3. Akt—Vor Dem Palaste Des Menelas Zu Sparta

HELENA: Bewundert viel und viel gescholten, Helena, Vom Strande komm’ ich, wo wir erst gelandet sind, Noch immer trunken von des Gewoges regsamem Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns her Auf straeubig-hohem Ruecken, durch Poseidons Gunst Und Euros’ Kraft, in vaterlaendische Buchten trug. Dort unten freuet nun der Koenig Menelas Der Rueckkehr samt den tapfersten seiner Krieger sich. Du aber heisse mich willkommen, hohes Haus, Das Tyndareos, mein Vater, nah dem Hange sich Von Pallas’ Huegel wiederkehrend aufgebaut Und, als ich hier mit Klytaemnestren schwesterlich, Mit Kastor auch und Pollux froehlich spielend wuchs, Vor allen Haeusern Spartas herrlich ausgeschmueckt. Gegruesset seid mir, der ehrnen Pforte Fluegel ihr! Durch euer gastlich ladendes Weit-Eroeffnen einst Geschah’s, dass mir, erwaehlt aus vielen, Menelas In Braeutigamsgestalt entgegenleuchtete. Eroeffnet mir sie wieder, dass ich ein Eilgebot Des Koenigs treu erfuelle, wie der Gattin ziemt. Lasst mich hinein! und alles bleibe hinter mir, Was mich umstruermte bis hieher, verhaengnisvoll. Denn seit ich diese Schwelle sorgenlos verliess, Cytherens Tempel besuchend, heiliger Pflicht gemaess, Mich aber dort ein Raeuber griff, der phrygische, Ist viel geschehen, was die Menschen weit und breit So gern erzaehlen, aber der nicht gerne hoert, Von dem die Sage wachsend sich zum Maerchen spann.

CHOR: Verschmaehe nicht, o herrliche Frau, Des hoechsten Gutes Ehrenbesitz! Denn das groesste Glueck ist dir einzig beschert, Der Schoenheit Ruhm, der vor allen sich hebt. Dem Helden toent sein Name voran, Drum schreitet er stolz; Doch beugt sogleich hartnaeckigster Mann Vor der allbezwingenden Schoene den Sinn.

HELENA: Genug! mit meinem Gatten bin ich hergeschifft Und nun von ihm zu seiner Stadt voraugesandt; Doch welchen Sinn er hegen mag, errat’ ich nicht. Komm’ ich als Gattin? komm’ ich eine Koenigin? Komm’ ich ein Opfer fuer des Fuersten bittern Schmerz Und fuer der Griechen lang’ erduldetes Missgeschick? Erobert bin ich; ob gefangen, weiss ich nicht! Denn Ruf und Schicksal bestimmten fuewahr die Unsterblichen Zweideutig mir, der Schoengestalt bedenkliche Begleiter, die an dieser Schwelle mir sogar Mit duester drohender Gegenwart zur Seite stehn. Denn schon im hohlen Schiffe blickte mich der Gemahl Nur selten an, auch sprach er kein erquicklich Wort. Als wenn er Unheil saenne, sass er gegen mir. Nun aber, als des Eurotas tiefem Buchtgestad Hinangefahren der vordern Schiffe Schnaebel kaum Das Land begruessten, sprach er, wie vom Gott bewegt: "Hier steigen meine Krieger nach der Ordnung aus, Ich mustere sie, am Strand des Meeres hingereiht; Du aber ziehe weiter, ziehe des heiligen Eurotas fruchtbegabtem Ufer immer auf, Die Rosse lenkend auf der feuchten Wiese Schmuck, Bis dass zur schoenen Ebene du gelangen magst, Wo Lakedaemon, einst ein fruchtbar weites Feld, Von ernsten Bergen nah umgeben, angebaut. Betrete dann das hochgetuermte Fuerstenhaus Und mustere mir die Maegde, die ich dort zurueck Gelassen, samt der klugen alten Schaffnerin. Die zeige dir der Schaetze reiche Sammlung vor, Wie sie dein Vater hinterliess und die ich selbst In Krieg und Frieden, stets vermehrend, aufgehaeuft. Du findest alles nach der Ordnung stehen; denn Das ist des Fuersten Vorrecht, dass er alles treu In seinem Hause, wiederkehrend, finde, noch An seinem Platze jedes, wie er’s dort verliess. Denn nichts zu aendern hat fuer sich der Knecht Gewalt."

CHOR: Erquicke nun am herrlichen Schatz, Dem stets vermehrten, Augen und Brust! Denn der Kette Zier, der Krone Geschmuck, Da ruhn sie stolz, und sie duenken sich was; Doch tritt nur ein und fordre sie auf, Sie ruesten sich schnell. Mich freuet, zu sehn Schoenheit in dem Kampf Gegen Gold und Perlen und Edelgestein.

