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Roemische Geschichte, Von Theodor Mommsen— Volume 5
Roemische Geschichte, Von Theodor Mommsen—Volume 5
Mommsen, Theodor, 1817-1903
Theodor Mommsen Roemische Geschichte
Fuenftes Buch Die Begruendung der Militaermonarchie Wie er sich sieht so um und um, Kehrt es ihm fast den Kopf herum, Wie er wollt’ Worte zu allem finden? Wie er moecht’ so viel Schwall verbinden Wie er moecht’ immer mutig bleiben So fort und weiter fort zu schreiben? Goethe 1. Kapitel Marcus Lepidus und Quintus Sertorius Als Sulla im Jahre 676 (78) starb, beherrschte die von ihm restaurierte Oligarchie unbeschraenkt den roemischen Staat; allein wie sie durch Gewalt gegruendet war, bedurfte sie auch ferner der Gewalt, um sich gegen ihre zahlreichen heimlichen und offenen Gegner zu behaupten. Was ihr entgegenstand, war nicht etwa eine einfache Partei mit klar ausgesprochenen Zwecken und unter bestimmt anerkannten Fuehrern, sondern eine Masse der mannigfaltigsten Elemente, die wohl im allgemeinen unter dem Namen der Popularpartei sich zusammenfassten, aber doch in der Tat aus den verschiedenartigsten Gruenden und in der verschiedenartigsten Absicht gegen die Sullanische Ordnung des Gemeinwesens Opposition machten. Da waren die Maenner des positiven Rechts, die Politik weder machten noch verstanden, denen aber Sullas willkuerliches Schalten mit dem Leben und Eigentum der Buerger ein Greuel war. Noch bei Lebzeiten Sullas, waehrend jede andere Opposition schwieg, lehnten die strengen Juristen gegen den Regenten sich auf: es wurden zum Beispiel die Cornelischen Gesetze, welche verschiedenen italischen Buergerschaften das roemische Buergerrecht aberkannten, in gerichtlichen Entscheidungen als nichtig behandelt, ebenso das Buergerrecht von den Gerichten erachtet als nicht aufgehoben durch die Kriegsgefangenschaft und den Verkauf in die Sklaverei waehrend der Revolution. Da waren ferner die Ueberreste der alten liberalen Senatsminoritaet, welche in frueheren Zeiten auf eine Transaktion mit der Reformpartei und mit den Italikern hingearbeitet hatte und jetzt in aehnlicher Weise geneigt war, die starr oligarchische Verfassung Sullas durch Zugestaendnisse an die Popularen zu mildern. Da waren ferner die eigentlichen Popularen, die ehrlich glaeubigen bornierten Radikalen, die fuer die Schlagwoerter des Parteiprogramms Vermoegen und Leben einsetzten, um nach dem Siege mit schmerzlichem Erstaunen zu erkennen, dass sie nicht fuer eine Sache, sondern fuer eine Phrase gefochten hatten. Ihnen galt es vornehmlich um die Wiederherstellung der von Sulla zwar nicht aufgehobenen, aber doch ihrer wesentlichsten Befugnisse entkleideten tribunizischen Gewalt, welche nur mit um so geheimnisvollerem Zauber auf die Menge wirkte, weil das Institut ohne handgreiflichen praktischen Nutzen und in der Tat ein leeres Gespenst war - hat doch der Name des Volkstribuns noch ueber ein Jahrtausend spaeter Rom revolutioniert. Da waren vor allem die zahlreichen und wichtigen Klassen, die die Sullanische Restauration unbefriedigt gelassen oder geradezu in ihren politischen oder Privatinteressen verletzt hatte. Aus solchen Ursachen gehoerte der Opposition an die dichte und wohlhabende Bevoelkerung der Landschaft zwischen dem Po und den Alpen, die natuerlich die Gewaehrung des launischen Rechts im Jahre 665 (89) nur als eine Abschlagszahlung auf das volle roemische Buergerrecht betrachtete und der Agitation einen willfaehrigen Boden gewaehrte. Desgleichen die ebenfalls durch Anzahl und Reichtum einflussreichen und durch ihre Zusammendraengung in der Hauptstadt noch besonders gefaehrlichen Freigelassenen, die es nicht verschmerzen konnten, durch die Restauration wieder auf ihr frueheres, praktisch nichtiges Stimmrecht zurueckgefuehrt worden zu sein. Desgleichen ferner die hohe Finanz, die zwar vorsichtig sich still verhielt, aber ihren zaehen Groll und ihre nicht minder zaehe Macht nach wie vor sich bewahrte. Ebenso missvergnuegt war die hauptstaedtische Menge, die die wahre Freiheit im freien Brotkorn erkannte. Noch tiefere Erbitterung gaerte in den von den Sullanischen Konfiskationen betroffenen Buergerschaften, mochten sie nun, wie zum Beispiel die Pompeianer, in ihrem durch die Sullanischen Kolonisten geschmaelerten Eigentum innerhalb desselben Stadtgebiets mit diesen zusammen und mit ihnen in ewigem Hader leben oder, wie die Arretiner und Volaterraner, zwar noch im tatsaechlichen Besitz ihrer Mark, aber unter dem Damoklesschwert der vom roemischen Volke ueber sie verhaengten Konfiskation sich befinden oder endlich, wie dies besonders in Etrurien der Fall war, als Bettler in ihren ehemaligen Wohnsitzen oder als Raeuber in den Waeldern verkommen. Es war endlich in Gaerung der ganze Familienund Freigelassenenanhang derjenigen demokratischen Haeupter, die infolge der Restauration das Leben verloren hatten oder in allem Elend des Emigrantenrums teils an den mauretanischen Kuesten umherirrten, teils am Hofe und im Heere Mithradats verweilten; denn nach der von strenger Familiengeschlossenheit beherrschten politischen Gesinnung dieser Zeit galt es den Zurueckgebliebenen als Ehrensache ^1, fuer die fluechtigen Angehoerigen die Rueckkehr in die Heimat, fuer die toten wenigstens Aufhebung der auf ihrem Andenken und auf ihren Kindern haftenden Makel und Rueckgabe des vaeterlichen Vermoegens auszuwirken. Vor allem die eigenen Kinder der Geaechteten, die der Regent von Rechts wegen zu politischen Parias herabgesetzt hatte, hatten damit gleichsam von dem Gesetze selbst die Aufforderung empfangen, gegen die bestehende Ordnung sich zu empoeren. ---------------------------------------------- ^1 Ein bezeichnender Zug ist es, dass ein angesehener Literaturlehrer, der Freigelassene Staberius Eros, die Kinder der Geaechteten unentgeltlich an seinem Kursus teilnehmen liess. ----------------------------------------------- Zu allen diesen oppositionellen Fraktionen kam weiter hinzu die ganze Masse der ruinierten Leute. All das vornehme und geringe Gesindel, dem im eleganten oder im banausischen Schlemmen Habe und Haltung darauf gegangen war; die adligen Herren, an denen nichts mehr vornehm war als ihre Schulden; die Sullanischen Lanzknechte, die der Machtspruch des Regenten wohl in Gutsbesitzer, aber nicht in Ackerbauer hatte umschaffen koennen, und die nach der verprassten ersten Erbschaft der Geaechteten sich sehnten, eine zweite aehnliche zu tun - sie alle warteten nur auf die Entfaltung der Fahne, die zum Kampfe gegen die bestehenden Verhaeltnisse einlud, mochte sonst was immer darauf geschrieben sein. Mit gleicher Notwendigkeit schlossen alle aufstrebenden und der Popularitaet beduerftigen Talente der Opposition sich an, sowohl diejenigen, denen der streng geschlossene Optimatenkreis die Aufnahme oder doch das rasche Emporkommen verwehrte und die deshalb in die Phalanx gewaltsam sich einzudraengen und die Gesetze der oligarchischen Exklusivitaet und Anciennitaet durch die Volksgunst zu brechen versuchten, als auch die gefaehrlicheren Maenner, deren Ehrgeiz nach einem hoeheren Ziel strebte, als die Geschicke der Welt innerhalb der kollegialischen Umtriebe bestimmen zu helfen. Namentlich auf der Advokatentribuene, dem einzigen von Sulla offengelassenen Boden gesetzlicher Opposition, ward schon bei Lebzeiten des Regenten von solchen Aspiranten mit den Waffen der formalen Jurisprudenz und der schlagfertigen Rede lebhaft gegen die Restauration gestritten; zum Beispiel der gewandte Sprecher Marcus Tullius Cicero (geboren 3. Januar 648 106), eines Gutsbesitzers von Arpinum Sohn, machte durch seine halb vorsichtige, halb dreiste Opposition gegen den Machthaber sich rasch einen Namen. Dergleichen Bestrebungen hatten nicht viel zu bedeuten, wenn der Opponent nichts weiter begehrte, als den kurulischen Stuhl damit sich einzuhandeln und sodann als Befriedigter den Rest seiner Jahre auf demselben zu versitzen. Wenn freilich einem populaeren Mann dieser Stuhl nicht genuegen und Gaius Gracchus einen Nachfolger finden sollte, so war ein Kampf auf Tod und Leben unvermeidlich; indes fuer jetzt wenigstens war noch kein Name zu nennen, dessen Traeger ein so hohes Ziel sich vorgesteckt haette. Derart war die Opposition, mit der das von Sulla eingesetzte oligarchische Regiment zu kaempfen hatte, nachdem dasselbe, frueher als Sulla selbst gedacht haben mochte, durch seinen Tod auf sich selber angewiesen worden war. Die Aufgabe war an sich nicht leicht und ward noch erschwert durch die sonstigen sozialen und politischen Uebelstaende dieser Zeit, vor allem durch die ungemeine Schwierigkeit, teils die Militaerchefs in den Provinzen in Unterwuerfigkeit gegen die hoechste buergerliche Obrigkeit zu erhalten, teils in der Hauptstadt mit den Massen des daselbst sich anhaeufenden italischen und ausseritalischen Gesindels und der in Rom grossenteils in faktischer Freiheit lebenden Sklaven fertig zu werden, ohne doch Truppen zur Verfuegung zu haben. Der Senat stand wie in einer von allen Seiten ausgesetzten und bedrohten Festung, und ernstliche Kaempfe konnten nicht ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten Widerstandsmittel waren ansehnlich und nachhaltig; und wenngleich die Majoritaet der Nation der Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, offenbar abgeneigt, ja ihr feindselig gesinnt war, so konnte nichtsdestoweniger gegen die irre und wirre Masse einer Opposition, welche weder im Ziel noch im Weg zusammen und hauptlos in hundert Fraktionen auseinanderging, die Regierung sehr wohl noch auf lange hinaus in ihrer festen Burg sich behaupten. Nur freilich musste sie auch sich behaupten wollen und wenigstens einen Funken jener Energie, die ihre Festung gebaut hatte, zu deren Verteidigung heranbringen; fuer eine Besatzung, die sich nicht wehren will, zieht der groesste Schanzkuenstler vergebens seine Mauern und Graeben. Je mehr schliesslich alles ankam auf die Persoenlichkeit der leitenden Maenner auf beiden Seiten, desto uebler war es, dass es genau genommen auf beiden Seiten an Fuehrern fehlte. Die Politik dieser Zeit ward durchaus beherrscht von dem Koteriewesen in seiner schlimmsten Gestalt. Wohl war dasselbe nichts Neues; die Familienund Klubgeschlossenheit ist untrennbar von der aristokratischen Ordnung des Staats und war seit Jahrhunderten in Rom uebermaechtig. Aber allmaechtig wurde dieselbe doch erst in dieser Epoche, wie denn ihr Einfluss auch erst jetzt (zuerst 690 64) durch gesetzliche Repressivmassregeln weniger gehemmt als konstatiert ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinnten nicht minder als die eigentliche Oligarchie, taten sich in Hetaerien zusammen; die Masse der Buergerschaft, soweit sie ueberhaupt an den politischen Vorgaengen regelmaessig sich beteiligte, bildete nach den Stimmbezirken gleichfalls geschlossene und fast militaerisch organisierte Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke, den "Bezirksverteilern" (divisores tribuum), ihre natuerlichen Hauptleute und Mittelsmaenner fanden. Feil war diesen politischen Klubs alles: die Stimme des Waehlers vor allem, aber auch die des Ratsmanns und des Richters, auch die Faeuste, die den Strassenkrawall machten, und die Rottenfuehrer, die ihn lenkten - nur im Tarif unterschieden sich die Assoziationen der Vornehmen und der Geringen. Die Hetaerie entschied die Wahlen, die Hetaerie beschloss die Anklagen, die Hetaerie leitete die Verteidigung; sie gewann den angesehenen Advokaten, sie akkordierte im Notfall wegen der Freisprechung mit einem der Spekulanten, die den eintraeglichen Handel mit Richterstimmen im grossen betrieben. Die Hetaerie beherrschte durch ihre geschlossenen Banden die Strassen der Hauptstadt und damit nur zu oft den Staat. All diese Dinge geschahen nach einer gewissen Regel und sozusagen oeffentlich; das Hetaerienwesen war besser geordnet und besorgt als irgendein Zweig der Staatsverwaltung; wenn auch, wie es unter zivilisierten Gaunern ueblich ist, von dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem Einverstaendnis nicht geradezu gesprochen ward, so hatte doch niemand dessen ein Hehl, und angesehene Sachwalter scheuten sich nicht, ihr Verhaeltnis zu den Hetaerien ihrer Klienten oeffentlich und verstaendlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzelner Mann, der diesem Treiben und nicht zugleich dem oeffentlichen Leben sich entzog, so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politischer Don Quichotte. An die Stelle der Parteien und des Parteienkampfes traten die Klubs und deren Konkurrenz, an die Stelle des Regiments die Intrige. Ein mehr als zweideutiger Charakter, Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten Marianer, spaeter als Ueberlaeufer zu Sulla zu Gnaden aufgenommen, spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der einflussreichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischentraeger und Vermittler zwischen den senatorischen Fraktionen und als staatsmaennischer Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied ueber die Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner Maetresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur moeglich, wo keiner der politisch taetigen Maenner sich ueber die Linie des Gewoehnlichen erhob; jedes ausserordentliche Talent haette diese Faktionenwirtschaft wie Spinnweben weggefegt; aber eben an politischen und militaerischen Kapazitaeten war der bitterste Mangel. Von dem aelteren Geschlecht hatten die Buergerkriege keinen einzigen angesehenen Mann uebriggelassen als den alten, klugen, redegewandten Lucius Philippus (Konsul 663 91),. der, frueher popular gesinnt, darauf Fuehrer der Kapitalistenpartei gegen den Senat und mit den Marianern eng verknuepft, endlich zeitig genug, um Dank und Lohn zu ernten, uebergetreten zu der siegenden Oligarchie, zwischen den Parteien durchgeschluepft war. Unter den Maennern der folgenden Generation waren die namhaftesten Haeupter der reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius (Konsul 674 80), Sullas Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Konsul in Sullas Todesjahr 676 (78), der Sohn des Siegers von Vercellae; und zwei juengere Offiziere, die beiden Brueder Lucius und Marcus Lucullus, von denen jener in Asien, dieser in Italien mit Auszeichnung unter Sulla gefochten hatten; um zu schweigen von Optimaten wie Quintus Hortensius (640-704 114-50), der nur als Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie Decimus Iunius Brutus (Konsul 677 77), Mamercus Aemilius Lepidus Livianus (Konsul 677 77) und andern solchen Nullitaeten, an denen der vollklingende aristokratische Name das gute Beste war. Aber auch jene vier Maenner erhoben sich wenig ueber den Durchschnittswert der vornehmen Adligen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Vater ein feingebildeter Mann und ehrlicher Aristokrat, aber von maessigen Talenten und namentlich kein Soldat. Metellus war nicht bloss ein persoenlich achtbarer Charakter, sondern auch ein faehiger und erprobter Offizier: nicht so sehr wegen seiner engen verwandtschaftlichen und kollegialischen Beziehungen zu dem Regenten, als besonders wegen seiner anerkannten Tuechtigkeit war er im Jahre 675 (79) nach Niederlegung des Konsulats nach Spanien gesandt worden, als dort die Lusitaner und die roemischen Emigranten unter Quintus Sertorius abermals sich regten. Tuechtige Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der aeltere, der ein sehr achtbares militaerisches Talent mit gruendlicher literarischer Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte und auch als Mensch ehrenwert erschien. Allein als Staatsmaenner waren doch selbst diese besseren Aristokraten nicht viel weniger schlaff und kurzsichtig als die Dutzendsenatoren der Zeit. Dem aeusseren Feind gegenueber bewaehrten die namhafteren darunter sich wohl als brauchbar und brav; aber keiner von ihnen bezeigte Lust und Geschick, die eigentlich politischen Aufgaben zu loesen und das Staatsschiff durch die bewegte See der Intrigen und Parteiungen als rechter Steuermann zu lenken. Ihre politische Weisheit beschraenkte sich darauf, aufrichtig zu glauben an die alleinseligmachende Oligarchie, dagegen die Demagogie ebenso wie jede sich emanzipierende Einzelgewalt herzlich zu hassen und mutig zu verwuenschen. Ihr kleiner Ehrgeiz nahm mit wenigem vorlieb. Was von Metellus in Spanien erzaehlt wird, dass er nicht bloss die wenig harmonische Leier der spanischen Gelegenheitspoeten sich gefallen, sondern sogar, wo er hinkam, sich gleich einem Gotte mit Weinspenden und Weihrauchduft empfangen und bei Tafel von niederschwebenden Viktorien unter Theaterdonner das Haupt mit dem goldenen Siegeslorbeer sich kraenzen liess, ist nicht besser beglaubigt als die meisten geschichtlichen Anekdoten; aber auch in solchem Klatsch spiegelt sich der heruntergekommene Ehrgeiz der Epigonengeschlechter. Selbst die Besseren waren befriedigt, wenn nicht Macht und Einfluss, sondern das Konsulat und der Triumph und im Rate ein Ehrenplatz errungen war, und traten da, wo sie bei rechtem Ehrgeiz erst angefangen haben wuerden, ihrem Vaterland und ihrer Partei wahrhaft nuetzlich zu sein, von der politischen Buehne zurueck, um in fuerstlichem Luxus unterzugehen. Maenner wie Metellus und Lucius Lucullus waren schon als Feldherren nicht weniger als auf die Erweiterung des roemischen Gebiets durch neu unterworfene Koenige und Voelkerschaften bedacht auf die der endlosen Wildbret-, Gefluegelund Dessertliste der roemischen Gastronomie durch neue afrikanische und kleinasiatische Delikatessen und haben den besten Teil ihres Lebens in mehr oder minder geistreichem Muessiggang verdorben. Das traditionelle Geschick und die individuelle Resignation, auf denen alles oligarchische Regiment beruht, waren der verfallenen und kuenstlich wiederhergestellten roemischen Aristokratie dieser Zeit abhanden gekommen; ihr galt durchgaengig der Cliquengeist als Patriotismus, die Eitelkeit als Ehrgeiz, die Borniertheit als Konsequenz. Waere die Sullanische Verfassung unter die Obhut von Maennern gekommen, wie sie wohl im roemischen Kardinalskollegium und im venezianischen Rat der Zehn gesessen haben, so ist es nicht zu sagen, ob die Opposition vermocht haben wuerde, sie so bald zu erschuettern; mit solchen Verteidigern war allerdings jeder Angriff eine ernste Gefahr. Unter den Maennern, die weder unbedingte Anhaenger noch offene Gegner der Sullanischen Verfassung waren, zog keiner mehr die Augen der Menge auf sich als der junge, bei Sullas Tode achtundzwanzigjaehrige Gnaeus Pompeius (geb. 29. September 648 106). Es war das ein Unglueck fuer den Bewunderten wie fuer die Bewunderer; aber es war natuerlich. Gesund an Leib und Seele, ein tuechtiger Turner, der noch als Oberoffizier mit seinen Soldaten um die Wette sprang, lief und hob, ein kraeftiger und gewandter Reiter und Fechter, ein kecker Freischarenfuehrer, war der Juengling in einem Alter, das ihn von jedem Amt und vom Senat ausschloss, Imperator und Triumphator geworden und hatte in der oeffentlichen Meinung den ersten Platz naechst Sulla, ja von dem laesslichen, halb anerkennenden, halb ironischen Regenten selbst den Beinamen des Grossen sich erworben. Zum Unglueck entsprach seine geistige Begabung diesen unerhoerten Erfolgen schlechterdings nicht. Er war kein boeser und kein unfaehiger, aber ein durchaus gewoehnlicher Mensch, durch die Natur geschaffen, ein tuechtiger Wachtmeister, durch die Umstaende berufen, Feldherr und Staatsmann zu sein. Ein einsichtiger, tapferer und erfahrener, durchaus vorzueglicher Soldat, war er doch auch als Militaer ohne eine Spur hoeherer Begabung; als Feldherr wie ueberhaupt ist es ihm eigen, mit einer an Aengstlichkeit grenzenden Vorsicht zu Werke zu gehen und womoeglich den entscheidenden Schlag erst dann zu fuehren, wenn die ungeheuerste Ueberlegenheit ueber den Gegner hergestellt ist. Seine Bildung ist die Dutzendbildung der Zeit; obwohl durch und durch Soldat versaeumte er doch nicht, als er nach Rhodos kam, die dortigen Redekuenstler pflichtmaessig zu bewundern und zu beschenken. Seine Rechtschaffenheit war die des reichen Mannes, der mit seinem betraechtlichen ererbten und erworbenen Vermoegen verstaendig Haus haelt; er verschmaehte es nicht, in der ueblichen senatorischen Weise Geld zu machen, aber er war zu kalt und zu reich, um deswegen sich in besondere Gefahren zu begeben und hervorragende Schande sich aufzuladen. Die unter seinen Zeitgenossen im Schwange gehende Lasterhaftigkeit hat mehr als seine eigene Tugend ihm den - relativ allerdings wohl gerechtfertigten - Ruhm der Tuechtigkeit und Uneigennuetzigkeit verschafft. Sein "ehrliches Gesicht" ward fast sprichwoertlich, und noch nach seinem Tode war er ein wuerdiger und sittlicher Mann; in der Tat war er ein guter Nachbar, welcher die empoerende Sitte der Grossen jener Zeit, ihre Gebietsgrenzen durch Zwangskaeufe oder, noch Schlimmeres, auf Kosten der kleineren Nachbarn auszudehnen, nicht mitmachte, und zeigte er im Familienleben Anhaenglichkeit an Frau und Kinder; es gereicht ihm ferner zur Ehre, dass er zuerst von der barbarischen Sitte abging, die gefangenen feindlichen Koenige und Feldherrn nach ihrer Auffuehrung im Triumph hinrichten zu lassen. Aber das hielt ihn nicht ab, wenn sein Herr und Meister Sulla befahl, sich von der geliebten Frau zu scheiden, weil sie einem verfemten Geschlecht angehoerte, und auf desselben Gebieters Wink Maenner, die ihm in schwerer Zeit hilfreich beigestanden hatten, mit grosser Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten zu lassen; er war nicht grausam, wie man ihm vorwarf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt und im Guten wie im Boesen ohne Leidenschaft. Im Schlachtgetuemmel sah er dem Feinde das Weisse im Auge; im buergerlichen Leben war er ein schuechterner Mann, dem bei der geringsten Veranlassung das Blut in die Wangen stieg und der nicht ohne Verlegenheit oeffentlich sprach, ueberhaupt eckig, steif und ungelenk im Verkehr. Bei all seinem hoffaertigen Eigensinn war er, wie ja in der Regel diejenigen es sind, die ihre Selbstaendigkeit zur Schau tragen, ein lenksames Werkzeug in der Hand derjenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner Freigelassenen und Klienten, von denen er nicht fuerchtete, beherrscht zu werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staatsmann. Unklar ueber seine Ziele, ungewandt in der Wahl seiner Mittel, im kleinen wie im grossen kurzsichtig und ratlos, pflegte er seine Unschluessigkeit und Unsicherheit unter feierlichem Schweigen zu verbergen und, wenn er fein zu spielen meinte, nur mit dem Glauben andere zu taeuschen, sich selber zu betruegen. Durch seine militaerische Stellung und seine landsmannschaftlichen Beziehungen fiel ihm fast ohne sein Zutun eine ansehnliche, ihm persoenlich ergebene Partei zu, mit der sich die groessten Dinge haetten durchfuehren lassen; allein Pompeius war in jeder Beziehung unfaehig, eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten, und wenn sie dennoch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne sein Zutun durch das blosse Schwergewicht der Verhaeltnisse. Hierin wie in andern Dingen erinnert er an Marius; aber Marius ist mit seinem bauerhaft rohen, sinnlich leidenschaftlichen Wesen doch noch minder unertraeglich als dieser langweiligste und steifleinenste aller nachgemachten grossen Maenner. Seine politische Stellung war durchaus schief. Er war Sullanischer Offizier und fuer die restaurierte Verfassung einzustehen verpflichtet, und doch auch wieder in Opposition gegen Sulla persoenlich wie gegen das ganze senatorische Regiment. Das Geschlecht der Pompeier, das erst seit etwa sechzig Jahren in den Konsularverzeichnissen genannt ward, galt in den Augen der Aristokratie noch keineswegs als voll; auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen den Senat eine sehr gehaessige Zwitterstellung eingenommen und er selbst einst in den Reihen der Cinnaner gestanden - Erinnerungen, die wohl verschwiegen, aber nicht vergessen wurden. Die hervorragende Stellung, die Pompeius unter Sulla sich erwarb, entzweite ihn innerlich ebensosehr mit der Aristokratie, wie sie ihn aeusserlich mit derselben verflocht. Schwachkoepfig wie er war, ward Pompeius auf der so bedenklich rasch und leicht erklommenen Ruhmeshoehe vom Schwindel ergriffen. Gleich als wolle er seine duerr prosaische Natur durch die Parallele mit der poetischsten aller Heldengestalten selber verhoehnen, fing er an sich mit Alexander dem Grossen zu vergleichen und sich fuer einen einzigen Mann zu halten, dem es nicht gezieme, bloss einer von den fuenfhundert roemischen Ratsherren zu sein. In der Tat war niemand mehr geschaffen, in ein aristokratisches Regiment als Glied sich einzufuegen, als er. Pompeius’ wuerdevolles Aeussere, seine feierliche Foermlichkeit, seine persoenliche Tapferkeit, sein ehrbares Privatleben, sein Mangel an aller Initiative haetten ihm, waere er zweihundert Jahre frueher geboren worden, neben Quintus Maximus und Publius Decius einen ehrenvollen Platz gewinnen moegen; zu der Wahlverwandtschaft, die zwischen Pompeius und der Masse der Buergerschaft und des Senats zu allen Zeiten bestand, hat diese echt optimatische und echt roemische Mediokritaet nicht am wenigsten beigetragen. Auch in seiner Zeit noch haette es eine klare und ansehnliche Stellung fuer ihn gegeben, wofern er damit sich genuegen liess, der Feldherr des Rates zu sein, zu dem er von Haus aus bestimmt war. Es genuegte ihm nicht und so geriet er in die verhaengnisvolle Lage, etwas anderes sein zu wollen als er sein konnte. Bestaendig trachtete er nach einer Sonderstellung im Staat und wenn sie sich darbot, konnte er sich nicht entschliessen, sie einzunehmen; mit tiefer Erbitterung nahm er es auf, wenn Personen und Gesetze nicht unbedingt vor ihm sich beugten, und doch trat er selbst mit nicht bloss affektierter Bescheidenheit ueberall auf als einer von vielen Gleichberechtigten und zitterte vor dem blossen Gedanken, etwas Verfassungswidriges zu beginnen. Also bestaendig in gruendlicher Spannung mit und doch zugleich der gehorsame Diener der Oligarchie, bestaendig gepeinigt von einem Ehrgeiz, der vor seinem eigenen Ziele erschrickt, verfloss ihm in ewigem innerem Widerspruch freudelos sein vielbewegtes Leben. Ebensowenig als Pompeius kann Marcus Crassus zu den unbedingten Anhaengern der Oligarchie gezaehlt werden. Er ist eine fuer diese Epoche hoechst charakteristische Figur. Wie Pompeius, dem er im Alter um wenige Jahre voranging, gehoerte auch er zu dem Kreise der hohen roemischen Aristokratie, hatte die gewoehnliche standesmaessige Erziehung erhalten und gleich Pompeius unter Sulla im Italischen Kriege mit Auszeichnung gefochten. An geistiger Begabung, literarischer Bildung und militaerischem Talent weit zurueckstehend hinter vielen seinesgleichen, ueberfluegelte er sie durch seine grenzenlose Ruehrigkeit und durch die Beharrlichkeit, mit der er rang, alles zu besitzen und zu bedeuten. Vor allen Dingen warf er sich in die Spekulation. Gueterkaeufe waehrend der Revolution begruendeten sein Vermoegen; aber er verschmaehte keinen Erwerbszweig; er betrieb das Baugeschaeft in der Hauptstadt ebenso grossartig wie vorsichtig; er ging mit seinen Freigelassenen bei den mannigfaltigsten Unternehmungen in Kompagnie; er machte in und ausser Rom, selbst oder durch seine Leute den Bankier; er Schoss seinen Kollegen Im Senat Geld vor und unternahm es, fuer ihre Rechnung wie es fiel Arbeiten auszufuehren oder Richterkollegien zu bestechen. Waehlerisch im Profitmachen war er eben nicht. Schon bei den Sullanischen Aechtungen war ihm eine Faelschung in den Listen nachgewiesen worden, weshalb Sulla sich von da an in Staatsgeschaeften seiner nicht weiter bedient hatte; die Erbschaft nahm er darum nicht weniger, weil die Testamentsurkunde, in der sein Name stand, notorisch gefaelscht war; er hatte nichts dagegen, wenn seine Meier die kleinen Anlieger ihres Herrn von ihren Laendereien gewaltsam oder heimlich verdraengten. Uebrigens vermied er offene Kollisionen mit der Kriminaljustiz und lebte als echter Geldmann selbst buergerlich und einfach. Auf diesem Wege ward Crassus binnen wenig Jahren aus einem Mann von gewoehnlichem senatorischen, der Herr eines Vermoegens, das nicht lange vor seinem Tode nach Bestreitung ungeheurer ausserordentlicher Ausgaben sich noch auf 170 Mill. Sesterzen (13 Mill. Taler) belief: er war der reichste Roemer geworden und damit zugleich eine politische Groesse. Wenn nach seiner Aeusserung niemand sich reich nennen durfte, der nicht aus seinen Zinsen ein Kriegsheer zu unterhalten vermochte, so war, wer dies vermochte, kaum noch ein blosser Buerger. In der Tat war Crassus’ Blick auf ein hoeheres Ziel gerichtet als auf den Besitz der gefuelltesten Geldkiste in Rom. Er liess es sich keine Muehe verdriessen, seine Verbindungen auszudehnen. Jeden Buerger der Hauptstadt wusste er beim Namen zu gruessen. Keinem Bittenden versagte er seinen Beistand vor Gericht. Zwar die Natur hatte nicht viel fuer ihn als Sprecher getan: seine Rede war trocken, der Vortrag eintoenig, er hoerte schwer; aber sein zaeher Sinn, den keine Langeweile abschreckte wie kein Genuss abzog, ueberwand die Hindernisse. Nie erschien er unvorbereitet, nie extemporierte er, und so ward er ein allzeit gesuchter und allzeit fertiger Anwalt, dem es keinen Eintrag tat, dass ihm nicht leicht eine Sache zu schlecht war und dass er nicht bloss durch sein Wort, sondern auch durch seine Verbindungen und vorkommenden Falls durch sein Gold auf die Richter einzuwirken verstand. Der halbe Rat war ihm verschuldet; seine Gewohnheit, den Freunden Geld ohne Zinsen auf beliebige Rueckforderung vorzuschiessen, machte eine Menge einflussreicher Maenner von ihm abhaengig, um so mehr, da er als echter Geschaeftsmann keinen Unterschied unter den Parteien machte, ueberall Verbindungen unterhielt und bereitwillig jedem borgte, der zahlungsfaehig oder sonst brauchbar war. Die verwegensten Parteifuehrer, die ruecksichtslos nach allen Seiten hin ihre Angriffe richteten, hueteten sich, mit Crassus anzubinden; man verglich ihn dem Stier der Herde, den zu reizen fuer keinen raetlich war. Dass ein so gearteter und so gestellter Mann nicht nach niedrigen Zielen streben konnte, leuchtet ein; und, anders als Pompeius, wusste Crassus genau wie ein Bankier, worauf und womit er politisch spekulierte. Seit Rom stand, war daselbst das Kapital eine politische Macht; die Zeit war von der Art, dass dem Golde wie dem Eisen alles zugaenglich schien. Wenn in der Revolutionszeit eine Kapitalistenaristokratie daran hatte denken moegen, die Oligarchie der Geschlechter zu stuerzen, so durfte auch ein Mann wie Crassus die Blicke hoeher erheben als zu den Rutenbuendeln und dem gestickten Mantel der Triumphatoren. Augenblicklich war er Sullaner und Anhaenger des Senats; allein er war viel zu sehr Finanzmann, um einer bestimmten politischen Partei sich zu eigen zu geben und etwas anderes zu verfolgen als seinen persoenlichen Vorteil. Warum sollte Crassus, der reichste und der intriganteste Mann in Rom und kein scharrender Geizhals, sondern ein Spekulant im groessten Massstab, nicht spekulieren auch auf die Krone? Vielleicht vermochte er allein es nicht, dies Ziel zu erreichen; aber er hatte ja schon manches grossartige Gesellschaftsgeschaeft gemacht: es war nicht unmoeglich, dass auch hierfuer ein passender Teilnehmer sich darbot. Es gehoerte zur Signatur der Zeit, dass ein mittelmaessiger Redner und Offizier, ein Politiker, der seine Ruehrigkeit fuer Energie, seine Begehrlichkeit fuer Ehrgeiz hielt, der im Grunde nichts hatte als ein kolossales Vermoegen und das kaufmaennische Talent, Verbindungen anzuknuepfen - dass ein solcher Mann, gestuetzt auf die Allmacht der Koterien und Intrigen, den ersten Feldherren und Staatsmaennern der Zeit sich ebenbuertig achten und mit ihnen um den hoechsten Preis ringen durfte, der dem politischen Ehrgeiz winkt. In der eigentlichen Opposition, sowohl unter den liberalen Konservativen als unter den Popuhren, hatten die Stuerme der Revolution mit erschreckender Gruendlichkeit aufgeraeumt. Unter jenen war der einzig uebriggebliebene namhafte Mann Gaius Cotta (630 bis ca. 681 124 -73), der Freund und Bundesgenosse des Drusus und deswegen im Jahre 663 (91) verbannt, sodann durch Sullas Krieg zurueckgefuehrt in die Heimat; er war ein kluger Mann und ein tuechtiger Anwalt, aber weder durch das Gewicht seiner Partei noch durch das seiner Persoenlichkeit zu mehr berufen als zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei zog unter dem jungen Nachwuchs der vierundzwanzigjaehrige Gaius Iulius Caesar (geb. 12. Juli 652? 102) ^2 die Blicke von Freund und Feind auf sich. Seine Verschwaegerung mit Marius und Cinna - seines Vaters Schwester war Marius’ Gemahlin gewesen, er selbst mit Cinnas Tochter vermaehlt -; die mutige Weigerung des kaum dem Knabenalter entwachsenen Juenglings, nach dem Befehl des Diktators seiner jungen Gemahlin Cornelia den Scheidebrief zuzusenden, wie es doch im gleichen Falle Pompeius getan; ein keckes Beharren auf dem ihm von Marius zugeteilten, von Sulla aber wieder aberkannten Priesteramt; seine Irrfahrten waehrend der ihm drohenden und muehsam durch Fuerbitte seiner Verwandten abgewandten Aechtung; seiner Tapferkeit in den Gefechten vor Mytilene und in Kilikien, die dem zaertlich erzogenen und fast weiblich stutzerhaften Knaben niemand zugetraut hatte; selbst die Warnungen Sullas vor dem "Knaben im Unterrock", in dem mehr als ein Marius stecke - alles dies waren ebenso viele Empfehlungen in den Augen der demokratischen Partei. Indes an Caesar konnten doch nur Hoffnungen fuer die Zukunft sich knuepfen; und die Maenner, die durch ihr Alter und ihre Stellung im Staat schon jetzt berufen gewesen sein wuerden, der Zuegel der Partei und des Staates sich zu bemaechtigen, waren saemtliche tot oder geaechtet. So war die Fuehrerschaft der Demokratie in Ermangelung eines wahrhaft Berufenen fuer jeden zu haben, dem es belieben mochte, sich zum Vertreter der unterdrueckten Volksfreiheit aufzuwerfen; und in dieser Weise kam sie an Marcus Aemilius Lepidus, einen Sullaner, der aus mehr als zweideutigen Beweggruenden ueberging in das Lager der Demokratie. Einst ein eifriger Optimat und stark beteiligt bei den ueber die Gueter der Geaechteten abgehaltenen Auktionen, hatte er als Statthalter von Sizilien die Provinz so arg gepluendert, dass ihm eine Anklage drohte, und, um dieser zu entgehen, sich in die Opposition geworfen. Es war ein Gewinn von zweifelhaftem Werte. Zwar ein bekannter Name, ein vornehmer Mann, ein hitziger Redner auf dem Markt war damit der Opposition erworben; aber Lepidus war ein unbedeutender und unbesonnener Kopf, der weder im Rate noch im Felde verdiente, an der Spitze zu stehen. Nichtsdestoweniger hiess die Opposition ihn willkommen, und dem neuen Demokratenfuehrer gelang es nicht bloss, seine Anklaeger von der Fortsetzung des gegen ihn begonnenen Angriffs abzuschrecken, sondern auch, seine Wahl zum Konsul fuer 676 (78) durchzusetzen, wobei ihm uebrigens ausser den in Sizilien erpressten Schaetzen auch Pompeius’ albernes Bestreben foerderlich war, bei dieser Gelegenheit Sulla und den reinen Sullanern zu zeigen, was er vermoege. Da also, als Sulla starb, die Opposition an Lepidus wieder ein Haupt gefunden hatte und da dieser ihr Fuehrer der hoechste Beamte des Staats geworden war, so liess sich der nahe Ausbruch einer neuen Revolution in der Hauptstadt mit Sicherheit vorhersehen. ------------------------------------------------------ ^2 Als Caesars Geburtsjahr pflegt man das Jahr 654 (100) anzusetzen, weil er nach Sueton (Caes. 88), Plutarch (Caes. 69) und Appian (civ. 2 149) bei seinem Tode (15. Maerz 710 44) im 56. Jahre stand; womit auch die Angabe, dass er zur Zeit der Sullanischen Proskription (672 82) achtzehn Jahre alt gewesen (Vell. 2, 41), ungefaehr uebereinstimmt. Aber in unaufloeslichem Widerspruch damit steht es, dass Caesar im Jahre 689 (65) die Aedilitaet, 692 (62) die Praetur, 695 (59) das Konsulat bekleidet hat und jene Aemter nach den Annalgesetzen fruehestens resp. im 37/38., 40/41. und 43/44. Lebensjahr bekleidet werden durften. Es ist nicht abzusehen, wie Caesar saemtliche kurulischen Aemter zwei Jahre vor der gesetzlichen Zeit bekleidet haben, noch weniger, dass hiervon nirgends Erwaehnung geschehen sein sollte. Vielmehr legen diese Tatsachen die Vermutung nahe, dass er, da sein Geburtstag unbezweifelt auf den 12. Juli fiel, nicht 654 (100), sondern 652 (102) geboren ist, also im Jahre 672 (82) im 20/21. Lebensjahre stand und nicht im 56., sondern 57 Jahre 8 Monate alt starb. Fuer diesen letzteren Ansatz laesst sich ferner geltend machen, was man auffallenderweise dagegen angefuehrt hat, dass Caesar "paene puer" von Marius und Cinna zum Flamen des Jupiter bestellt wurde (Vell. 2, 43); denn Marius starb im Januar 668 (86), wo Caesar nach dem gewoehnlichen Ansatz dreizehn Jahre und sechs Monate alt, also nicht "beinahe", wie Velleius sagt, sondern wirklich noch Knabe und aus diesem Grunde eines solchen Priestertums kaum faehig war. War er dagegen im Juli 652 (102) geboren, so stand er bei dem Tode des Marius im sechzehnten Lebensjahr; und dazu stimmt die Bezeichnung bei Velleius wie die allgemeine Regel, dass buergerliche Stellungen nicht vor Ablauf des Knabenalters uebernommen werden. Zu diesem letzteren Ansatz passt es ferner allein, dass die um den Ausbruch des Buergerkrieges von Caesar geschlagenen Denare mit der Zahl LII, wahrscheinlich dem Lebensjahr, bezeichnet sind; denn als er begann, war Caesar hiernach etwas ueber 52 Jahre alt. Auch ist es nicht so verwegen, wie es uns an regelmaessige und amtliche Geburtslisten Gewoehnten erscheint, in dieser Hinsicht unsere Gewaehrsmaenner eines Irrtum zu zeihen. Jene vier Angaben koennen sehr wohl alle auf eine gemeinschaftliche Quelle zurueckgehen und duerfen ueberhaupt, da fuer die aeltere Zeit vor dem Beginn der acta diurna die Angaben ueber die Geburtsjahre auch der bekanntesten und hoechstgestellten Roemer, zum Beispiel ueber das des Pompeius, in der auffallendsten Weise schwanken, auf keine sehr hohe Glaubwuerdigkeit Anspruch machen. Vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 570. In dem ’Leben Caesars’ von Napoleon III. (Bd. 2, Kap. 1) ist hiergegen eingewandt worden, teils dass das Annalgesetz fuer Caesars Geburtsjahr nicht auf 652 (102), sondern 651 (103) fuehren wuerde, teils besonders, dass auch sonst Faelle bekannt sind, wo dasselbe nicht befolgt worden ist. Allein die erste Behauptung beruht auf einem Versehen; denn wie Ciceros Beispiel zeigt, forderte das Annalgesetz nur, dass bei Antritt des Amtes das 43. Lebensjahr begonnen, nicht dass es zurueckgelegt sei. Die behaupteten Ausnahmen aber von der Regel treffen saemtlich nicht zu. Wenn Tacitus (ann. 11, 22) sagt, dass man ehemals bei der Vergebung der Aemter gar keine Ruecksicht auf das Alter genommen und Konsulat und Diktatur an ganz junge Leute uebertragen habe, so hat er natuerlich, wie auch alle Erklaerer anerkennen, dabei die aeltere Zeit im Sinne, vor Erlass der Annalgesetze, das Konsulat des dreiundzwanzigjaehrigen M. Valerius Corvus und aehnliche Faelle. Dass Lucullus das hoechste Amt vor dem gesetzlichen Alter empfing, ist falsch; es wird nur berichtet (Cic. ac. 2. 1, 1), dass auf Grund einer uns nicht naeher bekannten Ausnahmeklausel zur Belohnung fuer irgendwelche von ihm verrichtete Tat er von dem gesetzlichen zweijaehrigen Intervall zwischen Aedilitaet und Praetur dispensiert war - in der Tat war er 675 Aedil, wahrscheinlich 677 Praetor, 680 Konsul. Dass der Fall des Pompeius ein gaenzlich verschiedener ist, liegt auf der Hand; aber auch von Pompeius wird mehrfach ausdruecklich gemeldet (Cic. imp. Cn. Pomp. 21, 62; App. civ. 3, 88), dass der Senat ihn von den Altersgesetzen entband. Dass dies fuer Pompeius geschah, der als sieggekroenter Oberfeldherr und Triumphator, an der Spitze eines Heeres und seit seiner Koalition mit Crassus auch einer maechtigen Partei, sich um das Konsulat bewarb, ist ebenso begreiflich, als es im hoechsten Grade auffallend sein wuerde, wenn dasselbe fuer Caesar bei seiner Bewerbung um die minderen Aemter geschehen sein sollte, wo er wenig mehr bedeutete als andere politische Anfaenger; und noch viel auffallender ist es, dass wohl von jener selbstverstaendlichen Ausnahme, aber nicht von dieser mehr als seltsamen sich Erwaehnung findet, so nahe solche Erwaehnungen, namentlich im Hinblick auf den 21jaehrigen Konsul Caesar den Sohn auch gelegen haben wuerden (vgl. z. B. App. civ. 3, 88). Wenn aus diesen unzutreffenden Beispielen dann die Folgerung gezogen wird, dass "man in Rom das Gesetz wenig beachtet habe, wenn es sich um ausgezeichnete Maenner handelte", so ist ueber Rom und die Roemer wohl nie etwas Irrigeres gesagt worden als dieser Satz. Die Groesse des roemischen Gemeinwesens wie nicht minder die seiner grossen Feldherren und Staatsmaenner beruht vor allen Dingen darauf, dass das Gesetz auch fuer sie galt. --------------------------------------------- Schon frueher aber als die Demokraten in der Hauptstadt hatten sich in Spanien die demokratischen Emigranten wieder geregt. Die Seele dieser Bewegung war Quintus Sertorius. Dieser vorzuegliche Mann, geboren in Nursia im Sabinerland, war von Haus aus zart und selbst weich organisiert - die fast schwaermerische Liebe fuer seine Mutter Raia zeigt es - und zugleich von der ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem Kimbrischen, dem Spanischen und dem Italischen Krieg heimgebrachten ehrenvollen Narben bewiesen. Obwohl als Redner gaenzlich ungeschult, erregte er durch den natuerlichen Fluss und die treffende Sicherheit seiner Rede die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein ungemeines militaerisches und staatsmaennisches Talent hatte er namentlich in dem von den Demokraten so ueber die Massen elend und kopflos gefuehrten Revolutionskrieg Gelegenheit gefunden in glaenzendem Kontrast zu beweisen: anerkanntermassen war er der einzige demokratische Offizier, der den Krieg vorzubereiten und zu leiten verstand, und der einzige demokratische Staatsmann, der dem gedankenlosen Treiben und Wueten seiner Partei mit staatsmaennischer Energie entgegentrat. Seine spanischen Soldaten nannten ihn den neuen Hannibal und nicht bloss deswegen, weil er gleich diesem im Kriege ein Auge eingebuesst hatte. Er erinnert in der Tat an den grossen Phoeniker durch seine ebenso verschlagene als mutige Kriegfuehrung, sein seltenes Talent, den Krieg durch den Krieg zu organisieren, seine Gewandtheit, fremde Nationen in sein Interesse zu ziehen und seinen Zwecken dienstbar zu machen, seine Besonnenheit im Glueck und Unglueck, seine erfinderische Raschheit in der Benutzung seiner Siege wie in der Abwendung der Folgen seiner Niederlagen. Man darf zweifeln, ob irgendein roemischer Staatsmann der frueheren oder der gegenwaertigen Zeit an allseitigem Talent mit Sertorius sich vergleichen laesst. Nachdem Sullas Feldherren ihn gezwungen hatten, aus Spanien zu weichen, hatte er an den spanischen und afrikanischen Kuesten ein unstetes Abenteuerleben gefuehrt, bald im Bunde, bald im Kriege mit den auch hier einheimischen kilikischen Piraten und den Haeuptlingen der schweifenden Staemme Libyens. Selbst hierhin hatte die siegreiche roemische Restauration ihn verfolgt; als er Tingis (Tanger) belagerte, war dem Fuersten der Stadt zu Hilfe aus dem roemischen Afrika ein Korps unter Pacciaecus erschienen; aber Pacciaecus ward von Sertorius voellig geschlagen und Tingis genommen. Auf das weithin erschallende Geruecht von solchen Kriegstaten des roemischen Fluechtlings sandten die Lusitaner, die trotz ihrer angeblichen Unterwerfung unter die roemische Oberhoheit tatsaechlich ihre Unabhaengigkeit behaupteten und jaehrlich mit den Statthaltern des Jenseitigen Spaniens fochten, Botschaft an Sertorius nach Afrika, um ihn zu sich einzuladen und ihm das Feldherrnamt ueber ihre Miliz zu uebertragen. Sertorius, der zwanzig Jahre zuvor unter Titus Didius in Spanien gedient hatte und die Hilfsquellen des Landes kannte, beschloss, der Einladung Folge zu leisten, und schiffte mit Zuruecklassung eines kleinen Postens an der mauretanischen Kueste nach Spanien sich ein (um 674 80). Die Meerenge, die Spanien und Afrika scheidet, war besetzt durch ein roemisches, von Cotta gefuehrtes Geschwader; sich durchzuschleichen war nicht moeglich; so schlug Sertorius sich durch und gelangte gluecklich zu den Lusitanern. Es waren nicht mehr als zwanzig lusitanische Gemeinden, die sich unter seine Befehle stellten, und auch von "Roemern" musterte er nur 2600 Mann, von denen ein guter Teil Uebergetretene aus dem Heer des Pacciaecus oder roemisch bewaffnete Afrikaner waren. Sertorius erkannte es, dass alles darauf ankam, den losen Guerillaschwaermen einen festen Kern roemisch organisierter und disziplinierter Truppen zu geben; er verstaerkte zu diesem Ende seine mitgebrachte Schar durch Aushebung von 4000 Fusssoldaten und 700 Reitern und rueckte mit dieser einen Legion und den Schwaermen der spanischen Freiwilligen gegen die Roemer vor. Den Befehl im jenseitigen Spanien fuehrte Lucius Fufidius, der durch seine unbedingte und bei den Aechtungen erprobte Hingebung an Sulla vom Unteroffizier zum Propraetor aufgerueckt war; am Baetis ward dieser voellig geschlagen; 2000 Roemer bedeckten die Walstatt. Eilige Boten beriefen den Statthalter der benachbarten Ebroprovinz, Marcus Domitius Calvinus, um dem weiteren Vordringen der Sertorianer ein Ziel zu setzen; bald erschien (675 79) auch der erprobte Feldherr Quintus Metellus, von Sulla gesandt, um den unbrauchbaren Fufidius im suedlichen Spanien abzuloesen. Aber es gelang doch nicht, des Aufstandes Herr zu werden. In der Ebroprovinz wurde von dem Unterfeldherrn des Sertorius, dem Quaestor Lucius Hirtuleius, nicht bloss Calvinus’ Heer vernichtet und er selbst getoetet, sondern auch Lucius Manlius, der Statthalter des jenseitigen Galliens, der seinem Kollegen zu Hilfe mit drei Legionen die Pyrenaeen ueberschritten, von demselben tapferen Fuehrer vollstaendig geschlagen. Muehsam rettete Manlius sich mit weniger Mannschaft nach Ilerda (Lerida) und von da in seine Provinz, auf welchem Marsch er noch durch einen Ueberfall der aquitanischen Voelkerschaften sein ganzes Gepaeck einbuesste. Im Jenseitigen Spanien drang Metellus in das lusitanische Gebiet ein; allein es gelang Sertorius, waehrend der Belagerung von Longobriga (unweit der Tajomuendung) eine Abteilung unter Aquinus in einen Hinterhalt zu locken und dadurch Metellus selbst zur Aufhebung der Belagerung und zur Raeumung des lusitanischen Gebietes zu zwingen. Sertorius folgte ihm, schlug am Anas (Guadiana) das Korps des Thorius und tat dem feindlichen Oberfeldherrn selbst unsaeglichen Abbruch im kleinen Kriege. Metellus, ein methodischer und etwas schwerfaelliger Taktiker, war in Verzweiflung ueber diesen Gegner, der die Entscheidungsschlacht beharrlich verweigerte, aber Zufuhr und Kommunikationen ihm abschnitt und von allen Seiten ihn bestaendig umschwaermte. Diese ungemeinen Erfolge, die Sertorius in beiden spanischen Provinzen erfocht, waren im so bedeutsamer, als sie nicht bloss durch die Waffen errungen wurden und nicht bloss militaerischer Natur waren. Die Emigrierten als solche waren nicht furchtbar; auch an einzelnen Erfolgen der Lusitaner unter diesem oder jenem fremden Fuehrer war wenig gelegen. Aber mit dem sichersten politischen und patriotischen Takt trat Sertorius, sowie er irgend es vermochte, statt als Condottiere der gegen Rom empoerten Lusitaner auf als roemischer Feldherr und Statthalter von Spanien, in welcher Eigenschaft er ja von den ehemaligen Machthabern dorthin gesandt worden war. Er fing an ^3, aus den Haeuptern der Emigration einen Senat zu bilden, der bis auf dreihundert Mitglieder steigen und in roemischen Formen die Geschaefte leiten und die Beamten ernennen sollte. Er betrachtete sein Heer als ein roemisches und besetzte die Offiziersstellen ohne Ausnahme mit Roemern. Den Spaniern gegenueber war er der Statthalter, der kraft seines Amtes Mannschaft und sonstige Unterstuetzung von ihnen einmahnte; aber freilich ein Statthalter, der statt des gewohnten despotischen Regiments bemueht war, die Provinzialen an Rom und an sich persoenlich zu fesseln. Sein ritterliches Wesen machte ihm das Eingehen auf die spanische Weise leicht und erweckte bei dem spanischen Adel fuer den wahlverwandten wunderbaren Fremdling die gluehendste Begeisterung; nach der auch hier wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriegerischen Sitte der Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten Spanier, zu ihrem roemischen Feldherrn treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in ihnen zuverlaessigere Waffengefaehrten als in seinen Landsleuten und Parteigenossen. Er verschmaehte es nicht, auch den Aberglauben der roheren spanischen Voelkerschaften fuer sich nutzbar zu machen und seine kriegerischen Plaene als Befehle der Diana durch die weisse Hindin der Goettin sich zutragen zu lassen. Durchaus fuehrte er ein gerechtes und gelindes Regiment. Seine Truppen mussten, wenigstens so weit sein Auge und sein Arm reichten, die strengste Mannszucht halten; so mild er im allgemeinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich bei jedem von seinen Leuten auf befreundetem Gebiet veruebten Frevel. Aber auch auf dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen war er bedacht; er setzte die Tribute herab und wies die Soldaten an, sich fuer den Winter Baracken zu erbauen, wodurch die drueckende Last der Einquartierung wegfiel und damit eine Quelle unsaeglicher Uebelstaende und Quaelereien verstopft ward. Fuer die Kinder der vornehmen Spanier ward in Osca (Huesca) eine Akademie errichtet, in der sie den in Rom gewoehnlichen hoeheren Jugendunterricht empfingen, roemisch und griechisch reden und die Toga tragen lernten - eine merkwuerdige Massregel, die keineswegs bloss den Zweck hatte, von den Verbuendeten die in Spanien nun einmal unvermeidlichen Geiseln in moeglichst schonender Form zu nehmen, sondern vor allem ein Ausfluss und eine Steigerung war des grossen Gedankens des Gaius Gracchus und der demokratischen Partei, die Provinzen allmaehlich zu romanisieren. Hier zuerst wurde der Anfang dazu gemacht, die Romanisierung nicht durch Ausrottung der alten Bewohner und Ersetzung derselben durch italische Emigranten zu bewerkstelligen, sondern die Provinzialen selbst zu romanisieren. Die Optimaten in Rom spotteten ueber den elenden Emigranten, den Ausreisser aus der italischen Armee, den letzten von der Raeuberbande des Carbo; der duerftige Hohn fiel auf sie selber zurueck. Man rechnete die Massen, die gegen Sertorius ins Feld gefuehrt worden waren, mit Einschluss des spanischen Landsturms auf 120000 Mann zu Fuss, 2000 Bogenschuetzen und Schleuderer und 6000 Reiter. Gegen diese ungeheure Uebermacht hatte Sertorius nicht bloss sich in einer Kette von gluecklichen Gefechten und Siegen behauptet, sondern auch den groessten Teil Spaniens in seine Gewalt gebracht. In der jenseitigen Provinz sah sich Metellus beschraenkt auf die unmittelbar von seinen Truppen besetzten Gebietsteile; hier hatten alle Voelkerschaften, die es konnten, Partei fuer Sertorius ergriffen. In der diesseitigen gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein roemisches Heer mehr. Sertorianische Emissaere durchstreiften das ganze gallische Gebiet; schon fingen auch hier die Staemme an, sich zu regen, und zusammengerottete Haufen, die Alpenpaesse unsicher zu machen. Die See endlich gehoerte ebensosehr den Insurgenten wie der legitimen Regierung, da die Verbuendetem jener, die Korsaren, in den spanischen Gewaessern fast so maechtig waren wie die roemischen Kriegsschiffe. Auf dem Vorgebirge der Diana (jetzt Denia zwischen Valencia und Alicante) richtet Sertorius jenen eine feste Station ein, wo sie teils den roemischen Schiffen auflauerten, die den roemischen Seestaedten und dem Heer ihren Bedarf zufuehrten, teils den Insurgenten die Waren abnahmen oder lieferten, teils deren Verkehr mit Italien und Kleinasien