schlimmste Verkehrtheit und Unbotmaessigkeit erlittenen Niederlagen nicht bloss die Strafe erlassen, sondern auch der Triumph zugestanden; so wurde Gnaeus Pompeius, der sich noch schwerer vergangen hatte, von Sulla noch verschwenderischer geehrt. Die Ausdehnung und die aergsten Frevel der Aechtungen und Konfiskationen sind wahrscheinlich weniger aus Sullas eigenem Wollen, als aus diesem freilich in seiner Stellung kaum verzeihlicheren Indifferentismus hervorgegangen. Dass Sulla bei seinem innerlich energischen und doch dabei gleichgueltigen Wesen sehr verschieden, bald unglaublich nachsichtig, bald unerbittlich streng auftrat, ist begreiflich. Die tausendmal wiederholte Rede, dass er vor seiner Regentschaft ein guter milder Mann, als Regent ein blutduerstiger Wueterich gewesen sei, richtet sich selbst; wenn er als Regent das Gegenteil der frueheren Gelindigkeit zeigte, so wird man vielmehr sagen muessen, dass er mit demselben nachlaessigen Gleichmut strafte, mit dem er verzieh. Diese halb ironische Leichtfertigkeit geht ueberhaupt durch sein ganzes politisches Tun. Es ist immer, als sei dem Sieger, eben wie es ihm gefiel, sein Verdienst um den Sieg Glueck zu schelten, auch der Sieg selber nichts wert; als habe er eine halbe Empfindung von der Nichtigkeit und Vergaenglichkeit des eigenen Werkes; als ziehe er nach Verwalterart das Ausbessern dem Einreissen und Umbauen vor und lasse sich am Ende auch mit einer leidlichen Uebertuenchung der Schaeden genuegen. ----------------------------------------------------- ^13 Euripides, Medeia, 807: Es soll mich keiner achten schwaechlich und gering, Gutmuetig nicht; ich bin gemacht aus anderm Stoff, Den Feinden schrecklich und den Freunden liebevoll. ----------------------------------------------------- Wie er nun aber war, dieser Don Juan der Politik war ein Mann aus einem Gusse. Sein ganzes Leben zeugt von dem innerlichen Gleichgewicht seines Wesens; in den verschiedensten Lagen blieb Sulla unveraendert derselbe. Es war derselbe Sinn, der nach den glaenzenden Erfolgen in Afrika ihn wieder den hauptstaedtischen Muessiggang suchen und der nach dem Vollbesitz der absoluten Macht ihn Ruhe und Erholung finden liess in seiner cumanischen Villa. In seinem Munde war es keine Phrase, dass ihm die oeffentlichen Geschaefte eine Last seien, die er abwarf, so wie er durfte und konnte. Auch nach der Resignation blieb er voellig sich gleich, ohne Unmut und ohne Affektation, froh, der oeffentlichen Geschaefte entledigt zu sein und dennoch hie und da eingreifend, wo die Gelegenheit sich bot. Jagd und Fischfang und die Abfassung seiner Memoiren fuellten seine muessigen Stunden; dazwischen ordnete er auf Bitten der unter sich uneinigen Buerger die inneren Verhaeltnisse der benachbarten Kolonie Puteoli ebenso sicher und rasch wie frueher die Verhaeltnisse der Hauptstadt. Seine letzte Taetigkeit auf dem Krankenlager bezog sich auf die Beitreibung eines Zuschusses zu dem Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels, den vollendet zu sehen ihm nicht mehr vergoennt war. Wenig ueber ein Jahr nach seinem Ruecktritt, im sechzigsten Lebensjahr, frisch an Koerper und Geist, ward er vom Tode ereilt; nach kurzem Krankenlager - noch zwei Tage vor seinem Tode schrieb er an seiner Selbstbiographie - raffte ein Blutsturz ^14 ihn hinweg (676 78). Sein getreues Glueck verliess ihn auch im Tode nicht. Er konnte nicht wuenschen, noch einmal in den widerwaertigen Strudel der Parteikaempfe hineingezogen zu werden und seine alten Krieger noch einmal gegen eine neue Revolution fuehren zu muessen; und nach dem Stande der Dinge bei seinem Tode in Spanien und in Italien haette bei laengerem Leben ihm dies kaum erspart bleiben koennen. Schon jetzt, da von seiner feierlichen Bestattung in der Hauptstadt die Rede war, wurden zahlreiche Stimmen, die bei seinen Lebzeiten geschwiegen hatten, dort gegen die letzte Ehre laut, die man dem Tyrannen zu erweisen gedachte. Aber noch war die Erinnerung zu frisch und die Furcht vor seinen alten Soldaten zu lebendig; es wurde beschlossen, die Leiche nach der Hauptstadt bringen zu lassen und dort die Exequien zu begehen. Nie hat Italien eine grossartigere Trauerfeier gesehen. Ueberall wo der koeniglich geschmueckte Tote hindurchgetragen ward, ihm vorauf seine wohlbekannten Feldzeichen und Rutenbuendel, da schlossen die Einwohner und vor allem seine alten Lanzknechte an das Trauergefolge sich an; es schien, als wollte die gesamte Truppe um den Mann, der sie im Leben so oft und nie anders als zum Siege gefuehrt hatte, noch einmal im Tode sich vereinigen. So gelangte der endlose Leichenzug in die Hauptstadt, wo die Gerichte feierten und alle Geschaefte ruhten und zweitausend goldene Kraenze, als letzte Ehrengabe der treuen Legionen, der Staedte und der naeheren Freunde, des Toten harrten. Sulla hatte, dem Geschlechtsgebrauch der Cornelier gemaess, seinen Koerper unverbrannt beizusetzen verordnet; aber andere waren besser als er dessen eingedenkt, was vergangene Tage gebracht hatten und kuenftige Tage bringen mochten - auf Befehl des Senats ward die Leiche des Mannes, der die Gebeine des Marius aus ihrer Ruhe im Grabe aufgestoert hatte, den Flammen uebergeben. Geleitet von allen Beamten und dem gesamten Senat, den Priestern und Priesterinnen in ihrer Amtstracht und der ritterlich geruesteten adligen Knabenschar gelangte der Zug auf den grossen Marktplatz; auf diesem von seinen Taten und fast noch von dem Klange seiner gefuerchteten Worte erfuellten Platz ward dem Toten die Leichenrede gehalten und von dort die Bahre auf den Schultern der Senatoren nach dem Marsfeld getragen, wo der Scheiterhaufen errichtet war. Waehrend er in Flammen loderte, hielten die Ritter und die Soldaten den Ehrenlauf um die Leiche; die Asche des Regenten aber ward auf dem Marsfeld neben den Graebern der alten Koenige beigesetzt, und ein Jahr hindurch haben die roemischen Frauen um ihn getrauert. --------------------------------------------------- ^14 Nicht die Phthiriasis, wie ein anderer Bericht sagt; aus dem einfachen Grunde, dass eine solche Krankheit nur in der Phantasie existiert. --------------------------------------------------- 11. Kapitel Das Gemeinwesen und seine Oekonomie Ein neunzigjaehriger Zeitraum, vierzig Jahr tiefen Friedens, fuenfzig einer fast permanenten Revolution liegen hinter uns. Es ist diese Epoche die ruhmloseste, die die roemische Geschichte kennt. Zwar wurden in westlicher und oestlicher Richtung die Alpen ueberschritten und gelangten die roemischen Waffen auf der spanischen Halbinsel bis zum Atlantischen Ozean, auf der makedonischgriechischen bis zur Donau; aber es waren so wohlfeile wie unfruchtbare Lorbeeren. Der Kreis der "auswaertigen Voelkerschaften in der Willkuer, Botmaessigkeit, Herrschaft oder Freundschaft der roemischen Buergerschaft" ^1 ward nicht wesentlich erweitert; man begnuegte sich, den Erwerb einer besseren Zeit zu realisieren und die in loseren Formen der Abhaengigkeit an Rom geknuepften Gemeinden mehr und mehr in die volle Untertaenigkeit zu bringen. Hinter dem glaenzenden Vorhang der Provinzialreunionen verbarg sich ein sehr fuehlbares Sinken der roemischen Macht. Waehrend die gesamte antike Zivilisation immer bestimmter in dem roemischen Staat zusammengefasst, immer altgemeingueltiger in demselben formuliert ward, fingen zugleich jenseits der Alpen und jenseits des Euphrat die von ihr ausgeschlossenen Nationen an, aus der Verteidigung zum Angriff ueberzugehen. Auf den Schlachtfeldern von Aquae Sextiae und Vercellae, von Chaeroneia und Orchomenos wurden die ersten Schlaege desjenigen Gewitters vernommen, das ueber die italisch-griechische Welt zu bringen die germanischen Staemme und die asiatischen Horden bestimmt waren und dessen letztes dumpfes Rollen fast noch bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Aber auch in der inneren Entwicklung traegt diese Epoche denselben Charakter. Die alte Ordnung stuerzt unwiederbringlich zusammen. Das roemische Gemeinwesen war angelegt als eine Stadtgemeinde, welche durch ihre freie Buergerschaft sich selber die Herren und die Gesetze gab, welche von diesen wohlberatenen Herren innerhalb dieser gesetzlichen Schranken mit koeniglicher Freiheit geleitet ward, um welche teils die italische Eidgenossenschaft als ein Inbegriff freier, der roemischen wesentlich gleichartiger und stammverwandter Stadtgemeinden, teils die ausseritalische Bundesgenossenschaft als ein Inbegriff griechischer Freistaedte und barbarischer Voelker und Herrschaften, beide von der Gemeinde Rom mehr bevormundet als beherrscht, in zweifachem Kreise sich schlossen. Es war das letzte Ergebnis der Revolution - und beide Parteien, die nominell konservative wie die demokratische Partei, hatten dazu mitgewirkt und trafen darin zusammen -, dass von diesem ehrwuerdigen Bau, der am Anfang der gegenwaertigen Epoche zwar rissig und schwankend, aber doch noch aufrecht gestanden, am Schluss derselben kein Stein mehr auf dem andern geblieben war. Der souveraene Machthaber war jetzt entweder ein einzelner Mann oder die geschlossene Oligarchie bald der Vornehmen, bald der Reichen. Die Buergerschaft hatte jeden rechtlichen Anteil am Regiment verloren. Die Beamten waren unselbstaendige Werkzeuge in der Hand des jedesmaligen Machthabers. Die Stadtgemeinde Rom hatte durch ihre widernatuerliche Erweiterung sich selber zersprengt. Die italische Eidgenossenschaft war aufgegangen in die Stadtgemeinde. Die ausseritalische Bundesgenossenschaft war im vollen Zug sich in eine Untertanenschaft zu verwandeln. Die gesamte organische Gliederung des roemischen Gemeinwesens war zugrunde gegangen und nichts uebrig geblieben, als eine rohe Masse mehr oder minder disparater Elemente. Der Zustand drohte in volle Anarchie und in innere und aeussere Aufloesung des Staats ueberzugehen. Die politische Bewegung lenkte durchaus nach dem Ziele der Despotie; nur darueber noch ward gestritten, ob der geschlossene Kreis der vornehmen Familien oder der Kapitalistensenat oder ein Monarch Despot sein solle. Die politische Bewegung ging durchaus die zum Despotismus fuehrenden Wege: der Grundgedanke des freien Gemeinwesens, dass die ringenden Maechte gegenseitig sich auf mittelbaren Zwang beschraenken, war allen Parteien gleichmaessig abhanden gekommen, und hueben und drueben fingen zuerst die Knuettel, bald auch die Schwerter an, um die Herrschaft zu fechten. Die Revolution, insofern zu Ende, als die alte Verfassung von beiden Seiten als definitiv beseitigt anerkannt und Ziel und Weg der neuen politischen Entwicklung deutlich festgestellt war, hatte doch fuer diese Reorganisation des Staates selbst bis jetzt nur provisorische Loesungen gefunden; weder die Gracchische noch die Sullanische Konstituierung der Gemeinde trugen einen abschliessenden Charakter. Das aber war das Bitterste dieser bitteren Zeit, dass dem klarsehenden Patrioten selbst das Hoffen und das Streben sich versagten. Die Sonne der Freiheit mit all ihrer unendlichen Segensfuelle ging unaufhaltsam unter, und die Daemmerung senkte sich ueber die eben noch so glaenzende Welt. Es war keine zufaellige Katastrophe, der Vaterlandsliebe und Genie haetten wehren koennen; es waren uralte soziale Schaeden, im letzten Kern der Ruin des Mittelstandes durch das Sklavenproletariat, an denen das roemische Gemeinwesen zugrunde ging. Auch der einsichtigste Staatsmann war in der Lage des Arztes, dem es gleich peinlich ist, die Agonie zu verlaengern und zu verkuerzen. Ohne Zweifel war Rom um so besser beraten, je rascher und durchgreifender ein Despot alle Reste der alten freiheitlichen Verfassung beseitigte und fuer das bescheidene Mass menschlichen Gedeihens, wofuer in dem Absolutismus Raum ist, die neuen Formen und Formeln fand; der innere Vorzug, der der Monarchie unter den gegebenen Verhaeltnissen gegenueber jeder Oligarchie zukam, lag wesentlich ebendarin, dass ein solcher energisch nivellierender und energisch aufbauender Despotismus von einer kollegialischen Behoerde nimmermehr geuebt werden konnte. Allein diese kuehlen Erwaegungen machen keine Geschichte; nicht der Verstand, nur die Leidenschaft baut fuer die Zukunft. Man musste eben erwarten, wie lange das Gemeinwesen fortfahren werde, nicht leben und nicht sterben zu koennen, und ob es schliesslich an einer maechtigen Natur seinen Meister und, soweit dies moeglich war, seinen Neuschoepfer finden oder in Elend und Schwaeche zusammenstuerzen werde. ------------------------------------------------------------------------ ^1 Exterae nationes in arbitratu dicione potestate amicitiave populi Romani (Lex repetund. v. 1), die offizielle Bezeichnung der nichtitalischen Untertanen und Klienten im Gegensatz der italischen "Eidgenossen und Stammverwandten" (socii nominisve Latini). ----------------------------------------------------------------------- Es bleibt noch uebrig, die oekonomische und soziale Seite dieses Verlaufs hervorzuheben, insoweit dies nicht bereits frueher geschehen ist. Der Staatshaushalt ruhte seit dem Anfang dieser Epoche wesentlich auf den Einkuenften aus den Provinzen. In Italien ward die Grundsteuer, die hier stets nur neben den ordentlichen Domanialund anderen Gefaellen als ausserordentliche Abgabe vorgekommen war, seit der Schlacht von Pydna nicht wieder erhoben, so dass die unbedingte Grundsteuerfreiheit anfing, als ein verfassungsmaessiges Vorrecht des roemischen Grundbesitzers betrachtet zu werden. Die Regalien des Staats, wie das Salzmonopol und das Muenzrecht, wurden, wenn ueberhaupt je, so wenigstens jetzt nicht als Einnahmequellen behandelt. Auch die neue Erbschaftssteuer liess man wieder schwinden oder schaffte sie vielleicht geradezu ab. Demnach zog die roemische Staatskasse aus Italien einschliesslich des diesseitigen Galliens nichts als teils den Domaenenertrag, namentlich von dem kampanischen Gebiet und den Goldgruben im Lande der Kelten, teils die Abgabe von den Freilassungen und den nicht zu eigenem Verbrauch des Einfuehrenden in das roemische Stadtgebiet zur See eingehenden Waren, welche beide wesentlich als Luxussteuern betrachtet werden koennen und allerdings durch die Ausdehnung des roemischen Stadtund zugleich Zollgebiets auf ganz Italien, wahrscheinlich mit Einschluss des diesseitigen Galliens, ansehnlich gesteigert werden mussten. In den Provinzen nahm der roemische Staat zunaechst als Privateigentum in Anspruch teils in den nach Kriegsrecht vernichteten Staaten die gesamte Mark, teils in denjenigen Staaten, wo die roemische Regierung an die Stelle der ehemaligen Herrscher getreten war, den von diesen innegehaltenen Grundbesitz, kraft welches Rechts die Feldmarken von Leontinoi, Karthago, Korinth, das Domanialgut der Koenige von Makedonien, Pergamon und Kyrene, die Gruben in Spanien und Makedonien als roemische Domaenen galten und, aehnlich wie das Gebiet von Capua, von den roemischen Zensoren an Privatunternehmer gegen Abgabe einer Ertragsquote oder einer bestimmten Geldsumme verpachtet wurden. Dass Gaius Gracchus noch weiter ging, das gesamte Provinzialland als Domaene ansprach und zunaechst fuer die Provinz Asia diesen Satz insofern praktisch durchfuehrte, als er den Bodenzehnten, die Hutund Hafengelder daselbst rechtlich motivierte durch das Eigentumsrecht des roemischen Staats an Acker, Wiese und Kueste der Provinz, mochten diese nun frueher dem Koenig oder Privaten gehoert haben, ward bereits frueher ausgefuehrt. Nutzbare Staatsregalien scheint es in dieser Zeit auch den Provinzen gegenueber noch nicht gegeben zu haben; die Untersagung des Weinund Oelbaues im Transalpinischen Gallien kam der Staatskasse als solcher nicht zugute. Dagegen wurden direkte und indirekte Steuern in grossem Umfang erhoben. Die als vollstaendig souveraen anerkannten Klientelstaaten, also zum Beispiel die Koenigreiche Numidien und Kappadokien, die Bundesstaedte (civitates foederatae) Rhodos, Messana, Tauromenion, Massalia, Gades waren rechtlich steuerfrei und durch ihren Vertrag nur verpflichtet, die roemische Republik in Kriegszeiten teils durch regelmaessige Stellung einer festen Anzahl von Schiffen oder Mannschaften auf ihre Kosten, teils, wie natuerlich, im Notfall durch ausserordentliche Hilfsleistung jeder Art zu unterstuetzen. Das uebrige Provinzialgebiet dagegen, selbst mit Einschluss der Freistaedte, unterlag durchgaengig der Besteuerung, und nur die mit roemischem Buergerrecht beliehenen Staedte, wie Narbo, und die speziell mit der Steuerfreiheit beschenkten Gemeinden (civitates immunes), wie Kentoripa in Sizilien, waren hiervon ausgenommen. Die direkten Abgaben bestanden teils, wie in Sizilien und Sardinien, in einem Anrecht auf den Zehnten 2 der Garben und sonstigen Feldfruechte wie der Trauben und Oliven, oder, wenn das Land zur Weide lag, einem entsprechenden Hutgeld; teils, wie in Makedonien, Achaia, Kyrene, dem groessten Teil von Africa, beiden Spanien, nach Sulla auch in Asia, in einer von jeder einzelnen Gemeinde jaehrlich nach Rom zu entrichtenden festen Geldsumme (stipendium, tributum), welche zum Beispiel fuer ganz Makedonien 600000 (183000 Taler), fuer die kleine Insel Gyaros bei Andros 150 Denare (46 Taler) betrug und allem Anschein nach im ganzen niedrig und geringer war als die vor der roemischen Herrschaft entrichtete Abgabe. Jene Bodenzehnten und Hutgelder verdang der Staat gegen Lieferung fester Quantitaeten Korn oder fester Geldsummen an Privatunternehmer; dieser Geldabgaben wegen hielt er sich an die einzelnen Gemeinden und ueberliess es diesen, den Betrag nach den von der roemischen Regierung im allgemeinen festgestellten Prinzipien auf die Steuerpflichtigen zu repartieren und von diesen einzuziehen 3. Die indirekten Abgaben bestanden, abgesehen von den untergeordneten Chaussee-, Brueckenund Kanalgeldern, wesentlich in den Zoellen. Die Zoelle des Altertums waren, wo nicht ausschliesslich doch sehr vorwiegend Hafen-, seltener Landgrenzzoelle auf die zur Feilbietung bestimmten einund ausgehenden Waren und wurden von jeder Gemeinde in ihren Haefen und ihrem Gebiet nach Ermessen erhoben. Die Roemer erkannten dies auch insofern im allgemeinen an, als sich ihr urspruengliches Zollgebiet nicht weiter erstreckte als der roemische Buergerbezirk, und die Reichsgrenze keineswegs Zollgrenze, ein allgemeiner Reichszoll also unbekannt war; nur auf dem Wege des Staatsvertrages ward in den Klientelgemeinden fuer den roemischen Staat wohl durchaus Zollfreiheit, fuer den roemischen Buerger vielfach wenigstens Zollbeguenstigung ausbedungen. Aber in denjenigen Bezirken, die nicht zum Buendnis mit Rom zugelassen waren, sondern in eigentlicher Untertaenigkeit standen, auch nicht die Immunitaet erworben hatten, fielen die Zoelle doch selbstverstaendlich an den eigentlichen Souveraen, das heisst an die roemische Gemeinde; und infolgedessen wurden einzelne groessere Gebiete innerhalb des Reiches als besondere roemische Zolldistrikte konstituiert, in welchen die einzelnen verbuendeten oder mit Immunitaet beliehenen Gemeinden als vom roemischen Zoll befreit enklaviert wurden. So bildete Sizilien schon seit der karthagischen Zeit einen geschlossenen Zollbezirk, an dessen Grenze von allen ausund eingehenden Waren eine Abgabe von fuenf Prozent vom Wert erhoben ward; so ward an den Grenzen von Asia infolge des Sempronischen Gesetzes eine aehnliche Abgabe von zweieinhalb Prozent erhoben; so ward in aehnlicher Weise die Provinz Narbo, ausschliesslich der Feldmark der roemischen Kolonie, als roemischer Zollbezirk organisiert. Bei dieser Einrichtung mag ausser den fiskalischen Zwecken auch die loebliche Absicht mitgewirkt haben, der aus den mannigfaltigen Kommunalzoellen unvermeidlich entstehenden Verwirrung durch gleichmaessige Grenzzollregulierung zu steuern. Zur Erhebung wurden die Zoelle gleich den Zehnten ohne Ausnahme an Mittelsmaenner verdungen. ----------------------------------------------------------------- 2 Dieser Steuerzehnte, den der Staat von dem Privatgrundeigentum erhebt, ist wohl zu unterscheiden von dem Eigentuemerzehnten, den er auf das Dominalland legt. Jener ward in Sizilien verpachtet und stand ein fuer allemal fest; diesen, insonderheit den des Leontinischen Ackers, verpachteten die Zensoren in Rom und regulierten die zu entrichtende Ertragsquote und die sonstigen Bedingungen nach Ermessen (Cic. Verr. 3, 6, 13; 5, 21, 53; leg. 1, 2, 4; 2, 18, 48). Vgl. mein Roemisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 730. 3 Das Verfahren war, wie es scheint, folgendes. Die roemische Regierung bestimmte zunaechst die Gattung und die Hoehe der Abgabe: so zum Beispiel ward in Asien auch nach der Sullanisch-Caesarischen Ordnung die zehnte Garbe erhoben (App. civ. 5 4); so steuerten nach Caesars Verordnung die Juden jedes andere Jahr ein Viertel der Aussaat (Ios. ant. Iud. 4, 10, 6; vgl. 2, 5); so ward in Kilikien und Syrien spaeter 5 vom Hundert des Vermoegens (App. Syr. 50) und auch in Africa eine, wie es scheint, aehnliche Abgabe entrichtet, wobei uebrigens das Vermoegen nach gewissen Praesumtionen, z. B. nach der Groesse des Bodenbesitzes, der Zahl der Tueroeffnungen, der Kopfzahl der Kinder und Sklaven abgeschaetzt worden zu sein scheint (exactio capitum atque ostiorum, Cic. ad fam. 3, 8, 5, von Kilikien; phoros epi t/e/ g/e/ kai tois s/o/masin, App. Pun. 135, fuer Africa). Nach dieser Norm wurde von den Gemeindebehoerden unter Oberaufsicht des roemischen Statthalters (Cic. ad Q. fr. 1, 1, 8; SC. de Asclep. 22, 23) festgestellt, wer steuerpflichtig und was von jedem einzelnen Steuerpflichtigen zu leisten sei (imperata epikephalia Cic. Att. 5, I6); wer dies nicht rechtzeitig entrichtete, dessen Steuerschuld ward ebenwie in Rom verkauft, d. h. einem Unternehmer mit einem Zuschlag zur Einziehung uebertragen (venditio tributorum Cic. ad fam. 3, 8, 5; /o/nas omnium venditas, ders. Att. 5, 16). Der Ertrag dieser Steuern floss den Hauptgemeinden zu, wie zum Beispiel die Juden ihr Korn nach Sidon zu senden hatten, und aus deren Kassen wurde sodann der festgesetzte Geldbetrag nach Rom abgefuehrt. Auch diese Steuern also wurden mittelbar erhoben, und der Vermittler behielt je nach den Umstaenden, entweder einen Teil des Ertrags der Steuer fuer sich oder setzte aus eigenem Vermoegen zu; der Unterschied dieser Erhebung von der anderen durch Publikanen lag lediglich darin, dass dort die Gemeindebehoerde der Kontribuablen, hier roemische Privatunternehmer den Vermittler machten. ------------------------------------------------------- Hierauf waren die ordentlichen Lasten der roemischen Steuerpflichtigen beschraenkt, wobei uebrigens nicht uebersehen werden darf, dass die Erhebungskosten hoechst betraechtlich waren und die Kontribuablen unverhaeltnismaessig mehr zahlten, als die roemische Regierung empfing. Denn wenn das System der Steuereinziehung durch Mittelsmaenner, namentlich durch Generalpaechter, schon an sich von allen das verschwenderischste ist, so ward in Rom noch durch die geringe Teilung der Pachtungen und die ungeheure Assoziation des Kapitals die wirksame Konkurrenz aufs aeusserste erschwert. Zu diesen ordentlichen Belastungen aber kommen noch erstlich die Requisitionen hinzu. Die Kosten der Militaerverwaltung trug von Rechts wegen die roemische Gemeinde. Sie versah die Kommandanten jeder Provinz mit den Transportmitteln und allen sonstigen Beduerfnissen; sie besoldete und versorgte die roemischen Soldaten in der Provinz. Nur Dach und Fach, Holz, Heu und aehnliche Gegenstaende hatten die Provinzialgemeinden den Beamten und Soldaten unentgeltlich zu gewaehren; ja die freien Staedte waren sogar auch von der Wintereinquartierung - feste Standlager kannte man noch nicht - regelmaessig befreit. Wenn der Statthalter also Getreide, Schiffe, Sklaven zu deren Bemannung, Leinwand, Leder, Geld oder anderes bedurfte, so stand es ihm zwar im Kriege unbedingt und nicht viel anders auch in Friedenszeiten frei, solche Lieferungen nach Ermessen und Beduerfnis von den Untertanengemeinden oder den souveraenen Klientelstaaten einzufordern, allein dieselben wurden, gleich der roemischen Grundsteuer, rechtlich als Kaeufe oder Vorschuesse behandelt und der Wert von der roemischen Staatskasse sogleich oder spaeter ersetzt. Aber dennoch wurden, wenn nicht in der staatsrechtlichen Theorie, so doch praktisch, diese Requisitionen eine der drueckendsten Belastungen der Provinzialen; um so mehr, als die Entschaedigungsziffer regelmaessig von der Regierung oder gar dem Statthalter einseitig festgesetzt ward. Es begegnen wohl einzelne gesetzliche Beschraenkungen dieses gefaehrlichen Requisitionsrechts der roemischen Oberbeamten - so die schon erwaehnte Vorschrift, dass in Spanien dem Landmann durch Getreiderequisitionen nicht mehr als die zwanzigste Garbe entzogen und auch hierfuer der Preis nicht einseitig ausgemacht werden duerfte; die Bestimmung eines Maximalquantums des von dem Statthalter fuer seine und seines Gefolges Beduerfnisse zu requirierenden Getreides; die vorgaengige Anordnung einer festbestimmten und hochgegriffenen Verguetung fuer das Getreide, das wenigstens in Sizilien haeufig fuer die Beduerfnisse der Hauptstadt eingefordert ward. Allein durch dergleichen Festsetzungen wurde der Druck jener Requisitionen auf die Oekonomie der Gemeinden und der einzelnen in den Provinzen wohl hier und da gelindert, aber keineswegs beseitigt. In ausserordentlichen Krisen steigerte dieser Druck sich unvermeidlich und oft ins Grenzenlose, wie denn auch alsdann die Lieferungen nicht selten in der Form der Strafausschreibung oder in der der erzwungenen freiwilligen Beitraege erfolgten, die Verguetung also ganz wegfiel. So zwang Sulla im Jahre 670/71 (84/83) die kleinasiatischen Provinzialen, die allerdings sich aufs schwerste gegen Rom vergangen hatten, jedem bei ihnen einquartierten Gemeinen vierzigfachen (fuer den Tag 16 Denare = 3 2/3 Taler), jedem Centurio fuenfundsiebzigfachen Sold zu gewaehren, ausserdem Kleidung und Tisch nebst dem Recht, nach Belieben Gaeste einzuladen; so schrieb derselbe Sulla bald nachher eine allgemeine Umlage auf die Klientelund Untertanengemeinden aus, von deren Erstattung natuerlich keine Rede war. Ferner sind die Gemeindelasten nicht aus den Augen zu lassen. Sie muessen verhaeltnismaessig sehr ansehnlich gewesen sein 4, da die Verwaltungskosten, die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude, ueberhaupt alle Zivilausgaben von den staedtischen Budgets getragen wurden und die roemische Regierung lediglich das Militaerwesen aus ihrer Kasse zu bestreiten uebernahm. Sogar von diesem Militaerbudget aber wurden noch betraechtliche Posten auf die Gemeinden abgewaelzt - so die Anlageund Unterhaltungskosten der nichtitalischen Militaerstrassen, die der Flotten in den nichtitalischen Meeren, ja selbst zu einem grossen Teil die Ausgaben fuer das Heerwesen, insofern die Wehrmannschaft der Klientelstaaten wie die der Untertanen auf Kosten ihrer Gemeinden innerhalb ihrer Provinz regelmaessig zum Dienst herangezogen wurden und auch ausserhalb derselben Thraker in Afrika, Afrikaner in Italien und so weiter an jedem beliebigen Ort immer haeufiger anfingen, mitverwendet zu werden. Wenn nur die Provinzen, nicht aber Italien direkte Abgaben an die Regierung entrichtete, so war dies wo nicht politisch, doch finanziell billig, solange als Italien die Lasten und Kosten des Militaerwesens allein trug; seit dies aber aufgegeben ward, waren die Provinzialen auch finanziell entschieden ueberlastet. ------------------------------------------------- 4 Beispielsweise entrichtete in Judaea die Stadt Joppe 26075 roemische Scheffel Korn, die uebrigen Juden die zehnte Garbe an den Volksfuersten; wozu dann noch der Tempelschoss und die fuer die Roemer bestimmte sidonische Abgabe kamen. Auch in Sizilien ward neben dem roemischen Zehnten eine sehr ansehnliche Gemeindeschatzung vom Vermoegen erhoben. ------------------------------------------------- Endlich ist das grosse Kapitel des Unrechts nicht zu vergessen, durch das die roemischen Beamten und Steuerpaechter in der mannigfaltigsten Weise die Steuerlast der Provinzen steigerten. Man mochte jedes Geschenk, das der Statthalter nahm, gesetzlich als erpresstes Gut behandeln, und selbst das Recht zu kaufen ihm durch Gesetz beschraenken, seine oeffentliche Taetigkeit bot ihm, wenn er unrecht tun wollte, dennoch der Handhaben mehr als genug. Die Einquartierung der Truppen; die freie Wohnung der Beamten und des Schwarmes von Adjutanten senatorischen oder Ritterranges, von Schreibern, Gerichtsdienern, Herolden, Aerzten und Pfaffen; das den Staatsboten zukommende Recht unentgeltlicher Befoerderung; die Approbierung und der Transport der schuldigen Naturallieferungen; vor allem die Zwangsverkaeufe und die Requisitionen gaben allen Beamten