Vorbericht
Der Herausgeber der gegenwaertigen Geschichte siehet so wenig Wahrscheinlichkeit vor sich, das Publicum ueberreden zu koennen, dass sie in der Tat aus einem alten Griechischen Manuskript gezogen sei; dass er am besten zu tun glaubt, ueber diesen Punkt gar nichts zu sagen, und dem Leser zu ueberlassen, davon zu denken, was er will.
Gesetzt, dass wirklich einmal ein Agathon gewesen, (wie dann in der Tat, um die Zeit, in welche die gegenwaertige Geschichte gesetzt worden ist, ein komischer Dichter dieses Namens den Freunden der Schriften Platons bekannt sein muss:) gesetzt aber auch, dass sich von diesem Agathon nichts wichtigers sagen liesse, als wenn er geboren worden, wenn er sich verheiratet, wie viel Kinder er gezeugt, und wenn, und an was fuer einer Krankheit er gestorben sei: was wuerde uns bewegen koennen, seine Geschichte zu lesen, und wenn es gleich gerichtlich erwiesen waere, dass sie in den Archiven des alten Athens gefunden worden sei?
Die Wahrheit, welche von einem Werke, wie dasjenige, so wir den Liebhabern hiemit vorlegen, gefodert werden kann und soll, bestehet darin, dass alles mit dem Lauf der Welt uebereinstimme, dass die Charakter nicht willkuerlich, und bloss nach der Phantasie, oder den Absichten des Verfassers gebildet, sondern aus dem unerschoepflichen Vorrat der Natur selbst hergenommen; in der Entwicklung derselben so wohl die innere als die relative Moeglichkeit, die Beschaffenheit des menschlichen Herzens, die Natur einer jeden Leidenschaft, mit allen den besondern Farben und Schattierungen, welche sie durch den Individual-Charakter und die Umstaende einer jeden Person bekommen, aufs genaueste beibehalten; daneben auch der eigene Charakter des Landes, des Orts, der Zeit, in welche die Geschichte gesetzt wird, niemal aus den Augen gesetzt; und also alles so gedichtet sei, dass kein hinlaenglicher Grund angegeben werden koenne, warum es nicht eben so wie es erzaehlt wird, haette geschehen koennen, oder noch einmal wirklich geschehen werde. Diese Wahrheit allein kann Werke von dieser Art nuetzlich machen, und diese Wahrheit getrauet sich der Herausgeber den Lesern der Geschichte des Agathons zu versprechen.
Seine Hauptabsicht war, sie mit einem Charakter, welcher gekannt zu werden wuerdig waere, in einem manchfaltigen Licht, und von allen seinen Seiten bekannt zu machen. Ohne Zweifel gibt es wichtigere als derjenige, auf den seine Wahl gefallen ist. Allein, da er selbst gewiss zu sein wuenschte, dass er der Welt keine Hirngespenster fuer Wahrheit verkaufe; so waehlte er denjenigen, den er am genauesten kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat. Aus diesem Grunde kann er ganz zuverlaessig versichern, dass Agathon und die meisten uebrigen Personen, welche in seine Geschichte eingeflochten sind, wirkliche Personen sind, dergleichen es von je her viele gegeben hat, und in dieser Stunde noch gibt, und dass (die Neben-Umstaende, die Folge und besondere Bestimmung der zufaelligen Begebenheiten, und was sonsten nur zur Auszierung, welche willkuerlich ist, gehoert, ausgenommen) alles, was das Wesentliche dieser Geschichte ausmacht, eben so historisch, und vielleicht noch um manchen Grad gewisser sei, als irgend ein Stueck der glaubwuerdigsten politischen Geschichtschreiber, welche wir aufzuweisen haben.
Es ist etwas bekanntes, dass oefters im menschlichen Leben weit unwahrscheinlichere Dinge begegnen, als der Chevalier de Mouhy selbst zu erdichten sich getrauen wuerde. Es wuerde also sehr uebereilt sein, die Wahrheit des Charakters unsers Helden deswegen in Verdacht zu ziehen, weil es oefters unwahrscheinlich ist, dass jemand so gedacht oder gehandelt habe, wie er. Wenn es unmoeglich sein wird, zu beweisen, dass ein Mensch, und ein Mensch unter den besondern Bestimmungen, unter welchen sich Agathon von seiner Kindheit an befunden, nicht so denken oder handeln koenne, oder wenigstens es nicht ohne Wunderwerke, Einfluesse unsichtbarer Geister, oder uebernatuerliche Bezauberung haette tun koennen: So glaubt der Verfasser mit Recht erwarten zu koennen, dass man ihm auf sein Wort glaube, wenn er positiv versichert, dass Agathon wirklich so gedacht oder gehandelt habe. Zu gutem Gluecke finden sich in den beglaubtesten Geschichtschreibern, und schon allein in den Lebensbeschreibungen des Plutarch Beispiele genug, dass es moeglich sei, so edel, so tugendhaft, so enthaltsam, oder, nach der Sprache des Hippias, und einer ansehnlichen Klasse von Menschen zu reden, so seltsam, so eigensinnig und albern zu sein als es unser Held in einigen Gelegenheiten seines Lebens ist.