vermittelten. Dass diese allzeit fertigen Vermittler von der lohenden Brandstaette ueberall hin die Funken trugen, war in hohem Grade besorgniserregend, zumal in einer Zeit, wo ueberall im Roemischen Reiche so viel Brennstoff aufgehaeuft war. ---------------------------------------------------- ^3 Wenigstens die Grundzuege dieser Organisation muessen in die Jahre 674 (80), 675 (79), 676 (78) fallen, wenngleich die Ausfuehrung ohne Zweifel zum guten Teil erst den spaeteren Jahren angehoert. ---------------------------------------------------- In diese Verhaeltnisse hinein traf Sullas ploetzlicher Tod (676 78). Solange der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geuebtes und zuverlaessiges Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erheben bereit war, mochte die Oligarchie den fast, wie es schien, entschiedenen Verlust der spanischen Provinzen an die Emigranten sowie die Wahl des Fuehrers der Opposition daheim zum hoechsten Beamten des Reiches allenfalls als voruebergehende Missgeschicke ertragen und, freilich in ihrer kurzsichtigen Art, aber doch nicht ganz mit Unrecht, darauf sich verlassen, dass entweder die Opposition es nicht wagen werde, zum offenen Kampfe zu schreiten, oder dass, wenn sie es wage, der zweimalige Erretter der Oligarchie dieselbe zum dritten Male herstellen werde. Jetzt war der Stand der Dinge ein anderer geworden. Die demokratischen Heisssporne in der Hauptstadt, laengst ungeduldig ueber das endlose Zoegern und angefeuert durch die glaenzenden Botschaften aus Spanien, draengten zum Losschlagen, und Lepidus, bei dem augenblicklich die Entscheidung stand, ging mit dem ganzen Eifer des Renegaten und mit der ihm persoenlich eigenen Leichtfertigkeit darauf ein. Einen Augenblick schien es, als solle an der Fackel, die den Scheiterhaufen des Regenten anzuendete, auch der Buergerkrieg sich entflammen; indes Pompeius’ Einfluss und die Stimmung der Sullanischen Veteranen bestimmten die Opposition, das Leichenbegaengnis des Regenten noch ruhig voruebergehen zu lassen. Allein nur um so offener traf man sodann die Einleitung zur abermaligen Revolution. Bereits hallte der Markt der Hauptstadt wider von Anklagen gegen den "karikierten Romulus" und seine Schergen. Noch bevor der Gewaltige die Augen geschlossen hatte, wurden von Lepidus und seinen Anhaengern der Umsturz der Sullanischen Verfassung, die Wiederherstellung der Getreideverteilungen, die Wiedereinsetzung der Volkstribune in den vorigen Stand, die Zurueckfuehrung der gesetzwidrig Verbannten, die Rueckgabe der konfiszierten Laendereien offen als das Ziel der Agitation bezeichnet. Jetzt wurden mit den Geaechteten Verbindungen angeknuepft; Marcus Perpenna, in der cinnanischen Zeit Statthalter von Sizilien, fand sich ein in der Hauptstadt. Die Soehne der Sullanischen Hochverraeter, auf denen die Restaurationsgesetze mit unertraeglichem Drucke lasteten, und ueberhaupt die namhafteren marianisch gesinnten Maenner wurden zum Beitritt aufgefordert; nicht wenige, wie der junge Lucius Cinna, schlossen sich an; andere freilich folgten dem Beispiele Gaius Caesars, der zwar auf die Nachricht von Sullas Tode und Lepidus’ Plaenen aus Asien heimgekehrt war, aber nachdem er den Charakter des Fuehrers und der Bewegung genauer kennengelernt hatte, vorsichtig sich zurueckzog. In der Hauptstadt ward auf Lepidus’ Rechnung in den Weinhaeusern und den Bordellen gezecht und geworben. Unter den etruskischen Missvergnuegten endlich ward eine Verschwoerung gegen die neue Ordnung der Dinge angezettelt ^4. ---------------------------------------------------------- ^4 Die folgende Erzaehlung beruht wesentlich auf dem Bericht des Licinianus, der, so truemmerhaft er auch gerade hier ist, dennoch ueber die Insurrektion des Lepidus wichtige Aufschluesse gibt. --------------------------------------------------------- Alles dies geschah unter den Augen der Regierung. Der Konsul Catulus sowie die verstaendigeren Optimaten drangen darauf, sofort entschieden einzuschreiten und den Aufstand im Keime zu ersticken; allein die schlaffe Majoritaet konnte sich nicht entschliessen, den Kampf zu beginnen, sondern versuchte so lange wie moeglich, durch ein System von Transaktionen und Konzessionen sich selber zu taeuschen. Lepidus ging zunaechst auf dasselbe auch seinerseits ein. Das Ansinnen, die Zurueckgabe der den Volkstribunen entzogenen Befugnisse zu beantragen, wies er nicht minder ab wie sein Kollege Catulus. Dagegen wurde die Gracchische Kornverteilung in beschraenktem Umfang wiederhergestellt. Es scheinen danach nicht wie nach dem Sempronischen Gesetz alle, sondern nur eine bestimmte Anzahl - vermutlich 40000 - aermere Buerger die frueheren Spenden, wie sie Gracchus bestimmt hatte, fuenf Scheffel monatlich fuer den Preis von 6 1/3 Assen (2_ Groschen) empfangen zu haben - eine Bestimmung, aus der dem Aerar ein jaehrlicher Nettoverlust von mindestens 300000 Talern erwuchs ^5. Die Opposition, durch diese halbe Nachgiebigkeit natuerlich ebensowenig befriedigt wie entschieden ermutigt, trat in der Hauptstadt nur um so schroffer und gewaltsamer auf; und in Etrurien, dem rechten Herd aller italischen Proletarierinsurrektionen, brach bereits der Buergerkrieg aus: die expropriierten Faesulaner setzten sich mit gewaffneter Hand wieder in den Besitz ihrer verlorenen Gueter und mehrere der von Sulla daselbst angesiedelten Veteranen kamen bei dem Auflauf um. Der Senat beschloss auf diese Nachricht, die beiden Konsuln dorthin zu senden, um Truppen aufzubieten und den Aufstand zu unterdruecken ^6. Es war nicht moeglich, kopfloser zu verfahren. Der Senat konstatierte der Insurrektion gegenueber seine Schwachmuetigkeit und seine Besorgnisse durch die Wiederherstellung des Getreidegesetzes: er gab, um vor dem Strassenlaerm Ruhe zu haben, dem notorischen Haupte der Insurrektion ein Heer; und wenn die beiden Konsuln durch den feierlichsten Eid, den man zu ersinnen vermochte, verpflichtet wurden, die ihnen anvertrauten Waffen nicht gegeneinander zu kehren, so gehoerte wahrlich die daemonische Verstocktheit oligarchischer Gewissen dazu, um ein solches Bollwerk gegen die drohende Insurrektion aufrichten zu moegen. Natuerlich ruestete Lepidus in Etrurien nicht fuer den Senat, sondern fuer die Insurrektion, hoehnisch erklaerend, dass der geleistete Eid nur fuer das laufende Jahr ihn binde. Der Senat setzte die Orakelmaschine in Bewegung, um ihn zur Rueckkehr zu bestimmen, und uebertrug ihm die Leitung der bevorstehenden Konsulwahlen: allein Lepidus wich aus, und waehrend die Boten deswegen kamen und gingen und ueber Vergleichsvorschlaegen das Amtsjahr zu Ende lief, schwoll seine Mannschaft zu einem Heer an. Als endlich im Anfang des folgenden Jahres (677 77) an Lepidus der bestimmte Befehl des Senats erging, nun ungesaeumt zurueckzukehren, weigerte der Prokonsul trotzig den Gehorsam und forderte seinerseits die Erneuerung der ehemaligen tribunizischen Gewalt und die Wiedereinsetzung der gewalttaetig Vertriebenen in ihr Buergerrecht und ihr Eigentum, ueberdies fuer sich die Wiederwahl zum Konsul fuer das laufende Jahr, das heisst die Tyrannis in gesetzlicher Form. Damit war der Krieg erklaert. Die Senatspartei konnte, ausser auf die Sullanischen Veteranen, deren buergerliche Existenz durch Lepidus bedroht ward, zaehlen auf das von dem Prokonsul Catulus unter die Waffen gerufene Heer; und auf die dringenden Mahnungen der Einsichtigen, namentlich des Philippus, wurde demgemaess die Verteidigung der Hauptstadt und die Abwehr der in Etrurien stehenden Hauptmacht der Demokratenpartei dem Catulus vom Senat uebertragen, auch gleichzeitig Gnaeus Pompeius mit einem anderen Haufen ausgesandt, um seinem ehemaligen Schuetzling das Potal zu entreissen, das dessen Unterbefehlshaber Marcus Brutus besetzt hielt. Waehrend Pompeius rasch seinen Auftrag vollzog und den feindlichen Feldherrn eng in Mutina einschloss, erschien Lepidus vor der Hauptstadt, um, wie einst Marius, sie mit stuermender Hand fuer die Revolution zu erobern. Das rechte Tiberufer geriet ganz in seine Gewalt und er konnte sogar den Fluss ueberschreiten; auf dem Marsfelde, hart unter den Mauern der Stadt, wurde die entscheidende Schlacht geschlagen. Allein Catulus siegte; Lepidus musste zurueckweichen nach Etrurien, waehrend eine andere Abteilung unter Lepidus’ Sohn Scipio sich in die Festung Alba warf. Damit war der Aufstand im wesentlichen zu Ende. Mutina ergab sich an Pompeius; Brutus wurde trotz des ihm zugestandenen sicheren Geleits nachtraeglich auf Befehl des Pompeius getoetet. Ebenso ward Alba nach langer Belagerung durch Hunger bezwungen und der Fuehrer gleichfalls hingerichtet. Lepidus, durch Catulus und Pompeius von zwei Seiten gedraengt, lieferte am etrurischen Gestade noch ein Treffen, um nur den Rueckzug sich zu ermoeglichen, und schiffte dann in dem Hafen Cosa nach Sardinien sich ein, von wo aus er der Hauptstadt die Zufuhr abzuschneiden und die Verbindung mit den spanischen Insurgenten zu gewinnen hoffte. Allein der Statthalter der Insel leistete ihm kraeftigen Widerstand, und er selbst starb nicht lange nach seiner Landung an der Schwindsucht (677 77), womit in Sardinien der Krieg zu Ende war. Ein Teil seiner Soldaten verlief sich; mit dem Kern der Insurrektionsarmee und mit wohlgefuellten Kassen begab sich der gewesene Praetor Marcus Perpenna nach Ligurien und von da nach Spanien zu der Sertorianern. ----------------------------------------------- ^5 Unter dem Jahre 676 (78) berichtet Licinianus (p. 23 Pertz, p. 42 Bonn): (Lepidus) [Ie]gem frumentari[am] nullo resistente l[argi]tus est ut annon[ae] quinque modi popu[lo da]rentur. Danach hat also das Gesetz der Konsuln des Jahres 681 (73) Marcus Terentius Lucullus und Gaius Cassius Varus, welches Cicero (Verr. 3, 70, 136; 5, 21, 52) erwaehnt und auf das auch Sallust (hist. 3, 61, 19 Dietsch) sich bezieht, die fuenf Scheffel nicht erst wiederhergestellt, sondern nur durch Regulierung der sizilischen Getreideankaeufe die Kornspenden gesichert und vielleicht im einzelnen manches geaendert. Dass das Sempronische Gesetz jedem in Rom domizilierenden Buerger gestattete, an den Getreidespenden teilzunehmen, steht fest. Allein die spaetere Getreideverteilung hat diesen Umfang nicht gehabt; denn da das Monatkorn der roemischen Buergerschaft wenig mehr als 33000 Medimnen = 198000 roem. Scheffel betrug (Cic. Verr. 3, 30, 72), so empfingen damals nur etwa 40000 Buerger Getreide, waehrend doch die Zahl der in der Hauptstadt domizilierenden Buerger sicher weit betraechtlicher war. Diese Einrichtung ruehrt wahrscheinlich aus dem Octavischen Gesetze her, das im Gegensatze zu der uebertriebenen Sempronischen eine "maessige, fuer den Staat ertraegliche und fuer das gemeine Volk notwendige Spendung" (Cic. off. 2, 21, 72; Brut. 62, 222) einfuehrte; und allem Anschein nach ist ebendies Gesetz die von Licinianus erwaehnte lex frumentaria. Dass Lepidus sich auf einen solchen Ausgleichsvorschlag einliess, stimmt zu seinem Verhalten in Betreff der Restitution des Tribunats. Ebenso passt es zu den Verhaeltnissen, dass die Demokratie durch die hiermit herbeigefuehrte Regulierung der Kornverteilung sich keineswegs befriedigt fand (Sallust a. a. O.). Die Verlustsumme ist danach berechnet, dass das Getreide mindestens den doppelten Wert hatte; wenn die Piraterie oder andere Ursachen die Kornpreise in die Hoehe trieben, musste sich ein noch weit betraechtlicherer Schaden herausstellen. ^6 Aus den Truemmern des Licinianischen Berichts (p. 44 Bonn) geht auch dies hervor, dass der Beschluss des Senats: "uti Lepidus et Catulus decretis exercitibus maturrume proficiscerentur" (Sall. hist. 1, 14 Dietsch) - nicht von einer Entsendung der Konsuln vor Ablauf des Konsulats in ihre prokonsularischen Provinzen zu verstehen ist, wozu es auch an jedem Grunde gefehlt haben wuerde, sondern von der Sendung nach Etrurien gegen die aufstaendischen Faesulaner, ganz aehnlich wie im Catilinarischen Kriege der Konsul Gaius Antonius ebendorthin geschickt ward. Wenn Philippus bei Sallust (hist. 1, 84, 4) sagt dass Lepidus ob seditionem provinciam cum exercitu adeptus est so ist dies damit vollstaendig im Einklang; denn das ausserordentliche konsularische Kommando in Etrurien ist ebensowohl eine provincia wie das ordentliche prokonsularische im Narbonensischen Gallien. ------------------------------------------------ Ueber Lepidus also hafte die Oligarchie gesiegt; dagegen sah sie sich durch die gefaehrliche Wendung des Sertorianischen Krieges zu Zugestaendnissen genoetigt, die den Buchstaben wie den Geist der Sullanischen Verfassung verletzten. Es war schlechterdings notwendig, ein starkes Heer und einen faehigen Feldherrn nach Spanien zu senden; und Pompeius gab sehr deutlich zu verstehen, dass er diesen Auftrag wuensche oder vielmehr fordere. Die Zumutung war stark. Es war schon uebel genug, dass man diesen geheimen Gegner in dem Drange der Lepidianischen Revolution wieder zu einem ausserordentlichen Kommando hatte gelangen lassen; aber noch viel bedenklicher war es, mit Beseitigung aller von Sulla aufgestellten Regeln der Beamtenhierarchie einem Manne, der noch kein buergerliches Amt bekleidet hatte, eine der wichtigsten ordentlichen Provinzialstatthalterschaften in einer Art zu uebertragen, wobei an Einhaltung der gesetzlichen Jahresfrist nicht zu denken war. Die Oligarchie hatte somit, auch abgesehen von der ihrem Feldherrn Metellus schuldigen Ruecksicht, wohl Ursache, diesem neuen Versuch des ehrgeizigen Juenglings, seine Sonderstellung zu verewigen, allen Ernstes sich zu widersetzen; allein leicht war dies nicht. Zunaechst fehlte es ihr durchaus an einem fuer den schwierigen spanischen Feldherrnposten geeigneten Mann. Keiner der Konsuln des Jahres bezeigte L
ust, sich mit Sertorius zu messen, und man musste es hinnehmen, was Lucius Philippus in voller Ratsversammlung sagte, dass unter den saemtlichen namhaften Senatoren nicht einer faehig und willig sei, in einem ernsthaften Kriege zu kommandieren. Vielleicht haette man dennoch hierueber sich hinweggesetzt und nach Oligarchenart, da man keinen faehigen Kandidaten hatte, die Stelle mit irgendeinem Lueckenbuesser ausgefuellt, wenn Pompeius den Befehl bloss gewuenscht und nicht ihn an der Spitze einer Armee gefordert haette. Catulus’ Weisungen, das Heer zu entlassen, hatte er bereits ueberhoert; es war mindestens zweifelhaft, ob die des Senats eine bessere Aufnahme finden wuerden, und die Folgen eines Bruchs konnte niemand berechnen - gar leicht konnte die Schale der Aristokratie emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das Schwert eines bekannten Generals fiel. So entschloss sich die Majoritaet zur Nachgiebigkeit. Nicht vom Volke, das hier, wo es um die Bekleidung eines Privatmannes mit der hoechsten Amtsgewalt sich handelte, verfassungsmaessig haette befragt werden muessen, sondern vom Senate empfing Pompeius die prokonsularische Gewalt und den Oberbefehl im diesseitigen Spanien und ging vierzig Tage nach dessen Empfang, im Sommer 677 (77), ueber die Alpen. Zunaechst fand der neue Feldherr im Keltenland zu tun, wo zwar eine foermliche Insurrektion nicht ausgebrochen, aber doch an mehreren Orten die Ruhe ernstlich gestoert worden war; infolgedessen Pompeius den Kantons der Volker- Arekomiker und der Helvier ihre Selbstaendigkeit entzog und sie unter Massalia legte. Auch ward von ihm durch Anlegung einer neuen Alpenstrasse ueber den Kottischen Berg (Mont Genevre; 2, 105) eine kuerzere Verbindung zwischen dem Potal und dem Keltenlande hergestellt. ueber dieser Arbeit verfloss die gute Jahreszeit: erst spaet im Herbst ueberschritt Pompeius die Pyrenaeen. Sertorius hatte inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die jenseitige Provinz entsandt, um Metellus in Schach zu halten, und war selbst bemueht, seinen vollstaendigen Sieg in der diesseitigen zu verfolgen und sich auf Pompeius’ Empfang vorzubereiten. Die einzelnen keltiberischen Staedte, die hier noch zu Rom hielten, wurden angegriffen und eine nach der andern bezwungen; zuletzt, schon mitten im Winter, war das feste Contrebia (suedoestlich von Saragossa) gefallen. Vergeblich hatten die bedraengten Staedte Boten ueber Boten an Pompeius gesandt: er liess sich durch keine Bitten aus seinem gewohnten Geleise langsamen Vorschreitens bringen. Mit Ausnahme der Seestaedte, die durch die roemische Flotte verteidigt wurden, und der Distrikte der Indigeten und Laletaner im nordoestlichen Winkel Spaniens, wo Pompeius, als er endlich die Pyrenaeen ueberschritten, sich festsetzte und seine ungeuebten Truppen, um sie an die Strapazen zu gewoehnen, den Winter hindurch biwakieren liess, war am Ende des Jahres 677 (77) das ganze diesseitige Spanien durch Vertrag oder Gewalt von Sertorius abhaengig geworden, und die Landschaft am oberen und mittleren Ebro blieb seitdem die festeste Stuetze seiner Macht. Selbst die Besorgnis, die das frische roemische Heer und der gefeierte Name des Feldherrn in der Insurgentenarmee hervorrief, hatte fuer dieselbe heilsame Folgen. Marcus Perpenna, der bis dahin als Sertorius im Range gleich auf ein selbstaendiges Kommando ueber die von ihm aus Ligurien mitgebrachte Mannschaft Anspruch gemacht hatte, wurde auf die Nachricht von Pompeius’ Eintreffen in Spanien von seinen Soldaten genoetigt, sich unter die Befehle seines faehigeren Kollegen zu stellen. Fuer den Feldzug des Jahres 678 (76) verwandte Sertorius gegen Metellus wieder das Korps das Hirtuleius, waehrend Perpenna mit einem starken Heer am unteren Laufe des Ebro sich aufstellte, um Pompeius den Uebergang ueber diesen Fluss zu wehren, wenn er, wie zu erwarten war, in der Absicht, Metellus die Hand zu reichen, in suedlicher Richtung und, der Verpflegung seiner Truppen wegen, an der Kueste entlang marschieren wuerde. Zu Perpennas Unterstuetzung war zunaechst das Korps des Gaius Herennius bestimmt; weiter landeinwaerts, am oberen Ebro, holte Sertorius selbst die Unterwerfung einzelner, roemisch gesinnter Distrikte nach und hielt zugleich sich dort bereit, nach den Umstaenden Perpenna oder Hirtuleius zu Hilfe zu eilen. Auch diesmal war seine Absicht darauf gerichtet, jeder Hauptschlacht auszuweichen und den Feind durch kleine Kaempfe und Abschneiden der Zufuhr aufzureiben. Indes Pompeius erzwang gegen Perpenna den Uebergang ueber den Ebro und nahm Stellung am Fluss Pallantia bei Saguntum, unweit des Vorgebirgs der Diana, von wo aus, wie schon gesagt ward, die Sertorianer ihre Verbindungen mit Italien und dem Osten unterhielten. Es war Zeit, dass Sertorius selber erschien und die Ueberlegenheit seiner Truppenzahl und seines Genies gegen die groessere Tuechtigkeit der Soldaten seines Gegners in die Waagschale warf. Um die Stadt Lauro (am Xucar suedlich von Valencia), die sich fuer Pompeius erklaert hatte und deshalb von Sertorius belagert ward, konzentrierte der Kampf sich laengere Zeit. Pompeius strengte sich aufs aeusserste an, sie zu entsetzen; allein nachdem vorher ihm mehrere Abteilungen einzeln ueberfallen und zusammengehauen worden waren, sah sich der grosse Kriegsmann, ebenda er die Sertorianer umzingelt zu haben meinte und schon die Belagerten eingeladen hatte, dem Abfangen der Belagerungsarmee zuzuschauen, ploetzlich vollstaendig ausmanoevriert und musste, um nicht selber umzingelt zu werden, die Einnahme und Einaescherung der verbuendeten Stadt und die Abfuehrung der Einwohner nach Lusitanien von seinem Lager aus ansehen - ein Ereignis, das eine Reihe schwankend gewordener Staedte im mittleren und oestlichen Spanien wieder an Sertorius festzuhalten bestimmte. Gluecklicher focht inzwischen Metellus. In einem heftigen Treffen bei Italica (unweit Sevilla), das Hirtuleius unvorsichtig gewagt hatte und in dem beide Feldherrn persoenlich ins Handgemenge kamen, Hirtuleius auch verwundet ward, schlug er diesen und zwang ihn, das eigentliche roemische Gebiet zu raeumen und sich nach Lusitanien zu werfen. Dieser Sieg gestattete Metellus, sich mit Pompeius zu vereinigen. Die Winterquartiere 678/79 (76/75) nahmen beide Feldherren an den Pyrenaeen. Fuer den naechsten Feldzug 679 (75), beschlossen sie, den Feind in seiner Stellung bei Valentia gemeinschaftlich anzugreifen. Aber waehrend Metellus heranzog, bot Pompeius, um die Scharte von Lauro auszuwetzen und die gehofften Lorbeeren womoeglich allein zu gewinnen, vorher dem feindlichen Hauptheer die Schlacht an. Mit Freuden ergriff Sertorius die Gelegenheit, mit Pompeius zu schlagen, bevor Metellus eintraf. Am Flusse Sucro (Xucar) trafen die Heere aufeinander; nach heftigem Gefecht ward Pompeius auf dem rechten Fluegel geschlagen und selbst schwer verwundet vom Schlachtfelde weggetragen. Zwar siegte Afranius mit dem linken und nahm das Lager der Sertorianer, allein waehrend der Pluenderung von Sertorius ueberrascht, ward auch er gezwungen zu weichen. Haette Sertorius am folgenden Tage die Schlacht zu erneuern vermocht, Pompeius’ Heer waere vielleicht vernichtet worden. Allein inzwischen war Metellus herangekommen, hatte das gegen ihn aufgestellte Korps des Perpenna niedergerannt und dessen Lager genommen; es war nicht moeglich, die Schlacht gegen die beiden vereinigten Heere wiederaufzunehmen. Die Erfolge des Metellus, die Vereinigung der feindlichen Streitkraefte, das ploetzliche Stocken nach dem Sieg verbreiteten Schrecken unter den Sertorianern, und wie es bei spanischen Heeren nicht selten vorkam, verlief infolge dieses Umschwungs der Dinge sich der groesste Teil der sertorianischen Soldaten. Indes die Entmutigung verflog so rasch wie sie gekommen war; die weisse Hindin, die die militaerischen Plaene des Feldherrn bei der Menge vertrat, war bald wieder populaerer als je; in kurzer Zeit trat in der gleichen Gegend, suedlich von Saguntum (Murviedro), das fest an Rom hielt, Sertorius mit einer neuen Armee den Roemern entgegen, waehrend die sertorianischen Kaper den Roemern die Zufuhr von der Seeseite erschwerten und bereits im roemischen Lager der Mangel sich bemerklich machte. Es kam abermals zur Schlacht in den Ebenen des Turiaflusses (Guadalaviar), und lange schwankte der Kampf. Pompeius mit der Reiterei ward von Sertorius geschlagen und sein Schwager und Quaestor, der tapfere Lucius Memmius, getoetet; dagegen ueberwand Metellus den Perpenna und schlug den gegen ihn gerichteten Angriff der feindlichen Hauptarmee siegreich zurueck, wobei er selbst im Handgemenge eine Wunde empfing. Abermals zerstreute sich hierauf das Sertorianische Heer. Valentia, das Gaius Herennius fuer Sertorius besetzt hielt, ward eingenommen und geschleift. Roemischerseits mochte man einen Augenblick der Hoffnung sich hingeben mit dem zaehen Gegner fertig zu sein. Die Sertorianische Armee war verschwunden; die roemischen Truppen, tief in das Binnenland eingedrungen, belagerten den Feldherrn selbst in der Festung Clunia am oberen Duero. Allein waehrend sie vergeblich diese Felsenburg umstanden, sammelten sich anderswo die Kontingente der insurgierten Gemeinden; Sertorius entschluepfte aus der Festung und stand noch vor Ablauf des Jahres wieder als Feldherr an der Spitze einer Armee. Wieder mussten die roemischen Feldherrn mit der trostlosen Aussicht auf die unausbleibliche Erneuerung der sisypheischen Kriegsarbeit die Winterquartiere beziehen. Es war nicht einmal moeglich, sie in dem wegen der Kommunikation mit Italien und dem Osten so wichtigen, aber von Freund und Feind entsetzlich verheerten Gebiet von Valentia zu nehmen; Pompeius fuehrte seine Truppen zunaechst in das Gebiet der Vasconen ^7 (Biscaya) und ueberwinterte dann in dem der Vaccaeer (um Valladolid), Metellus gar in Gallien. --------------------------------------------- ^7 In den neu gefundenen Sallustischen Bruchstuecken, welche dem Ende des Feldzuges von 75 anzugehoeren scheinen, gehoeren hierher die Worte: Romanus [exer]citus (des Pompeius) frumenti gra[tia r]emotus in Vascones i .. [it]emque Sertorius mon ...o, cuius multum in[terer]at, ne ei perinde Asiae [iter et Italiae intercluderetur]. --------------------------------------------- Fuenf Jahre waehrte also der Sertorianische Krieg und noch war weder hueben noch drueben ein Ende abzusehen. Unbeschreiblich litt unter demselben der Staat. Eine Bluete der italischen Jugend ging in den aufreibenden Strapazen dieser Feldzuege zugrunde. Die oeffentlichen Kassen entbehrten nicht bloss die spanischen Einnahmen, sondern hatten auch fuer die Besoldung und Verpflegung der spanischen Heere jaehrlich sehr ansehnliche Summen nach Spanien zu senden, die man kaum aufzubringen wusste. Dass Spanien veroedete und verarmte und die so schoen daselbst sich entfaltende roemische Zivilisation einen schweren Stoss erhielt, versteht sich von selbst, zumal bei einem so erbittert gefuehrten und nur zu oft die Vernichtung ganzer Gemeinden veranlassenden Insurrektionskrieg. Selbst die Staedte, die zu der in Rom herrschenden Partei hielten, hatten unsaegliche Not zu erdulden; die an der Kueste gelegenen mussten durch die roemische Flotte mit dem Notwendigen versehen werden, und die Lage der treuen binnenlaendischen Gemeinden war beinahe verzweifelt. Fast nicht weniger litt die gallische Landschaft, teils durch die Requisitionen an Zuzug zu Fuss und zu Pferde, an Getreide und Geld, teils durch die drueckende Last der Winterquartiere, die infolge der Missernte 680 (74) sich ins unertraegliche steigerte; fast alle Gemeindekassen waren genoetigt, zu den roemischen Bankiers ihre Zuflucht zu nehmen und eine erdrueckende Schuldenlast sich aufzubuerden. Feldherren und Soldaten fuehrten den Krieg mit Widerwillen. Die Feldherren waren getroffen auf einen an Talent weit ueberlegenen Gegner, auf einen langweilig zaehen Widerstand, auf einen Krieg sehr ernsthafter Gefahren und schwer erfochtener, wenig glaenzender Erfolge; es ward behauptet, dass Pompeius damit umgehe, sich aus Spanien abberufen und irgend anderswo ein erwuenschteres Kommando sich uebertragen zu lassen. Die Soldaten waren gleichfalls wenig erbaut von einem Feldzug, in dem es nicht allein weiter nichts zu holen gab als harte Schlaege und wertlose Beute, sondern auch ihr Sold ihnen hoechst unregelmaessig gezahlt ward; Pompeius berichtete Ende 679 (75) an den Senat, dass seit zwei Jahren der Sold im Rueckstand sei und das Heer sich aufzuloesen drohe. Einen ansehnlichen Teil dieser Uebelstaende haette die roemische Regierung allerdings zu beseitigen vermocht, wenn sie es ueber sich haette gewinnen koennen, den Spanischen Krieg mit minderer Schlaffheit, um nicht zu sagen mit besserem Willen zu fuehren. In der Hauptsache aber war es weder ihre Schuld noch die Schuld der Feldherren, dass ein so ueberlegenes Genie, wie Sertorius war, auf einem fuer den Insurrektionsund Korsarenkrieg so ueberaus guenstigen Boden aller numerischen und militaerischen Ueberlegenheit zum Trotz den kleinen Krieg Jahre und Jahre fortzufuehren vermochte. Ein Ende war hier so wenig abzusehen, dass vielmehr die Sertorianische Insurrektion sich mit andern gleichzeitigen Aufstaenden verschlingen und dadurch ihre Gefaehrlichkeit steigern zu wollen schien. Ebendamals ward auf allen Meeren mit den Flibustierflotten, ward in Italien mit den aufstaendischen Sklaven, in Makedonien mit den Voelkerschaften an der unteren Donau gefochten, und entschloss sich im Osten Koenig Mithradates, mitbestimmt durch die Erfolge der spanischen Insurrektion, das Glueck der Waffen noch einmal zu versuchen. Dass Sertorius mit den italischen und makedonischen Feinden Roms Verbindungen angeknuepft hat, laesst sich nicht bestimmt erweisen, obwohl er allerdings mit den Marianern in Italien in bestaendigem Verkehr stand; mit den Piraten dagegen hatte er schon frueher offenes Buendnis gemacht, und mit dem pontischen Koenig, mit welchem er laengst durch Vermittlung der an dessen Hof verweilenden roemischen Emigranten Einverstaendnisse unterhalten hatte, schloss er jetzt einen foermlichen Allianztraktat, in dem Sertorius dem Koenig die kleinasiatischen Klientelstaaten, nicht aber die roemische Provinz Asia abtrat, ueberdies ihm einen zum Fuehrer seiner Truppen geeigneten Offizier und eine Anzahl Soldaten zu senden versprach, der Koenig dagegen ihm 40 Schiffe und 3000 Talente (4« Mill. Taler) zu ueberweisen sich anheischig machte. Schon erinnerten die klugen Politiker in der Hauptstadt an die Zeit, als Italien sich durch Philippos und durch Hannibal von Osten und von Westen aus bedroht sah; der neue Hannibal, meinte man, koenne, nachdem er, wie sein Vorfahr, Spanien durch sich selbst bezwungen, eben wie dieser mit den Steilkraeften Spaniens in Italien gar leicht frueher als Pompeius eintreffen, um, wie einst der Phoeniker, die Etrusker und Samniten gegen Rom unter die Waffen zu rufen. Indes dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig. Sertorius war bei weitem nicht stark genug, um das Riesenunternehmen Hannibals zu erneuern; er war verloren, wenn er Spanien verliess, an dessen Landesund Volkseigentuemlichkeit all seine Erfolge hingen, und auch hier mehr und mehr genoetigt, der Offensive zu entsagen. Sein bewundernswertes Fuehrergeschick konnte die Beschaffenheit seiner Truppen nicht aendern; der spanische Landsturm blieb, was er war, unzuverlaessig wie die Welle und der Wind, bald in Massen bis zu 150000 Koepfen versammelt, bald wieder auf eine Handvoll Leute zusammengeschmolzen; in gleicher Weise blieben die roemischen Emigranten unbotmaessig, hoffaertig und eigensinnig. Die Waffengattungen, die laengeres Zusammenhalten der Korps erfordern, wie namentlich die Reiterei, waren natuerlich in seinem Heer sehr ungenuegend vertreten. Seine faehigsten Offiziere und den Kern seiner Veteranen rieb der Krieg allmaehlich auf, und auch die zuverlaessigsten Gemeinden fingen an, der Plackerei durch die Roemer und der Misshandlung durch die Sertorianischen Offiziere muede zu werden und Zeichen der Ungeduld und der schwankenden Treue zu geben. Es ist bemerkenswert, dass Sertorius, auch darin Hannibal gleich, niemals ueber die Hoffnungslosigkeit seiner Stellung sich getaeuscht hat; er liess keine Gegenheil voruebergehen, um einen Vergleich herbeizufuehren und waere jeden Augenblick bereit gewesen, gegen die Zusicherung, in seiner Heimat friedlich leben zu duerfen, seinen Kommandostab niederzulegen. Allein die politische Orthodoxie weiss nichts von Vergleich und Versoehnung. Sertorius durfte nicht rueckwaerts noch seitwaerts; unvermeidlich musste er weiter auf der einmal betretenen Bahn, wie sie auch schmaler und schwindelnder ward. Pompeius’ Vorstellungen in Rom, denen Mithradates’ Auftreten im Osten Nachdruck gab, hatten Erfolg. Er erhielt vom Senat die noetigen Gelder zugesandt und Verstaerkung durch zwei frische Legionen. So gingen die beiden Feldherren im Fruehjahr 680 (74) wieder an die Arbeit und ueberschritten aufs neue den Ebro. Das oestliche Spanien war infolge der Schlachten am Xucar und Guadalaviar den Sertorianern entrissen; der Kampf konzentrierte sich fortan am oberen und mittleren Ebro um die Hauptwaffenplaetze der Sertorianer Calagurris, Osca, Ilerda. Wie Metellus in den frueheren Feldzuegen das Beste getan hatte, so gewann er auch diesmal die wichtigsten Erfolge. Sein alter Gegner Hirtuleius, der ihm wieder entgegentrat, ward vollstaendig geschlagen und fiel selbst mit seinem Bruder - ein unersetzlicher Verlust fuer die Sertorianer. Sertorius, den die Ungluecksbotschaft erreichte, als er selbst im Begriff war, die ihm gegenueberstehenden Feinde anzugreifen, stiess den Boten nieder, damit die Nachricht die Seinigen nicht entmutigte; aber lange war die Kunde nicht zu verbergen. Eine Stadt nach der andern ergab sich. Metellus besetzte die keltiberischen Staedte Segobriga (zwischen Toledo und Cuenca) und Bilbilis (bei Calatayud). Pompeius belagerte Pallantia (Palencia oberhalb Valladolid), das aber Sertorius entsetzte und den Pompeius noetigte, sich auf Metellus zurueckzuziehen; vor Calagurris (Calahorra am oberen Ebro), wohin Sertorius sich geworfen, erlitten sie beide empfindliche Verluste. Dennoch konnten sie, als sie in die Winterquartiere gingen, Pompeius nach Gallien, Metellus in seine eigene Provinz, auf betraechtliche Erfolge zuruecksehen; ein grosser Teil der Insurgenten hatte sich gefuegt oder war mit den Waffen bezwungen worden. In aehnlicher Weise verlief der Feldzug des folgenden Jahres (681 78); in diesem war es vor allem Pompeius, der langsam, aber stetig das Gebiet der Insurrektion einschraenkte. Der Rueckschlag des Niedergangs ihrer Waffen auf die Stimmung im Insurgentenlager blieb nicht aus. Wie Hannibals wurden auch Sertorius’ kriegerische Erfolge notwendig immer geringer; man fing an, sein militaerisches Talent in Zweifel zu ziehen; er sei nicht mehr der alte, hiess es, er verbringe der Tag beim Schmaus oder beim Becher und verschleudere die Gelder wie die Stunden. Die Zahl der Ausreisser, der abfallenden Gemeinden mehrte sich. Bald kamen Plaene der roemischen Emigranten gegen das Leben des Feldherrn bei diesem zur Anzeige; sie klangen glaublich genug, zumal da so manche Offiziere der Insurgentenarmee, namentlich Perpenna, nur widerwillig sich unter den Oberbefehl des Sertorius gefuegt hatten und seit langem von den roemischen Statthaltern dem Moerder des feindlichen Oberfeldherrn Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt war. Sertorius entzog auf jene Inzichten hin die Hut seiner Person den roemischen Soldaten und gab sie erlesenen Spaniern. Gegen die Verdaechtigen selbst schritt er mit furchtbarer, aber notwendiger Strenge ein und verurteilte, ohne wie sonst Ratmaenner zuzuziehen, verschiedene Angeschuldigte zum Tode; den Freunden, hiess es darauf in den Kreisen der Missvergnuegten, sei er jetzt gefaehrlicher als den Feinden. Bald ward eine zweite Verschwoerung entdeckt, die ihren Sitz in seinem eigenen Stabe hatte; wer zur Anzeige gebracht ward, musste fluechtig werden oder sterben, aber nicht alle wurden verraten und die uebrigen Verschworenen, unter ihnen vor allem Perpenna, fanden hierin nur einen Antrieb, sich zu eilen. Man befand sich im Hauptquartier zu Osca. Hier ward auf Perpennas Veranstaltung dem Feldherrn ein glaenzender Sieg berichtet, den seine Truppen erfochten haetten; und bei der zur Feier dieses Sieges von Perpenna veranstalteten festlichen Mahlzeit erschien denn auch Sertorius, begleitet, wie er pflegte, von seinem spanischen Gefolge. Gegen den sonstigen Brauch im Sertorianischen Hauptquartier ward das Fest bald zum Bacchanal; wueste Reden flogen ueber den Tisch, und es schien, als wenn einige der Gaeste Gelegenheit suchten, einen Wortwechsel zu beginnen; Sertorius warf sich auf seinem Lager zurueck und schien den Laerm ueberhoeren zu wollen. Da klirrte eine Trinkschale auf den Boden: Perpenna gab das verabredete Zeichen. Marcus Antonius, Sertorius’ Nachbar bei Tische, fuehrte den ersten Streich gegen ihn, und da der Getroffene sich umwandte und sich aufzurichten versuchte, stuerzte der Moerder sich ueber ihn und hielt ihn nieder, bis die uebrigen Tischgaeste, saemtlich Teilnehmer der Verschwoerung, sich auf die Ringenden warfen und den wehrlosen, an beiden Armen festgehaltenen Feldherrn erstachen (682 72). Mit ihm starben seine treuen Begleiter. So endigte einer der groessten, wo nicht der groesste Mann, den Rom bisher hervorgebracht, ein Mann, der unter gluecklicheren Umstaenden vielleicht der Regenerator seines Vaterlandes geworden sein wuerde, durch den Verrat der elenden Emigrantenbande, die er gegen die Heimat zu fuehren verdammt war. Die Geschichte liebt die Coriolane nicht; auch mit diesem hochherzigsten, genialsten, bedauernswertesten unter allen hat sie keine Ausnahme gemacht. Die Erbschaft des Gemordeten dachten die Moerder zu tun. Nach Sertorius’ Tode machte Perpenna als der hoechste unter den roemischen Offizieren der spanischen Armee Ansprueche auf den Oberbefehl. Man fuegte sich, aber misstrauend und widerstrebend. Wie man auch gegen Sertorius bei seinen Lebzeiten gemurrt hatte, der Tod setzte den Helden wieder in sein Recht ein, und gewaltig brauste der Unwille der Soldaten auf, als bei der Publikation seines Testaments unter den Namen der Erben auch der des Perpenna verlesen ward. Ein Teil der Soldaten, namentlich die lusitanischen, verliefen sich; die zurueckgebliebenen beschlich die Ahnung, dass mit Sertorius’ Tode der Geist und das Glueck von ihnen gewichen sei. Bei der ersten Begegnung mit Pompeius wurden denn auch die elend gefuehrten und mutlosen Insurgentenhaufen vollstaendig zersprengt und unter anderen Offizieren auch Perpenna gefangen eingebracht. Durch die Auslieferung der Korrespondenz des Sertorius, die zahlreiche angesehene Maenner in Italien kompromittiert haben wuerde, suchte der Elende sich das Leben zu erkaufen; indes Pompeius befahl, die Papiere ungelesen zu verbrennen und ueberantwortete ihn sowie die uebrigen Insurgentenchefs dem Scharfrichter. Die entkommenen Emigranten verliefen sich und gingen groesstenteils in die mauretanischen Wuesten oder zu den Piraten. Einem Teil derselben eroeffnete bald darauf das Plotische Gesetz, das namentlich der junge Caesar eifrig unterstuetzte, die Rueckkehr in die Heimat; diejenigen aber, die von ihnen an dem Morde des Sertorius teilgenommen hatten, starben, mit Ausnahme eines einzigen, saemtlich eines gewaltsamen Todes. Osca und ueberhaupt die meisten Staedte, die im Diesseitigen Spanien noch zu Sertorius gehalten hatten, oeffneten dem Pompeius jetzt freiwillig ihre Tore; nur Uxama (Osma), Clunia und Calagurris mussten mit den Waffen bezwungen werden. Die beiden Provinzen wurden neu geordnet; in der jenseitigen erhoehte Metellus den schuldigsten Gemeinden die Jahrestribute; in der diesseitigen schaltete Pompeius belohnend und bestrafend, wie zum Beispiel Calagurris seine Selbstaendigkeit verlor und unter Osca gelegt ward. Einen Haufen Sertorianischer Soldaten, der in den Pyrenaeen sich zusammengefunden hatte, bewog Pompeius zur Unterwerfung und siedelte ihn nordwaerts der Pyrenaeen bei Lugudunum (St. Bertrand im Departement Haute- Garonne) als die Gemeinde der "Zusammengelaufenen" (convenae) an. Auf der Passhoehe der Pyrenaeen wurden die roemischen Siegeszeichen errichtet; am Ende des Jahres 683 (71) zogen Metellus und Pompeius mit ihren Heeren durch die Strassen der Hauptstadt, um den Dank der Nation fuer die Besiegung der Spanier dem Vater Jovis auf dem Kapitol darzubringen. Noch ueber das Grab hinaus schien Sullas Glueck mit seiner Schoepfung zu sein und dieselbe besser zu schirmen als die zu ihrer Hut bestellten unfaehigen und schlaffen Waechter. Die italische Opposition hatte durch die Unfaehigkeit und Vorschnelligkeit ihres Fuehrers, die Emigration durch inneren Zwist sich selber gesprengt. Diese Niederlagen, obwohl weit mehr das Werk ihrer eigenen Verkehrtheit und Zerfahrenheit als der Anstrengungen ihrer Gegner, waren doch ebensoviele Siege der Oligarchie. Noch einmal waren die kurulischen Stuehle befestigt. 2. Kapitel Die Sullanische Restaurationsherrschaft Als nach Unterdrueckung der den Senat in seiner Existenz bedrohenden Cinnanischen Revolution es der restaurierten Senatsregierung moeglich ward, der inneren und aeusseren Sicherheit des Reiches wiederum die erforderliche Aufmerksamkeit zu widmen, zeigten sich der Angelegenheiten genug, deren Loesung nicht verschoben werden konnte, ohne die wichtigsten Interessen zu verletzen und gegenwaertige Unbequemlichkeiten zu kuenftigen Gefahren anwachsen zu lassen. Abgesehen von der sehr ernsten Verwicklung in Spanien war es schlechterdings notwendig teils die Barbaren in Thrakien und den Donaulaendern, die Sulla bei seinem Marsch durch Makedonien nur oberflaechlich hatte zuechtigen koennen, nachhaltig zu Paaren zu treiben und die verwirrten Verhaeltnisse an der Nordgrenze der griechischen Halbinsel militaerisch zu regulieren, teils den ueberall, namentlich aber in den oestlichen Gewaessern herrschenden Flibustierbanden gruendlich das Handwerk zu legen, teils endlich in die unklaren kleinasiatischen Verhaeltnisse eine bessere Ordnung zu bringen. Der Friede, den Sulla im Jahre 670 (84) mit Koenig Mithradates von Pontos abgeschlossen hatte und von dem der Vertrag mit Murena 673 (81) wesentlich eine Wiederholung war, trug durchaus den Stempel eines notduerftig fuer den Augenblick hergestellten Provisoriums; und das Verhaeltnis der Roemer zu Koenig Tigranes von Armenien, mit dem sie doch faktisch Krieg gefuehrt hatten, war in diesem Frieden ganz unberuehrt geblieben. Mit Recht hatte Tigranes darin die stillschweigende Erlaubnis gefunden, die roemischen Besitzungen in Asien in seine Gewalt zu bringen. Wenn dieselben nicht preisgegeben bleiben sollten, war es notwendig in Guete oder Gewalt mit dem neuen Grosskoenig Asiens sich abzufinden. Betrachten wir, nachdem in dem vorhergehenden Kapitel die mit dem demokratischen Treiben zusammenhaengende Bewegung in Italien und Spanien und deren Ueberwaeltigung durch die senatorische Regierung dargestellt wurde, in diesem das aeussere Regiment, wie die von Sulla eingesetzte Behoerde es gefuehrt oder auch nicht gefuehrt hat. Man erkennt noch Sullas kraeftige Hand in den energischen Massregeln, die in der letzten Zeit seiner Regentschaft der Senat ungefaehr gleichzeitig gegen die Sertorianer, gegen die Dalmater und Thraker und gegen die kilikischen Piraten verfuegte. Die Expedition nach der griechisch-illyrischen Halbinsel hatte den Zweck, teils die barbarischen Staemme botmaessig oder doch zahm zu machen, die das ganze Binnenland vom Schwarzen bis zum Adriatischen Meere durchstreiften und unter denen vornehmlich die Besser (im grossen Balkan), wie man damals sagte, selbst unter den Raeubern als Raeuber verrufen waren, teils die namentlich im dalmatischen Litoral sich bergenden Korsaren zu vernichten. Wie gewoehnlich ging der Angriff gleichzeitig von Dalmatien und von Makedonien aus, in welcher letzteren Provinz ein Heer von fuenf Legionen hierzu gesammelt ward. Der gewesene Praetor Gaius Cosconius, welcher in Dalmatien den Befehl fuehrte, durchstreifte das Land nach allen Richtungen und erstuermte nach zweijaehriger Belagerung die Festung Salona. In Makedonien versuchte der Prokonsul Appius Claudius (676 bis 678 78-76) zunaechst sich an der makedonisch-thrakischen Grenze der Berglandschaften am linken Ufer des Karasu zu bemeistern. Von beiden Seiten ward der Krieg mit arger Wildheit gefuehrt; die Thraker zerstoerten die eroberten Ortschaften und metzelten die Gefangenen nieder und die Roemer vergalten Gleiches mit Gleichem. Ernstliche Erfolge aber wurden nicht erreicht; die beschwerlichen Maersche und die bestaendigen Gefechte mit den zahlreichen und tapferen Gebirgsbewohnern dezimierten nutzlos die Armee; der Feldherr selbst erkrankte und starb. Sein Nachfolger Gaius Scribonius Curio (679-681 75-73) wurde durch mancherlei Hindernisse, namentlich auch durch einen nicht unbedeutenden Militaeraufstand bewogen, die schwierige Expedition gegen die Thraker fallen zu lassen und dafuer sich nach der makedonischen Nordgrenze zu wenden, wo er die schwaecheren Dardaner (in Serbien) unterwarf und bis an die Donau gelangte. Erst der tapfere und faehige Marcus Lucullus (682, 683 72, 71) rueckte wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm ihre Hauptstadt Uscudama (Adrianopel) und zwang sie, der roemischen Oberhoheit sich zu fuegen. Der Koenig der Odrysen, Sadalas, und die griechischen Staedte an der Ostkueste noerdlich und suedlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kallatis, Odessos (bei Varna), Mesembria und andere, wurden abhaengig von den Roemern; Thrakien, von dem die Roemer bisher kaum mehr inne gehabt hatten als die attalischen Besitzungen auf dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig botmaessiger Teil der Provinz Makedonien. Aber weit nachteiliger als die immer doch auf einen geringen Teil des Reiches sich beschraenkenden Raubzuege der Thraker und Dardaner war fuer den Staat wie fuer die einzelnen die Piraterie, die immer weiter um sich griff und immer fester sich organisierte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer in ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Produkte aus-, noch das Getreide aus den Provinzen einfuehren; dort hungerten die Leute, hier stockte wegen Mangels an Absatz die Bestellung der Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender war mehr sicher; die Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine grosse Anzahl angesehener Roemer wurde von den Korsaren aufgebracht und musste mit schweren Summen sich ranzionieren, wenn es nicht gar den Piraten beliebte, an einzelnen derselben das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit wildem Humor gewuerzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten bestimmten roemischen Truppenabteilungen fingen an, ihre Fahrten vorwiegend in die unguenstige Jahreszeit zu verlegen und die Winterstuerme weniger zu scheuen als die Piratenschiffe, die freilich selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom Meere verschwanden. Aber wie empfindlich die Sperrung der See war, sie war eher zu ertragen als die Heimsuchung der griechischen und kleinasiatischen Inseln und Kuesten. Ganz wie spaeter in der Normannenzeit liefen die Korsarengeschwader bei den Seestaedten an und zwangen sie, entweder mit grossen Summen sich loszukaufen, oder belagerten und stuermten sie mit gewaffneter Hand. Wenn unter Sullas Augen nach geschlossenem Frieden mit Mithradates Samothrake, Klazomenae, Samos, Iassos von den Piraten ausgeraubt wurden (670 84), so kann man sich denken, wie es da zuging, wo weder eine roemische Flotte noch ein roemisches Heer in der Naehe stand. All die alten reichen Tempel an den griechischen und kleinasiatischen Kuesten wurden nach der Reihe gepluendert; allein aus Samothrake soll ein Schatz von 1000 Talenten (1500000 Talern) weggefuehrt worden sein. Apollon, heisst es bei einem roemischen Dichter dieser Zeit, ist durch die Piraten so arm geworden, dass er, wenn die Schwalbe bei ihm auf Besuch ist, aus all seinen Schaetzen auch nicht ein Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man rechnete ueber vierhundert von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte Ortschaften, darunter Staedte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus nicht wenigen frueher bluehenden Inselund Kuestenplaetzen wanderte die gesamte Bevoelkerung aus, um nicht von den Piraten fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im Binnenland mehr war man vor denselben sicher; es kam vor, dass sie ein bis zwei Tagemaersche von der Kueste belegene Ortschaften ueberfielen. Die entsetzliche Verschuldung, der spaeterhin alle Gemeinden im griechischen Osten erliegen, stammt grossenteils aus diesen verhaengnisvollen Zeiten. Das Korsarenwesen hatte seinen Charakter gaenzlich veraendert. Es waren nicht mehr dreiste Schnapphaehne, die in den kretischen Gewaessern zwischen Kyrene und dem Peloponnes - in der Flibustiersprache dem "goldenen Meer" - von dem grossen Zug des italisch-orientalischen Sklavenund Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch nicht mehr bewaffnete Sklavenfaenger, die "Krieg, Handel und Piraterie" ebenmaessig nebeneinander betrieben, es war ein Korsarenstaat mit einem eigentuemlichen Gemeingeist; mit einer festen, sehr respektablen Organisation, mit einer eigenen Heimat und den Anfaengen einer Symmachie, ohne Zweifel auch mit bestimmten politischen Zwecken. Die Flibustier nannten sich Kiliker; in der Tat fanden auf ihren Schiffen die Verzweifelten und Abenteurer aller Nationen sich zusammen: die entlassenen Soeldner von den kretischen Werbeplaetzen, die Buerger der vernichteten Ortschaften Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten und Offiziere aus Fimbrias und Sertorius’ Heeren, ueberhaupt die verdorbenen Leute aller Nationen, die gehetzten Fluechtlinge aller ueberwundenen Parteien, alles was elend und verwegen war - und wo war nicht Jammer und Frevel in dieser unseligen Zeit? Es war keine zusammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein geschlossener Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Aechtung und der Missetat an die Stelle der Nationalitaet trat und innerhalb dessen das Verbrechen, wie so oft, vor sich selbst sich rettete in den hochherzigsten Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feigheit und Unbotmaessigkeit alle Bande der gesellschaftlichen Ordnung erschlafft hatten, mochten die legitimen Gemeinwesen sich ein Muster nehmen an diesem Bastardstaat der Not und Gewalt, in den allein von allen das unverbruechliche Zusammenstehen, der kameradschaftliche Sinn, die Achtung vor dem gegebenen Treuwort und den selbstgewaehlten Haeuptern, die Tapferkeit und die Gewandtheit sich gefluechtet zu haben schienen. Wenn auf der Fahne dieses Staats die Rache an der buergerlichen Gesellschaft geschrieben war, die, mit Recht oder mit Unrecht, seine Mitglieder von sich ausgestossen hatte, so liess sich darueber streiten, ob diese Devise viel schlechter war als die der italischen Oligarchie und des orientalischen Sultanismus, die im Zuge schienen, die Welt unter sich zu teilen. Die Korsaren wenigstens fuehlten jedem legitimen Staate sich ebenbuertig; von ihrem Raeuberstolz, ihrer Raeuberpracht und ihrem Raeuberhumor zeugt noch manche echte Flibustiergeschichte toller Lustigkeit und ritterlicher Banditenweise; sie meinten, und ruehmten sich dessen, in einem gerechten Krieg mit der ganzen Welt zu leben; was sie darin gewannen, das hiess ihnen nicht Raubgut, sondern Kriegsbeute; und wenn dem ergriffenen Flibustier in jedem roemischen Hafen das Kreuz gewiss war, so nahmen auch sie als ihr Recht in Anspruch, jeden ihrer Gefangenen hinrichten zu duerfen. Ihre militaerisch-politische Organisation war namentlich seit dem Mithradatischen Krieg festgeschlossen. Ihre Schiffe, groesstenteils "Mauskaehne", das heisst kleine, offene, schnellsegelnde Barken, nur zum kleineren Teil Zweiund Dreidecker, fuhren jetzt regelmaessig in Geschwader vereinigt und unter Admiralen, deren Barken in Gold und Purpur zu glaenzen pflegten. Dem bedrohten Kameraden, mochte er auch voellig unbekannt sein, weigerte kein Piratenkapitaen den erbetenen Beistand; der mit einem aus ihrer Mitte abgeschlossene Vertrag ward von der ganzen Gesellschaft unweigerlich anerkannt, aber auch jede einem zugefuegte Unbill von allen geahndet. Ihre rechte Heimat war das Meer von den Saeulen des Herkules bis in die syrischen und aegyptischen Gewaesser; die Zufluchtsstaetten, deren sie fuer sich und ihre schwimmenden Haeuser auf dem Festlande bedurften, gewaehrten ihnen bereitwillig die mauretanischen und dalmatischen Gestade, die Insel Kreta, vor allem die an Vorspruengen und Schlupfwinkeln reiche, die Hauptstrasse des Seehandels jener Zeit beherrschende und so gut wie herrenlose Suedkueste Kleinasiens. Der lykische Staedtebund daselbst und die pamphylischen Gemeinden hatten wenig zu bedeuten; die seit 652 (102) in Kilikien bestehende roemische Station reichte zur Beherrschung der weitlaeufigen Kueste bei weitem nicht aus; die syrische Herrschaft ueber Kilikien war immer nur nominell gewesen und seit kurzem gar ersetzt worden durch die armenische, deren Inhaber als echter Grosskoenig um das Meer gar nicht sich kuemmerte und dasselbe bereitwillig den Kilikern zur Pluenderung preisgab. So war es kein Wunder, wenn die Korsaren hier gediehen wie nirgends sonst. Nicht bloss besassen sie hier ueberall am Ufer Signalplaetze und Stationen, sondern auch weiter landeinwaerts, in den abgelegensten Verstecken des unwegsamen und gebirgigen lykischen, pamphylischen, kilikischen Binnenlandes, hatten sie sich ihre Felsschloesser erbaut, in denen, waehrend sie selbst zur See fuhren, sie ihre Weiber, Kinder und Schaetze bargen, auch wohl in gefaehrlichen Zeiten selbst dort eine Zufluchtsstaette fanden. Namentlich gab es solche Korsarenschloesser in grosser Zahl in dem rauhen Kilikien, dessen Waldungen zugleich den Piraten das vortrefflichste Holz zum Schiffbau lieferten und wo deshalb ihre hauptsaechlichsten Schiffbaustaetten und Arsenale sich befanden. Es war nicht zu verwundern, dass dieser geordnete Militaerstaat unter den mehr oder minder sich selber ueberlassenen und sich selber verwaltenden griechischen Seestaedten