HELENA: Sodann erfolgte des Herren ferneres Herrscherwort: "Wenn du nun alles nach der Ordnung durchgesehn, Dann nimm so manchen Dreifuss, als du noetig glaubst, Und mancherlei Gefaesse, die der Opfer sich Zur Hand verlangt, vollziehend heiligen Festgebrauch. Die Kessel, auch die Schalen, wie das flache Rund; Das reinste Wasser aus der heiligen Quelle sei In hohen Kruegen; ferner auch das trockne Holz, Der Flammen schnell empfaenglich, halte da bereit; Ein wohlgeschliffnes Messer fehle nicht zuletzt; Doch alles andre geb’ ich deiner Sorge hin." So sprach er, mich zum Scheiden draengend; aber nichts Lebendigen Atems zeichnet mir der Ordnende, Das er, die Olympier zu verehren, schlachten will. Bedenklich ist es; doch ich sorge weiter nicht, Und alles bleibe hohen Goettern heimgestellt, Die das vollenden, was in ihrem Sinn sie deucht, Es moege gut von Menschen oder moege boes Geachtet sein; die Sterblichen, wir ertragen das. Schon manchmal hob das schwere Beil der Opfernde Zu des erdgebeugten Tieres Nacken weihend auf Und konnt’ es nicht vollbringen, denn ihn hinderte Des nahen Feindes oder Gottes Zwischenkunft.

CHOR: Was geschehen werde, sinnst du nicht aus; Koenigin, schreite dahin Guten Muts! Gutes und Boeses kommt Unerwartet dem Menschen; Auch verkuendet, glauben wir’s nicht. Brannte doch Troja, sahen wir doch Tod vor Augen, schmaehlichen Tod; Und sind wir nicht hier Dir gesellt, dienstbar freudig, Schauen des Himmels blendende Sonne Und das Schoenste der Erde Huldvoll, dich, uns Gluecklichen?

HELENA: Sei’s wie es sei! Was auch bevorsteht, mir geziemt, Hinaufzusteigen ungesaeumt in das Koenigshaus, Das, lang’ entbehrt und viel ersehnt und fast verscherzt, Mir abermals vor Augen steht, ich weiss nicht wie. Die Fuesse tragen mich so mutig nicht empor Die hohen Stufen, die ich kindisch uebersprang.

CHOR: Werfet, o Schwestern, ihr Traurig gefangenen, Alle Schmerzen ins Weite; Teilet der Herrin Glueck, Teilet Helenens Glueck, Welche zu Vaterhauses Herd, Zwar mit spaet zurueckkehrendem, Aber mit desto festerem Fusse freudig herannaht. Preiset die heiligen, Gluecklich herstellenden Und heimfuehrenden Goetter! Schwebt der Entbundene Doch wie auf Fittichen ueber das Rauhste, wenn umsonst Der Gefangene sehnsuchtsvoll ueber die Zinne des Kerkers hin Armausbreitend sich abhaermt. Aber sie ergriff ein Gott, Die Entfernte; Und aus Ilios’ Schutt Trug er hierher sie zurueck In das alte, das neugeschmueckte Vaterhaus, Nach unsaeglichen Freuden und Qualen, Frueher Jugendzeit Angefrischt zu gedenken.

PANTHALIS: Verlasset nun des Gesanges freudumgebnen Pfad Und wendet nach der Tuere Fluegeln euren Blick! Was seh’ ich, Schwestern? Kehret nicht die Koenigin Mit heftigen Schrittes Regung wieder zu uns her? Was ist es, grosse Koenigin, was konnte dir In deines Hauses Hallen, statt der Deinen Gruss, Erschuetterndes begegnen? Du verbirgst es nicht; Denn Widerwillen seh’ ich an der Stirne dir, Ein edles Zuernen, das mit ueberraschung kaempft.

HELENA: Der Tochter Zeus’ geziemet nicht gemeine Furcht, Und fluechtig-leise Schreckenshand beruehrt sie nicht; Doch das Entsetzen, das, dem Schoss der alten Nacht Von Urbeginn entsteigend, vielgestaltet noch Wie gluehende Wolken aus des Berges Feuerschlund Herauf sich waelzt, erschuettert auch des Helden Brust. So haben heute grauenvoll die Stygischen Ins Haus den Eintritt mir bezeichnet, dass ich gern Von oft betretner, langersehnter Schwelle mich, Entlassnem Gaste gleich, entfernend scheiden mag. Doch nein! gewichen bin ich her ans Licht, und sollt Ihr weiter nicht mich treiben, Maechte, wer ihr seid. Auf Weihe will ich sinnen, dann gereinigt mag Des Herdes Glut die Frau begruessen wie den Herrn.

