Erstes Kapitel

Von Haupt—und Staats-Aktionen. Betragen Agathons am Hofe des Koenigs Dionys

Man tadelt an Shakespear—demjenigen unter allen Dichtern seit Homer, der die Menschen, vom Koenige bis zum Bettler, und von Julius Caesar bis zu Jack Fallstaff am besten gekannt, und mit einer Art von unbegreiflicher Intuition durch und durch gesehen hat—dass seine Stuecke keinen, oder doch nur einen sehr fehlerhaften unregelmaessigen und schlecht ausgesonnenen Plan haben; dass komisches und tragisches darin auf die seltsamste Art durch einander geworfen ist, und oft eben dieselbe Person, die uns durch die ruehrende Sprache der Natur, Traenen in die Augen gelockt hat, in wenigen Augenblicken darauf uns durch irgend einen seltsamen Einfall oder barokischen Ausdruck ihrer Empfindungen wo nicht zu lachen macht, doch dergestalt abkuehlt, dass es ihm hernach sehr schwer wird, uns wieder in die Fassung zu setzen, worin er uns haben moechte.—Man tadelt das—und denkt nicht daran, dass seine Stuecke eben darin natuerliche Abbildungen des menschlichen Lebens sind.

Das Leben der meisten Menschen, und (wenn wir es sagen duerften) der Lebenslauf der grossen Staats-Koerper selbst, in so fern wir sie als eben so viel moralische Wesen betrachten, gleicht den Haupt—und Staats-Aktionen im alten gothischen Geschmack in so vielen Punkten, dass man beinahe auf die Gedanken kommen moechte, die Erfinder dieser letztern seien klueger gewesen als man gemeiniglich denkt, und haetten, wofern sie nicht gar die heimliche Absicht gehabt, das menschliche Leben laecherlich zu machen, wenigstens die Natur eben so getreu nachahmen wollen, als die Griechen sich angelegen sein liessen sie zu verschoenern. Um itzo nichts von der zufaelligen aehnlichkeit zu sagen, dass in diesen Stuecken, so wie im Leben, die wichtigsten Rollen sehr oft gerade durch die schlechtesten Acteurs gespielt werden—was kann aehnlicher sein, als es beide Arten der Haupt—und Staats-Aktionen einander in der Anlage, in der Abteilung und Disposition der Szenen, im Knoten und in der Entwicklung zu sein pflegen. Wie selten fragen die Urheber der einen und der andern sich selbst, warum sie dieses oder jenes gerade so und nicht anders gemacht haben? Wie oft ueberraschen sie uns durch Begebenheiten, zu denen wir nicht im mindesten vorbereitet waren? Wie oft sehen wir Personen kommen und wieder abtreten, ohne dass sich begreifen laesst, warum sie kamen, oder warum sie wieder verschwinden? Wie viel wird in beiden dem Zufall ueberlassen? Wie oft sehen wir die groessesten Wuerkungen durch die armseligsten Ursachen hervorgebracht? Wie oft das Ernsthafte und Wichtige mit einer leichtsinnigen Art, und das Nichtsbedeutende mit laecherlicher Gravitaet behandelt? Und wenn in beiden endlich alles so klaeglich verworren und durch einander geschlungen ist, dass man an der Moeglichkeit der Entwicklung zu verzweifeln anfaengt; wie gluecklich sehen wir durch irgend einen unter Blitz und Donner aus papiernen Wolken herabspringenden Gott, oder durch einen frischen Degen-Hieb den Knoten auf einmal zwar nicht aufgeloest, aber doch aufgeschnitten, welches in so fern auf eines hinaus lauft, dass auf die eine oder andere Art das Stueck ein Ende hat, und die Zuschauer klatschen oder zischen koennen, wie sie wollen oder—duerfen. uebrigens weiss man, was fuer eine wichtige Person in den komischen Tragoedien, wovon wir reden, der edle Hans Wurst vorstellt, der sich, vermutlich zum ewigen Denkmal des Geschmacks unsrer Voreltern, auf dem Theater der Hauptstadt des deutschen Reichs erhalten zu wollen scheint. Wollte Gott, dass er seine Person allein auf dem Theater vorstellte! Aber wie viele grosse Aufzuege auf dern Schauplatze der Welt hat man nicht in allen