sich eine feste Klientel bildete, die mit den Piraten wie mit einer befreundeten Macht auf Grund bestimmter Vertraege in Handelsverkehr trat und der Aufforderung der roemischen Statthalter, Schiffe gegen sie zu stellen, nicht nachkam; wie denn zum Beispiel die nicht unbetraechtliche Stadt Side in Pamphylien den Piraten gestattete auf ihren Werften Schiffe zu bauen und die gefangenen Freien auf ihrem Marktplatz feilzubieten. Eine solche Seeraeuberschaft war eine politische Macht; und als politische Macht gab sie sich und ward sie genommen, seit zuerst der syrische Koenig Tryphon sie als solche benutzt und seine Herrschaft auf sie gestuetzt hatte. Wir finden die Piraten als Verbuendete des Koenigs Mithradates von Pontos sowie der roemischen demokratischen Emigration; wir finden sie Schlachten liefern gegen die Flotten Sullas in den oestlichen wie in den westlichen Gewaessern. Wir finden einzelne Piratenfuersten, die ueber eine Kette von ansehnlichen Kuestenplaetzen gebieten. Es laesst sich nicht sagen, wieweit die innere politische Entwicklung dieses schwimmenden Staates bereits gediehen war; aber unleugbar liegt in diesen Bildungen der Keim eines Seekoenigtums, das bereits sich ansaessig zu machen beginnt und aus dem unter guenstigen Verhaeltnissen wohl ein dauernder Staat sich haette entwickeln moegen. Es ist hiermit ausgesprochen und ward zum Teil schon frueher bezeichnet, wie die Roemer auf "ihrem Meere" die Ordnung hielten oder vielmehr nicht hielten. Roms Schutzherrschaft ueber die Aemter bestand wesentlich in der militaerischen Vormundschaft; fuer die in der Hand der Roemer vereinigte Verteidigung zur See und zu Lande zahlten oder zinsten den Roemern die Provinzialen. Aber wohl niemals hat ein Vormund seinen Muendel unverschaemter betrogen als die roemische Oligarchie die untertaenigen Gemeinden. Statt dass Rom eine allgemeine Reichsflotte aufgestellt und die Seepolizei zentralisiert haette, liess der Senat die einheitliche Oberleitung des Seepolizeiwesens, ohne die ebenhier gar nichts auszurichten war, gaenzlich fallen und ueberliess es jedem einzelnen Statthalter und jedem einzelnen Klientelstaat, sich der Piraten zu erwehren, wie jeder wollte und konnte. Statt dass Rom, wie es sich anheischig gemacht, das Flottenwesen mit seinem und der formell souveraen gebliebenen Klientelstaaten Gut und Blut ausschliesslich bestritten haette, liess man die italische Kriegsmarine eingehen und lernte sich behelfen mit den von den einzelnen Kaufstaedten requirierten Schiffen oder noch haeufiger mit den ueberall organisierten Strandwachen, wo dann in beiden Faellen alle Kosten und Beschwerden die Untertanen trafen. Die Provinzialen mochten sich gluecklich schaetzen, wenn der roemische Statthalter die fuer die Kuestenverteidigung ausgeschriebenen Requisitionen nur wirklich zu diesem Zwecke verwandte und nicht fuer sich unterschlug, oder wenn sie nicht, wie sehr haeufig geschah, angewiesen wurden, fuer einen von den Seeraeubern gefangenen vornehmen Roemer die Ranzion zu bezahlen. Was etwa Verstaendiges begonnen ward, wie die Besetzung Kilikiens 652 (102), verkuemmerte sicher in der Ausfuehrung. Wer von den Roemern dieser Zeit nicht gaenzlich in der gangbaren duseligen Vorstellung von nationaler Groesse befangen war, der haette wuenschen muessen, von der Rednerbuehne auf dem Markte die Schiffsschnaebel herabreissen zu duerfen, um wenigstens nicht stets durch sie an die in besserer Zeit erfochtenen Seesiege sich gemahnt zu finden. Indes tat doch Sulla, der in dem Kriege gegen Mithradates wahrlich hinreichend sich hatte ueberzeugen koennen, welche Gefahren die Vernachlaessigung des Flottenwesens mit sich bringe, verschiedene Schritte, um dem Uebel ernstlich zu steuern. Der Auftrag zwar, welchen er den von ihm in Asien eingesetzten Statthaltern zurueckgelassen, in den Seestaedten eine Flotte gegen die Seeraeuber auszuruesten, hatte wenig gefruchtet, da Murena es vorzog, Krieg mit Mithradates anzufangen, und der Statthalter von Kilikien, Gnaeus Dolabella, sich ganz unfaehig erwies. Deshalb beschloss im Jahre 675 (79) der Senat, einen der Konsuln nach Kilikien zu senden; das Los traf den tuechtigen Publius Servilius. Er schlug in einem blutigen Treffen die Flotte der Piraten und wandte sich darauf zur Zerstoerung derjenigen Staedte an der kleinasiatischen Suedkueste, die ihnen als Ankerplaetze und Handelsstationen dienten. Die Festungen des maechtigen Seefuersten Zeniketes: Olympos, Korykos, Phaselis im oestlichen Lykien, Attaleia in Pamphylien wurden gebrochen, und in den Flammen der Burg Olympos fand der Fuerst selbst den Tod. Weiter ging es gegen die Isaurer, welche im nordwestlichen Winkel des rauben Kilikiens am noerdlichen Abhang des Tauros ein mit prachtvollen Eichenwaeldern bedecktes Labyrinth von steilen Bergruecken, zerkluefteten Felsen und tiefgeschnittenen Taelern bewohnten - eine Gegend, die noch heute von den Erinnerungen an die alte Raeuberzeit erfuellt ist. Um diese isaurischen Felsennester, die letzten und sichersten Zufluchtsstaetten der Flibustier, zu bezwingen, fuehrte Servilius die erste roemische Armee ueber den Tauros und brach die feindlichen Festungen Oroanda und vor allem Isaura selbst, das Ideal einer Raeuberstadt, auf der Hoehe eines schwer zugaenglichen Bergzuges gelegen und die weite Ebene von Ikonion vollstaendig ueberschauend und beherrschend. Der erst im Jahre 679 (75) beendigte Krieg, aus dem Publius Servilius fuer sich und seine Nachkommen den Beinamen des Isaurikers heimbrachte, war nicht ohne Frucht; eine grosse Anzahl von Korsaren und Korsarenschiffen geriet durch denselben in die Gewalt der Roemer; Lykien, Pamphylien, Westkilikien wurden arg verheert, die Gebiete der zerstoerten Staedte eingezogen und die Provinz Kilikien mit ihnen erweitert. Allein es lag in der Natur der Sache, dass die Piraterie doch damit keineswegs unterdrueckt war, sondern nur sich zunaechst nach andern Gegenden, namentlich nach der aeltesten Herberge der Korsaren des Mittelmeers, nach Kreta, zog. Nur umfassend und einheitlich durchgefuehrte Repressivmassregeln oder vielmehr nur die Einrichtung einer staendigen Seepolizei konnten hier durchgreifende Abhilfe gewaehren. In vielfacher Beziehung mit diesem Seekrieg standen die Verhaeltnisse des kleinasiatischen Festlandes. Die Spannung, die hier zwischen Rom und den Koenigen von Pontos und Armenien bestand, liess nicht nach, sondern steigerte sich mehr und mehr. Auf der einen Seite griff Koenig Tigranes von Armenien in der ruecksichtslosesten Weise erobernd um sich. Die Parther, deren in dieser Zeit auch durch innere Unruhen zerrissener Staat tief daniederlag, wurden in andauernden Fehden weiter und weiter in das innere Asien zurueckgedraengt. Von den Landschaften zwischen Armenien, Mesopotamien und Iran wurden Corduene (noerdliches Kurdistan) und das Atropatenische Medien (Aserbeidschan) aus parthischen in armenische Lehnkoenigreiche verwandelt und das Reich von Ninive (Mosul) oder Adiabene, wenigstens voruebergehend, gleichfalls gezwungen, in die armenische Klientel einzutreten. Auch in Mesopotamien, namentlich in und um Nisibis, ward die armenische Herrschaft begruendet; nur die suedliche, grossenteils wueste Haelfte, scheint nicht in festen Besitz des neuen Grosskoenigs gekommen und namentlich Seleukeia am Tigris ihm nicht untertaenig geworden zu sein. Das Reich von Edessa oder Osrhoene uebergab er einem Stamme der schweifenden Araber, den er aus dem suedlichen Mesopotamien hierher verpflanzte und hier ansaessig machte, um durch ihn den Euphratuebergang und die grosse Handelsstrasse zu beherrschen ^1. Aber Tigranes beschraenkte seine Eroberungen keineswegs auf das oestliche Ufer des Euphrat. Vor allem Kappadokien war das Ziel seiner Angriffe und erlitt, wehrlos wie es war, von dem uebermaechtigen Nachbar vernichtende Schlaege. Die oestliche Landschaft Melitene riss Tigranes von Kappadokien ab und vereinigte sie mit der gegenueberliegenden armenischen Provinz Sophene, wodurch er den Euphratuebergang mit der grossen kleinasiatisch-armenischen Handelsstrasse in seine Gewalt bekam. Nach Sullas Tode rueckten die Armenier sogar in das eigentliche Kappadokien ein und fuehrten die Bewohner der Hauptstadt Mazaka (spaeter Caesarea) und elf anderer griechisch geordneter Staedte weg nach Armenien. Nicht mehr Widerstand vermochte das in voller Aufloesung begriffene Seleukidenreich dem neuen Grosskoenig entgegenzustellen. Hier herrschte im Sueden von der aegyptischen Grenze bis nach Stratons Turm (Caesarea) der Judenfuerst Alexandros Jannaeos, der im Kampfe mit den syrischen, aegyptischen und arabischen Nachbarn und mit den Reichsstaedten seine Herrschaft Schritt vor Schritt erweiterte und befestigte. Die groesseren Staedte Syriens, Gaza, Stratons Turm, Ptolemais, Beroea versuchten, sich bald als freie Gemeinden, bald unter sogenannten Tyrannen auf eigene Hand zu behaupten; vor allem die Hauptstadt Antiocheia war so gut wie selbstaendig. Damaskos und die Libanostaeler hatten sich dem nabataeischen Fuersten Aretas von Petra unterworfen. In Kilikien endlich herrschten die Seeraeuber oder die Roemer. Und um diese in tausend Splitter zerschellende Krone fuhren die Seleukidenprinzen, als gaelte es das Koenigtum allen zum Spott und zum Aergernis zu machen, beharrlich fort, untereinander zu hadern, ja, waehrend von diesem gleich dem Hause des Laios zum ewigen Zwiste verfluchten Geschlechte die eigenen Untertanen alle abtruennig wurden, sogar Ansprueche auf den durch den erblosen Abgang des Koenigs Alexander Il. erledigten Thron von Aegypten zu erheben. So griff Koenig Tigranes hier ohne Umstaende zu. Das oestliche Kilikien ward mit Leichtigkeit von ihm unterworfen und die Buergerschaften von Soloi und anderen Staedten ebenwie die kappadokischen nach Armenien abgefuehrt. Ebenso wurde die obere syrische Landschaft, mit Ausnahme der tapfer verteidigten Stadt Seleukeia an der Muendung des Orontes, und der groesste Teil von Phoenike mit den Waffen bezwungen: um 680 (74) ward Ptolemais von den Armeniern eingenommen und schon der Judenstaat ernstlich von ihnen bedroht. Die alte Hauptstadt der Seleukiden Antiocheia ward eine der Residenzen des Grosskoenigs. Bereits von dem Jahre 671 (83) an, dem naechsten nach dem Frieden zwischen Sulla und Mithradates, wird Tigranes in den syrischen Jahrbuechern als der Landesherr bezeichnet und erscheint Kilikien und Syrien als eine armenische Satrapie unter dem Statthalter des Grosskoenigs Magadates. Die Zeit der Koenige von Ninive, der Salmanassar und Sanherib, schien sich zu erneuern: wieder lastete der orientalische Despotismus schwer auf der handeltreibenden Bevoelkerung der syrischen Kueste, wie einst auf Tyros und Sidon; wieder warfen binnenlaendische Grossstaaten sich auf die Landschaften am Mittelmeer; wieder standen asiatische Heere von angeblich einer halben Million Streiter an den kilikischen und syrischen Kuesten. Wie einst Salmanassar und Nebukadnezar die Juden nach Babylon gefuehrt hatten, so mussten jetzt aus allen Grenzlandschaften des neuen Reiches, aus Corduene, Adiabene, Assyrien, Kilikien, Kappadokien, die Einwohner, namentlich die griechischen oder halbgriechischen Stadtbuerger, mit ihrer gesamten Habe bei Strafe der Konfiskation alles dessen, was sie zuruecklassen wuerden, sich zusammensiedeln in der neuen Residenz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Voelker als die Groesse der Herrscher verkuendigenden Riesenstaedten, wie sie in den Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkoenigtums auf das Machtwort des neuen Grosssultans aus der Erde springen. Die neue "Tigranesstadt", Tigranokerta, gegruendet an der Grenze Armeniens und Mesopotamiens und bestimmt zur Hauptstadt der neu fuer Armenien gewonnenen Gebiete, ward eine Stadt wie Ninive und Babylon, mit Mauern von fuenfzig Ellen Hoehe und den zum Sultanismus nun einmal mitgehoerigen Palast-, Gartenund Parkanlagen. Auch sonst verleugnete der neue Grosskoenig sich nicht: wie in der ewigen Kindheit des Ostens ueberhaupt die kindlichen Vorstellungen von den Koenigen mit wirklichen Kronen auf dem Haupte niemals verschwunden sind, so erschien auch Tigranes, wo er oeffentlich sich zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios und Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weissen, halb purpurnen Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem hohen Turban und der koeniglichen Stirnbinde, wo er ging und stand von vier "Koenigen" in Sklavenart begleitet und bedient. ------------------------------------------------------------ ^1 Das Reich von Edessa, dessen Gruendung die einheimischen Chroniken 620 (134) setzen, kam erst einige Zeit nach seiner Entstehung unter die arabische Dynastie der Abgaros und Mannos, die wir spaeter daselbst finden. Offenbar haengt dies zusammen mit der Ansiedlung vieler Araber durch Tigranes den Grossen in der Gegend von Edessa, Kallirhoe, Karrhae (Plin. nat. 5, 20, 85; 21, 86; 6, 28, 142); wovon auch Plutarch (Luc. 21) berichtet, dass Tigranes, die Sitten der Zeltaraber umwandelnd, sie seinem Reiche naeher ansiedelte, um durch sie des Handels sich zu bemaechtigen. Vermutlich ist dies so zu verstehen, dass die Beduinen, die gewohnt waren, durch ihr Gebiet Handelsstrassen zu eroeffnen und auf diesen feste Durchgangszoelle zu erheben (Strab. 14, 748), dem Grosskoenig als eine Art von Zollkontrolleuren dienen und an der Euphratpassage fuer ihn und fuer sich Zoelle erheben sollten. Diese "osrhoenischen Araber" (Orei Arabes), wie sie Plinius nennt, muessen auch die Araber am Berg Amanos sein, die Afranius ueberwand (Plut. Pomp. 39). -------------------------------------------------------- Bescheidener trat Koenig Mithradates auf. Er enthielt sich in Kleinasien der Uebergriffe und begnuegte sich, was kein Traktat ihm verbot, seine Herrschaft am Schwarzen Meere fester zu begruenden und die Landschaften, die das Bosporanische jetzt unter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte Koenigreich von dem Pontischen trennten, allmaehlich in bestimmtere Abhaengigkeit zu bringen. Aber auch er wandte alle Anstrengungen darauf, seine Flotte und sein Heer instand zu setzen und namentlich das letztere nach roemischem Muster zu bewaffnen und zu organisieren, wobei die roemischen Emigranten, die in grosser Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche Dienste leisteten. Den Roemern war nichts daran gelegen, in die orientalischen Angelegenheiten noch weiter verwickelt zu werden, als sie es bereits waren. Es zeigt sich dies namentlich mit schlagender Deutlichkeit darin, dass die Gelegenheit, die in dieser Zeit sich darbot, das Aegyptische Reich auf friedlichem Wege unter unmittelbare roemische Herrschaft zu bringen, vom Senat verschmaeht ward. Die legitime Deszendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns war zu Ende gegangen, als der nach dem Tode des Ptolemaeos Soter II. Koenigs Lathyros von Sulla eingesetzte Koenig Alexandros II., ein Sohn Koenigs Alexandros I., wenige Tage nach seiner Thronbesteigung bei einem Auflauf in der Hauptstadt getoetet ward (673 81). Dieser Alexandros hatte in seinem Testament ^2 zum Erben die roemische Gemeinde eingesetzt. Die Echtheit dieses Dokuments ward zwar bestritten; allein diese erkannte der Senat an, indem er auf Grund desselben die in Tyros fuer Rechnung des verstorbenen Koenigs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger gestattete er zwei notorisch illegitimen Soehnen des Koenigs Lathyros, dem einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Floetenblaeser (Auletes) genannt, Aegypten, dem andern, Ptolemaeos dem Kyprier, Kypros tatsaechlich in Besitz zu nehmen; sie wurden zwar vom Senat nicht ausdruecklich anerkannt, aber doch auch keine bestimmte Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet. Die Ursache, weshalb der Senat diesen unklaren Zustand fortdauern liess und nicht dazu kam, in bindender Weise auf Aegypten und Kypros zu verzichten, war ohne Zweifel die ansehnliche Rente, welche jene gleichsam auf Bittbesitz herrschenden Koenige fuer die Fortdauer desselben den roemischen Koteriehaeuptern fortwaehrend zahlten. Allein der Grund, jenem lockenden Erwerb ueberhaupt zu entsagen, liegt anderswo. Aegypten gab durch seine eigentuemliche Lage und seine finanzielle Organisation jedem dort befehligenden Statthalter eine Geldund Seemacht und ueberhaupt eine unabhaengige Gewalt in die Haende, wie sie mit dem argwoehnischen und schwaechlichen Regiment der Oligarchie sich schlechterdings nicht vertrug; von diesem Standpunkt aus war es verstaendig, dem unmittelbaren Besitz der Nillandschaft zu entsagen. -------------------------------------------------------- ^2 Die streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von Alexander I. (+ 666 88) oder Alexander II. (+ 673 81) herruehre, wird gewoehnlich fuer die erste Alternative entschieden. Allein die Gruende sind unzulaenglich; denn Cicero (leg. agr. 1, 4, 12; 15, 38; 16, 41) sagt nicht, dass Aegypten im Jahre 666 (88), sondern dass es in oder nach diesem Jahr an Rom gefallen sei; und wenn man daraus, dass Alexander I. im Ausland, Alexander II. in Alexandreia umkam, gefolgert hat, dass die in dem fraglichen Testament erwaehnten in Tyros lagernden Schaetze dem ersteren gehoert haben werden, so ist uebersehen, dass Alexander II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Aegypten getoetet ward (J. A. Letronne, Recueil des inscriptions grecques et latines de l’Egypte. Bd. 2, Paris 1848, S. 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros sein konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, dass der zweite Alexander der letzte echte Lagide war, da bei den aehnlichen Erwerbungen von Pergamon Kyrene und Bithynien Rom stets von dem letzten Spross der berechtigten Herrscherfamilie eingesetzt worden ist. Das alte Staatsrecht, wie es wenigstens fuer die roemischen Klientelstaaten massgebend gewesen ist, scheint dem Regenten das letztwillige Verfuegungsrecht ueber sein Reich nicht unbedingt, sondern nur in Ermangelung erbberechtigter Agnaten zugestanden zu haben. Vgl. Gutschmids Anmerkung zu der deutschen Uebersetzung von S. Sharper, Geschichte Aegyptens. Bd. 2, S. 17. Ob das Testament echt oder falsch war, ist nicht auszumachen und auch ziemlich gleichgueltig; besondere Gruende, eine Faelschung anzunehmen, liegen nicht vor. ----------------------------------------------------- Weniger laesst es sich rechtfertigen, dass der Senat es unterliess, in die kleinasiatischen und syrischen Angelegenheiten unmittelbar einzugreifen. Die roemische Regierung erkannte zwar den armenischen Eroberer nicht als Koenig von Kappadokien und Syrien an; aber sie tat doch auch nichts, um ihn zurueckzudraengen, wie nahe immer der Krieg, den sie 676 (78) notgedrungen in Kilikien gegen die Piraten begann, ihr namentlich das Einschreiten in Syrien legte. In der Tat gab sie, indem sie den Verlust Kappadokiens und Syriens ohne Kriegserklaerung hinnahm, damit nicht bloss ihre Schutzbefohlenen, sondern die wichtigsten Grundlagen ihrer eigenen Machtstellung preis. Es war schon bedenklich, wenn sie in den griechischen Ansiedlungen und Reichen am Euphrat und Tigris die Vorwerke ihrer Herrschaft opferte; aber wenn sie die Asiaten am Mittelmeer sich festsetzen liess, welches die politische Basis ihres Reiches war, so war dies nicht ein Beweis von Friedensliebe, sondern das Bekenntnis, dass die Oligarchie durch die Sullanische Restauration wohl oligarchischer, aber weder klueger noch energischer geworden war, und fuer die roemische Weltmacht der Anfang des Endes. Auch auf der andern Seite wollte man den Krieg nicht. Tigranes hatte keine Ursache, ihn zu wuenschen, wenn Rom ihm auch ohne Krieg all seine Bundesgenossen preisgab. Mithradates, der denn doch nicht bloss Sultan war und Gelegenheit genug gehabt hatte, im Glueck und Unglueck Erfahrungen ueber Freunde und Feinde zu machen, wusste sehr wohl, dass er in einem zweiten roemischen Krieg sehr wahrscheinlich ebenso allein stehen wuerde wie in dem ersten und dass er nichts Kluegeres tun konnte, als sich ruhig zu verhalten und sein Reich im Innern zu staerken. Dass es ihm mit seinen friedlichen Erklaerungen Ernst war, hatte er in dem Zusammentreffen mit Murena hinreichend bewiesen; er fuhr fort, alles zu vermeiden, was dazu fuehren musste, die roemische Regierung aus ihrer Passivitaet herauszudraengen. Allein wie schon der Erste Mithradatische Krieg sich entsponnen hatte, ohne dass eine der Parteien ihn eigentlich wuenschte, so entwickelte auch jetzt aus den entgegengesetzten Interessen sich gegenseitiger Argwohn, aus diesem gegenseitige Verteidigungsanstalten, und es fuehrten diese endlich durch ihr eigenes Schwergewicht zum offenen Bruch. Das seit langem die roemische Politik beherrschende Misstrauen in die eigene Schlagfertigkeit und Kampfbereitschaft, welches bei dem Mangel stehender Armeen und dem wenig musterhaften kollegialischen Regiment wohl erklaerlich ist, machte es gleichsam zu einem Axiom der roemischen Politik, jeden Krieg nicht bloss bis zur Ueberwaeltigung, sondern bis zur Vernichtung des Gegners zu fuehren; man war insofern mit dem Frieden Sullas von Haus aus in Rom so wenig zufrieden wie einst mit den Bedingungen, die Scipio Africanus den Karthagern gewaehrt hatte. Die vielfach geaeusserte Besorgnis, dass ein zweiter Angriff des pontischen Koenigs bevorstehe, ward einigermassen gerechtfertigt durch die ungemeine Aehnlichkeit der gegenwaertigen Verhaeltnisse mit denen vor zwoelf Jahren. Wieder traf ein gefaehrlicher Buergerkrieg zusammen mit ernstlichen Ruestungen Mithradats; wieder ueberschwemmten die Thraker Makedonien und bedeckten die Korsarenflotten das ganze Mittelmeer; wieder kamen und gingen die Emissaere, wie einst zwischen Mithradates und den Italikern, so jetzt zwischen den roemischen Emigranten in Spanien und denen am Hofe von Sinope. Schon im Anfang des Jahres 677 (77) ward es im Senat ausgesprochen, dass der Koenig nur auf die Gelegenheit warte, waehrend des italischen Buergerkriegs ueber das roemische Asien herzufallen; die roemischen Armeen in Asia und Kilikien wurden verstaerkt, um moeglichen Ereignissen zu begegnen. Andererseits verfolgte auch Mithradates mit steigender Besorgnis die Entwicklung der roemischen Politik. Er musste es fuehlen, dass ein Krieg der Roemer gegen Tigranes, wie sehr auch der schwaechliche Senat davor sich scheute, doch auf die Laenge kaum vermeidlich sei und er nicht umhin koennen werde, sich an demselben zu beteiligen. Der Versuch, das immer noch mangelnde schriftliche Friedensinstrument von dem roemischen Senat zu erlangen, war in die Wirren der Lepidianischen Revolution gefallen und ohne Erfolg geblieben; Mithradates fand darin ein Anzeichen der bevorstehenden Erneuerung des Kampfes. Die Einleitung dazu schien die Expedition gegen die Seeraeuber, die mittelbar doch auch die Koenige des Ostens traf, deren Verbuendete sie waren. Noch bedenklicher waren die schwebenden Ansprueche Roms auf Aegypten und Kypros; es ist bezeichnend, dass der pontische Koenig den beiden Ptolemaeern, denen der Senat fortfuhr, die Anerkennung zu weigern, seine beiden Toechter Mithradatis und Nyssa verlobte. Die Emigranten draengten zum Losschlagen; Sertorius’ Stellung in Spanien, die zu erkunden Mithradates unter passenden Vorwaenden Boten in das Pompeianische Hauptquartier abordnete, und die in der Tat eben um diese Zeit imposant war, eroeffnete dem Koenig die Aussicht, nicht wie in dem ersten Krieg gegen die beiden roemischen Parteien, sondern mit der einen gegen die andere zu fechten. Ein guenstigerer Moment konnte kaum gehofft werden, und am Ende war es immer besser, den Krieg zu erklaeren, als ihn sich erklaeren zu lassen. Da starb im Jahre 679 (75) Koenig Nikomedes III. Philopator von Bithynien und hinterliess als der letzte seines Stammes - denn ein von der Nysa geborener Sohn war oder hiess unecht - sein Reich im Testament den Roemern, welche diese mit der roemischen Provinz grenzende und laengst von roemischen Beamten und Kaufleuten erfuellte Landschaft in Besitz zu nehmen nicht saeumten. Gleichzeitig wurde auch Kyrene, das bereits seit dem Jahr 658 (96) den Roemern angefallen war, endlich als Provinz eingerichtet und ein roemischer Statthalter dorthin geschickt (679 75). Diese Massregeln in Verbindung mit den um dieselbe Zeit an der Suedkueste von Kleinasien gegen die Piraten ausgefuehrten Angriffen muessen in dem Koenige Besorgnisse erregt haben; die Einziehung Bithyniens namentlich machte die Roemer zu unmittelbaren Nachbarn des Pontischen Reiches; und dies vermutlich gab den Ausschlag. Der Koenig tat den entscheidenden Schritt und erklaerte im Winter 679/80 (75/74) den Roemern den Krieg. Gern haette Mithradates die schwere Arbeit nicht allein uebernommen. Sein naechster und natuerlicher Bundesgenosse war der Grosskoenig Tigranes; allein der kurzsichtige Mann lehnte den Antrag seines Schwiegervaters ab. So blieben nur die Insurgenten und die Piraten. Mithradates liess es sich angelegen sein, mit beiden durch starke, nach Spanien und nach Kreta entsandte Geschwader sich in Verbindung zu setzen. Mit Sertorius ward ein foermlicher Vertrag abgeschlossen, durch den Rom an den Koenig Bithynien, Paphlagonien, Galanen und Kappadokien abtrat - freilich lauter Erwerbungen, die erst auf dem Schlachtfeld ratifiziert werden mussten. Wichtiger war die Unterstuetzung, die der spanische Feldherr dem Koenig durch Sendung roemischer Offiziere zur Fuehrung seiner Heere und Flotten gewaehrte. Die taetigsten unter den Emigranten im Osten, Lucius Magius und Lucius Fannius, wurden von Sertorius zu seinen Vertretern am Hofe von Sinope bestellt. Auch von den Piraten kam Hilfe; sie stellten in grosser Anzahl im Pontischen Reich sich ein, und namentlich durch sie scheint es dem Koenige gelungen zu sein, eine durch die Zahl wie durch die Tuechtigkeit der Schiffe imponierende Seemacht zu bilden. Die Hauptstuetze blieben die eigenen Streitkraefte, mit denen der Koenig, bevor die Roemer in Asien eintreffen wuerden, sich ihrer Besitzungen daselbst bemaechtigen zu koennen hoffte, zumal da in der Provinz Asia die durch die Sullanische Kriegssteuer hervorgerufene finanzielle Not, in Bithymen der Widerwille gegen das neue roemische Regiment, in Kilikien und Pamphylien der von dem kuerzlich beendigten verheerenden Krieg zurueckgebliebene Brandstoff einer pontischen Invasion guenstige Aussichten eroeffnete. An Vorraeten fehlte es nicht; in den koeniglichen Speichern lagen zwei Millionen Medimnen Getreide. Flotte und Mannschaft waren zahlreich und wohlgeuebt, namentlich die bastarnischen Soldknechte eine auserlesene, selbst italischen Legionaeren gewachsene Schar. Auch diesmal war es der Koenig, der die Offensive begann. Ein Korps unter Diophantos ruckte in Kappadokien ein, um die Festungen daselbst zu besetzen und den Roemern den Weg in das Pontische Reich zu verlegen; der von Sertorius gesandte Fuehrer, der Propraetor Marcus Marius, ging in Gemeinschaft mit dem pontischen Offizier Eumachos nach Phrygien, um die roemische Provinz und das Taurusgebirge zu insurgieren; die Hauptarmee, ueber 100000 Mann nebst 16000 Reitern und 100 Sichelwagen, gefuehrt von Taxiles und Hermokrates unter der persoenlichen Oberleitung des Koenigs, und die von Aristonikos bef
ehligte Kriegsflotte von 400 Segeln bewegten sich die kleinasiatische Nordkueste entlang, um Paphlagonien und Bithymen zu besetzen. Roemischerseits ward zur Fuehrung des Krieges in erster Reihe der Konsul des Jahres 680 (74), Lucius Lucullus, ausersehen, der als Statthalter von Asien und Kilikien an die Spitze der in Kleinasien stehenden vier Legionen und einer fuenften von ihm aus Italien mitgebrachten gestellt und angewiesen ward, mit dieser auf 30000 Mann zu Fuss und 1600 Reiter sich belaufenden Armee durch Phrygien in das Pontische Reich einzudringen. Sein Kollege Marcus Cotta ging mit der Flotte und einem anderen roemischen Korps nach der Propontis, um Asia und Bithynien zu decken. Endlich wurde eine allgemeine Armierung der Kuesten, namentlich der von der pontischen Flotte zunaechst bedrohten thrakischen, angeordnet und die Saeuberung der saemtlichen Meere und Kuesten von den Piraten und ihren pontischen Genossen ausserordentlicherweise einem einzigen Beamten uebertragen, wofuer die Wahl auf den Praetor Marcus Antonius fiel, den Sohn des Mannes, der dreissig Jahre zuvor zuerst die kilikischen Korsaren gezuechtigt hatte. Ausserdem stellte der Senat dem Lucullus eine Summe von 72 Mill. Sesterzen (5« Mill. Talern) zur Verfuegung, um davon eine Flotte zu erbauen; was Lucullus indes ablehnte. Aus allem sieht man, dass die roemische Regierung in der Vernachlaessigung des Seewesens den Kern des Uebels erkannte und hierin wenigstens so weit Ernst machte, als ihre Dekrete reichten. So begann im Jahre 680 (74) der Krieg auf allen Punkten. Es war ein Unglueck fuer Mithradates, dass eben im Moment seiner Kriegserklaerung der Wendepunkt im Sertorianischen Kriege eintrat, wodurch von vornherein eine seiner hauptsaechlichsten Hoffnungen ihm zugrunde ging und es der roemischen Regierung moeglich ward, ihre ganze Macht auf den Seeund den kleinasiatischen Krieg zu verwenden. In Kleinasien dagegen erntete Mithradat die Vorteile der Offensive und der weiten Entfernung der Roemer von dem unmittelbaren Kriegsschauplatz. Dem Sertorianischen Propraetor, der in der roemischen Provinz Asia vorangestellt ward, oeffneten eine betraechtliche Anzahl kleinasiatischer Staedte die Tore und metzelten wie im Jahre 666 (88) die bei ihnen ansaessigen roemischen Familien nieder; die Pisider, Isaurer, Kiliker ergriffen gegen Rom die Waffen. Die Roemer hatten an den bedrohten Punkten augenblicklich keine Truppen. Einzelne tuechtige Maenner versuchten wohl auf ihre eigene Hand dieser Aufwiegelung der Provinzialen zu steuern - so verliess auf die Kunde von diesen Ereignissen der junge Gaius Caesar Rhodos, wo er seiner Studien wegen sich aufhielt, und warf sich mit einer rasch zusammengerafften Schar den Insurgenten entgegen; allein viel konnten solche Freikorps nicht ausrichten. Wenn nicht der tapfere Vierfuerst des um Pessinus ansaessigen Keltenstammes der Tolistoboger, Deiotarus, die Partei der Roemer ergriffen und gluecklich gegen die pontischen Feldherrn gefochten haette, so haette Lucullus damit beginnen muessen, das Binnenland der roemischen Provinz dem Feind wiederabzunehmen. Auch so aber verlor er mit der Beruhigung der Landschaft und mit der Zurueckdraengung des Feindes eine kostbare Zeit, die durch die geringen Erfolge, welche seine Reiterei dabei erfocht, nichts weniger als verguetet ward. Unguenstiger noch als in Phrygien gestalteten sich die Dinge fuer die Roemer an der Nordkueste Kleinasiens. Hier hatte die grosse Armee und die Flotte der Pontiker sich Bithyniens vollstaendig bemeistert und den roemischen Konsul Cotta genoetigt, mit seiner wenig zahlreichen Mannschaft und seinen Schiffen in den Mauern und dem Hafen von Kalchedon Schutz zu suchen, wo Mithradates sie blockiert hielt. Indes war diese Einschliessung insofern ein guenstiges Ereignis fuer die Roemer, als, wenn Cotta die pontische Armee vor Kalchedon festhielt und Lucullus ebendahin sich wandte, die saemtlichen roemischen Streitkraefte bei Kalchedon sich vereinigen und schon hier statt in dem ferneren und unwegsamen pontischen Land, die Waffenentscheidung erzwingen konnten. Lucullus schlug auch die Strasse nach Kalchedon ein; allein Cotta, um noch vor dem Eintreffen des Kollegen auf eigene Hand eine Grosstat auszufuehren, liess seinen Flottenfuehrer Publius Rutilius Nudus einen Ausfall machen, der nicht bloss mit einer blutigen Niederlage der Roemer endigte, sondern auch den Pontikern es moeglich machte, den Hafen anzugreifen, die Kette, die denselben sperrte, zu sprengen und saemtliche daselbst befindliche roemische Kriegsschiffe, gegen siebzig an der Zahl, zu verbrennen. Auf die Nachricht von diesen Unfaellen, die Lucullus am Fluss Sangarios erhielt, beschleunigte derselbe seinen Marsch, zur grossen Unzufriedenheit seiner Soldaten, welche nach ihrer Meinung Cotta nichts anging und die weit lieber ein unverteidigtes Land gepluendert als ihre Kameraden siegen gelehrt haetten. Sein Eintreffen machte die erlittenen Unfaelle zum Teil wieder gut: der Koenig hob die Belagerung von Kalchedon auf, ging aber nicht nach Pontos zurueck, sondern suedwaerts in die altroemische Provinz, wo er an der Propontis und am Hellespont sich ausbreitete, Lampsakos besetzte und die grosse und reiche Stadt Kyzikos zu belagern begann. Immer fester verrannte er sich also in die Sackgasse, die er eingeschlagen hatte, statt, was allein fuer ihn Erfolg versprach, die weiten Entfernungen gegen die Roemer ins Spiel zu bringen. In Kyzikos hatte die alte hellenische Gewandtheit und Tuechtigkeit sich so rein erhalten wie an wenigen anderen Orten; ihre Buergerschaft, obwohl sie in der ungluecklichen Doppelschlacht von Kalchedon an Schiffen und Mannschaft starke Einbusse erlitten hatte, leistete dennoch den entschlossensten Widerstand. Kyzikos lag auf einer Insel unmittelbar dem Festland gegenueber und durch eine Bruecke mit demselben verbunden. Die Belagerer bemaechtigten sich sowohl des Hoehenzuges auf dem Festland, der an der Bruecke endigt, und der hier gelegenen Vorstadt, als auch auf der Insel selbst der beruehmten Dindymenischen Hoehen, und auf der Festlandwie auf der Inselseite boten die griechischen Ingenieure alle ihre Kunst auf, den Sturm moeglich zu machen. Allein die Bresche, die endlich zu machen gelang, wurde waehrend der Nacht wieder von den Belagerten geschlossen und die Anstrengungen der koeniglichen Armee blieben ebenso fruchtlos wie die barbarische Drohung des Koenigs, die gefangenen Kyzikener vor den Mauern toeten zu lassen, wenn die Buergerschaft noch laenger die Uebergabe verweigere. Die Kyzikener setzten die Verteidigung mit Mut und Glueck fort; es fehlte nicht viel, so haetten sie im Laufe der Belagerung den Koenig selbst gefangengenommen. Inzwischen hatte Lucullus sich einer sehr festen Position im Ruecken der pontischen Armee bemaechtigt, die ihm zwar nicht gestattete, der bedraengten Stadt unmittelbar zu Hilfe zu kommen, aber wohl dem Feinde alle Zufuhr zu Lande abzuschneiden. So stand die ungeheure, mit dem Tross auf 300000 Koepfe geschaetzte Mithradatische Armee, weder imstande zu schlagen, noch zu marschieren, fest eingekeilt zwischen der unbezwinglichen Stadt und dem unbeweglich stehenden roemischen Heer und fuer allen ihren Bedarf einzig angewiesen auf die See, die zum Glueck fuer die Pontiker ihre Flotte ausschliesslich beherrschte. Aber die schlechte Jahreszeit brach herein; ein Unwetter zerstoerte einen grossen Teil der Belagerungsbauten; der Mangel an Lebensmitteln und vor allem an Pferdefutter fing an unertraeglich zu werden. Die Lasttiere und der Tross wurden unter Bedeckung des groessten Teils der pontischen Reiterei weggesandt mit dem Auftrag, um jeden Preis sich durchzuschleichen oder durchzuschlagen; aber am Fluss Rhyndakos oestlich von Kyzikos holte Lucullus sie ein und hieb den ganzen Haufen zusammen. Eine andere Reiterabteilung unter Metrophanes und Lucius Fannius musste nach langer Irrfahrt im westlichen Kleinasien wieder in das Lager vor Kyzikos zurueckkehren. Hunger und Seuchen raeumten unter den pontischen Scharen fuerchterlich auf. Als der Fruehling herankam (681 73), verdoppelten die Belagerten ihre Anstrengungen und nahmen die auf dem Dindymon angelegten Schanzen; es blieb dem Koenig nichts uebrig, als die Belagerung aufzuheben und mit Hilfe der Flotte zu retten, was zu retten war. Er selber ging mit der Flotte nach dem Hellespont, erlitt aber teils bei der Abfahrt, teils unterwegs durch Stuerme betraechtliche Einbusse. Eben dahin brach auch das Landheer unter Hermaeos und Marius auf, um in Lampsakos und von dessen Mauern geschuetzt sich einzuschiffen. Ihr Gepaeck liessen sie im Stich, sowie die Kranken und Verwundeten, die von den erbitterten Kyzikenern saemtlich niedergemacht wurden. Unterwegs fuegte ihnen Lucullus beim Uebergang ueber die Fluesse Aesepos und Granikos sehr ansehnlichen Verlust zu; doch erreichten sie ihr Ziel: die pontischen Schiffe entfuehrten die Ueberreste der grossen Armee und die lampsakenische Buergerschaft selbst aus dem Bereiche der Roemer. Lucullus’ folgerechte und bedaechtige Kriegfuehrung hatte nicht bloss die Fehler seines Kollegen wieder gutgemacht, sondern auch, ohne eine Hauptschlacht zu liefern, den Kern der feindlichen Armee - angeblich 200 000 Soldaten - aufgerieben. Haette er noch die Flotte gehabt, die im Hafen von Kalchedon verbrannt war, so wuerde er die ganze feindliche Armee vernichtet haben; so blieb das Zerstoerungswerk unvollendet, und er musste sogar es leiden, dass trotz der Katastrophe von Kyzikos die pontische Flotte in der Propontis sich aufstellte, Perinthos und Byzantion auf der europaeischen Kueste von ihr blockiert, Priapos auf der asiatischen ausgeraubt, das koenigliche Hauptquartier nach dem bithynischen Hafen Nikomedeia gelegt ward. Ja ein erlesenes Geschwader von fuenfzig Segeln, das 10000 erlesene Leute, darunter Marcus Marius und den Kern der roemischen Emigranten trug, fuhr sogar hinaus in das Aegaeische Meer; es ging die Rede, dass es bestimmt sei, in Italien zu landen, um dort aufs neue den Buergerkrieg zu entfachen. Indes fingen die Schiffe, die Lucullus nach dem Unfall von Kalchedon von den asiatischen Gemeinden eingefordert hatte, an, sich einzustellen und ein Geschwader lief aus, um das in das Aegaeische Meer abgegangene feindliche aufzusuchen. Lucullus selbst, als Flottenfuehrer erprobt, uebernahm das Kommando. Vor dem Achaeerhafen, in den Gewaessern zwischen der troischen Kueste und der Insel Tenedos, wurden dreizehn feindliche, auf der Fahrt nach Lemnos begriffene Fuenfruderer unter Isidoros ueberfallen und versenkt. Bei der kleinen Insel Neae zwischen Lemnos und Skyros sodann, an welchem wenig besuchten Punkte die pontische Flottille von 32 Segeln auf den Strand gezogen lag, fand sie Lucullus, griff zugleich die Schiffe und die auf der Insel zerstreute Bemannung an und bemaechtigte sich des ganzen Geschwaders. Hier fanden Marcus Marius und die tuechtigsten der roemischen Emigrierten entweder im Kampfe oder nachher durch das Henkerbeil den Tod. Die ganze aegaeische Flotte der Feinde war von Lucullus vernichtet. Den Krieg in Bithynien hatten inzwischen mit dem durch Nachsendungen aus Italien verstaerkten Landheer und einem in Asien zusammengezogenen Geschwader Cotta und die Legaten Luculls Voconius, Gaius Valerius Triarius und Barba fortgesetzt. Barba nahm im Binnenland Prusias am Olymp und Nikaea, Triarius an der Kueste Apameia (sonst Myrleia) und Prusias am Meer (sonst Kios). Man vereinigte sich dann zu einem gemeinschaftlichen Unternehmen gegen Mithradates selbst in Nikomedeia; indes der Koenig, ohne nur den Kampf zu versuchen, entwich auf seine Schiffe und fuhr heimwaerts, und auch dies gelang ihm nur, weil der mit der Blockierung des Hafens von Nikomedeia beauftragte roemische Flottenfuehrer Voconius zu spaet eintraf. Unterwegs ward zwar das wichtige Herakleia an den Koenig verraten und von ihm besetzt; aber ein Sturm in diesen Gewaessern versenkte ueber sechzig seiner Schiffe und zerstreute die uebrigen; fast allein gelangte der Koenig nach Sinope. Die Offensive Mithradats endigte mit einer vollstaendigen und durchaus nicht, am wenigsten fuer den obersten Leiter, ruehmlichen Niederlage der pontischen Landund Seemacht. Lucullus ging jetzt seinerseits zum Angriff vor. Triarius uebernahm den Befehl ueber die Flotte mit dem Auftrag, vor allem den Hellespont zu sperren und den aus Kreta und Spanien rueckkehrenden pontischen Schiffen aufzupassen, Cotta die Belagerung von Herakleia; das schwierige Verpflegungsgeschaeft ward den treuen und taetigen Galaterfuersten und dem Koenig Ariobarzanes von Kappadokien uebertragen; Lucullus selbst rueckte im Herbst 681 (73) ein in die gesegnete und seit langem von keinem Feinde betretene pontische Landschaft. Mithradates, jetzt entschlossen zur strengsten Defensive, wich, ohne eine Schlacht zu liefern, zurueck von Sinope nach Amisos, von Amisos nach Kabeira (spaeter Neo-Caesarea, jetzt Niksar) am Lykos, einem Nebenfluss des Iris; er begnuegte sich, den Feind immer tiefer landeinwaerts sich nachzuziehen und ihm die Zufuhren und Verbindungen zu erschweren. Rasch folgte Lucullus; Sinope blieb seitwaerts liegen; die alte Grenze des roemischen Machtgebiets, der Halys, ward ueberschritten, die ansehnlichen Staedte Amisos, Eupatoria (am Iris), Themiskyra (am Thermodon) umstellt, bis endlich der Winter den Maerschen, aber nicht den Einschliessungen der Staedte ein Ende machte. Die Soldaten Luculls murrten ueber das unaufhaltsame Vordringen, das ihnen nicht gestattete, die Fruechte ihrer Anstrengungen zu ernten, und ueber die weitlaeufigen und in der rauben Jahreszeit beschwerlichen Blockaden. Allein es war nicht Lucullus’ Art, auf dergleichen Klagen zu hoeren; im Fruehjahr 682 (72) ging es sofort weiter gegen Kabeira unter Zuruecklassung zweier Legionen vor Amisos unter Lucius Murena. Der Koenig hatte waehrend des Winters neue Versuche gemacht, den Grosskoenig von Armenien zum Eintritt in den Kampf zu bestimmen; sie blieben wie die frueheren vergeblich oder fuehrten doch nur zu leeren Verheissungen. Noch weniger bezeigten die Parther Lust, bei der verlorenen Sache sich zu beteiligen. Indes hatte sich, besonders durch Werbungen im Skythenland, wieder eine ansehnliche Armee unter Diophantos und Taxiles bei Kabeira zusammengefunden. Das roemische Heer, das nur noch drei Legionen zaehlte und das an Reiterei den Pontikern entschieden nachstand, sah sich genoetigt, das Blachfeld moeglichst zu vermeiden, und gelangte nach Kabeira auf schwierigen Nebenpfaden, nicht ohne Beschwerden und Verluste. Bei dieser Stadt lagerten die beiden Armeen laengere Zeit einander gegenueber. Gestritten ward hauptsaechlich um die Zufuhr, die auf beiden Seiten knapp war; Mithradates bildete deswegen aus dem Kern seiner Reiterei und einer Abteilung erlesener Fusssoldaten unter Diophantos und Taxiles ein fliegendes Korps, das bestimmt war, zwischen dem Lykos und dem Halys zu streifen und die aus Kappadokien kommenden roemischen Lebensmitteltransporte aufzufangen. Allein der Unterbefehlshaber Lucullus, Marcus Fabius Hadrianus, der einen solchen Zug eskortierte, schlug nicht bloss die ihm auflauernde Schar in dem Engpass, wo sie ihn zu ueberfallen gedachte, vollstaendig aufs Haupt, sondern auch, nachdem er Verstaerkung aus dem Lager erhalten hatte, die Armee des Diophantos und Taxiles selbst, so dass dieselbe voellig sich aufloeste. Es war fuer den Koenig ein unersetzlicher Verlust, dass seine Reiterei, auf die er allein vertraute, ihm hier zugrunde gegangen war; sowie er durch die ersten vom Schlachtfeld nach Kabeira gelangenden Fluechtlinge - bezeichnend genug die geschlagenen Generale selbst - die Hiobspost, frueher noch als Lucullus die Nachricht von dem Sieg, erhalten hatte, beschloss er sofortigen weiteren Rueckzug. Aber der gefasste Entschluss des Koenigs verbreitete sich mit Blitzesschnelle unter seiner naechsten Umgebung; und wie die Soldaten die Vertrauten des Koenigs eiligst einpacken sahen, wurden auch sie von panischem Schreck ergriffen. Niemand wollte bei dem Aufbruch der letzte sein; Vornehme und Geringe liefen durcheinander wie gescheuchtes Wild; keine Autoritaet, nicht einmal die des Koenigs, ward noch beachtet und der Koenig selbst fortgerissen in dem wilden Getuemmel. Die Verwirrung gewahrend, griff Lucullus an, und fast ohne Widerstand zu leisten liessen die pontischen Scharen sich niedermetzeln. Haetten die Legionen Mannszucht zu halten und ihre Beutegier zu maessigen vermocht, so waere kaum ein Mann ihnen entronnen und der Koenig ohne Zweifel selbst gefangen worden. Mit Not entkam Mithradates mit wenigen Begleitern durch die Berge nach Komana (unweit Tokat und der Irisquelle), von wo ihn aber auch bald eine roemische Schar unter Marcus Pompeius wiederaufscheuchte und ihn verfolgte, bis er, von nicht mehr als 2000 Reitern begleitet, in Talaura in Klein-Armenien die Grenze seines Reiches ueberschritt. In dem Reiche des Grosskoenigs fand er eine Zufluchtsstaette, aber auch nicht mehr (Ende 682 72). Tigranes liess seinem fluechtigen Schwiegervater zwar koenigliche Ehre erzeigen, aber er lud ihn nicht einmal an seinen Hof, sondern hielt ihn in der abgelegenen Grenzlandschaft, wo er sich befand, in einer Art von anstaendiger Haft. Ganz Pontos und Klein- Armenien ueberschwemmten die roemischen Truppen und bis nach Trapezus hinauf unterwarf sich das platte Land ohne Widerstand dem Sieger. Auch die Befehlshaber der koeniglichen Schatzhaeuser ergaben sich nach kuerzerem oder laengerem Zaudern und lieferten ihre Kassenvorraete aus. Die Frauen des koeniglichen Harems, die koeniglichen Schwestern, seine zahlreichen Gemahlinnen und Kebse liess der Koenig, da sie zu fluechten nicht moeglich war, durch einen seiner Verschnittenen in Pharnakeia (Kerasunt) saemtlich toeten. Hartnaeckigen Widerstand leisteten nur die Staedte. Zwar die wenigen im Binnenland, Kabeira, Amaseia, Eupatoria, waren bald in der Gewalt der Roemer; aber die groesseren Seestaedte, Amisos und Sinope in Pontos, Amastris in Paphlagonien, Tios und das pontische Herakleia in Bithynien, wehrten sich wie Verzweifelte, teils begeistert durch die Anhaenglichkeit an den Koenig und die von ihm geschirmte freie hellenische Stadtverfassung, teils terrorisiert durch die Scharen der vom Koenig herbeigerufenen Korsaren. Sinope und Herakleia liessen sogar die Schiffe gegen die Roemer auslaufen, und das sinopische Geschwader bemaechtigte sich einer roemischen Flottille, die von der Taurischen Halbinsel fuer Lucullus’ Heer Getreide brachte. Herakleia unterlag erst nach zweijaehriger Belagerung, nachdem die roemische Flotte der Stadt den Verkehr mit den griechischen Staedten auf der Taurischen Halbinsel abgeschnitten hatte und in den Reihen der Besatzung Verraeterei ausgebrochen war. Als Amisos aufs aeusserste gebracht war, zuendete die Besatzung die Stadt an und bestieg unter dem Schutze der Flammen ihre Schiffe. In Sinope, wo der kecke Piratenkapitaen Seleukos und der koenigliche Verschnittene Bakchides die Verteidigung leiteten, pluenderte die Besatzung die Haeuser, bevor sie abzog, und steckte die Schiffe, die sie nicht mitnehmen konnte, in Brand; es sollen hier, obwohl der groesste Teil der Verteidiger sich hatte einschiffen koennen, doch noch 8000 Korsaren von Lucullus getoetet worden sein. Zwei volle Jahre nach der Schlacht von Kabeira und darueber (682-684 72- 70) waehrten diese Staedtebelagerungen, die Lucullus grossenteils durch seine Unterbefehlshaber betrieb, waehrend er selbst die Verhaeltnisse der Provinz Asia ordnete, die eine gruendliche Reform erheischten und erhielten. Wie geschichtlich merkwuerdig auch jener hartnaeckige Widerstand der pontischen Kaufstaedte gegen die siegreichen Roemer ist, so kam doch zunaechst wenig dabei heraus; die Sache des Koenigs Mithradates war darum nicht minder verloren. Der Grosskoenig hatte offenbar fuer jetzt wenigstens durchaus nicht die Absicht, ihn in sein Reich zurueckzufuehren. Die roemische Emigration in Asien hatte durch die Vernichtung der aegaeischen Flotte ihre Besten eingebuesst; von den Uebriggebliebenen hatten nicht wenige, wie zum Beispiel die taetigen Fuehrer Lucius Magius und Lucius Fannius, ihren Frieden mit Lucullus gemacht, und mit dem Tode des Sertorius, der in dem Jahre der Schlacht von Kabeira umkam, schwand die letzte Hoffnung der Emigration. Die eigene Macht Mithradats war vollstaendig zerschmettert und eine nach der andern brachen ihre noch uebrigen Stuetzen zusammen: auch seine von Kreta und Spanien heimkehrenden Geschwader, siebzig Segel stark, wurden von Triarius bei der Insel Tenedos angegriffen und vernichtet; auch der Statthalter des Bosporanischen Reiches, des Koenigs eigener Sohn Machares, fiel von ihm ab und schloss als selbstaendiger Fuerst des Taurischen Chersones auf eigene Hand mit den Roemern Frieden und Freundschaft (684 70). Der Koenig selbst sass nach nicht allzuruehmlicher Gegenwehr in einem entlegenen armenischen Bergschloss, ein Fluechtling aus seinem Reiche und fast ein Gefangener seines Schwiegersohns. Mochten die Korsarenscharen noch auf Kreta sich behaupten und was aus Amisos und Sinope entkommen war, an die schwer zugaengliche Ostkueste des Schwarzen Meeres zu den Sanigen und Lazen sich retten: Lucullus’ geschickte Kriegfuehrung und seine verstaendige Maessigung, die es nicht verschmaehte, den gerechten Beschwerden der Provinzialen abzuhelfen und die reumuetigen Emigranten als Offiziere in seinem Heere anzustellen, hatte mit maessigen Opfern Kleinasien vom Feinde befreit und das Pontische Reich vernichtet, so dass dasselbe aus einem roemischen Klientelstaat in eine roemische Provinz verwandelt werden konnte. Eine Kommission des Senats ward erwartet, um in Gemeinschaft mit dem Oberfeldherrn die neue Provinzialorganisation festzustellen. Aber noch waren die Verhaeltnisse mit Armenien nicht geschlichtet. Dass eine Kriegserklaerung der Roemer gegen Tigranes an sich gerechtfertigt, ja geboten war, wurde frueher gezeigt. Lucullus, der die Verhaeltnisse aus groesserer Naehe und mit hoeherem Sinn betrachtete als das Senatorenkollegium in Rom, erkannte deutlich die Notwendigkeit, Armenien ueber den Tigris zurueckzuweisen und die verlorene Herrschaft Roms ueber das Mittelmeer wiederherzustellen. Er zeigte in der Leitung der asiatischen Angelegenheiten sich als keinen unwuerdigen Nachfolger seines Lehrmeisters und Freundes Sulla; Philhellene wie wenige Roemer seiner Zeit, war er nicht unempfaenglich fuer die Verpflichtung, die Rom mit der Erbschaft Alexanders uebernommen hatte: Schild und Schwert der Griechen im Osten zu sein. Persoenliche Beweggruende, der Wunsch, auch jenseits des Euphrat Lorbeeren zu ernten, die Empfindlichkeit darueber, dass der Grosskoenig in einem Schreiben an ihn den Imperatorentitel weggelassen, koennen freilich Lucullus mitbestimmt haben; allein es ist ungerecht, kleinliche und egoistische Motive fuer Handlungen anzunehmen, zu deren Erklaerung die pflichtmaessigen vollkommen ausreichen. Indes von dem aengstlichen, laessigen, schlecht unterrichteten und vor allen Dingen von ewiger Finanznot bedraengten roemischen Regierungskollegium liess sich nimmermehr erwarten, dass es, ohne unmittelbar dazu genoetigt zu sein, die Initiative zu einer so weitschichtigen und kostspieligen Expedition ergreifen werde. Um das Jahr 682 (72) waren die legitimen Repraesentanten der Seleukidendynastie, Antiochos, der Asiate genannt, und dessen Bruder, veranlasst durch die guenstige Wendung des Pontischen Krieges, nach Rom gegangen, um eine roemische Intervention in Syrien und nebenbei die Anerkennung ihrer Erbansprueche auf Aegypten zu erwirken. Wenn die letztere Anforderung nicht gewaehrt werden konnte, so liessen doch der Augenblick wie die Veranlassung sich nicht guenstiger finden, um den laengst notwendigen Krieg gegen Tigranes zu beginnen. Allein der Senat hatte die Prinzen wohl als die rechtmaessigen Koenige Syriens anerkannt, aber sich nicht entschliessen koennen, die bewaffnete Intervention zu verfuegen. Sollte die gute Gelegenheit benutzt und gegen Armenien Ernst gemacht werden, so musste Lucullus den Krieg ohne eigentlichen Auftrag des Senats auf eigene Hand und eigene Gefahr beginnen; auch er sah sich ebenwie Sulla in die Notwendigkeit versetzt, was er im offenbarsten Interesse der bestehenden Regierung tat, nicht mit ihr, sondern ihr zum Trotz ins Werk zu setzen. Erleichtert ward ihm der Entschluss durch die seit langem unklar zwischen Krieg und Frieden schwankenden Verhaeltnisse Roms zu Armenien, welche die Eigenmaechtigkeit seines Verfahrens einigermassen bedeckten und es an formellen Kriegsgruenden nicht fehlen liessen. Die kappadokischen und syrischen Zustaende boten Anlaesse genug, und es hatten auch schon bei der Verfolgung des pontischen Koenigs roemische Truppen das Gebiet des Grosskoenigs verletzt. Da indes Lucullus’ Auftrag auf Fuehrung des Krieges gegen Mithradates