CHORFUeHRERIN: Entdecke deinen Dienerinnen, edle Frau, Die dir verehrend beistehn, was begegnet ist.

HELENA: Was ich gesehen, sollt ihr selbst mit Augen sehn, Wenn ihr Gebilde nicht die alte Nacht sogleich Zurueckgeschlungen in ihrer Tiefe Wunderschoss. Doch dass ihr’s wisset, sag’ ich’s euch mit Worten an: Als ich des Koenigshauses ernsten Binnenraum, Der naechsten Pflicht gedenkend, feierlich betrat, Erstaunt’ ich ob der oeden Gaenge Schweigsamkeit, Nicht Schall der emsig Wandelnden begegnete Dem Ohr, nicht raschgeschaeftiges Eiligtun dem Blick, Und keine Magd erschien mir, keine Schaffnerin, Die jeden Fremden freundlich sonst begruessenden. Als aber ich dem Schosse des Herdes mich genaht, Da sah ich, bei verglommner Asche lauem Rest, Am Boden sitzen welch verhuelltes grosses Weib, Der Schlafenden nicht vergleichbar, wohl der Sinnenden. Mit Herrscherworten ruf’ ich sie zur Arbeit auf, Die Schaffnerin mir vermutend, die indes vielleicht Des Gatten Vorsicht hinterlassend angestellt; Doch eingefaltet sitzt die Unbewegliche; Nur endlich ruehrt sie auf mein Draeun den rechten Arm, Als wiese sie von Herd und Halle mich hinweg. Ich wende zuernend mich ab von ihr und eile gleich Den Stufen zu, worauf empor der Thalamos Geschmueckt sich hebt und nah daran das Schatzgemach; Allein das Wunder reisst sich schnell vom Boden auf, Gebietrisch mir den Weg vertretend, zeigt es sich In hagrer Groesse, hohlen, blutig-trueben Blicks, Seltsamer Bildung, wie sie Aug’ und Geist verwirrt. Doch red’ ich in die Luefte; denn das Wort bemueht Sich nur umsonst, Gestalten schoepferisch aufzubaun. Da seht sie selbst! sie wagt sogar sich ans Licht hervor! Hier sind wir Meister, bis der Herr und Koenig kommt. Die grausen Nachtgeburten draengt der Schoenheitsfreund Phoebus hinweg in Hoehlen, oder baendigt sie.

CHOR: Vieles erlebt’ ich, obgleich die Locke Jugendlich wallet mir um die Schlaefe! Schreckliches hab’ ich vieles gesehen, Kriegrischen Jammer, Ilios’ Nacht, Als es fiel. Durch das umwoelkte, staubende Tosen Draengender Krieger hoert’ ich die Goetter Fuerchterlich rufen, hoert’ ich der Zwietracht Eherne Stimme schallen durchs Feld, Mauerwaerts. Ach! sie standen noch, Ilios’ Mauern, aber die Flammenglut Zog vom Nachbar zum Nachbar schon, Sich verbreitend von hier und dort Mit des eignen Sturmes Wehn ueber die naechtliche Stadt hin. Fluechtend sah ich durch Rauch und Glut Und der zuengelnden Flamme Loh’n Graesslich zuernender Goetter Nahn, Schreitend Wundergestalten Riesengross, durch duesteren Feuerumleuchteten Qualm hin. Sah ich’s, oder bildete Mir der angstumschlungene Geist Solches Verworrene? sagen kann Nimmer ich’s, doch dass ich dies Graessliche hier mit Augen schau’, Solches gewiss ja weiss ich; Koennt’ es mit Haenden fassen gar, Hielte von dem Gefaehrlichen Nicht zuruecke die Furcht mich. Welche von Phorkys’ Toechtern nur bist du? Denn ich vergleiche dich Diesem Geschlechte. Bist du vielleicht der graugebornen, Eines Auges und eines Zahns Wechselsweis teilhaftigen Graien eine gekommen? Wagest du Scheusal Neben der Schoenheit Dich vor dem Kennerblick Phoebus’ zu zeigen? Tritt du dennoch hervor nur immer; Denn das Haessliche schaut er nicht, Wie sein heilig Auge noch Nie erblickte den Schatten. Doch uns Sterbliche noetigt, ach, Leider trauriges Missgeschick Zu dem unsaeglichen Augenschmerz, Den das Verwerfliche, Ewig-Unselige Schoenheitliebenden rege macht. Ja, so hoere denn, wenn du frech Uns entgegenest, hoere Fluch, Hoere jeglicher Schelte Drohn Aus dem verwuenschenden Munde der Gluecklichen, Die von Goettern gebildet sind.