Zeiten mit Hans Wurst—oder, welches noch ein wenig aerger ist, durch Hans Wurst—auffuehren gesehen? Wie oft haben die groessesten Maenner, dazu geboren, die schuetzenden Genii eines Throns, die Wohltaeter ganzer Voelker und Zeitalter zu sein, alle ihre Weisheit und Tapferkeit durch einen kleinen schnakischen Streich von Hans Wurst, oder solchen Leuten vereitelt sehen muessen, welche ohne eben sein Wams und seine gelben Hosen zu tragen, doch gewiss seinen ganzen Charakter an sich trugen? Wie oft entsteht in beiden Arten der Tragi-Komoedien die Verwicklung selbst lediglich daher, dass Hans Wurst durch irgend ein dummes oder schelmisches Stueckchen von seiner Arbeit den gescheiten Leuten, eh sie sich’s versehen koennen, ihr Spiel verderbt?—Manum de tabula!—Aber wenn diese Vergleichung, wie wir besorgen, ihren Grund hat; so moegen wir wohl den Weisen und Rechtschaffenen Mann bedauren, den sein Schicksal dazu verurteilt hat, unter einem schlimmen, oder—welches ist aerger?—unter einem schwachen Fuersten, in die Verwaltung der oeffentlichen Angelegenheiten verwickelt zu sein? Was wird es ihm helfen, Einsichten und Mut zu haben, nach den besten Grundsaetzen und nach dem richtigsten Plan zu handeln; wenn das veraechtlichste Ungeziefer, wenn ein Sklave, ein Kuppler, eine Bacchidion, oder etwas noch schlimmers, irgend ein Parasite, dessen ganzes Verdienst in Geschmeidigkeit, Verstellung und Schalkheit besteht, es in ihrer Gewalt haben, seine Massregeln zu verruecken, aufzuhalten, oder gar zu hintertreiben? Indessen bleibt ihm, wenn er sich einmal an ein so gefahrvolles Abenteuer gewagt hat, wie zum Exempel dasjenige, welches Agathon wuerklich zu bestehen hat, kein andres Mittel uebrig, sich selbst zu beruhigen, und auf alle Faelle sein Betragen vor dem unparteiischen Gericht der Weisen und der Nachwelt rechtfertigen zu koennen—als dass er sich, eh er die Hand ans Werk legt, einen regelmaessigen Plan seines ganzen Verhaltens entwerfe. Wenn gleich alle Weisheit eines solchen Entwurfs ihm fuer den Ausgang nicht Gewaehr leisten kann; so bleibt ihm doch der troestende Gedanke, alles getan zu haben, was ihn, ohne Zufaelle die er entweder nicht vorhersehen, oder nicht hintertreiben konnte, des gluecklichen Erfolgs haette versichern koennen.

Dieses war also die erste Sorge unsers Helden, nachdem er sich anheischig gemacht hatte, die Person eines Ratgebers und Vertrauten bei dem Koenige Dionys zu spielen. Er sah alle, oder doch einen grossen Teil der Schwierigkeiten, einen solchen Plan zu machen, der ihm durch den Labyrinth des Hofes und des oeffentlichen Lebens zum Leitfaden dienen koennte. Aber er glaubte, dass der mangelhafteste Plan besser sei, als gar keiner; und in der Tat war ihm die Gewohnheit, seine Ideen worueber es auch sein moechte, in ein System zu bringen, so natuerlich geworden, dass sie sich, so zu sagen, von sich selbst in einen Plan ordneten, welcher vielleicht keinen andern Fehler hatte, als dass Agathon noch nicht voellig so uebel von den Menschen denken konnte, als es diejenigen verdienten, mit denen er zu tun hatte. Indessen dachte er doch lange nicht mehr so erhaben von der menschlichen Natur, als ehmals; oder richtiger zu reden, er kannte den unendlichen Unterschied zwischen dem metaphysischen Menschen, welchen man sich in einer spekulativen Einsamkeit ertraeumt; dem natuerlichen Menschen, in der rohen Einfalt und Unschuld, wie er aus den Haenden der allgemeinen Mutter der Wesen hervorgeht; und dem gekuenstelten Menschen, wie ihn die Gesellschaft, ihre Gesetze, ihre Gebraeuche und Sitten, seine Beduerfnisse, seine Abhaenglichkeit, der immer waehrende Kontrast seiner Begierden mit seinem Unvermoegen, seines Privat-Vorteils mit den Privat-Vorteilen