ging und er hieran anzuknuepfen wuenschte, so zog er es vor, einen seiner Offiziere, Appius Claudius, an den Grosskoenig nach Antiochien zu senden, um Mithradates’ Auslieferung zu fordern, was denn freilich zum Kriege fuehren musste. Der Entschluss war ernst, zumal bei der Beschaffenheit der roemischen Armee. Es war unvermeidlich, waehrend des Feldzugs in Armenien das ausgedehnte pontische Gebiet stark besetzt zu halten, da sonst dem in Armenien stehenden Heer die Verbindung mit der Heimat verloren ging und ueberdies ein Einfall Mithradats in sein ehemaliges Reich leicht vorherzusehen war. Offenbar reichte die Armee, an deren Spitze Lucullus den Mithradatischen Krieg beendigt hatte, von beilaeufig 30000 Mann fuer diese verdoppelte Aufgabe nicht aus. Unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wuerde der Feldherr von seiner Regierung die Nachsendung einer zweiten Armee erbeten und erhalten haben; allein da Lucullus den Krieg der Regierung ueber den Kopf nehmen wollte und gewissermassen musste, sah er sich genoetigt, hierauf zu verzichten und, ob er gleich selbst die gefangenen thrakischen Soeldner des pontischen Koenigs seinen Truppen einreihte, dennoch mit nicht mehr als zwei Legionen oder hoechstens 15000 Mann den Krieg ueber den Euphrat zu tragen. Schon dies war bedenklich; indes die Geringfuegigkeit der Zahl mochte durch die erprobte Tapferkeit der durchaus aus Veteranen bestehenden Armee einigermassen ersetzt werden. Weit schlimmer war die Stimmung der Soldaten, auf die Lucullus in seiner hochadligen Art viel zu wenig Ruecksicht nahm. Lucullus war ein tuechtiger General und - nach aristokratischem Massstab - ein rechtschaffener und wohlwollender Mann, aber nichts weniger als beliebt bei seinen Soldaten. Er war unpopulaer als entschiedener Anhaenger der Oligarchie, unpopulaer, weil er in Kleinasien der greulichen Wucherei der roemischen Kapitalisten nachdruecklich gesteuert hatte, unpopulaer wegen der Arbeiten und Strapazen, die er dem Soldaten zumutete, unpopulaer, weil er von seinen Soldaten strenge Mannszucht forderte und die Pluenderung der griechischen Staedte durch seine Leute moeglichst verhinderte, daneben aber doch fuer sich selber manchen Wagen und manches Kamel mit den Schaetzen des Ostens beladen liess, unpopulaer wegen seiner feinen, vornehmen, hellenisierenden, durchaus nicht kameradschaftlichen und, wo immer moeglich, zu bequemem Wohlleben sich hinneigenden Weise. Nicht eine Spur des Zaubers war in ihm, der zwischen dem Feldherrn und dem Soldaten ein persoenliches Band schlingt. Hierzu kam endlich, dass ein grosser Teil seiner tuechtigsten Soldaten alle Ursache hatte, sich ueber die masslose Verlaengerung ihrer Dienstzeit zu beschweren. Seine beiden besten Legionen waren ebendiejenigen, die Flaccus und Fimbria 668 (86) nach dem Osten gefuehrt hatten; ungeachtet ihnen vor kurzem nach der Schlacht von Kabeira der durch dreizehn Feldzuege wohlverdiente Abschied zugesichert worden war, fuehrte sie Lucullus jetzt dennoch ueber den Euphrat, einem neuen unabsehbaren Krieg entgegen - es schien, als wolle man die Sieger von Kabeira schlimmer behandeln als die Geschlagenen von Cannae. Dass mit so schwachen und so gestimmten Truppen ein Feldherr auf eigene Faust und streng genommen verfassungswidrig eine Expedition begann in ein fernes und unbekanntes Land voll reissender Stroeme und schneebedeckter Berge, das schon durch seine gewaltige Ausdehnung jeden leichtsinnig unternommenen Angriff gefaehrlich machte, war in der Tat mehr als gewagt. Vielfach und nicht ohne Grund wurde deshalb Lucullus’ Verfahren in Rom getadelt; nur haette man dabei nicht verschweigen sollen, dass zunaechst die Verkehrtheit der Regierung dieses verwegene Vorgehen des Feldherrn veranlasste und dasselbe wo nicht rechtfertigte, doch entschuldbar machte. Schon die Sendung des Appius Claudius hatte neben der Aufgabe, den Krieg diplomatisch zu motivieren, den Zweck gehabt, die Fuersten und Staedte zunaechst Syriens gegen den Grosskoenig unter die Waffen zu bringen; im Fruehling 685 (69) erfolgte der foermliche Angriff. Waehrend des Winters hatte der Koenig von Kappadokien im stillen fuer Transportschiffe gesorgt; auf diesen ward der Euphrat bei Melitene ueberschritten und der Marsch dann weiter ueber die Tauruspaesse auf den Tigris gerichtet. Auch diesen ueberschritt Lucullus in der Gegend von Amida (Diarbekr) und rueckte weiter vor auf die Strasse zu, welche die an der suedlichen Grenze Armeniens neu gegruendete zweite Hauptstadt Tigranokerta ^3 mit der alten Metropole Artaxata verband. Bei jener stand der Grosskoenig, kurz zuvor aus Syrien zurueckgekommen, nachdem er die Verfolgung seiner Eroberungsplaene am Mittelmeer wegen der Verwicklung mit den Roemern vorlaeufig vertagt hatte. Eben entwarf er einen Einfall in das roemische Kleinasien von Kilikien und Lykaonien aus und ueberlegte bei sich, ob die Roemer Asien sofort raeumen oder vorher noch, etwa bei Ephesos, sich ihm zur Schlacht stellen wuerden, als ihm die Nachricht von dem Anmarsche Luculls gebracht ward, welcher ihn von der Verbindung mit Artaxata abzuschneiden drohte. Er liess den Boten aufknuepfen, aber die laestige Wirklichkeit blieb wie sie war; so verliess er denn die neue Hauptstadt und begab sich in das innere Armenien, um dort, was bis jetzt nicht geschehen war, gegen die Roemer zu ruesten. Inzwischen sollte Mithrobarzanes mit den eben zur Verfuegung stehenden Truppen in Verbindung mit den schleunigst aufgebotenen benachbarten Beduinenstaemmen die Roemer beschaeftigen. Allein das Korps des Mithrobarzanes ward schon von dem roemischen Vortrab, die Araber von einem Detachement unter Sextilius zersprengt; Lucullus gewann die von Tigranokerta nach Artaxata fuehrende Strasse, und waehrend auf dem rechten Tigrisufer ein roemisches Detachement den nordwaerts abziehenden Grosskoenig verfolgte, ging er selbst auf das linke ueber und rueckte vor Tigranokerta. Der nie versiegende Pfeilregen, mit dem die Besatzung das roemische Heer ueberschuettete, und die Anzuendung der Belagerungsmaschinen durch Naphtha weihten hier die Roemer ein in die neuen Gefahren der iranischen Kriege, und der tapfere Kommandant Mankaeos behauptete die Stadt, bis endlich die grosse koenigliche Entsatzarmee aus allen Teilen des weiten Reiches und den angrenzenden, den armenischen Werbern offenstehenden Landschaften versammelt und durch die nordoestlichen Paesse zum Entsatz der Hauptstadt herangerueckt war. Der in den Kriegen Mithradats erprobte Fuehrer Taxiles riet, die Schlacht zu vermeiden und die kleine roemische Schar durch die Reiterei zu umstellen und auszuhungern. Allein als der Koenig den roemischen Feldherrn, der sich entschieden hatte, die Schlacht zu liefern, ohne darum die Belagerung aufzuheben, mit nicht viel mehr als 10000 Mann gegen die zwanzigfache Uebermacht ausruecken und keck das Gewaesser ueberschreiten sah, das beide Heere trennte; als er auf der einen Seite diese kleine Schar ueberblickte, "zur Gesandtschaft zu viel, zum Heere zu wenig", auf der andern seine ungeheuren Heerhaufen, in denen die Voelker vom Schwarzen und vom Kaspischen mit denen vom Mittelmeer und vom Persischen Golf sich begegneten, deren gefuerchtete eisenbedeckte Lanzenreiter allein zahlreicher waren als Lucullus’ ganzes Heer und in denen es auch an roemisch geruestetem Fussvolk nicht mangelte: da entschloss er sich, die vom Feinde begehrte Schlacht ungesaeumt anzunehmen. Waehrend aber die Armenier noch sich dazu ordneten, erkannte Lucullus’ scharfes Auge, dass sie es versaeumt hatten, eine Hoehe zu besetzen, die ihre ganze Reiterstellung beherrschte: er eilte sie mit zwei Kohorten einzunehmen, indem zugleich seine schwache Reiterei durch einen Flankenangriff die Aufmerksamkeit der Feinde von dieser Bewegung ablenkte, und sowie er oben angekommen war, fuehrte er seinen kleinen Haufen der feindlichen Reiterei in den Ruecken. Sie ward gaenzlich zersprengt und warf sich auf die noch nicht voellig geordnete Infanterie, die davonlief, ohne auch nur zum Schlagen zu kommen. Das Bulletin des Siegers, dass 100000 Armenier und 5 Roemer gefallen seien und der Koenig Turban und Stirnbinde von sich werfend unerkannt mit wenigen Reitern davongesprengt sei, ist im Stile seines Meisters Sulla abgefasst; allein nichtdestoweniger bleibt der am 6. Oktober 685 (69) vor Tigranokerta erfochtene Sieg einer der glaenzendsten Sterne in der ruhmreichen Kriegsgeschichte Roms; und er war nicht minder erfolgreich als glaenzend. Alle suedlich vom Tigris den Parthern oder den Syrern entrissenen Landschaften waren damit strategisch den Armeniern verloren und gingen groesstenteils ohne weiteres ueber in den Besitz des Siegers. Die neu erbaute zweite Hauptstadt selber machte den Anfang. Die in ihr sehr zahlreichen griechischen Zwangsansiedler empoerten sich gegen die Besatzung und oeffneten dem roemischen Heere die Pforten der Stadt, die den Soldaten zur Pluenderung preisgegeben ward. Sie war geschaffen fuer das neue Grossreich und ward wie dieses von dem Sieger vertilgt. Aus Kilikien und Syrien hatte der armenische Satrap Magadates bereits alle Truppen herausgezogen, um die Entsatzarmee vor Tigranokerta zu verstaerken. Lucullus rueckte in die noerdlichste Landschaft Syriens Kommagene ein und erstuermte die Hauptstadt Samosata; bis in das eigentliche Syrien kam er nicht, doch langten von den Dynasten und Gemeinden bis zum Roten Meere hinab, von Hellenen, Syrern, Juden, Arabern, Gesandte an, um den Roemern als den neuen Oberherren zu huldigen. Selbst der Fuerst von Corduene, der oestlich von Tigranokerta gelegenen Landschaft, unterwarf sich; wogegen freilich in Nisibis und damit in Mesopotamien der Bruder des Grosskoenigs Guras sich behauptete. Durchaus trat Lucullus auf als Schirmherr der hellenischen Fuersten und Buergerschaften; in Kommagene setzte er einen Prinzen des seleukidischen Hauses, Antiochos, auf den Thron; Antiochos den Asiaten, der nach dem Abzug der Armenier nach Antiocheia zurueckgekehrt war, erkannte er an als Koenig von Syrien; die gezwungenen Ansiedler von Tigranokerta entliess er wieder in ihre Heimatorte. Die unermesslichen Vorraete und Schaetze des Grosskoenigs - an Getreide wurden 30 Millionen Medimnen, an Geld allein in Tigranokerta 8000 Talente (12« Mill. Taler) erbeutet - machten es Lucullus moeglich, die Kosten des Krieges zu bestreiten, ohne die Staatskasse in Anspruch zu nehmen, und jedem seiner Soldaten ausser reichlichster Verpflegung noch eine Verehrung von 800 Denaren (240 Taler) zu machen. ------------------------------------------------- ^3 Dass Tigranokerta in der Gegend von Mardin etwa zwei Tagemaersche westlich von Nisibis gelegen hat, hat die von K. E. Sachau (Ueber die Lage von Tigranokerta, Abh. der Berliner Akademie, 1880) an Ort und Stelle angestellte Untersuchung erwiesen, wenn auch die von Sachau vorgeschlagene genauere Fixierung der Oertlichkeit nicht ausser Zweifel ist. Dagegen steht seiner Auseinandersetzung ueber den Feldzug Luculls das Bedenken entgegen, dass auf der dabei angenommenen Route von einer Ueberschreitung des Tigris in der Tat nicht die Rede sein kann. ---------------------------------------------- Der Grosskoenig war tief gedemuetigt. Er war ein schwaechlicher Charakter, uebermuetig im Glueck, im Unglueck verzagt; wahrscheinlich wuerde zwischen ihm und Lucullus ein Abkommen zustande gekommen sein, das der Grosskoenig mit ansehnlichen Opfern zu erkaufen, der roemische Feldherr unter leidlichen Bedingungen zu gewaehren beide alle Ursache hatten, wenn der alte Mithradates nicht gewesen waere. Dieser hatte nicht teilgenommen an den Kaempfen um Tigranokerta. Durch die zwischen dem Grosskoenig und den Roemern eingetretene Spannung nach zwanzigmonatlicher Haft um die Mitte des Jahres 684 (70) befreit, war er mit 10000 armenischen Reitern in sein ehemaliges Reich abgesandt worden, um die Kommunikationen des Feindes zu bedrohen. Zurueckgerufen, noch ehe er hier etwas ausrichten konnte, als der Grosskoenig seine gesamte Macht aufbot, um die von ihm erbaute Hauptstadt zu entsetzen, kamen bei seinem Eintreffen vor Tigranokerta ihm schon die vom Schlachtfeld fluechtenden Haufen entgegen. Vom Grosskoenig bis zum gemeinen Soldaten schien allen alles verloren. Wenn aber Tigranes jetzt Frieden machte, so schwand fuer Mithradates nicht bloss die letzte Moeglichkeit der Wiedereinsetzung in sein Reich, sondern seine Auslieferung war ohne Zweifel die erste Bedingung des Friedens; und sicher wuerde Tigranes gegen ihn nicht anders gehandelt haben als Bocchus einst gegen Jugurtha. Seine ganze Persoenlichkeit setzte darum der Koenig ein, um diese Wendung zu verhindern und den armenischen Hof zur Fortfuehrung des Krieges zu bestimmen, bei der er nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte; und fluechtig und entthront wie Mithradates war, war sein Einfluss an diesem Hofe nicht gering. Noch war er ein stattlicher und gewaltiger Mann, der, obwohl schon ueber sechzig Jahre alt, sich in voller Ruestung auf das Pferd schwang und im Handgemenge gleich dem Besten seinen Mann stand. Seinen Geist schienen die Jahre und die Schicksale gestaehlt zu haben: waehrend er in frueheren Zeiten seine Heerfuehrer aussandte und selbst an dem Kriege nicht unmittelbar teilnahm, finden wir fortan als Greis ihn in der Schlacht selber befehligen und selber fechten. Ihm, der waehrend seines fuenfzigjaehrigen Regiments so viele unerhoerte Glueckswechsel erlebt hatte, schien die Sache des Grosskoenigs durch die Niederlage von Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr Lucullus’ Stellung sehr schwierig und, wenn es jetzt nicht zum Frieden kam und der Krieg in zweckmaessiger Weise fortgefuehrt ward, sogar in hohem Masse bedenklich. Der vielerfahrene Greis, der fast wie ein Vater dem Grosskoenig gegenueberstand und jetzt persoenlich auf denselben zu wirken vermochte, bezwang den schwachen Mann durch seine Energie und bestimmte ihn, nicht nur sich fuer die Fortsetzung des Krieges zu entscheiden, sondern auch ihn selber mit dessen politischer und militaerischer Leitung zu betrauen. Aus einem Kabinettskrieg sollte der Koenig jetzt ein national asiatischer werden, die Koenige und die Voelker Asiens sich vereinigen gegen die uebermaechtigen und uebermuetigen Okzidentalen. Es wurden die groessten Anstrengungen gemacht, die Armenier und die Parther miteinander zu versoehnen und sie zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen Rom zu bestimmen. Auf Mithradates’ Betrieb erbot sich Tigranes, dem Arsakiden Phraates, dem Gott (regierte seit 684 70), die von den Armeniern eroberten Landschaften Mesopotamien, Adiabene, die "grossen Taeler", zurueckzugeben und mit ihm Freundschaft und Buendnis zu machen. Allein nach allem, was vorhergegangen war, konnte dieses Anerbieten kaum auf eine guenstige Aufnahme rechnen; Phraates zog es vor, die Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Armeniern, sondern mit den Roemern sich zu sichern und zuzusehen, wie sich der verhasste Nachbar und der unbequeme Fremdling untereinander aufrieben. Mit groesserem Erfolg als an die Koenige wandte Mithradates sich an die Voelker des Ostens. Es hielt nicht schwer, den Krieg darzustellen als einen nationalen des Orients gegen den Okzident, denn er war es; gar wohl konnte er auch zum Religionskrieg gemacht und die Rede verbreitet werden, dass das Ziel des Lucullischen Heeres der Tempel der persischen Nanaea oder Anaitis in Elymais oder dem heutigen Luristan sei, das gefeiertste und das reichste Heiligtum der ganzen Euphratlandschaft ^4. Scharenweise draengten sich von nah und fern die Asiaten unter die Banner der Koenige, welche sie aufriefen, den Osten und seine Goetter vor den gottlosen Fremdlingen zu schirmen. Allein die Tatsachen hatten gezeigt, dass das blosse Zusammentreiben ungeheurer Heerhaufen nicht allein fruchtlos war, sondern durch die Einfuegung in dieselben selbst die wirklich marschierund schlagfaehigen Scharen unbrauchbar gemacht und in das allgemeine Verderben mitverwickelt wurden. Mithradates suchte vor allem die Waffe auszubilden, die zugleich die schwaechste der Okzidentalen und die staerkste der Asiaten war, die Reiterei: in der von ihm neugebildeten Armee war die Haelfte der Mannschaft beritten. Fuer den Dienst zu Fuss las er aus der Masse der aufgebotenen oder freiwillig sich meldenden Rekruten die dienstfaehigen Leute sorgfaeltig aus und liess diese durch seine pontischen Offiziere dressieren. Das ansehnliche Heer, das bald wieder unter den Fahnen des Grosskoenigs zusammenstand, war aber nicht bestimmt, auf der ersten Walstatt mit den roemischen Veteranen sich zu messen, sondern sich auf die Verteidigung und auf den kleinen Krieg zu beschraenken. Schon den letzten Krieg in seinem Reiche hatte Mithradates stetig zurueckweichend und die Schlacht vermeidend gefuehrt; auch diesmal wurde eine aehnliche Taktik angenommen und zum Kriegsschauplatz das eigentliche Armenien bestimmt, das vom Feinde noch vollkommen unberuehrte Erbland des Tigranes, durch seine physische Beschaffenheit ebenso wie durch den Patriotismus seiner Bewohner vortrefflich fuer diese Kriegsweise geeignet. --------------------------------------------- ^4 Cicero (imp. Cn. Pomp. 9, 23) meint schwerlich einen anderen als einen der reichen Tempel der Landschaft Elymais, wohin die Raubzuege der syrischen wie der parthischen Koenige regelmaessig sich richteten (Strab. 16, 744; Polyb. 31, 11; 1. Makk. 6 u. a. m.), und wahrscheinlich diesen als den bekanntesten; auf keinen Fall darf an den Tempel von Komana oder ueberhaupt irgendein Heiligtum im Pontischen Reiche gedacht werden. --------------------------------------------- Das Jahr 686 (68) fand Lucullus in einer schwierigen und taeglich bedenklicher sich gestaltenden Lage. Trotz seiner glaenzenden Siege war man in Rom durchaus nicht mit ihm zufrieden. Der Senat empfand die Eigenmaechtigkeit seines Verfahrens; die von ihm empfindlich verletzte Kapitalistenpartei setzte alle Mittel der Intrige und Bestechung in Bewegung, um seine Abberufung durchzusetzen. Taeglich erscholl der Markt der Hauptstadt von gerechten und ungerechten Beschwerden ueber den tollkuehnen, den habsuechtigen, den unroemischen, den hochverraeterischen Feldherrn. Den Klagen ueber die Vereinigung einer so grenzenlosen Macht, zweier ordentlicher Statthalterschaften und eines wichtigen ausserordentlichen Kommandos, in der Hand eines solchen Mannes gab auch der Senat insoweit nach, dass er die Provinz Asia einem der Praetoren, die Provinz Kilikien nebst drei neu ausgehobenen Legionen dem Konsul Quintus Marcius Rex bestimmte, und den Feldherrn auf das Kommando gegen Mithradates und Tigranes beschraenkte. Diese in Rom gegen den Feldherrn sich erhebenden Anklagen fanden einen gefaehrlichen Widerhall in den Quartieren am Iris und am Tigris: um so mehr, als einzelne Offiziere, darunter der eigene Schwager des Feldherrn, Publius Clodius, in diesem Sinne die Soldaten bearbeiteten. Das ohne Zweifel von diesen in Umlauf gesetzte Geruecht, dass Lucullus jetzt mit dem Pontisch-Armenischen Krieg noch eine Expedition gegen die Parther zu verbinden gedenke, naehrte die Erbitterung der Truppen. Waehrend aber also die schwierige Stimmung der Regierung wie der Soldaten den siegreichen Feldherrn mit Abberufung und Meuterei bedrohte, fuhr er selber fort, dem verzweifelten Spieler gleich, seinen Einsatz und sein Wagen zu steigern. Zwar gegen die Parther zog er nicht; aber als Tigranes sich weder bereit zeigte, Frieden zu machen, noch, wie Lucullus es wuenschte, eine zweite Hauptschlacht zu bestehen, entschloss sich Lucullus von Tigranokerta durch die schwierige Berglandschaft am oestlichen Ufer des Wansees in das Tal des oestlichen Euphrat (oder des Arsanias, jetzt Murad Tschai) und aus diesem in das des Araxes vorzudringen, wo, am noerdlichen Abhang des Ararat, die Hauptstadt des eigentlichen Armeniens Artaxata mit dem Erbschloss und dem Harem des Koenigs lag. Er hoffte den Koenig durch die Bedrohung seiner angestammten Residenz entweder unterwegs oder mindestens doch vor Artaxata zum Schlagen zu zwingen. Unumgaenglich notwendig war es freilich, bei Tigranokerta eine Abteilung zurueckzulassen; und da das Marschheer unmoeglich noch weiter vermindert werden konnte, so blieb nichts uebrig als die Stellung im Pontos zu schwaechen und von dort Truppen nach Tigranokerta zu berufen. Die Hauptschwierigkeit aber war die fuer militaerische Unternehmungen so unbequeme Kuerze des armenischen Sommers. Auf der armenischen Hochebene, die 5000 Fuss und mehr ueber der Meeresflaeche liegt, sprosst bei Erzerum das Korn erst Anfang Juni, und mit der Ernte im September stellt auch schon der Winter sich ein; in hoechstens vier Monaten musste Artaxata erreicht und die Kampagne beendigt sein. Im Mittsommer 686 (68) brach Lucullus von Tigranokerta auf und gelangte, ohne Zweifel durch den Bitlispass und weiter westlich am Wansee hinauf marschierend, auf das Plateau von Musch und an den Euphrat. Der Marsch ging, unter bestaendigen sehr laestigen Scharmuetzeln mit der feindlichen Reiterei, namentlich den berittenen Bogenschuetzen, langsam, aber ohne wesentliches Hindernis vonstatten, und auch der Euphratuebergang, den die armenische Reiterei ernstlich verteidigte, ward durch ein glueckliches Treffen erzwungen; die armenische Infanterie zeigte sich, aber es glueckte nicht, sie in das Gefecht zu verwickeln. So gelangte die Armee auf die eigentliche Hochebene Armeniens und marschierte weiter hinein in das unbekannte Land. Man hatte keinen eigentlichen Unfall erlitten; aber die blosse unabwendbare Verzoegerung des Marsches durch die Terrainschwierigkeiten und die feindlichen Reiter war an sich schon ein sehr empfindlicher Nachteil. Lange bevor man Artaxata erreicht hatte, brach der Winter herein; und wie die italischen Soldaten Schnee und Eis um sich sahen, riss der allzu straff gespannte Bogen der militaerischen Zucht. Eine foermliche Meuterei noetigte den Feldherrn, den Rueckzug anzuordnen, den er mit seiner gewoehnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte. Gluecklich angekommen in Mesopotamien, wo die Jahreszeit noch weitere Unternehmungen gestattete, ueberschritt Lucullus den Tigris und warf sich mit der Masse seines Heeres auf die letzte hier den Armeniern gebliebene Stadt Nisibis. Der Grosskoenig, gewitzigt durch die vor Tigranokerta gemachte Erfahrung, ueberliess die Stadt sich selbst; trotz ihrer tapferen Verteidigung ward sie in einer finsteren Regennacht von den Belagerern erstuermt und Lucullus’ Heer fand daselbst nicht minder reiche Beute und nicht minder bequeme Winterquartiere wie das Jahr vorher in Tigranokerta. Allein inzwischen fiel die ganze Gewalt der feindlichen Offensive auf die schwachen, im Pontos und in Armenien zurueckgebliebenen roemischen Korps. Hier zwang Tigranes den roemischen Befehlshaber Lucius Fannius - denselben, der frueher zwischen Sertorius und Mithradates den Vermittler gemacht hatte -, sich in eine Festung zu werfen und hielt ihn darin belagert. Dort rueckte Mithradates ein mit 4000 armenischen und 4000 eigenen Reitern und rief als Befreier und Raecher die Nation auf gegen den Landesfeind. Alles fiel ihm zu; die zerstreuten roemischen Soldaten wurden ueberall aufgehoben und getoetet; als der roemische Kommandant im Pontos, Hadrianus, seine Truppen gegen ihn fuehrte, machten die ehemaligen Soeldner des Koenigs und die zahlreichen, als Sklaven dem Heere folgenden Pontiker gemeinschaftliche Sache mit dem Feind. Zwei Tage nacheinander waehrte der ungleiche Kampf; nur dass der Koenig nach zwei empfangenen Wunden vom Schlachtfeld weggetragen werden musste, gab dem roemischen Befehlshaber die Moeglichkeit, die so gut wie verlorene Schlacht abzubrechen und mit dem kleinen Rest seiner Leute sich nach Kabeira zu werfen. Ein anderer von Lucullus’ Unterbefehlshabern, der zufaellig in diese Gegend kam, der entschlossene Triarius, sammelte zwar wieder einen Heerhaufen um sich und lieferte dem Koenig ein glueckliches Gefecht; allein er war viel zu schwach, um ihn wieder vom pontischen Boden zu vertreiben und musste es geschehen lassen, dass der Koenig Winterquartiere in Komana nahm. So kam das Fruehjahr 687 (67) heran. Die Vereinigung der Armee in Nisibis, die Musse der Winterquartiere, die haeufige Abwesenheit des Feldherrn hatten die Unbotmaessigkeit der Truppen inzwischen noch gesteigert; sie verlangten nicht bloss ungestuem, zurueckgefuehrt zu werden, sondern es war bereits ziemlich offenbar, dass sie, wenn der Feldherr sich weigerte, sie heimzufuehren, von selbst aufbrechen wuerden. Die Vorraete waren knapp; Fannius und Triarius sandten in ihrer bedraengten Lage die instaendigsten Bitten um Hilfeleistung an den Oberfeldherrn. Schweren Herzens entschloss sich Lucullus, der Notwendigkeit zu weichen, Nisibis und Tigranokerta aufzugeben und, auf all die glaenzenden Hoffnungen seiner armenischen Expedition verzichtend, zurueckzukehren auf das rechte Ufer des Euphrat. Fannius wurde befreit; im Pontos aber war es schon zu spaet. Triarius, nicht stark genug, um mit Mithradates zu schlagen, hatte bei Gaziura (Turksal am Iris, westlich von Tokat) eine feste Stellung genommen, waehrend das Gepaeck bei Dadasa zurueckblieb. Als indes Mithradates den letzteren Ort belagerte, zwangen die roemischen Soldaten, um ihre Habseligkeiten besorgt, den Fuehrer, seine gesicherte Stellung zu verlassen und zwischen Gaziura und Ziela (Zilleh) auf den Skotischen Anhoehen dem Koenig eine Schlacht zu liefern. Was Triarius vorhergesehen hatte trat ein: trotz der tapfersten Gegenwehr durchbrach der Fluegel, den der Koenig persoenlich fuehrte, die roemische Linie und draengte das Fussvolk in eine lehmige Schlucht zusammen, in der es weder vor noch seitwaerts ruecken konnte und erbarmungslos niedergehauen ward. Zwar ward durch einen roemischen Centurio, der dafuer sein Leben opferte, der Koenig auf den Tod verwundet; aber die Niederlage war darum nicht minder vollstaendig. Das roemische Lager ward genommen; der Kern des Fussvolks, fast alle Oberund Unteroffiziere bedeckten den Boden; die Leichen blieben unbegraben auf dem Schlachtfeld liegen, und als Lucullus auf dem rechten Euphratufer ankam, erfuhr er nicht von den Seinigen, sondern durch die Berichte der Eingeborenen die Niederlage. Hand in Hand mit dieser Niederlage ging der Ausbruch der Militaerverschwoerung. Ebenjetzt traf aus Rom die Nachricht ein, dass das Volk beschlossen habe, den Soldaten, deren gesetzmaessige Dienstzeit abgelaufen sei, das heisst den Fimbrianern, den Abschied zu bewilligen und einem der Konsuln des laufenden Jahres den Oberbefehl in Bithynien und Pontus zu uebertragen; schon war der Nachfolger Luculls, der Konsul Manius Acilius Glabrio, in Kleinasien gelandet. Die Verabschiedung der tapfersten und unruhigsten Legionen und die Abberufung des Oberfeldherrn in Verbindung mit dem Eindruck der Niederlage von Ziela loesten in dem Heer alle Bande der Autoritaet auf, eben da der Feldherr ihrer am notwendigsten bedurfte. Bei Talaura in Klein-Armenien stand er den pontischen Truppen gegenueber, an deren Spitze Tigranes’ Schwiegersohn, Mithradates von Medien, den Roemern bereits ein glueckliches Reitergefecht geliefert hatte; ebendahin war von Armenien her die Hauptmacht des Grosskoenigs in Anmarsch. Lucullus sandte an den neuen Statthalter von Kilikien, Quintus Marcius, der auf dem Marsch nach seiner Provinz soeben mit drei Legionen in Lykaonien angelangt war, um von ihm Hilfe zu erhalten; derselbe erklaerte, dass seine Soldaten sich weigerten, nach Armenien zu marschieren. Er sandte an Glabrio mit dem Ersuchen, den ihm vom Volke uebertragenen Oberbefehl zu uebernehmen; derselbe bezeigte noch weniger Lust, dieser jetzt so schwierig und gefaehrlich gewordenen Aufgabe sich zu unterziehen. Lucullus, genoetigt den Oberbefehl zu behalten, befahl, um nicht bei Talaura zugleich gegen die Armenier und die Pontiker schlagen zu muessen, den Aufbruch gegen das anrueckende armenische Heer. Die Soldaten kamen dem Marschbefehl nach; allein da angelangt, wo die Strassen nach Armenien und nach Kappadokien sich schieden, schlug die Masse des Heeres die letztere ein und begab sich in die Provinz Asia. Hier begehrten die Fimbrianer ihren augenblicklichen Abschied; und obwohl sie auf die instaendige Bitte des Oberfeldherrn und der uebrigen Korps hiervon wieder abliessen, beharrten sie doch dabei, wenn der Winter herankaeme, ohne dass ihnen ein Feind gegenueberstaende, sich aufloesen zu wollen; was denn auch geschah. Mithradates besetzte nicht bloss abermals fast sein ganzes Koenigreich, sondern seine Reiter streiften durch ganz Kappadokien und bis nach Bithymen; gleich vergeblich bat Koenig Ariobarzanes bei Quintus Marcius, bei Lucullus und bei Glabrio um Hilfe. Es war ein seltsamer, fast unglaublicher Ausgang des in so glorreicher Weise gefuehrten Krieges. Wenn man bloss auf die militaerischen Leistungen sieht, so hat kaum ein anderer roemischer General mit so geringen Mitteln so viel ausgerichtet wie Lucullus; das Talent und das Glueck Sullas schienen auf diesen seinen Schueler sich vererbt zu haben. Dass unter den obwaltenden Verhaeltnissen das roemische Heer aus Armenien unversehrt nach Kleinasien zurueckkam, ist ein militaerisches Wunderwerk, das, soweit wir urteilen koennen, den Xenophontischen Rueckzug weit uebertrifft und wohl zunaechst aus der Soliditaet des roemischen und der Untuechtigkeit des orientalischen Kriegswesens sich erklaert, aber doch unter allen Umstaenden dem Leiter dieses Zuges einen ehrenvollen Platz unter den militaerischen Kapazitaeten ersten Ranges sichert. Wenn Lucullus’ Name gewoehnlich nicht unter diesen genannt wird, so liegt die Ursache allem Anschein nach nur darin, dass teils kein militaerisch auch nur leidlicher Bericht ueber seine Feldzuege auf uns gekommen ist, teils ueberall, und vor allem im Kriege, zunaechst nichts gilt als das schliessliche Resultat, und dies freilich kam einer vollstaendigen Niederlage gleich. Durch die letzte unglueckliche Wendung der Dinge, hauptsaechlich durch die Meuterei der Soldaten, waren alle Erfolge eines achtjaehrigen Krieges wieder verloren worden; man stand im Winter 687/88 (67/66) genau wieder an demselben Fleck wie im Winter 679/80 (75/74). Nicht bessere Resultate als der Kontinentalkrieg lieferte der Seekrieg gegen die Piraten, der mit demselben zugleich begann und bestaendig mit ihm in der engsten Verbindung stand. Es ward bereits erzaehlt, dass der Senat im Jahre 680 (74) den verstaendigen Beschluss fasste, die Saeuberung der Meere von den Korsaren einem einzigen hoechstkommandierenden Admiral, dem Praetor Marcus Antonius, zu uebertragen. Allein gleich von vornherein hatte man sich in der Wahl des Fuehrers durchaus vergriffen, oder vielmehr diejenigen, welche diese an sich zweckmaessige Massregel durchgesetzt haetten, hatten nicht berechnet, dass im Senat alle Personenfragen durch Cethegus’ Einfluss und aehnliche Koterieruecksichten entschieden wurden. Man hatte ferner versaeumt, den gewaehlten Admiral in einer seiner umfassenden Aufgabe angemessenen Weise mit Geld und Schiffen auszustatten, so dass er durch seine ungeheuren Requisitionen den befreundeten Provinzialen fast ebenso laestig fiel wie die Korsaren. Die Erfolge waren entsprechend. In den kampanischen Gewaessern brachte die Flotte des Antonius eine Anzahl Piratenschiffe auf. Mit den Kretensern aber, die mit den Piraten Freundschaft und Buendnis gemacht hatten und seine Forderung, von dieser Gemeinschaft abzulassen, schroff zurueckwiesen, kam es zum Gefecht; und die Ketten, die Antonius vorsorglich auf seinen Schiffen in Vorrat gelegt hatte, um die gefangenen Flibustier damit zu fesseln, dienten dazu, den Quaestor und die uebrigen roemischen Gefangenen an die Masten der eroberten roemischen Schiffe zu schliessen, als die kretischen Feldherren Lasthenes und Panares aus dem bei ihrer Insel den Roemern gelieferten Seetreffen triumphierend nach Kydonia zuruecksteuerten. Antonius, nachdem er mit seiner leichtsinnigen Kriegfuehrung ungeheure Summen vergeudet und nicht das geringste ausgerichtet hatte, starb im Jahre 683 (71) auf Kreta. Teils der schlechte Erfolg seiner Expedition, teils die Kostbarkeit des Flottenbaus, teils der Widerwille der Oligarchie gegen jede umfassendere Beamtenkompetenz bewirkten, dass man nach der faktischen Beendigung dieser Unternehmung durch Antonius’ Tod keinen Oberadmiral wieder ernannte und auf die alte Weise zurueckkam, jeden Statthalter in seiner Provinz fuer die Unterdrueckung der Piraterie sorgen zu lassen; wie denn zum Beispiel die von Lucullus hergestellte Flotte hierfuer im Aegaeischen Meer taetig war. Nur was die Kreter anbetrifft, schien eine Schmach wie die vor Kydonia erlittene doch selbst diesem gesunkenen Geschlecht allein durch die Kriegserklaerung beantwortet werden zu koennen. Dennoch haetten die kretischen Gesandten, die im Jahre 684 (70) in Rom mit der Bitte erschienen, die Gefangenen zuruecknehmen und das alte Buendnis wieder herstellen zu wollen, fast einen guenstigen Senatsbeschluss erlangt; was die ganze Korporation eine Schande nannte, das verkaufte bereitwillig fuer klingenden Preis der einzelne Senator. Erst nachdem ein foermlicher Senatsbeschluss die Anlehen der kretischen Gesandten bei den roemischen Bankiers klaglos gestellt, das heisst nachdem der Senat sich selber in die Unmoeglichkeit versetzt hatte, sich bestechen zu lassen, kam das Dekret zustande, dass die kretischen Gemeinden ausser den roemischen Ueberlaeufern, die Urheber des vor Kydonia veruebten Frevels, die Fuehrer Lasthenes und Panares, den Roemern zu geeigneter Bestrafung zu uebergeben, ferner saemtliche Schiffe und Boote von vier oder mehr Rudern auszuliefern, 400 Geiseln zu stellen und eine Busse von 4000 Talenten (6250000 Taler) zu zahlen haetten, wofern sie den Krieg zu vermeiden wuenschten. Als die Gesandten sich zur Eingebung solcher Bedingungen nicht bevollmaechtigt erklaerten, wurde einer der Konsuln des naechsten Jahres bestimmt, nach Ablauf seines Amtsjahres nach Kreta abzugehen, um dort entweder das Geforderte in Empfang zu nehmen oder den Krieg zu beginnen. Demgemaess erschien im Jahre 685 (69) der Prokonsul Quintus Metellus in den kretischen Gewaessern. Die Gemeinden der Insel, voran die groesseren Staedte Gortyna, Knossos, Kydonia, waren entschlossen, lieber mit den Waffen sich zu verteidigen, als jenen uebermaessigen Forderungen sich zu fuegen. Die Kretenser waren ein ruchloses und entartetes Volk, mit deren oeffentlicher und privater Existenz der Seeraub so innig verwachsen war wie der Landraub mit dem Gemeinwesen der Aetoler; allein sie glichen den Aetolern wie ueberhaupt in vielen Stuecken so auch in der Tapferkeit, und es sind denn auch diese beiden griechischen Gemeinden die einzigen, die den Kampf um die Unabhaengigkeit mutig und ehrenhaft gefuehrt haben. Bei Kydonia, wo Metellus seine drei Legionen ans Land setzte, stand eine kretische Armee von 24000 Mann unter Lasthenes und Panares bereit, ihn zu empfangen; es kam zu einer Schlacht im offenen Felde, in der der Sieg nach hartem Kampf den Roemern blieb. Allein die Staedte trotzten dem roemischen Feldherrn nichtsdestoweniger hinter ihren Mauern; Metellus musste sich entschliessen, eine nach der andern zu belagern. Zuerst ward Kydonia, wohin die Truemmer der geschlagenen Armee sich geworfen hatten, nach langer Belagerung von Panares gegen das Versprechen freien Abzuges fuer sich selber uebergeben. Lasthenes, der aus der Stadt entwichen war, musste zum zweiten Male in Knossos belagert werden, und da auch diese Festung im Begriff war zu fallen, vernichtete er seine Schaetze und entschluepfte abermals nach Orten, welche, wie Lyktos, Eleutherna und andere, die Verteidigung noch fortsetzten. Zwei Jahre (686, 687 68, 67) vergingen, bevor Metellus der ganzen Insel Herr und damit der letzte Fleck freier griechischer Erde in die Gewalt der uebermaechtigen Roemer gekommen war; die kretischen Gemeinden, wie sie zuerst von allen griechischen die freie Stadtverfassung und die Seeherrschaft bei sich entwickelt hatten, sollten auch die letzten von allen jenen, einst das Mittelmeer erfuellenden griechischen Seestaaten sein, die der roemischen Kontinentalmacht erlagen. Alle Rechtsbedingungen waren erfuellt, um wiederum einen der ueblichen pomphaften Triumphe zu feiern; das Geschlecht der Meteller konnte seinen makedonischen, numidischen, dalmatischen, baliarischen Titeln mit gleichem Recht den neuen kretischen beifuegen, und Rom besass einen stolzen Namen mehr. Nichtsdestoweniger stand die Macht der Roemer auf dem Mittelmeer nie tiefer, die der Korsaren nie hoeher als in diesen Jahren. Wohl mochten die Kiliker und Kreter der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe gezaehlt haben sollen, des Isaurikers wie des Kretikers und ihrer nichtigen Siege spotten. Wie nachdruecklich die Seeraeuber in den Mithradatischen Krieg eingriffen und wie die hartnaeckige Gegenwehr der pontischen Seestaedte ihre besten Kraefte aus dem Korsarenstaat zog, ward bereits erzaehlt. Aber derselbe machte auch auf eigene Hand kaum minder grossartige Geschaefte. Fast unter den Augen der Flotte Luculls ueberfiel im Jahre 685 (69) der Pirat Athenodoros die Insel Delos, zerstoerte deren vielgefeierte Heiligtuemer und Tempel und fuehrte die ganze Bevoelkerung fort in die Sklaverei. Die Insel Lipara bei Sizilien zahlte den Piraten jaehrlich einen festen Tribut, um von aehnlichen Ueberfaellen verschont zu bleiben. Ein anderer Piratenchef, Herakleon, zerstoerte im Jahre 682 (72) das in Sizilien gegen ihn ausgeruestete Geschwader und wagte es, mit nicht mehr als vier offenen Booten in den Hafen von Syrakus einzufahren. Zwei Jahre spaeter stieg sein Kollege Pyrganion in demselben Hafen sogar an das Land, setzte daselbst sich fest und schickte von dort aus Streifpartien in die Insel, bis ihn der roemische Statthalter endlich zwang, sich wiedereinzuschiffen. Das war man am Ende nachgerade gewohnt, dass alle Provinzen Geschwader ausruesteten und Strandwachen aufstellten oder doch fuer beides steuerten, und dennoch die Korsaren so regelmaessig erschienen, um die Provinzen auszupluendern wie die roemischen Statthalter. Aber selbst den geweihten Boden Italiens respektierten jetzt die unverschaemten Frevler nicht mehr: von Kroton fuehrten sie den Tempelschatz der Lakinischen Hera mit sich fort; sie landeten in Brundisium, Misenum, Caieta, in den etruskischen Haefen, ja in Ostia selbst; sie brachten die vornehmsten roemischen Offiziere als Gefangene auf, unter andern den Flottenfuehrer der kilikischen Armee und zwei Praetoren mit ihrem ganzen Gefolge, mit den gefuerchteten Beilen und Ruten selbst und allen Abzeichen ihrer Wuerde; sie entfuehrten aus einer Villa bei Misenum die eigene Schwester des zur Vernichtung der Piraten ausgesandten roemischen Oberadmirals Antonius; sie vernichteten im Hafen von Ostia die gegen sie ausgeruestete und von einem Konsul befehligte roemische Kriegsflotte. Der latinische Bauersmann, der Reisende auf der Appischen Strasse, der vornehme Badegast in dem irdischen Paradiese von Baiae waren ihrer Habe und ihres Lebens fuerder keinen Augenblick sicher; aller Handel und aller Verkehr stockte; die entsetzlichste Teuerung herrschte in Italien und namentlich in der von ueberseeischem Korn lebenden Hauptstadt. Die Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig mit Klagen ueber unertraeglichen Notstand; hier duerfte die Bezeichnung passen. Es ist bisher geschildert worden, wie der von Sulla restaurierte Senat die Grenzbewachung in Makedonien, die Disziplin ueber die Klientelkoenige Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei geuebt hat; die Resultate waren nirgends erfreulich. Nicht bessere Erfolge erzielte die Regierung in einer anderen, vielleicht noch dringenderen Angelegenheit, der Ueberwachung des provinzialen und vor allem des italischen Proletariats. Der Krebsschaden des Sklavenproletariats zehrte an dem Marke aller Staaten des Altertums und um so mehr, je maechtiger sie emporgeblueht waren; denn Macht und Reichtum des Staats fuehrten unter den bestehenden Verhaeltnissen regelmaessig zu einer unverhaeltnismaessigen Vermehrung der Sklavenmenge. Natuerlich litt demnach Rom darunter schwerer als irgendein anderer Staat des Altertums. Schon die Regierung des sechsten Jahrhunderts hatte gegen die Banden entlaufener Hirtenund Feldsklaven Truppen schicken muessen. Die unter den italischen Spekulanten mehr und mehr um sich greifende Plantagenwirtschaft hatte das gefaehrliche Uebel ins unendliche gesteigert; in der Zeit der Gracchischen und der Marianischen Krise und mit denselben in engem Zusammenhang hatten Skl
avenaufstaende an zahlreichen Punkten des Roemischen Reiches stattgehabt, in Sizilien sogar zu zwei blutigen Kriegen (619-622 und 652-654 135-132 und 102-100) sich entwickelt. Aber das Dezennium der Restaurationsherrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie fuer die Flibustier zur See so fuer die gleichartigen Banden auf dem Festland, vor allem in der bisher noch verhaeltnismaessig leidlich geordneten italischen Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte daselbst kaum mehr die Rede sein. In der Hauptstadt und den minder bevoelkerten Landschaften Italiens waren Raeubereien alltaeglich, Mordtaten haeufig. Gegen Menschenraub an fremden Sklaven wie an freien Leuten erging - vielleicht in dieser Epoche - ein besonderer Volksschluss; gegen gewaltsame Besitzentziehung von Grundstuecken ward um diese Zeit eine eigene summarische Klage neu eingefuehrt. Diese Verbrechen mussten besonders deswegen gefaehrlich erscheinen, weil sie zwar gewoehnlich begangen wurden von dem Proletariat, aber als moralische Urheber und Teilnehmer an dem Gewinn auch die vornehme Klasse in grossem Umfang dabei mittaetig war. Namentlich der Menschenund der Ackerraub wurde sehr haeufig durch die Aufseher der grossen Gueter veranlasst und durch die daselbst vereinigten haeufig bewaffneten Sklavenscharen ins Werk gesetzt; und gar mancher hochangesehene Mann verschmaehte nicht, was einer seiner diensteifrigen Sklavenaufseher so fuer ihn erwarb wie Mephisto fuer Faust die Linden Philemons. Wie die Dinge standen, zeigt die verschaerfte Bestrafung der durch bewaffnete Banden veruebten Eigentumsfrevel, welche einer der besseren Optimaten, Marcus Lucullus, als Vorstand der hauptstaedtischen Rechtspflege um das Jahr 676 (78) einfuehrte ^5, mit der ausgesprochenen Absicht, die Eigentuemer der grossen Sklavenherden durch die Gefahr sich dieselben aberkannt zu sehen, zu nachdruecklicherer Beaufsichtigung derselben anzuhalten. Wo also im Auftrag der vornehmen Welt gepluendert und gemordet ward, lag es diesen Sklavenund Proletariermassen nahe, das gleiche Geschaeft fuer eigene Rechnung zu treiben; es genuegte ein Funke, um den furchtbaren Brennstoff in Flammen zu setzen und das Proletariat in eine Insurrektionsarmee zu verwandeln. Die Veranlassung fand sich bald. ------------------------------------------------- ^5 Aus diesen Bestimmungen hat sich der Begriff des Raubes als eines besonderen Verbrechens entwickelt, waehrend das aeltere Recht den Raub unter dem Diebstahl mitbegriff. ------------------------------------------------- Die Fechterspiele, die unter den Volkslustbarkeiten in Italien jetzt den ersten Rang behaupteten, hatten die Errichtung zahlreicher Anstalten namentlich in und um Capua herbeigefuehrt, worin diejenigen Sklaven teils aufbewahrt, teils eingeschult wurden, die bestimmt waren, zur Belustigung der souveraenen Menge zu toeten oder zu sterben - natuerlich grossenteils tapfere kriegsgefangene Leute, die es nicht vergessen hatten, einst gegen die Roemer im Felde gestanden zu haben. Eine Anzahl solcher verzweifelter Menschen brach aus einer der capuanischen Fechterschulen aus (681 73) und warf sich auf den Vesuv. An ihrer Spitze standen zwei keltische Maenner, die mit ihren Sklavennamen Krixos und Oenomaos genannt werden, und der Thraker Spartacus. Dieser, vielleicht ein Sproessling des edlen, in der thrakischen Heimat wie in Pantikapaeon sogar zu koeniglichen Ehren gelangten Geschlechts der Spartokiden, hatte unter den thrakischen Hilfstruppen im roemischen Heer gedient, war desertiert und als Raeuber in die Berge gegangen und hier wiedereingefangen und fuer die Kampfspiele bestimmt worden. Die Streifereien dieser kleinen, anfaenglich nur vierundsiebzig Koepfe zaehlenden, aber rasch durch Zulauf aus der Umgegend anschwellenden Schar wurden den Bewohnern der reichen kampanischen Landschaft bald so laestig, dass dieselben, nachdem sie vergeblich versucht hatten, sich selber ihrer zu erwehren, gegen sie Hilfe von Rom erbaten. Es erschien eine schleunig zusammengeraffte Abteilung von 3000 Mann unter Fuehrung des Clodius Glaber und besetzte die Aufgaenge zum Vesuv, um die Sklavenschar auszuhungern. Aber die Raeuber wagten es trotz ihrer geringen Anzahl und ihrer mangelhaften Bewaffnung, ueber jaehe Abhaenge hinabkletternd die roemischen Posten zu ueberfallen; und als die elende Miliz den kleinen Haufen verzweifelter Maenner unvermutet auf sich eindringen sah, gab sie Fersengeld und verlief sich nach allen Seiten. Dieser erste Erfolg verschaffte den Raeubern Waffen und steigenden Zulauf. Wenngleich auch jetzt noch ein grosser Teil von ihnen nichts fuehrte als zugespitzte Knuettel, so fand die neue und staerkere Abteilung der Landwehr, zwei Legionen unter dem Praetor Publius Varinius, die von Rom her in Kampanien einrueckte, sie schon fast wie ein Kriegsheer in der Ebene lagernd. Varinius hatte einen schwierigen Stand. Seine Milizen, genoetigt, dem Feind gegenueber zu biwakieren, wurden durch die feuchte Herbstwitterung und die dadurch erzeugten Krankheiten arg mitgenommen; und schlimmer noch als die Epidemien lichteten Feigheit und Unbotmaessigkeit die Reihen. Gleich zu Anfang lief eine seiner Abteilungen vollstaendig auseinander, so dass die Fluechtigen nicht etwa auf das Hauptkorps zurueck, sondern geradewegs nach Hause gingen. Als sodann der Befehl gegeben ward, gegen die feindlichen Verschanzungen vorzugehen und anzugreifen, weigerte sich der groesste Teil der Leute, ihm Folge zu leisten. Nichtsdestoweniger brach Varinius mit denen, die standhielten, gegen die Raeuberschar auf; allein er fand sie nicht mehr, wo er sie suchte. In tiefster Stille war sie aufgebrochen und hatte sich suedwaerts gegen Picentia (Vicenza bei Amalfi) gewendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht wehren konnte, dass sie ueber den Silarus zurueckwich bis in das innere Lucanien, das gelobte Land der Hirten und der Raeuber. Auch dorthin folgte Varinius und hier endlich stellte der verachtete Feind sich zum Treffen. Alle Verhaeltnisse, unter denen der Kampf stattfand, waren zum Nachteil der Roemer; die Soldaten, so ungestuem sie kurz zuvor die Schlacht gefordert hatten, schlugen dennoch sich schlecht; Varinius ward vollstaendig besiegt, sein Pferd und die Insignien seiner Amtswuerde gerieten mit dem roemischen Lager selbst in Feindeshand. Massenweise stroemten die sueditalischen Sklaven, namentlich die tapferen halbwilden Hirten, unter die Fahne der so unverhofft erschienenen Erloeser; nach den maessigen Angaben stieg die Zahl der bewaffneten Insurgenten auf 40000 Mann. Kampanien, soeben geraeumt, ward rasch wieder eingenommen, das daselbst unter dem Quaestor des Varinius, Gaius Thoranius, zurueckgebliebene roemische Korps zersprengt und aufgerieben. Im ganzen Sueden und Suedwesten Italiens war das offene Land in den Haenden der siegreichen Raeuberhauptleute; selbst ansehnliche Staedte, wie Consentia im bruttischen Land, Thurii und Metapont in Lucanien, Nola und Nuceria in Kampanien, wurden von ihnen erstuermt und erlitten alle Greuel, die siegreiche Barbaren ueber wehrlose Zivilisierte, entfesselte Sklaven ueber ihre gewesenen Herren zu bringen vermoegen. Dass ein Kampf wie dieser ueberhaupt rechtlos und mehr eine Metzelei als ein Krieg war, versteht sich leider von selbst: die Herren schlugen jeden gefangenen Sklaven von Rechts wegen ans Kreuz; diese machten natuerlich gleichfalls ihre Gefangenen nieder oder zwangen gar in noch hoehnischerer Vergeltung die kriegsgefangenen Roemer, im Fechtspiel einander selber zu morden; wie dies spaeter mit dreihundert derselben bei der Leichenfeier eines im Kampfe gefallenen Raeuberhauptmanns geschah. In Rom war man mit Recht in Besorgnis ueber den immer weiter um sich greifenden verheerenden Brand. Es ward beschlossen, das naechste Jahr (682 72) beide Konsuln gegen die furchtbaren Bandenchefs auszusenden. In der Tat gelang es dem Praetor Quintus Arrius, einem Unterfeldherrn des Konsuls Lucius Genius, den keltischen Haufen, der unter Krixos von der Masse des Raeuberheers sich gesondert hatte und auf eigene Hand brandschatzte, in Apulien am Garganus zu fassen und zu vernichten. Aber um so glaenzendere Siege erfocht Spartacus im Apennin und im noerdlichen Italien, wo der Konsul Gnaeus Lentulus, waehrend er die Raeuber zu umzingeln und aufzuheben vermeinte, sodann sein Kollege Gellius und der soeben noch siegreiche Praetor Arrius, endlich bei Mutina der Statthalter des Diesseitigen Gallien, Gaius Cassius (Konsul 681 73), und der Praetor Gnaeus Manlius einer nach dem andern seinen Streichen erlagen. Die kaum bewaffneten Sklavenrotten waren der Schreck der Legionen; die Kette der Niederlagen erinnerte an die ersten Jahre des Hannibalischen Krieges. Was haette kommen moegen, wenn nicht entlaufene Fechtersklaven, sondern die Volkskoenige aus den Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze der siegreichen Scharen gestanden haetten, ist nicht zu sagen; wie die Bewegung einmal war, blieb sie trotz ihrer glaenzenden Siege ein Raeuberaufstand und unterlag weniger der Uebermacht ihrer Gegner als der eignen Zwietracht und Planlosigkeit. Die Einigkeit gegen den gemeinschaftlichen Feind, die in den frueheren sizilischen Sklavenkriegen in so bemerkenswerter Weise hervorgetreten war, wird in diesem italischen vermisst, wovon wohl die Ursache darin zu suchen ist, dass die sizilischen Sklaven in dem gemeinsamen Syrohellenismus einen gleichsam nationalen Einigungspunkt fanden, die italischen dagegen in die beiden Massen der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich schieden. Die Spaltung zwischen dem Kelten Krixos und dem Thraker Spartacus - Oenomaos war gleich in einem der ersten Gefechte gefallen - und aehnlicher Hader laehmte die Benutzung der errungenen Erfolge und verschaffte den Roemern manchen wichtigen Sieg. Aber noch weit nachteiliger als die keltisch-germanische Unbotmaessigkeit wirkte auf das Unternehmen der Mangel eines festen Planes und Zieles. Wohl stand Spartacus, nach dem Wenigen zu schliessen, was wir von dem seltenen Mann erfahren, hierin ueber seiner Partei. Er verriet neben seinem strategischen ein nicht gemeines Organisationstalent, wie denn gleich von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er seiner Schar vorstand und die Beute verteilte, wenigstens ebensosehr wie seine Tapferkeit die Augen der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um dem empfindlichen Mangel an Reiterei und an Waffen abzuhelfen, versuchte er mit Hilfe der in Unteritalien aufgegriffenen Pferdeherden, sich eine Kavallerie zu schulen und zu disziplinieren und, sowie er den Hafen von Thurii in die Haende bekam, von dort aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch Vermittlung der Piraten, sich zu verschaffen. Aber in den Hauptsachen vermochte auch er nicht die wilden Horden, die er anfuehrte, auf feste Endziele hinzulenken. Gern haette er den tollen Bacchanalien der Grausamkeit gewehrt, die die Raeuber in den eingenommenen Staedten sich gestatteten und die die hauptsaechliche Ursache waren, weshalb keine italische Stadt freiwillig mit den Insurgenten gemeinschaftliche Sache machte; aber der Gehorsam, den der Raeuberhauptmann im Kampfe fand, hoerte mit dem Siege auf und seine Vorstellungen und Bitten waren vergeblich. Nach den im Apennin 682 (72) erfochtenen Siegen stand dem Sklavenheer nach jeder Richtung hin der Weg frei. Spartacus selbst soll beabsichtigt haben, die Alpen zu ueberschreiten, um sich und den Seinigen die Rueckkehr in ihre keltische oder thrakische Heimat zu oeffnen; wenn der Bericht gegruendet ist, so zeigt er, wie wenig der Sieger seine Erfolge und seine Macht ueberschaetzte. Da die Mannschaft sich weigerte, dem reichen Italien so rasch den Ruecken zu wenden, schlug Spartacus den Weg nach Rom ein und soll daran gedacht haben, die Hauptstadt zu blockieren. Indes auch diesem zwar verzweifelten, aber doch planmaessigen Beginnen zeigten die Scharen sich abgeneigt; sie zwangen ihren Fuehrer, da er Feldherr sein wollte, Raeuberhauptmann zu bleiben und ziellos weiter in Italien auf Pluenderung umherzuziehen. Rom mochte sich gluecklich preisen, dass es also kam; auch so aber war guter Rat teuer. Es fehlte an geuebten Soldaten wie an erprobten Feldherren; Quintus Metellus und Gnaeus Pompeius waren in Spanien, Marcus Lucullus in Thrakien, Lucius Lucullus in Kleinasien beschaeftigt, und zur Verfuegung standen nur rohe Milizen und hoechstens mittelmaessige Offiziere. Man bekleidete mit dem ausserordentlichen Oberbefehl in Italien den Praetor Marcus Crassus, der zwar kein namhafter Feldherr war, aber doch unter Sulla mit Ehren gefochten und wenigstens Charakter hatte, und stellte ihm eine wenn nicht durch ihre Qualitaet, doch durch ihre Zahl imponierende Armee von acht Legionen zur Verfuegung. Der neue Oberfeldherr begann damit, die erste Abteilung, die wieder mit Wegwerfung ihrer Waffen vor den Raeubern davonlief, nach der ganzen Strenge der Kriegsgesetze zu behandeln und den zehnten Mann davon hinrichten zu lassen; worauf in der Tat die Legionen sich wieder etwas mehr zusammennahmen. Spartacus, in dem naechsten Gefecht besiegt, zog sich zurueck und suchte durch Lucanien nach Rhegion zu gelangen. Ebendamals beherrschten die Piraten nicht bloss die sizilischen Gewaesser, sondern selbst den Hafen von Syrakus; mit Hilfe ihrer Boote gedachte Spartacus ein Korps nach Sizilien zu werfen, wo die Sklaven nur auf einen Anstoss warteten, um zum dritten Male loszuschlagen. Der Marsch nach Rhegion gelang, allein die Korsaren, vielleicht geschreckt durch die von dem Praetor Gaius Verres auf Sizilien eingerichteten Strandwachen, vielleicht auch von den Roemern bestochen, nahmen von Spartacus den bedungenen Lohn, ohne ihm die Gegenleistung dafuer zu gewaehren. Crassus inzwischen war dem Raeuberheer bis etwa an die Krathismuendung gefolgt und liess, aehnlich wie Scipio vor Numantia, seine Soldaten, da sie nicht schlugen, wie sie sollten, einen festungsaehnlich verschanzten Wall in der Laenge von sieben deutschen Meilen auffuehren, der die Bruttische Halbinsel von dem uebrigen Italien absperrte ^6 und dem von Rhegion zurueckkehrenden Insurgentenheer den Weg verlegte und die Zufuhr abschnitt. Indes in einer dunklen Winternacht durchbrach Spartacus die feindlichen Linien und stand im Fruehjahr 683 (71) ^7 wieder in Lucanien. Das muehsame Werk war also vergebens gewesen. Crassus fing an, an der Loesung seiner Aufgabe zu verzweifeln, und forderte vom Senat, dass er die in Makedonien unter Marcus Lucullus, im diesseitigen Spanien unter Gnaeus Pompeius stehenden Heere zu seiner Unterstuetzung nach Italien berufe. Es bedurfte indes dieses aeussersten Notschrittes nicht; die Uneinigkeit und der Uebermut der Raeuberhaufen genuegten, um ihre Erfolge wieder zu vereiteln. Abermals loesten sich die Kelten und Germanen von dem Bunde, dessen Haupt und Seele der Thraker war, um unter Fuehrern ihrer eigenen Nation, Gannicus und Castus, sich vereinzelt den Roemern ans Messer zu liefern. Einmal, am Lucanischen See, rettete sie Spartacus’ rechtzeitiges Erscheinen; sie schlugen nun zwar wohl ihr Lager nahe bei dem seinigen auf, aber dennoch gelang es Crassus, den Spartacus durch die Reiterei zu beschaeftigen und indessen die keltischen Haufen zu umstellen und zum Sonderkampf zu zwingen, in welchem sie saemtlich, man sagt 12300 Streiter, tapfer kaempfend fielen, alle auf dem Platze und mit den Wunden nach vorn. Spartacus versuchte darauf, sich mit seiner Abteilung in die Berge um Petelia (bei Strongoli in Kalabrien) zu werfen und schlug nachdruecklich die roemische Vorhut, die dem Weichenden folgte. Allein dieser Sieg gereichte mehr dem Sieger als dem Besiegten zum Nachteil. Berauscht von dem Erfolg weigerten sich die Raeuber, weiter zurueckzuweichen, und noetigten ihren Feldherrn, sie durch Lucanien nach Apulien dem letzten entscheidenden Kampf entgegenzufuehren. Vor der Schlacht stiess Spartacus sein Ross nieder; wie er im Glueck und im Unglueck treu bei den Seinen ausgeharrt hatte, so zeigte er ihnen jetzt durch die Tat, dass es ihm wie allen hier gehe um Sieg oder Tod. Auch in der Schlacht stritt er mit dem Mut eines Loewen: zwei Centurionen fielen von seiner Hand; verwundet und in die Knie gesunken noch fuehrte er den Speer gegen die andringenden Feinde. Also starben der grosse Raeuberhauptmann und mit ihm die besten seiner Gesellen den Tod freier Maenner und ehrlicher Soldaten (683 71). Nach dem teuer erkauften Siege ward von den Truppen, die ihn erfochten, und von denen des Pompeius, die inzwischen nach Ueberwindung der Sertorianer aus Spanien eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine Menschenhetze angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war, um die letzten Funken des gewaltigen Brandes zu zertreten. Obwohl in den suedlichen Landschaften, wo zum Beispiel das Staedtchen Tempsa 683 (71) von einer Raeuberschar eingenommen ward, und in dem durch Sullas Expropriationen schwer betroffenen Etrurien ein rechter Landfriede noch keineswegs sich einfand, galt doch derselbe offiziell als in Italien wiederhergestellt. Wenigstens die schmachvoll verlorenen Adler waren wiedergewonnen - allein nach dem Sieg ueber die Kelten brachte man deren fuenf ein; und laengs der Strasse von Capua nach Rom zeugten die sechstausend Kreuze, die gefangene Sklaven trugen, von der neu begruendeten Ordnung und dem abermaligen Siege des anerkannten Rechts ueber das rebellierende lebendige Eigen. ---------------------------------------------- ^6 Da die Linie sieben deutsche Meilen (Sall. hist. 4, 19 Dietsch; Plut. Crass. 