Gelegenheit, aus den Provinzen fuerstliche Vermoegen heimzubringen; und das Stehlen ward immer allgemeiner, je mehr die Kontrolle der Regierung sich als null erwies und die der Kapitalistengerichte sogar als gefaehrlich allein fuer den ehrlichen Beamten. Die durch die Haeufigkeit der Klagen ueber Beamtenerpressung in den Provinzen veranlasste Einrichtung einer stehenden Kommission fuer dergleichen Faelle im Jahre 605 (149) und die rasch sich folgenden und die Strafe stets steigernden Erpressungsgesetze zeigen, wie die Flutmesser den Wasserstand, die immer wachsende Hoehe des Uebels. Unter all diesen Verhaeltnissen konnte selbst eine der Anlage nach maessige Besteuerung effektiv aeusserst drueckend werden, und dass sie dies war, ist ausser Zweifel, wenngleich der oekonomische Druck, den die italischen Kaufleute und Bankiers auf die Provinzen uebten, noch weit schwerer auf denselben gelastet haben mag als die Besteuerung mit allen daran haengenden Missbraeuchen. Fassen wir zusammen, so war die Einnahme, welche Rom aus den Provinzen zog, nicht eigentlich eine Besteuerung der Untertanen in dem Sinn, den wir jetzt damit verbinden, sondern vielmehr ueberwiegend eine den attischen Tributen vergleichbare Hebung, womit der fuehrende Staat die Kosten des von demselben uebernommenen Kriegswesens bestritt. Daraus erklaert sich auch die auffallende Geringfuegigkeit des Rohwie des Reinertrags. Es findet sich eine Angabe, wonach die roemische Einnahme, vermutlich mit Ausschluss der italischen Einkuenfte und des von den Zehntpaechtern in Natur nach Italien abgelieferten Getreides, bis zum Jahr 691 (63) nicht mehr betrug als 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler); also nur zwei Drittel der Summe, die der Koenig von Aegypten jaehrlich aus seinem Lande zog. Nur auf den ersten Blick kann das Verhaeltnis befremden. Die Ptolemaeer beuteten das Niltal aus wie grosse Plantagenbesitzer und zogen ungeheure Summen aus dem von ihnen monopolisierten Handelsverkehr mit dem Orient; das roemische Aerar war nicht viel mehr als die Bundeskriegskasse der unter Roms Schutz geeinigten Gemeinden. Der Reinertrag war wahrscheinlich verhaeltnismaessig noch geringer. Einen ansehnlichen Ueberschuss lieferten wohl nur Sizilien, wo das karthagische Besteuerungssystem galt, und vor allem Asia, seit Gaius Gracchus, um seine Getreideverteilung moeglich zu machen, daselbst die Bodenkonfiskation und die allgemeine Domanialbesteuerung durchgesetzt hatte; nach vielfaeltigen Zeugnissen ruhten die roemischen Staatsfinanzen wesentlich auf den Abgaben von Asia. Die Versicherung klingt ganz glaublich, dass die uebrigen Provinzen durchschnittlich ungefaehr so viel kosteten als sie einbrachten; ja diejenigen, welche eine bedeutende Besatzung erforderten, wie beide Spanien, das Jenseitige Gallien, Makedonien, moegen oft mehr gekostet als getragen haben. Im ganzen blieb dem roemischen Aerar allerdings in gewoehnlichen Zeiten ein Ueberschuss, welcher es mo eglich machte, die Staatsund Stadtbauten reichlich zu bestreiten und einen Notpfennig aufzusammeln; aber auch die fuer diese Betraege vorkommenden Ziffern, zusammengehalten mit dem weiten Gebiet der roemischen Herrschaft, sprechen fuer die Geringfuegigkeit des Reinertrags der roemischen Steuern. In gewissem Sinne hat also der alte, ebenso ehrenwerte wie verstaendige Grundsatz: die politische Hegemonie nicht als nutzbares Recht zu behandeln, ebenwie die roemisch-italische so auch noch die provinziale Finanzverfassung beherrscht. Was die roemische Gemeinde von ihren ueberseeischen Untertanen erhob, ward der Regel nach auch fuer die militaerische Sicherung der ueberseeischen Besitzungen wieder verausgabt; und wenn diese roemischen Hebungen dadurch die Pflichtigen schwerer trafen als die aeltere Besteuerung, dass sie grossenteils im Ausland verausgabt wurden, so schloss dagegen die Ersetzung der vielen kleinen Herren und Heere durch eine einzige Herrschaft und eine zentralisierte Militaerverwaltung eine sehr ansehnliche oekonomische Ersparnis ein. Aber freilich erscheint dieser Grundsatz einer besseren Vorzeit in der Provinzialorganisation doch von vornherein innerlich zerstoert und durchloechert durch die zahlreichen Ausnahmen, die man davon sich gestattete. Der hieronischkarthagische Bodenzehnte in Sizilien ging weit hinaus ueber den Betrag eines jaehrlichen Kriegsbeitrags. Mit Recht ferner sagt Scipio Aemilianus bei Cicero, dass es der roemischen Buergerschaft uebel anstehe, zugleich den Gebieter und den Zoellner der Nationen zu machen. Die Aneignung der Hafenzoelle war mit dem Grundsatz der uneigennuetzigen Hegemonie nicht vereinbar, und die Hoehe der Zollsaetze sowie die vexatorische Erhebungsweise nicht geeignet, das Gefuehl des hier zugefuegten Unrechts zu beschwichtigen. Es gehoert wohl schon dieser Zeit an, dass der Name des Zoellners den oestlichen Voelkerschaften gleichbedeutend mit dem des Frevlers und des Raeubers ward; keine Belastung hat so wie diese dazu beigetragen, den roemischen Namen besonders im Osten widerwaertig und gehaessig zu machen. Als dann aber Gaius Gracchus und diejenige Partei an das Regiment kam, die sich in Rom die populaere nannte, ward die politische Herrschaft unumwunden fuer ein Recht erklaert, das jedem der Teilhaber Anspruch gab auf eine Anzahl Scheffel Korn, ward die Hegemonie geradezu in Bodeneigentum verwandelt, das vollstaendige Exploitierungssystem nicht bloss eingefuehrt, sondern mit unverschaemter Offenherzigkeit rechtlich motiviert und proklamiert. Sicher war es auch kein Zufall, dass dabei eben die beiden am wenigsten kriegerischen Provinzen Sizilien und Asia das haerteste Los traf. Einen ungefaehren Messer des roemischen Finanzstandes dieser Zeit gewaehren in Ermangelung bestimmter Angaben noch am ersten die oeffentlichen Bauten. In den ersten Dezennien dieser Epoche wurden dieselben in groesstem Umfange betrieben, und vor allem die Chausseeanlagen sind zu keiner Zeit so energisch gefoerdert worden. In Italien schloss sich an die grosse, vermutlich schon aeltere Suedchaussee, die als Verlaengerung der Appischen von Rom ueber Capua, Beneventum, Venusia nach den Haefen von Tarent und Brundisium lief, eine Seitenstrasse an von Capua bis zur sizilischen Meerenge, ein Werk des Publius Popillius, Konsul 622 (132). An der Ostkueste, wo bisher nur die Strecke von Fanum nach Ariminum als Teil der Flaminischen Strasse chaussiert gewesen war, wurde die Kuestenstrasse suedwaerts bis nach Brundisium, nordwaerts ueber Hatria am Po bis nach Aquileia verlaengert und wenigstens das Stueck von Ariminum bis Hatria von dem ebengenannten Popillius in dem gleichen Jahr angelegt. Auch die beiden grossen etrurischen Chausseen, die Kuestenoder Aurelische Strasse von Rom nach Pisa und Luna, an der unter anderem im Jahre 631 (123) gebaut ward, und die ueber Sutrium und Clusium nach Arretium und Florentia gefuehrte Cassische, die nicht vor 583 (171) gebaut zu sein scheint, duerften als roemische Staatschausseen erst dieser Zeit angehoeren. Um Rom selbst bedurfte es neuer Anlagen nicht; doch wurde die Mulvische Bruecke (Ponte Molle), auf der die Flaminische Strasse unweit Rom den Tiber ueberschritt, im Jahre 645 (109) von Stein hergestellt. Endlich in Norditalien, das bis dahin keine andere als die bei Placentia endigende Flaminisch-Aemilische Kunststrasse gehabt hatte, wurde im Jahre 606 (148) die grosse Postumische Strasse gebaut, die von Genua ueber Dertona, wo wahrscheinlich gleichzeitig eine Kolonie gegruendet ward, weiter ueber Placentia, wo sie die Flaminisch-Aemilische Strasse aufnahm, Cremona und Verona nach Aquileia fuehrte und also das Tyrrhenische und das Adriatische Meer miteinander verband; wozu noch die im Jahre 645 (109) durch Marcus Aemilius Scaurus hergestellte Verbindung zwischen Luna und Genua hinzukam, welche die Postumische Strasse unmittelbar mit Rom verknuepfte. In einer anderen Weise war Gaius Gracchus fuer das italische Wegewesen taetig. Er sicherte die Instandhaltung der grossen Landstrassen, indem er bei der Ackerverteilung laengs derselben Grundstuecke anwies, auf denen die Verpflichtung der Wegebesserung als dingliche Last haftete; auf ihn ferner oder doch auf die Ackerverteilungskommission scheint, wie die Sitte, die Feldgrenze durch ordentliche Marksteine zu bezeichnen, so auch die der Errichtung von Meilensteinen zurueckzugehen; er sorgte endlich fuer gute Vizinalwege, um auch hierdurch den Ackerbau zu foerdern. Aber weit folgenreicher noch war die ohne Zweifel eben in dieser Epoche beginnende Anlage von Reichschausseen in den Provinzen: die Domitische Strasse stellte nach langen Vorbereitungen den Landweg von Italien nach Spanien sicher und hing mit der Gruendung von Aquae Sextiae und Narbo eng zusammen; die Gabinische und die Egnatische fuehrten von den Hauptplaetzen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres, jene von Salona, diese von Apollonia und Dyrrhachion, in das Binnenland hinein; das unmittelbar nach der Einrichtung der asiatischen Provinz im Jahre 625 (129) von Manius Aquillius angelegte Strassennetz fuehrte von der Hauptstadt Ephesus nach verschiedenen Richtungen bis an die Reichsgrenze - alles Anlagen, ueber deren Entstehung in der truemmerhaften Ueberlieferung dieser Epoche keine Angabe zu finden ist, die aber nichtsdestoweniger mit der Konsolidierung der roemischen Herrschaft in Gallien, Dalmatien, Makedonien und Kleinasien unzweifelhaft in Zusammenhang standen und fuer die Zentralisierung des Staats und die Zivilisierung der unterworfenen barbarischen Distrikte von der groessten Bedeutung geworden sind. Wie fuer die Strassen war man wenigstens in Italien auch fuer die grossen Entsumpfungsarbeiten taetig. So ward im Jahre 594 (160) die Trockenlegung der Pomptinischen Suempfe, die Lebensfrage fuer Mittelitalien, mit grossem Kraftaufwand und wenigstens voruebergehendem Erfolg angegriffen; so im Jahre 645 (109) in Verbindung mit den norditalischen Chausseebauten zugleich die Entsumpfung der Niederungen zwischen Parma und Placentia bewerkstelligt. Endlich tat die Regierung viel fuer die zur Gesundheit und Annehmlichkeit der Hauptstadt ebenso unentbehrlichen wie kostspieligen roemischen Wasserleitungen. Nicht bloss wurden die beiden seit den Jahren 442 (312) und 492 (262) bereits bestehenden, die Appische und die Anioleitung, im Jahre 610 (144) von Grund aus repariert, sondern auch zwei neue Leitungen angelegt: im Jahre 610 (144) die Marcische, die an Guete und Fuelle des Wassers auch spaeter unuebertroffen blieb, und neunzehn Jahre nachher die sogenannte Laue. Welche Operationen die roemische Staatskasse, ohne vom Kreditsystem Gebrauch zu machen, mittels reiner Barzahlung auszufuehren vermochte, zeigt nichts deutlicher als die Art, wie die Marcische Leitung zustande kam: die dazu erforderliche Summe von 180 Mill. Sesterzen (in Gold 13« Mill. Taler) ward innerhalb dreier Jahre disponibel gemacht und verwandt. Es laesst dies schliessen auf eine sehr ansehnliche Reserve des Staatsschatzes, die denn auch schon im Anfang dieser Periode nahe an 6 Mill. Taler betrug und ohne Zweifel bestaendig im Steigen war. Alle diese Tatsachen zusammengenommen, lassen allerdings auf einen im allgemeinen guenstigen Stand der roemischen Finanzen dieser Zeit schliessen. Nur darf auch in finanzieller Hinsicht nicht uebersehen werden, dass die Regierung waehrend der ersten zwei Drittel dieses Zeitabschnitts zwar glaenzende und grossartige Bauten ausfuehrte, aber dafuer andere wenigstens ebenso notwendige Ausgaben zu machen unterliess. Wie ungenuegend sie fuer das Militaerwesen sorgte, ist bereits hervorgehoben worden: in den Grenzlandschaften, ja im Potal pluenderten die Barbaren, im Innern hausten selbst in Kleinasien, Sizilien, Italien die Raeuberbanden. Die Flotte gar ward voellig vernachlaessigt; roemische Kriegsschiffe gab es kaum mehr und die Kriegsschiffe, die man durch die Untertanenstaedte bauen und erhalten liess, reichten nicht aus, so dass man nicht bloss schlechterdings keinen Seekrieg zu fuehren, sondern nicht einmal den Piraten das Handwerk zu legen imstande war. In Rom selbst unterblieben eine Menge der notwendigsten Verbesserungen und namentlich die Flussbauten wurden seltsam vernachlaessigt. Immer noch besass die Hauptstadt keine andere Bruecke ueber den Tiber als den uralten hoelzernen Steg, der ueber die Tiberinsel nach dem Ianiculum fuehrte; immer noch liess man den Tiber jaehrlich die Strassen unter Wasser setzen und Haeuser, ja nicht selten ganze Quartiere niederwerfen, ohne etwas fuer die Uferbefestigung zu tun; immer mehr liess man, wie gewaltig auch der ueberseeische Handel sich entwickelte, die an sich schon schlechte Reede von Ostia versanden. Eine Regierung, die unter den guenstigsten Verhaeltnissen und in einer Epoche vierzigjaehrigen Friedens nach aussen und innen solche Pflichten versaeumt, kann leicht Steuern schwinden lassen und dennoch einen jaehrlichen Ueberschuss der Einnahme ueber die Ausgabe und einen ansehnlichen Sparschatz erzielen; aber eine derartige Finanzverwaltung verdient keineswegs Lob wegen ihrer nur scheinbar glaenzenden Ergebnisse, sondern vielmehr dieselben Vorwuerfe der Schlaffheit, des Mangels an einheitlicher Leitung, der verkehrten Volksschmeichelei, die auf jedem andern politischen Gebiet gegen das senatorische Regiment dieser Epoche erhoben werden mussten. Weit schlimmer gestalteten sich natuerlich die finanziellen Verhaeltnisse, als die Stuerme der Revolution hereinbrachen. Die neue und, auch bloss finanziell betrachtet, hoechst drueckende Belastung, die dem Staat aus der durch Gaius Gracchus ihm auferlegten Verpflichtung erwuchs, den hauptstaedtischen Buergern das Getreide zu Schleuderpreisen zu verabfolgen, ward allerdings durch die in der Provinz Asia neu eroeffneten Einnahmequellen zunaechst wieder ausgeglichen. Nichtsdestoweniger scheinen die oeffentlichen Bauten seitdem fast gaenzlich ins Stocken gekommen zu sein. So zahlreich die erweislichermassen von der Schlacht bei Pydna bis auf Gaius Gracchus angelegten oeffentlichen Werke sind, so werden dagegen aus der Zeit nach 632 (122) kaum andere genannt als die Bruecken-, Strassen und Entsumpfungsanlagen, die Marcus Aemilius Scaurus als Zensor 645 (109) anordnete. Es muss dahingestellt bleiben, ob dies die Folge der Kornverteilungen ist oder, wie vielleicht wahrscheinlicher, die Folge des gesteigerten Sparschatzsystems, wie es sich schickt fuer ein immer mehr zur Oligarchie erstarrendes Regiment, und wie es angedeutet ist in der Angabe, dass der roemische Reservefonds seinen hoechsten Stand im Jahre 663 (91) erreichte. Der fuerchterliche Insurrektionsund Revolutionssturm in Verbindung mit dem fuenfjaehrigen Ausbleiben der kleinasiatischen Gefaelle war die erste nach dem Hannibalischen Krieg wieder den roemischen Finanzen zugemutete ernste Probe; sie haben dieselbe nicht bestanden. Nichts vielleicht zeichnet so klar den Unterschied der Zeiten, als dass im Hannibalischen Krieg erst im zehnten Kriegsjahre, als die Buergerschaft den Steuern fast erlag, der Sparschatz angegriffen, dagegen der Bundesgenossenkrieg gleich von Haus aus auf den Kassenbestand fundiert ward und, als schon nach zwei Feldzuegen derselbe bis auf den letzten Pfennig ausgegeben war, man lieber die oeffentlichen Plaetze in der Hauptstadt versteigerte und die Tempelschaetze angriff, als eine Steuer auf die Buerger ausschrieb. Indes der Sturm, so arg er war, ging vorueber; Sulla stellte, freilich unter ungeheuren, namentlich den Untertanen und den italischen Revolutionaeren aufgebuerdeten oekonomischen Opfern, die Ordnung in den Finanzen wieder her und sicherte, indem er die Getreidespenden aufhob, die asiatischen Abgaben aber, wenn auch gemindert, doch beibehielt, dem Gemeinwesen wenigstens in dem Sinn einen befriedigenden oekonomischen Zustand, als die ordentlichen Ausgaben weit unter den ordentlichen Einnahmen blieben. In der Privatoekonomie dieser Zeit tritt kaum ein neues Moment hervor; die frueher dargelegten Vorzuege und Nachteile der sozialen Verhaeltnisse Italiens werden nicht veraendert, sondern nur weiter und schaerfer entwickelt. In der Bodenwirtschaft sahen wir bereits frueher die steigende roemische Kapitalmacht den mittleren und kleinen Grundbesitz in Italien sowohl wie in den Provinzen allmaehlich verzehren, wie die Sonne die Regentropfen aufsaugt. Die Regierung sah nicht bloss zu ohne zu wehren, sondern foerderte noch die schaedliche Bodenteilung durch einzelne Massregeln, vor allem durch das zu Gunsten der grossen italischen Grundbesitzer und Kaufleute ausgesprochene Verbot der transalpinischen Weinund Oelproduktion 5. Zwar wirkten sowohl die Opposition als die auf die Reformideen eingehende Fraktion der Konservativen energisch dem uebel entgegen: indem die beiden Gracchen die Aufteilung fast des gesamten Domaniallandes durchsetzten, gaben sie dem Staat 80000 neue italische Bauern; indem Sulla 120000 Kolonisten in Italien ansiedelte, ergaenzte er wenigstens einen Teil der von der Revolution und von ihm selbst in die Reihen der italischen Bauernschaft gerissenen Luecken; allein dem durch stetigen Abfluss sich leerenden Gefaess ist nicht durch Einschoepfen auch betraechtlicher Massen, sondern nur durch Herstellung eines stetigen Zuflusses zu helfen, welche vielfach versucht ward, aber nicht gelang. In den Provinzen nun gar geschah nicht das Geringste, um den dortigen Bauernstand vor dem Auskaufen durch die roemischen Spekulanten zu retten: die Provinzialen waren ja bloss Menschen und keine Partei. Die Folge war, dass mehr und mehr auch die ausseritalische Bodenrente nach Rom floss. Uebrigens war die Plantagenwirtschaft, die um die Mitte dieser Epoche selbst in einzelnen Landschaften Italiens, zum Beispiel in Etrurien, bereits durchaus ueberwog, bei dem Zusammenwirken eines energischen und rationellen Betriebs und reichlicher Geldmittel in ihrer Art zu hoher Bluete gelangt. Die italische Weinproduktion vor allem, die teils die Eroeffnung gezwungener Maerkte in einem Teil der Provinzen, teils das zum Beispiel in dem Aufwandgesetz von 593 (161) ausgesprochene Verbot der auslaendischen Weine in Italien auch kuenstlich foerderten, erzielte sehr bedeutende Erfolge; der Amineer und der Falerner fingen an, neben dem Thasier und Chier genannt zu werden, und der "Opimische Wein" vom Jahre 633 (121), der roemische Elfer, blieb im Andenken, lange nachdem der letzte Krug geleert war. ------------------------------------------- 5 3, 170. Damit mag auch die Bemerkung des nach Cato und vor Varro lebenden roemischen Landwirts Saserna (bei Colum. 1, 1, 5) zusammenhaengen, dass der Weinund Oelbau sich bestaendig weiter nach Norden ziehe. Auch der Senatsbeschluss wegen Uebersetzung der Magonischen Buecher gehoert hierher. --------------------------------------------- Von Gewerben und Fabrikation ist nichts zu sagen, als dass die italische Nation in dieser Hinsicht in einer an Barbarei grenzenden Passivitaet verharrte. Man zerstoerte wohl die korinthischen Fabriken, die Depositare so mancher wertvollen gewerblichen Tradition, aber nicht um selbst aehnliche Fabriken zu gruenden, sondern um zu Schwindelpreisen zusammenzukaufen, was die griechischen Haeuser an korinthischen Tonoder Kupfergefaessen und aehnlichen "alten Arbeiten" bewahrten. Was von Gewerken noch einigermassen gedieh, wie zum Beispiel die mit dem Bauwesen zusammenhaengenden, trug fuer das Gemeinwesen deshalb kaum einen Nutzen, weil auch hier bei jeder groesseren Unternehmung die Sklavenwirtschaft sich ins Mittel legte; wie denn zum Beispiel die Anlage der Marcischen Wasserleitung in der Art erfolgte, dass die Regierung mit 3000 Meistern zugleich Bauund Lieferungsvertraege abschloss, von denen dann jeder mit seiner Sklavenschar die uebernommene Arbeit beschaffte. Die glaenzendste oder vielmehr die allein glaenzende Seite der roemischen Privatwirtschaft ist der Geldverkehr und der Handel. An der Spitze stehen die Domanialund die Steuerpachtungen, durch die ein grosser, vielleicht der groesste Teil der roemischen Staatseinnahmen in die Taschen der roemischen Kapitalisten floss. Der Geldverkehr ferner war im ganzen Umfang des roemischen Staats von den Roemern monopolisiert; jeder in Gallien umgesetzte Pfennig, heisst es in einer bald nach dem Ende dieser Periode herausgegebenen Schrift, geht durch die Buecher der roemischen Kaufleute, und so war es ohne Zweifel ueberall. Wie das Zusammenwirken der rohen oekonomischen Zustaende und der ruecksichtslosen Ausnutzung der politischen Uebermacht zu Gunsten der Privatinteressen eines jeden vermoegenden Roemers eine wucherliche Zinswirtschaft allgemein machte, zeigt zum Beispiel die Behandlung der von Sulla der Provinz Asia 670 (84) auferlegten Kriegssteuer, die die roemischen Kapitalisten vorschossen; sie schwoll mit gezahlten und nichtgezahlten Zinsen binnen vierzehn Jahren auf das Sechsfache ihres urspruenglichen Betrags an. Die Gemeinden mussten ihre oeffentlichen Gebaeude, ihre Kunstwerke und Kleinodien, die Eltern ihre erwachsenen Kinder verkaufen, um dem roemischen Glaeubiger gerecht zu werden; es war nichts Seltenes, dass der Schuldner nicht bloss der moralischen Tortur unterworfen, sondern geradezu auf die Marterbank gelegt ward. Hierzu kam endlich der Grosshandel. Italiens Ausfuhr und Einfuhr waren sehr betraechtlich. Jene bestand vornehmlich in Wein und Oel, womit Italien neben Griechenland fast ausschliesslich - die Weinproduktion in der massaliotischen und turdetanischen Landschaft kann damals nur gering gewesen sein - das gesamte Mittelmeergebiet versorgte; italischer Wein ging in bedeutenden Quantitaeten nach den Balearischen Inseln und Keltiberien, nach Africa, das nur Ackerund Weideland war, nach Narbo und in das innere Gallien. Bedeutender noch war die Einfuhr nach Italien, wo damals aller Luxus sich konzentrierte und die meisten Luxusartikel, Speisen, Getraenke, Stoffe, Schmuck, Buecher, Hausgeraet, Kunstwerke, ueber See eingefuehrt wurden. Vor allem aber der Sklavenhandel nahm infolge der stets steigenden Nachfrage der roemischen Kaufleute einen Aufschwung, dessengleichen man im Mittelmeergebiet noch nicht gekannt hatte und der mit dem Aufbluehen der Piraterie im engsten Zusammenhang steht; alle Laender und alle Nationen wurden dafuer in Kontribution gesetzt, die Hauptfangplaetze aber waren Syrien und das innere Kleinasien. In Italien konzentrierte die ueberseeische Einfuhr sich vorzugsweise in den beiden grossen Emporien am Tyrrhenischen Meer, Ostia und Puteoli. Nach Ostia, dessen Reede wenig taugte, das aber, als der naechste Hafen an Rom, fuer weniger werthafte Waren der geeignetste Stapelplatz war, zog sich die fuer die Hauptstadt bestimmte Korneinfuhr, dagegen der Luxushandel mit dem Osten ueberwiegend nach Puteoli, das durch seinen guten Hafen fuer Schiffe mit wertvoller Ladung sich empfahl und in der mehr und mehr mit Landhaeusern sich fuellenden Gegend von Baiae den Kaufleuten einen dem hauptstaedtischen wenig nachstehenden Markt in naechster Naehe darbot. Lange Zeit ward dieser letztere Verkehr durch Korinth und nach dessen Vernichtung durch Delos vermittelt, wie denn in diesem Sinne Puteoli bei Lucilius das italische "Klein-Delos" heisst; nach der Katastrophe aber, die Delos im Mithradatischen Kriege betraf, und von der es sich nicht wieder erholt hat, knuepften die Puteolaner direkte Handelsverbindungen mit Syrien und Alexandreia an und entwickelte damit ihre Stadt immer entschiedener sich zu dem ersten ueberseeischen Handelsplatz Italiens. Aber nicht bloss der Gewinn, der bei der italischen Ausund Einfuhr gemacht ward, fiel wesentlich den Italikern zu; auch in Narbo konkurrierten sie im keltischen Handel mit den Massalioten, und ueberhaupt leidet es keinen Zweifel, dass die ueberall fluktuierend oder ansaessig anzutreffende roemische Kaufmannschaft den besten Teil aller Spekulationen fuer sich nahm. Fassen wir diese Erscheinungen zusammen, so erkennen wir als den hervorstechenden Zug der Privatwirtschaft dieser Epoche die der politischen ebenbuertig zur Seite gehende finanzielle Oligarchie der roemischen Kapitalisten. In ihren Haenden vereinigt sich die Bodenrente fast des ganzen Italiens und der besten Stuecke des Provinzialgebiets, die wucherliche Rente des von ihnen monopolisierten Kapitals, der Handelsgewinn aus dem gesamten Reiche, endlich in Form der Pachtnutzung ein sehr betraechtlicher Teil der roemischen Staatseinkuenfte. Die immer zunehmende Anhaeufung der Kapitalien zeigt sich in dem Steigen des Durchschnittsatzes des Reichtums: 3 Mill. Sesterzen (228000 Taler) war jetzt ein maessiges senatorisches, 2 Mill. (152000 Taler) ein anstaendiges Rittervermoegen; das Vermoegen des reichsten Mannes der Gracchischen Zeit, des Publius Crassus, Konsul 623 131), ward auf 100 Mill. Sesterzen (7«Mill. Taler) geschaetzt. Es ist kein Wunder, wenn dieser Kapitalistenstand die aeussere Politik vorwiegend bestimmt, wenn er aus Handelsrivalitaet Karthago und Korinth zerstoert, wie einst die Etrusker Alalia, die Syrakusier Caere zerstoerten, wenn er dem Senat zum Trotz die Gruendung von Narbo aufrecht erhaelt. Es ist ebenfalls kein Wunder, wenn diese Kapitalistenoligarchie in der inneren Politik der Adelsoligarchie eine ernstliche und oft siegreiche Konkurrenz macht. Es ist aber auch kein Wunder, wenn ruinierte reiche Leute sich an die Spitze empoerter Sklavenhaufen stellen und das Publikum sehr unsanft daran erinnert, dass aus dem eleganten Bordell der Uebergang zu der Raeuberhoehle leicht gefunden ist. Es ist kein Wunder, wenn jeder finanzielle Babelturm mit seiner nicht rein oekonomischen, sondern der politischen Uebermacht Roms entlehnten Grundlage bei jeder ernsten politischen Krise ungefaehr in derselben Art schwankt wie unser sehr aehnlicher Staatspapierbau. Die ungeheure Finanzkrise, die im Verfolg der italischasiatischen Bewegungen 664f. (90) ueber den roemischen Kapitalistenstand hereinbrach, die Bankrotte des Staates und der Privaten, die allgemeine Entwertung der Grundstuecke und der Gesellschaftsparten koennen wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; wohl aber lassen im allgemeinen keinen Zweifel an ihrer Art und ihrer Bedeutung ihre Resultate: die Ermordung des Gerichtsherrn durch einen Glaeubigerhaufen, der Versuch, alle nicht von Schulden freien Senatoren aus dem Senat zu stossen, die Erneuerung des Zinsmaximum durch Sulla, die Kassation von 75 Prozent aller Forderungen durch die revolutionaere Partei. Die Folge dieser Wirtschaft war natuerlich in den Provinzen allgemeine Verarmung und Entvoelkerung, wogegen die parasitische Bevoelkerung reisender oder auf Zeit ansaessiger Italiker ueberall im Steigen war. In Kleinasien sollen an einem Tage 80000 Menschen italischer Abkunft umgekommen sein. Wie zahlreich dieselben auf Delos waren, beweisen die noch auf der Insel vorhandenen Denksteine und die Angabe, dass hier 20000 Fremde, meistens italische Kaufleute, auf Mithradates’ Befehl getoetet wurden. In Afrika waren der Italiker so viele, dass sogar die numidische Stadt Cirta hauptsaechlich durch sie gegen Jugurtha verteidigt werden konnte. Auch Gallien, heisst es, war angefuellt mit roemischen Kaufleuten; nur fuer Spanien finden sich, vielleicht nicht zufaellig, dergleichen Angaben nicht. In Italien selbst ist dagegen der Stand der freien Bevoelkerung in dieser Epoche ohne Zweifel im ganzen zurueckgegangen. Allerdings haben die Buergerkriege hierzu wesentlich mitgewirkt, welche nach allgemeingehaltenen und freilich wenig zuverlaessigen Angaben 100000 bis 150000 Koepfe von der roemischen Buergerschaft, 300000 von der italischen Bevoelkerung ueberhaupt weggerafft haben sollen; aber schlimmer wirkten der oekonomische Ruin des Mittelstandes und die masslose Ausdehnung der kaufmaennischen Emigration, die einen grossen Teil der italischen Jugend waehrend ihrer kraeftigsten Jahre im Ausland zu verweilen veranlasste. Einen Ersatz sehr zweifelhaften Wertes gewaehrte dafuer die freie parasitische hellenisch-orientalische Bevoelkerung, die als koenigliche oder Gemeindediplomaten, als Aerzte, Schulmeister, Pfaffen, Bediente, Schmarotzer und in den tausendfachen Aemtern der Industrieritterund Gaunerschaft in der Hauptstadt, als Haendler und Schiffer namentlich in Ostia, Puteoli und Brundisium verweilten. Noch bedenklicher war das unverhaeltnismaessige Steigen der Sklavenmenge auf der Halbinsel. Die italische Buergerschaft zaehlte nach der Schaetzung des Jahres 684 (70) 910000 waffenfaehige Maenner, wobei, um den Betrag der freien Bevoelkerung auf der Halbinsel zu erhalten, die in der Schaetzung zufaellig uebergangenen, die Latiner in der Landschaft zwischen den Alpen und dem Po und die in Italien domizilierten Auslaender, hinzu-, die auswaerts domizilierten