Man hat an verschiedenen Stellen des gegenwaertigen Werks die Ursachen angegeben, warum man aus dem Agathon kein Modell eines vollkommen tugendhaften Mannes gemacht hat. Da die Welt mit ausfuehrlichen Lehrbuechern der Sittenlehre angefuellt ist, so steht einem jeden frei, (und es ist nichts leichters) sich einen Menschen einzubilden, der von der Wiege an bis ins Grab, in allen Umstaenden und Verhaeltnissen des Lebens, allezeit und vollkommen so empfindt, denkt und handelt, wie eine Moral. Damit Agathon das Bild eines wirklichen Menschen waere, in welchem viele ihr eigenes erkennen sollten, konnte er, wir behaupten es zuversichtlich, nicht tugendhafter vorgestellt werden, als er ist; und wenn jemand hierin andrer Meinung sein sollte, so wuenschten wir, dass er uns (wenn es wahr ist, dass derjenige der Beste ist, der die besten Eigenschaften mit den wenigsten Fehlern hat,) denjenigen nenne, der unter allen nach dem natuerlichen Lauf Gebornen, in aehnlichen Umstaenden, und alles zusammen genommen, tugendhafter gewesen waere, als Agathon.
Es ist moeglich, dass irgend ein junger Taugenichts, wenn er siehet, dass ein Agathon den reizenden Verfuehrungen der Liebe und einer Danae endlich unterliegt, eben den Gebrauch davon machen kann, welchen der junge Chaerea beim Terenz von einem Gemaelde machte, welches eine von den Schelmereien des Vater Jupiters vorstellte,—und dass er, wenn er mit herzlicher Freude gelesen haben wird, dass ein so vortrefflicher Mann habe fallen koennen, zu sich selbst sagen mag: Ego homuncio hoc non facerem? ego vero illud faciam ac lubens.
Es ist eben so moeglich, dass ein uebelgesinnter oder ruchloser Mensch, den Diskurs des Sophisten Hippias lesen, und sich einbilden kann, die Rechtfertigung seines Unglaubens und seines lasterhaften Lebens darin zu finden: Aber alle rechtschaffnen Leute werden mit uns ueberzeugt sein, dass dieser junge Bube, und dieser ruchlose Freigeist beides gewesen und geblieben waeren, wenn gleich keine Geschichte des Agathon in der Welt waere.
Dieses letztere Beispiel fuehrt uns auf eine Erlaeuterung, wodurch wir der Schwachheit gewisser gutgesinnter Leute, deren Wille besser ist, als ihre Einsichten, zu Huelfe zu kommen, und sie vor unzeitig genommenem aergernis oder ungerechten Urteilen zu verwahren, uns verbunden glauben. Wir gestehen gerne, dass wir in das Bewusstsein der Redlichkeit unsrer Absichten eingehuellt, nicht daran gedacht haetten, dass diese Sorgfalt noetig waere, wenn uns nicht die Anmerkung stutzen gemacht haette, welche einer unsrer Freunde, ohne unser Vorwissen, auf der Seite pag. 58, unter den Text zu setzen, gut befunden.