PHORKYAS: Alt ist das Wort, doch bleibet hoch und wahr der Sinn, Dass Scham und Schoenheit nie zusammen, Hand in Hand, Den Weg verfolgen ueber der Erde gruenen Pfad. Tief eingewurzelt wohnt in beiden alter Hass, Dass, wo sie immer irgend auch des Weges sich Begegnen, jede der Gernerin den Ruecken kehrt. Dann eilet jede wieder heftiger, weiter fort, Die Scham betruebt, die Schoenheit aber frech gesinnt, Bis sie zuletzt des Orkus hohle Nacht umfaengt, Wenn nicht das Alter sie vorher gebaendigt hat. Euch find’ ich nun, ihr Frechen, aus der Fremde her Mit uebermut ergossen, gleich der Kraniche Laut-heiser klingendem Zug, der ueber unser Haupt, In langer Wolke, kraechzend sein Getoen herab Schickt, das den stillen Wandrer ueber sich hinauf Zu blicken lockt; doch ziehn sie ihren Weg dahin, Er geht den seinen; also wird’s mit uns geschehn. Wer seid denn ihr, dass ihr des Koeniges Hochpalast Maenadisch wild, Betrunknen gleich, umtoben duerft? Wer seid ihr denn, dass ihr des Hauses Schaffnerin Entgegenheulet, wie dem Mond der Hunde Schar? Waehnt ihr, verborgen sei mir, welch Geschlecht ihr seid, Du kriegerzeugte, schlachterzogne junge Brut? Mannlustige du, so wie verfuehrt verfuehrende, Entnervend beide, Kriegers auch und Buergers Kraft! Zu Hauf euch sehend, scheint mir ein Zikadenschwarm Herabzustuerzen, deckend gruene Feldersaat. Verzehrerinnen fremden Fleisses! Naschende Vernichterinnen aufgekeimten Wohlstands ihr! Erobert’, marktverkauft’, vertauschte Ware du!

HELENA: Wer gegenwarts der Frau die Dienerinnen schilt, Der Gebietrin Hausrecht tastet er vermessen an; Denn ihr gebuehrt allein, das Lobenswuerdige Zu ruehmen, wie zu strafen, was verwerflich ist. Auch bin des Dienstes ich wohl zufrieden, den sie mir Geleistet, als die hohe Kraft von Ilios Umlagert stand und fiel und lag; nicht weniger, Als wir der Irrfahrt kummervolle Wechselnot Ertrugen, wo sonst jeder sich der Naechste bleibt. Auch hier erwart’ ich Gleiches von der muntern Schar; Nicht, was der Knecht sei, fragt der Herr, nur, wie er dient. Drum schweige du und grinse sie nicht laenger an. Hast du das Haus des Koenigs wohl verwahrt bisher Anstatt der Hausfrau, solches dient zum Ruhme dir; Doch jetzo kommt sie selber, tritt nun du zurueck, Damit nicht Strafe werde statt verdienten Lohns.

PHORKYAS: Den Hausgenossen drohen bleibt ein grosses Recht, Das gottbeglueckten Herrschers hohe Gattin sich Durch langer Jahre weise Leitung wohl verdient. Da du, nun Anerkannte, neu den alten Platz Der Koenigin und Hausfrau wiederum betrittst, So fasse laengst erschlaffte Zuegel, herrsche nun, Nimm in Besitz den Schatz und saemtlich uns dazu. Vor allem aber schuetze mich, die aeltere, Vor dieser Schar, die neben deiner Schoenheit Schwan Nur schlecht befitticht’, schnatterhafte Gaense sind.

CHORFUeHRERIN: Wie haesslich neben Schoenheit zeigt sich Haesslichkeit.

PHORKYAS: Wie unverstaendig neben Klugheit Unverstand.

CHORETIDE 1: Von Vater Erebus melde, melde von Mutter Nacht.

PHORKYAS: So sprich von Scylla, leiblich dir Geschwisterkind.

CHORETIDE 2: An deinem Stammbaum steigt manch Ungeheur empor.

PHORKYAS: Zum Orkus hin! da suche deine Sippschaft auf.

CHORETIDE 3: Die dorten wohnen, sind dir alle viel zu jung.

PHORKYAS: Tiresias, den Alten, gehe buhlend an.

CHORETIDE 4: Orions Amme war dir Ur-Urenkelin.

PHORKYAS: Harpyen, waehn’ ich, fuetterten dich im Unflat auf.

CHORETIDE 5: Mit was ernaehrst du so gepflegte Magerkeit?

PHORKYAS: Mit Blute nicht, wonach du allzuluestern bist.

CHORETIDE 6: Begierig du auf Leichen, ekle Leiche selbst!

PHORKYAS: Vampyren-Zaehne glaenzen dir im frechen Maul.