10) lang war, so ging sie wohl nicht von Squillace nach Pizzo, sondern noerdlicher, etwa bei Castrovillari und Cassano ueber die hier in gerader Linie etwa sechs deutsche Meilen breite Halbinsel. ^7 Dass Crassus noch 682 (72) den Oberbefehl uebernahm, ergibt sich aus der Beseitigung der Konsuln (Plot. Crass. 10); dass der Winter 682/83 (72/71) den beiden Heeren am Bruttischen Wall verstrich, aus der "Schneenacht (Plot. a. a. O.). --------------------------------------------------- Blicken wir zurueck auf die Ereignisse, die das Dezennium der sullanischen Restauration erfuellen. Eine gewaltige, den Lebensnerv der Nation notwendig beruehrende Gefahr war an sich in keiner der waehrend dieser Zeit vorgekommenen aeusseren oder inneren Bewegungen enthalten, weder in der Insurrektion des Lepidus, noch in den Unternehmungen der spanischen Emigranten, noch in den thrakisch-makedonischen und kleinasiatischen Kriegen, noch in den Piratenund Sklavenaufstaenden; und dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kaempfen um seine Existenz gefochten. Die Ursache war, dass die Aufgaben, solange sie noch mit Leichtigkeit loesbar waren, ueberall ungeloest blieben; die Vernachlaessigung der einfachsten Vorsichtsmassregeln erzeugte die entsetzlichsten Missstaende und Ungluecksfaelle und schuf abhaengige Klassen und machtlose Koenige in ebenbuertige Gegner um. Die Demokratie zwar, und die Sklaveninsurrektion hatte man besiegt; aber wie die Siege waren, ward durch sie der Sieger weder innerlich gehoben noch aeusserlich gekraeftigt. Es war keine Ehre, dass die beiden gefeiertsten Generale der Regierungspartei in einem achtjaehrigen, mit mehr Niederlagen als Siegen bezeichneten Kampf des Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen Guerillas nicht Herr geworden waren, dass erst der Mordstahl seiner Freunde den Sertorianischen Krieg zu Gunsten der legitimen Regierung entschieden hatte. Die Sklaven nun gar war es viel weniger eine Ehre besiegt, als eine Schande, ihnen jahrelang in gleichem Kampfe gegenuebergestanden zu haben. Wenig mehr als ein Jahrhundert war seit dem Hannibalischen Kriege verflossen; es musste dem ehrbaren Roemer das Blut in die Wangen treiben, wenn er den furchtbar raschen Ruecktritt der Nation seit jener grossen Zeit erwog. Damals standen die italischen Sklaven wie die Mauern gegen Hannibals Veteranen; jetzt staeubte die italische Landwehr vor den Knuetteln ihrer entlaufenen Knechte wie Spreu auseinander. Damals machte jeder einfache Oberst im Fall der Not den Feldherrn und focht oft ohne Glueck, doch immer mit Ehren; jetzt hielt es hart, unter all den vornehmen Offizieren nur einen Fuehrer von gewoehnlicher Brauchbarkeit zu finden. Damals nahm die Regierung lieber den letzten Bauer vom Pflug, als dass sie darauf verzichtet haette, Griechenland und Spanien zu erobern; jetzt war man drauf und dran, beide laengst erworbene Gebiete wieder preiszugeben, nur um daheim der aufstaendischen Knechte sich erwehren zu koennen. Auch Spartacus hatte, so gut wie Hannibal, vom Po bis an die sizilische Meerenge Italien mit Heeresmacht durchzogen, beide Konsuln geschlagen und Rom mit der Blockade bedroht; wozu es gegen das ehemalige Rom des groessten Feldherrn des Altertums bedurft hatte, das vermochte gegen das jetzige ein kecker Raeuberhauptmann. War es ein Wunder, dass solchen Siegen ueber Insurgenten und Raeuberfuehrer kein frisches Leben entkeimte? Ein noch minder erfreuliches Ergebnis aber hatten die aeusseren Kriege herausgestellt. Zwar der thrakisch-makedonische hatte, wenn kein dem ansehnlichen Aufwand von Menschen und Feld entsprechendes, doch auch kein geradezu unguenstiges Resultat gegeben. Dagegen in dem kleinasiatischen und in dem Piratenkrieg hatte die Regierung vollstaendigen Bankrott gemacht. Jener schloss ab mit dem Verlust der gesamten, in acht blutigen Feldzuegen gemachten Eroberungen, dieser mit der vollstaendigen Verdraengung der Roemer von "ihrem Meer". Einst hatte Rom im Vollgefuehl der Unwiderstehlichkeit seiner Landmacht das Uebergewicht auch auf das zweite Element uebertragen; jetzt war der gewaltige Staat zur See ohnmaechtig und, wie es schien, im Begriff, auch wenigstens ueber den asiatischen Kontinent die Herrschaft einzubuessen. Die materiellen Wohltaten des staatlichen Daseins: Sicherheit der Grenzen, ungestoerter friedlicher Verkehr, Rechtsschutz, geordnete Verwaltung, fingen an, alle miteinander den saemtlichen im roemischen Staat vereinigten Nationen zu verschwinden; die segnenden Goetter alle schienen zum Olymp emporgestiegen zu sein und die jammervolle Erde den amtlich berufenen oder freiwilligen Pluenderern oder Peinigern ueberlassen zu haben. Dieser Verfall des Staats ward auch nicht etwa bloss von dem, der politische Rechte und Buergersinn hatte, als ein oeffentliches Unglueck gefuehlt, sondern die Proletariatsinsurrektion und die an die Zeiten der neapolitanischen Ferdinande erinnernde Raeuberund Piratenwirtschaft trugen das Gefuehl dieses Verfalls in das entlegenste Tal, in die niedrigste Huette Italiens, liessen ihn jeden, der Handel und Verkehr trieb, der nur einen Scheffel Weizen kaufte, als persoenlichen Notstand empfinden. Wenn nach den Urhebern dieses heillosen und beispiellosen Jammers gefragt ward, so war es nicht schwer, mit gutem Recht gar viele deshalb anzuklagen. Die Sklavenwirte, deren Herz im Geldbeutel sass, die unbotmaessigen Soldaten, die bald feigen, bald unfaehigen, bald tollkuehnen Generale, die meist am falschen Ende hetzenden Demagogen des Marktes trugen ihren Teil der Schuld, oder vielmehr, wer trug an derselben nicht mit? Instinktmaessig ward es empfunden, dass dieser Jammer, diese Schande, diese Zerruettung zu kolossal waren, um das Werk eines einzelnen zu sein. Wie die Groesse des roemischen Gemeinwesens nicht das Werk hervorragender Individuen, sondern das einer tuechtig organisierten Buergerschaft gewesen ist, so ist auch der Verfall dieses gewaltigen Gebaeudes nicht aus der verderblichen Genialitaet einzelner, sondern aus der allgemeinen Desorganisation hervorgegangen. Die grosse Majoritaet der Buergerschaft taugte nichts und jeder morsche Baustein half mit zu dem Ruin des ganzen Gebaeudes; es buesste die ganze Nation, was die ganze Nation verschuldete. Es war ungerecht, wenn man die Regierung als den letzten greifbaren Ausdruck des Staats fuer alle heilbaren und unheilbaren Krankheiten desselben verantwortlich machte; aber das allerdings war wahr, dass die Regierung in furchtbar schwerer Weise mittrug an dem allgemeinen Verschulden. In dem Kleinasiatischen Kriege zum Beispiel, wo kein einzelner der regierenden Herren sich in hervorragender Weise verfehlt, Lucullus sogar, militaerisch wenigstens, tuechtig, ja glorreich sich gefuehrt hatte, ward es nur um so deutlicher, dass die Schuld des Misslingens in dem System und in der Regierung als solcher, hier zunaechst in dem frueheren schlaffen Preisgeben Kappadokiens und Syriens und in der schiefen Stellung des tuechtigen Feldherrn gegenueber dem keines energischen Beschlusses faehigen Regierungskollegium lag. Ebenso hatte in der Seepolizei der Senat den einmal gefassten richtigen Gedanken einer allgemeinen Piratenjagd erst in der Ausfuehrung verdorben und dann ihn gaenzlich fallen lassen, um wieder nach dem alten toerichten System gegen die Rosse des Meeres Legionen zu senden. Nach diesem System wurden die Expeditionen des Servilius und des Marcius nach Kilikien, des Metellus nach Kreta unternommen; nach diesem liess Triarius die Insel Delos zum Schutz vor den Piraten mit einer Mauer umziehen. Solche Versuche, der Seeherrschaft sich zu versichern, erinnern an jenen persischen Grosskoenig, der das Meer mit Ruten peitschen liess, um es sich untertaenig zu machen. Wohl hatte also die Nation guten Grund, ihren Bankrott zunaechst der Restaurationsregierung zur Last zu legen. Immer schon war mit der Wiederherstellung der Oligarchie ein aehnliches Missregiment gekommen, nach dem Sturz der Gracchen wie nach dem des Marius und Saturninus; aber so gewaltsam und zugleich doch auch so schlaff, so verdorben und verderblich war dasselbe nie zuvor aufgetreten. Wenn aber eine Regierung nicht regieren kann, hoert sie auf legitim zu sein und es hat, wer die Macht, auch das Recht, sie zu stuerzen. Zwar ist es leider wahr, dass eine unfaehige und verbrecherische Regierung lange Zeit das Wohl und die Ehre des Landes mit Fuessen zu treten vermag, bevor die Maenner sich finden, welche die von dieser Regierung selbst geschmiedeten entsetzlichen Waffen gegen sie schwingen und aus der sittlichen Empoerung der Tuechtigen und dem Notstande der vielen die in solchem Fall legitime Revolution heraufbeschwoeren koennen und wollen. Aber wenn das Spiel mit dem Gluecke der Voelker ein lustiges sein mag und wohl lange Zeit hindurch ungestoert gespielt werden kann, so ist es doch auch ein tueckisches, das zu seiner Zeit die Spieler verschlingt; und niemand schilt dann die Axt, wenn sie dem Baum, der solche Fruechte traegt, sich an die Wurzel legt. Fuer die roemische Oligarchie war diese Zeit jetzt gekommen. Der Pontisch-Armenische Krieg und die Piratenangelegenheit wurden die naechsten Ursachen zum Umsturz der Sullanischen Verfassung und zur Einsetzung einer revolutionaeren Militaerdiktatur. 3. Kapitel Der Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius Noch stand die Sullanische Verfassung unerschuettert. Der Sturm, den Lepidus und Sertorius gegen sie gewagt hatten, war mit geringer Einbusse zurueckgeschlagen worden. Das halbfertige Gebaeude mit dem energischen Geiste seines Urhebers auszubauen, hatte die Regierung freilich versaeumt. Es zeichnet sie, dass sie die von Sulla zur Verteilung bestimmten, aber noch nicht von ihm selbst parzellierten Laendereien weder aufteilte noch auch den Anspruch auf dieselben geradezu aufgab, sondern die frueheren Eigentuemer ohne Regulierung des Titels vorlaeufig im Besitze duldete, manche noch unverteilte Strecke sullanischen Domaniallandes auch wohl gar von einzelnen Personen nach dem alten, durch die Gracchischen Reformen rechtlich und faktisch beseitigten Okkupationssystem willkuerlich in Besitz nehmen liess. Was den Optimaten unter den Sullanischen Bestimmungen gleichgueltig oder unbequem war, wurde ohne Bedenken ignoriert oder kassiert; so die gegen ganze Gemeinden ausgesprochene Aberkennung des Staatsbuergerrechts; so das Verbot der Zusammenschlagung der neuen Bauernstellen; so manche der von Sulla einzelnen Gemeinden erteilten Freibriefe, natuerlich ohne dass man die fuer diese Exemtionen gezahlten Summen den Gemeinden zurueckgegeben haette. Aber wenn auch diese Verletzungen der Ordnungen Sullas durch die Regierung selbst dazu beitrugen, die Fundamente seines Gebaeudes zu erschuettern, waren und blieben doch die Sempronischen Gesetze im wesentlichen abgeschafft. Wohl fehlte es nicht an Maennern, die die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht an Entwuerfen, um das, was Lepidus und Sertorius im Wege der Revolution versucht hatten, stueckweise auf dem Wege verfassungsmaessiger Reform zu erreichen. In die beschraenkte Wiederherstellung der Getreidespenden hatte die Regierung bereits unter dem Druck der Agitation des Lepidus unmittelbar nach Sullas Tode gewilligt (676 78) und sie tat ferner was irgend moeglich war, um in dieser Lebensfrage fuer das hauptstaedtische Proletariat ihm zu Willen zu sein. Als trotz jener Verteilungen die hohen, hauptsaechlich durch die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise eine so drueckende Teuerung in Rom hervorriefen, dass es darueber im Jahre 679 (75) zu einem heftigen Strassenauflauf kam, halfen zunaechst ausserordentliche Ankaeufe von sizilischem Getreide fuer Rechnung der Regierung der aergsten Not ab; fuer die Zukunft aber regelte ein von den Konsuln des Jahres 681 (78) eingebrachtes Getreidegesetz die Ankaeufe des sizilischen Getreides und gab, freilich auf Kosten der Provinzialen, der Regierung die Mittel, um aehnliche Missstaende besser zu verhueten. Aber auch die minder materiellen Differenzpunkte, die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt in ihrem alten Umfang und die Beseitigung der senatorischen Gerichte, hoerten nicht auf, Gegenstaende populaerer Agitation zu bilden, und hier leistete die Regierung nachdruecklicheren Widerstand. Den Streit um das tribunizische Amt eroeffnete schon 678 (76), unmittelbar nach der Niederlage des Lepidus, der Volkstribun Lucius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des gleichnamigen Mannes, der mehr als vierhundert Jahre zuvor zuerst dieses Amt bekleidet hatte; allein er scheiterte an dem Widerstand, den der ruehrige Konsul Gaius Curio ihm entgegensetzte. Im Jahre 680 (74) nahm Lucius Quinctius die Agitation wieder auf, liess sich aber durch die Autoritaet des Konsuls Lucius Lucullus bestimmen, von seinem Vorhaben abzustehen. Mit groesserem Eifer trat das Jahr darauf in seine Fussstapfen Gaius Licinius Macer, der - bezeichnend fuer die Zeit - in das oeffentliche Leben seine literarischen Studien hineintrug und, wie er es in der Chronik gelesen, der Buergerschaft anriet, die Konskription zu verweigern. Auch ueber die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch die senatorischen Geschworenen wurden bald nur zu wohl begruendete Beschwerden laut. Die Verurteilung eines einigermassen einflussreichen Mannes war kaum mehr zu erlangen. Nicht bloss empfand der Kollege mit dem Kollegen, der gewesene oder kuenftige Angeklagte mit dem gegenwaertigen armen Suender billiges Mitleid; auch die Kaeuflichkeit der Geschworenenstimmen war kaum noch eine Ausnahme. Mehrere Senatoren waren gerichtlich dieses Verbrechens ueberwiesen worden; auf andere gleich schuldige wies man mit Fingern; die angesehensten Optimaten, wie Quintus Catulus, raeumten in offener Senatssitzung es ein, dass die Beschwerden vollkommen gegruendet seien; einzelne besonders eklatante Faelle zwangen den Senat mehrmals, zum Beispiel im Jahre 680 (74), ueber Massregeln gegen die Freiheit der Geschworenen zu deliberieren, natuerlich nur so lange, bis der erste Laerm sich gelegt hatte und man die Sache unter das Eis gleiten lassen konnte. Die Folgen dieser elenden Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem System der Pluenderung und Peinigung der Provinzialen, mit dem verglichen selbst die bisherigen Frevel ertraeglich und gemaessigt erschienen. Das Stehlen und Rauben war gewissermassen durch Gewohnheit legitim geworden; die Erpressungskommission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den Vogteien heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen Kollegen zu besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil er dem Statthalter nicht hatte zu einem Verbrechen die Hand bieten wollen, dafuer von diesem abwesend und ungehoert zum Tode verurteilt ward; als selbst roemische Buerger, wenn sie nicht Ritter oder Senatoren waren, in der Provinz nicht mehr sicher waren vor den Ruten und Beilen des roemischen Vogts, und die aelteste Errungenschaft der roemischen Demokratie, die Sicherheit des Leibes und Lebens, von der herrschenden Oligarchie anfing mit Fuessen getreten zu werden: da hatte auch das Publikum auf dem roemischen Markte ein Ohr fuer die Klagen ueber seine Voegte in den Provinzen und ueber die ungerechten Richter, die solche Untaten moralisch mitverschuldeten. Die Opposition unterliess es natuerlich nicht, auf dem fast allein ihr uebriggebliebenen Terrain, dem gerichtlichen, ihre Gegner anzugreifen. So zog der junge Gaius Caesar, der auch, soweit sein Alter es gestattete, sich bei der Agitation um die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt eifrig beteiligte, im Jahre 677 (77) einen der angesehensten Sullanischen Parteimaenner, den Konsular Gnaeus Dolabella, und im folgenden Jahr einen andern Sullanischen Offizier, Gaius Antonius, vor Gericht; so Marcus Cicero 684 (70) den Gaius Verres, eine der elendesten unter den Kreaturen Sullas und eine der schlimmsten Geisseln der Provinzialen. Wieder und wieder wurden die Bilder jener finsteren Zeit der Aechtungen, die entsetzlichen Leiden der Provinzialen, der schmachvolle Stand der roemischen Kriminalrechtspflege mit allem Pomp italienischer Rhetorik, mit aller Bitterkeit italienischen Spottes vor der versammelten Menge entfaltet und der gewaltige Tote sowie seine lebenden Schergen ihrem Zorn und Hohn unnachsichtlich preisgegeben. Die Wiederherstellung der vollen tribunizischen Gewalt, an deren Bestehen die Freiheit, die Macht und das Glueck der Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber geknuepft schien, die Wiedereinfuehrung der "strengen" Gerichte der Ritterschaft, die Erneuerung der von Sulla beseitigten Zensur zur Reinigung der hoechsten Staatsbehoerde von den faulen und schaedlichen Elementen wurden taeglich mit lautem Ruf von den Rednern der Volkspartei gefordert. Indes mit alledem kam man nicht weiter. Es gab Skandal und Laerm genug, aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, dass man die Regierung nach und ueber Verdienst prostituierte, doch noch keineswegs erreicht. Die materielle Macht lag immer noch, solange militaerische Einmischung fern blieb, in den Haenden der hauptstaedtischen Buergerschaft; und dies "Volk", das in den Gassen Roms sich draengte und auf dem Markt Beamte und Gesetze machte, war eben um nichts besser als der regierende Senat: Zwar musste die Regierung mit der Menge sich abfinden, wo deren eigenes naechstes Interesse in Frage kam; dies ist die Ursache der Erneuerung des Sempronischen Korngesetzes. Allein daran war nicht zu denken, dass diese Buergerschaft um einer Idee oder gar um einer zweckmaessigen Reform willen Ernst gemacht haette. Mit Recht ward auf die Roemer dieser Zeit angewandt, was Demosthenes von seinen Athenern sagte: dass die Leute gar eifrig taeten, solange sie um die Rednerbuehne staenden und die Vorschlaege zu Reformen vernaehmen; aber wenn sie nach Hause gekommen seien, denke keiner weiter an das, was er auf dem Markte gehoert habe. Wie auch jene demokratischen Agitatoren die Flammen schuerten, es half eben nichts, da der Brennstoff fehlte. Die Regierung wusste dies und liess in den wichtigen Prinzipienfragen sich keinerlei Zugestaendnis entreissen; hoechstens dass sie sich dazu verstand (um 682 72), einem Teil der mit Lepidus landfluechtig gewordenen Leute die Amnestie zuzugestehen. Was von Konzessionen erfolgte, ging nicht so sehr aus dem Draengen der Demokratie hervor, als aus den Vermittlungsversuchen der gemaessigten Aristokratie. Allein von den beiden Gesetzen, die der einzige noch uebrige Fuehrer dieser Fraktion, Gaius Cotta, in seinem Konsulat 679 (75) durchsetzte, wurde das die Gerichte betreffende schon im naechsten Jahre wieder beseitigt, und auch das zweite, welches die Sullanische Bestimmung aufhob, dass die Bekleidung des Tribunats zur Uebernahme anderer Magistraturen unfaehig mache, die uebrigen Beschraenkungen aber bestehen liess, erregte wie jede halbe Massregel nur den Unwillen beider Parteien. Die Partei der reformistisch gesinnten Konservativen, die durch Cottas bald nachher (um 681 73) erfolgten fruehen Tod ihr namhaftestes Haupt verlor, sank mehr und mehr in sich selbst zusammen, erdrueckt zwischen den immer schroffer hervortretenden Extremen. Von diesen aber blieb die Partei der Regierung, schlecht und schlaff wie sie war, der gleich schlechten und gleich schlaffen Opposition gegenueber notwendig im Vorteil. Aber dies der Regierung so guenstige Verhaeltnis aenderte sich, als die Differenzen zwischen ihr und denjenigen ihrer Parteigaenger sich schaerfer entwickelten, deren Hoffnungen ueber den Ehrensitz in der Kurie und das aristokratische Landhaus hinaus zu hoeheren Zielen sich erhoben. In erster Linie stand hier Gnaeus Pompeius. Wohl war er Sullaner; aber es ist frueher gezeigt worden, wie wenig er unter seiner eigenen Partei sich zurechtfand, wie von der Nobilitaet, als deren Schild und Schwert er offiziell angesehen ward, ihn doch seine Herkunft, seine Vergangenheit, seine Hoffnungen immer wieder schieden. Der schon klaffende Riss hatte waehrend der spanischen Feldzuege (677 - 683 77 - 71) des Feldherrn sich unheilbar erweitert. Unwillig und halb gezwungen hatte die Regierung ihn ihrem rechten Vertreter Quintus Metellus als Kollegen beigesellt; und wieder er beschuldigte, wohl nicht ohne Grund, den Senat durch die sei es liederliche, sei es boeswillige Vernachlaessigung der spanischen Armeen deren Niederlagen verschuldet und das Schicksal der Expedition aufs Spiel gesetzt zu haben. Nun kam er zurueck als Sieger ueber die heimlichen Feinde, an der Spitze eines krieggewohnten und ihm ganz ergebenen Heeres, fuer seine Soldaten Landanweisungen begehrend, fuer sich Triumph und Konsulat. Die letzteren Forderungen verstiessen gegen das Gesetz. Pompeius, obwohl mehrmals schon ausserordentlicherweise mit der hoechsten Amtsgewalt bekleidet, hatte noch kein ordentliches Amt, nicht einmal die Quaestur verwaltet und war noch immer nicht Mitglied des Rats; und Konsul durfte nur werden, wer die Staffel der geringeren ordentlichen Aemter durchmessen, triumphieren nur, wer die ordentliche hoechste Gewalt bekleidet hatte. Der Senat war gesetzlich befugt, ihn, wenn er um das Konsulat sich bewarb, auf die Bewerbung um die Quaestur zu verweisen, wenn er den Triumph erbat, ihn an den grossen Scipio zu erinnern, der unter gleichen Verhaeltnissen auf den Triumph ueber das eroberte Spanien verzichtet hatte. Nicht minder hing Pompeius hinsichtlich der seinen Soldaten versprochenen Domaenen verfassungsmaessig ab von dem guten Willen des Senats. Indes wenn auch der Senat, wie es bei seiner Schwaechlichkeit auch im Grollen wohl denkbar war, hierin nachgab und dem siegreichen Feldherrn fuer den gegen die Demokratenchefs geleisteten Schergendienst den Triumph, das Konsulat, die Landanweisungen zugestand, so war doch eine ehrenvolle Annulierung in ratsherrlicher Indolenz unter der langen Reihe der friedlichen senatorischen Imperatoren das guenstigste Los, das die Oligarchie dem sechsunddreissigjaehrigen Feldherrn zu bereiten vermochte. Das, wonach sein Herz eigentlich verlangte, das Kommando im Mithradatischen Krieg freiwillig vom Senat bewilligt zu erhalten, konnte er nimmer erwarten; in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse durfte die Oligarchie es nicht zulassen, dass er den afrikanischen und europaeischen noch die Trophaeen des dritten Weltteils hinzufuegte; die im Osten reichlich und bequem zu pflueckenden Lorbeeren blieben auf jeden Fall der reinen Aristokratie vorbehalten. Wenn aber der gefeierte General bei der herrschenden Oligarchie seine Rechnung nicht fand, so blieb - da zu einer rein persoenlichen, ausgesprochen dynastischen Politik weder die Zeit reif noch Pompeius’ ganze Persoenlichkeit geeignet war - ihm keine andere Wahl, als mit der Demokratie gemeinschaftliche Sache zu machen. An die Sullanische Verfassung band ihn kein eigenes Interesse: er konnte seine persoenlichen Zwecke auch innerhalb einer mehr demokratischen ebensogut, wo nicht besser verfolgen. Dagegen fand er alles, was er brauchte, bei der demokratischen Partei. Die taetigen und gewandten Fuehrer derselben waren bereit und faehig, dem unbehilflichen und etwas hoelzernen Helden die muehselige politische Leitung abzunehmen, und doch viel zu gering, um dem gefeierten Feldherrn die erste Rolle und namentlich die militaerische Oberleitung streitig machen zu koennen oder auch nur zu wollen. Selbst der weitaus bedeutendste von ihnen, Gaius Caesar, war nichts als ein junger Mensch, dem seine dreisten Fahrten und eleganten Schulden weit mehr als seine feurige demokratische Beredsamkeit einen Namen gemacht hatten und der sich sehr geehrt fuehlen musste, wenn der weltberuehmte Imperator ihm gestattete, sein politischer Adjutant zu sein. Die Popularitaet, auf welche Menschen wie Pompeius, von groesseren Anspruechen als Faehigkeiten, mehr Wert zu legen pflegen, als sie gern sich selber gestehen, musste im hoechsten Mass dem jungen General zuteil werden, dessen Uebertritt der fast aussichtslosen Sache der Demokratie den Sieg gab. Der von ihm fuer sich und seine Soldaten geforderte Siegeslohn fand damit sich von selbst. Ueberhaupt schien, wenn die Oligarchie gestuerzt ward, bei dem gaenzlichen Mangel anderer ansehnlicher Oppositionshaeupter es nur von Pompeius abzuhaengen, seine weitere Stellung sich selber zu bestimmen. Daran aber konnte kaum gezweifelt werden, dass der Uebertritt des Feldherrn der soeben siegreich aus Spanien heimkehrenden und noch in Italien geschlossen zusammenstehenden Armee zur Oppositionspartei den Sturz der bestehenden Ordnung zur Folge haben muesse. Regierung und Opposition waren gleich machtlos; sowie die letztere nicht mehr bloss mit Deklamationen focht, sondern das Schwert eines siegreichen Feldherrn bereit war, ihren Anforderungen Nachdruck zu geben, war die Regierung jedenfalls, vielleicht sogar ohne Kampf, ueberwunden. So sah man von beiden Seiten sich gedraengt zur Koalition. An persoenlichen Abneigungen mochte es dort wie hier nicht fehlen; der siegreiche Feldherr konnte die Strassenredner unmoeglich lieben, diese noch weniger den Henker des Carbo und Brutus mit Freuden als ihr Haupt begruessen; indes die politische Notwendigkeit ueberwog, wenigstens fuer den Augenblick, jedes sittliche Bedenken. Aber die Demokraten und Pompeius schlossen ihren Bund nicht allein. Auch Marcus Crassus war in einer aehnlichen Lage wie Pompeius. Obwohl Sullaner wie dieser, war doch auch seine Politik, ganz wie die des Pompeius, vor allem eine persoenliche und durchaus nicht die der herrschenden Oligarchie; und auch er stand jetzt in Italien an der Spitze einer starken und siegreichen Armee, mit welcher er soeben den Sklavenaufstand niedergeschlagen hatte. Es blieb ihm die Wahl entweder gegen die Koalition mit der Oligarchie sich zu verbinden oder in die Koalition einzutreten; er waehlte den letzteren und damit ohne Zweifel den sichereren Weg. Bei seinem kolossalen Vermoegen und seinem Einfluss auf die hauptstaedtischen Klubs war er ueberhaupt ein schaetzbarer Bundesgenosse; unter den obwaltenden Umstaenden aber war es ein unberechenbarer Gewinn, wenn das einzige Heer, mit welchem der Senat den Truppen des Pompeius haette begegnen koennen, der angreifenden Macht sich beigesellte. Die Demokraten ueberdies, denen bei der Allianz mit dem uebermaechtigen Feldherrn nicht wohl zu Mute sein mochte, sahen nicht ungern in Marcus Crassus ihm ein Gegengewicht und vielleicht einen kuenftigen Rivalen zur Seite gestellt. So kam im Sommer des Jahres 683 (71) die erste Koalition zustande zwischen der Demokratie einerund den beiden Sullanischen Generalen Gnaeus Pompeius und Marcus Crassus andererseits. Beide machten das Parteiprogramm der Demokratie zu dem ihrigen; es ward ihnen dafuer zunaechst das Konsulat auf das kommende Jahr, Pompeius ueberdies der Triumph und die begehrten Landlose fuer seine Soldaten, Crassus als dem Ueberwinder des Spartacus wenigstens die Ehre des feierlichen Einzugs in die Hauptstadt zugesichert. Den beiden italischen Armeen, der hohen Finanz und der Demokratie, die also zum Sturz der Sullanischen Verfassung verbuendet auftraten, hatte der Senat nichts gegenueberzustellen als etwa das zweite spanische Heer unter Quintus Metellus Pius. Allein Sulla hatte richtig vorhergesagt, dass das, was er getan, nicht zum zweitenmal geschehen werde: Metellus, durchaus nicht geneigt, sich in einen Buergerkrieg zu verwickeln, hatte sofort nach Ueberschreitung der Alpen seine Soldaten entlassen. So blieb der Oligarchie nichts uebrig, als in das Unvermeidliche sich zu fuegen. Der Rat bewilligte die fuer Konsulat und Triumph erforderlichen Dispensationen; Pompeius und Crassus wurden, ohne Widerstand zu finden, zu Konsuln fuer das Jahr 684 (70) gewaehlt, waehrend ihre Heere, angeblich in Erwartung des Triumphs, vor der Stadt lagerten. Noch vor dem Antritt seines Amtes bekannte sodann Pompeius in einer von dem Volkstribun Marcus Lollius Palicanus abgehaltenen Volksversammlung sich oeffentlich und foermlich zu dem demokratischen Programm. Die Verfassungsaenderung war damit im Prinzip entschieden. Allen Ernstes ging man nun an die Beseitigung der sullanischen Institutionen. Vor allen Dingen erhielt das tribunizische Amt wieder seine fruehere Geltung. Pompeius selbst als Konsul brachte das Gesetz ein, das den Volkstribunen ihre althergebrachten Befugnisse, namentlich auch die legislatorische Initiative zurueckgab - freilich eine seltsame Gabe aus der Hand des Mannes, der mehr als irgend ein Lebender dazu getan hatte, der Gemeinde ihre alten Privilegien zu entreissen. Hinsichtlich der Geschworenenstellung wurde die Bestimmung Sullas, dass das Verzeichnis der Senatoren als Geschworenenliste dienen solle, zwar abgeschafft; allein es kam doch keineswegs zu einer einfachen Wiederherstellung der Gracchischen Rittergerichte. Kuenftig, so bestimmte das neue Aurelische Gesetz, sollten die Geschworenenkollegien zu einem Dritteil aus Senatoren bestehen, zu zwei Dritteilen aus Maennern vom Ritterzensus, von welchen letzteren wieder die Haelfte die Distriktvorsteherschaft oder das sogenannte Kassentribunat bekleidet haben musste. Es war diese letzte Neuerung eine weitere, den Demokraten gemachte Konzession, indem hiernach wenigstens der dritte Teil der Kriminalgeschworenen mittelbar hervorging aus den Wahlen der Distrikte. Wenn dagegen der Senat nicht gaenzlich aus den Gerichten verdraengt ward, so ist die Ursache davon wahrscheinlich teils in Crassus’ Beziehungen zum Senat zu suchen, teils in dem Beitritt der senatorischen Mittelpartei zu der Koalition, mit dem es auch wohl zusammenhaengt, dass der Bruder ihres kuerzlich verstorbenen Fuehrers, der Praetor Lucius Cotta, dies Gesetz einbrachte. Nicht weniger wichtig war die Beseitigung der fuer Asien von Sulla festgesetzten Steuerordnung, welche vermutlich ebenfalls in dies Jahr faellt; der damalige Statthalter Asiens, Lucius Lucullus, ward angewiesen, das von Gaius Gracchus eingefuehrte Verpachtungssystem wiederherzustellen und damit der hohen Finanz diese wichtige Geldund Machtquelle zurueckzugeben. Endlich ward die Zensur wieder ins Leben gerufen. Die Wahlen dafuer, welche die neuen Konsuln kurz nach Antritt ihres Amtes anberaumten, fielen, in offenbarer Verhoehnung des Senats, auf die beiden Konsuln des Jahres 682 (73) Gnaeus Lentulus Clodianus und Lucius Genius, die wegen ihrer elenden Kriegfuehrung gegen Spartacus durch den Senat vom Kommando entfernt worden waren. Es begreift sich, dass diese Maenner alle Mittel, die ihr wichtiges und ernstes Amt ihnen zu Gebote stellte, in Bewegung setzten, um den neuen Machthabern zu huldigen und den Senat zu aergern. Mindestens der achte Teil des Senats, vierundsechzig Senatoren, eine bis dahin unerhoerte Zahl, wurden von der Liste gestrichen, darunter der einst von Gaius Caesar ohne Erfolg angeklagte Gaius Antonius und der Konsul des Jahres 683 (71), Publius Lentulus Sura, vermutlich auch nicht wenige der verhassten Kreaturen Sullas. So war man mit dem Jahre 684 (70) wieder im wesentlichen zurueckgekommen auf die vor der sullanischen Restauration bestehenden Ordnungen. Wieder ward die hauptstaedtische Menge aus der Staatskasse, das heisst von den Provinzen gespeist; wieder gab die tribunizische Gewalt jedem Demagogen den gesetzlichen Freibrief, die staatlichen Ordnungen zu verkehren; wieder erhob der Geldadel, als Inhaber der Steuerpachtungen und der gerichtlichen Kontrolle ueber die Statthalter, neben der Regierung sein Haupt so maechtig wie nur je zuvor; wieder zitterte der Senat vor dem Wahrspruch der Geschworenen des Ritterstandes und vor der zensorischen Ruege. Das System Sullas, das auf die politische Vernichtung der kaufmaennischen Aristokratie und der Demagogie die Alleinherrschaft der Nobilitaet begruendet hatte, war damit vollstaendig ueber den Haufen geworfen. Abgesehen von einzelnen untergeordneten Bestimmungen, deren Abschaffung erst spaeter nachgeholt wurde, wie zum Beispiel der Zurueckgabe des Selbstergaenzungsrechts an die Priesterkollegien, blieb von Sullas allgemeinen Ordnungen hiernach nichts uebrig als teils die Konzessionen, die er selbst der Opposition zu machen notwendig gefunden hatte, wie namentlich die Anerkennung des roemischen Buergerrechts der saemtlichen Italiker, teils Verfuegungen ohne schroffe Parteitendenz, an denen deshalb auch die verstaendigen Demokraten nichts auszusetzen fanden, wie unter anderm die Beschraenkung der Freigelassenen, die Regulierung der Beamtenkompetenzen und die materiellen Aenderungen im Kriminalrecht. Weniger einig als ueber diese prinzipiellen war die Koalition hinsichtlich der persoenlichen Fragen, die eine solche Staatsumwaelzung anregte. Begreiflicherweise liessen die Demokraten sich nicht genuegen mit der allgemeinen Anerkennung ihres Programms, sondern auch sie forderten jetzt eine Restauration in ihrem Sinn: Wiederherstellung des Andenkens ihrer Toten, Bestrafung der Moerder, Rueckberufung der Geaechteten aus der Verbannung, Aufhebung der auf ihren Kindern lastenden politischen Zuruecksetzung, Rueckgabe der von Sulla eingezogenen Gueter, Schadenersatz aus dem Vermoegen der Erben und Gehilfen des Diktators. Es waren das allerdings die logischen Konsequenzen, die aus einem reinen Sieg der Demokratie sich ergaben; allein der Sieg der Koalition von 683 (71) war doch weit entfernt, ein solcher zu sein. Die Demokratie gab dazu den Namen und das Programm, die uebergetretenen Offiziere aber, vor allen Pompeius, die Macht und die Vollendung; und nunund nimmermehr konnten diese zu einer Reaktion ihre Zustimmung geben, die nicht bloss die bestehenden Verhaeltnisse bis in ihre Grundfesten erschuettert, sondern auch schliesslich sich gegen sie selbst gewandt haben wuerde - war es doch noch im frischen Andenken, welcher Maenner Blut Pompeius vergossen, wie Crassus zu seinem ugeheuren Vermoegen den Grund gelegt hatte. So ist es wohl erklaerlich, aber auch zugleich bezeichnend fuer die Schwaeche der Demokratie, dass die Koalition von 683 (71) nicht das geringste tat, um den Demokraten Rache oder auch nur Rehabilitation zu gewaehren. Die nachtraegliche Einforderung aller der fuer erstandene konfiszierte Gueter noch rueckstaendigen oder auch von Sulla den Kaeufern erlassenen Kaufgelder, welche der Zensor Lentulus in einem besonderen Erlass feststellte, kann kaum als Ausnahme bezeichnet werden; denn wenn auch nicht wenige Sullaner dadurch in ihren persoenlichen Interessen empfindlich verletzt wurden, so war doch die Massregel selbst wesentlich eine Bestaetigung der von Sulla vorgenommenen Konfiskationen. Sullas Werk war also zerstoert; aber was nun werden sollte, war damit viel mehr in Frage gestellt als entschieden. Die Koalition, einzig zusammengehalten durch den gemeinschaftlichen Zweck, das Restaurationswerk zu beseitigen, loeste sich, als dieser erreicht war, wenn nicht foermlich, doch der Sache nach von selber auf; fuer die Frage aber, wohin nun zunaechst das Schwergewicht der Macht fallen sollte, schien sich eine ebenso rasche wie gewaltsame Loesung vorzubereiten. Die Heere des Pompeius und Crassus lagerten immer noch vor den Toren der Stadt. Jener hatte zwar zugesagt, nach dem Triumph (am letzten Dezember 683 71) seine Soldaten zu verabschieden; allein zunaechst war es unterblieben, um unter dem Druck, den das spanische Heer vor der Hauptstadt auf diese und den Senat ausuebte, die Staatsumwaelzung ungestoert zu vollenden, was denn in gleicher Weise auch auf die Armee des Crassus Anwendung fand. Diese Ursache bestand jetzt nicht mehr; aber dennoch unterblieb die Aufloesung der Heere. Die Dinge nahmen die Wendung, als werde einer der beiden mit der Demokratie alliierten Feldherrn die Militaerdiktatur ergreifen und Oligarchen und Demokraten in dieselben Fesseln schlagen. Dieser eine aber konnte nur Pompeius sein. Von Anfang an hatte Crassus in der Koalition eine untergeordnete Rolle gespielt; er hatte sich antragen muessen und verdankte selbst seine Wahl zum Konsulat hauptsaechlich Pompeius’ stolzer Verwendung. Weitaus der staerkere, war Pompeius offenbar der Herr der Situation; wenn er zugriff, so schien er werden zu muessen, als was ihn der Instinkt der Menge schon jetzt bezeichnete: der unumschraenkte Gebieter des maechtigsten Staates der zivilisierten Welt. Schon draengte sich die ganze Masse der Servilen um den kuenftigen Monarchen. Schon suchten die schwaecheren Gegner eine letzte Hilfe in einer neuen Koalition; Crassus, voll alter und neuer Eifersucht auf den juengeren, so durchaus ihn ueberfluegelnden Rivalen, naeherte sich dem Senat und versuchte, durch beispiellose Spenden die hauptstaedtische Menge an sich zu fesseln - als ob die durch Crassus selbst mitgebrochene Oligarchie und der ewig undankbare Poebel vermocht haben wuerden, gegen die Veteranen der spanischen Armee irgendwelchen Schutz zu gewaehren. Einen Augenblick schien es, als wuerde es vor den Toren der Hauptstadt zwischen den Heeren des Pompeius und Crassus zur Schlacht kommen. Allein diese Katastrophe wandten die Demokraten durch ihre Einsicht und ihre Geschmeidigkeit ab. Auch ihrer Partei lag, ebenwie dem Senat und Crassus, alles daran, dass Pompeius nicht die Diktatur ergriff; aber mit richtigerer Einsicht in ihre eigene Schwaeche und in den Charakter des maechtigen Gegners versuchten ihre Fuehrer den Weg der Guete. Pompeius fehlte keine Bedingung, um nach der Krone zu greifen, als die erste von allen: der eigene koenigliche Mut. Wir haben den Mann frueher geschildert, mit seinem Streben, zugleich loyaler Republikaner und Herr von Rom zu sein, mit seiner Unklarheit und Willenlosigkeit, mit seiner, unter dem Pochen auf selbstaendige Entschluesse sich verbergenden Lenksamkeit. Es war dies die erste grosse Probe, auf die das Verhaengnis ihn stellte; er hat sie nicht bestanden. Der Vorwand, unter dem Pompeius die Entlassung der Armee verweigerte, war, dass er Crassus misstraute und darum nicht mit der Entlassung der Soldaten den Anfang machen koenne. Die Demokraten bestimmten den Crassus, hierin entgegenkommende Schritte zu tun, dem Kollegen vor aller Augen zum Frieden die Hand zu bieten; oeffentlich und insgeheim bestuermten sie diesen, dass er zu dem zwiefachen Verdienst, den Feind besiegt und die Parteien versoehnt zu haben, noch das dritte und groesste fuegen moege, dem Vaterland den inneren Frieden zu erhalten und das drohende Schreckbild des Buergerkrieges zu bannen. Was nur immer auf einen eitlen, ungewandten, unsicheren Mann zu wirken vermag, alle Schmeichelkuenste der Diplomatie, aller theatralische Apparat patriotischer Begeisterung wurde in Bewegung gesetzt, um das ersehnte Ziel zu erreichen; was aber die Hauptsache war, die Dinge hatten durch Crassus’ rechtzeitige Nachgiebigkeit sich so gestaltet, dass Pompeius nur die Wahl blieb, entweder geradezu als Tyrann von Rom aufoder zurueckzutreten. So gab er endlich nach und willigte in die Entlassung der Truppen. Das Kommando im Mithradatischen Krieg, das zu erlangen er ohne Zweifel hoffte, als er sich fuer 684 (70) zum Konsul hatte waehlen lassen, konnte er jetzt nicht wuenschen, da mit dem Feldzuge von 683 (71) Lucullus diesen Krieg in der Tat beendigt zu haben schien; die vom Senat in Gemaessheit des Sempronischen Gesetzes ihm angewiesene Konsularprovinz anzunehmen, hielt er unter seiner Wuerde, und Crassus folgte darin seinem Beispiel. So zog Pompeius, als er nach Entlassung seiner Soldaten am letzten Tage des Jahres 684 (70) sein Konsulat niederlegte, sich zunaechst ganz von den oeffentlichen Geschaeften zurueck und erklaerte, fortan als einfacher Buerger in stiller Musse leben zu wollen. Er hatte sich so gestellt, dass er nach der Krone greifen musste und, da er dies nicht wollte, ihm keine Rolle uebrig blieb als die nichtige eines resignierenden Thronkandidaten. Der Ruecktritt des Mannes, dem nach der Lage der Sachen die erste Stelle zukam, vom politischen Schauplatz fuehrte zunaechst ungefaehr dieselbe Parteistellung wieder herbei, wie wir sie in der gracchischen und marianischen Epoche fanden. Sulla hatte dem Senat das Regiment nur befestigt, nicht gegeben; so blieb denn auch dasselbe, nachdem die von Sulla errichteten Bollwerke wieder gefallen waren, nichtsdestoweniger zunaechst dem Senat, waehrend die Verfassung freilich, mit der er regierte, im wesentlichen die wiederhergestellte Gracchische, durchdrungen war von einem der Oligarchie feindlichen Geiste. Die Demokratie hatte die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung bewirkt; aber ohne einen neuen Gracchus war diese ein Koerper ohne Haupt, und dass weder Pompeius noch Crassus auf die Dauer dieses Haupt sein konnten, war an sich klar und durch die letzten Vorgaenge noch deutlicher dargetan worden. So musste die demokratische Opposition in Ermangelung eines Fuehrers, der geradezu das Ruder in die Hand genommen haette, vorlaeufig sich begnuegen, die Regierung auf Schritt und Tritt zu hemmen und zu aergern. Zwischen der Oligarchie aber und der Demokratie erhob sich zu neuem Ansehen die Kapitalistenpartei, welche in der juengsten Krise mit der letzteren gemeinschaftliche Sache gemacht hatte, die aber zu sich hinueberzuziehen und an ihr ein Gegengewicht gegen die Demokratie zu gewinnen, die Oligarchen jetzt eifrig bemueht waren. Also von beiden Seiten umworben, saeumten die Geldherren nicht, ihre vorteilhafte Lage sich zunutze zu machen und das einzige ihrer frueheren Privilegien, das sie noch nicht zurueckerlangt hatten, die dem Ritterstand reservierten vierzehn Baenke im Theater, sich jetzt (687 67) durch Volksschluss wiedergeben zu lassen. Im ganzen naeherten sie, ohne mit der Demokratie schroff zu brechen, doch wieder mehr sich der Regierung. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus und seiner Klientel gehoeren in diesen Zusammenhang; hauptsaechlich aber scheint ein besseres Verhaeltnis zwischen dem Senat und der Geldaristokratie dadurch hergestellt zu sein, dass dieser dem tuechtigsten unter den senatorischen Offizieren, Lucius Lucullus, auf Andringen der von demselben schwer gekraenkten Kapitalisten im Jahre 686 (68) die Verwaltung der fuer diese so wichtigen Provinz Asia abnahm. Waehrend aber die hauptstaedtischen Faktionen miteinander des gewohnten Haders pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche Entscheidung herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereignisse ihren verhaengnisvollen Gang, wie wir ihn frueher geschildert haben, und sie waren es, die den zoegernden Verlauf der hauptstaedtischen Politik zur Krise draengten. Der Landwie der Seekrieg hatte dort die unguenstigste Wendung genommen. Im Anfang des Jahres 687 (67) war die pontische Armee der Roemer aufgerieben, die armenische in voller Aufloesung auf dem Rueckzug, alle Eroberungen verloren, das Meer ausschliesslich in der Gewalt der Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so in die Hoehe getrieben, dass man eine foermliche Hungersnot befuerchtete. Wohl hatten, wie wir sahen, die Fehler der Feldherren, namentlich die voellige Unfaehigkeit des Admirals Marcus Antonius und die Verwegenheit des sonst tuechtigen Lucius Lucullus, diesen Notstand zum Teil verschuldet, wohl auch die Demokratie durch ihre Wuehlereien zu der Aufloesung des armenischen Heeres wesentlich beigetragen. Aber natuerlich ward die Regierung jetzt fuer alles, was sie und was andere verdorben hatten, in Bausch und Bogen verantwortlich gemacht und die grollende hungrige Menge verlangte nur eine Gelegenheit, um mit dem Senat abzurechnen. Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie auch herabgewuerdigt und entwaffnet, war noch nicht gestuerzt, dennoch lag die Fuehrung der oeffentlichen Angelegenheiten in den Haenden des Senats; sie stuerzte aber, wenn die Gegner diese, dass heisst namentlich die Oberleitung der militaerischen Angelegenheiten, sich selber zueigneten; und jetzt war dies moeglich. Wenn jetzt Vorschlaege ueber eine andere und bessere Fuehrung des Landund Seekrieges an die Komitien gebracht wurden, so war bei der Stimmung der Buergerschaft der Senat voraussichtlich nicht imstande, deren Durchsetzung zu verhindern; und eine Intervention der Buergerschaft in diesen hoechsten Verwaltungsfragen war tatsaechlich die Absetzung des Senats und die Uebertragung der Leitung des Staats an die Fuehrer der Opposition. Wieder einmal brachte die Verkettung der Dinge die Entscheidung in die Haende des Pompeius. Seit mehr als zwei Jahren lebte der gefeierte Feldherr als Privatmann in der Hauptstadt. Seine Stimme ward im Rathaus wie auf dem Markte selten vernommen; dort war er nicht gern gesehen und ohne entscheidenden Einfluss, hier scheute er sich vor dem stuermischen Treiben der Parteien. Wenn er aber sich zeigte, geschah es mit dem vollstaendigen Hofstaat seiner vornehmen und geringen Klienten, und eben seine feierliche Zurueckgezogenheit imponierte der Menge. Wenn er, an dem der volle Glanz seiner ungemeinen Erfolge noch unvermindert haftete, jetzt sich erbot, nach dem Osten abzugehen, so ward er ohne Zweifel mit aller von ihm selbst geforderten militaerischen und politischen Machtvollkommenheit von der Buergerschaft bereitwillig bekleidet. Fuer die Oligarchie, die in der politischen Militaerdiktatur ihren sicheren Ruin, in Pompeius selbst seit der Koalition von 683 (71) ihren verhasstesten Feind sah, war dies ein vernichtender Schlag; aber auch der demokratischen Partei konnte dabei nicht wohl zu Mute sein. So wuenschenswert es ihr an sich sein musste, dem Regiment des Senats ein Ende zu machen, so war es doch, wenn es in dieser Weise geschah, weit weniger ein Sieg ihrer Partei als ein persoenlicher ihres uebermaechtigen Verbuendeten. Leicht konnte in diesem der demokratischen Partei ein weit gefaehrlicherer Gegner aufstehen als der Senat war. Die wenige Jahre zuvor durch die Entlassung der spanischen Armee und Pompeius’ Ruecktritt gluecklich vermiedene Gefahr kehrte in verstaerktem Masse wieder, wenn Pompeius jetzt an die Spitze der Armeen des Ostens trat. Diesmal indes griff Pompeius zu oder liess es wenigstens geschehen, dass andere fuer ihn zugriffen. Es wurden im Jahre 687 (67) zwei Gesetzvorschlaege eingebracht, von denen der eine ausser der laengst von der Demokratie geforderten Entlassung der ausgedienten Soldaten der asiatischen Armee die Abberufung des Oberfeldherrn derselben, Lucius Lucullus, und dessen Ersetzung durch einen der Konsuln des laufenden Jahres, Gaius Piso oder Manius Glabrio, verfuegte, der zweite den sieben Jahre zuvor zur Reinigung der Meere von den Piraten vom Senat selbst aufgestellten Plan wiederaufnahm und erweiterte. Ein einziger, vom Senat aus den Konsularen zu bezeichnender Feldherr sollte bestellt werden, um zur See auf dem gesamten Mittellaendischen Meer von den Saeulen des Herkules bis an die pontische und syrische Kueste ausschliesslich, zu Lande ueber saemtliche Kuesten bis zehn deutsche Meilen landeinwaerts mit den betreffenden roemischen Statthaltern konkurrierend, den Oberbefehl zu uebernehmen. Auf drei Jahre hinaus war demselben das Amt gesichert. Ihn umgab ein Generalstab, wie Rom noch keinen gesehen hatte, von fuenfundzwanzig Unterbefehlshabern senatorischen Standes, alle mit praetorischen Insignien und praetorischer Gewalt bekleidet, und von zwei Unterschatzmeistern mit quaestorischen Befugnissen, sie alle erlesen durch den ausschliesslichen Willen des hoechstkommandierenden Feldherrn. Es ward demselben gestattet, bis zu 120000 Mann Fussvolk, 5000 Reitern, 500 Kriegsschiffen aufzustellen und zu dem Ende ueber die Mittel der Provinzen und Klientelstaaten unbeschraenkt zu verfuegen; ueberdies wurden die vorhandenen Kriegsschiffe und eine ansehnliche Truppenzahl sofort ihm ueberwiesen. Die Kassen des Staats in der Hauptstadt wie in den Provinzen sowie die der abhaengigen Gemeinden sollten ihm unbeschraenkt zu Gebot stehen und trotz der peinlichen Finanznot sofort aus der Staatskasse ihm eine Summe von 11 Mill. Talern (144 Mill. Sesterzen) ausgezahlt werden. Es leuchtet ein, dass durch diese Gesetzentwuerfe, namentlich durch den die Expedition gegen die Piraten betreffenden, das Regiment des Senats ueber den Haufen fiel. Wohl waren die von der Buergerschaft ernannten ordentliche