Diese Erlaeuterung betrifft die Einfuehrung des Sophisten Hippias in unsere Geschichte, und den Diskurs, wodurch er den Agathon von seinem liebenswuerdigen und tugendhaften Enthusiasmus zu heilen, und zu einer Denkungsart zu bringen hofft, welche er nicht ohne guten Grund fuer geschickter haelt, sein Glueck in der Welt zu machen. Leute, die aus gesunden Augen gerade vor sich hin sehen, wuerden ohne unser Erinnern aus dem ganzen Zusammenhang unsers Werkes, und aus der Art, wie wir bei aller Gelegenheit von diesem Sophisten und seinen Grundsaetzen reden, ganz deutlich eingesehen haben, wie wenig wir dem Mann und dem System guenstig sind; und ob es sich gleich weder fuer unsere eigene Art zu denken, noch fuer den Ton und die Absicht unsers Buches geschickt haette, mit dem heftigen Eifer gegen ihn auszubrechen, welcher einen jungen Magister treibt, wenn er, um sich seinem Consistorio zu einer guten Pfruende zu empfehlen, gegen einen Tindal oder Bolingbroke zu Felde zieht: So hoffen wir doch bei vernuenftigen und ehrlichen Lesern keinen Zweifel uebrig gelassen zu haben, dass wir den Hippias fuer einen schlimmen und gefaehrlichen Mann, und sein System, (in so fern es den echten Grundsaetzen der Religion und der Rechtschaffenheit widerspricht) fuer ein Gewebe von Trugschluessen ansehen, welche die menschliche Gesellschaft zu grunde richten wuerden, wenn es moralisch moeglich waere, dass der groessere Teil der Menschen damit angesteckt werden koennte. Wir glauben also vor allem Verdacht ueber diesen Artikel sicher zu sein. Aber da unter unsern Lesern ehrliche Leute sein koennen, welche uns wenigstens eine Unvorsichtigkeit Schuld geben, und davor halten moechten, dass wir diesen Hippias entweder gar nicht einfuehren, oder wenn dieses der Plan unsers Werkes ja erfodert haette, seine Lehrsaetze ausfuehrlich haetten widerlegen sollen: So sehen wir fuer billig an, ihnen die Ursachen zu sagen, warum wir das erste getan, und das andere unterlassen haben.
Weil nach unserm Plan der Charakter unsers Helden auf verschiedene Proben gestellt werden sollte, durch welche seine Denkensart und seine Tugend erlaeutert, und dasjenige, was darin uebertrieben, und unecht war, nach und nach abgesondert wuerde; so war es um so viel noetiger ihn auch dieser Probe zu unterwerfen, da Hippias, bekannter massen, eine historische Person ist, und mit den uebrigen Sophisten derselben Zeit sehr vieles zur Verderbnis der Sitten unter den Griechen beigetragen hat. ueberdem diente er den Charakter und die Grundsaetze unsers Helden durch den Kontrast, den er mit selbigen macht, in ein desto hoeheres Licht zu setzen. Und da es mehr als zu gewiss ist, dass der groesseste Teil derjenigen, welche die grosse Welt ausmachen, wie Hippias denkt, oder doch nach seinen Grundsaetzen handelt; so war es auch in dem Plan der moralischen Absichten, welche wir uns bei diesem Werke vorgesetzt haben, zu zeigen, was fuer einen Effekt diese Grundsaetze machen, wenn sie in den gehoerigen Zusammenhang gebracht werden. Und dieses sind die hauptsaechlichsten Ursachen, warum wir diesen Sophisten (welchen wir nicht schlimmer vorgestellt haben, als er wirklich war, und als seine Brueder noch heutiges Tages sind) in die Geschichte des Agathon eingeflochten haben.
Eine ausfuehrliche Widerlegung dessen, was in seinen Grundsaetzen irrig und gefaehrlich ist: (Denn in der Tat hat er nicht allemal unrecht,) waere in Absicht unsers Plans ein wahres hors d’oeuvre gewesen, und schien uns auch in Absicht der Leser ueberfluessig; indem nicht nur die Antwort, welche ihm Agathon gibt, das beste enthaelt, was man dagegen sagen kann; sondern auch das ganze Werk (wie einem jeden in die Augen fallen wird, sobald man das Ganze wird uebersehen koennen) als eine Widerlegung desselben anzusehen ist. Agathon widerlegt den Hippias beinahe auf die naemliche Art wie Diogenes den Sophisten, welcher leugnete, dass eine Bewegung sei: Diogenes liess den Sophisten schwatzen, so lang er wollte; und da er fertig war, begnuegte er sich vor seinen Augen ganz gelassen auf und ab zu gehen. Dieses war unstreitig die einzige Widerlegung, die er verdiente.
Wir wuerden dem zweiten Teile, dessen Ausgabe von der Aufnahme des ersten abhangen wird, den Vorteil der Neuheit und den Lesern zu gleicher Zeit ein kuenftiges Vergnuegen rauben, wenn wir den Inhalt desselben vor der Zeit bekannt machten. Genug, dass man unsern Helden in der Folge in eben so sonderbaren und interessanten Umstaenden und Verwicklungen sehen wird, als in dem ersten Teil. Alles, was wir vorlaeufig von der Entwicklung sagen koennen, ist dieses: dass Agathon in der letzten Periode seines Lebens, welche den Beschluss unsers Werkes macht, ein eben so weiser als tugendhafter Mann sein wird, und (was uns hiebei das beste zu sein deucht, ) dass unsre Leser begreifen werden, wie und warum er es ist; warum vielleicht viele unter ihnen, weder dieses noch jenes sind; und wie es zugehen muesste, wenn sie es werden sollten.