der uebrigen, die daher entspringende Notwendigkeit der Verstellung, und immerwaehrenden Verlarvung seiner wahren Absichten, und tausend dergleichen physikalische und moralische Ursachen in unzaehliche betruegliche Gestalten ausbilden—er kannte, sage ich, nach allen Erfahrungen, die er schon gemacht hatte, diesen Unterschied der Menschen von dem was sie sein koennten, und vielleicht sein sollten, bereits zu gut, um seinen Plan auf platonische Ideen zu gruenden. Er war nicht mehr der jugendliche Enthusiast, der sich einbildet, dass es ihm eben so leicht sein werde, ein grosses Vorhaben auszufuehren, als es zu fassen. Die Athenienser hatten ihn auf immer von dem Vorurteil geheilt, dass die Tugend nur ihre eigene Staerke gebrauche, um ueber ihre Haesser obzusiegen. Er hatte gelernt, wie wenig man von andern erwarten kann; wie wenig man auf sie Rechnung machen, und (was das wichtigste fuer ihn war) wie wenig man sich auf sich selbst verlassen darf, Er hatte gelernt, wieviel man den Umstaenden nachgeben muss; dass der vollkommenste Entwurf an sich selbst oft der schlechteste unter den gegebenen Umstaenden ist; dass sich das Boese nicht auf einmal gut machen laesst; dass sich in der moralischen Welt, wie in der materialischen, nichts in gerader Linie fortbewegt, und dass man selten anders als durch viele Kruemmen und Wendungen zu einem guten Zweck gelangen kann—Kurz, dass das Leben, zumal eines echten Staats-Mannes, einer Schiffahrt gleicht, wo der Pilot sich gefallen lassen muss, seinen Lauf nach Wind und Wetter einzurichten; wo er keinen Augenblick sicher ist durch widrige Stroeme aufgehalten oder seitwaerts getrieben zu werden; und wo alles darauf ankommt, mitten unter tausend unfreiwilligen Abweichungen von der Linie, die er sich in seiner Karte gezogen hat, endlich dennoch, und so bald und wohlbehalten als moeglich, an dem vorgesetzten Ort anzulangen.

Diesen allgemeinen Grundsaetzen zufolge bestimmte er die Absichten bei allem was er unternahm, den Grad des Guten, welches er sich zu erreichen vorsetzte, und sein Verhalten gegen diejenige, welche ihm dabei am meisten hinderlich oder befoerderlich sein koennten—jenes, nach dem Zusammenhang aller Umstaende, worin er die Sachen antraf—dieses nach Beschaffenheit der Personen mit denen er’s zu tun hatte, oder richtiger zu reden, nach der zum teil wenig sichern Vorstellung, die er sich von ihrem Charakter machte.

Er konnte, seit dem er den Dionys naeher kannte, nicht daran denken, ein Muster eines guten Fuersten aus ihm zu machen; aber er hoffte doch nicht ohne Grund, seinen Lastern ihr schaedlichstes Gift benehmen, und seiner guten Neigungen, oder vielmehr seiner guten Launen, seiner Leidenschaften und Schwachheiten selbst, sich zum Vorteil des gemeinen Besten bedienen zu koennen. Diese Meinung von seinem Prinzen war in der Tat so bescheiden, dass er sie nicht tiefer herabstimmen konnte, ohne alle Hoffnung zu Erreichung seiner Entwuerfe aufzugeben; und doch zeigte sich in der Folge, dass er noch zu gut von ihm gedacht hatte. Dionys hatte in der Tat Eigenschaften, welche viel gutes versprachen; aber ungluecklicher Weise hatte er fuer jede derselben eine andere, welche alles wieder vernichtete, was jene zusagte; und wenn man ihn lange genug in der Naehe betrachtet hatte, so befand sich’s, dass seine vermeinten Tugenden wuerklich nichts anders als seine Laster waren, welche von einer gewissen Seite betrachtet, eine Farbe der Tugend annahmen. Indessen liess sich doch Agathon durch diese guten Anscheinungen so verblenden, dass er die Unverbesserlichkeit eines Charakters von dieser Art, und also den Ungrund aller seiner Hoffnungen nicht eher einsah, als bis ihm diese Entdeckung zu nichts mehr nutzen konnte.