roemischen Buerger dagegen abzurechnen sind. Es wird demnach kaum moeglich sein, die freie Bevoelkerung der Halbinsel hoeher als auf 6 bis 7 Mill. Koepfe anzusetzen. Wenn die damalige Gesamtbevoelkerung derselben der gegenwaertigen gleichkam, so haette man danach eine Sklavenmasse von 13 bis 14 Mill. Koepfen anzunehmen. Es bedarf indes solcher trueglichen Berechnungen nicht, um die gefaehrliche Spannung dieser Verhaeltnisse anschaulich zu machen; laut genug reden die partiellen Sklaveninsurrektionen und der seit dem Beginn der Revolutionen am Schlusse eines jeden Aufstandes erschallende Aufruf an die Sklaven, die Waffen gegen ihre Herren zu ergreifen und die Freiheit sich zu erfechten. Wenn man sich England vorstellt mit seinen Lords, seinen Squires und vor allem seiner City, aber die Freeholders und Paechter in Proletarier, die Arbeiter und Matrosen in Sklaven verwandelt, so wird man ein ungefaehres Bild der damaligen Bevoelkerung der italischen Halbinsel gewinnen. Wie im klaren Spiegel liegen die oekonomischen Verhaeltnisse dieser Epoche noch heute uns vor in dem roemischen Muenzwesen. Die Behandlung desselben zeigt durchaus den einsichtigen Kaufmann. Seit langer Zeit standen Gold und Silber als allgemeine Zahlmittel nebeneinander, so dass zwar zum Zweck allgemeiner Kassebilanzen ein festes Wertverhaeltnis zwischen beiden Metallen gesetzlich normiert war, aber doch regelmaessig es nicht freistand, ein Metall fuer das andere zu geben, sondern je nach dem Inhalt der Verschreibung in Gold oder Silber zu zahlen war. Auf diesem Wege wurden die grossen Uebelstaende vermieden, die sonst an die Aufstellung eines doppelten Wertmetalls unvermeidlich sich knuepfen; die starken Goldkrisen - wie denn zum Beispiel um 600 (150) infolge der Entdeckung der tauriskischen Goldlager das Gold gegen Silber auf einmal in Italien um 33 2/3 Prozent abschlug - wirkten wenigstens nicht direkt auf die Silbermuenze und den Kleinverkehr ein. Es lag in der Natur der Sache, dass, je mehr der ueberseeische Verkehr sich ausdehnte, desto entschiedener das Gold aus der zweiten in die erste Stelle eintrat, was denn auch die Angaben ueber die Staatskassenbestaende und die Staatskassengeschaefte bestaetigen; aber die Regierung liess sich dadurch nicht bewegen, das Gold auch in die Muenze einzufuehren. Die in der Not des Hannibalischen Krieges versuchte hatte man laengst wieder fallen lassen; die wenigen Goldstuecke, die Sulla als Regent schlug, sind kaum mehr gewesen als Gelegenheitsmuenze fuer seine Triumphalgeschenke. Nach wie vor zirkulierte als wirkliche Muenze ausschliesslich das Silber; das Gold ward, mochte es nun, wie gewoehnlich, in Barren umlaufen oder auslaendisches oder allenfalls auch inlaendisches Gepraege tragen, lediglich nach dem Gewicht genommen. Dennoch standen Gold und Silber als Verkehrsmittel gleich, und die betruegliche Legierung des Goldes wurde gleich der Praegung falscher Silbermuenzen rechtlich als Muenzvergehen betrachtet. Man erreichte hierdurch den unermesslichen Vorteil, bei dem wichtigsten Zahlmittel selbst die Moeglichkeit der Muenzdefraude und Muenzveruntreuung abzuschneiden. uebrigens war die Muenzpraegung ebenso reichlich wie musterhaft. Nachdem im Hannibalischen Kriege das Silberstueck von 1/72 auf 1/84 Pfund reduziert worden war, ist dasselbe mehr als drei Jahrhunderte hindurch vollkommen gleich schwer und gleich fein geblieben; eine Legierung fand nicht statt. Die Kupfermuenze wurde um den Anfang dieser Periode voellig zur Scheidemuenze und hoerte auf, wie frueher, im Grossverkehr gebraucht zu werden; aus diesem Grunde wurde etwa seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts der As nicht mehr geschlagen und die Kupferpraegung beschraenkt auf die im Silber nicht fueglich herzustellenden Kleinwerte von einem Semis (fast 3 Pfennig) und darunter. Die Muenzsorten waren nach einem einfachen Prinzip geordnet und in der damals kleinsten Muenze gewoehnlicher Praegung, dem Quadrans (1« Pfennig), hinabgefuehrt bis an die Grenze der fuehlbaren Werte. Es war ein Muenzsystem, das an prinzipieller Verstaendigkeit der Grundlagen wie an eisern strenger Durchfuehrung derselben im Altertum einzig dasteht und auch in der neueren Zeit nur selten erreicht worden ist. Doch hat auch dies seinen wunden Fleck. Nach einer im ganzen Altertum gemeinen, in ihrer hoechsten Entwicklung in Karthago auftretenden Sitte gab auch die roemische Regierung mit den guten silbernen Denaren zugleich kupferne, mit Silber plattierte aus, welche gleich jenen genommen werden mussten und nichts waren als ein unserem Papiergeld analoges Zeichengeld mit Zwangskurs und Fundierung auf die Staatskasse, insofern auch diese nicht befugt war, die plattierten Stuecke zurueckzuweisen. Eine offizielle Falschmuenzerei war dies so wenig wie unsere Papiergeldfabrikation, da man die Sache ganz offen betrieb: Marcus Drusus beantragte 663 (91), um die Mittel fuer seine Kornspenden zu gewinnen, die Emission von einem plattierten auf je sieben silberne, neu aus der Muenze hervorgehende Denare; allein nichtsdestoweniger bot diese Massregel nicht bloss der privaten Falschmuenzerei eine bedenkliche Handhabe, sondern sie liess auch das Publikum absichtlich darueber im ungewissen, ob es Silberoder Zeichengeld empfange und in welchem Gesamtbetrag das letztere in Umlauf sei. In der bedraengten Zeit des Buergerkrieges und der grossen finanziellen Krise scheint man der Planierung sich so ueber die Gebuehr bedient zu haben, dass zu der Finanzkrise eine Muenzkrise sich gesellte und die Masse der falschen und faktisch entwerteten Stuecke den Verkehr hoechst unsicher machte. Deshalb wurde waehrend des Cinnanischen Regiments von den Praetoren und Tribunen, zunaechst von Marcus Marius Gratidianus, die Einloesung des saemtlichen Zeichengeldes durch Silbergeld verfuegt und zu dem Ende ein Probierbuero eingerichtet. Inwieweit die Aufrufung durchgefuehrt ward, ist nicht ueberliefert; die Zeichengeldpraegung selbst blieb bestehen. Was die Provinzen anlangt, so ward in Gemaessheit der grundsaetzlichen Beseitigung der Goldmuenze die Goldpraegung nirgends, auch in den Klientelstaaten nicht gestattet; so dass die Goldpraegung in dieser Zeit nur vorkommt, wo Rom gar nichts zu sagen hatte, namentlich bei den Kelten nordwaerts von den Cevennen und bei den gegen Rom sich auflehnenden Staaten, wie denn die Italiker sowohl wie auch Mithradates Eupator Goldmuenzen schlugen. Auch die Silberpraegung zeigt die Regierung sich bestrebt, mehr und mehr in ihre Hand zu bringen, vornehmlich im Westen. In Afrika und Sardinien mag die karthagische Goldund Silbermuenze auch nach dem Sturz des karthagischen Staats im Umlauf geblieben sein; aber geschlagen wurde daselbst in Edelmetallen weder auf karthagischen noch auf roemischen Fuss, und sicher hat sehr bald nach der Besitzergreifung der Roemer auch in dem Verkehr beider Landschaften der von Italien eingefuehrte Denar das Uebergewicht erhalten. In Spanien und Sizilien, die frueher an Rom gekommen sind und ueberhaupt eine mildere Behandlung erfuhren, ist zwar unter roemischer Herrschaft in Silber gepraegt, ja in dem ersteren Lande die Silberpraegung erst durch die Roemer und auf roemischen Fuss ins Leben gerufen worden; aber es sind gute Gruende vorhanden fuer die Annahme, dass auch in diesen beiden Landschaften wenigstens seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts die provinziale und staedtische Praegung sich auf die kupferne Scheidemuenze hat beschraenken muessen. Nur im Narbonesischen Gallien konnte der altverbuendeten und ansehnlichen Freistadt Massalia das Recht der Silberpraegung nicht entzogen werden; und dasselbe gilt vermutlich von den illyrischen Griechenstaedten Apollonia und Dyrrhachion. Indes beschraenkte man doch diesen Gemeinden indirekt ihr Muenzrecht dadurch, dass der Dreivierteldenar, der nach Anordnung der roemischen Regierung dort wie hier gepraegt ward und der unter dem Namen des Victoriatus in das roemische Muenzsystem aufgenommen worden war, um die Mitte des 7. Jahrhunderts in diesem beseitigt ward; wovon die Folge sein musste, dass das massaliotische und illyrische Courant aus Oberitalien verdraengt wurde und ausser seinem einheimischen Gebiete nur noch etwa in den Alpenund Donaulandschaften gangbar blieb. So weit war man also bereits in dieser Epoche, dass in der gesamten Westhaelfte des roemischen Staates der Denarfuss ausschliesslich herrschte: denn Italien, Sizilien - von dem es fuer den Anfang der naechsten Epoche ausdruecklich bezeugt ist, dass daselbst kein anderes Silbergeld umlief als der Denar -, Sardinien, Afrika brauchten ausschliesslich roemisches Silbergeld, und das in Spanien noch umlaufende Provinzialsilber sowie die Silbermuenze der Massalioten und Illyriker war wenigstens auf Denarfuss geschlagen. Anders war es im Osten. Hier, wo die Zahl der seit alter Zeit muenzenden Staaten und die Masse der umlaufenden Landesmuenze sehr ansehnlich war, drang der Denar nicht in groesserem Umfang ein, wenn er auch vielleicht gesetzlich gangbar erklaert ward: vielmehr blieb hier entweder der bisherige Muenzfuss, wie zum Beispiel Makedonien noch als Provinz, wenn auch teilweise mit Hinzufuegung der Namen von roemischen Beamten zu dem der Landschaft, seine attischen Tetradrachmen geschlagen und gewiss wesentlich kein anderes Geld gebracht hat; oder es wurde unter roemischer Autoritaet ein den Verhaeltnissen entsprechender eigentuemlicher Muenzfuss neu eingefuehrt, wie denn bei der Einrichtung der Provinz Asia derselben ein neuer Stater, der sogenannte Cistophorus, von der roemischen Regierung geordnet und dieser seitdem von den Bezirkshauptstaedten daselbst unter roemischer Oberaufsicht geschlagen ward. Diese wesentliche Verschiedenheit des okzidentalischen und des orientalischen Muenzwesens ist von der groessten geschichtlichen Bedeutung geworden: die Romanisierung der unterworfenen Laender hat in der Annahme der roemischen Muenze einen ihrer wichtigsten Hebel gefunden, und es ist kein Zufall, dass dasjenige, was wir in dieser Epoche als Gebiet des Denars bezeichnet haben, spaeterhin zu der lateinischen, dagegen das Gebiet der Drachme spaeterhin zu der griechischen Reichshaelfte geworden ist. Noch heutigentags stellt jenes Gebiet im wesentlichen den Inbegriff der romanischen Kultur dar, waehrend dieses dagegen aus der europaeischen Zivilisation sich ausgeschieden hat. Wie bei solchen oekonomischen Zustaenden die sozialen Verhaeltnisse sich gestalten mussten, ist im allgemeinen leicht zu ermessen, die Steigerung aber des Raffinements, der Preise, des Ekels und der Leere im besonderen zu verfolgen weder erfreulich noch lehrreich. Verschwendung und sinnlicher Genuss war die Losung ueberall, bei den Parvenus so gut wie bei den Liciniern und Metellern; nicht der feine Luxus gedieh, der die Bluete der Zivilisation ist, sondern derjenige, der in der verkommenden hellenischen Zivilisation Kleinasiens und Alexandreias sich entwickelt hatte, der alles Schoene und Bedeutende zur Dekoration entadelte und auf den Genuss studierte mit einer muehseligen Pedanterie, einer zopfigen Tueftelei, die ihn dem sinnlich wie dem geistig frischen Menschen gleich ekelhaft macht. Was die Volksfeste anlangt, so wurde, es scheint um die Mitte dieses Jahrhunderts, durch einen von Gnaeus Aufidius beantragten Buergerschluss die in der catonischen Zeit untersagte Einfuhr ueberseeischer Bestien foermlich wieder gestattet, wodurch denn die Tierhetzen in schwunghaften Betrieb kamen und ein Hauptstueck der Buergerfeste wurden. Um 651 (103) erschienen in der roemischen Arena zuerst mehrere Loewen, 655 (99) die ersten Elefanten; 661 (93) liess Sulla als Praetor schon hundert Loewen auftreten. Dasselbe gilt von den Fechterspielen. Wenn die Altvordern die Bilder grosser Schlachten oeffentlich ausgestellt hatten, so fingen die Enkel an, dasselbe von ihren Gladiatorenspielen zu tun und mit solchen Hauptund Staatsaktionen der Zeit sich selber vor den Nachkommen zu verspotten. Welche Summen dafuer und fuer die Begraebnisfeierlichkeiten ueberhaupt aufgingen, kann man aus dem Testament des Marcus Aemilius Lepidus (Konsul 567, 579 187, 175; + 592 152) abnehmen; derselbe befahl seinen Kindern, da die wahrhafte letzte Ehre nicht in leerem Gepraenge, sondern in der Erinnerung an die eigenen und der Ahnen Verdienste bestehe, auf seine Bestattung nicht mehr als 1 Mill. Asse (76000 Taler) zu verwenden. Auch der Bauund Gartenluxus war im Steigen; das prachtvolle und namentlich wegen der alten Baeume des Gartens beruehmte Stadthaus des Redners Crassus (+ 663 91) ward mit den Baeumen auf 6 Mill. Sesterzen (457000 Taler), ohne diese auf die Haelfte geschaetzt, waehrend der Wert eines gewoehnlichen Wohnhauses in Rom etwa auf 60000 Sesterzen (4600 Taler) angeschlagen werden kann 6. Wie rasch die Preise der Luxusgrundstuecke stiegen, zeigt das Beispiel der Misenischen Villa, die Cornelia, die Mutter der Gracchen, fuer 75000 Sesterzen (5700 Taler), Lucius Lucullus, Konsul 680 (74) um den dreiunddreissigfachen Preis erstand. Die Villenbauten und das raffinierte Landund Badeleben machten Baiae und ueberhaupt die Umgegend des Golfs von Neapel zum Eldorado des vornehmen Muessiggangs. Die Hasardspiele, bei denen es keineswegs mehr, wie bei dem italischen Knoechelspiel, um Nuesse ging, wurden gemein und schon 639 (115) ein zensorisches Edikt dagegen erlassen. Gazestoffe, die die Formen mehr zeigten als verhuellten, und seidene Kleider fingen an, bei Frauen und selbst bei Maennern die alten wollenen Roecke zu verdraengen. Gegen die rasende Verschwendung, die mit auslaendischen Parfuemerien getrieben ward, stemmten sich vergeblich die Aufwandgesetze. Aber der eigentliche Glanzund Brennpunkt dieses vornehmen Lebens war die Tafel. Man bezahlte Schwindelpreise - bis 100000 Sesterzen (7600 Taler) - fuer einen ausgesuchten Koch; man baute mit Ruecksicht darauf und versah namentlich die Landhaeuser an der Kueste mit eigenen Salzwasserteichen, um Seefische und Austern jederzeit frisch auf die Tafel liefern zu koennen; man nannte es schon ein elendes Diner, wenn das Gefluegel ganz und nicht bloss die erlesenen Stuecke den Gaesten vorgelegt wurden und wenn diesen zugemutet ward, von den einzelnen Gerichten zu essen und nicht bloss zu kosten; man bezog fuer schweres Geld auslaendische Delikatessen und griechischen Wein, der bei jeder anstaendigen Mahlzeit wenigstens einmal herumgereicht werden musste. Vor allem bei der Tafel glaenzte die Schar der Luxussklaven, die Kapelle, das Ballett, das elegante Mobiliar, die goldstrotzenden oder gemaeldeartig gestickten Teppiche, die Purpurdecken, das antike Bronzegeraet, das reiche Silbergeschirr. Hiergegen zunaechst richteten sich die Luxusgesetze, die haeufiger (593, 639, 665, 673 161, 115, 89, 82) und ausfuehrlicher als je ergingen: eine Menge Delikatessen und Weine wurden darin gaenzlich untersagt, fuer andere nach Gewicht und Preis ein Maximum festgesetzt, ebenso die Quantitaet des silbernen Tafelgeschirrs gesetzlich beschraenkt, endlich allgemeine Maximalbetraege der Kosten der gewoehnlichen und der Festtagsmahlzeit vorgeschrieben, zum Beispiel 593 (161) von 10 und 100 (17« Groschen und 5« Taler), 673 (81) von 30 und 300 Sesterzen (1 Taler, 22 Groschen und 17 Taler). Zur Steuer der Wahrheit muss leider hinzugefuegt werden, dass von allen vornehmen Roemern nicht mehr als drei, und zwar keineswegs die Gesetzgeber selber, diese staatlichen Gesetze befolgt haben sollen; auch diesen dreien aber beschnitt nicht das Gesetz des Staates den Kuechenzettel, sondern das der Stoa. Es lohnt der Muehe, einen Augenblick noch bei dem trotz all dieser Gesetze steigenden Luxus im Silbergeraet zu verweilen. Im sechsten Jahrhundert war silbernes Tafelgeschirr mit Ausnahme des althergebrachten silbernen Salzfasses eine Ausnahme; die karthagischen Gesandtschaften spotteten darueber, dass sie in jedem Hause, wo man sie eingeladen, dasselbe silberne Tafelgeraet wiedergefunden haetten. Noch Scipio Aemilianus besass nicht mehr als 32 Pfund (800 Taler) an verarbeitetem Silber; sein Neffe Quintus Fabius (Konsul 633 121) brachte es zuerst auf 1000 (25 000 Taler), Marcus Drusus (Volkstribun 633 121) schon auf 10000 Pfund (250000 Taler); in Sullas Zeit zaehlte man in der Hauptstadt bereits gegen 150 hundertpfuendige silberne Prachtschuesseln, von denen manche ihren Besitzer auf die Proskriptionsliste brachte. Um die hierfuer verschwendeten Summen zu ermessen, muss man sich erinnern, dass auch die Arbeit schon mit ungeheuren Preisen bezahlt ward, wie denn fuer ausgezeichnetes Silbergeraet Gaius Gracchus den fuenfzehn-, Lucius Crassus (Konsul 659 95) den achtzehnfachen Metallwert bezahlte, der letztere fuer ein Becherpaar eines namhaften Silberarbeiters 100 000 Sesterzen (7600 Taler) gab. So war es verhaeltnismaessig ueberall. Wie es um Ehe und Kinderzeugung stand, zeigen schon die Gracchischen Ackergesetze, die zuerst darauf eine Praemie setzten. Die Scheidung, einst in Rom fast unerhoert, war jetzt ein alltaegliches Ereignis; wenn bei der aeltesten roemischen Ehe der Mann die Frau gekauft hatte, so haette man den jetzigen vornehmen Roemern vorschlagen moegen, um zu der Sache auch den Namen zu haben, eine Ehemiete einzufuehren. Selbst ein Mann .wie Metellus Macedonicus, der durch seine ehrenwerte Haeuslichkeit und seine zahlreiche Kinderschar die Bewunderung seiner Zeitgenossen war, schaerfte als Zensor 623 (131) den Buergern die Pflicht, im Ehestande zu leben, in der Art ein, dass er denselben bezeichnete als eine drueckende, aber von den Patrioten pflichtmaessig zu uebernehmende oeffentliche Last. 7 --------------------------------------- 6 In dem Hause, das Sulla als junger Mann bewohnte, zahlte er fuer das Erdgeschoss 3000, der Mieter des obern Stockes 2000 Sesterzen Miete (Plut. Sull. 1), was zu 2/3 des gewoehnlichen Kapitalzinses kapitalisiert, ungefaehr den obigen Betrag ergibt. Dies war eine wohlfeile Wohnung. Wenn ein hauptstaedtischer Mietzins von 6000 Sesterzen (460 Taler) fuer das Jahr 629 (125) ein hoher genannt wird (Vell. 1, 10), so muessen dabei besondere Umstaende obgewaltet haben. 7 "Wenn wir koennten, ihr Buerger", hiess es in seiner Rede, wuerden wir freilich alle von dieser Last uns befreien. Da aber die Natur es so eingerichtet hat, dass weder mit den Frauen sich bequem, noch ohne die Frauen ueberhaupt sich leben laesst, so ziemt es sich auf dauernde Wohlfahrt mehr zu sehen als auf kurzes Wohlleben." -------------------------------------- Allerdings gab es Ausnahmen. Die landstaedtischen Kreise, namentlich die der groesseren Gutsbesitzer, hatten die alte ehrenwerte latinische Nationalsitte treuer bewahrt. In der Hauptstadt aber war die catonische Opposition zur Phrase geworden; die moderne Richtung herrschte souveraen und, wenn auch einzelne fest und fein organisierte Naturen, wie Scipio Aemilianus, roemische Sitte mit attischer Bildung zu vereinigen wussten, war doch bei der grossen Menge der Hellenismus gleichbedeutend mit geistiger und sittlicher Verderbnis. Den Rueckschlag dieser sozialen Uebelstaende auf die politischen Verhaeltnisse darf man niemals aus den Augen verlieren, wenn man die roemische Revolution verstehen will. Es war nicht gleichgueltig, dass von den beiden vornehmen Maennern, die im Jahre 662 (92) als oberste Sittenmeister der Gemeinde fungierten, der eine dem andern oeffentlich vorrueckte, dass er einer Muraene, dem Stolz seines Fischteichs, bei ihrem Tode Traenen nachgeweint habe, und dieser wieder jenem, dass er drei Frauen begraben und um keine eine Traene geweint habe. Es war nicht gleichgueltig, dass im Jahre 593 (161) auf offenem Markt ein Redner folgende Schilderung eines senatorischen Zivilgeschworenen zum besten geben konnte, den der angesetzte Termin in dem Kreise seiner Zechbrueder findet. "Sie spielen Hasard, fein parfuemiert, die Maetressen um sie herum. Wie der Nachmittag herankommt, lassen sie den Bedienten kommen und heissen ihn auf der Dingstaette sich umhoeren, was auf dem Markt vorgefallen sei, wer fuer und wer gegen den neuen Gesetzvorschlag gesprochen, welche Distrikte dafuer, welche dagegen gestimmt haetten. Endlich gehen sie selbst auf den Gerichtsplatz, eben frueh genug, um sich den Prozess nicht selbst auf den Hals zu ziehen. Unterwegs ist in keinem Winkelgaesschen eine Gelegenheit, die sie nicht benutzen, denn sie haben sich den Leib voll Wein geschlagen. Verdrossen kommen sie auf die Dingstaette und geben den Parteien das Wort. Die, die es angeht, tragen ihre Sache vor. Der Geschworene heisst die Zeugen auftreten; er selbst geht beiseite. Wie er zurueckkommt, erklaert er alles gehoert zu haben und fordert die Urkunden. Ersieht hinein in die Schriften; kaum haelt er vor Wein die Augen auf. Wie er sich dann zurueckzieht, das Urteil auszufuellen, laesst er zu seinen Zechbruedern sich vernehmen: ’Was gehen mich die langweiligen Leute an? Warum gehen wir nicht lieber einen Becher Suessen mit griechischem Wein trinken und essen dazu einen fetten Krammetsvogel und einen guten Fisch, einen veritablen Hecht von der Tiberinsel?’" Die den Redner hoerten, lachten; aber war es nicht auch sehr ernsthaft, dass dergleichen Dinge belacht wurden? 12. Kapitel Nationalitaet, Religion, Erziehung In dem grossen Kampfe der Nationalitaeten innerhalb des weiten Umfangs des Roemischen Reiches erscheinen die sekundaeren Nationen in dieser Zeit im Zurueckweichen oder im Verschwinden. Die bedeutendste unter allen, die phoenikische, empfing durch die Zerstoerung Karthagos die Todeswunde, an der sie sich langsam verblutet hat. Die Landschaften Italiens, die ihre alte Sprache und Sitte bis dahin noch gewahrt hatten, Etrurien und Samnium, wurden nicht bloss von den schwersten Schlaegen der Sullanischen Reaktion getroffen, sondern die politische Nivellierung Italiens noetigte ihnen auch im oeffentlichen Verkehr die lateinische Sprache und Weise auf und drueckte die alten Landessprachen herab zu rasch verkuemmernden Volksdialekten. Nirgendmehr erscheint im ganzen Umfange des roemischen Staates eine Nationalitaet als befugt, mit der roemischen und der griechischen auch nur zu ringen. Dagegen ist extensiv wie intensiv die latinische Nationalitaet im entschiedensten Aufschwung. Wie seit dem Bundesgenossenkrieg jedes italische Grundstueck jedem Italiker zu vollem roemischen Eigen zustehen, jeder italische Tempelgott roemische Gabe empfangen kann, wie in ganz Italien mit Ausnahme der transpadanischen Landschaft seitdem das roemische Recht mit Beseitigung aller anderen Stadtund Landrechte ausschliesslich gilt: so ist damals die roemische Sprache auch die allgemeine Geschaeftsund bald gleichfalls die allgemeine Sprache des gebildeten Verkehrs auf der ganzen Halbinsel von den Alpen bis zur Meerenge geworden. Aber sie beschraenkte sich schon nicht mehr auf diese natuerlichen Grenzen. Die in Italien zusammenstroemende Kapitalmasse, der Reichtum seiner Produkte, die Intelligenz seiner Landwirte, die Gewandtheit seiner Kaufleute fand keinen hinreichenden Spielraum auf der Halbinsel; hierdurch und durch den oeffentlichen Dienst wurden die Italiker massenweise in die Provinzen gefuehrt. Ihre privilegierte Stellung daselbst privilegierte auch die roemische Sprache und das roemische Recht, selbst wo nicht bloss Roemer miteinander verkehrten; ueberall standen die Italiker zusammen als festgeschlossene und organisierte Massen, die Soldaten in ihren Legionen, die Kaufleute jeder groesseren Stadt als eigene Korporationen, die in dem einzelnen provinzialen Gerichtssprengel domizilierten oder verweilenden roemischen Buerger als "Kreise" (conventus civium Romanorum) mit ihrer eigenen Geschworenenliste und gewissermassen mit Gemeindeverfassung; und wenn auch diese provinzialen Roemer regelmaessig frueher oder spaeter nach Italien zurueckgingen, so bildete sich dennoch allmaehlich aus ihnen der Stamm einer festen, teils roemischen, teils an die roemische sich anlehnenden Mischbevoelkerung der Provinzen. Dass in Spanien, wo das roemische Heer zuerst stehend ward, auch zuerst eigene Provinzialstaedte italischer Verfassung, Carteia 583 (171), Valentia 616 (133), spaeter Palma und Pollentia organisiert worden sind, ward bereits erwaehnt. Wenn das Binnenland noch wenig zivilisiert war, das Gebiet der Vaccaeer zum Beispiel noch lange nach dieser Zeit unter den rauhesten und widerwaertigsten Aufenthaltsorten fuer den gebildeten Italiker genannt wird, so bezeugen dagegen Schriftsteller und Inschriftsteine, dass schon um die Mitte des siebenten Jahrhunderts um Neukarthago und sonst an der Kueste die lateinische Sprache in gemeinem Gebrauch war. In bewusster Weise entwickelte zuerst Gaius Gracchus den Gedanken, die Provinzen des roemischen Staats durch die italische Emigration zu kolonisieren, das heisst zu romanisieren, und legte Hand an die Ausfuehrung desselben; und obgleich die konservative Opposition gegen den kuehnen Entwurf sich auflehnte, die gemachten Anfaenge groesstenteils zerstoerte und die Fortfuehrung hemmte, so blieb doch die Kolonie Narbo erhalten, schon an sich eine bedeutende Erweiterung des lateinischen Sprachgebiets und noch bei weitem wichtiger als der Merkstein eines grossen Gedankens, der Grundstein eines gewaltigen kuenftigen Baues. Der antike Gallizismus, ja das heutige Franzosentum sind von dort ausgegangen und in ihrem letzten Grunde Schoepfungen des Gaius Gracchus. Aber die latinische Nationalitaet erfuellte nicht bloss die italischen Grenzen und fing an sie zu ueberschreiten, sondern sie gelangte auch in sich zu tieferer geistiger Begruendung. Wir finden sie im Zuge, eine klassische Literatur, einen eigenen hoeheren Unterricht sich zu schaffen; und wenn man im Vergleich mit den hellenischen Klassikern und der hellenischen Bildung sich versucht fuehlen kann, die schwaechliche italische Treibhausproduktion gering zu achten, so kam es doch fuer die geschichtliche Entwicklung zunaechst weit weniger darauf an, wie die lateinische klassische Literatur und die lateinische Bildung, als darauf, dass sie neben der griechischen stand; und herabgekommen wie die gleichzeitigen Hellenen auch literarisch waren, durfte man wohl das Wort des Dichters auch hier anwenden, dass der lebendige Tageloehner mehr ist als der tote Achill. Wie rasch und ungestuem aber die lateinische Sprache und Nationalitaet vorwaerts dringt, sie erkennt zugleich die hellenische an als durchaus gleich, ja frueher und besser berechtigt und tritt mit dieser ueberall in das engste Buendnis oder durchdringt sich mit ihr zu gemeinschaftlicher Entwicklung. Die italische Revolution, die sonst alle nichtlatinischen Nationalitaeten auf der Halbinsel nivellierte, ruehrte nicht an die Griechenstaedte Tarent, Rhegion, Neapolis, Lokri. Ebenso blieb Massalia, obwohl jetzt umschlossen von roemischem Gebiet, fortwaehrend eine griechische Stadt und eben als solche fest verbunden mit Rom. Mit der vollstaendigen Latinisierung Italiens ging die steigende Hellenisierung Hand in Hand. In den hoeheren Schichten der italischen Gesellschaft wurde die griechische Bildung zum integrierenden Bestandteil der eigenen. Der Konsul des Jahres 623 (131), der Oberpontifex Publius Crassus, erregte des Staunen selbst der geborenen Griechen, da er als Statthalter von Asia seine gerichtlichen Entscheidungen, wie der Fall es erforderte, bald in gewoehnlichem Griechisch abgab, bald in einem der vier zu Schriftsprachen gewordenen Dialekte. Und wenn die italische Literatur und Kunst laengst unverwandt nach Osten blickten, so begann jetzt auch die hellenische das Antlitz nach Westen zu wenden. Nicht bloss die griechischen Staedte in Italien blieben fortwaehrend zu regem geistigen Verkehr mit Griechenland, Kleinasien, Aegypten und goennten den dort gefeierten griechischen Poeten und Schauspielern auch bei sich den gleichen Verdienst und die gleichen Ehren; auch in Rom kamen, nach dem von dem Zerstoerer Korinths bei seinem Triumph 608 (146) gegebenen Beispiel, die gymnastischen und musischen Spiele der Griechen: Wettkaempfe im Ringen sowie im Musizieren, Spielen, Rezitieren und Deklamieren in Aufnahme ^1. Die griechischen Literaten schlugen schon ihre Faeden bis in die vornehme roemische Gesellschaft, vor allem in den Scipionischen Kreis, dessen hervorragende griechische Mitglieder, der Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panaetios, bereits mehr der roemischen als der griechischen Entwicklungsgeschichte angehoeren. Aber auch in anderen, minderhochstehenden Zirkeln begegnen aehnliche Beziehungen. Wir gedenken eines anderen Zeitgenossen Scipios, des Philosophen Kleitomachos, weil in seinem Leben zugleich die gewaltige Voelkermischung dieser Zeit sinnlich vor das Auge tritt: ein geborener Karthager, sodann in Athen Zuhoerer des Karneades und spaeter dessen Nachfolger in seiner Professur, verkehrte er von Athen aus mit den gebildetsten Maennern Italiens, dem Historiker Aulus Albinus und dem Dichter Lucilius, und widmete teils dem roemischen Konsul, der die Belagerung Karthagos eroeffnete, Lucius Censorinus, ein wissenschaftliches Werk, teils seinen als Sklaven nach Italien gefuehrten Mitbuergern eine philosophische Trostschrift. Hatten namhafte griechische Literaten bisher wohl voruebergehend als Gesandte, Verbannte oder sonstwie ihren Aufenthalt in Rom genommen, so fingen sie jetzt schon an, dort sich niederzulassen; wie zum Beispiel der schon genannte Panaetios in Scipios Hause lebte, und der Hexametermacher Archias von Antiocheia im Jahre 652 (102) sich in Rom niederliess und von der Improvisierkunst und von Heldengedichten auf roemische Konsulare sich anstaendig ernaehrte. Sogar Gaius Marius, der schwerlich von seinem Carmen eine Zeile verstand und ueberhaupt zum Maezen moeglichst uebel sich schickte, konnte nicht umhin, den Verskuenstler zu patronisieren. Waehrend also das geistige und literarische Leben wenn nicht die reineren, doch die vornehmeren Elemente der beiden Nationen miteinander in Verbindung brachte, flossen andererseits durch das massenhafte Eindringen der kleinasiatischen und syrischen Sklavenscharen und durch die kaufmaennische Einwanderung aus dem griechischen und halbgriechischen Osten die rohesten und stark mit orientalischen und ueberhaupt barbarischen Bestandteilen versetzten Schichten des Hellenismus zusammen mit dem italischen Proletariat und gaben auch diesem eine hellenische Faerbung. Die Bemerkung Ciceros, dass neue Sprache und neue Weise zuerst in den Seestaedten aufkommt, duerfte zunaechst auf das halbhellenische Wesen in Ostia, Puteoli und Brundisium sich beziehen, wo mit der fremden Ware auch die fremde Sitte zuerst Eingang und von da aus weiteren Vertrieb fand. --------------------------------------------------- ^1 Dass vor 608 (146) keine "griechischen Spiele" in Rom gegeben seien (Tac. ann. 14, 21), ist nicht genau; schon 568 (186) traten griechische "Kuenstler" (technitai) und Athleten (Liv. 39, 22), 587 (167) griechische Floetenspieler, Tragoeden und Faustkaempfer auf (Polyb. 