CHORFUeHRERIN: Das deine stopf’ ich, wenn ich sage, wer du seist.

PHORKYAS: So nenne dich zuerst; das Raetsel hebt sich auf.

HELENA: Nicht zuernend, aber traurend schreit’ ich zwischen euch, Verbietend solchen Wechselstreites Ungestuem! Denn Schaedlicheres begegnet nichts dem Herrscherherrn Als treuer Diener heimlich unterschworner Zwist. Das Echo seiner Befehle kehrt alsdann nicht mehr In schnell vollbrachter Tat wohlstimmig ihm zurueck, Nein, eigenwillig brausend tost es um ihn her, Den selbstverirrten, ins Vergebne scheltenden. Dies nicht allein. Ihr habt in sittelosem Zorn Unsel’ger Bilder Schreckgestalten hergebannt, Die mich umdraengen, dass ich selbst zum Orkus mich Gerissen fuehle, vaterlaend’scher Flur zum Trutz. Ist’s wohl Gedaechtnis? war es Wahn, der mich ergreift? War ich das alles? Bin ich’s? Werd’ ich’s kuenftig sein, Das Traumund Schreckbild jener Staedteverwuestenden? Die Maedchen schaudern, aber du, die aelteste, Du stehst gelassen; rede mir verstaendig Wort.

PHORKYAS: Wer langer Jahre mannigfaltigen Gluecks gedenkt, Ihm scheint zuletzt die hoechste Goettergunst ein Traum. Du aber, hochbeguenstigt sonder Mass und Ziel, In Lebensreihe sahst nur Liebesbruenstige, Entzuendet rasch zum kuehnsten Wagstueck jeder Art. Schon Theseus haschte frueh dich, gierig aufgeregt, Wie Herakles stark, ein herrlich schoen geformter Mann.

HELENA: Entfuehrte mich, ein zehenjaehrig schlankes Reh, Und mich umschloss Aphidnus’ Burg in Attika.

PHORKYAS: Durch Kastor und durch Pollux aber bald befreit, Umworben standst du ausgesuchter Heldenschar.

HELENA: Doch stille Gunst vor allen, wie ich gern gesteh’, Gewann Patroklus, er, des Peliden Ebenbild.

PHORKYAS: Doch Vaterwille traute dich an Menelas, Den kuehnen Seedurchstreicher, Hausbewahrer auch.

HELENA: Die Tochter gab er, gab des Reichs Bestellung ihm. Aus ehlichem Beisein sprosste dann Hermione.

PHORKYAS: Doch als er fern sich Kretas Erbe kuehn erstritt, Dir Einsamen da erschien ein allzuschoener Gast.

HELENA: Warum gedenkst du jener halben Witwenschaft, Und welch Verderben graesslich mir daraus erwuchs?

PHORKYAS: Auch jene Fahrt, mir freigebornen Kreterin Gefangenschaft erschuf sie, lange Sklaverei.

HELENA: Als Schaffnerin bestellt’ er dich sogleich hieher, Vertrauend vieles, Burg und kuehn erworbnen Schatz.

PHORKYAS: Die du verliessest, Ilios’ umtuermter Stadt Und unerschoepften Liebesfreuden zugewandt.

HELENA: Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leids Unendlichkeit ergoss sich ueber Brust und Haupt.

PHORKYAS: Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild, In Ilios gesehen und in aegypten auch.

HELENA: Verwirre wuesten Sinnes Aberwitz nicht gar. Selbst jetzo, welche denn ich sei, ich weiss es nicht.

PHORKYAS: Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf Gesellte sich inbruenstig noch Achill zu dir! Dich frueher liebend gegen allen Geschicks Beschluss.

HELENA: Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich. Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst. Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol.

CHOR: Schweige, schweige! Missblickende, Missredende du! Aus so graesslichen einzahnigen Lippen, was enthaucht wohl Solchem furchtbaren Greuelschlund! Denn der Boesartige, wohltaetig erscheinend, Wolfesgrimm unter schafwolligem Vlies, Mir ist er weit schrecklicher als des drei-+ koepfigen/ Hundes Rachen. aengstlich lauschend stehn wir da: Wann? wie? wo nur bricht’s hervor, Solcher Tuecke Tiefauflauerndes Ungetuem? Nun denn, statt freundlich mit Trost reich begabten, Letheschenkenden, holdmildesten Worts Regest du auf aller Vergangenheit Boesestes mehr denn Gutes Und verduesterst allzugleich Mit dem Glanz der Gegenwart Auch der Zukunft Mild aufschimmerndes Hoffnungslicht. Schweige, schweige! Dass der Koenigin Seele, Schon zu entfliehen bereit, Sich noch halte, festhalte Die Gestalt aller Gestalten, Welche die Sonne jemals beschien.