Die groesseste Schwachheit des Prinzen, seiner Meinung nach, war sein uebermaessiger Hang zur Gemaechlichkeit und Wollust. Er hoffte dem ersten dadurch zu begegnen, dass er ihm die Geschaefte so leicht und so angenehm zu machen suchte als moeglich war; und dem andern, wenn er ihn wenigstens von den wilden Ausschweifungen abgewoehnte, zu denen er sich bisher hatte hinreissen lassen. Unsre Vergnuegungen werden desto feiner, edler und sittlicher, je mehr die Musen Anteil daran haben. Aus diesem richtigen Grundsatz bemuehte er sich, dem Dionys mehr Geschmack an den schoenen Kuensten beizubringen, als er bisher davon gehabt hatte. In kurzem wurden seine Palaeste, Landhaeuser und Gaerten, mit den Meisterstuecken der besten Maler und Bildhauer Griechenlandes angefuellt. Agathon zog die beruehmtesten Virtuosen in allen Gattungen von Athen nach Syracus; er fuehrte ein praechtiges Odeon nach dem Muster dessen, worauf Perikles den oeffentlichen Schatz der Griechen verwendet hatte, auf; und Dionys fand so viel Vergnuegen an den verschiedenen Arten von Schauspielen, womit er, unter der Aufsicht seines Guenstlings, fast taeglich auf diesem Theater belustiget wurde, dass er, seiner Gewohnheit nach, eine Zeitlang allen Geschmack an andern Ergoetzlichkeiten verloren zu haben schien. Indessen war doch eine andre Leidenschaft uebrig, deren Herrschaft ueber ihn allein hinlaenglich war, alle guten Absichten seines neuen Freundes zu hintertreiben. Gegenwaertig befand sich die Taenzerin Bacchidion im Besitz derselben; aber es fiel bereits in die Augen, dass die unmaessige Liebe, welche sie ihm beigebracht, sehr viel von ihrer ersten Heftigkeit verloren hatte. Es wuerde vielleicht nicht schwer gehalten haben, die Wuerkung seiner natuerlichen Unbestaendigkeit um etliche Wochen zu beschleunigen. Aber Agathon hatte Bedenklichkeiten, die ihm wichtig genug schienen, ihn davon abzuhalten. Die Gemahlin des Prinzen war in keinerlei Betrachtung dazu gemacht, einen Versuch, ihn in die Grenzen der ehlichen Liebe einzuschraenken, zu unterstuetzen. Dionys konnte nicht ohne Liebeshaendel leben; und die Gewalt, welche seine Maitressen ueber sein Herz hatten, machte seine Unbestaendigkeit gefaehrlich. Bacchidion war eines von diesen gutartigen froehlichen Geschoepfen, in deren Phantasie alles rosenfarb ist, und welche keine andre Sorge in der Welt haben, als ihr Dasein von einem Augenblick zum andern wegzuscherzen, ohne sich jemals einen Gedanken von Ehrgeiz und Habsucht, oder einigen Kummer ueber die Zukunft anfechten zu lassen. Sie liebte das Vergnuegen ueber alles; immer aufgelegt es zu geben und zu nehmen, schien es unter ihren Tritten aufzusprossen; es lachte aus ihren Augen, und atmete aus ihren Lippen. Ohne daran zu denken, sich durch die Leidenschaft des Prinzen fuer sie wichtig zu machen, hatte sie aus einer Art von mechanischer Neigung, vergnuegte Gesichter zu sehen, ihre Gewalt ueber sein Herz schon mehrmalen dazu verwandt, Leuten die es verdienten, oder auch nicht verdienten (denn darueber liess sie sich in keine Untersuchung ein) gutes zu tun. Agathon besorgte, dass ihre Stelle leicht durch eine andere besetzt werden koennte, welche sich versuchen lassen moechte, einen schlimmern Gebrauch von ihren Reizungen zu machen. Er hielt es also seiner nicht unwuerdig, mit guter Art, und ohne dass es schien, als ob er einige besondere Aufmerksamkeit auf sie habe, die Neigung des Prinzen zu ihr mehr zu unterhalten als zu bekaempfen. Er verschaffte ihr Gelegenheit, ihre belustigende Talente in einer Mannichfaltigkeit zu entfalten, welche ihr immer die Reizungen der Neuheit gab. Er wusste es zu veranstalten, dass Dionys durch oeftere kleine Entfernungen verhindert wurde, sich zu bald an dem Vergnuegen zu ersaettigen, welches er in den Armen dieser angenehmen Kreatur zu finden schien. Er ging endlich gar so weit, dass er bei Gelegenheit eines Gespraechs, wo die Rede von den anzustrengen Grundsaetzen des Plato ueber diesen Artikel war, sich kein Bedenken machte, zu sagen: Dass es unbillig sei, einen Prinzen, welcher sich die Erfuellung seiner grossen und wesentlichen Pflichten mit gehoerigem Ernst angelegen sein lasse, in seinen Privat-Ergoetzungen ueber die Grenzen