n hoechsten Beamten von selbst die rechten Feldherren der Gemeinde und bedurften auch die ausserordentlichen Beamten, um Feldherren sein zu koennen, wenigstens nach strengem Recht der Bestaetigung durch die Buergerschaft; aber auf die Besetzung der einzelnen Kommandos stand der Gemeinde verfassungsmaessig kein Einfluss zu und nur entweder auf Antrag des Senats oder doch auf Antrag eines an sich zum Feldherrnamt berechtigten Beamten hatten bisher die Komitien hin und wieder hier sich eingemischt und auch die spezielle Kompetenz vergeben. Hierin stand vielmehr, seit es einen roemischen Freistaat gab, dem Senate das tatsaechlich entscheidende Wort zu und es war diese seine Befugnis im Laufe der Zeit zu endgueltiger Anerkennung gelangt. Freilich hatte die Demokratie auch hieran schon geruettelt; allein selbst in dem bedenklichsten der bisher vorgekommenen Faelle, bei der Uebertragung des afrikanischen Kommandos auf Gaius Marius 647 (107), war nur ein verfassungsmaessig zum Feldherrnamt ueberhaupt berechtigter Beamter durch den Schluss der Buergerschaft mit einer bestimmten Expedition beauftragt worden. Aber jetzt sollte die Buergerschaft einen beliebigen Privatmann nicht bloss mit der ausserordentlichen hoechsten Amtsgewalt ausstatten, sondern auch mit einer bestimmt von ihr normierten Kompetenz. Dass der Senat diesen Mann aus der Reihe der Konsulare zu erkiesen hatte, war eine Milderung nur in der Form; denn die Auswahl blieb demselben nur deshalb ueberlassen, weil es eben eine Wahl nicht war und der stuermisch aufgeregten Menge gegenueber der Senat den Oberbefehl der Meere und Kuesten schlechterdings keinem andern uebertragen konnte als einzig dem Pompeius. Aber bedenklicher noch als diese prinzipielle Negierung der Senatsherrschaft war die tatsaechliche Aufhebung derselben durch die Einrichtung eines Amtes von fast unbeschraenkter militaerischer und finanzieller Kompetenz. Waehrend das Feldherrnamt sonst auf eine einjaehrige Frist, auf eine bestimmte Provinz, auf streng zugemessene militaerische und finanzielle Hilfsmittel beschraenkt war, war dem neuen ausserordentlichen Amt von vornherein eine dreijaehrige Dauer gesichert, die natuerlich weitere Verlaengerung nicht ausschloss, war demselben der groesste Teil der saemtlichen Provinzen, ja sogar Italien selbst, das sonst von militaerischer Amtsgewalt frei war, untergeordnet, waren ihm die Soldaten, Schiffe, Kassen des Staats fast unbeschraenkt zur Verfuegung gestellt. Selbst der eben erwaehnte uralte Fundamentalsatz des republikanisch-roemischen Staatsrechts, dass die hoechste militaerische und buergerliche Amtsgewalt nicht ohne Mitwirkung der Buergerschaft vergeben werden koenne, ward zu Gunsten des neuen Oberfeldherrn gebrochen: indem das Gesetz den fuenfundzwanzig Adjutanten, die er sich ernennen wuerde, im voraus praetorischen Rang und praetorische Befugnisse verlieh ^1, wurde das hoechste Amt des republikanischen Rom einem neu geschaffenen untergeordnet, fuer das den geeigneten Namen zu finden der Zukunft ueberlassen blieb, das aber der Sache nach schon jetzt die Monarchie in sich enthielt. Es war eine vollstaendige Umwaelzung der bestehenden Ordnung, zu der mit diesem Gesetzvorschlag der Grund gelegt ward. ------------------------------------------------------------------- ^1 Die ausserordentliche Amtsgewalt (pro consule, pro praetore, pro quaestore) konnte nach roemischem Staatsrecht in dreifacher Weise entstehen. Entweder ging sie hervor aus dem fuer die nichtstaedtische Amtstaetigkeit geltenden Grundsatz, dass das Amt bis zu dem gesetzlichen Endtermin, die Amtsgewalt aber bis zum Eintreffen des Nachfolgers fortdauert, was der aelteste, einfachste und haeufigste Fall ist. Oder sie entstand auf dem Wege, dass die beikommenden Organe, namentlich die Komitien, in spaeterer Zeit auch wohl der Senat, einen nicht in der Verfassung vorgesehenen Oberbeamten ernannten, indem dieser zwar sonst dem ordentlichen Beamten gleichstand, aber doch zum Kennzeichen der Ausserordentlichkeit seines Amtes sich nur "an Praetors" oder "an Konsuls Statt" nannte. Hierher gehoeren auch die in ordentlichem Wege zu Quaestoren ernannten, dann aber ausserordentlicherweise mit praetorischer oder gar konsularischer Amtsgewalt ausgestatteten Beamten (quaestores pro praetore oder pro consule), in welcher Eigenschaft zum Beispiel Publius Lentulus Marcellinus 679 (73) nach Kyrene (Sall. hist. 2, 39 Dietsch), Gnaeus Piso 689 (65) nach dem Diesseitigen Spanien (Sall. Cat. 19), Cato 696 (58) nach Kypros (Vell. 2, 45) gingen. Oder endlich es beruht die ausserordentliche Amtsgewalt auf dem Mandierungsrecht des hoechsten Beamten. Derselbe ist, wenn er seinen Amtsbezirk verlaesst oder sonst behindert ist, sein Amt zu versehen, befugt, einen seiner Leute zu seinem Stellvertreter zu ernennen, welcher dann legatus pro praetore (Sall. Iug. 36-38) oder wenn die Wahl auf den Quaestor faellt, quaestor pro praetore (Sall. Iug. 103) heisst. In gleicher Weise ist er befugt, wenn er keinen Quaestor hat, dessen Geschaefte durch einen seines Gefolges versehen zu lassen, welcher dann legatus pro quaestore heisst und mit diesem Namen wohl zuerst auf den makedonischen Tetradrachmen des Sura, Unterbefehlshabers des Statthalters von Makedonien 665-667 (89-87) begegnet. Das aber ist dem Wesen der Mandierung zuwider und darum nach aelterem Staatsrecht unzulaessig, dass der hoechste Beamte, ohne in seiner Funktionierung gehindert zu sein, gleich bei Antritt seines Amtes von vornherein einen oder mehrere seiner Untergebenen mit hoechster Amtsgewalt ausstattet; und insofern sind die legati pro praetore des Prokonsuls Pompeius eine Neuerung und schon denen gleichartig, die in der Kaiserzeit eine so grosse Rolle spielen. ---------------------------------------------------------- Diese Massregeln eines Mannes, der soeben noch von seiner Halbheit und Schwaeche so auffallende Beweise geliefert hatte, befremden durch ihre durchgreifende Energie. Indes ist es doch wohl erklaerlich, dass Pompeius diesmal entschlossener verfuhr als waehrend seines Konsulats. Handelte es sich doch nicht darum, sofort als Monarch aufzutreten, sondern die Monarchie zunaechst nur vorzubereiten durch eine militaerische Ausnahmemassregel, die, wie revolutionaer sie ihrem Wesen nach war, doch noch in den Formen der bestehenden Verfassung vollzogen werden konnte, und die zunaechst Pompeius dem alten Ziel seiner Wuensche, dem Kommando gegen Mithradates und Tigranes, entgegenfuehrte. Auch gewichtige Zweckmaessigkeitsgruende sprachen fuer die Emanzipation der Militaergewalt von dem Senat. Pompeius konnte nicht vergessen haben, dass ein nach ganz gleichen Grundsaetzen angelegter Plan zur Unterdrueckung der Piraterie wenige Jahre zuvor an der verkehrten Ausfuehrung durch den Senat gescheitert, dass der Ausgang des Spanischen Krieges durch die Vernachlaessigung der Heere von sehen des Senats und dessen unverstaendige Finanzwirtschaft aufs hoechste gefaehrdet worden war; er konnte nicht uebersehen, wie die grosse Majoritaet der Aristokratie gegen ihn, den abtruennigen Sullaner, gesinnt war und welchem Schicksal er entgegenging, wenn er als Feldherr der Regierung mit der gewoehnlichen Kompetenz sich nach dem Osten senden liess. Begreiflich ist es daher, dass er als die erste Bedingung der Uebernahme des Kommandos eine vom Senat unabhaengige Stellung bezeichnete und dass die Buergerschaft bereitwillig darauf einging. Es ist ferner in hohem Grade wahrscheinlich, dass Pompeius diesmal durch seine Umgebungen, die ueber sein Zurueckweichen vor zwei Jahren vermutlich nicht wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln fortgerissen ward. Die Gesetzvorschlaege ueber Lucullus’ Abberufung und die Expedition gegen die Piraten wurden eingebracht von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem oekonomisch und sittlich ruinierten Mann, aber einem gewandten Unterhaendler, dreisten Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernsthaft auch Pompeius’ Beteuerungen gemeint waren, dass er den Oberbefehl in dem Seeraeuberkriege durchaus nicht wuensche und nur nach haeuslicher Ruhe sich sehne, so ist doch davon wahrscheinlich so viel wahr, dass der kecke und bewegliche Klient, der mit Pompeius und dessen engerem Kreise im vertraulichen Verkehr stand und die Verhaeltnisse und die Menschen vollkommen durchschaute, seinem kurzsichtigen und unbehilflichen Patron die Entscheidung zum guten Teil ueber den Kopf nahm. ---------------------------------------------------- Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Fuehrer im stillen sein mochten, konnte doch nicht wohl oeffentlich gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die Durchbringung desselben haette sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu hindern vermocht, wohl aber durch Opposition dagegen mit Pompeius offen gebrochen und dadurch ihn genoetigt, entweder der Oligarchie sich zu naehern oder gar beiden Parteien gegenueber seine persoenliche Politik ruecksichtslos zu verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts uebrig, als ihre Allianz mit Pompeius, wie hohl sie immer war, auch diesmal noch festzuhalten und diese Gelegenheit zu ergreifen, um wenigstens den Senat endlich definitiv zu stuerzen und aus der Opposition in das Regiment ueberzugehen, das weitere aber der Zukunft und Pompeius’ wohlbekannter Charakterschwaeche zu ueberlassen. So unterstuetzten denn auch ihre Fuehrer, der Praetor Lucius Quinctius, derselbe, der sieben Jahre zuvor fuer die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt taetig gewesen war, und der gewesene Quaestor Gaius Caesar, die Gabinischen Gesetzvorschlaege. Die privilegierten Klassen waren ausser sich, nicht bloss die Nobilitaet, sondern ebenso die kaufmaennische Aristokratie, die auch ihre Sonderrechte durch eine so gruendliche Staatsumwaelzung bedroht fuehlte und wieder einmal ihren rechten Patron in dem Senat erkannte. Als der Tribun Gabinius nach Einbringung seiner Antraege in der Kurie sich zeigte, fehlte nicht viel, dass ihn die Vaeter der Stadt mit eigenen Haenden erwuergt haetten, ohne in ihrem Eifer zu erwaegen, wie hoechst unvorteilhaft diese Methode zu argumentieren fuer sie ablaufen wusste. Der Tribun entkam auf den Markt und rief die Menge auf, das Rathaus zu stuermen, als eben zur rechten Zeit noch die Sitzung aufgehoben ward. Der Konsul Piso, der Vorkaempfer der Oligarchie, der zufaellig der Menge in die Haende geriet, waere sicher ein Opfer der Volkswut geworden, wenn nicht Gabinius darueber zugekommen waere und, um nicht durch unzeitige Freveltaten seinen gewissen Erfolg auf das Spiel zu stellen, den Konsul befreit haette. Inzwischen blieb die Erbitterung der Menge unvermindert und fand stets neue Nahrung in den hohen Getreidepreisen und den zahlreichen, zum Teil ganz tollen Geruechten, zum Beispiel, dass Lucius Lucullus die ihm zur Kriegfuehrung ueberwiesenen Gelder teils in Rom zinsbar belegt, teils mit denselben den Praetor Quinctius der Sache des Volkes abwendig zu machen versucht habe; dass der Senat dem "zweiten Romulus", wie man Pompeius nannte, das Schicksal des ersten ^2 zu bereiten gedenke und dergleichen mehr. Darueber kam der Tag der Abstimmung heran. Kopf an Kopf gedraengt stand die Menge auf dem Markte; bis an die Daecher hinauf waren alle Gebaeude, von wo aus die Rednerbuehne gesehen werden konnte, mit Menschen bedeckt. Saemtliche Kollegen des Gabinius hatten dem Senat die Interzession zugesagt: aber den brausenden Wogen der Massen gegenueber schwiegen alle bis auf den einzigen Lucius Trebellius, der sich und dem Senat geschworen hatte, lieber zu sterben als zu weichen. Als dieser interzedierte, unterbrach Gabinius sogleich die Abstimmung ueber seine Gesetzvorschlaege und beantragte bei dem versammelten Volke, mit seinem widerstrebenden Kollegen zu verfahren, wie einst auf Tiberius Gracchus’ Antrag mit dem Octavius verfahren war, das heisst ihn sofort seines Amtes zu entsetzen. Es ward abgestimmt und die Verlesung der Stimmtafeln begann; als die ersten siebzehn Bezirke, die zur Verlesung kamen, sich fuer den Antrag erklaerten und die naechste bejahende Stimme demselben die Majoritaet gab, zog Trebellius, seines Eides vergessend, die Interzession kleinmuetig zurueck. Vergeblich bemuehte sich darauf der Tribun Otho zu bewirken, dass wenigstens die Kollegialitaet gewahrt und statt eines Feldherrn zwei gewaehlt werden moechten; vergeblich strengte der hochbejahrte Quintus Catulus, der geachtetste Mann im Senat, seine letzten Kraefte dafuer an, dass die Unterfeldherren nicht vom Oberfeldherrn ernannt, sondern vom Volke gewaehlt werden moechten. Otho konnte in dem Toben der Menge nicht einmal sich Gehoer verschaffen; dem Catulus verschaffte es Gabinius’ wohlberechnete Zuvorkommenheit, und in ehrerbietigem Schweigen horchte die Menge den Worten des Greises; aber verloren waren sie darum nicht minder. Die Vorschlaege wurden nicht bloss mit allen Klauseln unveraendert zum Gesetz erhoben, sondern auch, was Pompeius noch im einzelnen nachtraeglich begehrte, augenblicklich und vollstaendig bewilligt. -------------------------------------------------------------- ^2 Der Sage nach ward Koenig Romulus von den Senatoren in Stuecke zerrissen. ------------------------------------------------------------- Mit hochgespannten Hoffnungen sah man die beiden Feldherren Pompeius und Glabrio nach ihren Bestimmungsorten abgehen. Die Kornpreise waren nach dem Durchgehen der Gabinischen Gesetze sogleich auf die gewoehnlichen Saetze zurueckgegangen: ein Beweis, welche Hoffnungen an die grossartige Expedition und ihren ruhmvollen Fuehrer sich knuepften. Sie wurden, wie spaeter erzaehlt wird, nicht bloss erfuellt, sondern uebertroffen; in drei Monaten war die Saeuberung der Meere vollendet. Seit dem Hannibalischen Kriege war die roemische Regierung nicht mit solcher Energie nach aussen hin aufgetreten; gegenueber der schlaffen und unfaehigen Verwaltung der Oligarchie hatte die demokratisch-militaerische Opposition auf das glaenzendste ihren Beruf dargetan, die Zuegel des Staates zu fassen und zu lenken. Die ebenso unpatriotischen wie ungeschickten Versuche des Konsuls Piso, den Anstalten des Pompeius zu Unterdrueckung der Piraterie im Narbonensischen Gallien kleinliche Hindernisse in den Weg zu legen, steigerten nur die Erbitterung der Buergerschaft gegen die Oligarchie und ihren Enthusiasmus fuer Pompeius: einzig dessen persoenliche Dazwischenkunft verhinderte es, dass die Volksversammlung nicht den Konsul kurzweg seines Amtes entsetzte. Inzwischen war auf dem asiatischen Festland die Verwirrung nur noch aerger geworden. Glabrio, der an Lucullus’ Stelle den Oberbefehl gegen Mithradates und Tigranes uebernehmen sollte, war in Vorderasien sitzen geblieben und hatte zwar durch verschiedene Proklamationen die Soldaten gegen Lucullus aufgestiftet, aber den Oberbefehl nicht angetreten, so dass Lucullus denselben fortzufuehren gezwungen war. Gegen Mithradates war natuerlich nichts geschehen; die pontischen Reiter pluenderten ungescheut und ungestraft in Bithynien und Kappadokien. Durch den Piratenkrieg war auch Pompeius veranlasst worden, sich mit seinem Heer nach Kleinasien zu begeben; nichts lag naeher, als ihm den Oberbefehl in dem Pontisch-Armenischen Kriege zu uebertragen, dem er selbst seit langem nachtrachtete. Allein die demokratische Partei in Rom teilte begreiflicherweise die Wuensche ihres Generals nicht und huetete sich wohl, hierin die Initiative zu ergreifen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie den Gabinius bestimmt hatte, den Mithradatischen und den Piratenkrieg nicht von vornherein beide zugleich an Pompeius, sondern den ersteren an Glabrio zu uebertragen; auf keinen Fall konnte sie jetzt die Ausnahmestellung des schon allzumaechtigen Feldherrn steigern und verewigen wollen. Auch Pompeius selbst verhielt nach seiner Gewohnheit sich leidend, und vielleicht waere er in der Tat nach Vollziehung des ihm gewordenen Auftrags heimgekehrt, wenn nicht ein allen Parteien unerwarteter Zwischenfall eingetreten waere. Ein gewisser Gaius Manilius, ein ganz nichtiger und unbedeutender Mensch, hatte als Volkstribun es durch seine ungeschickten Gesetzvorschlaege zugleich mit der Aristokratie und der Demokratie verdorben. In der Hoffnung, sich unter des maechtigen Feldherrn Fluegeln zu bergen, wenn er diesem verschaffe, was er, wie jedem bekannt war, sehnlichst wuenschte, aber doch zu fordern sich nicht getraute, stellte er bei der Buergerschaft den Antrag, die Statthalter Glabrio aus Bithynien und Pontos, Marcius Rex aus Kilikien abzuberufen und diese Aemter sowie die Fuehrung des Krieges im Osten, wie es scheint ohne bestimmte Zeitgrenze und jedenfalls mit der freiesten Befugnis, Frieden und Buendnis zu schliessen, dem Prokonsul der Meere und Kuesten neben seinem bisherigen Amte zu uebertragen (Anfang 688 66). Es zeigte hier sich einmal recht deutlich, wie zerruettet die roemische Verfassungsmaschine war, seit die gesetzgeberische Gewalt teils der Initiative nach jedem noch so geringen Demagogen, und der Beschlussfassung nach der unmuendigen Menge in die Haende gegeben, teils auf die wichtigsten Verwaltungsfragen erstreckt war. Der Manilische Vorschlag war keiner der politischen Parteien genehm; dennoch fand er kaum irgendwo ernstlichen Widerstand. Die demokratischen Fuehrer konnten aus denselben Gruenden, die sie gezwungen hatten, das Gabinische Gesetz sich gefallen zu lassen, es nicht wagen, sich dem Manilischen geradezu zu widersetzen; sie verschlossen ihren Unwillen und ihre Besorgnisse in sich und redeten oeffentlich fuer den Feldherrn der Demokratie. Die gemaessigten Optimaten erklaerten sich fuer den Manilischen Antrag, weil nach dem Gabinischen Gesetz der Widerstand auf jeden Fall vergeblich war und weiterblickende Maenner schon damals erkannten, dass es fuer den Senat die richtige Politik sei, sich Pompeius moeglichst zu naehern und bei dem vorauszusehenden Bruch zwischen ihm und den Demokraten ihn auf ihre Seite hinueberzuziehen. Die Maenner des Schaukelsystems endlich segneten den Tag, wo auch sie eine Meinung zu haben scheinen und entschieden auftreten konnten, ohne es mit einer der Parteien zu verderben - es ist bezeichnend, dass mit der Verteidigung des Manilischen Antrags Marcus Cicero zuerst die politische Rednerbuehne betrat. Einzig die strengen Optimaten, Quintus Catulus an der Spitze, zeigten wenigstens Farbe und sprachen gegen den Vorschlag. Natuerlich wurde derselbe mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majoritaet zum Gesetz erhoben. Pompeius erhielt dadurch zu seiner frueheren ausgedehnten Machtfuelle noch die Verwaltung der wichtigsten kleinasiatischen Provinzen, so dass es innerhalb der weiten roemischen Grenzen kaum noch einen Fleck Landes gab, der ihm nicht gehorcht haette, und die Fuehrung eines Krieges, von dem man, wie von Alexanders Heerfahrt, wohl sagen konnte, wo und wann er begann, aber nicht, wo und wann er enden moege. Niemals noch, seit Rom stand, war solche Gewalt in den Haenden eines einzigen Mannes vereinigt gewesen. Die Gabinisch-Manilischen Antraege beendigten den Kampf zwischen dem Senat und der Popularpartei, den vor siebenundsechzig Jahren die Sempronischen Gesetze begonnen hatten. Wie die Sempronischen Gesetze die Revolutionspartei zunaechst als politische Opposition konstituierten, so ging dieselbe mit den Gabinisch- Manilischen ueber aus der Opposition in das Regiment; und wie es ein grossartiger Moment gewesen war, als mit der vergeblichen Interzession des Octavius der erste Bruch in die bestehende Verfassung geschah, so war es nicht minder ein bedeutungsvoller Augenblick, als mit dem Ruecktritt des Trebellius das letzte Bollwerk des senatorischen Regiments zusammenbrach. Auf beiden Seiten ward dies wohl empfunden, und selbst die schlaffen Senatorenseelen zuckten auf in diesem Todeskampf; aber es lief doch die Verfassungsfehde in gar anderer und gar viel kuemmerlicherer Weise zu Ende, als sie angefangen hatte. Ein in jedem Sinne adliger Juengling hatte die Revolution eroeffnet; sie ward beschlossen durch kecke Intriganten und Demagogen des niedrigsten Schlages. Wenn andererseits die Optimaten mit gemessenem Widerstand, mit einer selbst auf den verlorenen Posten ernst ausharrenden Verteidigung begonnen hatten, so endigten sie mit der Initiative zum Faustrecht, mit grosswortiger Schwaeche und jaemmerlichem Eidbruch. Es war nun erreicht, was einst als ein kecker Traum erschienen war: der Senat hatte aufgehoert zu regieren. Aber wenn die einzelnen alten Maenner, die noch die ersten Stuerme der Revolution gesehen, die Worte der Gracchen vernommen hatten, jene Zeit und diese miteinander verglichen, so fanden sie alles inzwischen veraendert, Landschaft und Buergerschaft, Staatsrecht und Kriegszucht, Leben und Sitte, und wohl mochte schmerzlich laecheln, wer die Ideale der Gracchenzeit mit ihrer Realisierung verglich. Indes solche Betrachtungen gehoerten der Vergangenheit an. Fuer jetzt und wohl auch fuer die Zukunft war der Sturz der Aristokratie eine vollendete Tatsache. Die Oligarchen glichen einer vollstaendig aufgeloesten Armee, deren versprengte Haufen noch eine andere Heeresmasse verstaerken, aber selbst nirgends mehr das Feld halten, noch auf eigene Rechnung ein Gefecht wagen konnten. Aber indem der alte Kampf zu Ende lief, bereitete zugleich ein neuer sich vor: der Kampf der beiden bisher zum Sturz der aristokratischen Staatsverfassung verbuendeten Maechte, der buergerlich demokratischen Opposition und der immer uebermaechtiger aufstrebenden Militaergewalt. Pompeius’ Ausnahmestellung war schon nach dem Gabinischen, um wie viel mehr nach dem Manilischen Gesetz mit einer republikanischen Staatsordnung unvereinbar. Er war, wie schon damals die Gegner mit gutem Grund sagten, durch das Gabinische Gesetz nicht zum Admiral, sondern zum Reichsregenten bestellt worden; nicht mit Unrecht heisst er einem mit den oestlichen Verhaeltnissen vertrauten Griechen "Koenig der Koenige". Wenn er dereinst, wiederum siegreich und mit erhoehtem Ruhm, mit gefuellten Kassen, mit schlagfertigen und ergebenen Truppen zurueckkehrt aus dem Osten, nach der Krone die Hand ausstreckte - wer wollte dann ihm in den Arm fallen? Sollte etwa gegen den ersten Feldherrn seiner Zeit und seine erprobten Legionen der Konsular Quintus Catulus die Senatoren aufbieten? Oder der designierte Aedil Gaius Caesar die staedtische Menge, deren Augen er soeben an seinen dreihundertzwanzig silbergeruesteten Fechterpaaren geweidet hatte? Bald werde man, rief Catulus, abermals auf die Felsen des Kapitols fluechten muessen, um die Freiheit zu retten. Es war nicht die Schuld des Propheten, wenn der Sturm nicht, wie er meinte, von Osten kam, sondern das Schicksal, buchstaeblicher als er selbst es ahnte seine Worte erfuellend, das vernichtende Unwetter wenige Jahre spaeter aus dem Keltenland heranfuehrte. 4. Kapitel Pompeius und der Osten Wir haben frueher gesehen, wie trostlos im Osten zu Lande und zur See die Angelegenheiten Roms standen, als im Anfang des Jahres 687 (67) Pompeius zunaechst die Fuehrung des Krieges gegen die Piraten mit beinahe unumschraenkter Machtvollkommenheit uebernahm. Er begann damit, das ungeheure ihm ueberwiesene Gebiet in dreizehn Bezirke zu teilen und jeden derselben einem seiner Unterfeldherren zu ueberweisen, um daselbst Schiffe und Mannschaften zu ruesten, die Kuesten abzusuchen und die Piratenboote aufzubringen oder einem der Kollegen ins Garn zu jagen. Er selbst ging mit dem besten Teil der vorhandenen Kriegsschiffe, unter denen auch diesmal die rhodischen sich auszeichneten, frueh im Jahr in See und reinigte zunaechst die sizilischen, afrikanischen und sardischen Gewaesser, um vor allem die Getreidezufuhr aus diesen Provinzen nach Italien wieder in Gang zu bringen. Fuer die Saeuberung der spanischen und gallischen Kuesten sorgten inzwischen die Unterfeldherren. Es war bei dieser Gelegenheit, dass der Konsul Gaius Piso von Rom aus die Aushebungen zu hemmen versuchte, welche Pompeius’ Legat Marcus Pomponius kraft des Gabinischen Gesetzes in der Provinz Narbo veranstaltete - ein unkluges Beginnen, dem zu steuern und zugleich die gerechte Erbitterung der Menge gegen den Konsul in den gesetzlichen Schranken zu halten Pompeius voruebergehend wieder in Rom erschien. Als nach vierzig Tagen im westlichen Becken des Mittelmeers die Schiffahrt ueberall freigemacht war, ging Pompeius mit seinen sechzig besten Fahrzeugen weiter in das oestliche Meer, zunaechst nach dem Urund Hauptsitz der Piraterie, den lykischen und kilikischen Gewaessern. Auf die Kunde von dem Herannahen der roemischen Flotte verschwanden nicht bloss die Piratenkaehne ueberall von der offenen See; auch die starken lykischen Festen Antikragos und Kragos ergaben sich, ohne ernstlichen Widerstand zu leisten. Mehr noch als die Furcht oeffnete Pompeius’ wohlberechnete Milde die Tore dieser schwer zugaenglichen Seeburgen. Seine Vorgaenger hatten jeden gefangenen Seeraeuber ans Kreuz heften lassen; er gab ohne Bedenken allen Quartier und behandelte namentlich die auf den genommenen Piratenbooten vorgefundenen gemeinen Ruderer mit ungewohnter Nachsicht. Nur die kuehnen kilikischen Seekoenige wagten einen Versuch, wenigstens ihre eigenen Gewaesser mit den Waffen gegen die Roemer zu behaupten: nachdem sie ihre Kinder und Frauen und ihre reichen Schaetze in die Bergschloesser des Taurus gefluechtet hatten, erwarteten sie die roemische Flotte an der Westgrenze Kilikiens, auf der Hoehe von Korakesion. Aber Pompeius’ wohlbemannte und mit allem Kriegszeug wohlversehene Schiffe erfochten hier einen vollstaendigen Sieg. Ohne weiteres Hindernis landete er darauf und begann die Bergschloesser der Korsaren zu stuermen und zu brechen, waehrend er fortfuhr, ihnen selbst als Preis der Unterwerfung Freiheit und Leben zu bieten. Bald gab die grosse Menge es auf, in ihren Burgen und Bergen einen hoffnungslosen Krieg fortzusetzen und bequemte sich zur Ergebung. Neunundvierzig Tage nachdem Pompeius in der oestlichen See erschienen, war Kilikien unterworfen und der Krieg zu Ende. Die rasche Ueberwaeltigung der Piraterie war eine grosse Erleichterung, aber keine grossartige Tat: mit den Hilfsmitteln des roemischen Staates, die in verschwenderischem Masse waren aufgeboten worden, konnten die Korsaren so wenig sich messen als die vereinigten Diebesbanden einer grossen Stadt mit einer wohlorganisierten Polizei. Es war naiv, eine solche Razzia als einen Sieg zu feiern. Aber verglichen mit dem langjaehrigen Bestehen und der grenzenlosen, taeglich weiter um sich greifenden Ausdehnung des Uebels ist es erklaerlich, dass die ueberraschend schnelle Ueberwaeltigung der gefuerchteten Piraten auf das Publikum den gewaltigsten Eindruck machte; um so mehr, da dies die erste Probe des in einer Hand zentralisierten Regiments war und die Parteien gespannt darauf harrten, ob es verstehen werde, besser als das kollegialische zu regieren. Gegen 400 Schiffe und Boote, darunter 90 eigentliche Kriegsfahrzeuge, wurden teils von Pompeius genommen, teils ihm ausgeliefert; im ganzen sollen an 1300 Piratenfahrzeuge zugrunde gerichtet und ausserdem die reichgefuellten Arsenale und Zeughaeuser der Flibustier in Flammen aufgegangen sein. Von den Seeraeubern waren gegen 10000 umgekommen, ueber 20000 dem Sieger lebend in die Haende gefallen, wogegen Publius Clodius, der Flottenfuehrer der in Kilikien stehenden roemischen Armee, und eine Menge anderer von den Piraten weggefuehrter, zum Teil daheim laengst tot geglaubter Individuen durch Pompeius ihre Freiheit wiedererlangten. Im Sommer 687 (67), drei Monate nach dem Beginn des Feldzugs, gingen Handel und Wandel wieder ihren gewohnten Gang und anstatt der frueheren Hungersnot herrschte in Italien Ueberfluss. Ein verdriessliches Zwischenspiel auf der Insel Kreta truebte indes einigermassen diesen erfreulichen Erfolg der roemischen Waffen. Dort stand schon im zweiten Jahre Quintus Metellus, beschaeftigt, die im wesentlichen bereits bewirkte Unterwerfung der Insel zu vollenden, als Pompeius in den oestlichen Gewaessern erschien. Eine Kollision lag nahe, denn nach dem Gabinischen Gesetz erstreckte sich Pompeius’ Kommando konkurrierend mit dem des Metellus auf die ganze Ianggestreckte, aber nirgends ueber zwanzig deutsche Meilen breite Insel; doch war Pompeius so ruecksichtsvoll, sie keinem seiner Unterbefehlshaber zu ueberweisen. Allein die noch widerstrebenden kretischen Gemeinden, die ihre unterworfenen Landsleute von Metellus mit der grausamsten Strenge zur Verantwortung hatten ziehen sehen und dagegen die milden Bedingungen vernahmen, welche Pompeius den ihm sich ergebenden Ortschaften des suedlichen Kleinasiens zu stellen pflegte, zogen es vor, ihre Gesamtunterwerfung an Pompeius einzugeben, der sie auch in Pamphylien, wo er eben sich befand, von ihren Gesandten entgegennahm und ihnen seinen Legaten Lucius Octavius mitgab, um Metellus den Abschluss der Vertraege anzuzeigen und die Staedte zu uebernehmen. Kollegialisch war dies Verfahren freilich nicht; allein das formelle Recht war durchaus auf seiten des Pompeius und Metellus im offenbarsten Unrecht, wenn er, den Vertrag der Staedte mit Pompeius vollstaendig ignorierend, dieselben als feindliche zu behandeln fortfuhr. Vergeblich protestierte Octavius; vergeblich rief er, da er selbst ohne Truppen gekommen war, aus Achaia den dort stehenden Unterfeldherrn des Pompeius, Lucius Sisenna, herbei; Metellus, weder um Octavius noch um Sisenna sich bekuemmernd, belagerte Eleutherna und nahm Lappa mit Sturm, wo Octavius selbst gefangengenommen und beschimpft entlassen, die mit ihm gefangenen Kreter aber dem Henker ueberliefert wurden. So kam es zu foermlichen Gefechten zwischen Sisennas Truppen, an deren Spitze nach dieses Fuehrers Tode sich Octavius stellte, und denen des Metellus; selbst als jene nach Achaia zurueckkommandiert worden waren, setzte Octavius in Gemeinschaft mit dem Kreter Aristion den Krieg fort, und Hierapytna, wo beide sich hielten, ward von Metellus erst nach der hartnaeckigsten Gegenwehr bezwungen. In der Tat hatte damit der eifrige Optimat Metellus gegen den Oberfeldherrn der Demokratie auf eigene Hand den foermlichen Buergerkrieg begonnen; es zeugt von der unbeschreiblichen Zerruettung der roemischen Staatsverhaeltnisse, dass diese Auftritte zu nichts weiterem fuehrten als zu einer bitteren Korrespondenz zwischen den beiden Generalen, die ein paar Jahre darauf wieder friedlich und sogar "freundschaftlich" nebeneinander im Senate sassen. Pompeius stand waehrend dieser Vorgaenge in Kilikien; fuer das naechste Jahr, wie es schien, einen Feldzug vorbereitend gegen die Kretenser oder vielmehr gegen Metellus, in der Tat des Winkes harrend, der ihn zum Eingreifen in die gruendlich verwirrten Angelegenheiten des kleinasiatischen Kontinents berief. Was von Lucullus’ Heer nach den erlittenen Verlusten und der Verabschiedung der Fimbrianischen Legionen noch uebrig war, stand untaetig am oberen Halys in der Landschaft der Trokmer an der Grenze des pontischen Gebietes. Den Oberbefehl fuehrte einstweilen immer noch Lucullus, da sein ernannter Nachfolger Glabrio fortfuhr, in Vorderasien zu saeumen. Ebenso untaetig lagerten in Kilikien die drei von Quintus Marcius Rex befehligten Legionen. Das pontische Gebiet war wieder ganz in der Gewalt des Koenigs Mithradates, der die einzelnen Maenner und Gemeinden, die den Roemern sich angeschlossen hatten, wie zum Beispiel die Stadt Eupatoria, mit grausamer Strenge ihren Abfall buessen liess. Zu einer ernsten Offensive gegen die Roemer schritten die Koenige des Ostens nicht, sei es dass sie ueberhaupt nicht in ihrem Plan lag, sei es, was auch behauptet wurde, dass Pompeius’ Landung in Kilikien die Koenige Mithradates und Tigranes bewog, von weiterem Vorgehen abzustehen. Rascher als Pompeius selbst es gehofft haben mochte, verwirklichte das Manilische Gesetz seine im stillen genaehrten Hoffnungen: Glabrio und Rex wurden abberufen und die Statthalterschaften Pontus-Bithynien und Kilikien mit den darin stehenden Truppen sowie die Fuehrung des Pontisch-Armenischen Krieges nebst der Befugnis, mit den Dynasten des Ostens nach eigenem Gutduenken Krieg, Frieden und Buendnis zu machen, auf Pompeius uebertragen. Ueber die Aussicht auf so reiche Ehren und Spolien vergass Pompeius gern die Zuechtigung eines uebellaunigen und seine sparsamen Lorbeerblaetter neidisch huetenden Optimaten, gab den Zug gegen Kreta und die fernere Verfolgung der Korsaren auf und bestimmte auch seine Flotte zu Unterstuetzung des Angriffs, den er gegen die Koenige von Pontus und Armenien entwarf. Doch verlor er ueber diesen Landkrieg die immer wieder aufs neue ihr Haupt erhebende Piraterie keineswegs voellig aus den Augen. Ehe er Asien verliess (691 63), liess er daselbst noch die noetigen Schiffe gegen die Korsaren instand setzen; auf seinen Antrag ward das Jahr darauf fuer Italien eine aehnliche Massregel beschlossen und die dazu noetige Summe vom Senat bewilligt. Man fuhr fort, die Kuesten mit Reiterbesatzungen und kleinen Geschwadern zu decken. Wenn man auch, wie schon die spaeter zu erwaehnenden Expeditionen gegen Kypros 696 (58) und gegen Aegypten 699 (55) beweisen, der Piraterie nicht durchaus Herr ward, so hat dieselbe doch nach der Expedition des Pompeius unter allen Wechselfaellen und politischen Krisen Roms niemals wieder so ihr Haupt emporheben und so voellig die Roemer an der See verdraengen koennen, wie es unter dem Regiment der verrotteten Oligarchie geschehen war. Die wenigen Monate, die vor dem Beginn des kleinasiatischen Feldzugs noch uebrig waren, wurden von dem neuen Oberfeldherrn mit angestrengter Taetigkeit zu diplomatischen und militaerischen Vorbereitungen benutzt. Es gingen Gesandte an Mithradates, mehr um zu kundschaften, als um eine ernstliche Vermittlung zu versuchen. Am pontischen Hofe hoffte man, dass der Koenig der Parther, Phraates, durch die letzten bedeutenden Erfolge, die die Verbuendeten ueber Rom davongetragen hatten, sich zum Eintritt in das pontisch-armenische Buendnis bestimmen lassen werde. Dem entgegenzuwirken gingen roemische Boten an den Hof von Ktesiphon; und ihnen kamen die inneren Wirren zu Hilfe, die das armenische Herrscherhaus zerrissen. Des Grosskoenigs Tigranes gleichnamiger Sohn hatte sich gegen seinen Vater empoert, sei es dass er den Tod des Greises nicht abwarten mochte, sei es dass der Argwohn desselben, der schon mehreren seiner Brueder das Leben gekostet hatte, ihn die einzige Moeglichkeit der Rettung in der offenen Empoerung sehen liess. Vom Vater ueberwunden, hatte er mit einer Anzahl vornehmer Armenier sich an den Hof des Arsakiden gefluechtet und intrigierte dort gegen den Vater. Es war zum Teil sein Werk, dass Phraates den Lohn fuer den Beitritt, der ihm von beiden Seiten geboten ward, den gesicherten Besitz Mesopotamiens, lieber aus der Hand der Roemer nahm und den mit Lucullus hinsichtlich der Euphratgrenze abgeschlossenen Vertrag mit Pompeius erneuerte, ja sogar darauf einging, mit den Roemern gemeinschaftlich gegen Armenien zu operieren. Noch groesseren Schaden als durch die Foerderung des Buendnisses zwischen den Roemern und den Parthern tat der juengere Tigranes den Koenigen Tigranes und Mithradates dadurch, dass sein Aufstand eine Spaltung zwischen ihnen selbst hervorrief. Der Grosskoenig naeherte im geheimen den Argwohn, dass der Schwiegervater bei der Schilderhebung seines Enkels - die Mutter des juengeren Tigranes, Kleopatra, war die Tochter Mithradats - die Hand im Spiel gehabt haben moege, und wenn es auch darueber nicht zum offenen Bruch kam, so war doch das gute Einverstaendnis der beiden Monarchen eben in dem Augenblick gestoert, wo sie desselben am dringendsten bedurften. Zugleich betrieb Pompeius die Ruestungen mit Energie. Die asiatischen Bundesund Klientelgemeinden wurden gemahnt, den vertragsmaessigen Zuzug zu leisten. Oeffentliche Anschlaege forderten die entlassenen Veteranen der Legionen Fimbrias auf, als Freiwillige wieder unter die Fahnen zurueckzutreten, und durch grosse Versprechungen und den Namen des Pompeius liess ein ansehnlicher Teil derselben in der Tat sich bestimmen, dem Rufe zu folgen. Die gesamte Streitmacht, die unter Pompeius’ Befehlen vereinigt war, mochte mit Ausschluss der Hilfsvoelker sich auf etwa 40-50000 Mann belaufen ^1. ---------------------------------------------- ^1 Pompeius verteilte unter seine Soldaten und Offiziere als Ehrengeschenk 384 Mill. Sesterzen (= 16000 Talente; App. Mithr. 116); da die Offiziere 100 Mill. empfingen (Plin. nat. 37, 2, 16), von den gemeinen Soldaten aber jeder 6000 Sesterzen (Plin., App.), so zaehlte das Heer noch bei dem Triumph etwa 40000 Mann. --------------------------------------------- Im Fruehjahr 688 (66) begab sich Pompeius nach Galatien, um den Oberbefehl ueber die Truppen Luculls zu uebernehmen und mit ihnen in das pontische Gebiet einzuruecken, wohin die kilikischen Legionen angewiesen waren zu folgen. In Danala, einer Ortschaft der Trokmer, trafen die beiden Feldherren zusammen; die Versoehnung aber, die die beiderseitigen Freunde zu bewirken gehofft hatten, ward nicht erreicht. Die einleitenden Hoeflichkeiten gingen bald ueber in bittere Eroerterungen und diese in heftigen Wortwechsel; man schied verstimmter, als man gekommen war. Da Lucullus fortfuhr, gleich als waere er noch im Amte, Ehrengeschenke zu machen und Laendereien zu verteilen, so erklaerte Pompeius alle nach seinem Eintreffen von seinem Amtsvorgaenger vollzogenen Handlungen fuer nichtig. Formell war er in seinem Recht; sittlichen Takt in der Behandlung eines verdienten und mehr als genug gekraenkten Gegners durfte man bei ihm nicht suchen. Sowie es die Jahreszeit erlaubte, ueberschritten die roemischen Truppen die pontische Grenze. Gegen sie stand hier mit 30000 Mann zu Fuss und 3000 Reitern Koenig Mithradates. Im Stich gelassen von seinen Verbuendeten und mit verstaerkter Macht und Energie von Rom angegriffen, machte er einen Versuch, Frieden zu erwirken; allein von unbedingter Unterwerfung, die Pompeius forderte, wollte er nichts hoeren - was konnte der ungluecklichste Feldzug ihm Schlimmeres bringen? Um sein Heer, groesstenteils Schuetzen und Reiter, nicht dem furchtbaren Stoss der roemischen Linieninfanterie preiszugeben, wich er langsam vor dem Feinde zurueck und noetigte die Roemer, ihm auf seinen Kreuzund Quermaerschen zu folgen, wobei er, wo Gelegenheit dazu war, mit seiner ueberlegenen Reiterei der feindlichen standhielt und den Roemern durch die Erschwerung der Verpflegung nicht geringe Drangsale bereitete. Ungeduldig gab endlich Pompeius es auf, die pontische Armee zu begleiten und ging, den Koenig stehen lassend, daran, das Land zu unterwerfen: er rueckte an den oberen Euphrat, ueberschritt ihn und betrat die oestlichen Provinzen des Pontischen Reiches. Aber auch Mithradates folgte auf das linke Euphratufer nach, und in der Anaitischen oder Akilisenischen Landschaft angelangt, verlegte er den Roemern den Weg bei der festen und mit Wasser wohl versehenen Burg Dasteira, von wo aus er mit seinen leichten Truppen das Blachfeld beherrschte. Pompeius, immer noch der kilikischen Legionen entbehrend und ohne sie nicht stark genug, um sich in dieser Lage zu behaupten, musste ueber den Euphrat zurueckgehen und in dem waldigen, von Felsschluchten und Tieftaelern vielfach durchschnittenen Terrain des pontischen Armenien vor den Reitern und Bogenschuetzen des Koenigs Schutz suchen. Erst als die Truppen aus Kilikien eintrafen und es moeglich machten, nun mit Uebermacht die Offensive wiederaufzunehmen, ging Pompeius wieder vor, umschloss das Lager des Koenigs mit einer Postenkette von fast vier deutschen Meilen Laenge und hielt ihn hier foermlich blockiert, waehrend die roemischen Detachements die Gegend weit umher durchstreiften. Die Not im pontischen Lager war gross; schon musste die Bespannung niedergestossen werden, endlich nach fuenfundvierzigtaegigem Verweilen liess der Koenig seine Kranken und Verwundeten, da er sie weder retten konnte, noch dem Feinde in die Haende fallen lassen wollte, durch die eigenen Leute niedermachen und brach zur Nachtzeit in moeglichster Stille auf gegen Osten. Vorsichtig folgte Pompeius durch das unbekannte Land; schon naeherte der Marsch sich der Grenze, die Mithradates’ und Tigranes’ Gebiete voneinander schied. Als der roemische Feldherr erkannte, dass Mithradates nicht innerhalb seines Gebietes den Kampf zur Entscheidung zu bringen, sondern den Feind in die grenzenlosen Fernen des Ostens sich nachzuziehen gedenke, entschloss er sich, dies nicht zu gestatten. Die beiden Heere lagerten hart aneinander. Waehrend der Mittagsrast brach das roemische auf, ohne dass der Feind es bemerkte, umging ihn und besetzte die vorwaerts liegenden und einen vom Feinde zu passierenden Engpass beherrschenden Anhoehen am suedlichen Ufer des Flusses Lykos (Jeschil Irmak) unweit des heutigen Enderes, da wo spaeter Nikopolis erbaut ward. Den folgenden Morgen brachen die Pontiker in gewohnter Weise auf und, den Feind wie bisher hinter sich vermutend, schlugen sie nach zurueckgelegtem Tagesmarsch ihr Lager eben in dem Tale, dessen Hoehenring die Roemer besetzt hatten. Ploetzlich erscholl in der Stille der Nacht rings im Kreise um sie der gefuerchtete Schlachtruf der Legionen und regneten von allen Seiten die Geschosse in die asiatischen Heerhaufen, in denen Soldaten und Tross, Wagen, Pferde, Kamele sich durcheinander schoben und in deren dichtem Knaeuel trotz der Dunkelheit kein Geschoss fehlging. Als die Roemer sich verschossen hatten, stuermten sie von den Hoehen herab auf die in dem Scheine des inzwischen aufgegangen Mondes sichtbar gewordenen und fast wehrlos ihnen preisgegebenen Scharen, und was nicht von dem Eisen der Feinde fiel, ward in dem fuerchterlichen Gedraenge unter den Hufen und Raedern zermalmt. Es war das letzte Schlachtfeld, auf welchem der greise Koenig mit den Roemern gestritten hat. Mit drei Begleitern, zweien seiner Reiter und einer Kebse, die in Maennertracht ihm zu folgen und tapfer neben ihm zu streiten gewohnt war, entrann er von dort zu der Feste Sinoria, wo sich ein Teil seiner Getreuen zu ihm fand. Er teilte seine hier aufbewahrten Schaetze, 6000 Talente Goldes (11 Mill. Taler), unter sie aus, versah sie und sich mit Gift und eilte mit dem ihm gebliebenen Haufen den Euphrat hinauf, um mit seinem Verbuendeten, dem Grosskoenig von Armenien, sich zu vereinigen. Auch diese Hoffnung war eitel; das Buendnis, auf das vertrauend Mithradates den Weg nach Armenien einschlug, bestand damals bereits nicht mehr. Waehrend der eben erzaehlten Kaempfe zwischen Mithradates und Pompeius war der Partherkoenig, dem Draengen der Roemer und vor allem dem des landfluechtigen armenischen Prinzen nachgebend, mit gewaffneter Hand in das Reich des Tigranes eingefallen und hatte denselben gezwungen, sich in die unzugaenglichen Gebirge zurueckzuziehen. Die Invasionsarmee begann sogar die Belagerung der Hauptstadt Artaxata; allein da dieselbe sich in die Laenge zog, entfernte sich Koenig Phraates mit dem groessten Teil seiner Truppen, worauf Tigranes das zurueckgebliebene parthische Korps und die von seinem Sohn gefuehrten armenischen Emigranten ueberwaeltigte und in dem ganzen Reiche seine Herrschaft wiederherstellte. Begreiflicherweise indes war unter diesen Umstaenden der Koenig wenig geneigt, mit den aufs neue siegreichen Roemern zu schlagen, am wenigsten sich fuer Mithradates aufzuopfern, dem er minder traute als je, seit ihm die Meldung zugekommen war, dass sein rebellischer Sohn beabsichtige, sich zu dem Grossvater zu begeben. So knuepfte er mit den Roemern Unterhandlungen ueber einen Sonderfrieden an; aber er wartete den Abschluss des Vertrages nicht ab, um das Buendnis, das ihn an Mithradates fesselte, zu zerreissen. An der armenischen Grenze angelangt, musste dieser vernehmen, dass der Grosskoenig Tigranes einen Preis von 100 Talenten (150000 Taler) auf seinen Kopf gesetzt, seine Gesandten festgenommen und sie den Roemern ausgeliefert habe. Koenig Mithradates sah sein Reich in den Haenden des Feindes, seine Bundesgenossen im Begriff, mit demselben sich zu vergleichen; es war nicht moeglich, den Krieg fortzusetzen; er musste sich gluecklich schaetzen, wenn es ihm gelang, sich an die Ostund Nordgestade des Schwarzen Meeres zu retten, vielleicht seinen abtruennigen und mit den Roemern in Verbindung getretenen Sohn Machares wieder aus dem Bosporanischen Reiche zu verdraengen und an der Maeotis fuer neue Entwuerfe einen neuen Boden zu finden. So schlug er sich nordwaerts. Als der Koenig auf der Flucht die alte Grenze Kleinasiens, den Phasis, ueberschritten hatte, stellte Pompeius vorlaeufig seine Verfolgung ein; statt aber in das Quellgebiet des Euphrat zurueckzukehren, wandte er sich seitwaerts in das Gebiet des Araxes, um mit Tigranes ein Ende zu machen. Fast ohne Widerstand zu finden gelangte er in die Gegend von Artaxata (unweit Eriwan) und schlug drei deutsche Meilen von der Stadt sein Lager. Daselbst fand der Sohn des Grosskoenigs sich zu ihm, der nach dem Sturze des Vaters das armenische Diadem aus der Hand der Roemer zu empfangen hoffte und darum den Abschluss des Vertrages zwischen seinem Vater und den Roemern in jeder Weise zu hindern bemueht war. Der Grosskoenig war nur um so mehr entschlossen, den Frieden um jeden Preis zu erkaufen. Zu Pferd und ohne Purpurgewand, aber geschmueckt mit der koeniglichen Stirnbinde und dem koeniglichen Turban erschien er an der Pforte des roemischen Lagers und begehrte, vor den roemischen Feldherrn gefuehrt zu werden. Nachdem er hier auf Geheiss der Liktoren, wie die roemische Lagerordnung es erheischte, sein Ross und sein Schwert abgegeben hatte, warf er nach Barbarenart sich dem Prokonsul zu Fuessen und legte zum Zeichen der unbedingten Unterwerfung Diadem und Tiara in seine Haende. Pompeius, hocherfreut ueber den muehelosen Sieg, hob den gedemuetigten Koenig der Koenige auf, schmueckte ihn wieder mit den Abzeichen seiner Wuerde und diktierte den Frieden. Ausser einer Zahlung von 9 Mill. Talern (6000 Talente) an die Kriegskasse und einem Geschenk an die Soldaten, wovon auf jeden einzelnen 50 Denare (15 Taler) kamen, trat der Koenig alle gemachten Eroberungen wieder ab, nicht bloss die phoenikischen, syrischen, kilikischen, kappadokischen Besitzungen, sondern auch am rechten Ufer des Euphrat Sophene und Korduene; er ward wieder beschraenkt auf das eigentliche Armenien und mit seinem Grosskoenigtum war es von selber vorbei. In einem einzigen Feldzuge hatte Pompeius die beiden maechtigen Koenige von Pontus und Armenien vollstaendig unterworfen. Am Anfang des Jahres 688 (66) stand kein roemischer Soldat jenseits der Grenze der altroemischen Besitzungen, am Schlusse desselben irrte Koenig Mithradates landfluechtig und ohne Heer in den Schluchten des Kaukasus und sass Koenig Tigranes auf dem armenischen Thron nicht mehr als Koenig der Koenige, sondern als roemischer Lehnfuerst. Das gesamte kleinasiatische Gebiet westlich vom Euphrat gehorchte den Roemern unbedingt; die siegreiche Armee nahm ihre Winterquartiere oestlich von diesem Strom auf armenischem Boden, in der Landschaft vom oberen Euphrat bis an den aus welchem damals zuerst die Italiker ihre Rosse traenkten. Aber das neue Gebiet, das die Roemer hier betraten, erweckte ihnen neue Kaempfe. Unwillig sahen die tapferen Voelkerschaften des mittleren und oestlichen Kaukasus die fernen Okzidentalen auf ihrem Gebiet lagern. Es wohnten dort in der fruchtbaren und wasserreichen Hochebene des heutigen Georgien die Iberer, eine tapfere, wohlgeordnete, ackerbauende Nation, deren Geschlechtergaue unter ihren Aeltesten das Land nach Feldgemeinschaft bestellten, ohne Sondereigentum der einzelnen Bauern. Heer und Volk waren eins; an der Spitze des Volkes standen teils die Herrengeschlechter, daraus immer der Aelteste der ganzen iberischen Nation als Koenig, der Naechstaelteste als Richter und Heerfuehrer vorstand, teils besondere Priesterfamilien, denen vornehmlich oblag, die Kunde der mit anderen Voelkern geschlossenen Vertraege zu bewahren und ueber deren Einhaltung zu wachen. Die Masse der Unfreien galten als Leibeigene des Koenigs. Auf einer weit niedrigeren Kulturstufe standen ihre oestlichen Nachbarn, die Albaner oder Alaner, die am unteren Kur bis zum Kaspischen Meere hinab sassen. Vorwiegend ein Hirtenvolk, weideten sie, zu Fuss oder zu Pferde, ihre zahlreichen Herden auf den ueppigen Wiesen des heutigen Schirwan; die wenigen Ackerfelder wurden noch mit dem alten Holzpflug ohne eiserne Schar bestellt. Muenze war unbekannt und ueber hundert ward nicht gezaehlt. Jeder ihrer Staemme, deren sechsundzwanzig waren, hatten seinen eigenen Haeuptling und sprach seinen besonderen Dialekt. An Zahl den Iberern weit ueberlegen, vermochten sich die Albaner an Tapferkeit durchaus nicht mit denselben zu messen. Die Fechtart beider Nationen war uebrigens im ganzen die gleiche: sie stritten vorwiegend mit Pfeilen und leichten Wurfspiessen, die sie haeufig nach Indianerart aus Waldverstecken, hinter Baumstaemmen hervor oder von den Baumwipfeln herab, auf den Feind entsendeten; die Albaner hatten auch zahlreiche, zum Teil nach medisch-armenischer Art mit schweren Kuerassen und Schienen gepanzerte Reiter. Beide Nationen lebten auf ihren Aeckern und Triften in vollkommener, seit unvordenklicher Zeit bewahrter Unabhaengigkeit. Den Kaukasus scheint gleichsam die Natur selbst zwischen Europa und Asien als Damm gegen die Voelkerfluten aufgerichtet zu haben: an ihm hatten einst die Waffen des Kyros wie die Alexanders ihre Grenze gefunden; jetzt schickte die tapfere Besatzung dieser Scheidewand sich an, sie auch gegen die Roemer zu verteidigen. Aufgeschreckt durch die Kunde, dass der roemische Oberfeldherr im naechsten Fruehjahr das Gebirge zu ueberschreiten und den pontischen Koenig jenseits des Kaukasus zu verfolgen beabsichtige - den Mithradates, vernahm man, ueberwinterte in Dioskurias (Iskuria zwischen Suchum Kale