PHORKYAS: Tritt hervor aus fluechtigen Wolken, hohe Sonne dieses Tags, Die verschleiert schon entzueckte, blendend nun im Glanze herrscht. Wie die Welt sich dir entfaltet, schaust du selbst mit holdem Blick. Schelten sie mich auch fuer haesslich, kenn’ ich doch das Schoene wohl.

HELENA: Tret’ ich schwankend aus der oede, die im Schwindel mich umgab, Pflegt’ ich gern der Ruhe wieder, denn so mued’ ist mein Gebein: Doch es ziemet Koeniginnen, allen Menschen ziemt es wohl, Sich zu fassen, zu ermannen, was auch drohend ueberrascht.

PHORKYAS: Stehst du nun in deiner Grossheit, deiner Schoene vor uns da, Sagt dein Blick, dass du befiehlest; was befiehlst du? sprich es aus.

HELENA: Eures Haders frech Versaeumnis auszugleichen, seid bereit; Eilt, ein Opfer zu bestellen, wie der Koenig mir gebot.

PHORKYAS: Alles ist bereit im Hause, Schale, Dreifuss, scharfes Beil, Zum Besprengen, zum Beraeuchern; das zu Opfernde zeig’ an!

HELENA: Nicht bezeichnet’ es der Koenig. +

PHORKYAS: Sprach’s nicht aus? O Jammerwort!

HELENA: Welch ein Jammer ueberfaellt dich? +

PHORKYAS: Koenigin, du bist gemeint!

HELENA: Ich? +

PHORKYAS: Und diese. +

CHOR: Weh und Jammer! +

PHORKYAS: Fallen wirst du durch das Beil.

HELENA: Graesslich doch geahnt; ich Arme! +

PHORKYAS: Unvermeidlich scheint es mir.

CHOR: Ach! Und uns? + was wird begegnen?

PHORKYAS: Sie stirbt einen edlen Tod; Doch am hohen Balken drinnen, der des Daches Giebel traegt, Wie im Vogelfang die Drosseln, zappelt ihr der Reihe nach.

PHORKYAS: Gespenster!—Gleich erstarrten Bildern steht ihr da, Geschreckt, vom Tag zu scheiden, der euch nicht gehoert. Die Menschen, die Gespenster saemtlich gleich wie ihr, Entsagen auch nicht willig hehrem Sonnenschein; Doch bittet oder rettet niemand sie vom Schluss; Sie wissen’s alle, wenigen doch gefaellt es nur. Genug, ihr seid verloren! Also frisch ans Werk. Herbei, du duestres, kugelrundes Ungetuem! Waelzt euch hieher, zu schaden gibt es hier nach Lust. Dem Tragaltar, dem goldgehoernten, gebet Platz, Das Beil, es liege blinkend ueber dem Silberrand, Die Wasserkruege fuellet, abzuwaschen gibt’s Des schwarzen Blutes greuelvolle Besudelung. Den Teppich breitet koestlich hier am Staube hin, Damit das Opfer niederkniee koeniglich Und eingewickelt, zwar getrennten Haupts sogleich, Anstaendig wuerdig aber doch bestattet sei.

CHORFUeHRERIN: Die Koenigin stehet sinnend an der Seite hier, Die Maedchen welken gleich gemaehtem Wiesengras; Mir aber deucht, der aeltesten, heiliger Pflicht gemaess, Mit dir das Wort zu wechseln, Ur-Uraelteste. Du bist erfahren, weise, scheinst uns gut gesinnt, Obschon verkennend hirnlos diese Schar dich traf. Drum sage, was du moeglich noch von Rettung weisst.

PHORKYAS: Ist leicht gesagt: von der Koenigin haengt allein es ab, Sich selbst zu erhalten, euch Zugaben auch mit ihr. Entschlossenheit ist noetig und die behendeste.

CHOR: Ehrenwuerdigste der Parzen, weiseste Sibylle du, Halte gesperrt die goldene Schere, dann verkuend’ uns Tag und Heil; Denn wir fuehlen schon im Schweben, Schwanken, Bammeln unergetzlich Unsere Gliederchen, die lieber erst im Tanze sich ergetzten, Ruhten drauf an Liebchens Brust.

HELENA: Lass diese bangen! Schmerz empfind’ ich, keine Furcht; Doch kennst du Rettung, dankbar sei sie anerkannt. Dem Klungen, Weitumsichtigen zeigt fuerwahr sich oft Unmoegliches noch als moeglich. Sprich und sag’ es an.

CHOR: Sprich und sage, sag uns eilig: wie entrinnen wir den grausen, Garstigen Schlingen, die bedrohlich, als die schlechtesten Geschmeide, Sich um unsre Haelse ziehen? Vorempfinden wir’s, die Armen, Zum Entatmen, zum Ersticken, wenn du, Rhea, aller Goetter Hohe Mutter, dich nicht erbarmst.