einer anstaendigen Maessigung einschraenken zu wollen. Alles, was ihm hierueber wiewohl in allgemeinen Ausdruecken, entfiel, schien die Bedeutung einer stillschweigenden Einwilligung in die Schwachheit des Prinzen fuer die schoene Bacchidion zu haben, und in der Tat war dieses sein Gedanke. Wir lassen dahin gestellt sein, ob die gute Absicht die er dabei hatte, hinlaenglich sein mag, eine so gefaehrliche aeusserung zu rechtfertigen; aber es ist gewiss, dass Dionys, der bisher aus einer gewissen Scham vor der Tugend unsers Helden sich bemueht hatte, seine schwache Seite vor ihm zu verbergen, von dieser Stunde an weniger zurueckhaltend wurde, und aus dem vielleicht unrichtigen aber sehr gemeinen Vorurteil, dass die Tugend eine erklaerte Feindin der Gottheiten von Cythere sein muesse, einen Argwohn gegen unsern Helden fasste, wodurch er um einige Stufen herab, und mit ihm selbst und den uebrigen Erdenbewohnern, in Absicht gewisser Schwachheiten, in die naemliche Linie gestellt wurde—ein Verdacht, der zwar durch die sich selbst immer gleiche Auffuehrung Agathons bald wieder zum Schweigen gebracht, aber doch nicht so gaenzlich unterdrueckt wurde, dass sein geheimer Einfluss in der Folge den Beschuldigungen der Feinde Agathons, den Zugang in das Gemuet eines Prinzen nicht erleichtert haette, welcher ohnehin so geneigt war, die Tugend entweder fuer Schwaermerei oder fuer Verstellung zu halten. Indessen gewann Agathon durch seine Nachsicht gegen die Lieblings-Fehler dieses Prinzen, dass er sich desto williger bewegen liess, an den Geschaeften der Regierung mehr Anteil zu nehmen, als er gewohnt war; und wir an unserm teil koennen es ihm verzeihen, dass er das viele Gute, welches er dadurch erhielt, fuer eine hinlaengliche Vergutung des Tadels ansah, den er sich durch diese Gefaelligkeit bei gewissen Leuten von strengen Grundsaetzen zuzog, welche in der weiten Entfernung von der Welt, worin sie leben, gute Weile haben, an andern zu verdammen, was sie an derselben Platz, vielleicht noch schlimmer gemacht haben wuerden.

Ausser der schoenen Bacchidion, welche, wie wir gesehen haben, allen ihren Ehrgeiz darein setzte, das Vergnuegen eines Prinzen, den sie liebte, auszumachen—war Philistus, durch die Gnade, worin er bei Dionysen stund, die betraechtlichste Person unter allen denjenigen, mit denen Agathon in seiner neuen Stelle mehr oder weniger in Verhaeltnis war. Dieser Mann spielt in diesem Stueck unsrer Geschichte eine Rolle, welche begierig machen kann, ihn naeher kennen zu lernen. Und ueber dem ist es eine von den geheiligten Pflichten der Geschichte, den verfaelschenden Glanz zu zerstreuen, welchen das Glueck und die Gunst der Grossen sehr oft ueber nichtswuerdige Kreaturen ausbreitet, um der Nachwelt, zum Exempel, zu zeigen, dass dieser Pallas, welchen so viele Dekrete des Roemischen Senats, so viele Statuen und oeffentliche Ehren-Maeler eben dieser Nachwelt als einen Wohltaeter des menschlichen Geschlechts, als einen Halb-Gott ankuendigen, nichts bessers noch groessers als ein schamloser lasterhafter Sklave war. Wenn Philistus in Vergleichung mit einem Pallas oder Tigellin nur ein Zwerg gegen einen Riesen scheint, so kommt es in der Tat allein von dem unermesslichen Unterschied zwischen der Roemischen Monarchie im Zeitpunkt ihrer aeussersten Hoehe, und dem kleinen Staat, worin Dionys zu gebieten hatte, her. Eben dieser Teufel, der seinem schlimmen Humor Luft zu machen, eine Herde Schweine ersaeufte, wuerde mit ungleich groesserm Vergnuegen den ganzen Erdboden unter Wasser gesetzt haben, wenn er Gewalt dazu gehabt haette: Und Philistus wuerde Pallas gewesen sein, wenn er das Glueck gehabt haette, in den Vorzimmern eines Claudius aufzuwachsen. Die Proben, welche er in seiner kleinen Sphaere von dem was er in einer groessern faehig gewesen waere, ablegte, lassen uns nicht daran zweifeln. Ein geborner Sklave, und in der Folge einer von den Freigelassenen des alten Dionys, hatte er sich schon damals unter seinen Kameraden durch den schlauesten Kopf und die geschmeidigste Gemuets-Art hervorgetan, ohne dass es ihm jedoch einigen besondern Vorzug bei seinem Herrn verschaffet haette. Philistus gramte sich billig ueber diese wiewohl nicht