30, 13). -------------------------------------------------- Das unmittelbare Resultat dieser vollstaendigen Revolution in den Nationalitaetsverhaeltnissen war allerdings nichts weniger als erfreulich. Italien wimmelte von Griechen, Syrern, Phoenikern, Juden, Aegyptern, die Provinzen von Roemern; die scharf ausgepraegten Volkstuemlichkeiten rieben sich ueberall aneinander und verschliffen sich zusehends; es schien nichts uebrigbleiben zu sollen als der allgemeine Charakter der Vernutzung. Was das lateinische Wesen an Ausdehnung gewann, verlor es an Frische; vor allem in Rom selbst, wo der Mittelstand am fruehesten und vollstaendigsten verschwand und nichts uebrig blieb als die grossen Herren und die Bettler, beide in gleichem Masse Kosmopoliten. Cicero versichert, dass um 660 (190) die allgemeine Bildung in den launischen Staedten hoeher gestanden habe als in Rom; dies bestaetigt die Literatur dieser Zeit, deren erfreulichste, gesundeste und eigentuemlichste Erzeugnisse, wie die nationale Komoedie und die Lucilische Satire, mit groesserem Recht latinisch heissen als roemisch. Dass der italische Hellenismus der unteren Schichten in der Tat nichts war als ein zugleich mit allen Auswuechsen der Kultur und mit oberflaechlich uebertuenchter Barbarei behafteter widerwaertiger Kosmopolitismus, versteht sich von selbst; aber auch fuer die bessere Gesellschaft blieb der feine Sinn des Scipionischen Kreises nicht auf die Dauer massgebend. Je mehr die Masse der Gesellschaft anfing, sich fuer das griechische Wesen zu interessieren, desto entschiedener griff sie statt zu der klassischen Literatur vielmehr zu den modernsten und frivolsten Erzeugnissen des griechischen Geistes; statt im hellenischen Sinn das roemische Wesen zu gestalten, begnuegte man sich mit Entlehnung desjenigen Zeitvertreibs, der den eigenen Geist moeglichst wenig in Taetigkeit setzte. In diesem Sinn aeusserte der arpinatische Gutsbesitzer Marcus Cicero, der Vater des Redners, dass der Roemer, wie der syrische Sklave, immer um so weniger tauge, je mehr er griechisch verstehe. Diese nationale Dekomposition ist unerquicklich wie die ganze Zeit, aber auch wie diese bedeutsam und folgenreich. Der Voelkerkreis, den wir die alte Welt zu nennen gewohnt sind, schreitet fort von der aeusserlichen Einigung unter der Machtgewalt Roms zu der inneren unter der Herrschaft der modernen, wesentlich auf hellenischen Elementen ruhenden Bildung. Ueber den Truemmern der Voelkerschaften zweiten Ranges vollzieht sich zwischen den beiden herrschenden Nationen stillschweigend der grosse geschichtliche Kompromiss; die griechische und die lateinische Nationalitaet schliessen miteinander Frieden. Auf dem Gebiete der Bildung verzichten die Griechen, auf dem politischen die Roemer auf ihre exklusive Sprachherrschaft; im Unterricht wird dem Latein eine freilich beschraenkte und unvollstaendige Gleichstellung mit dem Griechischen eingeraeumt; andererseits gestattet zuerst Sulla den fremden Gesandten, vor dem roemischen Senat ohne Dolmetscher griechisch zu reden. Die Zeit kuendigt sich an, wo das roemische Gemeinwesen in einen zwiesprachigen Staat uebergehen und der rechte Erbe des Thrones und der Gedanken Alexanders des Grossen im Westen aufstehen wird, zugleich ein Roemer und ein Grieche. Was schon der Ueberblick der nationalen Verhaeltnisse also zeigt, die Unterdrueckung der sekundaeren und die gegenseitige Durchdringung der beiden primaeren Nationalitaeten, das ist im Gebiete der Religion, der Volkserziehung, der Literatur und der Kunst noch im einzelnen genauer darzulegen. Die roemische Religion war mit dem roemischen Gemeinwesen und dem roemischen Haushalt so innig verwachsen, so gar nichts anderes als die fromme Widerspiegelung der roemischen Buergerwelt, dass die politische und soziale Revolution notwendigerweise auch das Religionsgebaeude ueber den Haufen warf. Der alte italische Volksglaube stuerzt zusammen; ueber seinen Truemmern erheben sich, wie ueber den Truemmern des politischen Gemeinwesens Oligarchie und Tyrannis, so auf der einen Seite der Unglaube, die Staatsreligion, der Hellenismus, auf der anderen der Aberglaube, das Sektenwesen, die Religion der Orientalen. Allerdings gehen die Anfaenge von beiden, wie ja auch die Anfaenge der politisch-sozialen Revolution, bereits in die vorige Epoche zurueck. Schon damals ruettelte die hellenische Bildung der hoeheren Kreise im stillen an dem Glauben der Vaeter; schon Ennius buergerte die Allegorisierung und Historisierung der hellenischen Religion in Italien ein; schon der Senat, der Hannibal bezwang, musste die Uebersiedlung des kleinasiatischen Kybelekults nach Rom gutheissen und gegen anderen noch schlimmeren Aberglauben, namentlich das bakchische Muckertum, aufs ernstlichste einschreiten. Indes wie ueberhaupt in der vorhergehenden Periode die Revolution mehr in den Gemuetern sich vorbereitete als aeusserlich sich vollzog, so ist auch die religioese Umwaelzung im wesentlichen dort erst das Werk der gracchischen und sullanischen Zeit. Versuchen wir zunaechst die an den Hellenismus sich anlehnende Richtung zu verfolgen. Die hellenische Nation, weit frueher als die italische erblueht und abgeblueht, hatte laengst die Epoche des Glaubens durchmessen und seitdem sich ausschliesslich bewegt auf dem Gebiet der Spekulation und Reflexion; seit langem gab es dort keine Religion mehr, sondern nur noch Philosophie. Aber auch die philosophische Taetigkeit des hellenischen Geistes hatte, als sie auf Rom zu wirken begann, die Epoche der produktiven Spekulation bereits weit hinter sich und war in dem Stadium angekommen, wo nicht bloss keine wahrhaft neuen Systeme mehr entstehen, sondern wo auch die Fassungskraft fuer die vollkommensten der aelteren zu schwinden beginnt und man auf die schulmaessige und bald scholastische Ueberlieferung der unvollkommneren Philosopheme der Vorfahren sich beschraenkt; in dem Stadium also, wo die Philosophie, statt den Geist zu vertiefen und zu befreien, vielmehr ihn verflacht und ihn in die schlimmsten aller Fesseln, die selbstgeschmiedeten, schlaegt. Der Zaubertrank der Spekulation, immer gefaehrlich, ist, verduennt und abgestanden, sicheres Gift. So schal und verwaessert reichten die gleichzeitigen Griechen ihn den Roemern, und diese verstanden weder ihn zurueckzuweisen noch von den lebenden Schulmeistern auf die toten Meister zurueckzugehen. Platon und Aristoteles, um von den vorsokratischen Weisen zu schweigen, sind ohne wesentlichen Einfluss auf die roemische Bildung geblieben, wenngleich die erlauchten Namen gern genannt, ihre fasslicheren Schriften auch wohl gelesen und uebersetzt wurden. So wurden denn die Roemer in der Philosophie nichts als schlechter Lehrer schlechtere Schueler. Ausser der historisch-rationalistischen Auffassung der Religion, welche die Mythen aufloeste in Lebensbeschreibungen verschiedener in grauer Vorzeit lebender Wohltaeter des Menschengeschlechtes, aus denen der Aberglaube Goetter gemacht habe, oder dem sogenannten Euhemerismus, sind hauptsaechlich drei Philosophenschulen fuer Italien von Bedeutung geworden: die beiden dogmatischen des Epikuros (+ 484 270) und des Zenon (+ 491 263) und die skeptische des Arkesilas (+ 513 241) und Karneades (541-625 231-129) oder mit den Schulnamen der Epikureismus, die Stoa und die Neuere Akademie. Die letzte dieser Richtungen, welche von der Unmoeglichkeit des ueberzeugten Wissens ausging und an dessen Stelle nur ein fuer das praktische Beduerfnis ausreichendes vorlaeufiges Meinen als moeglich zugab, bewegte sich hauptsaechlich polemisch, indem sie jeden Satz des positiven Glaubens wie des philosophischen Dogmatismus in den Schlingen ihrer Dilemmen fing. Sie steht insofern ungefaehr auf einer Linie mit der aelteren Sophistik, nur dass begreiflicherweise die Sophisten mehr gegen den Volksglauben, Karneades und die Seinen mehr gegen ihre philosophischen Kollegen ankaempften. Dagegen trafen Epikuros und Zenon ueberein sowohl in dem Ziel einer rationellen Erklaerung des Wesens der Dinge als auch in der physiologischen, von dem Begriff der Materie ausgehenden Methode. Auseinander gingen sie, insofern Epikuros, der Atomenlehre Demokrits folgend, das Urwesen als starre Materie fasst und diese nur durch mechanische Verschiedenheiten in die Mannigfaltigkeit der Dinge ueberfuehrt, Zenon dagegen, sich anlehnend an den Ephesier Herakleitos, schon in den Urstoff eine dynamische Gegensaetzlichkeit und eine aufund niederwogende Bewegung hineinlegt; woraus denn die weiteren Unterschiede sich ableiten: dass im epikureischen System die Goetter gleichsam nicht vorhanden und hoechstens der Traum der Traeume sind, die stoischen Goetter die ewig rege Seele der Welt und als Geist, als Sonne, als Gott maechtig ueber den Koerper, die Erde, die Natur; dass Epikuros ni cht, wohl aber Zenon eine Weltregierung und eine persoenliche Unsterblichkeit der Seele anerkennt; dass das Ziel des menschlichen Strebens nach Epikuros ist das unbedingte, weder von koerperlichem Begehren noch von geistigem Streiten aufgeregte Gleichgewicht, dagegen nach Zenon die durch das stetige Gegeneinanderstreben des Geistes und Koerpers immer gesteigerte und zu dem Einklang mit der ewig streitenden und ewig friedlichen Natur aufstrebende menschliche Taetigkeit. In einem Punkte aber stimmten der Religion gegenueber alle diese Schulen zusammen: dass der Glaube als solcher nichts sei und notwendig ersetzt werden muesse durch die Reflexion, mochte diese uebrigens mit Bewusstsein darauf verzichten, zu einem Resultat zu gelangen, wie die Akademie, oder die Vorstellungen des Volksglaubens verwerfen, wie die Schule Epikurs, oder dieselben teils motiviert festhalten, teils modifizieren, wie die Stoiker taten. Es war danach nur folgerichtig, dass die erste Beruehrung der hellenischen Philosophie mit der roemischen, ebenso glaubensfesten als antispekulativen Nation durchaus feindlicher Art war. Die roemische Religion hatte vollkommen recht, von diesen philosophischen Systemen sowohl die Befehdung wie die Begruendung sich zu verbitten, die beide ihr eigentliches Wesen aufhoben. Der roemische Staat, der in der Religion instinktmaessig sich selber angegriffen fuehlte, verhielt sich billig gegen die Philosophen wie die Festung gegen die Eclaireurs der anrueckenden Belagerungsarmee und wies schon 593 (161) mit den Rhetoren auch die griechischen Philosophen aus Rom aus. In der Tat war auch gleich das erste groessere Debuet der Philosophie in Rom eine foermliche Kriegserklaerung gegen Glaube und Sitte. Es ward veranlasst durch die Okkupation von Oropos durch die Athener, mit deren Rechtfertigung vor dem Senat diese drei der angesehensten Professoren der Philosophie, darunter den Meister der modernen Sophistik, Karneades, beauftragten (599 155). Die Wahl war insofern zweckmaessig, als der ganz schandbare Handel jeder Rechtfertigung im gewoehnlichen Verstand spottete; dagegen passte es vollkommen fuer den Fall, wenn Karneades durch Rede und Gegenrede bewies, dass sich gerade ebenso viele und ebenso nachdrueckliche Gruende zum Lobe der Ungerechtigkeit vorbringen liessen wie zum Lobe der Gerechtigkeit, und wenn er in bester logischer Form dartat, dass man mit gleichem Recht von den Athenern verlangen koenne, Oropos herauszugeben und von den Roemern, sich wieder zu beschraenken auf ihre alten Strohhuetten am Palatin. Die der griechischen Sprache maechtige Jugend ward durch den Skandal wie durch den raschen und emphatischen Vortrag des gefeierten Mannes scharenweise herbeigezogen; aber diesmal wenigstens konnte man Cato nicht unrecht geben, wenn er nicht bloss die dialektischen Gedankenreihen der Philosophen unhoeflich genug mit den langweiligen Psalmodien der Klageweiber verglich, sondern auch im Senat darauf drang, einen Menschen auszuweisen, der die Kunst verstand, Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht zu machen, und dessen Verteidigung in der Tat nichts war als ein schamloses und fast hoehnisches Eingestaendnis des Unrechts. Indes dergleichen Ausweisungen reichten nicht weit, um so weniger, da es doch der roemischen Jugend nicht verwehrt werden konnte, in Rhodos oder Athen philosophische Vortraege zu hoeren. Man gewoehnte sich, die Philosophie zuerst wenigstens als notwendiges Uebel zu dulden, bald auch fuer die in ihrer Naivitaet nicht mehr haltbare roemische Religion in der fremden Weisheitslehre eine Stuetze zu suchen, die als Glauben zwar sie ruinierte, aber dafuer doch dem gebildeten Mann gestattete, die Namen und Formen des Volksglaubens anstaendigerweise einigermassen festzuhalten. Indes diese Stuetze konnte weder der Euhemerismus sein noch das System des Karneades oder des Epikuros. Die Mythenhistorisierung trat dem Volksglauben allzu schroff entgegen, indem sie die Goetter geradezu fuer Menschen erklaerte; Karneades zog gar ihre Existenz in Zweifel, und Epikuros sprach ihnen wenigstens jeden Einfluss auf die Geschicke der Menschen ab. Zwischen diesen Systemen und der roemischen Religion war ein Buendnis unmoeglich; sie waren und blieben verfemt. Noch in Ciceros Schriften wird es fuer Buergerpflicht erklaert, dem Euhemerismus Widerstand zu leisten, der dem Gottesdienst zu nahe trete; und von den in seinen Gespraechen auftretenden Akademikern und Epikureern muss jener sich entschuldigen, dass er als Philosoph zwar ein Juenger des Karneades, aber als Buerger und Pontifex ein rechtglaeubiger Bekenner des Kapitolinischen Jupiter sei, der Epikureer sogar schliesslich sich gefangen geben und sich bekehren. Keines dieser drei Systeme ward eigentlich populaer. Die platte Begreiflichkeit des Euhemerismus hat wohl eine gewisse Anziehungskraft auf die Roemer geuebt, namentlich auf die konventionelle Geschichte Roms nur zu tief eingewirkt mit ihrer zugleich kindischen und altersschwachen Historisierung der Fabel; auf die roemische Religion aber blieb er deshalb ohne wesentlichen Einfluss, weil diese von Haus aus nur allegorisierte, nicht fabulierte und es dort nicht wie in Hellas moeglich war, Biographien Zeus des ersten, zweiten und dritten zu schreiben. Die moderne Sophistik konnte nur gedeihen, wo, wie in Athen, die geistreiche Maulfertigkeit zu Hause war und ueberdies die langen Reihen gekommener und gegangener philosophischer Systeme hohe Schuttlagen geistiger Brandstaetten aufgeschichtet hatten. Gegen den Epikurischen Quietismus endlich lehnte alles sich auf, was in dem roemischen, so durchaus auf Taetigkeit gerichteten Wesen tuechtig und brav war. Dennoch fand er mehr sein Publikum als der Euhemerismus und die Sophistik, und es ist wahrscheinlich dies die Ursache, weshalb die Polizei fortgefahren hat, ihm am laengsten und ernstlichsten den Krieg zu machen. Indes dieser roemische Epikureismus war nicht so sehr ein philosophisches System als eine Art philosophischen Dominos, unter dem - sehr gegen die Absicht seines streng sittlichen Urhebers - der gedankenlose Sinnesgenuss fuer die gute Gesellschaft sich maskierte; wie denn einer der fruehesten Bekenner dieser Sekte, Titus Albucius, in Lucilius’ Gedichten figuriert als der Prototyp des uebel hellenisierenden Roemers. Gar anders stand und wirkte in Italien die stoische Philosophie. Im geraden Gegensatz gegen jene Richtungen schloss sie an die Landesreligion so eng sich an, wie das Wissen sich dem Glauben zu akkommodieren ueberhaupt nur vermag. An dem Volksglauben mit seinen Goettern und Orakeln hielt der Stoiker insofern grundsaetzlich fest, als er darin eine instinktive Erkenntnis sah, auf welche die wissenschaftliche Ruecksicht zu nehmen, ja in zweifelhaften Faellen sich ihr unterzuordnen verpflichtet sei. Er glaubte mehr anders als das Volk als eigentlich anderes: der wesentlich wahre und hoechste Gott zwar war ihm die Weltseele, aber auch jede Manifestation des Urgottes war wiederum Gott, die Gestirne vor allem, aber auch die Erde, der Weinstock, die Seele des hohen Sterblichen, den das Volk als Heros ehrte, ja ueberhaupt jeder abgeschiedene Geist eines gewordenen Menschen. Diese Philosophie passte in der Tat besser nach Rom als in die eigene Heimat. Der Tadel des frommen Glaeubigen, dass der Gott des Stoikers weder Geschlecht noch Alter noch Koerperlichkeit habe und aus einer Person in einen Begriff verwandelt sei, hatte in Griechenland einen Sinn, nicht aber in Rom. Die grobe Allegorisierung und sittliche Purifizierung, wie sie der stoischen Goetterlehre eigen war, verdarb den besten Kern der hellenischen Mythologie; aber die auch in ihrer naiven Zeit duerftige plastische Kraft der Roemer hatte nicht mehr erzeugt als eine leichte, ohne sonderlichen Schaden abzustreifende Umhuellung der urspruenglichen Anschauung oder des urspruenglichen Begriffes, woraus die Gottheit hervorgegangen war. Pallas Athene mochte zuernen, wenn sie sich ploetzlich in den Begriff des Gedaechtnisses verwandelt fand; Minerva war auch bisher eben nicht viel mehr gewesen. Die supranaturalische stoische und die allegorische roemische Theologie fielen in ihrem Ergebnis im ganzen zusammen. Selbst aber wenn der Philosoph einzelne Saetze der Priesterlehre als zweifelhaft oder als falsch bezeichnen musste, wie denn zum Beispiel die Stoiker, die Vergoetterungslehre verwerfend, in Hercules, Kastor, Pollux nichts als die Geister ausgezeichneter Menschen sahen, und ebenso das Goetterbild nicht als Repraesentanten der Gottheit gelten lassen konnten, so war es wenigstens nicht die Art der Anhaenger Zenons, gegen diese Irrlehren anzukaempfen und die falschen Goetter zu stuerzen; vielmehr bewiesen sie ueberall der Landesreligion Ruecksicht und Ehrfurcht, auch in ihren Schwaechen. Auch die Richtung der Stoa auf eine kasuistische Moral und auf die rationelle Behandlung der Fachwissenschaften war ganz im Sinne der Roemer, zumal der Roemer dieser Zeit, welche nicht mehr wie die Vaeter in unbefangener Weise Zucht und gute Sitte uebten, sondern deren naive Sittlichkeit aufloesten in einen Katechismus erlaubter und unerlaubter Handlungen; deren Grammatik und Jurisprudenz ueberdies dringend eine methodische Behandlung erheischten, ohne jedoch die Faehigkeit zu besitzen, diese aus sich selber zu entwickeln. So inkorporierte diese Philosophie als ein zwar dem Ausland entlehntes, aber auf italischem Boden akklimatisiertes Gewaechs sich durchaus dem roemischen Volkshaushalt, und wir begegnen ihren Spuren auf den verschiedenartigsten Gebieten. Ihre Anfaenge reichen ohne Zweifel weiter zurueck; aber zur vollen Geltung in den hoeheren Schichten der roemischen Gesellschaft gelangte die Stoa zuerst durch den Kreis, der sich um Scipio Aemilianus gruppierte. Panaetios von Rhodos, der Lehrmeister Scipios und aller ihm nahestehender Maenner in der stoischen Philosophie und bestaendig in seinem Gefolge, sogar auf Reisen sein gewoehnlicher Begleiter, verstand es, das System geistreichen Maennern nahe zu bringen, dessen spekulative Seite zuruecktreten zu lassen und die Duerre der Terminologie, die Flachheit des Moralkatechismus einigermassen zu mildern, namentlich auch durch Herbeiziehung der aelteren Philosophen, unter denen Scipio selbst den Xenophonteischen Sokrates vorzugsweise liebte. Seitdem bekannten zur Stoa sich die namhaftesten Staatsmaenner und Gelehrten, unter anderen die Begruender der wissenschaftlichen Philologie und der wissenschaftlichen Jurisprudenz, Stilo und Quintus Scaevola. Der schulmaessige Schematismus, der in diesen Fachwissenschaften seitdem wenigstens aeusserlich herrscht und namentlich anknuepft an eine wunderliche, scharadenhaft geistlose Etymologisiermethode, stammt aus der Stoa. Aber unendlich wichtiger ist die aus der Verschmelzung der stoischen Philosophie und der roemischen Religion hervorgehende neue Staatsphilosophie und Staatsreligion. Das spekulative Element, von Haus aus in dem Zenonischen System wenig energisch ausgepraegt und schon weiter abgeschwaecht, als dasselbe in Rom Eingang fand, nachdem bereits ein Jahrhundert hindurch die griechischen Schulmeister sich beflissen hatten, diese Philosophie in die Knabenkoepfe hinein und damit den Geist aus ihr hinauszutreiben, trat voellig zurueck in Rom, wo niemand spekulierte als der Wechsler; es war wenig mehr die Rede von der idealen Entwicklung des in der Seele des Menschen waltenden Gottes oder goettlichen Weltgesetzes. Die stoischen Philosophen zeigten sich nicht unempfaenglich fuer die recht eintraegliche Auszeichnung, ihr System zur halboffiziellen roemischen Staatsphilosophie erhoben zu sehen, und erwiesen sich ueberhaupt geschmeidiger, als man es nach ihren rigorosen Prinzipien haette erwarten sollen. Ihre Lehre von den Goettern und vom Staat zeigte bald eine seltsame Familienaehnlichkeit mit den realen Institutionen ihrer Brotherren; statt ueber den kosmopolitischen Philosophenstaat stellten sie Betrachtungen an ueber die weise Ordnung des roemischen Beamtenwesens; und wenn die feineren Stoiker, wie Panaetios, die goettliche Offenbarung durch Wunder und Zeichen als denkbar, aber ungewiss dahingestellt, die Sterndeuterei nun gar entschieden verworfen hatten, so verfochten schon seine naechsten Nachfolger jene Offenbarungslehre, das heisst die roemische Auguraldisziplin, so steif und fest wie jeden anderen Schulsatz und machten sogar der Astrologie hoechst unphilosophische Zugestaendnisse. Das Hauptstueck des Systems ward immer mehr die kasuistische Pflichtenlehre. Sie kam dem hohlen Tugendstolz entgegen, bei welchem die Roemer dieser Zeit in der vielfach demuetigenden Beruehrung mit den Griechen Entschaedigung suchten, und formulierte den angemessenen Dogmatismus der Sittlichkeit, der, wie jede wohlerzogene Moral, mit herzerstarrender Rigorositaet im ganzen die hoeflichste Nachsicht im einzelnen verbindet 2. Ihre praktischen Resultate werden kaum viel hoeher anzuschlagen sein als dass, wie gesagt, in zwei oder drei vornehmen Haeusern der Stoa zuliebe schlecht gegessen ward. ------------------------------------------- 2 Ein ergoetzliches Exempel kann man bei Cicero (off. 3, 12. 13) nachlesen. ------------------------------------------- Dieser neuen Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite ist die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewusste Festhalten der als irrationell erkannten Saetze des Volksglaubens aus aeusseren Zweckmaessigkeitsgruenden ist. Schon einer der hervorragendsten Maenner des Scipionischen Kreises, der Grieche Polybios, spricht es unverhohlen aus, dass das wunderliche und schwerfaellige roemische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen erfunden sei, die, da die Vernunft nichts ueber sie vermoege, mit Zeichen und Wundern beherrscht werden muesse, waehrend verstaendige Leute allerdings der Religion nicht beduerften. Ohne Zweifel teilten Polybios’ roemische Freunde im wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie auch nicht in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion sich entgegensetzten. Weder Laelius noch Scipio Aemilianus koennen in der Auguraldisziplin, an die auch Polybios zunaechst denkt, etwas anderes gesehen haben als eine politische Institution; doch war der Nationalsinn in ihnen zu maechtig und das Anstandsgefuehl zu fein, als dass sie mit solchen bedenklichen Eroerterungen oeffentlich haetten auftreten moegen. Aber schon in der folgenden Generation trug der Oberpontifex Quintus Scaevola (Konsul 659 95; 3, 221; 336) wenigstens in seiner muendlichen Rechtsunterweisung unbedenklich die Saetze vor, dass es eine zweifache Religion gebe, eine verstandesmaessige philosophische und eine nichtverstandesmaessige traditionelle, dass jene sich nicht eigne zur Staatsreligion, da sie mancherlei enthalte, was dem Volk zu wissen unnuetz oder sogar schaedlich sei, dass demnach die ueberlieferte Staatsreligion bleiben muesse, wie sie sei. Nur eine weitere Entwicklung desselben Grundgedankens ist die Varronische Theologie, in der die roemische Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der Staat, wird hier gelehrt, sei aelter als die Goetter des Staats, wie der Maler aelter als das Gemaelde; wenn es sich darum handelte, die Goetter neu zu machen, wuerde man allerdings wohltun, sie zweckdienlicher und den Teilen der Weltseele prinzipmaessig entsprechender zu machen und zu benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Goetterbilder 3 und das verkehrte Opferwesen zu beseitigen; allein da diese Einrichtungen einmal bestaenden, so muesse jeder gute Buerger sie kennen und befolgen und dazu tun, dass der "gemeine Mann" die Goetter vielmehr hoeher achten als geringschaetzen lerne. Dass der gemeine Mann, zu dessen Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt verschmaehte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von selbst und wird weiterhin sich zeigen. So war denn die roemische Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priesterund Levitenschaft und eine glaubenslose Gemeinde. Je unverhohlener man die Landesreligion fuer eine politische Institution erklaerte, desto entschiedener betrachteten die politischen Parteien das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz fuer Angriff und Verteidigung; was namentlich in immer steigendem Masse der Fall war mit der Auguralwissenschaft und mit den Wahlen zu den Priesterkollegien. Die alte und natuerliche Uebung, die Buergerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Haenden der roemischen Augurn sich zu einem weitlaeufigen System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knuepfender Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Dezennien dieser Epoche ward sogar durch das Aelische und das Fufische Gesetz geradezu verordnet, dass jede Volksversammlung auseinanderzugehen genoetigt sei, wenn es einem hoeheren Beamten einfalle, nach Gewitterzeichen am Himmel zu schauen; und die roemische Oligarchie war stolz auf den schlauen Gedanken, fortan durch eine einzige fromme Luege jedem Volksbeschluss den Stempel der Nichtigkeit aufdruecken zu koennen. Umgekehrt lehnte die roemische Opposition sich auf gegen die alte Uebung, dass die vier hoechsten Priesterkollegien bei entstehenden Vakanzen sich selber ergaenzten, und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die Stellen selbst, wie sie fuer die Vorstandschaften dieser Kollegien schon frueher eingefuehrt war. Es widersprach dies allerdings dem Geiste dieser Koerperschaften, aber dieselben hatten kein Recht, darueber sich zu beklagen, nachdem sie ihrem Geiste selbst untreu geworden waren und zum Beispiel der Regierung mit religioesen Kassationsgruenden politischer Akte auf Verlangen an die Hand gingen. Diese Angelegenheit ward ein Zankapfel der Parteien. Den ersten Sturm im Jahre 609 (145) schlug der Senat ab, wobei namentlich der Scipionische Kreis fuer die Verwerfung des Antrags den Ausschlag gab. Aber im Jahre 650 (104) ging sodann der Vorschlag durch mit der frueher schon bei der Wahl der Vorstaende gemachten Beschraenkungen zum Besten bedenklicher Gewissen, dass nicht die ganze Buergerschaft, sondern nur der kleinere Teil der Bezirke zu waehlen habe. Dagegen stellte Sulla das Kooptationsrecht in vollem Umfang wieder her. Mit dieser Fuersorge der Konservativen fuer die reine Landesreligion vertrug es natuerlich sich aufs beste, dass eben in den vornehmsten Kreisen mit derselben offen Spott getrieben ward. Die praktische Seite des roemischen Priestertums war die priesterliche Kueche; die Auguralund Pontifikalschmaeuse waren gleichsam die offiziellen Silberblicke eines roemischen Feinschmeckerlebens und manche derselben machten Epoche in der Geschichte der Gastronomie, wie zum Beispiel die Antrittsmahlzeit des Augurs Quintus Hortensius die Pfauenbraten aufgebracht hat. Sehr brauchbar ward auch die Religion befunden, um den Skandal pikanter zu machen. Es war ein Lieblingsvergnuegen vornehmer junger Herren, zur Nachtzeit auf den Strassen die Goetterbilder zu schaenden oder zu verstuemmeln. Gewoehnliche Liebeshaendel waren laengst gemein und Verhaeltnisse mit Ehefrauen fingen an es zu werden; aber ein Verhaeltnis zu einer Vestalin war so pikant wie in der Welt des Decamerone die Nonnenliebschaft und das Klosterabenteuer. Bekannt ist der arge Handel des Jahres 640 (114), in welchem drei Vestalinnen, Toechter der vornehmsten Familien, und deren Liebhaber, junge Maenner gleichfalls aus den besten Haeusern, zuerst vor dem Pontifikalkollegium und, da dies die Sache zu vertuschen suchte, vor einem durch eigenen Volksschluss eingesetzten ausserordentlichen Gericht wegen Unzucht zur Verantwortung gezogen und saemtlich zum Tode verurteilt wurden. Solchen Skandal nun konnten freilich gesetzte Leute nicht billigen; aber dagegen war nichts einzuwenden, dass man die positive Religion im vertrauten Kreise albern fand: die Augurn konnten, wenn einer den andern fungieren sah, sich einander ins Gesicht lachen, unbeschadet ihrer religioesen Pflichten. Man gewinnt die bescheidene Heuchelei verwandter Richtungen ordentlich lieb, wenn man die krasse Unverschaemtheit der roemischen Priester und Leviten damit vergleicht. Ganz unbefangen ward die offizielle Religion behandelt als ein hohles, nur fuer die politischen Maschinisten noch brauchbares Gerueste; in dieser Eigenschaft konnte es mit seinen zahllosen Winkeln und Falltueren, wie es fiel, jeder Partei dienen und hat einer jeden gedient. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in der Staatsreligion, vornehmlich in der Auguraldisziplin; aber auch die Gegenpartei machte keine prinzipielle Opposition gegen ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern betrachtete dasselbe im ganzen als eine Schanze, die aus dem Besitz des Feindes in den eigenen uebergehen koenne. ----------------------------------------------------------- 3 Auch in Varros Satire ’Die Aboriginer’ wurde in spoettischer Weise dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht haetten genuegen lassen mit dem Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt haetten nach Goetterpuppen und Goetterbilderchen. ----------------------------------------------------------- Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Religionsgespenst stehen die verschiedenen fremden Kulte, welche diese Epoche hegte und pflegte und denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen werden kann. Sie begegnen ueberall, bei den vornehmen Damen und Herren wie in den Sklavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in Italien wie in den Provinzen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf dieser Aberglaube bereits reicht. Als im Kimbrischen Krieg eine syrische Prophetin Martha sich erbot, die Wege und Mittel zur Ueberwindung der Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie mit Verachtung zurueck; aber die roemischen Damen und namentlich Marius’ eigene Gemahlin expedierten sie dennoch nach dem Hauptquartier, wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumfuehrte, bis die Teutonen geschlagen waren. Die Fuehrer der verschiedensten Parteien im Buergerkrieg, Marias, Octavius, Sulla, trafen zusammen in dem Glauben an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat masste waehrend desselben in den Wirren des Jahres 667 (87) sich dazu verstehen, den Faseleien einer verrueckten Prophetin gemaess Anordnungen zu treffen. Fuer das Erstarren der roemisch-hellenischen Religion, wie fuer das im Steigen begriffene Beduerfnis der Menge nach staerkeren religioesen Stimulantien ist es bezeichnend, dass der Aberglaube nicht mehr, wie in den Bakchenmysterien, anknuepft an die nationale Religion; selbst die etruskische Mystik ist bereits ueberfluegelt; durchaus in erster Linie erscheinen die in den heissen Landschaften des Orients gezeitigten Kulte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevoelkerung, teils durch die Sklaveneinfuhr, teils durch den gesteigerten Verkehr Italiens mit dem Osten. Die Macht dieser fremdlaendischen Religion tritt sehr scharf hervor in den Aufstaenden der sizilischen, groesstenteils aus Syrien herstammenden Sklaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen; die von den Sklaven in diesen Kriegen geschleuderten Bleikugeln tragen grossenteils Goetternamen, neben Zeus und Artetuis besonders den der geheimnisvollen von Kreta nach Sizilien gewanderten und daselbst eifrig verehrten Muetter. Aehnlich wirkte der Handelsverkehr, namentlich seitdem die Waren von Berytos und Alexandreia direkt nach den italischen Haefen gingen: Ostia und Puteoli wurden die grossen Stapelplaetze wie fuer die syrischen Salben und die aegyptische Leinwand so auch fuer den Glauben des Ostens. Ueberall ist mit der Voelkerauch die Religionsmengung bestaendig im Steigen. Von allen erlaubten Kulten war der populaerste der der pessinuntischen Goettermutter, der mit seinem Eunuchenzoelibat, mit den Schmaeusen, der Musik, den Bettelprozessionen und dem ganzen sinnlichen Gepraenge der Menge imponierte; die Hauskollekten wurden bereits als eine oekonomische Last empfunden. In der gefaehrlichsten Zeit des Kimbrischen Krieges erschien der Hohepriester Battakes von Pessinus in eigener Person in Rom, um die Interessen des dortigen, angeblich entweihten Tempels seiner Goettin zu vertreten, redete im besonderen Auftrag der Goettermutter zum roemischen Volk und tat auch verschiedene Wunder. Die verstaendigen Leute aergerten sich, aber die Weiber und die grosse Menge liessen es sich nicht nehmen, dem Propheten beim Abzug in hellen Haufen das Geleit zu geben. Geluebde, nach dem Osten zu wallfahrten, waren bereits nichts Seltenes mehr, wie denn selbst Marius also seine Pilgerfahrt nach Pessinus unternahm; ja es gaben schon (zuerst 653 101) roemische Buerger sich zu dem Eunuchenpriestertum her. Aber weit populaerer noch waren natuerlich die unerlaubten und Geheimkulte. Schon zu Catos Zeit hatte der chaldaeische Horoskopensteller angefangen, dem etruskischen Eingeweide-, dem marsischen Vogelschauer Konkurrenz zu machen; bald war die Sternguckerei und Sterndeuterei in Italien ebenso zu Hause wie in ihrem traumseligen Heimatland. Schon 615 (139) wies der roemische Fremdenpraetor die saemtlichen "Chaldaeer" an, binnen zehn Tagen Rom und Italien zu raeumen. Dasselbe Schicksal traf gleichzeitig die Juden, welche zu ihrem Sabbat italische Proselyten zugelassen hatten. Ebenso hatte Scipio das Lager von Numantia von Wahrsagern und frommen Industrierittern jeder Art zu reinigen. Einige Jahrzehnte spaeter (657 97) sah man sogar sich genoetigt, die Menschenopfer zu verbieten. Der wilde Kult der kappadokischen Ma oder, wie die Roemer sie nannten, der Bellona, welcher bei den festlichen Aufzuegen die Priester das eigene Blut zum Opfer verspritzten, und die duestere aegyptische Goetterverehrung beginnen sich zu melden; schon Sulla erschien jene Kappadokierin im Traume, und von den spaeteren roemischen Isisund Osirisgemeinden fuehrten die aeltesten ihre Entstehung bis in die sullanische Zeit zurueck. Man war irre geworden, nicht bloss an dem alten Glauben, sondern auch an sich selbst; die entsetzlichsten Krisen einer fuenfzigjaehrigen Revolution, das instinktmaessige Gefuehl, dass der Buergerkrieg noch keineswegs am Ende sei, steigerten die angstvolle Spannung, die truebe Beklommenheit der Menge. Unruhig erklomm der irrende Gedanke jede Hoehe und versenkte sich in jeden Abgrund, wo er neue Ausund Einsichten in die drohenden Verhaengnisse, neue Hoffnungen in dem verzweifelten Kampfe gegen das Geschick oder vielleicht auch nur neue Angst zu finden waehnte. Der ungeheuerliche Mystizismus fand in der allgemeinen politischen, oekonomischen, sittlichen, religioesen Zerfahrenheit den ihm genehmen Boden und gedieh mit erschreckender Schnelle: es war, als waeren Riesenbaeume ueber Nacht aus der Erde gewachsen, niemand wusste woher und wozu, und ebendieses wunderbar rasche Emporkommen wirkte neue Wunder und ergriff epidemisch alle nicht ganz befestigten Gemueter. In aehnlicher Weise wie auf dem religioesen Gebiet vollendete sich die in der vorigen Epoche begonnene Revolution auf dem der Erziehung und Bildung. Wie der Grundgedanke des roemischen Wesens, die buergerliche Gleichheit, bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts auch auf diesem Gebiet ins Schwanken gekommen war, ist frueher dargestellt worden. Schon zu Pictors und Catos Zeit war die griechische Bildung in Rom weit verbreitet und gab es eine eigene roemische Bildung; allein man war doch mit beiden nicht ueber die Anfaenge hinausgelangt. Was man unter roemisch-griechischer Musterbildung in dieser Zeit ungefaehr verstand, zeigt Catos ’Encyklopaedie’; es ist wenig mehr als die Formulierung des alten roemischen Hausvatertums und wahrlich, mit der damaligen hellenischen Bildung verglichen, duerftig genug. Auf wie niedriger Stufe noch im Anfang des siebenten Jahrhunderts der Jugendunterricht in Rom durchgaengig stand, laesst aus den Aeusserungen bei Polybios sich abnehmen, welcher in dieser einen Hinsicht gegenueber der verstaendigen privaten und oeffentlichen Fuersorge seiner Landsleute die straefliche Gleichgueltigkeit der Roemer tadelnd hervorhebt - in den dieser Gleichgueltigkeit zu Grunde liegenden tieferen Gedanken der buergerlichen Gleichheit hat kein Hellene, auch Polybios nicht sich zu finden vermocht. Jetzt ward dies anders. Wie zu dem naiven Volksglauben der aufgeklaerte stoische Supranaturalismus hinzutrat, so formulierte auch in der Erziehung neben dem einfachen Volksunterricht sich eine besondere Bildung, eine exklusive Humanitas und vertilgte die letzten Ueberreste der alten geselligen Gleichheit. Es wird nicht ueberfluessig sein, auf die Gestaltung des neuen Jugendunterrichts, sowohl des griechischen wie des hoeheren lateinischen, einen Blick zu werfen. Es ist eine wundersame Fuegung, dass derselbe Mann, der politisch die hellenische Nation definitiv ueberwand, Lucius Aemilius Paullus, zugleich zuerst oder als einer der ersten die hellenische Zivilisation vollstaendig anerkannte als das, was sie seitdem unwidersprochen geblieben ist, die Zivilisation der antiken Welt. Er selber zwar war ein Greis, bevor es ihm gestattet wurde, die Homerischen Lieder im Sinn, hinzutreten vor den Zeus des Pheidias; aber sein Herz war jung genug, um den vollen Sonnenglanz hellenischer Schoenheit und die unbezwingliche Sehnsucht nach den goldenen Aepfeln der Hesperiden in seiner Seele heimzubringen; Dichter und Kuenstler hatten an dem fremden Mann einen ernsteren und innigeren Glaeubigen gefunden, als irgendeiner war von den klugen Leuten des damaligen Griechenland. Er machte kein Epigramm auf Homeros oder Pheidias, aber er liess seine Kinder einfuehren in die Reiche des Geistes. Ohne die nationale Erziehung zu vernachlaessigen, soweit es eine solche gab, sorgte er wie die Griechen fuer die physische Entwicklung seiner Knaben, zwar nicht durch die nach roemischen Begriffen unzulaessigen Turnuebungen, aber durch Unterweisung in der bei den Griechen fast kunstmaessig entwickelten Jagd, und steigerte den griechischen Unterricht in der Art, dass nicht mehr bloss die Sprache um des Sprechens willen gelernt und geuebt, sondern nach griechischer Art der Gesamtstoff allgemeiner hoeherer Bildung an die Sprache geknuepft und aus ihr entwickelt ward - also vor allem die Kenntnis der griechischen Literatur mit der zu deren Verstaendnis noetigen mythologischen und historischen Kunde, sodann Rhetorik und Philosophie. Die Bibliothek des Koenigs Perseus war das einzige Stueck, das Paullus aus der makedonischen Kriegsbeute fuer sich nahm, um sie seinen Soehnen zu schenken. Sogar griechische Maler und Bildner befanden sich in seinem Gefolge und vollendeten die musische Bildung seiner Kinder. Dass die Zeit vorueber war, wo man auf diesem Gebiet sich dem Hellenismus gegenueber bloss ablehnend verhalten konnte, hatte schon Cato empfunden; die Besseren mochten jetzt ahnen, dass der edle Kern roemischer Art durch den ganzen Hellenismus weniger gefaehrdet werde als durch dessen Verstuemmelung und Missbildung: die Masse der hoeheren Gesellschaft Roms und Italiens machte die neue Weise mit. An griechischen Schulmeistern war seit langem in Rom kein Mangel; jetzt stroemten sie scharenweise, und nicht bloss als Sprach-, sondern als Lehrer der Literatur und Bildung ueberhaupt, nach dem neu eroeffneten ergiebigen Absatzmarkt ihrer Weisheit. Griechische Hofmeister und Lehrer der Philosophie, die freilich, auch wenn sie nicht Sklaven waren, regelmaessig wie Bediente 4 gehalten wurden, wurden jetzt stehend in den Palaesten Roms; man raffinierte darauf, und es findet sich, dass fuer einen griechischen Literatursklaven ersten Ranges 200000 Sesterzen (15200 Taler) gezahlt worden sind. Schon 593 (161) bestanden in der Hauptstadt eine Anzahl besonderer Lehranstalten fuer griechische Deklamationsuebung. Schon begegnen einzelne ausgezeichnete Namen unter diesen roemischen Lehrern: des Philosophen Panaetios ward bereits gedacht; der angesehene Grammatiker Krates von Mallos in Kilikien, Aristarchs Zeitgenosse und ebenbuertiger Rival, fand um 585 (169) in Rom ein Publikum fuer die Vorlesung und sprachliche und sachliche Erlaeuterung der Homerischen Gedichte. Zwar stiess diese neue Weise des Jugendunterrichts, revolutionaer und antinational wie sie war, zum Teil auf den Widerstand der Regierung; allein der Ausweisungsbefehl, den die Behoerden 593 (161) gegen Rhetoren und Philosophen schleuderten, blieb, zumal bei dem steten Wechsel der roemischen Oberbeamten, wie alle aehnlichen Befehle ohne nennenswerten Erfolg, und nach des alten Cato Tode ward in seinem Sinne wohl noch oefters geklagt, aber nicht mehr gehandelt. Der hoehere Unterricht im Griechischen und in den griechischen Bildungswissenschaften blieb fortan anerkannt als ein wesentlicher Teil der italischen Bildung. ------------------------------------------------------ 4 Cicero sagt, dass er seinen gelehrten Sklaven Dionysios ruecksichtsvoller behandelt habe als Scipio den Panaetios; und in gleichem Sinne hiess es bei Lucilius: Nuetzlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel und Zeltdach Als der Philosoph. ------------------------------------------------------- Aber ihm zur Seite entwickelte sich ein hoeherer lateinischer Unterricht. Es ist in der vorigen Epoche dargestellt worden, wie der lateinische Elementarunterricht sich innerlich gesteigert hatte; wie an die Stelle der Zwoelf Tafeln gleichsam als verbesserte Fibel die lateinische Odyssee getreten war und nun der roemische Knabe an dieser Uebersetzung, wie der griechische an dem Original, die Kunde und den Vortrag der Muttersprache ausbildete; wie namhafte griechische Sprachund Literaturlehrer, Andronicus, Ennius und andere mehr, die doch wahrscheinlich schon nicht eigentlich Kinder, sondern heranreifende Knaben und Juenglinge lehrten, es nicht verschmaehten, neben der griechischen auch in der Muttersprache zu unterrichten. Es waren das die Anfaenge eines hoeheren lateinischen Unterrichts, aber doch noch ein solcher nicht. Der Sprachunterricht kann den elementaren Kreis nicht ueberschreiten, solange es an einer Literatur mangelt. Erst als es nicht bloss lateinische Schulbuecher, sondern eine lateinische Literatur gab und diese in den Werken der Klassiker des sechsten Jahrhunderts in einer gewissen Abgeschlossenheit vorlag, traten die Muttersprache und die einheimische Literatur wahrhaft ein in den Kreis der hoeheren Bildungselemente; und die Emanzipation von den griechischen Sprachmeistern liess nun auch nicht lange auf sich warten. Angeregt durch die Homerischen Vorlesungen des Krates begannen gebildete Roemer die rezitativen Werke auch ihrer Literatur, Naevius’ ’Punischen Krieg’, Ennius’ ’Chronik’, spaeterhin auch Lucilius’ Gedichte zuerst einem erlesenen Kreis, dann oeffentlich an fest bestimmten Tagen und unter grossem Zulauf vorzutragen, auch wohl nach dem Vorgang der homerischen Grammatiker sie kritisch zu bearbeiten. Diese literarischen Vortraege, die gebildete Dilettanten (litterati) unentgeltlich hielten, waren zwar kein foermlicher Jugendunterricht, aber doch ein wesentliches Mittel, die Jugend in das Verstaendnis und den Vortrag der klassischen lateinischen Literatur einzufuehren. Aehnlich ging es mit der Bildung der lateinischen Rede. Die vornehme roemische Jugend, die schon in fruehem Alter mit Lobund gerichtlichen Reden oeffentlich aufzutreten angehalten ward, wird es an Redeuebungen nie haben fehlen lassen; indes erst in dieser Epoche und infolge der neuen exklusiven Bildung entstand eine eigentliche Redekunst. Als der erste roemische Sachwalter, der Sprache und Stoff kunstmaessig behandelte, wird Marcus Lepidus Porcina (Konsul 617 137) genannt; die beiden beruehmten Advokaten der marianischen Zeit, der maennliche und lebhafte Marcus Antonius (611-667143-87) und der feine, gehaltene Redner Lucius Crassus (614-663 140-91), waren schon vollstaendig Kunstredner. Die Uebungen der Jugend im Sprechen stiegen natuerlich an Umfang und Bedeutung, aber blieben doch, eben wie die lateinischen Literaturuebungen, wesentlich darauf beschraenkt, dass der Anfaenger an den Meister der Kunst persoenlich sich anschloss und durch sein Beispiel und seine Lehre sich ausbildete. Foermliche Unterweisung sowohl in lateinischer Literatur als in lateinischer Redekunst gab zuerst um 650 (100) Lucius Aelius Praeconinus von Lanuvium, der "Griffelmann" (Stilo) genannt, ein angesehener, streng konservativ gesinnter roemischer Ritter, der mit einem auserlesenen Kreise juengerer Maenner - darunter Varro und Cicero - den Plautus und aehnliches las, auch wohl Entwuerfe zu Reden mit den Verfassern durchging oder dergleichen seinen Freunden an die Hand gab. Dies war ein Unterricht; aber ein gewerbmaessiger Schulmeister war Stilo nicht, sondern er lehrte Literatur und Redekunst, wie in Rom die Rechtswissenschaft gelehrt ward, als ein aelterer Freund der aufstrebenden jungen Leute, nicht als ein gedungener, jedem zu Gebote stehender Mann. Aber um seine Zeit begann auch der schulmaessige hoehere Unterricht im Lateinischen, getrennt sowohl von dem elementaren lateinischen als von dem griechischen Unterricht, und von bezahlten Lehrmeistern, in der Regel freigelassenen Sklaven, in besonderen Anstalten erteilt. Dass Geist und Methode durchaus den griechischen Literaturund Sprachuebungen abgeborgt wurden, versteht sich von selbst; und auch die Schueler bestanden wie bei diesen aus Juenglingen, nicht aus Knaben. Bald schied sich dieser lateinische Unterricht, wie der griechische, in einen zwiefachen Kursus, indem erstlich die lateinische Literatur wissenschaftlich vorgetragen, sodann zu Lob-, Staatsund Gerichtsreden kunstmaessige Anleitung gegeben ward. Die erste roemische Literaturschule eroeffnete um Stilos Zeit Marcus Saevius Nicanor Postumus, die erste besondere Schule fuer lateinische Rhetorik um 660 (90) Lucius Plotius Gallus; doch ward in der Regel auch in den lateinischen Literaturschulen Anleitung zur Redekunst gegeben. Dieser neue lateinische Schulunterricht war von der tiefgreifendsten Bedeutung. Die Anleitung zur Kunde lateinischer Literatur und lateinischer Rede, wie sie frueher von hochgestellten Kennern und Meistern erteilt worden war, hatte den Griechen gegenueber eine gewisse Selbstaendigkeit sich bewahrt. Die Kenner der Sprache und die Meister der Rede standen wohl unter dem Einfluss des Hellenismus, aber nicht unbedingt unter dem der griechischen Schulgrammatik und Schulrhetorik; namentlich die letztere wurde entschieden perhorresziert. Der Stolz wie der gesunde Menschenverstand der Roemer empoerte sich gegen die griechische Behauptung, dass die Faehigkeit, ueber Dinge, die der Redner verstand und empfand, verstaendig und anregend in der Muttersprache zu seinesgleichen zu reden, in der Schule nach Schulregeln gelernt werden koenne. Dem tuechtigen praktischen Advokaten musste das gaenzlich dem Leben entfremdete Treiben der griechischen Rhetoren fuer den Anfaenger schlimmer als gar keine Vorbereitung erscheinen; dem durchgebildeten und durch das Leben gereiften Manne duenkte die griechische Rhetorik schal und widerlich; dem ernstlich konservativ gesinnten entging die Wahlverwandtschaft nicht zwischen der gewerbmaessig entwickelten Redekunst und dem demagogischen Handwerk. So hatte denn namentlich der Scipionische Kreis den Rhetoren die bitterste Feindschaft geschworen, und wenn die griechischen Deklamationen bei bezahlten Meistern, zunaechst wohl als Uebungen im Griechischsprechen, geduldet wurden, so war doch die griechische Rhetorik damit weder in die lateinische Rede noch in den lateinischen Redeunterricht eingedrungen. In den neuen lateinischen Rhetorschulen aber wurden die roemischen Jungen zu Maennern und Staatsrednern dadurch gebildet, dass sie paarweise den bei der Leiche des Aias mit dem blutigen Schwerte desselben gefundenen Odysseus der Ermordung seines Waffengefaehrten anklagten und dagegen ihn verteidigten; dass sie den Orestes wegen Muttermordes belangten oder in Schutz nahmen; dass sie vielleicht auch dem Hannibal nachtraeglich mit einem guten Rat darueber aushalfen, ob er besser tue, der Vorladung nach Rom Folge zu leisten oder in Karthago zu bleiben oder die Flucht zu ergreifen. Es ist begreiflich, dass gegen diese widerwaertigen und verderblichen Wortmuehlen noch einmal die catonische Opposition sich regte. Die Zensoren des Jahres 662 (92) erliessen eine Warnung an Lehrer und Eltern, die jungen Menschen nicht den ganzen Tag mit Uebungen hinbringen zu lassen, von denen die Vorfahren nichts gewusst haetten; und der Mann, von dem diese Warnung kam, war kein geringerer als der erste Gerichtsredner seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus. Natuerlich sprach die Kassandra vergebens; lateinische Deklamieruebungen ueber die gangbaren griechischen Schulthemen wurden ein bleibender Bestandteil des roemischen Jugendunterrichts und taten das Ihrige, um schon die Knaben zu advokatischen und politischen Schauspielern zu erziehen und jede ernste und wahre Beredsamkeit im Keime zu ersticken. Als Gesamtergebnis aber dieser modernen roemischen Erziehung entwickelte sich der neue Begriff der sogenannten "Menschlichkeit", der Humanitaet, welche bestand teils in der mehr oder minder oberflaechlich angeeigneten musischen Bildung der Hellenen, teils in einer dieser nachgebildeten oder nachgestuemperten privilegierten lateinischen. Diese neue Humanitaet sagte, wie schon der Name andeutet, sich los von dem spezifisch roemischen Wesen, ja trat dagegen in Opposition und vereinigte in sich, ebenwie unsere eng verwandte "allgemeine Bildung", einen national kosmopolitischen und sozial exklusiven Charakter. Auch hier war die Revolution, die die Staende schied und die Voelker verschmolz. 13. Kapitel Literatur und Kunst Das sechste Jahrhundert ist, politisch wie literarisch, eine frische und grosse Zeit. Zwar begegnet auf dem schriftstellerischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen ein Mann ersten Ranges; Naevius, Ennius, Plautus, Cato, begabte und lebendige Schriftsteller von scharf ausgepraegter Individualitaet, sind nicht im hoechsten Sinn schoepferische Talente; aber nichtsdestoweniger fuehlt man dem Schwung, der Ruehrigkeit, der Keckheit ihrer dramatischen, epischen, historischen Versuche es an, dass sie ruhen auf den Riesenkaempfen der Punischen Kriege. Es ist vieles nur kuenstlich verpflanzt, in Zeichnung und Farbe vielfach gefehlt, Kunstform und Sprache unrein behandelt, Griechisches und Nationales barock ineinandergefuegt; die ganze Leistung verleugnet den Stempel des schulmaessigen Urspungs nicht und ist unselbstaendig und unvollkommen; aber dennoch lebt in den Dichtern und Schriftstellern dieser Zeit, wo nicht die volle Kraft, das hohe Ziel zu erreichen, doch der Mut und die Hoffnung, mit den Griechen zu wetteifern. Anders ist es in dieser Epoche. Die Morgennebel sanken; was man im frischen Gefuehl der im Kriege gestaehlten Volkskraft begonnen hatte, mit jugendlichem Mangel an Einsicht in die Schwierigkeit des Beginnens und in das Mass des eigenen Talents, aber auch mit jugendlicher Lust und Liebe zum Werke, das vermochte man nicht weiterzufuehren, als teils die dumpfe Schwuele der heraufziehenden revolutionaeren Gewitter die Luft zu erfuellen begann, teils den Einsichtigeren allmaehlich die Augen aufgingen ueber die unvergleichliche Herrlichkeit der griechischen Poesie und Kunst und ueber die sehr bescheidene kuenstlerische Begabung der eigenen Nation. Die Literatur des sechsten Jahrhunderts war hervorgegangen aus der Einwirkung der griechischen Kunst auf halb gebildete, aber angeregte und empfaengliche Gemueter. Die gesteigerte hellenische Bildung des siebenten rief eine literarische Reaktion hervor, welche die in jenen naiven Nachdichtungsversuchen doch auch enthaltenen Bluetenkeime mit dem Winterfrost der Reflexion verdarb und Kraut und Unkraut der aelteren Richtung miteinander ausreutete. Diese Reaktion ging zunaechst und hauptsaechlich hervor aus dem Kreise, der um Scipio Aemilianus sich schloss und dessen hervorragendste Glieder unter der roemischen vornehmen Welt ausser Scipio dessen aelterer Freund und Berater Gaius Laelius (Konsul 614 140) und Scipios juengere Genossen, Lucius Furius Philus (Konsul 618 136) und Spurius Mummius, der Bruder des Zerstoerers von Korinth, unter den roemischen und griechischen Literaten der Komiker Terentius, der Satirenschreiber Lucilius, der Geschichtschreiber Polybios, der Philosoph Panaetios waren. Wem die Ilias, wem Xenophon und Menandros gelaeufig waren, dem konnte der roemische Homer nicht imponieren und noch weniger die schlechten Uebersetzungen Euripideischer Tragoedien, wie Ennius sie geliefert hatte und Pacuvius sie zu liefern fortfuhr. Mochten der Kritik gegen die vaterlaendische Chronik patriotische Ruecksichten Schranken stecken, so richtete doch Lucilius sehr spitzige Pfeile gegen "die traurigen Figuren aus den geschraubten Expositionen des Pacuvius"; und aehnliche strenge, aber nicht ungerechte Kritiken des Ennius, Plautus, Pacuvius, all dieser Dichter, "die einen Freibrief zu haben scheinen, schwuelstig zu reden und unlogisch zu schliessen", begegnen bei dem feinen Verfasser der am Schlusse dieser Periode geschriebenen, dem Herennius gewidmeten Rhetorik. Man zuckte die Achseln ueber die Interpolationen, mit denen der derbe roemische Volkswitz die eleganten Komoedien des Philemon und des Diphilos staffiert hatte. Halb laechelnd, halb neidisch wandte man sich ab von den unzulaenglichen Versuchen einer dumpfen Zeit, die diesem Kreise erscheinen mochten etwa wie dem gereiften Manne die Gedichtblaetter aus seiner Jugend; auf die Verpflanzung des Wunderbaumes verzichtend, liess man in Poesie und Prosa die hoeheren Kunstgattungen wesentlich fallen und beschraenkte sich hier darauf, der Meisterwerke des Auslandes sich einsichtig zu erfreuen. Die Produktivitaet dieser Epoche bewegt sich vorwiegend auf den untergeordneten Gebieten, der leichteren Komoedie, der poetischen Miszelle, der politischen Broschuere, den Fachwissenschaften. Das literarische Stichwort wird die Korrektheit, im Kunststil und vor allem in der Sprache, welche, wie ein engerer Kreis von Gebildeten aus dem gesamten Volke sich aussondert, sich ihrerseits ebenfalls zersetzt in das klassische Latein der hoeheren Gesellschaft und das vulgaere des gemeinen Mannes. "Reine Sprache" verheissen die Terenzischen Prologe; Sprachfehlerpolemik ist ein Hauptelement