und Anaklia) am Schwarzen Meer -, ueberschritten zuerst die Albaner unter dem Fuersten Oroizes noch im Mittwinter 688/89 (66/65) den Kur und warfen sich auf das der Verpflegung wegen in drei groessere Korps unter Quintus Metellus Celer, Lucius Flaccus und Pompeius selbst auseinander gelegte Heer. Aber Celer, den der Hauptangriff traf, hielt tapfer stand und Pompeius selbst verfolgte, nachdem er sich des gegen ihn geschickten Haufens entledigt, die auf allen Punkten geschlagenen Barbaren bis an den Kur. Der Koenig der Iberer, Artokes, hielt sich ruhig und versprach Frieden und Freundschaft; allein Pompeius, davon benachrichtigt, dass er insgeheim rueste, um die Roemer bei ihrem Marsche in den Paessen des Kaukasus zu ueberfallen, rueckte im Fruehjahr 689 (65), bevor er die Verfolgung des Mithradates wiederaufnahm, vor die beiden kaum eine halbe deutsche Meile voneinander entfernten Festungen Harmozika (Horumziche oder Armazi) und Seusamora (Tsumar), welche wenig oberhalb des heutigen Tiflis die beiden Flusstaeler des Kur und seines Nebenflusses Aragua und damit die einzigen von Armenien nach Iberien fuehrenden Paesse beherrschen. Artokes, eher er dessen sich versah, vom Feinde ueberrascht, brannte eiligst die Kurbruecke ab und wich unterhandelnd in das innere Land zurueck. Pompeius besetzte die Festungen und folgte den Iberern auf das andere Ufer des Kur, wodurch er sie zu sofortiger Unterwerfung zu bestimmen hoffte. Artokes aber wich weiter und weiter in das innere Land zurueck, und als er endlich am Fluss Peloros Halt machte, geschah es nicht, um sich zu ergeben, sondern um zu schlagen. Allein dem Anprall der Legionen standen doch die iberischen Schuetzen keinen Augenblick, und da Artokes auch den Peioros von den Roemern ueberschritten sah, fuegte er sich endlich den Bedingungen, die der Sieger stellte, und sandte seine Kinder als Geiseln. Pompeius marschierte jetzt, seinem frueher entworfenen Plane gemaess, durch den Sarapanapass aus dem Gebiet des Kur in das des Phasis und von da am Flusse hinab an das Schwarze Meer, wo an der kolchischen Kueste die Flotte unter Servilius bereits seiner harrte. Aber es war ein unsicherer Gedanke und fast ein wesenloses Ziel, dem zuliebe man Heer und Flotte an den maerchenreichen kolchischen Strand gefuehrt hatte. Der soeben muehselig zurueckgelegte Zug durch unbekannte und meist feindliche Nationen war nichts, verglichen mit dem, der noch bevorstand; und wenn es denn wirklich gelang, von der Phasismuendung aus die Streitmacht nach der Krim zu fuehren, durch kriegerische und arme Barbarenstaemme, auf unwirtlichen und unbekannten Gewaessern, laengs einer Kueste, wo an einzelnen Stellen die Gebirge lotrecht in die See hinabfallen und es schlechterdings notwendig gewesen waere, die Schiffe zu besteigen; wenn es gelang, diesen Zug zu vollenden, der vielleicht schwieriger war als die Heerfahrten Alexanders und Hannibals - was ward im besten Falle damit erzielt, das irgend den Muehen und Gefahren entsprach? Freilich war der Krieg nicht geendigt, solange der alte Koenig noch unter den Lebenden war; aber wer buergte dafuer, dass es wirklich gelang, das koenigliche Wild zu fangen, um dessentwillen diese beispiellose Jagd angestellt werden sollte? War es nicht besser, selbst auf die Gefahr hin, dass Mithradates noch einmal die Kriegsfackel nach Kleinasien schleudere, von einer Verfolgung abzustehen, die so wenig Gewinn und so viele Gefahren verhiess? Wohl draengten den Feldherrn zahlreiche Stimmen im Heer, noch zahlreichere in der Hauptstadt, die Verfolgung unablaessig und um jeden Preis fortzusetzen; aber es waren Stimmen teils tolldreister Hitzkoepfe, teils derjenigen perfiden Freunde, die den allzumaechtigen Imperator gern um jeden Preis von der Hauptstadt ferngehalten und ihn im Osten in unabsehbare Unternehmungen verwickelt haetten. Pompeius war ein zu erfahrener und zu bedaechtiger Offizier, um im hartnaeckigen Festhalten an einer so unverstaendigen Expedition seinen Ruhm und sein Heer auf das Spiel zu setzen; ein Aufstand der Albaner im Ruecken des Heeres gab den Vorwand her, um die weitere Verfolgung des Koenigs aufzugeben und die Rueckkehr anzuordnen. Die Flotte erhielt den Auftrag, in dem Schwarzen Meer zu kreuzen, die kleinasiatische Nordkueste gegen jeden feindlichen Einfall zu decken, den Kimmerischen Bosporus aber streng zu blockieren unter Androhung der Lebensstrafe fuer jeden Kauffahrer, der die Blockade brechen wuerde. Die Landtruppen fuehrte Pompeius nicht ohne grosse Beschwerden durch das kolchische und armenische Gebiet an den unteren Lauf des Kur und weiter, den Strom ueberschreitend, in die albanische Ebene. Mehrere Tage musste das roemische Heer in der gluehenden Hitze durch dies wasserarme Blachland marschieren, ohne auf den Feind zu treffen; erst am linken Ufer des Abas (wahrscheinlich der sonst Alazonios, jetzt Alasan genannte Fluss) stellte unter Fuehrung des Koses, Bruders des Koenigs Oroizes, sich die Streitmacht der Albaner den Roemern entgegen; sie soll mit Einschluss des von den transkaukasischen Steppenbewohnern eingetroffenen Zuzuges 60000 Mann zu Fuss und 12000 Reiter gezaehlt haben. Dennoch haette sie schwerlich den Kampf gewagt, wenn sie nicht gemeint haette, bloss mit der roemischen Reiterei fechten zu sollen; aber die Reiter waren nur vorangestellt und wie diese sich zurueckzogen, zeigten sich dahinter verborgen die roemischen Infanteriemassen. Nach kurzem Kampfe war das Heer der Barbaren in die Waelder versprengt, die Pompeius zu umstellen und anzuzuenden befahl. Die Albaner bequemten sich hierauf, Frieden zu machen und dem Beispiele der maechtigeren Voelker folgend, schlossen alle zwischen dem Kur und dem Kaspischen Meer sitzenden Staemme mit dem roemischen Feldherrn Vertrag ab. Die Albaner, Iberer und ueberhaupt die suedlich am und unter dem Kaukasus ansaessigen Voelkerschaften traten also wenigstens fuer den Augenblick in ein abhaengiges Verhaeltnis zu Rom. Wenn dagegen auch die Voelker zwischen dem Phasis und der Maeotis, Kolcher, Soaner, Heniocher, Zyger, Achaeer, sogar die fernen Bastarner dem langen Verzeichnis der von Pompeius unterworfenen Nationen eingereiht wurden, so nahm man dabei offenbar es mit dem Begriff der Unterwerfung sehr wenig genau. Der Kaukasus bewaehrte sich abermals in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung; wie die persische und die hellenische fand auch die roemische Eroberung an ihm ihre Grenze. So blieb denn Koenig Mithradates sich selbst und dem Verhaengnis ueberlassen. Wie einst sein Ahnherr, der Gruender des Pontischen Staates, sein kuenftiges Reich zuerst betreten hatte, fluechtend vor den Haeschern des Antigonos und nur von sechs Reitern begleitet, so hatte nun der Enkel die Grenzen seines Reiches wieder ueberschreiten und seine und seiner Vaeter Eroberungen mit dem Ruecken ansehen muessen. Aber die Wuerfel des Verhaengnisses hatten keinem oefter und launenhafter die hoechsten Gewinste und die gewaltigsten Verluste zugeworfen als dem alten Sultan von Sinope, und rasch und unberechenbar wechseln die Geschicke im Osten. Wohl mochte Mithradates jetzt am Abend seines Lebens jeden neuen Wechselfall mit dem Gedanken hinnehmen, dass auch er nur wieder einen neuen Umschwung vorbereite und das einzig Stetige der ewige Wandel der Geschicke sei. War doch die roemische Herrschaft der Orientalen im tiefsten Grunde ihres Wesens unertraeglich und Mithradates selbst, im Guten wie im Boesen, der rechte Fuerst des Ostens; bei der Schlaffheit des Regiments, wie der roemische Senat es ueber die Provinzen uebte, und bei dem gaerenden und zum Buergerkriege reifenden Hader der politischen Parteien in Rom konnte Mithradates, wenn es ihm glueckte, seine Zeit abzuwarten, gar wohl noch zum drittenmal seine Herrschaft wiederherstellen. Darum eben, weil er hoffte und plante, solange Leben in ihm war, blieb er den Roemern gefaehrlich, solange er lebte, als landfluechtiger Greis nicht minder wie da er mit seinen Hunderttausenden ausgezogen war, um Hellas und Makedonien den Roemern zu entreissen. Der rastlose alte Mann gelangte im Jahre 689 (85) von Dioskurias unter unsaeglichen Beschwerden teils zu Lande, teils zur See in das Reich von Pantikapaeon, stuerzte hier durch sein Ansehen und sein starkes Gefolge seinen abtruennigen Sohn Machares vom Thron und zwang ihn, sich selber den Tod zu geben. Von hier aus versuchte er noch einmal, mit den Roemern zu unterhandeln; er bat, ihm sein vaeterliches Reich zurueckzugeben und erklaerte sich bereit, die Oberhoheit Roms anzuerkennen und als Lehnfuerst Zins zu entrichten. Allein Pompeius weigerte sich, dem Koenig eine Stellung zu gewaehren, in der er das alte Spiel aufs neue begonnen haben wuerde, und bestand darauf, dass er sich persoenlich unterwerfe. Mithradates aber dachte nicht daran, sich dem Feinde in die Haende zu liefern, sondern entwarf neue und immer ausschweifendere Plaene. Mit Anspannung aller der Mittel, die seine geretteten Schaetze und der Rest seiner Staaten ihm darboten, ruestete er ein neues, zum Teil aus Sklaven bestehendes Heer von 36000 Mann, das er nach roemischer Art bewaffnete und einuebte, und eine Kriegsflotte; dem Geruecht zufolge beabsichtigte er durch Thrakien, Makedonien und Pannonien westwaerts zu ziehen, die Skythen in den sarmatischen Steppen, die Kelten an der Donau als Bundesgenossen mit sich fortzureissen und mit dieser Voelkerlawine sich auf Italien zu stuerzen. Man hat dies wohl grossartig gefunden und den Kriegsplan des pontischen Koenigs mit dem Heereszug Hannibals verglichen; aber derselbe Entwurf, der in einem genialen Geiste genial ist, wird eine Torheit in einem verkehrten. Diese beabsichtigte Invasion der Orientalen in Italien war einfach laecherlich und nichts als die Ausgeburt einer ohnmaechtigen phantasierenden Verzweiflung. Durch die vorsichtige Kaltbluetigkeit ihres Fuehrers blieben die Roemer davor bewahrt, dem abenteuerlichen Gegner abenteuernd zu folgen und in der fernen Krim einen Angriff abzuwehren, dem, wenn er nicht in sich selber erstickte, immer noch frueh genug am Fusse der Alpen begegnet ward. In der Tat, waehrend Pompeius, ohne weiter um die Drohungen des ohnmaechtigen Riesen sich zu bekuemmern, das gewonnene Gebiet zu ordnen beschaeftigt war, erfuellten ohne sein Zutun sich im entlegenen Norden die Geschicke des greisen Koenigs. Die unverhaeltnismaessigen Ruestungen hatten unter den Bosporanern, denen man die Haeuser einriss, die Ochsen vom Pflug spannte und niederstiess, um Balken und Flechsen zum Maschinenbau zu gewinnen, die heftigste Gaerung hervorgerufen. Auch die Soldaten gingen unlustig an die hoffnungslose italische Expedition. Stets war Mithradates umgeben gewesen von Argwohn und Verrat; er hatte nicht die Gabe, Liebe und Treue bei den Seinigen zu erwecken. Wie er in frueheren Jahren seinen ausgezeichneten Feldherrn Archelaos genoetigt hatte, im roemischen Lager Schutz zu suchen, wie waehrend der Feldzuege Luculls seine vertrautesten Offiziere Diokles, Phoenix, sogar die namhaftesten roemischen Emigranten zum Feind uebergegangen waren, so folgte jetzt, wo sein Stern erblich und der alte, kranke, verbitterte Sultan keinem mehr als seinen Verschnittenen zugaenglich war, noch rascher Abfall auf Abfall. Der Kommandant der Festung Phanagoria (auf der asiatischen Kueste Kertsch gegenueber), Kastor, erhob zuerst die Fahne des Aufstandes; er proklamierte die Freiheit der Stadt und lieferte die in der Festung befindlichen Soehne Mithradats in die Haende der Roemer. Waehrend unter den bosporanischen Staedten der Aufstand sich ausbreitete, Chersonesos (unweit Sevastopol), Theudosia (Kaffa) und andere sich den Phanagoriten anschlossen, liess der Koenig seinem Argwohn und seiner Grausamkeit den Lauf. Auf die Anzeige veraechtlicher Eunuchen hin wurden seine Vertrautesten an das Kreuz geschlagen; die eigenen Soehne des Koenigs waren ihres Lebens am wenigsten sicher. Derjenige von ihnen, der des Vaters Liebling und wahrscheinlich von ihm zum Nachfolger bestimmt war, Pharnakes, entschloss sich und trat an die Spitze des Insurgenten. Die Haescher, welche Mithradates sandte, um ihn zu verhaften, die gegen ihn ausgeschickten Truppen gingen zu ihm ueber; das Korps der italischen Ueberlaeufer, vielleicht der tuechtigste unter den Mithradatischen Heerhaufen und ebendarum am wenigsten geneigt, die abenteuerliche und fuer die Ueberlaeufer besonders bedenkliche Expedition gegen Italien mitzumachen, erklaerte sich in Masse fuer den Prinzen; die uebrigen Heerabteilungen und die Flotte folgten dem gegebenen Beispiel. Nachdem die Landschaft und die Armee den Koenig verlassen hatten, oeffnete endlich auch die Hauptstadt Pantikapaeon den Insurgenten die Tore und ueberlieferte ihnen den alten, in seinem Palaste eingeschlossenen Koenig. Von der hohen Mauer seiner Burg flehte dieser den Sohn an, ihm wenigstens das Leben zu gewaehren und nicht in das Blut des Vaters die Haende zu tauchen; aber die Bitte klang uebel aus dem Munde eines Mannes, an dessen eigenen Haenden das Blut der Mutter und das frisch vergossene seines unschuldigen Sohnes Xiphares klebte, und in seelenloser Haerte und Unmenschlichkeit uebertraf Pharnakes noch seinen Vater. Da es nun also zum Tode ging, so beschloss der Sultan, wenigstens zu sterben, wie er gelebt hatte: seine Frauen, seine Kebse und seine Toechter, unter diesen die jugendlichen Braeute der Koenige von Aegypten und Kypros, sie alle mussten die Bitterkeit des Todes erleiden und den Giftbecher leeren, bevor auch er denselben nahm und dann, da der Trank nicht schnell genug wirkte, einem keltischen Soeldner Betuitus den Nacken zum toedlichen Streiche darbot. So starb im Jahre 691 (63) Mithradates Eupator, im achtundsechzigsten Jahre seines Lebens, im siebenundfuenfzigsten seiner Regierung, sechsundzwanzig Jahre nachdem er zum ersten Male gegen die Roemer ins Feld gezogen war. Die Leiche, die Koenig Pharnakes als Belegstueck seiner Verdienste und seiner Loyalitaet an Pompeius sandte, ward auf dessen Anordnung beigesetzt in den Koenigsgraebern von Sinope. Mithradates’ Tod galt den Roemern einem Siege gleich: lorbeerbekraenzt, als haetten sie einen solchen zu melden, erschienen die Boten, welche dem Feldherrn die Katastrophe berichteten, im roemischen Lager von Jericho. Ein grosser Feind ward mit ihm zu Grabe getragen, ein groesserer, als je noch in dem schlaffen Osten einer den Roemern erstanden war. Instinktmaessig fuehlte es die Menge; wie einst Scipio mehr noch ueber Hannibal als ueber Karthago triumphiert hatte, so wurde auch die Ueberwindung der zahlreichen Staemme des Ostens und des Grosskoenigs selbst fast vergessen ueber Mithradates’ Tod, und bei Pompeius’ feierlichem Einzug zog nichts mehr die Blicke der Menge auf sich als die Schildereien, in denen man den Koenig Mithradates als Fluechtling sein Pferd am Zuegel fuehren, dann ihn sterbend zwischen den Leichen seiner Toechter niedersinken sah. Wie man auch ueber die Eigenartigkeit des Koenigs urteilen mag, er ist eine bedeutende, im vollen Sinne des Wortes weltgeschichtliche Gestalt. Er war keine geniale, wahrscheinlich nicht einmal eine reichbegabte Persoenlichkeit; aber er besass die sehr respektable Gabe zu hassen, und mit diesem Hasse hat er den ungleichen Kampf gegen die uebermaechtigen Feinde ein halbes Jahrhundert hindurch zwar ohne Erfolg, aber mit Ehren bestanden. Bedeutungsvoller noch als durch seine Individualitaet ward er durch den Platz, auf den die Geschichte ihn gestellt hat. Als der Vorlaeufer der nationalen Reaktion des Orients gegen die Okzident
alen hat er den neuen Kampf des Ostens gegen den Westen eroeffnet; und das Gefuehl, dass man mit seinem Tode nicht am Ende, sondern am Anfang sei, blieb den Besiegten wie den Siegern. Pompeius inzwischen war, nachdem er im Jahre 689 (65) mit den Voelkern des Kaukasus gekriegt hatte, zurueckgegangen in das Pontische Reich und bezwang daselbst die letzten noch Widerstand leistenden Schloesser, welche, um dem Raeuberunwesen zu steuern, geschleift, die Schlossbrunnen durch hineingewaelzte Felsbloecke unbrauchbar gemacht wurden. Von da brach er im Sommer 690 (64) nach Syrien auf, um dessen Verhaeltnisse zu ordnen. Es ist schwierig, den aufgeloesten Zustand, in dem die syrischen Landschaften damals sich befanden, anschaulich darzulegen. Zwar hatte infolge der Angriffe Luculls der armenische Statthalter Magadates im Jahre 685 (69), diese Provinzen geraeumt, und auch die Ptolemaeer, so gern sie die Versuche ihrer Vorfahren, die syrische Kueste zu ihrem Reiche zu fuegen, erneuert haben wuerden, scheuten sich doch, durch die Okkupation Syriens die roemische Regierung zu reizen, um so mehr als diese noch nicht einmal fuer Aegypten ihren mehr als zweifelhaften Rechtstitel reguliert hatte und von den syrischen Prinzen mehrfach angegangen worden war, sie als die legitimen Erben des erloschenen Lagidenhauses anzuerkennen. Aber wenn auch die groesseren Maechte sich augenblicklich saemtlich der Einmischung in die Angelegenheiten Syriens enthielten, so litt das Land doch weit mehr, als es unter einem grossen Krieg haette leiden koennen, durch die endund ziellosen Fehden der Fuersten, Ritter und Staedte. Die faktischen Herren im Seleukidenreich waren derzeit die Beduinen, die Juden und die Nabataeer. Die unwirtliche, quellund baumlose Sandsteppe, die von der Arabischen Halbinsel aus bis an und ueber den Euphrat sich hinziehend gegen Westen bis an den syrischen Gebirgszug und seinen schmalen Kuestensaum, gegen Osten bis zu den reichen Niederungen des Tigris und des unteren Euphrat reicht, diese asiatische Sahara ist die uralte Heimat der Soehne Ismaels; seit es eine Ueberlieferung gibt, finden wir dort den "Bedawin", den "Sohn der Wueste", seine Zelte schlagen und seine Kamele weiden oder auch auf seinem geschwinden Ross Jagd machen, bald auf den Stammfeind, bald auf den wandernden Handelsmann. Beguenstigt frueher durch Koenig Tigranes, der sich ihrer fuer seine handelspolitischen Plaene bediente, nachher durch die vollstaendige Meisterlosigkeit in dem syrischen Lande, breiteten diese Kinder der Wueste ueber das noerdliche Syrien sich aus; namentlich spielten diejenigen Staemme hier politisch fast die erste Rolle, die durch die Nachbarschaft der zivilisierten Syrer die ersten Anfaenge einer geordneten Existenz in sich aufgenommen hatten. Die namhaftesten unter diesen Emiren waren Abgaros, der Haeuptling des Araberstammes der Mardaner, den Tigranes um Edessa und Karrhae im oberen Mesopotamien angesiedelt hatte; dann westlich vom Euphrat Sampsikeramos, Emir der Araber von Hemesa (Homs) zwischen Damaskos und Antiocheia und Herr der starken Festung Arethusa; Azizos, das Haupt einer anderen, in derselben Gegend streifenden Horde; Alchaudonios, der Fuerst der Rhambaeer, der schon mit Lucullus sich in Verbindung gesetzt hatte, und andere mehr. Neben diesen Beduinenfuersten waren ueberall dreiste Gesellen aufgetreten, die es den Kindern der Wueste in dem edlen Gewerbe der Wegelagerung gleichoder auch zuvortaten: so Ptolemaeos Mennaeos’ Sohn, vielleicht der maechtigste unter diesen syrischen Raubrittern und einer der reichsten Maenner dieser Zeit, der ueber das Gebiet der Ityraeer - der heutigen Drusen - in den Taelern des Libanos wie an der Kueste und ueber die noerdlich vorliegende Marsyasebene mit den Staedten Heliopolis (Baalbek) und Chalkis gebot und 8000 Reiter aus seiner Tasche besoldete; so Dionaysios und Kinyras, die Herren der Seestaedte Tripolis (Tarablus) und Byblos (zwischen Tarablus und Beirut); so der Jude Silas in Lysias, einer Festung unweit Apameia am Orontes. Im Sueden Syriens dagegen schien der Stamm der Juden sich um diese Zeit zu einer politischen Macht konsolidieren zu wollen. Durch die fromme und kuehne Verteidigung des uralten juedischen Nationalkultus, den der nivellierende Hellenismus der syrischen Koenige bedrohte, war das Geschlecht der Hasmonaeer oder der Makkabi nicht bloss zum erblichen Prinzipal und allmaehlich zu koeniglichen Ehren gelangt, sondern es hatten auch die fuerstlichen Hochpriester erobernd nach Norden, Osten und Sueden um sich gegriffen. Als der tapfere Jannaeos Alexandros starb (675 79) erstreckte sich das Juedische Reich gegen Sueden ueber das ganze philistaeische Gebiet bis an die aegyptische Grenze, gegen Suedosten bis an die des Nabataeerreiches von Petra, von welchem Jannaeos betraechtliche Strecken am rechten Ufer des Jordan und des Toten Meeres abgerissen hatte, gegen Norden ueber Samaria und die Dekapolis bis zum See Genezareth; schon machte er hier Anstalt, Ptolemais (Acco) einzunehmen und die Uebergriffe der Ityraeer erobernd zurueckzuweisen. Die Kueste gehorchte den Juden vom Berg Karmel bis nach Rhinokorura mit Einschluss des wichtigen Gaza - nur Askalon war noch frei -, so dass das einst vom Meer fast abgeschnittene Gebiet der Juden jetzt mit unter den Freistaetten der Piraterie aufgefuehrt werden konnte. Wahrscheinlich haetten, zumal da der armenische Sturm, eben als er sich den Grenzen Judaeas nahte, durch Lucullus’ Dazwischenkunft von dieser Landschaft abgewendet ward, die begabten Herrscher des Hasmonaeischen Hauses ihre Waffen noch weiter getragen, wenn nicht die Machtentwicklung dieses merkwuerdigen, erobernden Priesterstaates durch innere Spaltungen im Keime geknickt worden waere. Der konfessionelle und der nationale Unabhaengigkeitssinn, deren energische Vereinigung den Makkabaeerstaat ins Leben gerufen hatte, traten rasch wieder ausund sogar gegeneinander. Der juedischen Orthodoxie oder dem sogenannten Pharisaeismus genuegte die freie Religionsuebung, wie sie den syrischen Herrschern abgetrotzt worden war; ihr praktisches Ziel war eine von dem weltlichen Regiment wesentlich absehende, aus den Orthodoxen in aller Herren Laendern zusammengesetzte Judengemeinschaft, welche in der jedem gewissenhaften Juden obliegenden Steuer fuer den Tempel zu Jerusalem und in den Religionsschulen und geistlichen Gerichten ihre sichtbaren Vereinigungspunkte fand. Dieser von dem staatlichen Leben sich abwendenden, mehr und mehr in theologischer Gedankenlosigkeit und peinlichem Zeremonialdienst erstarrenden Orthodoxie gegenueber standen die Vertreter der nationalen Unabhaengigkeit, erstarkt in den gluecklichen Kaempfen gegen die Fremdherrschaft, vorschreitend zu dem Gedanken einer Wiederherstellung des juedischen Staates, die Vertreter der alten grossen Geschlechter, die sogenannten Sadduzaeer, teils dogmatisch, indem sie nur die heiligen Buecher selber gelten liessen und den Vermaechtnissen der Schriftgelehrten, das ist der kanonischen Tradition, nur Autoritaet, nicht Kanonizitaet zusprachen ^2; teils und vor allem politisch, indem sie anstatt des fatalistischen Zuwartens auf den starken Arm des Herrn Zebaoth das Heil der Nation erwarten lehrten von den Waffen dieser Welt und von der innerlichen und aeusserlichen Staerkung des in den glorreichen Makkabaeerzeiten wiederaufgerichteten Davidischen Reiches. Jene Orthodoxen fanden ihren Halt in der Priesterschaft und der Menge; sie bestritten den Hasmonaeern die Legitimitaet ihrer Hohenpriesterschaft und fochten gegen die boesen Ketzer mit der ganzen ruecksichtslosen Unversoehnlichkeit, womit die Frommen fuer den Besitz irdischer Gueter zu streiten gewohnt sind. Die staatliche Partei dagegen stuetzte sich auf die von den Einfluessen des Hellenismus beruehrte Intelligenz, auf das Heer, in dem zahlreiche pisidische und kilikische Soeldner dienten, und auf die tuechtigeren Koenige, welche hier mit der Kirchengewalt rangen, aehnlich wie ein Jahrtausend spaeter die Hohenstaufen mit dem Papsttum. Mit starker Hand hatte Jannaeos die Priesterschaft niedergehalten; unter seinen beiden Soehnen kam es (685f. 69) zu einem Buergerund Bruderkrieg, indem die Pharisaeer sich dem kraeftigen Aristobulos widersetzten und versuchten, unter der nominellen Herrschaft seines Bruders, des gutmuetigen und schlaffen Hyrkanos, ihre Zwecke zu erreichen. Dieser Zwist brachte nicht bloss die juedischen Eroberungen ins Stocken, sondern gab auch auswaertigen Nationen Gelegenheit, sich einzumischen und dadurch im suedlichen Syrien eine gebietende Stellung zu gewinnen. Zunaechst gilt dies von den Nabataeern. Diese merkwuerdige Nation ist oft mit ihren oestlichen Nachbarn, den schweifenden Arabern, zusammengeworfen worden, aber naeher als den eigentlichen Kindern Ismaels ist sie dem aramaeischen Zweige verwandt. Dieser aramaeische oder, nach der Benennung der Okzidentalen, syrische Stamm muss von seinen aeltesten Sitzen um Babylon, wahrscheinlich des Handels wegen, in sehr frueher Zeit eine Kolonie an die Nordspitze des Arabischen Meerbusens ausgefuehrt haben: dies sind die Nabataeer auf der Sinaitischen Halbinsel zwischen dem Golf von Suez und Aila und in der Gegend von Petra (Wadi Musa). In ihren Haefen wurden die Waren vom Mittelmeer gegen indische umgesetzt; die grosse suedliche Karawanenstrasse, die von Gaza zur Euphratmuendung und dem Persischen Meerbusen lief, fuehrte durch die Hauptstadt der Nabataeer Petra, deren heute noch prachtvolle Felspalaeste und Felsengraeber deutlicheres Zeugnis von der nabataeischen Zivilisation ablegen als die fast verschollene Ueberlieferung. Die Pharisaeerfuehrer, denen nach Priesterart der Sieg ihrer Partei um den Preis der Unabhaengigkeit und Integritaet des Landes nicht zu teuer erkauft schien, ersuchten den Koenig der Nabataeer, Aretas, um Hilfe gegen Aristobulos, wofuer sie alle von Jannaeos ihm entrissenen Eroberungen an ihn zurueckzugeben verhiessen. Daraufhin war Aretas mit angeblich 50000 Mann in das juedische Land eingerueckt und, verstaerkt durch den Anhang der Pharisaeer, hielt er den Koenig Aristobulos in seiner Hauptstadt belagert. ----------------------------------------------------- ^2 So verwarfen die Sadduzaeer die Engelund Geisterlehre und die Auferstehung der Toten. Die meisten ueberlieferten Differenzpunkte zwischen Pharisaeern und Sadduzaeern beziehen sich auf untergeordnete rituelle, juristische und Kalenderfragen. Charakteristisch ist es, dass die siegenden Pharisaeer diejenigen Tage, an denen sie in den einzelnen Kontroversen definitiv die Oberhand behalten oder ketzerische Mitglieder aus dem Oberkonsistorium ausgestossen hatten, in das Verzeichnis der Gedenkund Festtage der Nation eingetragen haben. --------------------------------------------------- Unter dem Faustund Fehderecht, die also von einem Ende Syriens zum andern herrschten, litten natuerlich vor allen Dingen die groesseren Staedte, wie Antiocheia, Seleukeia, Damaskos, deren Buerger in ihrem Feldbau wie in ihrem Seeund Karawanenhandel sich gelaehmt sahen. Die Buerger von Byblos und Berytos (Beirut) vermochten weder ihre Aecker noch ihre Schiffe vor den Ityraeern zu schuetzen, die von ihren Bergund Seekastellen aus Land und Meer gleich unsicher machten. Die von Damaskos suchten der Angriffe der Ityraeer und des Ptolemaeos dadurch sich zu erwehren, dass sie sich den entfernteren Koenigen der Nabataeer oder der Juden zu eigen gaben. In Antiocheia mischten sich Sampsikeramos und Azizos in die inneren Fehden der Buergerschaft und fast waere die hellenische Grossstadt schon jetzt der Sitz eines arabischen Emirs geworden. Es waren Zustaende, die an die koeniglosen Zeiten des deutschen Mittelalters erinnern, als Nuernberg und Augsburg nicht in des Koenigs Recht und Gericht, sondern einzig in ihren Waellen noch Schutz fanden; ungeduldig harrten die syrischen Kaufbuerger des starken Arms, der ihnen Frieden und Verkehrssicherheit wiedergab. An einem legitimen Koenig uebrigens fehlte es in Syrien nicht; man hatte deren sogar zwei oder drei. Ein Prinz Antiochos aus dem Hause der Seleukiden war von Lucullus als Herr der noerdlichsten syrischen Provinz Kommagene eingesetzt worden, Antiochos der Asiate, dessen Ansprueche auf den syrischen Thron sowohl bei dem Senat als bei Lucullus Anerkennung gefunden hatten, war nach dem Abzug der Armenier in Antiocheia aufgenommen und daselbst als Koenig anerkannt worden. Ihm war dort sogleich ein dritter Seleukidenprinz, Philippos, als Nebenbuhler entgegengetreten, und es hatte die grosse, fast wie die alexandrinische bewegliche und oppositionslustige Buergerschaft von Antiocheia sowie dieser und jener benachbarte arabische Emir sich eingemischt in den Familienzwist, der nun einmal von der Herrschaft der Seleukiden unzertrennlich schien. War es ein Wunder, dass die Legitimitaet den Untertanen zum Spott und zum Ekel ward und dass die sogenannten rechtmaessigen Koenige noch etwas weniger im Lande galten als die kleinen Fuersten und Raubritter? In diesem Chaos Ordnung zu schaffen, bedurfte es weder genialer Konzeptionen noch gewaltiger Machtentfaltung, wohl aber der klaren Einsicht in die Interessen Roms und seiner Untertanen, und der kraeftigen und folgerechten Aufrichtung und Aufrechthaltung der als notwendig erkannten Institutionen. Die Legitimitaetspolitik des Senats hatte sich sattsam prostituiert; den Feldherrn, den die Opposition ans Regiment gebracht, durften nicht dynastische Ruecksichten leiten, sondern er hatte einzig darauf zu sehen, dass das Syrische Reich in Zukunft weder durch Zwist der Praetendenten noch durch die Begehrlichkeit der Nachbarn der roemischen Klientel entzogen werde. Dazu aber gab es nur einen Weg: dass die roemische Gemeinde durch einen von ihr gesandten Satrapen mit kraeftiger Hand die Zuegel der Regierung erfasse, die den Koenigen des regierenden Hauses mehr noch durch eigene Verschuldung als durch aeussere Unfaelle seit langem tatsaechlich entglitten waren. Den Weg schlug Pompeius ein. Antiochos der Asiate erhielt auf seine Bitte, ihn als den angestammten Herrscher Syriens anzuerkennen, die Antwort, dass Pompeius einem Koenige, der sein Reich weder zu behaupten noch zu regieren wisse, die Herrschaft nicht einmal auf die Bitte seiner Untertanen, geschweige denn gegen deren bestimmt ausgesprochene Wuensche zurueckgeben werde. Mit diesem Briefe des roemischen Prokonsuls war das Haus des Seleukos von dem Throne gestossen, den es seit zweihundertfuenfzig Jahren eingenommen hatte. Antiochos verlor bald darauf sein Leben durch die Hinterlist des Emirs Sampsikeramos, als dessen Klient er in Antiocheia den Herrn spielte; seitdem ist von diesen Schattenkoenigen und ihren Anspruechen nicht weiter die Rede. Wohl aber war es, um das neue roemische Regiment zu begruenden und eine leidliche Ordnung in die verwirrten Verhaeltnisse zu bringen, noch erforderlich, mit Heeresmacht in Syrien einzuruecken und all die Stoerer der friedlichen Ordnung, die waehrend der vieljaehrigen Anarchie emporgewachsen waren, durch die roemischen Legionen zu schrecken oder niederzuwerfen. Schon waehrend der Feldzuege im Pontischen Reiche und am Kaukasus hatte Pompeius den Angelegenheiten Syriens seine Aufmerksamkeit zugewandt und einzelne Beauftragte und Abteilungen wo es not tat eingreifen lassen. Aulus Gabinius - derselbe, der als Volkstribun Pompeius nach dem Osten gesandt hatte - war schon 689 (65) an den Tigris und sodann quer durch Mesopotamien nach Syrien marschiert, um die verwickelten Verhaeltnisse im juedischen Lande zu schlichten. Ebenso war das schwer bedraengte Damaskos bereits durch Lollius und Metellus besetzt worden. Bald nachher traf ein anderer Adjutant des Pompeius, Marcus Scaurus, in Judaea ein, um die immer neu wieder daselbst ausbrechenden Fehden beizulegen. Auch Lucius Afrianus, der waehrend Pompeius’ Expedition nach dem Kaukasus das Kommando ueber die roemischen Truppen in Armenien fuehrte, hatte von Korduene (dem noerdlichen Kurdistan) aus sich in das obere Mesopotamien begeben und, nachdem er durch die hilfreiche Teilnahme der in Karrhae angesiedelten Hellenen den gefaehrlichen Weg durch die Wueste gluecklich zurueckgelegt hatte, die Araber in Osrhoene zur Botmaessigkeit gebracht. Gegen Ende des Jahres 690 (64), langte dann Pompeius selbst in Syrien an ^3 und verweilte dort bis zum Sommer des folgenden Jahres, entschlossen durchgreifend und fuer jetzt und kuenftig die Verhaeltnisse ordnend. Zurueckgehend auf die Zustaende des Reiches in den besseren Zeiten der Seleukidenherrschaft, wurden alle usurpierten Gewalten beseitigt, die Raubherren aufgefordert, ihre Burgen zu uebergeben, die arabischen Scheichs wieder auf ihr Wuestengebiet beschraenkt, die Verhaeltnisse der einzelnen Gemeinden definitiv geregelt. Diesen strengen Befehlen Gehorsam zu verschaffen, standen die Legionen bereit, und ihr Einschreiten erwies sich insbesondere gegen die verwegenen Raubritter als notwendig. Silas, der Herr von Lysias, der Herr von Tripolis, Dionysios, der Herr von Byblos, Kinyras, wurden in ihren Burgen gefangengenommen und hingerichtet, die Bergund Seeschloesser der Ityraeer gebrochen, Ptolemaeos Mennaeos’ Sohn in Chalkis gezwungen, mit 1000 Talenten (1827000 Taler) Loesegeld sich Freiheit und Herrschaft zu erkaufen. Im uebrigen fanden die Befehle des neuen Machthabers meistenteils widerstandslosen Gehorsam. Nur die Juden schwankten. Die frueher von Pompeius gesandten Vermittler, Gabinius und Scaurus, hatten - beide, wie es heisst, mit bedeutenden Summen bestochen - im Streite der beiden Brueder Hyrkanos und Aristobulos zu Gunsten des letzteren entschieden, auch den Koenig Aretas veranlasst, die Belagerung von Jerusalem aufzuheben und sich in seine Heimat zu begeben, wobei er auf dem Rueckweg noch von Aristobulos eine Niederlage erlitt. Als aber Pompeius in Syrien eintraf, kassierte er die Anordnungen seiner Untergebenen und wies die Juden an, ihre alte Hochpriesterverfassung, wie der Senat sie um 593 (61) anerkannt hatte, wieder einzufuehren und wie auf das Fuerstentum selbst, so auch auf alle von den Hasmonaeischen Fuersten gemachten Eroberungen zu verzichten. Es waren die Pharisaeer, welche eine Gesandtschaft von zweihundert ihrer angesehensten Maenner an den roemischen Feldherrn gesandt und von ihm den Sturz des Koenigtums ausgewirkt hatten; nicht zum Vorteil der eigenen Nation, aber wohl zu dem der Roemer, die der Natur der Sache nach auch hier zurueckkommen mussten auf die alten Rechte der Seleukiden und eine erobernde Macht, wie die des Jannaeos war, innerhalb ihres Reiches nicht dulden konnten. Aristobulos schwankte, ob es besser sei, das Unvermeidliche geduldig ueber sich ergehen zu lassen oder mit den Waffen in der Hand dem Verhaengnis zu erliegen; bald schien er im Begriff, sich Pompeius zu unterwerfen, bald die nationale Partei unter den Juden zum Kampfe gegen die Roemer aufzurufen. Als endlich, da schon die Legionen vor den Toren standen, er sich dem Feinde ergab, weigerte sich der entschlossenere oder fanatisiertere Teil seiner Armee, den Befehlen des unfreien Koenigs Folge zu leisten. Die Hauptstadt unterwarf sich; den steilen Tempelfelsen verteidigte jene fanatische Schar drei Monate hindurch mit todesmutiger Hartnaeckigkeit, bis endlich waehrend der Sabbathruhe der Belagerten die Belagerer eindrangen, des Heiligtums sich bemaechtigten und die Anstifter dieser verzweifelten Gegenwehr, soweit sie nicht unter den roemischen Schwertern gefallen waren, unter die Beile der Liktoren sandten. Damit ging der letzte Widerstand in den neu zum roemischen Staat gezogenen Gebieten zu Ende. ----------------------------------------- ^3 Den Winter 689/90 (65/64) brachte Pompeius noch in der Naehe des Kaspischen Meeres zu (Dio 37, 7). Im Jahre 690 (64) unterwarf er zunaechst im Pontischen Reiche die letzten noch Widerstand leistenden Burgen und zog dann langsam, ueberall die Verhaeltnisse regelnd, gegen Sueden. Dass die Ordnung Syriens 690 (64) begann, bestaetigt sich dadurch, dass die syrische Provinzialaera mit diesem Jahre anhebt und durch Ciceros Angabe hinsichtlich Kommagenes (ad. Q. fr. 2. 12, 2; vgl. Dio 37, 7). Den Winter 691/90 (64/63) scheint Pompeius in Antiocheia sein Hauptquartier gehabt zu haben (Ios. bel. Iud. 14, 3, 1 u. 2, wo die Verwirrung von Niese im Hermes 11, 1877, S. 471 berichtigt worden ist). ----------------------------------------- Das von Lucullus begonnene Werk hatte Pompeius vollendet: die bisher formell selbstaendigen Staaten Bithynien, Pontus und Syrien waren mit dem roemischen vereinigt, die seit mehr als hundert Jahren als notwendig erkannte Vertauschung des schwaechlichen Klientelsystems mit der unmittelbaren Herrschaft ueber die wichtigeren abhaengigen Gebiete war endlich verwirklicht worden, sowie der Senat gestuerzt und die Gracchische Partei ans Ruder gekommen war. Man hatte im Osten neue Grenzen erhalten, neue Nachbarn, neue freundliche und feindliche Beziehungen. Neu traten unter die mittelbar roemischen Gebiete ein das Koenigreich Armenien und die kaukasischen Fuerstentuemer, ferner das Reich am Kimmerischen Bosporus, der geringe Ueberrest der ausgedehnten Eroberungen Mithradates Eupators, jetzt unter der Regierung seines Sohnes und Moerders Pharnakes ein roemischer Klientelstaat; nur die Stadt Phanagoria, deren Befehlshaber Kastor das Signal zum Aufstand gegeben hatte, wurde dafuer von den Roemern als frei und unabhaengig anerkannt. Nicht gleicher Erfolge konnte man gegen die Nabataeer sich ruehmen. Koenig Aretas hatte zwar, dem Begehren der Roemer sich fuegend, das juedische Land geraeumt; allein Damaskos war noch in seinen Haenden und das Nabataeerland nun gar hatte noch kein roemischer Soldat betreten. Um dies zu unterwerfen oder mindestens doch den neuen Nachbarn im arabischen Lande zu zeigen, dass jetzt am Orontes und am Jordan die roemischen Adler geboten und dass die Zeit vorbei war, wo die syrischen Landschaften als herrenloses Gut zu brandschatzen jedem freistand, begann Pompeius im Jahre 691 (63) eine Expedition gegen Petra; allein aufgehalten durch den Aufstand der Juden, der waehrend dieses Zuges zum Ausbruch kam, ueberliess er seinem Nachfolger Marcus Scaurus nicht ungern die Ausfuehrung der schwierigen Unternehmung gegen die fern inmitten der Wueste gelegene Nabataeerstadt ^4. In der Tat sah auch Scaurus sich bald genoetigt, unverrichteter Sache umzukehren. Er musste sich begnuegen, in den Wuesten am linken Ufer des Jordan die Nabataeer zu bekriegen, wo er sich auf die Juden zu stuetzen vermochte, aber doch auch nur sehr unbedeutende Erfolge davontrug. Schliesslich ueberredete der gewandte juedische Minister Antipatros aus Idumaea den Aretas, sich die Gewaehr seiner saemtlichen Besitzungen mit Einschluss von Damaskos von dem roemischen Statthalter um eine Geldsumme zu erkaufen; und dies ist denn der auf den Muenzen des Scaurus verherrlichte Friede, wo Koenig Aretas, das Kamel am Zuegel, kniefaellig, dem Roemer den Oelzweig darreichend erscheint. ------------------------------------------- ^4 Zwar lassen Orosius (6, 6) und Dio (37, 15), ohne Zweifel beide nach Livius, Pompeius bis nach Petra gelangen, auch wohl die Stadt einnehmen oder gar das Rote Meer erreichen; allein dass er im Gegenteil bald nach Empfang der Nachricht von dem Tode Mithradats, die ihm auf dem Marsche nach Jerusalem zukam, aus Syrien nach Pontus zurueckging, sagt Plutarch (Pomp. 41, 42) und wird durch Florus (1, 39) und Josephus (bel. Iud. 14, 3, 3 u. 4) bestaetigt. Wenn Koenig Aretas unter den von Pompeius Besiegten in den Bulletins figuriert, so genuegte hierfuer sein durch Pompeius veranlasster Abzug von Jerusalem. ------------------------------------------ Bei weitem folgenreicher als diese neuen Beziehungen der Roemer zu den Armeniern, Iberern, Bosporanern und Nabataeern war die Nachbarschaft, in welche sie durch die Okkupation Syriens zu dem parthischen Staate traten. So geschmeidig die roemische Diplomatie gegen Phraates aufgetreten war, als noch der pontische und der armenische Staat aufrecht standen, so willig damals sowohl Lucullus als Pompeius ihm den Besitz der Landschaften jenseits des Euphrat zugestanden hatten, so schroff stellte jetzt der neue Nachbar sich neben den Arsakiden; und wenn die koenigliche Kunst, die eigenen Fehler zu vergessen, es ihm gestattete, mochte Phraates wohl jetzt sich der warnenden Worte Mithradats erinnern, dass der Parther durch das Buendnis mit den Okzidentalen gegen die stammverwandten Reiche erst diesen und sodann sich selber das Verderben bereite. Roemer und Parther im Bunde hatten Armenien zugrunde gerichtet; als es gestuerzt war, kehrte Rom, seiner alten Politik getreu, die Rollen um und beguenstigte den gedemuetigten Feind auf Kosten des allzumaechtigen Bundesgenossen. Schon die auffallende Bevorzugung gehoert hierher, die der Vater Tigranes seinem Sohne, dem Verbuendeten und Tochtermann des Partherkoenigs, gegenueber bei Pompeius fand; es war eine unmittelbare Beleidigung, als bald nachher auf Pompeius’ Befehl der juengere Tigranes mit seiner Familie zur Haft gebracht und selbst dann nicht freigegeben ward, als sich Phraates bei dem befreundeten Feldherrn fuer seine Tochter und seinen Schwiegersohn verwandte. Aber Pompeius blieb hierbei nicht stehen. Die Landschaft Korduene, auf welche sowohl Phraates als Tigranes Ansprueche erhoben, wurde auf Pompeius’ Befehl durch roemische Truppen fuer den letzteren okkupiert und die im Besitz befindlichen Parther ueber die Grenze hinausgeschlagen, ja bis nach Arbela in Adiabene verfolgt, ohne dass die Regierung von Ktesiphon auch nur vorher gehoert worden waere (689 65). Weitaus am bedenklichsten jedoch war es, dass die Roemer keineswegs geneigt schienen, die traktatenmaessig festgestellte Euphratgrenze zu respektieren. Mehrmals marschierten roemische, von Armenien nach Syrien bestimmte Abteilungen quer durch Mesopotamien; der arabische Emir Abgaros von Osrhoene ward unter auffallend guenstigen Bedingungen in die roemische Klientel aufgenommen; ja Oruros, das im oberen Mesopotamien etwa zwischen Nisibis und dem Tigris 50 deutsche Meilen oestlich von dem kommagenischen Euphratuebergang liegt, ward bezeichnet als oestlicher Grenzpunkt der roemischen Herrschaft, vermutlich der mittelbaren, insofern die groessere und fruchtbarere noerdliche Haelfte Mesopotamiens von den Roemern ebenso wie Korduene dem Armenischen Reiche zugelegt worden war. Die Grenze zwischen Roemern und Parthern ward also statt des Euphrat die grosse syrisch-mesopotamische Wueste; und auch dies schien nur vorlaeufig. Den parthischen Gesandten, die kamen, um auf das Einhalten der allerdings, wie es scheint, nur muendlich abgeschlossenen Vertraege hinsichtlich der Euphratgrenze zu dringen, gab Pompeius die zweideutige Antwort, dass Roms Gebiet sich so weit erstrecke wie sein Recht. Ein Kommentar zu dieser Rede schien der auffaellige Verkehr zwischen dem roemischen Oberfeldherrn und den parthischen Satrapen der Landschaft Medien und selbst der fernen Provinz Elymais (zwischen Susiana, Medien und Persien im heutigen Luristan) ^5. Die Statthalter dieses letzteren, gebirgigen, kriegerischen und entlegenen Landes waren von je her bestrebt gewesen, eine von dem Grosskoenig unabhaengige Stellung zu gewinnen; um so verletzender und bedrohlicher war es fuer die parthische Regierung, wenn Pompeius von diesem Dynasten die dargebotene Huldigung annahm. Nicht minder war es bezeichnend, dass der Titel des "Koenigs der Koenige", der dem Partherkoenig bis dahin auch von den Roemern im offiziellen Verkehr zugestanden worden war, jetzt auf einmal von ihnen mit dem einfachen Koenigstitel vertauscht ward. Es war das mehr noch eine Drohung als eine Verletzung der Etikette. Seit Rom die Erbschaft der Seleukiden getan, schien es fast, als gedenke man dort im gelegenen Augenblick auf jene alten Zeiten zurueckzugreifen, da ganz Iran und Turan von Antiocheia aus beherrscht wurden und es doch kein Parthisches Reich gab, sondern nur eine parthische Satrapie. Der Hof von Ktesiphon haette also Grund genug gehabt, mit Rom den Krieg zu beginnen; es schien die Einleitung dazu, dass er im Jahre 690 (64) wegen der Grenzfrage ihn an Armenien erklaerte. Aber Phraates hatte doch nicht den Mut, eben jetzt, wo der gefuerchtete Feldherr mit seiner starken Armee an den Grenzen des Parthischen Reiches stand, mit den Roemern offen zu brechen. Als Pompeius Kommissarien sandte, um den Streit zwischen Parthien und Armenien guetlich beizulegen, fuegte Phraates sich der aufgezwungenen roemischen Vermittlung und liess es sich gefallen, dass ihr Schiedsspruch den Armeniern Korduene und das noerdliche Mesopotamien zuwies. Bald nachher schmueckte seine Tochter mit ihrem Sohne und ihrem Gemahl den Triumph des roemischen Feldherrn. Auch die Parther zitterten vor der roemischen Uebermacht; und wenn sie nicht wie die Pontiker und die Armenier den roemischen Waffen erlegen waren, so schien die Ursache davon nur die zu sein, dass sie es nicht gewagt hatten, den Kampf zu bestehen. ----------------------------------------------------- ^5 Diese Auffassung beruht auf der Erzaehlung Plutarchs (Pomp. 36), welche durch Strabons (16, 744) Schilderung der Stellung des Satrapen von Elymais unterstuetzt wird. Eine Ausschmueckung davon ist es, wenn in den Verzeichnissen der von Pompeius besiegten Landschaften und Koenige Medien und dessen Koenig Dareios aufgefuehrt werden (Diod. fr. Vat. p. 140; App. Mithr. 117); und daraus weiter herausgesponnen ist Pompeius’ Krieg mit den Medern (Vell. 2, 40; App. Mithr. 106, 114) und nun gar der Zug desselben nach Ekbatana (Oros. hist. 6, 5). Eine Verwechselung mit der fabelhaften gleichnamigen Stadt auf dem Karmel hat hier schwerlich stattgefunden; es ist einfach jene unleidliche, wie es scheint aus Pompeius’ grossartigen und absichtlich zweideutigen Bulletins sich herleitende, Uebertreibung, die aus seiner Razzia gegen die Gaetuler einen Zug an die afrikanische Westkueste (Plut. Pomp. 38), aus seiner fehlgeschlagenen Expedition gegen die Nabataeer eine Eroberung der Stadt Petra, aus seinem Schiedsspruch hinsichtlich der Grenzen Armeniens eine Feststellung der roemischen Reichsgrenze jenseits Nisibis gemacht hat. ------------------------------------------------------- Noch lag es dem Feldherrn ob, die inneren Verhaeltnisse der neugewonnenen Landschaften zu regulieren und die Spuren eines dreizehnjaehrigen, verheerenden Krieges soweit moeglich zu tilgen. Das in Kleinasien von Lucullus und der ihm beigegebenen Kommission, auf Kreta von Metellus begonnene Organisationsgeschaeft erhielt den endlichen Abschluss durch Pompeius. Die bisherige Provinz Asia, die Mysien, Lydien, Phrygien und Karien umfasste, ward aus einer Grenzeine Mittelprovinz; neu eingerichtet wurden die Provinz Bithynien und Pontus, welche gebildet ward aus dem gesamten ehemaligen Reiche des Nikomedes und der westlichen Haelfte des ehemaligen pontischen Staates bis an und ueber den Halys; die Provinz Kilikien, die zwar schon aelter war, aber doch erst jetzt ihrem Namen entsprechend erweitert und organisiert ward und auch Pamphylien und Isaurien miteinschloss; die Provinz Syrien und die Provinz Kreta. Freilich fehlte viel, dass jene Laendermasse als roemischer Territorialbesitz in dem heutigen Sinne des Wortes haette betrachtet werden koennen. Form und Ordnung des Regiments blieben im wesentlichen, wie sie waren; nur trat an den Platz der bisherigen Monarchen die roemische Gemeinde. Wie bisher bestanden jene asiatischen Landschaften aus einer bunten Mischung von Domanialbesitzungen, tatsaechlich oder rechtlich autonomen Stadtgebieten, fuerstlichen und priesterlichen Herrschaften und Koenigreichen, welche alle fuer die innere Verwaltung mehr oder minder sich selbst ueberlassen waren, uebrigens aber bald in milderen, bald in strengeren Formen von der roemischen Regierung und deren Prokonsuln in aehnlicher Weise abhingen, wie frueher von dem Grosskoenig und dessen Satrapen. Wenigstens dem Range nach nahm unter den abhaengigen Dynasten den ersten Platz ein der Koenig von Kappadokien, dessen Gebiet schon Lucullus durch die Belehnung mit der Landschaft Melitene (um Malatia) bis an den Euphrat erweitert hatte und dem Pompeius noch teils an der Westgrenze einige von Kilikien abgerissene Bezirke von Kastabala bis nach Derbe bei Ikonion, teils an der Ostgrenze die am linken Euphratufer Melitene gegenueber gelegene, anfaenglich dem armenischen Prinzen Tigranes zugedachte Landschaft Sophene verlieh, wodurch also die wichtigste Euphratpassage ganz in die Gewalt dieses Fuersten kam. Die kleine Landschaft Kommagene zwischen Syrien und Kappadokien mit der Hauptstadt Samosata (Samsat) blieb als abhaengiges Koenigtum dem schon genannten Seleukiden Antiochos ^6: demselben wurden auch die wichtige, den suedlicheren Uebergang ueber den. Euphrat beherrschende Festung Seleukeia (bei Biradjik) und die naechsten Striche am linken Ufer des Euphrat zugeteilt und somit dafuer gesorgt, dass die beiden Hauptuebergaenge ueber den Euphrat mit einem entsprechenden Gebiet am oestlichen Ufer in den Haenden zweier von Rom voellig abhaengigen Dynasten blieben. Neben den Koenigen von Kappadokien und Kommagene und an wirklicher Macht ihnen bei weitem ueberlegen herrschte in Kleinasien der neue Koenig Deiotarus. Einer der Vierfuersten des um Pessinus ansaessigen Keltenstammes der Tolistoboger und von Lucullus und Pompeius mit den anderen kleinen roemischen Klienten zur Heerfolge aufgeboten, hatte Deiotarus in diesen Feldzuegen, im Gegensatz zu all den schlaffen Orientalen, seine Zuverlaessigkeit und seine Tatkraft so glaenzend bewaehrt, dass die roemischen Feldherren zu seinem galatischen Erbe und seinen Besitzungen in der reichen Landschaft zwischen Amisos und der Halysmuendung ihm noch die oestliche Haelfte des ehemals Pontischen Reiches mit den Seestaedten Pharnakia und Trapezus und das pontische Armenien bis zur kolchischen und grossarmenischen Grenze als Koenigreich Klein-Armenien verliehen. Bald nachher vermehrte er sein schon ansehnliches Gebiet noch durch die Landschaft der keltischen Trokmer, deren Vierfuersten er verdraengte. So ward der geringe Lehnsmann einer der maechtigsten Dynasten Kleinasiens, dem die Hut eines wichtigen Teils der Reichsgrenze anvertraut werden konnte. Vasallen geringerer Bedeutung waren die uebrigen zahlreichen galatischen Vierfuersten, von denen einer, der Trokmerfuerst Bogodiatarus, wegen seiner im Mithradatischen Kriege bewaehrten Tuechtigkeit von Pompeius mit der ehemals pontischen Grenzstadt Mithradation beschenkt ward; der Fuerst von Paphlagonien, Attalos, der sein Geschlecht auf das alte Herrscherhaus der Pylaemeniden zurueckfuehrte; Aristarchos und andere kleine Herren im kolchischen Gebiet; Tarkondimotos, der im oestlichen Kilikien in den Bergtaelern des Amanos gebot; Ptolemaeos Mennaeos’ Sohn, der fortfuhr, in Chalkis am Libanos zu herrschen; der Nabataeerkoenig Aretas als Herr von Damaskos; endlich die arabischen Emirs in den Landschaften diesund jenseits des Euphrat, Abgaros in Osrhoene, den die Roemer, um ihn als vorgeschobenen Posten gegen die Parther zu benutzen, auf alle Weise in ihr Interesse zu ziehen sich bemuehten, Sampsikeramos in Hemesa, Alchaudonios der Rhambaeer, ein anderer Emir in Bostra. Dazu kamen ferner die geistlichen Herren, die im Osten haeufig gleich den weltlichen Dynasten ueber Land und Leute geboten, und an deren in dieser Heimat des Fanatismus fest gegruendeter Autoritaet zu ruetteln oder auch nur die Tempel ihrer Schaetze zu berauben die Roemer klueglich sich enthielten: der Hochpriester der Goettin Mutter in Pessinus; die beiden Hochpriester der Goettin Ma in dem kappadokischen Komana (am oberen Saros) und in der gleichnamigen pontischen Stadt (Guemenek bei Tokat), welche beide Herren in ihren Landschaften nur dem Koenig an Macht nachstanden und deren jeder noch in viel spaeterer Zeit ausgedehnte Liegenschaften mit eigener Gerichtsbarkeit und an sechstausend Tempelsklaven besass - mit dem pontischen Hochpriesteramt ward Archelaos, der Sohn des gleichnamigen, von Mithradates zu den Roemern uebergegangenen Feldherrn, von Pompeius belehnt -; der Hochpriester des Venasischen Zeus in dem kappadokischen Amt Morimene, dessen Einkuenfte sich auf jaehrlich 23300 Taler (15 Talente) beliefen; der "Erzpriester und Herr" desjenigen Gebiets im Rauhen Kilikien, wo Teukros, des Aias Sohn, dem Zeus einen Tempel gegruendet hatte, welche seine Nachkommen kraft Erbrechts vorstanden; der "Erzpriester und Herr des Volkes" der Juden, dem Pompeius, nachdem er die Mauern der Hauptstadt und die koeniglichen Schatzund Zwingburgen im Lande geschleift hatte, unter ernstlicher Verwarnung, Friede zu halten und nicht weiter auf Eroberungen auszugehen, die Vorstandschaft seiner Nation zurueckgab. Neben diesen weltlichen und geistlichen Potentaten standen die Stadtgemeinden. Zum Teil waren dieselben zu groesseren Verbaenden zusammengeordnet, welche einer verhaeltnismaessigen Selbstaendigkeit sich erfreuten, wie namentlich der wohlgeordnete und zum Beispiel der Teilnahme an der wuesten Piratenwirtschaft stets ferngebliebene Bund der dreiundzwanzig lykischen Staedte; wogegen die zahlreichen vereinzelt stehenden Gemeinden, selbst wenn sie die Selbstregierung verbrieft erhalten hatten, tatsaechlich von den roemischen Statthaltern durchaus abhaengig waren. Die Roemer verkannten es nicht, dass mit der Aufgabe, den Hellenismus zu vertreten und im Osten Alexanders Marken zu schirmen und zu erweitern, vor allem die Hebung des staedtischen Wesens ihnen zur Pflicht geworden war; denn wenn die Staedte ueberall die Traeger der Gesittung sind, so fasste vor allem der Antagonismus der Orientalen und Okzidentalen in seiner ganzen Schaerfe sich zusammen in dem Gegensatz der orientalischen, militaerischdespotischen Lebenshierarchie und des hellenisch-italischen gewerbund handeltreibenden staedtischen Gemeinwesens. Lucullus und Pompeius, sowenig sie auch sonst auf die Nivellierung der Zustaende im Osten ausgingen, und sosehr auch der letztere in Detailfragen die Anordnungen seines Vorgaengers zu meistern und zu aendern geneigt war, trafen doch vollstaendig zusammen in dem Grundsatz, das staedtische Wesen in Kleinasien und Syrien bach Kraeften zu foerdern. Kyzikos, an dessen kraeftiger Gegenwehr die erste Heftigkeit des letzten Krieges sich gebrochen hatte, empfing von Lucullus eine betraechtliche Erweiterung seines Gebietes. Das pontische Herakleia, wie energisch es auch den Roemern widerstanden hatte, erhielt dennoch sein Gebiet und seine Haefen zurueck, und Cottas barbarisches Wueten gegen die unglueckliche Stadt erfuhr im Senat den schaerfsten Tadel. Lucullus hatte es tief und aufrichtig beklagt, dass das Schicksal ihm das Glueck versagt hatte, Sinope und Amisos von der Verheerung durch die pontische und die eigene Soldateska zu erretten; er tat wenigstens, was er vermochte, um sie wiederherzustellen, erweiterte ansehnlich ihre Gebiete, bevoelkerte sie aufs neue teils mit den alten Bewohnern, die auf seine Einladung scharenweise in die geliebte Heimat zurueckkehrten, teils mit neuen Ansiedlern hellenischer Abstammung und sorgte fuer den Wiederaufbau der zerstoerten Gebaeude. In gleichem Sinn und in noch groesserem Massstab verfuhr Pompeius. Schon nach der Ueberwindung der Piraten hatte er die Gefangenen, deren Zahl 20000 ueberstieg, statt nach dem Beispiel seiner Vorgaenger sie zu kreuzigen, angesiedelt teils in den veroedeten Staedten des Ebenen Kilikien, wie in Mallos, Adana, Epiphaneia, und besonders in Soloi, das seitdem den Namen der Pompeiusstadt (Pompeiopolis) fuehrte, teils in Dyme in Achaia, ja sogar in Tarent. Die Piratenkolonisierung fand vielfachen Tadel ^7, da sie gewissermassen auf das Verbrechen eine Belohnung zu setzen schien; in der Tat war sie politisch und sittlich wohl gerechtfertigt, denn wie die Dinge damals standen, war die Piraterie etwas anderes als Raeuberei und die Gefangenen billig, nach Kriegsrecht zu behandeln. Vor allen Dingen aber liess Pompeius es sich angelegen sein, in den neuen roemischen Provinzen das staedtische Wesen emporzubringen. Wie staedtearm das Pontische Reich war, ward schon bemerkt; die meisten Distrikte Kappadokiens hatten noch ein Jahrhundert spaeter keine Staedte, sondern nur Bergfestungen als Zufluchtsort fuer die ackerbauende Bevoelkerung im Kriege: im ganzen oestlichen Kleinasien wird es, abgesehen von den sparsam gesaeten griechischen Kolonien an den Kuesten, zu dieser Zeit nicht anders gewesen sein. Die Zahl der von Pompeius in diesen Landschaften neu gegruendeten Staedte wird einschliesslich der kilikischen Ansiedlungen auf neununddreissig angegeben, von denen mehrere zu hoher Bluete gelangten. Die namhaftesten dieser Ortschaften in dem ehemaligen Pontischen Reiche sind Nikopolis, die "Siegesstadt", gegruendet an dem Orte, wo Mithradates die letzte einschneidende Niederlage erlitt - das schoenste Siegesdenkmal des trophaeenreichen Feldherrn; Megalopolis, nach Pompeius’ Beinamen genannt, an der Grenze von Kappadokien und Klein-Armenien, das spaetere Sebasteia (jetzt Siwas); Ziela, wo die Roemer die unglueckliche Schlacht lieferten, eine um den dasigen Tempel der Anaitis entstandene und bisher dem Hochpriester derselben eigene Ortschaft, der Pompeius staedtische Form und staedtisches Recht gab; Diopolis, frueher Kabeira, spaeter Neo-Caesarea (Niksar), gleichfalls eine der Walstaetten des letzten Krieges; Magnopolis oder Pompeiopolis, das wiederhergestellte Eupatoria am Zusammenfluss des Lykos und des Iris, urspruenglich von Mithradates erbaut, aber wegen des Abfalls der Stadt zu den Roemern wieder von ihm zerstoert; Neapolis, sonst Phazemon, zwischen Amaseia und dem Halys. Die meisten dieser Stadtgruendungen wurden nicht durch Kolonisten aus der Ferne bewirkt, sondern durch Niederlegung der Doerfer und Zusammenziehung ihrer Bewohnerin den neuen Mauerring; nur in Nikopolis siedelte Pompeius die Invaliden und Bejahrten seiner Armee an, die es vorzogen, statt spaeter in Italien, hier sofort eine Heimat sich zu gruenden. Aber auch an anderen Orten entstanden auf den Wink des Machthabers neue Brennpunkte der hellenischen Zivilisation. In Paphlagonien bezeichnete ein drittes Pompeiupolis die Staette, wo Mithradates’ Armee im Jahre 666 (88) den grossen Sieg ueber die Bithyner erfocht. In Kappadokien, das vielleicht mehr als irgendeine andere Provinz durch den Krieg gelitten hatte, wurden die Residenz Mazaka (spaeter Caesarea, jetzt Kayseri) und sieben andere Ortschaften von Pompeius wiederhergestellt und staedtisch eingerichtet. In Kilikien und Koilesyrien zaehlte man zwanzig von Pompeius angelegte Staedte. In den von den Juden geraeumten Distrikten erhob sich Gadara in der Dekapolis auf Pompeius’ Befehl aus seinen Truemmern und ward die Stadt Seleukis gegruendet. Bei weitem der groesste Teil des auf dem asiatischen Kontinent zur Verfuegung stehenden Domaniallandes muss von Pompeius fuer seine neuen Ansiedlungen verwandt worden sein, wogegen auf Kreta, um das Pompeius sich wenig oder gar nicht kuemmerte, der roemische Domanialbesitz ziemlich ausgedehnt geblieben zu sein scheint. --------------------------------------------------- ^6 Der Krieg, den dieser Antiochos mit Pompeius gefuehrt haben soll (App. Mithr. 