PHORKYAS: Habt ihr Geduld, des Vortrags langgedehnten Zug Still anzuhoeren? Mancherlei Geschichten sind’s.

CHOR: Geduld genug! Zuhoerend leben wir indes.

PHORKYAS: Dem, der zu Hause verharrend edlen Schatz bewahrt Und hoher Wohnung Mauern auszukitten weiss, Wie auch das Dach zu sichern vor des Regens Drang, Dem wird es wohlgehn lange Lebenstage durch; Wer aber seiner Schwelle heilige Richte leicht Mit fluechtigen Sohlen ueberschreitet freventlich, Der findet wiederkehrend wohl den alten Platz, Doch umgeaendert alles, wo nicht gar zerstoert.

HELENA: Wozu dergleichen wohlbekannte Sprueche hier? Du willst erzaehlen; rege nicht an Verdriessliches.

PHORKYAS: Geschichtlich ist es, ist ein Vorwurf keineswegs. Raubschiffend ruderte Menelas von Bucht zu Bucht, Gestad’ und Inseln, alles streift’ er feindlich an, Mit Beute wiederkehrend, wie sie drinnen starrt. Vor Ilios verbracht’ er langer Jahre zehn; Zur Heimfahrt aber weiss ich nicht wie viel es war. Allein wie steht es hier am Platz um Tyndareos’ Erhabnes Haus? wie stehet es mit dem Reich umher?

HELENA: Ist dir denn so das Schelten gaenzlich einverleibt, Dass ohne Tadeln du keine Lippe regen kannst?

PHORKYAS: So viele Jahre stand verlassen das Talgebrig, Das hinter Sparta nordwaerts in die Hoehe steigt, Taygetos im Ruecken, wo als muntrer Bach Herab Eurotas rollt und dann, durch unser Tal An Rohren breit hinfliessend, eure sChwaene naehrt. Dort hinten still im Gebirgtal hat ein kuehn Geschlecht Sich angesiedelt, dringend aus cimmerischer Nacht, Und unersteiglich feste Burg sich aufgetuermt, Von da sie Land und Leute placken, wie’s behagt.

HELENA: Das konnten sie vollfuehren? Ganz unmoeglich scheint’s.

PHORKYAS: Sie hatten Zeit, vielleicht an zwanzig Jahre sind’s.

HELENA: Ist einer Herr? sind’s Raeuber viel, verbuendete?

PHORKYAS: Nicht Raeuber sind es, einer aber ist der Herr. Ich schelt’ ihn nicht, und wenn er schon mich heimgesucht. Wohl konnt’ er alles nehmen, doch begnuegt’ er sich Mit wenigen Freigeschenken, nannt’ er’s, nicht Tribut.

HELENA: Wie sieht er aus? +

PHORKYAS: Nicht uebel! mir gefaellt er schon. Es ist ein munterer, kecker, wohlgebildeter, Wie unter Griechen wenig’, ein verstaend’ger Mann. Man schilt das Volk Barbaren, doch ich daechte nicht, Dass grausam einer waere, wie vor Ilios Gar mancher Held sich menschenfresserisch erwies. Ich acht’ auf seine Grossheit, ihm vertraut’ ich mich. Und seine Burg! die solltet ihr mit Augen sehn! Das ist was anderes gegen plumpes Mauerwerk, Das eure Vaeter, mir nichts dir nichts, aufgewaelzt, Zyklopisch wie Zyklopen, rohen Stein sogleich Auf rohe Steine stuerzend; dort hingegen, dort Ist alles senkund waagerecht und regelhaft. Von aussen schaut sie! himmelan sie strebt empor, So starr, so wohl in Fugen, spiegelglatt wie Stahl. Zu klettern hier—ja selbst der Gedanke gleitet ab. Und innen grosser Hoefe Raumgelasse, rings Mit Baulichkeit umgeben, aller Art und Zweck. Da seht ihr Saeulen, Saeulchen, Bogen, Boegelchen, Altane, Galerien, zu schauen aus und ein, Und Wappen. +

CHOR: Was sind Wappen? +

PHORKYAS: Ajax fuehrte ja Geschlungene Schlang’ im Schilde, wie ihr selbst gesehn. Die Sieben dort vor Theben trugen Bildnerein Ein jeder auf seinem Schilde, reich bedeutungsvoll. Da sah man Mond und Stern’ am naechtigen Himmelsraum, Auch Goettin, Held und Leiter, Schwerter, Fackeln auch, Und was Bedraengliches guten Staedten grimmig droht. Ein solch Gebilde fuehrt auch unsre Heldenschar Von seinen Ur-Urahnen her in Farbenglanz. Da seht ihr Loewen, Adler, Klau’ und Schnabel auch, Dann Bueffelhoerner, Fluegel, Rosen, Pfauenschweif, Auch Streifen, gold und schwarz und silbern, blau und rot. Dergleichen haengt in Saelen Reih’ an Reihe fort. In Saelen, grenzenlosen, wie die Welt so weit; Da koennt ihr tanzen! +

CHOR: Sage, gibt’s auch Taenzer da?