ungewoehnliche Laune des Gluecks; aber er wusste sich selbst zu helfen. Gluecklichere Vorgaenger hatten ihm den Weg gezeigt, sich ohne Muehe und ohne Verdienste zu dieser hohen Stufe emporzuschwingen, nach welcher ihm eine Art von Ambition, die sich in gewissen Seelen mit der veraechtlichsten Niedertraechtigkeit vollkommen wohl vertraegt, ein ungezaehmtes Verlangen gab. Wir haben schon bemerkt, dass der juengere Dionys von seinem Vater ungewoehnlich hart gehalten wurde. Philistus war der einzige, der den Verstand hatte zu sehen, wieviel Vorteil sich aus diesem Umstande ziehen lasse. Er fand Mittel, die Naechte des jungen Prinzen angenehmer zu machen als seine Tage waren. Brauchte es mehr, um als ein Wohltaeter von ihm angesehen zu werden, dessen gute Dienste er niemals genug werde belohnen koennen? Philistus liess es nicht dabei bewenden; er fiel auf den Einfall, zu gleicher Zeit, und durch einen einzigen kleinen Handgriff, sich dieser Belohnung wuerdiger und baelder teilhaft zu machen. Eine boesartige Kolik, wozu er das Rezept hatte, beschleunigte das Ende des alten Tyrannen; Philistus war der erste, der seinem jungen Gebieter die freudige Nachricht brachte, und nun sah er sich auf einmal in dem geheimesten Vertrauen eines Koenigs, und in kurzem am Ruder des Staats. Diese wenigen Anekdoten sind zureichend, uns einen so sichern Begriff von dem moralischen Charakter dieses wuerdigen Ministers zu geben, dass er nunmehr das aergste dessen ein Mensch faehig ist, begehen koennte, ohne dass wir uns darueber verwundern wuerden. Aber was fuer ein Physiognomist muesste der gewesen sein, der diese Anekdoten in seinen Augen haette lesen koennen? Es ist wahr, Agathon dachte anfangs nicht allzuvorteilhaft von ihm; aber wie haette er, ohne besondere Nachrichten zu haben, oder selbst ein Philistus zu sein, sich vorstellen sollen, dass Philistus das sein koennte, was er war? Wenige kannten die inwendige Seite dieses Mannes; und diese wenige waren zu gute Hofmaenner, um ihren bisherigen Goenner eher zu verraten, als sein Sturz gewiss war, und sie wissen konnten, was sie dadurch gewinnen wuerden; und Aristipp, fuer den sein wahrer Charakter gleichfalls kein Geheimnis war, hatte sich vorgesetzt, einen blossen Zuschauer abzugeben. Agathon konnte also desto leichter hintergangen werden, da Philistus alle seine Verstellungs-Kunst anstrengte, sich bei ihm in Achtung zu setzen. Zu seinem grossen Missvergnuegen konnte er mit aller Kenntnis, die er (nach einem gewoehnlichen, wiewohl sehr betrueglichen Vorurteil der Hofleute) von den Menschen zu haben glaubte, die schwache Seite unsers Helden nicht ausfindig machen. Es blieb ihm also kein andrer Weg uebrig, als durch eine grosse Arbeitsamkeit und Puenktlichkeit in den Geschaeften sich bei dem neuen Guenstling in das Ansehen eines brauchbaren Mannes, und durch Tugenden, die er eben so leicht als man eine Maskerade-Kleidung anzieht, affektieren konnte, so bald er ihrer vonnoeten hatte, sich endlich so gar in das Ansehen eines ehrlichen Mannes zu setzen. Da zu diesen Eigenschaften, welche Agathon in ihm zu finden glaubte, noch die Achtung, welche Dionys fuer ihn trug, und die Betrachtung hinzukam, dass es fuer den Staat weniger sicher sei, einen ehrgeizigen Minister abzudanken, als ihn mit scheinbarer Beibehaltung seines Ansehens in engere Schranken zu setzen: So geschah es, dass sich diejenige in ihrer Meinung betrogen fanden, welche den Fall des Philistus fuer eine unfehlbare Folge der Erhebung Agathons gehalten hatten. Das Ansehen desselben schien sich eher zu vermehren, indem er zum Vorsteher aller der verschiednen Tribunalien ernennt wurde, unter welche Agathon, mit der erforderlichen Einschraenkung und Subordination, diejenige Gewalt verteilte, welche vormals von den Vertrauten des Prinzen willkuerlich ausgeuebt worden war: In der Tat aber wurde er dadurch beinahe in die Unmoeglichkeit gesetzt, boeses zu tun, wofern ihn etwan eine Versuchung dazu ankommen sollte; da er bei allen seinen Handlungen von so vielen Augen beobachtet, und verbunden war, von allem Rechenschaft zu geben, und nichts ohne die Einstimmung des Prinzen, oder, welches eine Zeitlang einerlei war, seines Repraesentanten, zu unternehmen.