der Lucilischen Satire; und ebendamit haengt es zusammen, dass die griechische Schriftstellerei der Roemer jetzt entschieden zuruecktritt. Insofern ist ein Fortschritt zum Besseren allerdings vorhanden; es begegnen in dieser Epoche weit seltener unzulaengliche, weit haeufiger in ihrer Art vollendete und durchaus erfreuliche Leistungen als vorher oder nachher; in sprachlicher Hinsicht nennt schon Cicero die Zeit des Laelius und des Scipio die goldene des reinen unverfaelschten Latein. Desgleichen steigt die literarische Taetigkeit in der oeffentlichen Meinung allmaehlich vom Handwerk zur Kunst empor. Noch im Anfang dieser Periode galt, wenn auch nicht die Veroeffentlichung rezitativer Poesien, doch jedenfalls die Anfertigung von Theaterstuecken als nicht schicklich fuer den vornehmen Roemer: Pacuvius und Terentius lebten von ihren Stuecken; das Dramenschreiben war lediglich ein Handwerk und keines mit goldenem Boden. Um die Zeit Sullas hatten die Verhaeltnisse sich voellig verwandelt. Schon die Schauspielerhonorare dieser Zeit beweisen, dass auch der beliebte dramatische Dichter damals auf eine Bezahlung Anspruch machen durfte, deren Hoehe den Makel entfernte. Damit wurde die Buehnendichtung zur freien Kunst erhoben; und so finden wir denn auch Maenner aus den hoechsten adligen Kreisen, zum Beispiel Lucius Caesar (Aedil 664 90, + 667 87) fuer die roemische Buehne taetig und stolz darauf, in der roemischen "Dichtergilde" neben dem ahnenlosen Accius zu sitzen. Die Kunst gewinnt an Teilnahme und an Ehre; aber der Schwung ist hin im Leben wie in der Literatur. Die nachtwandlerische Sicherheit, die den Dichter zum Dichter macht, und die vor allem bei Plautus sehr entschieden hervortritt, kehrt bei keinem der spaeteren wieder - die Epigonen der Hannibalskaempfer sind korrekt, aber matt. Betrachten wir zuerst die roemische Buehnenliteratur und die Buehne selbst. Im Trauerspiel treten jetzt zuerst Spezialitaeten auf; die Tragoediendichter dieser Epoche kultivierten nicht, wie die der vorigen, nebenbei das Lustspiel und das Epos. Die Wertschaetzung dieses Kunstzweiges in den schreibenden und lesenden Kreisen war offenbar im Steigen, schwerlich aber die tragische Dichtung selbst. Der nationalen Tragoedie (praetexta), der Schoepfung des Naevius, begegnen wir nur noch bei dem gleich zu erwaehnenden Pacuvius, einem Spaetling der Ennianischen Epoche. Unter den wahrscheinlich zahlreichen Nachdichtern griechischer Tragoedie erwerben nur zwei sich einen bedeutenden Namen. Marcus Pacuvius aus Brundisium (535 - ca. 625 219 bis 129), der in seinen frueheren Jahren im Rom vom Malen, erst im hoeheren Alter vom Trauerspieldichten lebte, gehoert seinen Jahren wie seiner Art nach mehr dem sechsten als dem siebenten Jahrhundert an, obwohl seine poetische Taetigkeit in dieses faellt. Er dichtete im ganzen in der Weise seines Landsmanns, Oheims und Meisters Ennius. Sorgsamer feilend und nach hoeherem Schwunge strebend als sein Vorgaenger, galt er guenstigen Kunstkritikern spaeter als Muster der Kunstpoesie und des reichen Stils; in den auf uns gekommenen Bruchstuecken fehlt es indes nicht an Belegen, die Ciceros sprachlichen und Lucilius’ aesthetischen Tadel des Dichters rechtfertigen; seine Sprache erscheint holpriger als die seines Vorgaengers, seine Dichtweise schwuelstig und tueftelnd ^1. Es finden sich Spuren, dass er wie Ennius mehr auf Philosophie als auf Religion gab; aber er bevorzugte doch nicht wie dieser die der neologischen Richtung zusagenden sinnliche Leidenschaft oder moderne Aufklaerung predigenden Dramen und schoepfte ohne Unterschied bei Sophokles und bei Euripides - von jener entschiedenen und beinahe genialen Tendenzpoesie des Ennius kann in dem juengeren Dichter keine Ader gewesen sein. ------------------------------------------------- ^1 So hiess es im ’Paulus’, einem Originalstueck, wahrscheinlich in der Beschreibung des Passes von Pythion (2, 296): Qua vix caprigeno generi gradilis gressio est. Wo kaum Dem bockgeschlechtigen Geschlecht gangbar der Gang. Und in einem andern Stueck wird den Zuhoerern angesonnen, folgende Beschreibung zu verstehen: Vierfuessig, langsamwandelnd, ackerheimisch, rauh, Niedrig, kurzkoepfig, schlangenhalsig, starr zu schaun, Und, ausgeweidet, leblos mit lebendigem Ton. Worauf dieselben natuerlich erwidern: Mit dichtverzaeuntem Worte schilderst du uns ab, Was ratend schwerlich auch der kluge Mann durchschaut; Wenn du nicht offen redest, wir verstehn dich nicht. Es erfolgt nun das Gestaendnis, dass die Schildkroete gemeint ist. uebrigens fehlten solche Raetselreden auch bei den attischen Trauerspieldichtern nicht, die deshalb von der Mittleren Komoedie oft und derb mitgenommen wurden. ------------------------------------------------------ Lesbarere und gewandtere Nachbildungen der griechischen Tragoedie lieferte des Pacuvius juengerer Zeitgenosse Lucius Accius, eines Freigelassenen Sohn von Pisaurum (584 - nach 651 170-108), ausser Pacuvius der einzige namhafte tragische Dichter des siebenten Jahrhunderts. Ohne Zweifel war er, ein auch literarhistorisch und grammatisch taetiger Schriftsteller, bemueht, statt der kruden Weise seiner Vorgaenger groessere Reinheit in Sprache und Stil in die lateinische Tragoedie einzufuehren; doch ward auch seine Ungleichheit und Inkorrektheit von den Maennern der strengen Observanz, wie Lucilius, nachdruecklich getadelt. Weit groessere Taetigkeit und weit bedeutendere Erfolge begegnen auf dem Gebiete des Lustspiels. Gleich am Anfang dieser Periode erfolgte gegen die gangbare und volksmaessige Lustspieldichtung eine bemerkenswerte Reaktion. Ihr Vertreter Terentius (558-595 196-159) ist eine der geschichtlich interessantesten Erscheinungen in der roemischen Literatur. Geboren im phoenikischen Afrika, in frueher Jugend als Sklave nach Rom gebracht und dort in die griechische Bildung der Zeit eingefuehrt, schien er von Haus aus dazu berufen, der neuattischen Komoedie ihren kosmopolitischen Charakter zurueckzugeben, den sie in der Zustutzung fuer das roemische Publikum unter Naevius, Plautus und ihrer Genossen derben Haenden einigermassen eingebuesst hatte. Schon in der Wahl und der Verwendung der Musterstuecke zeigt sich der Gegensatz zwischen ihm und demjenigen seiner Vorgaenger, den wir jetzt allein mit ihm vergleichen koennen. Plautus waehlt seine Stuecke aus dem ganzen Kreise der neueren attischen Komoedie und verschmaeht die keckeren und populaereren Lustspieldichter, wie zum Beispiel den Philemon, durchaus nicht; Terenz haelt sich fast ausschliesslich an Menandros, den zierlichsten, feinsten und zuechtigsten unter allen Poeten der neueren Komoedie. Die Weise, mehrere griechische Stuecke zu einem lateinischen zusammenzuarbeiten, wird von Terenz zwar beibehalten, da sie nach Lage der Sache fuer den roemischen Bearbeiter nun einmal unvermeidlich war, aber mit unvergleichlich mehr Geschicklichkeit und Sorgsamkeit gehandhabt. Der Plautinische Dialog entfernte sich ohne Zweifel sehr haeufig von seinen Mustern; Terenz ruehmt sich des woertlichen Anschlusses seiner Nachbildungen an die Originale, wobei freilich nicht an eine woertliche Uebersetzung in unserm Sinn gedacht werden darf. Die nicht selten rohe, aber immer drastische Auftragung roemischer Lokaltoene auf den griechischen Grund, wie Plautus sie liebte, wird vollstaendig und absichtlich verbannt, nicht eine Anspielung erinnert an Rom, nicht ein Sprichwort, kaum eine Reminiszenz 2; selbst die lateinischen Titel werden durch griechische ersetzt. Derselbe Unterschied zeigt sich in der kuenstlerischen Behandlung. Vor allen Dingen erhalten die Schauspieler die ihnen gebuehrenden Masken zurueck und wird fuer eine sorgfaeltigere Inszenierung Sorge getragen, so dass nicht mehr wie bei Plautus alles, was dahin und nicht dahin gehoert, auf der Strasse vorzugehen braucht. Plautus schuerzt und loest den Knoten leichtsinnig und lose, aber seine Fabel ist drollig und oft frappant; Terenz, weit minder drastisch, traegt ueberall, nicht selten auf Kosten der Spannung, der Wahrscheinlichkeit Rechnung und polemisiert nachdruecklich gegen die allerdings zum Teil platten und abgeschmackten stehenden Notbehelfe seiner Vorgaenger, zum Beispiel gegen die allegorischen Traeume 3. Plautus malt seine Charaktere mit breiten Strichen, oft schablonenhaft, immer fuer die Wirkung aus der Ferne und im ganzen und groben; Terenz behandelt die psychologische Entwicklung mit einer sorgfaeltigen und oft vortrefflichen Miniaturmalerei, wie zum Beispiel in den ’Bruedern’ die beiden Alten, der bequeme staedtische Lebemann und der vielgeplackte, durchaus nicht parfuemierte Gutsherr, einen meisterhaften Kontrast bilden. In den Motiven wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe, Terenz im guten buergerlichen Haushalt. Die ruepelhafte Plautinische Wirtschaft, die sehr ungenierten, aber allerliebsten Dirnchen mit den obligaten Wirten dazu, die saebelrasselnden Landsknechte, die ganz besonders launig gemalte Bedientenwelt, deren Himmel der Keller, deren Fatum die Peitsche ist, sind bei Terenz verschwunden oder doch zum Besseren gewandt. Bei Plautus befindet man sich, im ganzen genommen, unter angehendem oder ausgebildetem Gesindel, bei Terenz dagegen regelmaessig unter lauter edlen Menschen; wird ja einmal ein Maedchenwirt ausgepluendert oder ein junger Mensch ins Bordell gefuehrt, so geschieht es in moralischer Absicht, etwa aus bruederlicher Liebe oder um den Knaben vom Besuch schlichter Haeuser abzuschrecken. In den Plautinischen Stuecken herrscht die Philisteropposition der Kneipe gegen das Haus: ueberall werden die Frauen heruntergemacht zur Ergoetzung aller zeitweilig emanzipierten und einer liebenswuerdigen Begruessung daheim nicht voellig versicherten Eheleute. In den Terenzischen Komoedien herrscht nicht eine sittlichere, aber wohl eine schicklichere Auffassung der Frauennatur und des ehelichen Lebens. Regelmaessig schliessen sie mit einer tugendhaften Hochzeit oder womoeglich mit zweien - ebenwie von Menandros geruehmt wird, dass er jede Verfuehrung durch eine Hochzeit wiedergutgemacht habe. Die Lobreden auf das ehelose Leben, die bei Menandros so haeufig sind, werden von seinem roemischen Bearbeiter nur mit charakteristischer Schuechternheit wiederholt 4, dagegen der Verliebte in seiner Pein, der zaertliche Ehemann am Kindbett, die liebevolle Schwester auf dem Sterbelager im ’Verschnittenen’ und im ’Maedchen von Andros’ gar anmutig geschildert; ja in der ’Schwiegermutter’ erscheint sogar am Schluss als rettender Engel ein tugendhaftes Freudenmaedchen, ebenfalls eine echt Menandrische Figur, die das roemische Publikum freilich wie billig auspfiff. Bei Plautus sind die Vaeter durchaus nur dazu da, um von den Soehnen gefoppt und geprellt zu werden; bei Terenz wird im ’Selbstquaeler’ der verlorene Sohn durch vaeterliche Weisheit gebessert und, wie er ueberhaupt voll trefflicher Paedagogik ist, geht in dem vorzueglichsten seiner Stuecke, den ’Bruedern’, die Pointe darauf hinaus, zwischen der allzu liberalen Onkelund der allzu rigorosen Vatererziehung die rechte Mitte zu finden. Plautus schreibt fuer den grossen Haufen und fuehrt gottlose und spoettische Reden im Munde, soweit die Buehnenzensur es irgend gestattet; Terenz bezeichnet vielmehr als seinen Zweck, den Guten zu gefallen und, wie Menandros, niemand zu verletzen. Plautus liebt den raschen, oft laermenden Dialog, und es gehoert zu seinen Stuecken das lebhafte Koerperspiel der Schauspieler; Terenz beschraenkte sich auf "ruhiges Gespraech". Plautus’ Sprache fliesst ueber von burlesken Wendungen und Wortwitzen, von Alliterationen, von komischen Neubildungen, aristophanischen Woerterverklitterungen, spasshaft entlehnten griechischen Schlagwoertern. Dergleichen Capricci kennt Terenz nicht: sein Dialog bewegt sich im reinsten Ebenmass, und die Pointen sind zierliche epigrammatische und sentenzioese Wendungen. Kein Lustspiel des Terenz ist dem Plautinischen gegenueber, weder in poetischer noch in sittlicher Hinsicht, ein Fortschritt zu nennen. Von Originalitaet kann bei beiden nicht, aber wo moeglich noch weniger bei Terenz, die Rede sein; und das zweifelhafte Lob korrekterer Kopierung wird wenigstens aufgewogen dadurch, dass der juengere Dichter wohl die Vergnueglichkeit, aber nicht Lustigkeit Menanders wiederzugeben verstand, so dass die dem Menander nachgedichteten Lustspiels des Plautus, wie der ’Stichus’, die Kaestchenkomoedie, ’Die beiden Backchis’, wahrscheinlich weit mehr von dem sprudelnden Zauber des Originals bewahren als die Komoedien des "halbierten Menander". Ebensowenig wie in dem Uebergang vom Rohen zum Matten der Aesthetiker, kann der Sittenrichter in dem Uebergang von der Plautinischen Zote und Indifferenz zu der Terenzischen Akkommodierungsmoral einen Fortschritt erkennen. Aber ein sprachlicher Fortschritt fand allerdings statt. Die elegante Sprache war der Stolz des Dichters, und ihrem unnachahmlichen Reiz vor allem verdankte er es, dass die feinsten Kunstrichter der Folgezeit, wie Cicero, Caesar, Quintilian, unter allen roemischen Dichtern der republikanischen Zeit ihm den Preis zuerkannten. Insofern ist es auch wohl gerechtfertigt, in der roemischen Literatur, deren wesentlicher Kern ja nicht die Entwicklung der lateinischen Poesie, sondern die der lateinischen Sprache ist, von den Terenzischen Lustspielen als der ersten kuenstlerisch reinen Nachbildung hellenischer Kunstwerke eine neue Aera zu datieren. Im entschiedensten literarischen Krieg brach die moderne Komoedie sich Bahn. Die Plautinische Dichtweise hatte in dem roemischen Buergerstand Wurzel gefasst; die Terenzischen Lustspiele stiessen auf den lebhaftesten Widerstand bei dem Publikum, das ihre "matte Sprache", ihren "schwachen Stil" unleidlich fand. Der, wie es scheint, ziemlich empfindliche Dichter antwortete in den eigentlich keineswegs hierzu bestimmten Prologen mit Antikritiken voll defensiver und offensiver Polemik und provozierte von der Menge, die aus seiner ’Schwiegermutter’ zweimal weggelaufen war, um einer Fechterund Seiltaenzerbande zuzusehen, auf die gebildeten Kreise der vornehmen Welt. Er erklaerte, nur nach dem Beifall der "Guten" zu streben, wobei freilich die Andeutung nicht fehlt, dass es durchaus nicht anstaendig sei, Kunstwerke zu missachten, die den Beifall der "Wenigen" erhalten haetten. Er liess die Rede sich gefallen oder beguenstigte sie sogar, dass vornehme Leute ihn bei seinem Dichten mit Rat und sogar mit der Tat unterstuetzten 5. In der Tat drang er durch; selbst in der Literatur herrschte die Oligarchie und verdraengte die kunstmaessige Komoedie der Exklusiven das volkstuemliche Lustspiel: wir finden, dass um 620 (134) die Plautinischen Stuecke vom Repertoire verschwanden. Es ist dies um so bezeichnender, als nach dem fruehen Tode des Terenz durchaus kein hervorstechendes Talent weiter auf diesem Gebiet taetig war; ueber die Komoedien des Turpilius (+ 651 hochbejahrt 103) und andere ganz oder fast ganz verschollene Lueckenbuesser urteilte schon am Ende dieser Periode ein Kenner, dass die neuen Komoedien noch viel schlechter seien als die schlechten neuen Pfennige. Dass wahrscheinlich bereits im Laufe des sechsten Jahrhunderts zu der griechisch-roemischen Komoedie (palliata) die nationale (togata) hinzugetreten war als Abbild zwar nicht des spezifischen hauptstaedtischen, aber doch des Tuns und Treibens im latinischen Land, ist frueher gezeigt worden. Natuerlich bemaechtigte die Terenzische Schule rasch sich auch dieser Gattung; es war ganz in ihrem Sinn, die griechische Komoedie einerseits in getreuer Uebersetzung, andererseits in rein roemischer Nachdichtung in Italien einzubuergern. Der Hauptvertreter dieser Richtung ist Lucius Afranius (blueht um 660 90). Die Bruchstuecke, die uns von ihm vorliegen, geben keinen bestimmten Eindruck, aber sie widersprechen auch nicht dem, was die roemischen Kunstkritiker ueber ihn bemerken. Seine zahlreichen Nationallustspiele waren der Anlage nach durchaus dem griechischen Intrigenstueck nachgebildet, nur dass sie, wie bei der Nachdichtung natuerlich ist, einfacher und kuerzer ausfielen. Auch im einzelnen borgte er, was ihm gefiel, teils von Menandros, teils aus der aelteren Nationalliteratur. Von den latinischen Lokaltoenen aber, die bei dem Schoepfer dieser Kunstgattung, Titinius, so bestimmt hervortreten, begegnet bei Afranius nicht viel 6; seine Sujets halten sich sehr allgemein und moegen wohl durchgaengig Nachbildungen bestimmter griechischer Komoedien nur mit veraendertem Kostuem sein. Ein feiner Eklektizismus und eine gewandte Kunstdichtung - literarische Anspielungen kommen nicht selten vor - sind ihm eigen wie dem Terenz; auch die sittliche Tendenz, die seine Stuecke dem Schauspiel naeherte, die polizeimaessige Haltung, die reine Sprache hat er mit diesem gemein. Als Geistesverwandten des Menandros und des Terenz charakterisieren ihn hinreichend das Urteil der Spaeteren, dass er die Toga trage wie Menandros sie als Italiker getragen haben wuerde, und seine eigene Aeusserung, dass ihm Terenz ueber alle andern Dichter gehe. ------------------------------------------- 2 Vielleicht die einzige Ausnahme ist im ’Maedchen von Andros’ (4, 5) die Antwort auf die Frage, wie es gehe: Nun, Wie wir koennen, heisst’s ja, da, wie wir moechten, es nicht geht, mit Anspielung auf die freilich auch einem griechischen Sprichwort nachgebildete Zeile des Caecilius: Geht’s nicht so, wie du magst, so lebe wie du kannst. Das Lustspiel ist das aelteste der Terenzischen und ward auf Empfehlung des Caecilius von dem Theatervorstand zur Auffuehrung gebracht. Der leise Dank ist bezeichnend. 3 Ein Seitenstueck zu der von Hunden gehetzten, weinend einen jungen Menschen um Hilfe anrufenden Hindin, die Terenz (Phorm. prol. 4) verspottet, wird man in der wenig geistreichen Plautinischen Allegorie von der Ziege und dem Affen (Merc. 2, 1) erkennen duerfen. Schliesslich gehen auch dergleichen Auswuechse auf die Euripideische Rhetorik zurueck (z. B. Eur. Hek. 90). 4 Micio in den ’Bruedern’ (I, 1) preist sein Lebenslos und namentlich auch, dass er nie eine Frau gehabt, "was jene (die Griechen) fuer ein Glueck halten". 5 Im Prolog des ’Selbstquaelers’ laesst er von seinen Rezensenten sich vorwerfen: Er habe verlegt sich ploetzlich auf die Poesie, Der Freunde Geist vertrauend, nicht aus eignem Drang; und in dem spaeteren (594 160) zu den ’Bruedern’ heisst es: Denn wenn Missguenstige sagen, dass vornehme Herrn Beim Werk ihm helfen und mitschreiben an jedem Stueck, So rechnet dies, was herber Tadel jenen scheint, Der Dichter zum R uhm sich: dass den Maennern er gefaellt, Die euch und allem Volke wohlgefaellig sind, Die in Kriegslaeuften seinerzeit mit Rat und Tat Hilfreich erprobt ihr all’ und ohne Uebermut. Schon in der ciceronischen Zeit war es allgemeine Annahme, dass hier Laelius und Scipio Aemilianus gemeint seien; man bezeichnete die Szenen die von denselben herruehren sollten; man erzaehlte von den Fahrten des armen Dichters mit seinen vornehmen Goennern auf ihre Gueter bei Rom und fand es unverzeihlich, dass dieselben fuer die Verbesserung seiner oekonomischen Lage gar nichts getan haetten. Allein die sagenbildende Kraft ist bekanntlich nirgends maechtiger als in der Literaturgeschichte. Es leuchtet ein, und schon besonnene roemische Kritiker haben es erkannt, dass diese Zeilen unmoeglich auf den damals 25jaehrigen Scipio und auf seinen nicht viel aelteren Freund Laelius gehen koennen. Verstaendiger wenigstens dachten andere an die vornehmen Poeten Quintus Labeo (Konsul 571 183) und Marcus Popillius (Konsul 581 173) und den gelehrten Kunstfreund und Mathematiker Lucius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166); doch ist auch dies offenbar nur Vermutung. Dass Terenz dem Scipionischen Hause nahe stand, ist uebrigens nicht zu bezweifeln; es ist bezeichnend, dass die erste Auffuehrung der ’Brueder’ und die zweite der ’Schwiegermutter’ stattfand bei den Begraebnisfeierlichkeiten des Lucius Paullus, die dessen Soehne Scipio und Fabius ausrichteten. 6 Dabei haben vermutlich auch aeusserliche Umstaende mitgewirkt. Nachdem infolge des Bundesgenossenkrieges alle italischen Gemeinden das roemische Buergerrecht erlangt hatten, war es nicht mehr erlaubt, die Szene eines Lustspiels in eine solche zu verlegen, und musste der Dichter sich entweder allgemein halten oder untergegangene oder auslaendische Orte auswaehlen. Gewiss hat auch dieser Umstand, der selbst bei der Auffuehrung der aelteren Lustspiele in Betracht kam, auf das Nationallustspiel unguenstig eingewirkt. ------------------------------------------- Neu trat in dieser Epoche in das Gebiet der lateinischen Literatur die Posse ein. Sie selbst war uralt; lange bevor Rom stand, moegen Latiums lustige Gesellen bei festlichen Gelegenheiten in den ein fuer allemal feststehenden Charaktermasken improvisiert haben. Einen festen lokalen Hintergrund erhielten diese Spaesse an dem lateinischen Schildburg, wozu man die im Hannibalischen Kriege zerstoerte und damit der Komik preisgegebene ehemals oskische Stadt Atella ausersah; seitdem ward fuer diese Auffuehrungen der Name der "Oskischen Spiele" oder "Spiele von Atella" ueblich 7. Aber mit der Buehne 8 und mit der Literatur hatten diese Scherze nichts zu tun; sie wurden von Dilettanten wo und wie es ihnen beliebte aufgefuehrt, und die Texte nicht geschrieben oder doch nicht veroeffentlicht. Erst in dieser Periode ueberwies man das Atellanenstueck an eigentliche Schauspieler 9 und verwandte es, aehnlich wie das griechische Satyrdrama, als Nachspiel namentlich nach den Tragoedien; wo es denn nicht fern lag, auch die schriftstellerische Taetigkeit hierauf zu erstrecken. Ob die roemische Kunstposse ganz selbstaendig sich entwickelte oder etwa die in mancher Hinsicht verwandte unteritalische zu ihr den Anstoss gegeben hat ^10, laesst sich nicht mehr entscheiden; dass die einzelnen Stuecke durchgaengig Originalarbeiten gewesen sind, ist gewiss. Als Begruender dieser neuen Literaturgattung trat in der ersten Haelfte des siebenten Jahrhunderts ^11 Lucius Pomponius aus der latinischen Kolonie Bonoma auf, neben dessen Stuecken bald auch die eines andern Dichters, Novius, sich beliebt machten. Soweit die nicht zahlreichen Truemmer und die Berichte der alten Literatoren uns hier ein Urteil gestatten, waren es kurze, regelmaessig wohl einaktige Possen, deren Reiz weniger auf der tollen und locker geknuepften Fabel beruhte als auf der drastischen Abkonterfeiung einzelner Staende und Situationen. Gern wurden Festtage und oeffentliche Akte komisch geschildert: ’Die Hochzeit, ’Der erste Maerz’, ’Pantalon Wahlkandidat’; ebenso fremde Nationalitaeten: die transalpinischen Gallier, die Syrer; vor allem haeufig erschienen auf den Brettern die einzelnen Gewerbe: der Kuester, der Wahrsager, der Vogelschauer, der Arzt, der Zoellner, der Maler, Fischer, Baecker gingen ueber die Buehne; die Ausrufer hatten viel zu leiden und mehr noch die Walker, die in der roemischen Narrenwelt die Rolle unserer Schneider gespielt zu haben scheinen. Wenn also dem mannigfaltigen staedtischen Leben sein Recht geschah, so ward auch der Bauer mit seinen Leiden und Freuden nach allen Seiten dargestellt - von der Fuelle dieses laendlichen Repertoires geben eine Ahnung die zahlreichen derartigen Titel, wie zum Beispiel ’Die Kuh’, ’Der Esel’, ’Das Zicklein’, ’Die Sau’, ’Das Schwein’, ’Das kranke Schwein, ’Der Bauer, ’Der Landmann, ’Pantalon Landmann, ’Der Rinderknecht, ’Die Winzer, ’Der Feigensammler’, ’Das Holzmachen’, ’Das Behacken, ’Der Huehnerhof’. Immer noch waren es in diesen Stuecken die stehenden Figuren des dummen und des pfiffigen Dieners, des guten Alten, des weisen Mannes, die das Publikum ergoetzten; namentlich der erste durfte nicht fehlen, der Pulcinell dieser Posse, der gefraessige, unflaetige ausstaffiert haessliche und dabei ewig verliebte Maccus, immer im Begriff, ueber seine eigenen Fuesse zu fallen, von allen mit Hohn und mit Pruegeln bedacht und endlich am Schluss der regelmaessige Suendenbock - die Titel ’Pulcinell Soldat, ’Pulcinell Wirt’, ’Jungfer Pulcinell’, ’Pulcinell in der Verbannung, ’Die beiden Pulcinelle’ moegen dem gutgelaunten Leser eine Ahnung davon geben, wie mannigfaltig es auf der roemischen Mummenschanz herging. Obwohl diese Possen, wenigstens seit sie geschrieben wurden, den allgemeinen Gesetzen der Literatur sich fuegten und in den Versmassen zum Beispiel der griechischen Buehne sich anschlossen, so hielten sie doch sich natuerlicherweise bei weitem latinischer und volkstuemlicher als selbst das nationale Lustspiel; in die griechische Welt begab sich die Posse nur in der Form der travestierten Tragoedie ^12 und auch dies Genre scheint erst von Novius und ueberhaupt nicht sehr haeufig kultiviert worden zu sein. Die Posse dieses Dichters wagte sich auch schon, wo nicht bis in den Olymp, doch wenigstens bis zu dem menschlichsten der Goetter, dem Hercules; er schrieb einen ’Hercules Auctionator’. Dass der Ton nicht der feinste war, versteht sich; sehr unzweideutige Zweideutigkeiten, grobkoernige Bauernzoten, Kinder schreckende und gelegentlich fressende Gespenster gehoerten hier einmal mit dazu, und persoenliche Anzueglichkeiten, sogar mit Nennung der Namen, schluepften nicht selten durch. Aber es fehlte auch nicht an lebendiger Schilderung, an grotesken Einfaellen, schlagenden Spaessen, kernigen Spruechen, und die Harlekinade gewann sich rasch eine nicht unansehnliche Stellung im Buehnenleben der Hauptstadt und selbst in der Literatur. ------------------------------------ 7 Es knuepfen sich an diesen Namen seit alter Zeit eine Reihe von Irrtuemern. Das arge Versehen griechischer Berichterstatter, dass diese Possen in Rom in oskischer Sprache gespielt worden seien, wird mit Recht jetzt allgemein verworfen; allein es stellt bei genauerer Betrachtung sich nicht minder als unmoeglich heraus diese, in der Mitte des latinischen Stadtund Landlebens stehenden Stuecke ueberhaupt auf das national oskische Wesen zu beziehen. Die Benennung des "Atellanischen Spiels" erklaert sich auf eine andere Weise. Die latinische Posse mit ihren festen Rollen und stehenden Spaessen bedurfte einer bleibenden Szenerie; die Narrenwelt sucht ueberall sich ein Schildburg. Natuerlich konnte bei der roemischen Buehnenpolizei keine der roemischen oder auch nur mit Rom verbuendeten latinischen Gemeinden dazu genommen werden, obwohl die togatae in diese zu verlegen gestattet war. Atella aber, das mit Capua zugleich im Jahre 543 (211) rechtlich vernichtet ward, tatsaechlich aber als ein von roemischen Bauern bewohntes Dorf fortbestand, eignete sich dazu in jeder Beziehung. Zur Gewissheit wird diese Vermutung durch die Wahrnehmung, dass einzelne dieser Possen auch in anderen ueberhaupt oder doch rechtlich nicht mehr existierenden Gemeinden des lateinisch redenden Gebiets spielen: so des Pomponius Campani, vielleicht auch seine Adelphi und seine Quinquatria in Capua, des Novius milites Pometinenses in Suessa Pometia, waehrend keine bestehende Gemeinde aehnlich gemisshandelt wird. Die wirkliche Heimat dieser Stuecke ist also Latium, ihr poetischer Schauplatz die latinisierte Oskerlandschaft; mit der oskischen Nation haben sie nichts zu tun. Dass ein Stueck des Naevius (+ nach 550 200) in Ermangelung eigentlicher Schauspieler von "Atellanenspielern" aufgefuehrt ward und deshalb personata hiess (Festus u. d. W.), beweist hiergegen in keinem Fall; die Benennung "Atellanenspieler" wird hier proleptisch stehen, und man koennte sogar danach vermuten, dass sie frueher "Maskenspieler" (personati) hiessen. Ganz in gleicher Weise erklaeren sich endlich auch die "Lieder von Fescennium", die gleichfalls zu der parodischen Poesie der Roemer gehoeren und in der suedetruskischen Ortschaft Fescennium lokalisiert wurden, ohne darum mehr zu der etruskischen Poesie gerechnet werden zu duerfen als die Atellanen zur oskischen. Dass Fescennium in historischer Zeit nicht Stadt, sondern Dorf war, laesst sich allerdings nicht unmittelbar beweisen, ist aber nach der Art, wie die Schriftsteller des Ortes gedenken und nach dem Schweigen der Inschriften im hoechsten Grade wahrscheinlich. 8 Die enge und urspruengliche Verbindung, in die namentlich Livius die Atellanenposse mit der Satura und dem aus dieser sich entwickelnden Schauspiel bringt, ist schlechterdings nicht haltbar. Zwischen dem Histrio und dem Atellanenspieler war der Unterschied ungefaehr ebenso gross wie heutzutage zwischen dem, der auf die Buehne und dem, der auf den Maskenball geht; auch zwischen dem Schauspiel, das bis auf Terenz keine Masken kannte, und der Atellane, die wesentlich auf der Charaktermaske beruhte, besteht ein urspruenglicher, in keiner Weise auszugleichender Unterschied. Das Schauspiel ging aus von dem Floetenstuecke, das anfangs ohne alle Rezitation bloss auf Gesang und Tanz sich beschraenkte, sodann einen Text (satura), endlich durch Andronicus ein der griechischen Schaubuehne entlehntes Libretto erhielt, worin die alten Floetenlieder ungefaehr die Stelle des griechischen Chors einnahmen. Mit der Dilettantenposse beruehrt sich dieser Entwicklungsgang in den frueheren Stadien nirgends. 