PHORKYAS: Die besten! goldgelockte, frische Bubenschar. Die duften Jugend! Paris duftete einzig so, Als er der Koenigin zu nahe kam. +

HELENA: Du faellst Ganz aus der Rolle; sage mir das letzte Wort!

PHORKYAS: Du sprichst das letzte, sagst mit Ernst vernehmlich Ja! Sogleich umgeb’ ich dich mit jener Burg. +

CHOR: O sprich Das kurze Wort und rette dich und uns zugleich!

HELENA: Wie? sollt’ ich fuerchten, dass der Koenig Menelas So grausam sich verginge, mich zu schaedigen?

PHORKYAS: Hast du vergessen, wie er deinen Deiphobus, Des totgekaempften = paris Bruder, unerhoert Verstuemmelte, der starrsinnig Witwe dich erstritt Und gluecklich kebste? Nas’ und Ohren schnitt er ab Und stuemmelte mehr so: Greuel war es anzuschaun.

HELENA: Das tat er jenem, meinetwegen tat er das.

PHORKYAS: Um jenes willen wird er dir das gleiche tun. Unteilbar ist die Schoenheit; der sie ganz besass, Zerstoert sie lieber, fluchend jedem Teilbesitz. Wie scharf der Trompete Schmettern Ohr und Eingeweid’ Zerreissend anfasst, also krallt sich Eifersucht Im Busen fest des Mannes, der das nie vergisst, Was einst er besass und nun verlor, nicht mehr besitzt.

CHOR: Hoerst du nicht die Hoerner schallen? siehst der Waffen Blitze nicht?

PHORKYAS: Sei willkommen, Herr und Koenig, gerne geb’ ich Rechenschaft.

CHOR: Aber wir? +

PHORKYAS: Ihr wisst es deutlich, seht vor Augen ihren Tod, Merkt den eurigen da drinne: nein, zu helfen ist euch nicht.

HELENA: Ich sann mir aus das Naechste, was ich wagen darf. Ein Widerdaemon bist du, das empfind’ ich wohl Und fuerchte, Gutes wendest du zum Boesen um. Vor allem aber folgen will ich dir zur Burg; Das andre weiss ich; was die Koenigin dabei Im tiefen Busen geheimnisvoll verbergen mag, Sei jedem unzugaenglich. Alte, geh voran!

CHOR: O wie gern gehen wir hin, Eilenden Fusses; Hinter uns Tod, Vor uns abermals Ragender Feste Unzugaengliche Mauer. Schuetze sie ebenso gut, Eben wie Ilios’ Burg, Die doch endlich nur Niedertraechtiger List erlag. Wie? aber wie? Schwestern, schaut euch um! Was es nicht heiterer Tag? Nebel schwanken streifig empor Aus Eurotas’ heil’ger Flut; Schon entschwand das liebliche Schilfumkraenzte Gestade dem Blick; Auch die frei, zierlich-stolz Sanfthingleitenden Schwaene In gesell’ger Schwimmlust Seh’ ich, ach, nicht mehr! Doch, aber doch Toenen hoer’ ich sie, Toenen fern heiseren Ton! Tod verkuendenden, sagen sie. Ach dass uns er nur nicht auch, Statt verheissener Rettung Heil, Untergang verkuende zuletzt; Uns, den Schwangleichen, Lang-+ Schoen-Weisshalsigen,/ und ach! Unsrer Schwanerzeugten. Weh uns, weh, weh! Alles deckte sich schon Rings mit Nebel umher. Sehen wir doch einander nicht! Was geschieht? gehen wir? Schweben wir nur Trippelnden Schrittes am Boden hin? Siehst du nichts? Schwebt nicht etwa gar Hermes voran? Blinkt nicht der goldne Stab Heischend, gebietend uns wieder zurueck Zu dem unerfreulichen, grautagenden, Ungreifbarer Gebilde vollen, ueberfuellten, ewig leeren Hades? Ja auf einmal wird es duester, ohne Glanz entschwebt der Nebel Dunkelgraeulich, mauerbraeunlich. Mauern stellen sich dem Blicke, Freiem Blicke starr entgegen. Ist’s ein Hof? ist’s tiefe Grube? Schauerlich in jedem Falle! Schwestern, ach! wir sind gefangen, So gefangen wie nur je.