Wir koennten ohne Zweifel viel schoenes von der Staats-Verwaltung Agathons sagen, wenn wir uns in eine ausfuehrliche Erzaehlung aller der nuetzlichen Ordnungen und Einrichtungen ausbreiten wollten, welche er in Absicht der Staats-oekonomie, der Einziehung und Verwaltung der oeffentlichen Einkuenfte, der Polizei, der Landwirtschaft, des Handlungs-Wesens, und (welches in seinen Augen eines der wesentlichsten Stuecke war) der oeffentlichen Sitten und der Bildung der Jugend, teils wuerklich zu machen anfing, teils gemacht haben wuerde, wenn ihm die Zeit dazu gelassen worden waere. Allein alles dieses gehoert nicht zu dem Plan des gegenwaertigen Werkes; und es waere in der Tat nicht abzusehen, wozu ein solcher Détail in unsern Tagen nutzen sollte, worin die Kunst zu regieren einen Schwung genommen zu haben scheint, der die Massregeln und das Beispiel unsers Helden eben so unnuetz macht, als die Projekte des guten Abts von Saint Pierre, patriotischen Gedaechtnisses. Die Art, wie sich Agathon ehmals seines Ansehens und Vermoegens zu Athen bedient hat, kann unsern Lesern einen hinlaenglichen Begriff davon geben, wie er sich einer beinahe unumschraenkten Macht und eines koeniglichen Vermoegens bedient haben werde.

Nur einen Umstand koennen wir nicht vorbeigehen, weil er einen merklichen Einfluss in die folgende Begebenheiten unsers Helden hatte. Dionys befand sich, als Agathon an seinen Hof kam, in einen Krieg mit den Carthaginensern verwickelt, welche durch verschiedene kleine Republiken des suedlichen und westlichen Teils von Sicilien unterstuetzt, unter dem Schein sie gegen die uebermacht von Syracus zu schuetzen, sich der innerlichen Zwietracht der Sicilianer, als einer guten Gelegenheit bedienen wollten, diese fuer ihre Handlungs-Absichten unendlich vorteilhaft gelegene Insel in ihre Gewalt zu bringen. Einige von diesen kleinen Republiken wurden von so genannten Tyrannen beherrscht; und diese hatten sich bereits in die Arme der Carthaginenser geworfen; die andren hatten sich bisher noch in einer Art von Freiheit erhalten, und schwankten, zwischen der Furcht von Dionysen ueberwaeltiget zu werden, und dem Misstrauen in die Absichten ihrer anmasslichen Beschuetzer, in einem Gleichgewicht, welches alle Augenblicke auf die Seite der letztern ueberzuziehen drohte. Timocrates dem Dionys die oberste Befehlhabers-Stelle in diesem Kriege anvertraute, hatte sich bereits durch einige Vorteile ueber die Feinde den oft wohlfeilen Ruhm eines guten Generals erworben; aber mehr darauf bedacht, bei dieser Gelegenheit Lorbeern und Reichtuemer zu sammeln, als das wahre Interesse seines Prinzen zu besorgen, hatte er das Feuer der innerlichen Unruhen Siciliens mehr ausgebreitet als gedaempft, und durch seine Auffuehrung sich bei denenjenigen, welche noch keine Partei genommen hatten, so verhasst gemacht, dass sie im Begriff waren sich fuer Carthago zu erklaeren. Agathon glaubte, dass seine Beredsamkeit dem Dionys in diesen Umstaenden groessere Dienste tun koenne, als die ganze, wiewohl nicht veraechtliche Land—und Seemacht, welche Timocrates unter seinen Befehlen hatte. Er hielt es fuer besser Sicilien zu beruhigen, als zu erobern; besser es zu einer Art von freiwilliger uebergabe an Syracus zu bewegen, als es den Gefahren und verderblichen Folgen eines Kriegs ausgesetzt zu lassen, der, wenn er auch am gluecklichsten fuer den Dionys