9 In der Kaiserzeit ward die Atellane durch Schauspieler von Profession dargestellt (Friedlaender in Beckers Handbuch, Bd. 6, S. 549). Die Zeit, wo diese anfingen, sich mit ihr zu befassen, ist nicht ueberliefert, kann aber kaum eine andere gewesen sein als diejenige, in welcher die Atellane unter die regelmaessigen Buehnenspiele eintrat, das heisst die vorciceronische Epoche, (Cic. ad fam. 9, 16). Damit ist nicht im Widerspruch, dass noch zu Livius’ (7, 2) Zeit die Atellanenspieler im Gegensatz der uebrigen Schauspieler ihre Ehrenrechte behielten; denn damit, dass Schauspieler von Profession gegen Bezahlung die Atellane mitaufzufuehren anfingen, ist noch gar nicht gesagt, dass dieselbe nicht mehr, zum Beispiel in den Landstaedten, von unbezahlten Dilettanten aufgefuehrt ward und das Privilegium also fortwaehrend anwendbar blieb. ^10 Es verdient Beachtung, dass die griechische Posse nicht bloss vorzugsweise in Unteritalien zu Hause ist, sondern auch manche ihrer Stuecke (zum Beispiel unter denen des Sopatros ’Das Linsengericht, ’Bakchis’ Freier, ’Des Mystakos Lohnlakai, ’Die Gelehrtem, ’Der Physiolog’) lebhaft an die Atellanen erinnern. Auch muss diese Possendichtung bis in die Zeit hinabgereicht haben, wo die Griechen in und um Neapel eine Enklave in dem lateinisch redenden Kampanien bildeten; denn einer dieser Possenschreiber, Blaesus von Capreae, fuehrt schon einen roemischen Namen und schrieb eine Posse ’Saturnus’. ^11 Nach Eusebius bluehte Pomponius um 664 (90); Velleius nennt ihn Zeitgenossen des Lucius Crassus (614-663 140-91) und Marcus Antonius (611-667 143-87). Die erste Ansetzung duerfte um ein Menschenalter zu spaet sein; die um 650 100 abgekommene Rechnung nach Victoriaten kommt in seinen ’Malern’ noch vor, und um das Ende dieser Periode begegnen auch schon die Mimen, welche die Atellanen von der Buehne verdraengten. ^12 Lustig genug mochte sie auch hier sein. So hiess es in Novius’ ’Phoenissen’: Auf! waffne dich! mit der Binsenkeule schlag ich dich tot! ganz wie Menanders ’falscher Herakles’ auftritt. ---------------------------------------------- Was endlich die Entwicklung des Buehnenwesens anlangt, so sind wir nicht imstande, im einzelnen darzulegen, was im ganzen klar erhellt, dass das allgemeine Interesse an den Buehnenspielen bestaendig im Steigen war und dieselben immer haeufiger und immer prachtvoller wurden. Nicht bloss ward jetzt wohl kaum ein ordentliches oder ausserordentliches Volksfest ohne Buehnenspiele begangen, auch in den Landstaedten und Privathaeusern wurden Vorstellungen gemieteter Schauspielertruppen gewoehnlich. Zwar entbehrte, waehrend wahrscheinlich manche Munizipalstadt schon in dieser Zeit ein steinernes Theater besass, die Hauptstadt eines solchen noch immer; den schon verdungenen Theaterbau hatte der Senat im Jahre 599 (185) auf Veranlassung des Publius Scipio Nasica wieder inhibiert. Es war das ganz im Geiste der scheinheiligen Politik dieser Zeit, dass man aus Respekt vor den Sitten der Vaeter die Erbauung eines stehenden Theaters verhinderte, aber nichtsdestoweniger die Theaterspiele reissend zunehmen und Jahr aus Jahr ein ungeheure Summen verschwenden liess, um Brettergerueste fuer dieselben aufzuschlagen und zu dekorieren. Die Buehneneinrichtungen hoben sich zusehends. Die verbesserte Inszenierung und die Wiedereinfuehrung der Masken um die Zeit des Terenz haengt wohl ohne Zweifel damit zusammen, dass die Einrichtung und Instandhaltung der Buehne und des Buehnenapparats im Jahre 580 (74) auf die Staatskasse uebernommen ward ^13. Epochemachend in der Theatergeschichte wurden die Spiele, welche Lucius Mummius nach der Einnahme von Korinth gab (609 145). Wahrscheinlich wurde damals zuerst ein nach griechischer Art akustisch gebautes und mit Sitzplaetzen versehenes Theater aufgeschlagen und ueberhaupt auf die Spiele mehr Sorgfalt verwandt ^14. Nun ist auch von Erteilung eines Siegespreises, also von Konkurrenz mehrerer Stuecke, von lebhafter Parteinahme des Publikums fuer und gegen die Hauptschauspieler, von Clique und Claque mehrfach die Rede. Dekorationen und Maschinerie wurden verbessert: kunstmaessig gemalte Kulissen und hoerbare Theaterdonner kamen unter der Aedilitaet des Gaius Claudius Pulcher 655 (99) auf ^15, zwanzig Jahre spaeter (675 79) unter der Aedilitaet der Brueder Lucius und Marcus Lucullus, die Verwandlung der Dekorationen durch Umdrehung der Kulissen. Dem Ende dieser Epoche gehoert der groesste roemische Schauspieler an, der Freigelassene Quintus Roscius (+ um 692 62 hoch bejahrt), durch mehrere Generationen hindurch der Schmuck und Stolz der roemischen Buehne ^16, Sullas Freund und gern gesehener Tischgenosse, auf den noch spaeter zurueckzukommen sein wird. ----------------------------------------------- ^13 Bisher hatte der Spielgeber die Buehne und den szenischen Apparat aus der ihm ueberwiesenen Pauschsumme oder auf eigene Kosten instand setzen muessen und wird wohl nicht oft hierauf viel Geld gewendet worden sein. Im Jahre 580 (174) aber gaben die Zensoren die Einrichtung der Buehne fuer die Spiele der Aedilen und Praetoren besonders in Verding (Liv. 41, 27); dass der Buehnenapparat jetzt nicht mehr bloss fuer einmal angeschafft ward, wird zu einer merklichen Verbesserung desselben gefuehrt haben. ^14 Die Beruecksichtigung der akustischen Vorrichtungen der Griechen folgt wohl aus Vitr. 5, 5, B. Ueber die Sitzplaetze hat F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 227, XX) gesprochen; doch duerften (nach Plaut. Capt. prol. 11) nur diejenigen, welche nicht capite censi waren, Anspruch auf einen solchen gehabt haben. Wahrscheinlich gehen uebrigens zunaechst auf diese epochemachenden Theaterspiele des Mummius (Tac. arm. 14, 21) die Worte des Horaz, dass "das gefangene Griechenland den Sieger gefangen nahm". ^15 Die Kulissen des Pulcher muessen ordentlich gemalt gewesen sein, da die Voegel versucht haben sollen, sich auf die Ziegel derselben zu setzen (Plin nat. 35, 4 23; Val. Max. 2, 4, 6). Bis dahin hatte die Donnermaschinerie darin bestanden, dass Naegel und Steine in einem kupfernen Kessel geschuettelt wurden; erst Pulcher stellte einen besseren Donner durch gerollte Steine her - das nannte man seitdem "Claudischen Donner" (Festus v. Claudiana p. 57). ^16 Unter den wenigen, aus dieser Epoche erhaltenen kleineren Gedichten findet sich folgendes Epigramm auf diesen gefeierten Schauspieler: Constiteram, exorientem Auroram forte salutans, Cum subito a laeva Roscius exoritur. Pace mihi liceat, caelestes, dicere vestra: Mortalis visust pulchrior esse deo. Juengsthin stand ich, die Sonne verehrend eben im Aufgehn: Da zur Linken mir, schau! ploetzlich geht Roscius auf. Zuernet, ihr Himmlischen, nicht, wenn was ich gedacht ich gestehe: Schoener fuerwahr als der Gott deuchte der Sterbliche mir. Der Verfasser dieses griechisch gehaltenen und von griechischem Kunstenthusiasmus eingegebenen Epigramms ist kein geringerer Mann als der Besieger der Kimbrer, Quintus Lutatius Catulus, Konsul 652 (102). ------------------------------------------ In der rezitativen Poesie faellt vor allem die Nichtigkeit des Epos auf, das im sechsten Jahrhundert unter der zum Lesen bestimmten Literatur entschieden den ersten Platz eingenommen hatte, im siebenten zwar zahlreiche Vertreter fand, aber nicht einen einzigen von auch nur voruebergehendem Erfolg. Aus der gegenwaertigen Epoche ist kaum etwas zu nennen als eine Anzahl roher Versuche, den Homer zu uebersetzen und einige Fortsetzungen der Ennianischen Jahrbuecher, wie des Hostius ’Histrischer Krieg’ und des Aulus Furius (um 650 100) ’Jahrbuecher (vielleicht) des Gallischen Krieges’, die allem Anschein nach unmittelbar da fortfuhren, wo Ennius in der Beschreibung des Histrischen Krieges von 576 (178) und 577 (177) aufgehoert hatte. Auch in der didaktischen und elegischen Poesie erscheint nirgends ein hervorragender Name. Die einzigen Erfolge, welche die rezitative Dichtkunst dieser Epoche aufzuweisen hat, gehoeren dem Gebiete der sogenannten Satura an, derjenigen Kunstgattung, die gleich dem Briefe oder der Broschuere jede Form zulaesst und jeden Inhalt aufnimmt, darum auch aller eigentlichen Gattungskriterien ermangelnd, durchaus nach der Individualitaet eines jeden Dichters sich individualisiert und nicht bloss auf der Grenze von Poesie und Prosa, sondern schon mehr als zur Haelfte ausserhalb der eigentlichen Literatur steht. Die launigen poetischen Episteln, die einer der juengeren Maenner des Scipionischen Kreises, Spurius Mummius, der Bruder des Zerstoerers von Korinth, aus dem Lager von Korinth an seine Freunde daheim gesandt hatte, wurden noch ein Jahrhundert spaeter gern gelesen; und es moegen dergleichen nicht zur Veroeffentlichung bestimmte poetische Scherze aus dem reichen geselligen und geistigen Leben der besseren Zirkel Roms damals zahlreich hervorgegangen sein. Ihr Vertreter in der Literatur ist Gaius Lucilius (606-651 148-103), einer angesehenen Familie der latinischen Kolonie Suessa entsprossen und gleichfalls ein Glied des Scipionischen Kreises. Auch seine Gedichte sind gleichsam offene Briefe an das Publikum, ihr Inhalt, wie ein geistreicher Nachfahre anmutig sagt, das ganze Leben des gebildeten unabhaengigen Mannes, der den Vorgaengen auf der politischen Schaubuehne vom Parkett und gelegentlich von den Kulissen aus zusieht, der mit den Besten seiner Zeit verkehrt als mit seinesgleichen, der Literatur und Wissenschaft mit Anteil und Einsicht verfolgt, ohne doch selbst fuer einen Dichter oder Gelehrten gelten zu wollen, und der endlich fuer alles, was im Guten und Boesen ihm begegnet, fuer politische Erfahrungen und Erwartungen, fuer Sprachbemerkungen und Kunsturteile, fuer eigene Erlebnisse, Besuche, Diners, Reisen wie fuer vernommene Anekdoten sein Taschenbuch zum Vertrauten nimmt. Kaustisch, kaprizioes, durchaus individuell hat die Lucilische Poesie doch eine scharf ausgepraegte oppositionelle und insofern auch lehrhafte Tendenz, literarisch sowohl wie moralisch und politisch; auch in ihr ist etwas von der Auflehnung der Landschaft gegen die Hauptstadt, herrscht das Selbstgefuehl des rein redenden und ehrenhaft lebenden Suessaners im Gegensatz gegen das grosse Babel der Sprachmengerei und Sittenverderbnis. Die Richtung des Scipionischen Kreises auf literarische, namentlich sprachliche Korrektheit findet kritisch ihren vollendetsten und geistreichsten Vertreter in Lucilius. Er widmete gleich sein erstes Buch dem Begruender der roemischen Philologie, Lucius Stilo, und bezeichnete als das Publikum, fuer das er schrieb, nicht die gebildeten Kreise reiner und mustergueltiger Rede, sondern die Tarentiner, die Brettier, die Siculer, das heisst die Halbgriechen Italiens, deren Lateinisch allerdings eines Korrektivs wohl beduerfen mochte. Ganze Buecher seiner Gedichte beschaeftigen sich mit der Feststellung der lateinischen Orthographie und Prosodie, mit der Bekaempfung praenestinischer, sabinischer, etruskischer Provinzialismen, mit der Ausmerzung gangbarer Soloezismen, woneben der Dichter aber keineswegs vergisst, den geistlos schematischen Isokrateischen Wortund Phrasenpurismus zu verhoehnen ^17 und selbst dem Freunde Scipio die exklusive Feinheit seiner Rede in recht ernsthaften Scherzen vorzuruecken ^18. Aber weit ernstlicher noch als das reine einfache Latein predigt der Dichter reine Sitte im Privatund im oeffentlichen Leben. Seine Stellung beguenstigte ihn hierbei in eigener Art. Obwohl durch Herkunft, Vermoegen und Bildung den vornehmen Roemern seiner Zeit gleichstehend und Besitzer eines ansehnlichen Hauses in der Hauptstadt, war er doch nicht roemischer Buerger, sondern latinischer; selbst sein Verhaeltnis zu Scipio, unter dem er in seiner ersten Jugend den Numantinischen Krieg mitgemacht hatte und in dessen Hause er haeufig verkehrte, mag damit zusammenhaengen, dass Scipio in vielfachen Beziehungen zu den Latinern stand und in den politischen Fehden der Zeit ihr Patron war. Die oeffentliche Laufbahn war ihm hierdurch verschlossen und die Spekulantenkarriere verschmaehte er - er mochte nicht, wie er einmal sagt, "aufhoeren, Lucilius zu sein, um asiatischer Steuerpaechter zu werden". So stand er in der schwuelen Zeit der Gracchischen Reformen und des sich vorbereitenden Bundesgenossenkrieges, verkehrend in den Palaesten und Villen der roemischen Grossen und doch nicht gerade ihr Klient, zugleich mitten in den Wogen des politischen Koterienund Parteikampfes und doch nicht unmittelbar an jenem und diesem beteiligt; aehnlich wie Beranger, an den gar vieles in Lucilius’ politischer und poetischer Stellung erinnert. Von diesem Standpunkt aus sprach er mit unverwuestlichem gesunden Menschenverstand, mit unversiegbarer guter Laune und ewig sprudelndem Witz hinein in das oeffentliche Leben. Jetzt aber am Festund Werkeltag Den ganzen lieben langen Tag Auf dem Markte von frueh bis Spat Draengen die Buerger und die sich vom Rat Und weichen und wanken nicht von der Statt. Ein Handwerk einzig und allein Betreiben alle insgemein, Den andern zu prellen mit Verstand, Im Luegen zu haben die Vorderhand Und zu werden im Schmeicheln und Heucheln gewandt. All’ untereinandern belauern sie sich, Als laege jeder mit jedem im Krieg ^19. ----------------------------------------------------------- ^17 Quam lepide lexeis, compostae ut tesserulae omnes Arte pavimento atque emblemate vermiculato! Ei, die niedliche Phrasenfabrik! Gefuegt so zierlich Stueck fuer Stueck, Wie die Stifte im bunten Mosaik. ^18 Der Dichter raet ihm: Quo facetior videare et scire plus quam ceteri, Dass du gebildeter als die andern heissest und ein feinerer Mann, - nicht pertaesum, sondern pertisum zu sagen. ^19 Nunc vero a mane ad noctem, festo atque profesto Toto itidem pariterque die populusque patresque Iactare endo foro se omnes, decedere nusquam. Uni se atque eidem studio omnes dedere et arti: Verba dare ut acute possint, pugnare dolose, Blanditia certare, bonun simulare virum se, Insidias facere ut si hostes sint omnibus omnes. ------------------------------------------------------------ Die Erlaeuterungen zu diesem unerschoepflichen Text griffen schonungslos, ohne die Freunde, ja ohne den Dichter selbst zu vergessen, die Uebelstaende der Zeit an, das Koteriewesen, den endlosen spanischen Kriegsdienst und was dessen mehr war; gleich die Eroeffnung seiner Satiren war eine grosse Debatte des olympischen Goettersenats ueber die Frage, ob Rom es noch ferner verdiene, des Schutzes der Himmlischen sich zu erfreuen. Koerperschaften, Staende, Individuen wurden ueberall einzeln mit Namen genannt; die der roemischen Buehne verschlossene Poesie der politischen Polemik ist das rechte Element und der Lebenshauch der Lucilischen Gedichte, die mit einer selbst in den auf uns gekommenen Truemmern noch entzueckenden Macht des schlagendsten und bilderreichsten Witzes "gleichwie mit gezogenem Schwerte" auf den Feind eindringen und ihn zermalmen. Hier, in dem sittlichen Uebergewicht und dem stolzen Freiheitsgefuehl des Dichters von Suessa, liegt der Grund, weshalb der feine Venusianer, der in der alexandrinischen Zeit der roemischen Poesie die Lucilische Satire wiederaufnahm, trotz aller Ueberlegenheit im Formgeschick mit richtiger Bescheidenheit dem aelteren Poeten weicht als "seinem Besseren". Die Sprache ist die des griechisch und lateinisch durchgebildeten Mannes, der durchaus sich gehen laesst; ein Poet wie Lucilius, der angeblich vor Tisch zweihundert und nach Tisch wieder zweihundert Hexameter machte, ist viel zu eilig, um knapp zu sein; unnuetzige Weitlaeufigkeit, schluderige Wiederholung derselben Wendung, arge Nachlaessigkeiten begegnen. haeufig; das erste Wort, lateinisch oder griechisch, ist immer das beste. Aehnlich sind die Masse, namentlich der sehr vorherrschende Hexameter behandelt; wenn man die Worte umstellt, sagt sein geistreicher Nachahmer, so wuerde kein Mensch merken, dass er etwas anderes vor sich habe als einfache Prosa; der Wirkung nach lassen sie sich nur mit unseren Knuettelversen vergleichen 20. Die Terenzischen und die Lucilischen Gedichte stehen auf demselben Bildungsniveau und verhalten sich wie die sorgsam gepflegte und gefeilte literarische Arbeit zu dem mit fliegender Feder geschriebenen Brief. Aber die unvergleichlich hoehere geistige Begabung und freiere Lebensanschauung, die der Ritter von Suessa vor dem afrikanischen Sklaven voraus hatte, machten seinen Erfolg ebenso rasch und glaenzend, wie der des Terenz muehsam und zweifelhaft gewesen war; Lucilius war sofort der Liebling der Nation und auch er konnte wie Beranger von seinen Gedichten sagen, "dass sie allein unter allen vom Volke gelesen wuerden". Die ungemeine Popularitaet der Lucilischen Gedichte ist auch geschichtlich ein bemerkenswertes Ereignis; man sieht daraus, dass die Literatur schon eine Macht war, und ohne Zweifel wuerden wir die Spuren derselben, wenn eine eingehende Geschichte dieser Zeit sich erhalten haette, darin mehrfach antreffen. Die Folgezeit hat das Urteil der Zeitgenossen nur bestaetigt; die antialexandrinisch gesinnten roemischen Kunstrichter sprachen dem Lucilius den ersten Rang unter allen lateinischen Dichtern zu. Soweit die Satire ueberhaupt als eigene Kunstform angesehen werden kann, hat Lucilius sie erschaffen und in ihr die einzige Kunstgattung, welche den Roemern eigentuemlich und von ihnen auf die Nachwelt vererbt worden ist. ----------------------------------------- 20 Folgendes laengere Bruchstueck ist charakteristisch fuer die stilistische und metrische Behandlung, deren Lotterigkeit sich in deutschen Hexametern unmoeglich wiedergeben laesst: Virtus, Albine, est pretium persolvere verum Queis in versamur, queis vivimu’ rebu potesse; Virtus est homini scire id quod quaeque habeat res; Virtus scire homini rectum, utile quid sit, honestum, Quae bona, guae mala item, quid inutile, turpe, inhonestum; Virtus quaerendae rei finem scire modumque; Virtus divitiis pretium persolvere posse; Virtus id dare quod re ipsa debetur honori, Hostem esse atque inimicum hominum morumque malorum. Contra defensorem hominum morumque bonorum, Hos magni facere, his bene velle, his vivere amicum; Commoda praeterea patriae sibi prima putare, Deinde parentum, tertia iam postremaque nostra. Tugend ist zahlen den rechten Preis Zu koennen nach ihrer Art und Weis Fuer jede Sach’ in unserm Kreis; Tugend, zu wissen, was jedes Ding Mit sich fuer den Menschen bring’; Tugend, zu wissen, was nuetzlich und recht, Was gut und uebel, unnuetz und schlecht; Tugend, wenn man dem Erwerb und Fleiss Zu setzen die rechte Grenze weiss Und dem Reichtum den rechten Preis; Tugend, dem Rang zu geben sein Recht, Feind zu sein Menschen und Sitten schlecht, Freund Menschen und Sitten gut und recht; Vor solchen zu hegen Achtung und Scheu, Zu ihnen zu halten in Lieb’ und Treu; Immer zu sehen am ersten Teil Auf des Vaterlandes Heil, Sodann auf das, was den Eltern frommt, Und drittens der eigene Vorteil kommt. ---------------------------------------------------- Von der an den Alexandrinismus anknuepfenden Poesie ist in Rom in dieser Epoche noch nichts zu nennen als kleinere, nach alexandrinischen Epigrammen uebersetzte oder ihnen nachgebildete Gedichte, welche nicht ihrer selbst wegen, aber wohl als der erste Vorbote der juengeren Literaturepoche Roms Erwaehnung verdienen. Abgesehen von einigen wenig bekannten und auch der Zeit nach nicht mit Sicherheit zu bestimmenden Dichtern gehoeren hierher Quintus Catulus (Konsul 622 102) und Lucius Manlius, ein angesehener Senator, der im Jahre 657 (97) schrieb. Der letztere scheint manche der bei den Griechen landlaeufigen geographischen Maerchen, zum Beispiel die delische Latonasage, die Fabeln von der Europa und von dem Wundervogel Phoenix zuerst bei den Roemern in Umlauf gebracht zu haben; wie es denn auch ihm vorbehalten war, auf seinen Reisen in Dodona jenen merkwuerdigen Dreifuss zu entdecken und abzuschreiben, worauf das den Pelasgern vor ihrer Wanderung in das Land der Sikeler und Aboriginer erteilte Orakel zu lesen war - ein Fund, den die roemischen Geschichtsbuecher nicht versaeumten, andaechtig zu registrieren. Die Geschichtschreibung dieser Epoche ist vor allen Dingen bezeichnet durch einen Schriftsteller, der zwar weder durch Geburt noch nach seinem geistigen und literarischen Standpunkt der italischen Entwicklung angehoert, der aber zuerst oder vielmehr allein die Weltstellung Roms zur schriftstellerischen Geltung und Darstellung gebracht hat und dem alle spaeteren Geschlechter und auch wir das Beste verdanken, was wir von der roemischen Entwicklung wissen. Polybios (ca. 546 - ca. 627 208-127) von Megalopolis im Peloponnes, des achaeischen Staatsmannes Lykortas Sohn, machte, wie es scheint, schon 565 (189) den Zug der Roemer gegen die kleinasiatischen Kelten mit und ward spaeter, vielfach namentlich waehrend des Dritten Makedonischen Krieges, von seinen Landsleuten in militaerischen und diplomatischen Geschaeften verwendet. Nach der durch diesen Krieg in Hellas herbeigefuehrten Krise wurde er mit den anderen achaeischen Geiseln nach Italien abgefuehrt, wo er siebzehn Jahre (587-604 167-150) in der Konfinierung lebte und durch die Soehne des Paullus in die vornehmen hauptstaedtischen Kreise eingefuehrt ward. Die Ruecksendung der achaeischen Geiseln fuehrte ihn in die Heimat zurueck, wo er fortan den stehenden Vermittler zwischen seiner Eidgenossenschaft und den Roemern machte. Bei der Zerstoerung von Karthago und von Korinth (608 146) war er gegenwaertig. Er schien vom Schicksal gleichsam dazu erzogen, Roms geschichtliche Stellung deutlicher zu erfassen, als die damaligen Roemer selbst es vermochten. Auf dem Platze, wo er stand, ein griechischer Staatsmann und ein roemischer Gefangener, seiner hellenischen Bildung wegen geschaetzt und gelegentlich beneidet von Scipio Aemilianus und ueberhaupt den ersten Maennern Roms, sah er die Stroeme, die so lange getrennt geflossen waren, zusammenrinnen in dasselbe Bett und die Geschichte der Mittelmeerstaaten zusammengehen in die Hegemonie der roemischen Macht und der griechischen Bildung. So ward Polybios der erste namhafte Hellene, der mit ernster Ueberzeugung auf die Weltanschauung des Scipionischen Kreises einging und die Ueberlegenheit des Hellenismus auf dem geistigen, des Roemertums auf dem politischen Gebiet als Tatsachen anerkannte, ueber die die Geschichte in letzter Instanz gesprochen hatte und denen man beiderseits sich zu unterwerfen berechtigt und verpflichtet war. In diesem Sinne handelte er als praktischer Staatsmann und schrieb er seine Geschichte. Mochte er in der Jugend dem ehrenwerten, aber unhaltbaren achaeischen Lokalpatriotismus gehuldigt haben, so vertrat er in seinen spaeteren Jahren, in deutlicher Einsicht der unvermeidlichen Notwendigkeit, in seiner Gemeinde die Politik des engsten Anschlusses an Rom. Es war das eine hoechst verstaendige und ohne Zweifel wohlgemeinte, aber nichts weniger als hochherzige und stolze Politik. Auch von der Eitelkeit und Kleinlichkeit des derzeitigen hellenischen Staatsmannstums hat Polybios nicht vermocht, sich persoenlich voellig frei zu machen. Kaum aus der Konfinierung entlassen, stellte er an den Senat den Antrag, dass er den Entlassenen, jedem in seiner Heimat, den ehemaligen Rang noch foermlich verbriefen moege, worauf Cato treffend bemerkte, ihm komme das vor, als wenn Odysseus noch einmal in die Hoehle des Polyphemos zurueckkehre, um sich von dem Riesen Hut und Guertel auszubitten. Sein Verhaeltnis zu den roemischen Grossen hat er oft zum Besten seiner Landsleute benutzt, aber die Art, wie er der hohen Protektion sich unterwirft und sich beruehmt, naehert sich doch einigermassen dem Oberkammerdienertum. Durchaus denselben Geist, den seine praktische, atmet auch seine literarische Taetigkeit. Es war die Aufgabe seines Lebens, die Geschichte der Einigung der Mittelmeerstaaten unter der Hegemonie Roms zu schreiben. Vom ersten Punischen Krieg bis zur Zerstoerung von Karthago und Korinth fasst sein Werk die Schicksale der saemtlichen Kulturstaaten, das heisst Griechenlands, Makedoniens, Kleinasiens, Syriens, Aegyptens, Karthagos und Italiens zusammen und stellt deren Eintreten in die roemische Schutzherrschaft im ursaechlichen Zusammenhang dar; insofern bezeichnet er es als sein Ziel, die Zweckund Vernunftmaessigkeit der roemischen Hegemonie zu erweisen. In der Anlage wie in der Ausfuehrung steht diese Geschichtschreibung in scharfem und bewusstem Gegensatz gegen die gleichzeitige roemische wie gegen die gleichzeitige griechische Historiographie. In Rom stand man noch vollstaendig auf dem Chronikenstandpunkt; hier gab es wohl einen bedeutungsvollen geschichtlichen Stoff, aber die sogenannte Geschichtschreibung beschraenkte sich - mit Ausnahme der sehr achtbaren, aber rein individuellen und doch auch nicht ueber die Anfaenge der Forschung wie der Darstellung hinausgelangten Schriften Catos - teils auf Ammenmaerchen, teils auf Notizenbuendel. Die Griechen hatten eine Geschichtsforschung und eine Geschichtschreibung allerdings gehabt; aber der zerfahrenen Diadochenzeit waren die Begriffe von Nation und Staat so vollstaendig abhanden gekommen, dass es keinem der zahllosen Historiker gelang, der Spur der grossen attischen Meister im Geiste und in der Wahrheit zu folgen und den weltgeschichtlichen Stoff der Zeitgeschichte weltgeschichtlich zu behandeln. Ihre Geschichtschreibung war entweder rein aeusserliche Aufzeichnung, oder es durchdrang sie der Phrasenund Luegenkram der attischen Rhetorik, und nur zu oft die Feilheit und die Gemeinheit, die Speichelleckerei und die Erbitterung der Zeit. Bei den Roemern wie bei den Griechen gab es nichts als Stadtoder Stammgeschichten. Zuerst Polybios, ein Peloponnesier, wie man mit Recht erinnert hat, und geistig den Attikern wenigstens ebensofern stehend wie den Roemern, ueberschritt diese kuemmerlichen Schranken, behandelte den roemischen Stoff mit hellenisch gereifter Kritik und gab zwar nicht eine universale, aber doch eine von den Lokalstaaten losgeloeste und den im Werden begriffenen roemisch-griechischen Staat erfassende Geschichte. Vielleicht niemals hat ein Geschichtschreiber so vollstaendig wie Polybios alle Vorzuege eines Quellenschriftstellers in sich vereinigt. Der Umfang seiner Aufgabe ist ihm vollkommen deutlich und jeden Augenblick gegenwaertig; und durchaus haftet der Blick auf dem wirklich geschichtlichen Hergang. Die Sage, die Anekdote, die Masse der wertlosen Chroniknotizen wird beiseite geworfen; die Schilderung der Laender und Voelker, die Darstellung der staatlichen und merkantilen Verhaeltnisse, all die so unendlich wichtigen Tatsachen, die dem Annalisten entschluepfen, weil sie sich nicht auf ein bestimmtes Jahr aufnageln lassen, werden eingesetzt in ihr lange verkuemmertes Recht. In der Herbeischaffung des historischen Materials zeigt Polybios eine Umsicht und Ausdauer, wie sie im Altertum vielleicht nicht wiedererscheinen; er benutzt die Urkunden, beruecksichtigt umfassend die Literatur der verschiedenen Nationen, macht von seiner guenstigen Stellung zum Einziehen der Nachrichten von Mithandelnden und Augenzeugen den ausgedehntesten Gebrauch, bereist endlich planmaessig das ganze Gebiet der Mittelmeerstaaten und einen Teil der Kueste des Atlantischen Ozeans 21. Die Wahrhaftigkeit ist ihm Natur; in allen grossen Dingen hat er kein Interesse fuer diesen oder gegen jenen Staat, fuer diesen oder gegen jenen Mann, sondern einzig und allein fuer den wesentlichen Zusammenhang der Ereignisse, den im richtigen Verhaeltnis der Ursachen und Wirkungen darzulegen ihm nicht bloss die erste, sondern die einzige Aufgabe des Geschichtschreibers scheint. Die Erzaehlung endlich ist musterhaft vollstaendig, einfach und klar. Aber alle diese ungemeinen Vorzuege machen noch keineswegs einen Geschichtschreiber ersten Ranges. Polybios fasst seine literarische Aufgabe, wie er seine praktische fasste, mit grossartigem Verstand, aber auch nur mit dem Verstande. Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der Freiheit, ist ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als waere sie ein mechanisches. Nur das Ganze gilt fuer ihn, in der Natur wie im Staat; das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar sie auch erscheinen moegen, sind doch eigentlich nichts als einzelne Momente, geringe Raeder in dem hoechst kuenstlichen Mechanismus, den man den Staat nennt. Insofern war Polybios allerdings wie kein anderer geschaffen zur Darstellung der Geschichte des roemischen Volkes, welches in der Tat das einzige Problem geloest hat, sich zu beispielloser innerer und aeusserer Groesse zu erheben ohne auch nur einen im hoechsten Sinne genialen Staatsmann, und das auf seinen einfachen Grundlagen mit wunderbarer fast mathematischer Folgerichtigkeit sich entwickelt. Aber das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder Volksgeschichte und wurde auch in der roemischen von Polybios nicht ungestraft verkannt. Polybios’ Behandlung aller Fragen, in denen Recht, Ehre, Religion zur Sprache kommen, ist nicht bloss platt, sondern auch gruendlich falsch. Dasselbe gilt ueberall, wo eine genetische Konstruktion erfordert wird; die rein mechanischen Erklaerungsversuche, die Polybios an deren Stelle setzt, sind mitunter geradezu zum Verzweifeln, wie es denn kaum eine toerichtere politische Spekulation gibt, als die vortreffliche Verfassung Roms aus einer verstaendigen Mischung monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente herund aus der Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms abzuleiten. Die Auffassung der Verhaeltnisse ist ueberall bis zum Erschrecken nuechtern und phantasielos, die geringschaetzige und superkluge Art, die religioesen Dinge zu behandeln, geradezu widerwaertig. Die Darstellung, in bewusster Opposition gegen die uebliche, kuenstlerisch stilisierte griechische Historiographie gehalten, ist wohl richtig und deutlich, aber duenn und matt, oefter als billig in polemische Exkurse oder in memoirenhafte, nicht selten recht selbstgefaellige Schilderung der eigenen Erlebnisse sich verlaufend. Ein oppositioneller Zug geht durch die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte seine Schrift zunaechst fuer die Roemer und fand doch auch hier nur einen sehr kleinen Kreis, der ihn verstand; er fuehlte es, dass er den Roemern ein Fremder, seinen Landsleuten ein Abtruenniger blieb und dass er mit seiner grossartigen Auffassung der Verhaeltnisse mehr der Zukunft als der Gegenwart angehoerte. Darum blieb er nicht frei von einer gewissen Verstimmtheit und persoenlichen Bitterkeit, die in seiner Polemik gegen die fluechtigen oder gar feilen griechischen und die unkritischen roemischen Historiker oefters zaenkisch und kleinlich auftritt und aus dem Geschichtschreiberin den Rezensententon faellt. Polybios ist kein liebenswuerdiger Schriftsteller; aber wie die Wahrheit und Wahrhaftigkeit mehr ist als alle Zier und Zierlichkeit, so ist vielleicht kein Schriftsteller des Altertums zu nennen, dem wir so viele ernstliche Belehrung verdanken wie ihm. Seine Buecher sind wie die Sonne auf diesem Gebiet; wo sie anfangen, da heben sich die Nebelschleier, die noch die Samnitischen und den Pyrrhischen Krieg bedecken, und wo sie endigen, beginnt eine neue, womoeglich noch laestigere Daemmerung. ------------------------------------------ 21 Dergleichen gelehrte Reisen waren uebrigens bei den Griechen dieser Zeit nichts Seltenes. So fragt bei Plautus (Men. 248 vgl. 235) jemand, der das ganze Mittellaendische Meer durchschifft hat: Warum geh’ ich nicht nach Hause, da ich doch keine Geschichte schreiben will? ---------------------------------------- In einem seltsamen Gegensatz zu dieser grossartigen Auffassung und Behandlung der roemischen Geschichte durch einen Auslaender steht die gleichzeitige einheimische Geschichtsliteratur. Im Anfang dieser Periode begegnen noch einige griechisch geschriebene Chroniken, wie die schon erwaehnte des Aulus Postumius (Konsul 603 151), voll uebler Pragmatik, und die des Gaius Acilius (schloss in hohem Alter um 612 142); doch gewann unter dem Einfluss teils des catonischen Patriotismus, teils der feineren Bildung des Scipionischen Kreises die lateinische Sprache auf diesem Gebiet so entschieden die Vorhand, dass nicht bloss unter den juengeren Geschichtswerken kaum ein oder das andere griechisch geschriebene vorkommt 22, sondern auch die aelteren griechischen Chroniken ins Lateinische uebersetzt und wahrscheinlich vorwiegend in diesen Uebersetzungen gelesen wurden. Leider ist nur an den lateinisch geschriebenen Chroniken dieser Epoche ausser dem Gebrauch der Muttersprache kaum weiter etwas zu loben. Sie waren zahlreich und ausfuehrlich genug - genannt werden zum Beispiel die des Lucius Cassius Hemina (um 608 146), des Lucius Calpurnius Piso (Konsul 621 188), des Gaius Sempronius Tuditanus (Konsul 625 129), des Gaius Fannius (Konsul 632 122). Dazu kommt die Redaktion der offiziellen Stadtchronik in achtzig Buechern, welche Publius Mucius Scaevola (Konsul 621 133), ein auch als Jurist angesehener Mann, als Oberpontifex veranstaltete und veroeffentlichte und damit dem Stadtbuch insofern seinen Abschluss gab, als die Pontifikalaufzeichnungen seitdem, wenn nicht gerade aufhoerten, doch wenigstens bei der steigenden Betriebsamkeit der Privatchronisten nicht weiter literarisch in Betracht kamen. Alle diese Jahrbuecher, mochten sie nun als Privatoder als offizielle Werke sich ankuendigen, waren wesentlich gleichartige Zusammenarbeitungen des vorhandenen geschichtlichen und quasigeschichtlichen Materials; und der Quellenwie der formelle Wert sank ohne Zweifel in demselben Masse, wie ihre Ausfuehrlichkeit stieg. Allerdings gibt es in der Chronik nirgends Wahrheit ohne Dichtung, und es waere sehr toericht, mit Naevius und Pictor zu rechten, dass sie es nicht anders gemacht als Hekataeos und Saxo Grammaticus; aber die spaeteren Versuche, aus solchen Nebelwolken Haeuser zu bauen, stellen auch die gepruefteste Geduld auf eine harte Probe. Keine Luecke der Ueberlieferung klafft so tief, dass diese glatte und platte Luege sie nicht mit spielender Leichtigkeit ueberkleisterte. Ohne Anstoss werden die Sonnenfinsternisse, Zensuszahlen, Geschlechtsregister, Triumphe vom laufenden Jahre bis auf Anno eins rueckwaerts gefuehrt; es steht geschrieben zu lesen, in welchem Jahr, Monat und Tag Koenig Romulus gen Himmel gefahren ist und wie Koenig Servius Tullius zuerst am 25. November 183 (571) und wieder am 25. Mai 187 (567) ueber die Etrusker triumphiert hat. Damit steht es denn im besten Einklang, dass man in den roemischen Docks den Glaeubigen das Fahrzeug wies, auf welchem Aeneas von Ilion nach Latium gefahren war, ja sogar ebendieselbe Sau, welche Aeneas als Wegweiser gedient hatte, wohl eingepoekelt im roemischen Vestatempel konservierte. Mit dem Luegemut eines Dichters verbinden diese vornehmen Chronikschreiber die langweiligste Kanzlistengenauigkeit und behandeln durchaus ihren grossen Stoff mit derjenigen Plattheit, die aus dem Austreiben zugleich aller poetischen und aller historischen Elemente notwendig resultiert. Wenn wir zum Beispiel bei Piso lesen, dass Romulus sich gehuetet habe, dann zu pokulieren, wenn er den andern Tag eine Sitzung gehabt; dass die Tarpeia die Burg den Sabinern aus Vaterlandsliebe verraten habe, um die Feinde ihrer Schilde zu berauben: so kann das Urteil verstaendiger Zeitgenossen ueber diese ganze Schreiberei nicht befremden, "dass das nicht heisse Geschichte schreiben, sondern den Kindern Geschichten erzaehlen". Weit vorzueglicher waren einzelne Werke ueber die Geschichte der juengsten Vergangenheit und der Gegenwart, namentlich die Geschichte des Hannibalischen Krieges von Lucius Coelius Antipater (um 633 121) und des wenig juengeren Publius Sempronius Asellio Geschichte seiner Zeit. Hier fand sich wenigstens schaetzbares Material und ernster Wahrheitssinn, bei Antipater auch eine lebendige, wenngleich stark manierierte Darstellung; doch reichte, nach allen Zeugnissen und Bruchstuecken zu schliessen, keines dieser Buecher weder in markiger Form noch in Originalitaet an die "Ursprungsgeschichten" Catos, der leider auf dem historischen Gebiet so wenig wie auf dem politischen Schule gemacht hat. Stark vertreten sind auch, wenigsten der Masse nach, die untergeordneten, mehr individuellen und ephemeren Gattungen der historischen Literatur, die Memorien, die Briefe, die Reden. Schon zeichneten die ersten Staatsmaenner Roms selbst ihre Erlebnisse auf: so Marcus Scaurus (Konsul 639 115), Publius Rufus (Konsul 649 105), Quintus Catulus (Konsul 652 102), selbst der Regent Sulla; doch scheint keine dieser Produktionen anders als durch ihren stofflichen Gehalt fuer die Literatur von Bedeutung gewesen zu sein. Die Briefsammlung der Cornelia, der Mutter der Gracchen, ist bemerkenswert teils durch die musterhaft reine Sprache und den hohen Sinn der Schreiberin, teils als die erste in Rom publizierte Korrespondenz und zugleich die erste literarische Produktion einer roemischen Frau. Die Redeschriftstellerei bewahrte in dieser Periode den von Cato ihr aufgedrueckten Stempel; Advokatenplaedoyers wurden noch nicht als literarische Produktion angesehen, und was von Reden veroeffentlicht ward, waren politische Pamphlete. Waehrend der revolutionaeren Bewegung nahm diese Broschuerenliteratur an Umfang und Bedeutung zu, und unter der Masse ephemerer Produkte fanden sich auch einzelne, die, wie Demosthenes’ Philippiken und Couriers fliegende Blaetter, durch die bedeutende Stellung ihrer Verfasser und durch ihr eigenes Schwergewicht einen bleibenden Platz in der Literatur sich erwarben. So die Staatsreden des Gaius Laelius und des Scipio Aemilianus, Musterstuecke des trefflichsten Latein wie des edelsten Vaterlandsgefuehls; so die sprudelnden Reden des Gaius Titius, von deren drastischen Lokalund Zeitbildern - die Schilderung des senatorischen Geschworenen ward frueher mitgeteilt - das nationale Lustspiel manches entlehnt hat; so vor allem die zahlreichen Reden des Gaius Gracchus, deren flammende Worte den leidenschaftlichen Ernst, die baldige Haltung und das tragische Verhaengnis dieser hohen Natur im treuen Spiegelbild bewahrten. ----------------------------------------------- 22 Die einzige wirkliche Ausnahme, soweit wir wissen, ist die griechische Geschichte des Gnaeus Aufidius, der in Ciceros (Tusc. 5, 38, 112) Knabenzeit, also um 660 (90) bluehte. Die griechischen Memoiren des Publius Rutilius Rufus (Konsul 649 105) sind kaum als Ausnahme anzusehen, da ihr Verfasser sie im Exil zu Smyrna schrieb. ----------------------------------------------- In der wissenschaftlichen Literatur begegnet in der juristischen Gutachtensammlung des Marcus Brutus, die um das Jahr 600 (150) veroeffentlicht ward, ein bemerkenswerter Versuch, die bei den Griechen uebliche dialogische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe nach Rom zu verpflanzen und durch eine nach Personen, Zeit und Ort bestimmte Szenerie des Gespraechs der Abhandlung eine kuenstlerische, halb dramatische Form zu geben. Indes die spaeteren Gelehrten, schon der Philolog Stilo und der Jurist Scaevola, liessen sowohl in den allgemeinen Bildungswie in den spezielleren Fachwissenschaften diese mehr poetische als praktische Methode fallen. Der steigende Wert der Wissenschaft als solcher und das in Rom ueberwiegende stoffliche Interesse an derselben spiegelt sich deutlich in diesem raschen Abwerfen der Fessel kuenstlerischer Form. Im einzelnen ist von den allgemein humanen Wissenschaften, der Grammatik oder vielmehr der Philologie, der Rhetorik und der Philosophie, insofern schon gesprochen worden, als dieselben jetzt wesentliche Bestandteile der gewoehnlichen roemischen Bildung wurden und dadurch jetzt zuerst von den eigentlichen Fachwissenschaften anfingen sich abzusondern. Auf dem literarischen Gebiet blueht die lateinische Philologie froehlich auf, im engen Anschluss an die laengst sicher gegruendete philologische Behandlung der griechischen Literatur. Es ward bereits erwaehnt, dass um den Anfang dieses Jahrhunderts auch die lateinischen Epiker ihre Diaskeuasten und Textrevisoren fanden; ebenso ward hervorgehoben, dass nicht bloss der Scipionische Kreis ueberhaupt vor allem andern auf Korrektheit drang, sondern auch einzelne der namhaftesten Poeten, zum Beispiel Accius und Lucilius, sich mit Regulierung der Orthographie und der Grammatik beschaeftigten. Gleichzeitig begegnen einzelne Versuche, von der historischen Seite her die Realphilologie zu entwickeln; freilich werden die Abhandlungen der unbeholfenen Annalisten dieser Zeit, wie die des Hemina ’ueber die Zensoren’, des Tuditanus ’ueber die Beamten’ schwerlich besser geraten sein als ihre Chroniken. Interessanter sind die Buecher ueber die Aemter von dem Freunde des Gaius Gracchus, Marcus Iunius, als der erste Versuch, die Altertumsforschung fuer politische Zwecke nutzbar zu machen 23, und die metrisch abgefassten Didaskalien des Tragikers Accius, ein Anlauf zu einer Literargeschichte des lateinischen Dramas. Indes jene Anfaenge einer wissenschaftlichen Behandlung der Muttersprache tragen noch ein sehr dilettantisches Gepraege und erinnern lebhaft an unsere Orthographieliteratur der Bodmer-Klopstockischen Zeit; auch die antiquarischen Untersuchungen dieser Epoche wird man ohne Unbilligkeit auf einen bescheidenen Platz verweisen duerfen. Derjenige Roemer, der die lateinische Sprachund Altertumsforschung im Sinne der alexandrinischen Meister wissenschaftlich begruendete, war Lucius Aelius Stilo um 650 (100). Er zuerst ging zurueck auf die aeltesten Sprachdenkmaeler und kommentierte die Saliarischen Litaneien und das roemische Stadtrecht. Er wandte der Komoedie des sechsten Jahrhunderts seine besondere Aufmerksamkeit zu und stellte zuerst ein Verzeichnis der nach seiner Ansicht echten Plautinischen Stuecke auf. Er suchte nach griechischer Art die Anfaenge einer jeden einzelnen Erscheinung des roemischen Lebens und Verkehrs geschichtlich zu bestimmen und fuer jede den "Erfinder" zu ermitteln, und zog zugleich die gesamte annalistische Ueberlieferung in den Kreis seiner Forschung. Von dem Erfolg, der ihm bei seinen Zeitgenossen ward, zeugen die Widmungen des bedeutendsten dichterischen und des bedeutendsten Geschichtswerkes seiner Zeit, der Satiren des Lucilius und der Geschichtsbuecher des Antipater; und auch fuer die Zukunft hat dieser erste roemische Philolog die Studien seiner Nation bestimmt, indem er seine zugleich sprachliche und sachliche Forschung auf seinen Schueler Varro vererbte. ----------------------------------------------------- 23 Die Behauptung zum Beispiel, dass die Quaestoren in der Koenigszeit von der Buergerschaft, nicht vom Koenig ernannt seien, ist ebenso sicher falsch als sie den Parteicharakter an der Stirn traegt. ------------------------------------------------------- Mehr untergeordneter Art war begreiflicherweise die literarische Taetigkeit auf dem Gebiet der lateinischen Rhetorik; es gab hier nichts zu tun als Handund Uebungsbuecher nach dem Muster der griechischen Kompendien des Hermagoras und anderer zu schreiben, woran es denn freilich die Schulmeister, teils um des Beduerfnisses, teils um der Eitelkeit und des Geldes willen, nicht fehlen liessen. Von einem unbekannten Verfasser, der nach der damaligen Weise zugleich lateinische Literatur und lateinische Rhetorik lehrte und ueber beide schrieb, ist uns ein solches, unter Sullas Diktatur abgefasstes Handbuch der Redekunst erhalten; eine nicht bloss durch die knappe, klare und sichere Behandlung des Stoffes, sondern vor allem durch die verhaeltnismaessige Selbstaendigkeit den griechischen Mustern gegenueber bemerkenswerte Lehrschrift. Obwohl in der Methode gaenzlich abhaengig von den Griechen, weist der Roemer doch bestimmt und sogar schroff alles das ab, "was die Griechen an nutzlosem Kram zusammengetragen haben, einzig damit die Wissenschaft schwerer zu lernen erscheine". Der bitterste Tadel trifft die haarspaltende Dialektik, diese "geschwaetzige Wissenschaft der Redeunkunst", deren vollendeter Meister, vor lauter Angst, sich zweideutig auszudruecken, zuletzt nicht mehr seinen eigenen Namen auszusprechen wagt. Die griechische Schulterminologie wird durchgaengig und absichtlich vermieden. Sehr ernstlich warnt der Verfasser vor der Viellehrerei und schaerft die goldene Regel ein, dass der Schueler von dem Lehrer vor allem dazu anzuleiten sei, sich selbst zu helfen; ebenso ernstlich erkennt er es an, dass die Schule Neben-, das Leben die Hauptsache ist, und gibt in seinen durchaus selbstaendig gewaehlten Beispielen den Widerhall derjenigen Sachwalterreden, die waehrend der letzten Dezennien in der roemischen Advokatenwelt Aufsehen gemacht hatten. Es verdient Aufmerksamkeit, dass die Opposition gegen die Auswuechse des Hellenismus, die frueher gegen das Aufkommen einer eigenen lateinischen Redekunst sich gerichtet hatte, nach deren Aufkommen in dieser selbst sich fortsetzt und damit der roemischen Beredsamkeit im Vergleich mit der gleichzeitigen griechischen theoretisch und praktisch eine hoehere Wuerde und eine groessere Brauchbarkeit sichert. Die Philosophie endlich ist in der Literatur noch nicht vertreten, da weder sich aus innerem Beduerfnis eine nationalroemische Philosophie entwickelte noch aeussere Umstaende eine lateinische philosophische Schriftstellerei hervorriefen. Mit Sicherheit als dieser Zeit angehoerig sind nicht einmal lateinische Uebersetzungen populaerer philosophischer Kompendien nachzuweisen; wer Philosophie trieb, las und disputierte griechisch. In den Fachwissenschaften ist die Taetigkeit gering. So gut man auch in Rom verstand zu ackern und zu rechnen, so fand doch die physikalische und mathematische Forschung dort keinen Boden. Die Folgen der vernachlaessigten Theorie zeigen sich praktisch in dem niedrigen Stande der Arzneikunde und einesteils der militaerischen Wissenschaften. Unter allen Fachwissenschaften blueht nur die Jurisprudenz. Wir koennen ihre innerliche Entwicklung nicht chronologisch genau verfolgen; im ganzen trat das Sakralrecht mehr und mehr zurueck und stand am Ende dieser Periode ungefaehr wie heutzutage das kanonische; die feinere und tiefere Rechtsauffassung dagegen, welche an die Stelle der aeusserlichen Kennzeichen die innerlich wirksamen Momente setzt, zum Beispiel die Entwicklung der Begriffe der boeswilligen und der fahrlaessigen Verschuldung, des vorlaeufig schutzberechtigten Besitzes, war zur Zeit der Zwoelf Tafeln noch nicht, wohl aber in der ciceronischen Zeit vorhanden und mag der gegenwaertigen Epoche ihre wesentliche Ausbildung verdanken. Die Rueckwirkung der politischen Verhaeltnisse auf die Rechtsentwicklung ist schon mehrfach angedeutet worden; sie war nicht immer vorteilhaft. Durch die Einrichtung des Erbschaftsgerichtshofs der Hundertmaenner zum Beispiel trat auch in dem Vermoegensrecht ein Geschworenenkollegium auf, das gleich den Kriminalbehoerden, statt das Gesetz einfach anzuwenden, sich ueber dasselbe stellte und mit der sogenannten Billigkeit die rechtlichen Institutionen untergrub; wovon unter anderm eine Folge die unvernuenftige Satzung war, dass es jedem, den ein Verwandter im Testament uebergangen hat, freisteht, auf Kassierung des Testaments vor dem Gerichtshof anzutragen, und das Gericht nach Ermessen entscheidet. Bestimmter laesst die Entwicklung der juristischen Literatur sich erkennen. Sie hatte bisher auf Formulariensammlungen und Worterklaerungen zu den Gesetzen sich beschraenkt; in dieser Periode bildete sich zunaechst eine Gutachtenliteratur, die ungefaehr unseren heutigen Praejudikatensammlungen entspricht. Die Gutachten, die laengst nicht mehr bloss von Mitgliedern des Pontifikalkollegiums, sondern von jedem, der Befrager fand, zu Hause oder auf offenem Markt erteilt wurden, und an die schon rationelle und polemische Eroerterungen und die der Rechtswissenschaft eigentuemlichen stehenden Kontroversen sich anknuepften, fingen um den Anfang des siebenten Jahrhunderts an, aufgezeichnet und in Sammlungen bekannt gemacht zu werden; es geschah dies zuerst von dem juengeren Cato (+ um 600 150) und von Marcus Brutus (etwa gleichzeitig), und schon diese Sammlungen waren, wie es scheint, nach Materien geordnet 24. Bald schritt man fort zu einer eigentlich systematischen Darstellung des Landrechts. Ihr Begruender war der Oberpontifex Quintus Mucius Scaevola (Konsul 659, + 672 95, 82), in dessen Familie die Rechtswissenschaft wie das hoechste Priestertum erblich war. Seine achtzehn Buecher ’vom Landrecht, welche das positive juristische Material: die gesetzlichen Bestimmungen, die Praejudikate und die Autoritaeten teils aus den aelteren Sammlungen, teils aus der muendlichen Ueberlieferung in moeglichster Vollstaendigkeit zusammenfassten, sind der Ausgangspunkt und das Muster der ausfuehrlichen roemischen Rechtssysteme geworden; ebenso wurde seine resuemierende Schrift ’Definitionen’ (oros) die Grundlage der juristischen Kompendien und namentlich der Regelbuecher. Obwohl diese Rechtsentwicklung natuerlich im wesentlichen von dem Hellenismus unabhaengig vor sich ging, so hat doch die Bekanntschaft mit dem philosophisch-praktischen Schematismus der Griechen im allgemeinen unzweifelhaft auch zu der mehr systematischen Behandlung der Rechtswissenschaft den Anstoss gegeben, wie denn der griechische Einfluss bei der zuletzt genannten Schrift schon im Titel hervortritt. Dass in einzelnen mehr aeusserlichen Dingen die roemische Jurisprudenz durch die Stoa bestimmt ward, ward schon bemerkt. ----------------------------------------------- 24 Catos Buch fuehrte wohl den Titel ’De iuris disciplina’ (Gell. 13, 20), das des Brutus den ’De iure civili’ (Cic. Cluent. 51, 141; De orat. 2, 55, 223); dass es wesentlich Gutachtensammlungen waren, zeigt Cicero (De orat. 2, 33, 142). ----------------------------------------------- Die Kunst weist noch weniger erfreuliche Erscheinungen auf. In der Architektur, Skulptur und Malerei breitete zwar das dilettantische Wohlgefallen immer allgemeiner sich aus, aber die eigene Uebung ging eher rueckals vorwaerts. Immer gewoehnlicher ward es bei dem Aufenthalt in griechischen Gegenden, die Kunstwerke sich zu betrachten, wofuer namentlich die Winterquartiere der Sullanischen Armee in Kleinasien 670/71 (84/83) epochemachend wurden. Die Kunstkennerschaft entwickelte sich auch in Italien. Mit silbernem und bronzenem Geraet hatte man angefangen; um den Anfang dieser Epoche begann man nicht bloss griechische Bildsaeulen, sondern auch griechische Gemaelde zu schaetzen. Das erste im Rom oeffentlich aufgestellte Bild war der Bakchos des Aristeides, den Lucius Mummius aus der Versteigerung der korinthischen Beute zuruecknahm, weil Koenig Attalos bis zu 6000 Denaren (1827 Taler) darauf bot. Die Bauten wurden glaenzender, und namentlich kam der ueberseeische, besonders der hymettische Marmor (Cipollin) dabei in Gebrauch - die italischen Marmorbrueche waren noch nicht in Betrieb. Der prachtvolle, noch in der Kaiserzeit bewunderte Saeulengang, den der Besieger Makedoniens, Quintus Metellus (Konsul 611 143), auf dem Marsfelde anlegte, schloss den ersten Marmortempel ein, den die Hauptstadt sah; bald folgten aehnliche Anlagen auf dem Kapitol durch Scipio Nasica (Konsul 616 138), nahe dem Rennplatz durch Gnaeus Octavius (Konsul 626 128). Das erste mit Marmorsaeulen geschmueckte Privathaus war das des Redners Lucius Crassus (+ 663 91) auf dem Palatin. Aber wo man pluendern und kaufen konnte, statt selber zu schaffen, da geschah es; es ist ein schlimmes Armutszeugnis fuer die roemische Architektur, dass sie schon anfing, die Saeulen der alten griechischen Tempel zu verwenden, wie zum Beispiel das roemische Kapitol durch Sulla mit denen des Zeustempels in Athen geschmueckt ward. Was dennoch in Rom gearbeitet ward, ging aus den Haenden von Fremden hervor; die wenigen roemischen Kuenstler dieser Zeit, die namentlich erwaehnt werden, sind ohne Ausnahme eingewanderte italische oder ueberseeische Griechen: so der Architekt Hermodoros aus dem kyprischen Salamis, der unter anderm die roemischen Docks wiederherstellte und fuer Quintus Metellus (Konsul 611 143) den Tempel des Jupiter Stator in der von diesem angelegten Halle, fuer Decimus Brutus (Konsul 616 138) den Marstempel im Flaminischen Circus baute; der Bildhauer Pasiteles (um 665 89) aus Grossgriechenland, der fuer roemische Tempel Goetterbilder aus Elfenbein lieferte; der Maler und Philosoph Metrodoros von Athen, der verschrieben ward, um die Bilder fuer den Triumph des Lucius Paullus (587 168) zu malen. Es ist bezeichnend, dass die Muenzen dieser Epoche im Vergleich mit denen der vorigen zwar eine groessere Mannigfaltigkeit der Typen, aber im Stempelschnitt eher einen Rueckals einen Fortschritt zeigen. Endlich Musik und Tanz siedelten in gleicher Weise von Hellas ueber nach Rom, einzig, um daselbst zur Erhoehung des dekorativen Luxus verwandt zu werden. Solche fremdlaendischen Kuenste waren allerdings nicht neu in Rom; der Staat hatte seit alter Zeit bei seinen Festen etruskische Floetenblaeser und Taenzer auftreten lassen und die Freigelassenen und die niedrigste Klasse des roemischen Volkes auch bisher schon mit diesem Gewerbe sich abgegeben. Aber neu war es, dass griechische Taenze und musikalische Auffuehrungen die stehende Begleitung einer vornehmen Tafel wurden; neu war eine Tanzschule, wie Scipio Aemilianus in einer seiner Reden sie voll Unwillen schildert, in der ueber fuenfhundert Knaben und Maedchen, die Hefe des Volkes und Kinder von Maennern in Amt und Wuerden durcheinander, von einem Ballettmeister Anweisung erhielten, zu wenig ehrbaren Kastagnettentaenzen, zu entsprechenden Gesaengen und zum Gebrauch der verrufenen griechischen Saiteninstrumente. Neu war es auch - nicht so sehr, dass ein Konsular und Oberpontifex, wie Publius Scaevola (Konsul 621 133), auf dem Spielplatz ebenso bebend die Baelle fing, wie er daheim die verwickeltsten Rechts fragen loeste, als dass vornehme junge Roemer bei den Festspielen Sullas vor allem Volke ihre Jockeykuenste produzierten. Die Regierung versuchte wohl einmal, diesem Treiben Einhalt zu tun; wie denn zum Beispiel im Jahre 639 (115) alle musikalischen Instrumente mit Ausnahme der in Latium einheimischen einfachen Floete von den Zensoren untersagt wurden. Aber Rom war kein Sparta; das schlaffe Regiment signalisierte mehr die Uebelstaende durch solche Verbote, als dass es durch scharfe und folgerichtige Anwendung ihnen abzuhelfen auch nur versucht haette. Werfen wir schliesslich einen Blick zurueck auf das Gesamtbild, das die Literatur und die Kunst Italiens von dem Tode des Ennius bis auf den Anfang der ciceronischen Zeit vor uns entfaltet, so begegnen wir auch hier in Vergleich mit der vorhergehenden Epoche dem entschiedensten Sinken der Produktivitaet. Die hoeheren Gattungen der Literatur sind abgestorben oder im Verkuemmern, so das Epos, das Trauerspiel, die Geschichte. Was gedeiht, sind die untergeordneten Arten, die Uebersetzung und die Nachbildung des Intrigenstuecks, die Posse, die poetische und prosaische Broschuere; in diesem letzten, von der vollen Windsbraut der Revolution durchrasten Gebiet der Literatur begegnen wir den beiden groessten literarischen Talenten dieser Epoche, dem Gaius Gracchus und dem Gaius Lucilius, die beide ueber eine Menge mehr oder minder mittelmaessiger Schriftsteller emporragen, wie in einer aehnlichen Epoche der franzoesischen Literatur ueber eine Unzahl anspruchsvoller Nullitaeten Courier und Beranger. Ebenso ist in den bildenden und zeichnenden Kuensten die immer schwache Produktivitaet jetzt voellig null. Dagegen gedeiht der rezeptive Kunstund Literaturgenuss; wie die Epigonen dieser Zeit auf dem politischen Gebiet die ihren Vaetern angefallenen Erbschaften einziehen und ausnutzen, so finden wir sie auch hier als fleissige Schauspielbesucher, als Literaturfreunde, als Kunstkenner und mehr noch als Sammler. Die achtungswerteste Seite dieser Taetigkeit ist die gelehrte Forschung, die vor allem in der Rechtswissenschaft und in der Sprachund Sachphilologie eigene geistige Anstrengung offenbart. Mit der Begruendung dieser Wissenschaften, welche recht eigentlich in die gegenwaertige Epoche faellt, und zugleich mit den ersten geringen Anfaengen der Nachdichtung der alexandrinischen Treibhauspoesie kuendigt bereits die Epoche des roemischen Alexandrinismus sich an. Alles, was diese Epoche geschaffen hat, ist glatter, fehlerfreier, systematischer als die Schoepfungen des sechsten Jahrhunderts; nicht ganz mit Unrecht sahen die Literaten und Literaturfreunde dieser Zeit auf ihre Vorgaenger wie auf stuemperhafte Anfaenger herab. Aber wenn sie die Mangelhaftigkeit jener Anfaengerarbeiten belaechelten oder beschalten, so mochten doch auch eben die geistreichsten von ihnen sich es gestehen, dass die Jugendzeit der Nation vorueber war, und vielleicht diesen oder jenen doch wieder im stillen Grunde des Herzens die Sehnsucht beschleichen, den lieblichen Irrtum der Jugend abermals zu irren.