ausfiele, ihm doch nichts mehr als den zweideutigen Vorteil verschaffen wuerde, seine Untertanen um eine Anzahl gezwungner und missvergnuegter Leute vermehrt zu haben, auf deren guten Willen er keinen Augenblick haette zaehlen koennen. Dionys konnte den Gruenden, womit Agathon sein Vorhaben, und die Hoffnung des gewuenschten Ausgangs unterstuetzte, seinen Beifall nicht versagen. ueberhaupt galt es ihm gleich, durch was fuer Mittel er zu ruhigem Besitz der hoechsten Gewalt in Sicilien gelangen koennte, wenn er nur dazu gelangte; und ob er gleich klein genug war, sich auf die zwar wenig entscheidende aber desto prahlerischer vergroesserte Siege seines Feldherrn eben so viel einzubilden, als ob er sie selbst erhalten haette; so war er doch auch feigherzig genug, sich zu dem unruehmlichsten Frieden geneigt zu fuehlen, so bald er mit einiger Aufmerksamkeit an die Unbestaendigkeit des Kriegs-Glueckes dachte. Die edlern Beweggruende unsers Helden fanden also leicht Eingang bei ihm, oder richtiger zu reden, Agathon schrieb die gefaellige Disposition, die er bei ihm fand, dem Eindruck seiner eignen Vorstellungen zu, ohne wahrzunehmen, dass sie ihren eigentlichen Grund in der niedertraechtigen Gemuetsart des Prinzen hatte. Er begab sich also ingeheim (denn es war ihm daran gelegen, dass Timocrates von seinem Vorhaben keinen Wink bekaeme) in diejenige Staedte, welche im Begriff stunden, die Partei von Carthago zu verstaerken. Es gelang ihm, die widrigen Vorurteile zu zernichten, womit er alle Gemueter gegen die gefuerchtete Tyrannie Dionysens eingenommen fand; er ueberzeugte sie so vollkommen davon, dass das Beste eines jeden besondern Teils von dem Besten des ganzen Sicilien unzertrennlich sei; machte ihnen ein so schoenes Gemaelde von dem gluecklichen Zustande dieser Insel, wenn alle Teile derselben durch die Bande des Vertrauens und der Freundschaft, sich in Syracus als in dem gemeinschaftlichen Mittelpunkt vereinigen wuerden—dass er mehr erhielt als er gehofft hatte, und so gar mehr als er verlangte. Er wollte nur Bundsgenossen, und es fehlte wenig, so wuerden sie in einem Anstoss von ueberfliessender Zuneigung zu ihm, sich ohne Bedingung zu Untertanen eines Prinzen ergeben haben, von dessen Minister sie so sehr bezaubert waren.

Die Veraenderung, welche hiedurch in den oeffentlichen Angelegenheiten gemacht wurde, brachte den Krieg so schnell zu Ende, dass Timocrates keine Gelegenheit bekam, durch ein entscheidendes Treffen (es moechte allenfalls gewonnen oder verloren sein) Ehre einzulegen. Man kann sich vorstellen, ob Agathon sich dadurch die Freundschaft dieses Mannes, den sein grosses Vermoegen und die Verschwaegerung mit dem Prinzen zu einer wichtigen Person machte, erworben; und mit welchen Augen Timocrates den allgemeinen Beifall, die frohlockenden Segnungen der Nation, welche unsern Helden nach Syracus zurueckbegleiteten, die Merkmale der Hochachtung, womit er von dem Prinzen empfangen wurde, und das ausserordentliche Ansehen, worin er sich durch diese friedsam Eroberung befestigte, angeschielt haben werde. Genoetigt, seinen Unwillen und Hass gegen einen so siegreichen Nebenbuhler in sich selbst zu verschliessen, laurte er nur desto ungeduldiger auf Gelegenheiten, in geheim an seinem Untergang zu arbeiten; und wie haette es ihm an einem Hofe, und an dem Hofe eines solchen Fuersten, an Gelegenheiten fehlen koennen?