106, 117), stimmt sehr wenig zu dem Vertrag, den derselbe mit Lucullus abschloss (Dio 36, 4) und seinem ungestoerten Verbleiben in der Herrschaft; vermutlich ist auch er bloss daraus herausgesponnen, dass Antiochos von Kommagene unter den von Pompeius unterworfenen Koenigen figurierte. ^7 Hierauf zielt vermutlich Ciceros Vorwurf (off. 3, 12, 49): piratas immunes habemus, socios vectigales; insofern naemlich jene Piratenkolonien wahrscheinlich von Pompeius zugleich mit der Immunitaet beschenkt wurden, waehrend bekanntlich die von Rom abhaengigen Provinzialgemeinden durchschnittlich steuerpflichtig waren. --------------------------------------------------- Nicht minder wie auf Gruendung neuer Ortschaften war Pompeius darauf bedacht, die bestehenden Gemeinden zu ordnen und zu heben. Die eingerissenen Missbraeuche und Usurpationen wurden nach Vermoegen abgestellt; ausfuehrliche und fuer die verschiedenen Provinzen mit Sorgfalt entworfene Gemeindeordnungen regelten im einzelnen das Munizipalwesen. Eine Reihe der ansehnlichsten Staedte ward mit neuen Privilegien beschenkt. Die Autonomie erhielten Antiocheia am Orontes, die bedeutendste Stadt des roemischen Asien und nur wenig zurueckstehend hinter dem aegyptischen Alexandreia und hinter dem Bagdad des Altertums, der Stadt Seleukeia im Parthischen Reiche, ferner die Nachbarstadt von Antiocheia, das persische Seleukeia, das damit fuer seine mutige Gegenwehr gegen Tigranes den Lohn empfing; Gaza und ueberhaupt alle von der juedischen Herrschaft befreite Staedte; in Vorderasien Mytilene; Phanagoria am Schwarzen Meer. So war der Bau des asiatischen Roemerstaates vollendet, der mit seinen Lehnkoenigen und Vasallen, den gefuersteten Priestern und der Reihe ganzund halbfreier Staedte lebhaft erinnert an das Heilige Roemische Reich Deutscher Nation. Er war kein Wunderwerk, weder hinsichtlich der ueberwundenen Schwierigkeiten, noch hinsichtlich der erreichten Vollendung, und ward es auch nicht durch all die grossen Worte, mit denen in Rom die vornehme Welt zu Gunsten des Lucullus, die lautere Menge zum Preise des Pompeius freigebig waren. Pompeius namentlich liess sich feiern und feierte sich selbst in einer Weise, dass man ihn fast fuer noch schwachkoepfiger haette halten moegen, als er in der Tat war. Wenn die Mytilenaeer ihm eine Bildsaeule errichteten als ihrem Erretter und Gruender, als demjenigen, der die den Erdkreis erfuellenden Kriege sowohl zu Lande wie zur See beendigt, so mochte eine solche Huldigung fuer den Bezwinger der Piraten und der Reiche des Ostens nicht allzu ueberschwenglich scheinen. Aber die Roemer uebertrafen diesmal die Griechen. Pompeius’ eigene Triumphalinschriften rechneten 12 Millionen unterworfener Seelen und 1538 eroberte Staedte und Burgen heraus - es schien, als solle die Quantitaet die Qualitaet ersetzen - und erstreckten den Kreis seiner Siege vom Maeotischen zum Kaspischen, von diesem zum Roten Meer, von welchen drei Meeren er keines je mit Augen gesehen hat; ja wenn er es auch nicht geradezu sagte, so veranlasste er doch das Publikum zu meinen, dass die Einziehung Syriens, die wahrlich keine Heldentat war, den ganzen Osten bis nach Baktrien und Indien zum Roemischen Reiche gebracht habe - in so nebelhafte Ferne verschwamm in seinen Angaben die Grenzlinie seiner oestlichen Eroberungen. Die demokratische Servilitaet, die zu allen Zeiten mit der hoefischen gewetteifert hat, ging bereitwillig auf dergleichen geschmacklosen Schwindel ein. Ihr genuegte nicht der pomphafte Triumphalzug, der am 28. und 29. September 593 (61), dem sechsundvierzigsten Geburtstag Pompeius des Grossen, durch die Gassen Roms sich bewegte, verherrlicht, um von den Kleinodien aller Art zu schweigen, durch die Kroninsignien Mithradats und durch die Kinder der drei maechtigsten Koenige Asiens, des Mithradates, Tigranes und Phraates: sie lohnte ihrem Feldherrn, der zweiundzwanzig Koenige besiegt, dafuer mit koeniglichen Ehren und verlieh ihm den goldenen Kranz und die Insignien der Magistratur auf Lebenszeit. Die ihm zu Ehren geschlagenen Muenzen zeigen gar die Weltkugel zwischen dem dreifachen, aus den drei Weltteilen heimgebrachten Lorbeer und ueber ihr schwebend jenen dem Triumphator ueber Afrika, Spanien und Asien von der Buergerschaft verehrten Goldkranz. Es kann solchen kindischen Huldigungen gegenueber nicht wundernehmen, dass auch im entgegengesetzten Sinne Stimmen laut wurden. Unter der roemischen vornehmen Welt war es eine gelaeufige Rede, dass das eigentliche Verdienst der Unterwerfung des Ostens Lucullus zukomme und Pompeius nur nach dem Osten gegangen sei, um Lucullus zu verdraengen und die von fremder Hand gebrochenen Lorbeeren um die eigene Stirn zu flechten. Beides war vollstaendig falsch; nicht Pompeius, sondern Glabrio ward nach Asien gesandt, um Lucullus abzuloesen, und wie wacker auch Lucullus gefochten, es war Tatsache, dass, als Pompeius den Oberbefehl uebernahm, die Roemer all ihre frueheren Erfolge wieder eingebuesst und keinen Fussbreit pontischen Bodens innehatten. Mehr zum Ziele traf der Spott der Hauptstaedter, die nicht ermangelten, dem maechtigen Besieger des Erdballs die Namen der von ihm ueberwundenen Grossmaechte als Spitznamen beizulegen und ihn bald als "Sieger von Salem" bald als "Emir" (Arabarches), bald als den roemischen Sampsikeramos begruessten. Der unbefangene Urteiler wird indes weder in jene Ueberschwenglichkeiten noch in diese Verkleinerungen einstimmen. Lucullus und Pompeius haben, indem sie Asien unterwarfen und ordneten, sich nicht als Helden und Staatsschoepfer bewaehrt, aber wohl als einsichtige und kraeftige Heerfuehrer und Statthalter. Als Feldherr bewies Lucullus nicht gemeine Talente und ein an Verwegenheit grenzendes Selbstvertrauen, Pompeius militaerische Einsicht und eine seltene Zurueckhaltung, wie denn kaum je ein General mit solchen Streitkraeften und einer so vollkommen freien Stellung so vorsichtig aufgetreten ist wie Pompeius im Osten. Die glaenzendsten Aufgaben trugen von allen Seiten sich ihm gleichsam selber an: er konnte nach dem Kimmerischen Bosporus und gegen das Rote Meer hin aufbrechen; er hatte Gelegenheit, den Parthern den Krieg zu erklaeren; die aufstaendischen Landschaften Aegyptens luden ihn ein, den von Rom nicht anerkannten Koenig Ptolemaeos vom Thron zu stossen und das Testament Alexanders in Vollzug zu setzen; aber Pompeius ist weder nach Pantikapaeon noch nach Petra, weder nach Ktesiphon noch nach Alexandreia gezogen; durchaus pflueckte er nur diejenigen Fruechte, die ihm von selber in die Hand fielen. Ebenso schlug er alle seine Schlachten zur See wie zu Lande mit einer erdrueckenden Uebermacht. Waere diese Maessigung hervorgegangen aus dem strengen Einhalten der erteilten Instruktionen, wie Pompeius vorzugehen pflegte, oder auch aus der Einsicht, dass Roms Eroberungen irgendwo eine Grenze finden muessten und neuer Gebietszuwachs dem Staat nicht foerderlich sei, so wuerde sie ein hoeheres Lob verdienen, als die Geschichte es dem talentvollsten Offizier erteilt; allein wie Pompeius war, ist seine Zurueckhaltung ohne Zweifel einzig das Resultat des ihm eigentuemlichen Mangels an Sicherheit und an Initiative - Maengel freilich, die dem Staate in diesem Falle weit nuetzlicher wurden als die entgegengesetzten Vorzuege seines Vorgaengers. Allerdings sind auch von Lucullus wie von Pompeius sehr arge Fehler begangen worden. Lucullus erntete deren Fruechte selbst, indem sein unbesonnenes Verfahren ihm alle Resultate seiner Siege wieder entriss; Pompeius ueberliess es seinen Nachfolgern, die Folgen seiner falschen Politik gegen die Parther zu tragen. Er konnte diese entweder bekriegen, wenn er dessen sich getraute, oder mit ihnen Frieden halten und, wie er versprochen, den Euphrat als Grenze anerkennen; zu jenem war er zu zaghaft, zu diesem zu eitel, und so kam er denn zu der einfaeltigen Perfidie, die gute Nachbarschaft, die der Hof von Ktesiphon wuenschte und seinerseits uebte, durch die masslosesten Uebergriffe unmoeglich zu machen, dennoch aber dem Feinde zu gestatten, sich die Zeit des Bruches und der Vergeltung selber waehlen zu duerfen. Als Verwalter Asiens erwarb Lucullus ein mehr als fuerstliches Vermoegen, und auch Pompeius empfing als Lohn fuer seine Organisation von dem Koenig von Kappadokien, von der reichen Stadt Antiocheia und anderen Herren und Gemeinden grosse Barsummen und noch ansehnlichere Schuldverschreibungen. Indes dergleichen Erpressungen waren fast eine gewohnheitsmaessige Steuer geworden, und beide Feldherren bewiesen doch nicht gerade in wichtigeren Fragen sich kaeuflich, liessen auch womoeglich sich von der Partei bezahlen, deren Interessen mit denen Roms zusammenfielen. Wie die Zeiten einmal waren, hindert dies nicht, die Verwaltung beider Maenner als eine relativ loebliche und zunaechst im Interesse Roms, demnaechst in dem der Provinzialen gefuehrte zu bezeichnen. Die Verwandlung der Klienten in Untertanen, die bessere Regulierung der Ostgrenze, die Begruendung eines einheitlichen und starken Regiments waren segensreich fuer die Herrscher wie fuer die Beherrschten. Der finanzielle Gewinn, den Rom machte, war unermesslich; die neue Vermoegenssteuer, die mit Ausnahme einzelner, besonders befreiter Gemeinden all jene Fuersten, Priester und Staedte nach Rom zu zahlen hatten, steigerte die roemischen Staatseinnahmen fast um die Haelfte ihres bisherigen Betrags. Freilich litt Asien schwer. Pompeius legte an Geld und Kleinodien einen Betrag von 15 Mill. Talern (200 Mill. Sesterzen) in die Staatskasse nieder und verteilte 29 Millionen (16000 Talente) unter seine Offiziere und Soldaten; wenn man hierzu die bedeutenden von Lucullus heimgebrachten Summen, die nichtoffiziellen Erpressungen der roemischen Armee und den Betrag der Kriegsschaeden selbst rechnet, so ist die finanzielle Erschoepfung des Landes begreiflich. Die roemische Besteuerung Asiens war vielleicht an sich nicht schlimmer als die der frueheren Regenten, aber lastete doch insofern schwerer auf dem Lande, als die Abgaben fortan in das Ausland gingen und nur zum kleineren Teil wieder in Asien verwandt wurden; und auf jeden Fall war sie in den alten wie in den neugewonnenen Provinzen basiert auf die systematische Ausbeutung der Landschaften zu Gunsten Roms. Aber die Verantwortung hierfuer trifft weit weniger die Feldherren persoenlich als die Parteien daheim, auf die jene Ruecksicht zu nehmen hatten; Lucullus war sogar energisch bemueht, dem wucherischen Treiben der roemischen Kapitalisten in Asien Schranken zu setzen, und sein Sturz ward wesentlich mit hierdurch herbeigefuehrt. Wie sehr es beiden Maennern Ernst damit war, die heruntergekommenen Landschaften wieder in die Hoehe zu bringen, beweist ihre Taetigkeit da, wo keine Ruecksichten der Parteipolitik ihnen die Haende banden, namentlich ihre Fuersorge fuer die kleinasiatischen Staedte. Wenn auch noch Jahrhunderte spaeter manches in Ruinen liegende asiatische Dorf an die Zeiten des grossen Krieges erinnerte, so mochte doch Sinope wohl mit dem Jahr der Wiederherstellung durch Lucullus eine neue Aera beginnen und fast alle ansehnlicheren Binnenstaedte des Pontischen Reiches Pompeius als ihren Stifter dankbar verehren. Die Einrichtung des roemischen Asien durch Lucullus und Pompeius darf bei all ihren unleugbaren Maengeln eine im ganzen verstaendige und loebliche genannt werden; wie schwere Uebelstaende aber auch ihr anhaften mochten, den vielgeplagten Asiaten musste sie schon darum willkommen sein, weil sie zugleich kam mit dem so lange und so schmerzlich entbehrten inneren und aeusseren Frieden. Es blieb auch im wesentlichen Friede im Orient, bis der von Pompeius mit der ihm eigenen Zaghaftigkeit nur angedeutete Gedanke, die Landschaften oestlich vom Euphrat zum Roemischen Reiche zu fuegen, von der neuen Triarchie der roemischen Machthaber energisch, aber ungluecklich wiederaufgenommen ward und bald darauf der Buergerkrieg wie alle anderen so auch die oestlichen Provinzen in seinen verhaengnisvollen Strudel hineinzog. Dass in der Zwischenzeit die Statthalter Kilikiens bestaendig mit den Bergvoelkern des Amanos, die von Syrien mit den Schwaermen der Wueste zu fechten hatten und namentlich in diesem Kriege gegen die Beduinen manche roemische Truppe aufgerieben ward, ist ohne weitere Bedeutung. Bemerkenswerter ist der eigensinnige Widerstand, den die zaehe juedische Nation den Eroberern entgegensetzte. Teils des abgesetzten Koenigs Aristobulos Sohn Alexandros, teils Aristobulos selbst, dem es nach einiger Zeit gelang, aus der Gefangenschaft zu entkommen, erregten waehrend der Statthalterschaft des Aulus Gabinius (697-700 57-54) drei verschiedene Aufstaende gegen die neuen Machthaber, deren jedem die von Rom eingesetzte Regierung des Hochpriesters Hyrkanos ohnmaechtig erlag. Es war nicht politische Ueberlegung, sondern der unbesiegbare Widerwille des Orientalen gegen das unnatuerliche Joch, der sie zwang, gegen den Stachel zu loecken; wie denn auch der letzte und gefaehrlichste dieser Aufstaende, zu welchem die durch die aegyptischen Krisen veranlasste Wegziehung der syrischen Okkupationsarmee den naechsten Anstoss gab, begann mit der Ermordung der in Palaestina ansaessigen Roemer. Nicht ohne Muehe gelang es dem tuechtigen Statthalter, die wenigen Roemer, die diesem Schicksal sich entzogen und eine vorlaeufige Zuflucht auf dem Berge Garizim gefunden hatten, von den dort sie blockiert haltenden Insurgenten zu erretten und nach mehreren hart bestrittenen Feldschlachten und langwierigen Belagerungen den Aufstand zu bewaeltigen. Infolgedessen ward die Hohenpriestermonarchie abgeschafft und das juedische Land, wie einst Makedonien, in fuenf selbstaendige, von optimatisch geordneten Regierungskollegien verwaltete Kreise aufgeloest, auch Samaria und andere, von den Juden geschleifte Ortschaften wiederhergestellt, um ein Gegengewicht gegen Jerusalem zu bilden, endlich den Juden ein schwererer Tribut auferlegt als den uebrigen syrischen Untertanen Roms. Noch ist es uebrig, auf das Koenigreich Aegypten nebst dem letzten ihm von den ausgedehnten Eroberungen der Lagiden uebriggebliebenen Nebenland, der schoenen Insel Kypros, einen Blick zu werfen. Aegypten war jetzt der einzige wenigstens dem Namen nach noch unabhaengige Staat des hellenischen Ostens; ebenwie einst, als die Perser an der oestlichen Haelfte des Mittelmeers sich festsetzten, Aegypten ihre letzte Eroberung war, saeumten auch die maechtigen Eroberer aus dem Westen am laengsten mit der Einziehung dieser reichen und eigenartigen Landschaft. Die Ursache lag, wie bereits angedeutet wurde, weder in der Furcht vor dem Widerstand Aegyptens noch in dem Mangel einer geeigneten Veranlassung. Aegypten war ungefaehr ebenso machtlos wie Syrien und bereits im Jahre 673 (81) in aller Form Rechtens der roemischen Gemeinde angestorben; das am Hofe von Alexandreia herrschende Regiment der koeniglichen Garde, welche Minister und gelegentlich Koenige einund absetzte, fuer sich nahm, was ihr gefiel, und, wenn ihr die Erhoehung des Soldes verweigert ward, den Koenig in seinem Palast belagerte, war im Lande oder vielmehr in der Hauptstadt - denn das Land mit seiner Ackersklavenbevoelkerung kam ueberhaupt kaum in Betracht - ganz und gar nicht beliebt, und wenigstens eine Partei daselbst wuenschte die Einziehung Aegyptens durch Rom und tat sogar Schritte, um sie herbeizufuehren. Allein je weniger die Koenige Aegyptens daran denken konnten, mit den Waffen gegen Rom zu streiten, desto energischer setzte das aegyptische Gold gegen die roemischen Reunionsplaene sich zur Wehre; und infolge der eigentuemlichen despotisch-kommunistischen Zentralisation der aegyptischen Volkswirtschaft waren die Einkuenfte des Hofes von Alexandreia der roemischen Staatseinnahme, selbst nach deren Vermehrung durch Pompeius, noch ungefaehr gleich. Die argwoehnische Eifersucht der Oligarchie, die weder die Eroberung noch die Verwaltung Aegyptens gern einem einzelnen goennte, kam hinzu. So vermochten die faktischen Herren von Aegypten und Kypros durch Bestechung der fuehrenden Maenner im Senat sich ihre schwankenden Kronen nicht bloss zu fristen, sondern sogar neu zu befestigen und vom Senat die Bestaetigung ihrer Koenigstitel zu erkaufen. Allein damit waren sie noch nicht am Ziel. Das formelle Staatsrecht forderte einen Beschluss der roemischen Buergerschaft; bevor dieser erlassen war, waren die Ptolemaeer abhaengig von der Laune jedes demokratischen Machthabers, und sie hatten also den Bestechungskrieg auch gegen die andere roemische Partei zu eroeffnen, welche als die maechtigere weit hoehere Preise bedang. Der Ausgang war ungleich. Die Einziehung von Kypros ward im Jahre 696 (58) vom Volke, das heisst von den Fuehrern der Demokratie verfuegt, wobei als offizieller Grund, weshalb dieselbe jetzt vorgenommen werde, die Foerderung der Piraterie durch die Kyprioten angegeben ward. Marcus Cato, von seinen Gegnern mit der Ausfuehrung dieser Massregel beauftragt, kam nach der Insel ohne Heer; allein es bedurfte dessen auch nicht. Der Koenig nahm Gift; die Einwohner fuegten sich, ohne Widerstand zu leisten, dem unvermeidlichen Verhaengnis und wurden dem Statthalter von Kilikien untergeordnet. Der ueberreiche Schatz von fast 7000 Talenten (fast 13 Mill. Taler), den der ebenso habsuechtige wie geizige Koenig sich nicht hatte ueberwinden koennen, fuer die zur Rettung seiner Krone erforderlichen Bestechungen anzugreifen, fiel mit dieser zugleich an die Roemer und fuellte in erwuenschter Weise die leeren Gewoelbe ihres Aerars. Dagegen gelang es dem Bruder, der in Aegypten regierte, die Anerkennung durch Volksschluss von den neuen Herren Roms im Jahre 695 (59) zu erkaufen; der Kaufpreis soll 6000 Talente (11 Mill. Taler) betragen haben. Die Buergerschaft freilich, laengst gegen den guten Floetenblaeser und schlechten Regenten erbittert und nun durch den definitiven Verlust von Kypros und den infolge der Transaktionen mit den Roemern unertraeglich gesteigerten Steuerdruck aufs aeusserste gebracht (696 58), jagte ihn dafuer aus dem Lande. Als der Koenig darauf, gleichsam wie wegen Entwaehrung des Kaufobjekts, sich an seine Verkaeufer wandte, waren diese billig genug einzusehen, dass es ihnen als redlichen Geschaeftsmaennern obliege, dem Ptolemaeos sein Reich wiederzuverschaffen; nur konnten die Parteien sich nicht einig werden, wem der wichtige Auftrag, Aegypten mit bewaffneter Hand zu besetzen, nebst den davon zu erhoffenden Sporteln zukommen solle. Erst als die Triarchie auf der Konferenz von Luca sich neu befestigte, wurde zugleich auch diese Angelegenheit geordnet, nachdem Ptolemaeos noch sich zur Erlegung weiterer 10000 Talente (18 Mill. Taler) verstanden hatte: der Statthalter Syriens, Aulus Gabinius, erhielt jetzt von den Machthabern Befehl, sofort zur Zurueckfuehrung des Koenigs die noetigen Schritte zu tun. Die Buergerschaft von Alexandreia hatte inzwischen des vertriebenen Koenigs aeltester Tochter Berenike die Krone aufgesetzt und ihr in der Person eines der geistlichen Fuersten des roemischen Asien, des Hochpriesters von Komana Archelaos, einen Gemahl gegeben, der Ehrgeiz genug besass, um an die Hoffnung, den Thron der Lagiden zu besteigen, seine gesicherte und ansehnliche Stellung zu setzen. Seine Versuche, die roemischen Machthaber fuer sich zu gewinnen, blieben ohne Erfolg; aber er schrak auch nicht zurueck vor dem Gedanken, sein neues Reich mit den Waffen in der Hand selbst gegen die Roemer behaupten zu muessen. Gabinius, ohne ostensible Vollmacht, den Krieg gegen Aegypten zu beginnen, aber von den Machthabern dazu angewiesen, nahm die angebliche Foerderung der Piraterie durch die Aegypter und den Flottenbau des Archelaos zum Vorwand und brach ungesaeumt auf gegen die aegyptische Grenze (699 55). Der Marsch durch die Sandwueste zwischen Gaza und Pelusion, an der so manche gegen Aegypten gerichtete Invasion gescheitert war, ward diesmal gluecklich zurueckgelegt, was besonders .dem raschen und geschickten Fuehrer der Reiterei, Marcus Antonius, verdankt ward. Auch die Grenzfestung Pelusion wurde von der dort stehenden juedischen Besatzung ohne Gegenwehr uebergeben. Vorwaerts dieser Stadt trafen die Roemer auf die Aegypter, schlugen sie, wobei Antonius wiederum sich auszeichnete, und gelangten, die erste roemische Armee, an den Nil. Hier hatten Flotte und Heer der Aegypter zum letzten entscheidenden Kampfe sich aufgestellt; aber die Roemer siegten abermals und Archelaos selbst fand mit vielen der Seinigen kaempfend den Tod. Sofort nach dieser Schlacht ergab sich die Hauptstadt und damit war jeder Widerstand am Ende. Das unglueckliche Land ward seinem rechtmaessigen Zwingherrn ueberliefert: das Henken und Koepfen, womit ohne des ritterlichen Antonius’ Dazwischenkunft Ptolemaeos die Wiederherstellung des legitimen Regiments bereits in Pelusion zu feiern begonnen haben wuerde, ging nun ungehemmt seinen Gang, und vor allen anderen ward die unschuldige Tochter von dem Vater auf das Schafott gesandt. Die Bezahlung des mit den Machthabern vereinbarten Lohnes scheiterte an der absoluten Unmoeglichkeit, dem ausgesogenen Lande die verlangten ungeheuren Summen abzupressen, obwohl man dem armen Volke den letzten Pfennig nahm; dafuer aber, dass das Land wenigstens ruhig blieb, sorgte die in der Hauptstadt zurueckgelassene Besatzung von roemischer Infanterie und keltischer und deutscher Reiterei, welche die einheimischen Praetorianer abloeste und uebrigens nicht ungluecklich ihnen nacheiferte. Die bisherige Hegemonie Roms ueber Aegypten ward damit in eine unmittelbare militaerische Okkupation verwandelt und die nominelle Fortdauer des einheimischen Koenigtums war nicht so sehr eine Bevorzugung des Landes als eine zwiefache Belastung. 5. Kapitel Der Parteienkampf waehrend Pompeius’ Abwesenheit Mit dem Gabinischen Gesetze wechselten die hauptstaedtischen Parteien die Rollen. Seit der erwaehlte Feldherr der Demokratie das Schwert in der Hand hielt, war seine Partei oder was dafuer galt auch in der Hauptstadt uebermaechtig. Wohl stand die Nobilitaet noch geschlossen zusammen und gingen nach wie vor aus der Komitialmaschine nur Konsuln her
vor, die nach dem Ausdrucke der Demokraten schon in den Windeln zum Konsulate designiert waren; die Wahlen zu beherrschen und hier den Einfluss der alten Familien zu brechen, vermochten selbst die Machthaber nicht. Aber leider fing das Konsulat, ebenda man es so weit gebracht hatte, die "neuen Menschen" so gut wie vollstaendig davon auszuschliessen, selber an, vor dem neu aufgehenden Gestirn der; exzeptionellen Militaergewalt zu erbleichen. Die Aristokratie empfand es, wenn sie auch nicht gerade es sich gestand; sie gab sich selber verloren. Ausser Quintus Catulus, der mit achtbarer Festigkeit auf seinem wenig erfreulichen Posten als Vorfechter einer ueberwundenen Partei bis zu seinem Tode (694 60) ausharrte, ist aus den obersten Reihen der Nobilitaet kein Optimat zu nennen, der die Interessen der Aristokratie mit Mut und Stetigkeit vertreten haette. Eben ihre talentvollsten und gefeiertsten Maenner, wie Quintus Metellus Pius und Lucius Lucullus, abdizierten tatsaechlich und zogen sich, soweit es irgend schicklicherweise anging, auf ihre Villen zurueck, um ueber Gaerten und Bibliotheken, ueber Vogelhaeusern und Fischteichen den Markt und das Rathaus moeglichst zu vergessen. Noch viel mehr gilt dies natuerlich von der juengeren Generation der Aristokratie, die entweder ganz in Luxus und Literatur unterging oder der aufgehenden Sonne sich zuwandte. Ein einziger unter den Juengeren machte hiervon eine Ausnahme: es ist Marcus Porcius Cato (geboren 659 95), ein Mann vom besten Willen und seltener Hingebung, und doch eine der abenteuerlichsten und eine der unerfreulichsten Erscheinungen in dieser an politischen Zerrbildern ueberreichen Zeit. Ehrlich und stetig, ernsthaft im Wollen und im Handeln, voll Anhaenglichkeit an sein Vaterland und die angestammte Verfassung, aber ein langsamer Kopf und sinnlich wie sittlich ohne Leidenschaft, haette er allenfalls einen leidlichen Staatsrechenmeister abgeben moegen. Ungluecklicherweise aber geriet er frueh unter die Gewalt der Phrase, und, teils beherrscht von den Redensarten der Stoa, wie sie in abstrakter Kahlheit und geistloser Abgerissenheit in der damaligen vornehmen Welt im Umlauf waren, teils von dem Exempel seines Urgrossvaters, den zu erneuern er fuer seine besondere Aufgabe hielt, fing er an, als Musterbuerger und Tugendspiegel in der suendigen Hauptstadt umherzuwandeln, gleich dem alten Cato auf die Zeiten zu schelten, zu Fuss zu gehen statt zu reiten, keine Zinsen zu nehmen, soldatische Ehrenzeichen abzulehnen und die Wiederherstellung der guten alten Zeit damit einzuleiten, dass er nach Koenig Romulus’ Vorgang ohne Hemd ging. Eine seltsame Karikatur seines Ahnen, des greisen Bauern, den Hass und Zorn zum Redner machten, der den Pflug wie das Schwert meisterlich fuehrte, der mit seinem bornierten, aber originellen und gesunden Menschenverstand in der Regel den Nagel auf den Kopf traf, war dieser junge kuehle Gelehrte, dem die Schulmeisterweisheit von den Lippen troff und den man immer mit dem Buche in der Hand sitzen sah, dieser Philosoph, der weder das Kriegsnoch sonst irgendein Handwerk verstand, dieser Wolkenwandler im Reiche der abstrakten Moral. Dennoch gelangte er zu sittlicher und dadurch selbst zu politischer Bedeutung. In einer durchaus elenden und feigen Zeit imponierten sein Mut und seine negativen Tugenden der Menge; er machte sogar Schule, und es gab einzelne - freilich waren sie danach -, die die lebendige Philosophenschablone weiter kopierten und abermals karikierten. Auf derselben Ursache beruht auch sein politischer Einfluss. Da er der einzige namhafte Konservative war, der wo nicht Talent und Einsicht, doch Ehrlichkeit und Mut besass und immer bereitstand, wo es noetig und nicht noetig war, seine Person in die Schanze zu schlagen, so ward er, obwohl weder sein Alter noch sein Rang noch sein Geist ihn dazu berechtigten, dennoch bald der anerkannte Vormann der Optimatenpartei. Wo das Ausharren eines einzelnen entschlossenen Mannes entscheiden konnte, hat er auch wohl einen Erfolg erzielt und in Detailfragen, namentlich finanzieller Art, oft zweckmaessig eingegriffen, wie er denn in keiner Senatssitzung fehlte und mit seiner Quaestur in der Tat Epoche machte, auch solange er lebte das oeffentliche Budget im einzelnen kontrollierte und natuerlich denn auch darueber mit den Steuerpaechtern in bestaendigem Kriege lebte. uebrigens fehlte ihm zum Staatsmann nicht mehr als alles. Er war unfaehig, einen politischen Zweck auch nur zu begreifen und politische Verhaeltnisse zu ueberblicken; seine ganze Taktik bestand darin, gegen jeden Front zu machen, der von dem traditionellen moralisch-politischen Katechismus der Aristokratie abwich oder ihm abzuweichen schien, womit er denn natuerlich ebensooft dem Gegner wie dem Parteigenossen in die Haende gearbeitet hat. Der Don Quichotte der Aristokratie, bewaehrte er durch sein Wesen und sein Tun, dass damals allenfalls noch eine Aristokratie vorhanden, die aristokratische Politik aber nichts mehr war als eine Chimaere. Mit dieser Aristokratie den Kampf fortzusetzen, brachte geringe Ehre. Natuerlich ruhten die Angriffe der Demokratie gegen den ueberwundenen Feind darum nicht. Wie die Trossbuben ueber ein erobertes Lager, stuerzte sich die populaere Meute auf die gesprengte Nobilitaet, und wenigstens die Oberflaeche der Politik ward von dieser Agitation zu hohen Schaumwellen emporgetrieben. Die Menge ging um so bereitwilliger mit, als namentlich Gaius Caesar sie bei guter Laune hielt durch die verschwenderische Pracht seiner Spiele (689 65), bei welchen alles Geraet, selbst die Kaefige der wilden Bestien, aus massivem Silber erschien, und ueberhaupt durch eine Freigebigkeit, welche darum nur um so mehr fuerstlich war, weil sie einzig auf Schuldenmachen beruhte. Die Angriffe auf die Nobilitaet waren von der mannigfaltigsten Art. Reichen Stoff gewaehrten die Missbraeuche des aristokratischen Regiments: liberale oder liberal schillernde Beamte und Sachverwalter wie Gaius Cornelius, Aulus Gabinius, Marcus Cicero fuhren fort, die aergerlichsten und schaendlichsten Seiten der Optimatenwirtschaft systematisch zu enthuellen und Gesetze dagegen zu beantragen. Der Senat ward angewiesen, den auswaertigen Boten an bestimmten Tagen Zutritt zu gewaehren, um dadurch der ueblichen Verschleppung der Audienzen Einhalt zu tun. Die von fremden Gesandten in Rom aufgenommenen Darlehen wurden klaglos gestellt, da dies das einzige Mittel sei, den Bestechungen, die im Senat an der Tagesordnung waren, ernstlich zu steuern (687 67). Das Recht des Senats, in einzelnen Faellen von den Gesetzen zu dispensieren, wurde beschraenkt (687 67); ebenso der Missbrauch, dass jeder vornehme Roemer, der in den Provinzen Privatgeschaefte zu besorgen hatte, sich dazu vom Senat den Charakter eines roemischen Gesandten erteilen liess (691 63). Man schaerfte die Strafen gegen Stimmenkauf und Wahlumtriebe (687, 691 67, 63), welche letztere namentlich in aergerlicher Weise gesteigert wurden durch die Versuche der aus dem Senat gestossenen Individuen, durch Wiederwahl in denselben zurueckzugelangen. Es wurde gesetzlich ausgesprochen, was bis dahin sich nur von selbst verstanden hatte, dass die Gerichtsherren verbunden seien in Gemaessheit der nach roemischer Weise zu Anfang des Amtes von ihnen aufgestellten Normen Recht zu sprechen (687 67). Vor allem aber arbeitete man daran, die demokratische Restauration zu vervollkommnen und die leitenden Gedanken der gracchischen Zeit in zeitgemaesser Form zu verwirklichen. Die Wahl der Priester durch die Komitien, wie sie Gnaeus Domitius eingefuehrt, Sulla wieder abgeschafft hatte, ward durch ein Gesetz des Volkstribuns Titus Labienus im Jahre 691 (63) hergestellt. Man wies gern darauf hin, wieviel zur Wiederherstellung der Sempronischen Getreidegesetze in ihrem vollen Umfang noch fehle, und ueberging dabei mit Stillschweigen, dass unter den veraenderten Umstaenden, bei der bedraengten Lage der oeffentlichen Finanzen und der so sehr vermehrten Zahl der vollberechtigten roemischen Buerger, diese Wiederherstellung schlechterdings unausfuehrbar war. In der Landschaft zwischen dem Po und den Alpen naehrte man eifrig die Agitation um politische Gleichberechtigung mit den Italikern. Schon 686 (68) reiste Gaius Caesar zu diesem Zweck daselbst von Ort zu Ort; 689 (65) machte Marcus Crassus als Zensor Anstalt, die Einwohner geradewegs in die Buergerliste einzuschreiben, was nur an dem Widerstand seines Kollegen scheiterte; bei den folgenden Zensuren scheint dieser Versuch sich regelmaessig wiederholt zu haben. Wie einst Gracchus und Flaccus die Patrone der Latiner gewesen waren, so warfen sich die gegenwaertigen Fuehrer der Demokratie zu Beschuetzern der Transpadaner auf, und Gaius Piso (Konsul 687 67) hatte es schwer zu bereuen, dass er gewagt hatte, an einem dieser Klienten des Caesar und Crassus sich zu vergreifen. Dagegen zeigten sich dieselben Fuehrer keineswegs geneigt, die politische Gleichberechtigung der Freigelassenen zu befuerworten; der Volkstribun Gaius Manilius, der in einer nur von wenigen Leuten besuchten Versammlung das Sulpicische Gesetz ueber das Stimmrecht der Freigelassenen hatte erneuern lassen (31. Dezember 687 67), ward von den leitenden Maennern der Demokratie alsbald desavouiert und mit ihrer Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durchbringung vom Senate kassiert. In demselben Sinn wurden im Jahre 689 (65) durch Volksbeschluss die saemtlichen Fremden, die weder roemisches noch latinisches Buergerrecht besassen, aus der Hauptstadt ausgewiesen. Man sieht, der innere Widerspruch der Gracchischen Politik, zugleich dem Bestreben der Ausgeschlossenen um Aufnahme in den Kreis der Privilegierten und dem der Privilegierten um Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte Rechnung zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger uebergegangen: waehrend Caesar und die Seinen einerseits den Transpadanern das Buergerrecht in Aussicht stellten, gaben sie andererseits ihre Zustimmung zu der Fortdauer der Zuruecksetzung der Freigelassenen und zu der barbarischen Beseitigung der Konkurrenz, die die Industrie und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in Italien selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art, wie die Demokratie hinsichtlich der alten Kriminalgerichtsbarkeit der Komitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben, aber tatsaechlich waren doch die Geschworenenkommissionen ueber Hochverrat und Mord an ihre Stelle getreten, und an eine ernstliche Wiederherstellung des alten, schon lange vor Sulla durchaus unpraktischen Verfahrens konnte kein vernuenftiger Mensch denken. Aber da doch die Idee der Volkssouveraenitaet eine Anerkennung der peinlichen Gerichtsbarkeit der Buergerschaft wenigstens im Prinzip zu fordern schien, so zog der Volkstribun Titus Labienus im Jahre 691 (63) den alten Mann, der vor achtunddreissig Jahren den Volkstribun Lucius Saturninus erschlagen hatte oder haben sollte, vor dasselbe hochnotpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik recht berichtete, der Koenig Tullus den Schwestermoerder Horatius verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius Rabirius, der den Saturninus wenn nicht getoetet, doch wenigstens mit dem abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der Vornehmen Parade gemacht hatte, und der ueberdies unter den apulischen Gutsbesitzern wegen seiner Menschenfaengerei und seiner Bluttaten verrufen war. Es war, wenn nicht dem Anklaeger selbst, doch den kluegeren Maennern, die hinter ihm standen, durchaus nicht darum zu tun, diesen elenden Gesellen den Tod am Kreuze sterben zu lassen; nicht ungern liess man es geschehen, dass zunaechst die Form der Anklage vom Senat wesentlich gemildert, sodann die zur Aburteilung des Schuldigen berufene Volksversammlung unter irgendeinem Vorwand von der Gegenpartei aufgeloest und damit die ganze Prozedur beseitigt ward. Immer waren durch dies Verfahren die beiden Palladien der roemischen Freiheit, das Provokationsrecht der Buergerschaft und die Unverletzlichkeit des Volkstribunats, noch einmal als praktisches Recht festgestellt und der demokratische Rechtsboden neu ausgebessert worden. Mit noch groesserer Leidenschaftlichkeit trat die demokratische Reaktion in allen Personenfragen auf, wo sie nur irgend konnte und durfte. Zwar gebot ihr die Klugheit, die Rueckgabe der von Sulla eingezogenen Gueter an die ehemaligen Eigentuemer nicht zu betonen, um nicht mit den eigenen Verbuendeten sich zu entzweien und zugleich mit den materiellen Interessen in einen Kampf zu geraten, dem die Tendenzpolitik selten gewachsen ist; auch die Rueckberufung der Emigrierten hing mit dieser Vermoegensfrage zu eng zusammen, um nicht ebenso unraetlich zu erscheinen. Dagegen machte man grosse Anstrengungen, um den Kindern der Geaechteten die ihnen entzogenen politischen Rechte zurueckzugegeben (691 63) und die Spitzen der Senatspartei wurden von persoenlichen Angriffen unablaessig verfolgt. So hing Gaius Memmius dem Marcus Lucullus im Jahre 688 (66) einen Tendenzprozess an. So liess man dessen beruehmteren Bruder vor den Toren der Hauptstadt drei Jahre auf den wohlverdienten Triumph harren (688-691 66-63). Aehnlich wurden Quintus Rex und der Eroberer von Kreta, Quintus Metellus, insultiert. Groesseres Aufsehen noch machte es, dass der junge Fuehrer der Demokratie Gaius Caesar im Jahre 691 (63) nicht bloss sich es herausnahm, bei der Bewerbung um das hoechste Priesteramt mit den beiden angesehensten Maennern der Nobilitaet, Quintus Catulus und Publius Servilius, dem Sieger von Isaura, zu konkurrieren, sondern sogar bei der Buergerschaft ihnen den Rang ablief. Die Erben Sullas, namentlich sein Sohn Faustus, sahen sich bestaendig bedroht von einer Klage auf Rueckerstattung der von dem Regenten angeblich unterschlagenen oeffentlichen Gelder. Man sprach sogar von der Wiederaufnahme der im Jahre 664 (99) sistierten demokratischen Anklagen auf Grund des Varischen Gesetzes. Am nachdruecklichsten wurden begreiflicherweise die bei den Sullanischen Exekutionen beteiligten Individuen gerichtlich verfolgt. Wenn der Quaestor Marcus Cato in seiner taeppischen Ehrlichkeit selber den Anfang damit machte, ihnen die empfangenen Mordpraemien als widerrechtlich dem Staate entfremdetes Gut wiederabzufordern (689 65), so kann es nicht befremden, dass das Jahr darauf (690 64) Gaius Caesar als Vorsitzender in dem Mordgericht die Klausel in der Sullanischen Ordnung, welche die Toetung eines Geaechteten straflos erklaerte, kurzweg als nichtig behandelte und die namhaftesten unter den Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius Bellienus, Lucius Luscius, vor seine Geschworenen stellen und zum Teil auch verurteilen liess. Endlich unterliess man nicht, die lange verfemten Namen der Helden und Maertyrer der Demokratie jetzt wieder oeffentlich zu nennen und ihre Andenken zu feiern. Wie Saturninus durch den gegen seinen Moerder gerichteten Prozess rehabilitiert ward, ist schon erzaehlt worden. Aber einen anderen Klang noch hatte der Name des Gaius Marius, bei dessen Nennung einst alle Herzen geklopft hatten; und es traf sich, dass derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den nordischen Barbaren verdankte, zugleich der Oheim des gegenwaertigen Fuehrers der Demokratie war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im Jahre 686 (68) Gaius Caesar es wagte, den Verboten zuwider bei der Beerdigung der Witwe des Marius die verehrten Zuege des Helden auf dem Markte oeffentlich zu zeigen. Aber als gar drei Jahre nachher (689 65) die Siegeszeichen, die Marius auf dem Kapitol hatte errichten und Sulla umstuerzen lassen, eines Morgens, allen unerwartet, wieder an der alten Stelle frisch in Gold und Marmor glaenzten, da draengten sich die Invaliden aus dem Afrikanischen und Kimbrischen Kriege, Traenen in den Augen, um das Bild des geliebten Feldherrn, und den jubelnden Massen gegenueber wagte der Senat nicht, an den Trophaeen sich zu vergreifen, welche dieselbe kuehne Hand den Gesetzen zum Trotz erneuert hatte. Indes all dieses Treiben und Hadern, soviel Laerm es auch machte, war politisch betrachtet von sehr untergeordneter Bedeutung. Die Oligarchie war ueberwunden, die Demokratie ans Ruder gelangt. Dass die Kleinen und Kleinsten herbeieilten, um dem am Boden liegenden Feind noch einen Fusstritt zu versetzen; dass auch die Demokraten ihren Rechtsboden und ihren Prinzipienkult hatten; dass ihre Doktrinaere nicht ruhten, bis die saemtlichen Privilegien der Gemeinde in allen Stuecken wiederhergestellt waren und dabei gelegentlich sich laecherlich machten, wie Legitimisten es pflegen - das alles war ebenso begreiflich wie gleichgueltig. Im ganzen genommen ist die Agitation ziellos und sieht man ihr die Verlegenheit der Urheber an, einen Gegenstand fuer ihre Taetigkeit zu finden, wie sie sich denn auch fast durchaus um wesentlich schon erledigte oder um Nebensachen dreht. Es konnte nicht anders sein. In dem Kampfe gegen die Aristokratie waren die Demokraten Sieger geblieben; aber sie hatten nicht allein gesiegt und die Feuerprobe stand ihnen noch bevor - die Abrechnung nicht mit dem bisherigen Feind, sondern mit dem uebermaechtigen Bundesgenossen, dem sie in dem Kampfe mit der Aristokratie wesentlich den Sieg verdankten und dem sie jetzt eine beispiellose militaerische und politische Gewalt selbst in die Haende gegeben hatten, weil sie nicht wagten, sie ihm zu verweigern. Noch war der Feldherr des Ostens und der Meere beschaeftigt, Koenige einund abzusetzen; wielange Zeit er dazu sich nehmen, wann er das Kriegsgeschaeft fuer beendet erklaeren werde, konnte keiner sagen als er selbst, da wie alles andere, so auch der Zeitpunkt seiner Rueckkehr nach Italien, das heisst der Entscheidung in seine Hand gelegt war. Die Parteien in Rom inzwischen sassen und harrten. Die Optimaten freilich sahen der Ankunft des gefuerchteten Feldherrn verhaeltnismaessig ruhig entgegen; bei dem Bruch zwischen Pompeius und der Demokratie, dessen Herannahen auch ihnen nicht entging, konnten sie nicht verlieren, sondern nur gewinnen. Dagegen die Demokraten warteten mit peinlicher Angst und suchten waehrend der durch Pompeius’ Abwesenheit noch vergoennten Frist gegen die drohende Explosion eine Kontermine zu legen. Hierin trafen sie wieder zusammen mit Crassus, dem nichts uebrig blieb, um dem beneideten und gehassten Nebenbuhler zu begegnen, als sich neu und enger als zuvor mit der Demokratie zu verbuenden. Schon bei der ersten Koalition hatten Caesar und Crassus als die beiden Schwaecheren sich besonders nahe gestanden; das gemeinschaftliche Interesse und die gemeinschaftliche Gefahr zog das Band noch fester, das den reichsten und den verschuldetsten Mann von Rom zu engster Allianz verknuepfte. Waehrend oeffentlich die Demokraten den abwesenden Feldherrn als das Haupt und den Stolz ihrer Partei bezeichneten und alle ihre Pfeile gegen die Aristokratie zu richten schienen, ward im stillen gegen Pompeius geruestet; und diese Versuche der Demokratie, sich der drohenden Militaerdiktatur zu entwinden, haben geschichtlich eine weit hoehere Bedeutung als die laermende und groesstenteils nur als Maske benutzte Agitation gegen die Nobilitaet. Freilich bewegten sie sich in einem Dunkel, in das unsere Ueberlieferung nur einzelne Streiflichter fallen laesst; denn nicht die Gegenwart allein, auch die Folgezeit hatte ihre Ursachen, einen Schleier darueber zu werfen. Indes im allgemeinen sind sowohl der Gang wie das Ziel dieser Bestrebungen vollkommen klar. Der Militaergewalt konnte nur durch eine andere Militaergewalt wirksam Schach geboten werden. Die Absicht der Demokraten war, sich nach dem Beispiel des Marius und Cinna der Zuegel der Regierung zu bemaechtigen, sodann einen ihrer Fuehrer sei es mit der Eroberung Aegyptens, sei es mit der Statthalterschaft Spaniens oder einem aehnlichen ordentlichen oder ausserordentlichen Amte zu betrauen und in ihm und seinem Heer ein Gegengewicht gegen Pompeius und dessen Armee zu finden. Dazu bedurften sie einer Revolution, die zunaechst gegen die nominelle Regierung, in der Tat gegen Pompeius ging als den designierten Monarchen; und um diese Revolution zu bewirken, war von der Erlassung der Gabinisch-Manilischen Gesetze an bis auf Pompeius’ Rueckkehr (688 - 692 66 - 62) die Verschwoerung in Rom in Permanenz ^1. Die Hauptstadt war in aengstlicher Spannung; die gedrueckte Stimmung der Kapitalisten, die Zahlungsstockungen, die haeufigen Bankrotte waren Vorboten der gaerenden Umwaelzung, die zugleich eine gaenzlich neue Stellung der Parteien herbeifuehren zu muessen schien. Der Anschlag der Demokratie, der ueber den Senat hinweg auf Pompeius zielte, legte eine Ausgleichung zwischen diesen nahe. Die Demokratie aber, indem sie der Diktatur des Pompeius die eines ihr genehmeren Mannes entgegenzustellen versuchte, erkannte genau genommen auch ihrerseits das Militaerregiment an und trieb in der Tat den Teufel aus durch Beelzebub; unter den Haenden ward ihr die Prinzipienzur Personenfrage. ----------------------------------------------------------- ^1 Wer die Gesamtlage der politischen Verhaeltnisse dieser Zeit uebersieht, wird spezieller Beweise nicht beduerfen, um zu der Einsicht zu gelangen, dass das letzte Ziel der demokratischen Machinationen 688f. (66) nicht der Sturz des Senats war, sondern der des Pompeius. Doch fehlt es auch an solchen Beweisen nicht. Dass die Gabinisch-Manilischen Gesetze der Demokratie einen toedlichen Schlag versetzten, sagt Sallust (Cat. 39); dass die Verschwoerung 688-689 (66- 65) und die Servilische Rogation speziell gegen Pompeius gerichtet waren, ist gleichfalls bezeugt (Sall. Cat. 19; Val. Max. 6, 2, 4; Cic. leg. agr. 2, 17, 46). Ueberdies zeigt Crassus’ Stellung zu der Verschwoerung allein schon hinreichend, dass sie gegen Pompeius gerichtet war. ---------------------------------------------------------- Die Einleitung zu der von den Fuehrern der Demokratie entworfenen Revolution sollte also der Sturz der bestehenden Regierung durch eine zunaechst in Rom von demokratischen Verschworenen angestiftete Insurrektion sein. Der sittliche Zustand der niedrigsten wie der hoechsten Schichten der hauptstaedtischen Gesellschaft bot hierzu den Stoff in beklagenswerter Fuelle. Wie das freie und das Sklavenproletariat der Hauptstadt beschaffen waren, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Es ward schon das bezeichnende Wort vernommen, dass nur der Arme den Armen zu vertreten faehig sei - der Gedanke regte sich also, dass die Masse der Armen so gut wie die Oligarchie der Reichen sich als selbstaendige Macht konstituieren und, statt sich tyrannisieren zu lassen, auch wohl ihrerseits den Tyrannen spielen koenne. Aber auch in den Kreisen der vornehmen Jugend fanden aehnliche Gedanken einen Widerhall. Das hauptstaedtische Modeleben zerruettete nicht bloss das Vermoegen, sondern auch die Kraft des Leibes und des Geistes. Jene elegante Welt der duftenden Haarlocken, der modischen Stutzbaerte und Manschetten, so lustig es auch darin bei Tanz und Zitherspiel und frueh und spaet beim Becher herging, barg doch in sich einen erschreckenden Abgrund sittlichen und oekonomischen Verfalls, gut oder schlecht verhehlter Verzweiflung und wahnsinniger oder buebischer Entschluesse. In diesen Kreisen ward unverhohlen geseufzt nach der Wiederkehr der cinnanischen Zeit mit ihren Aechtungen und Konfiskationen und ihrer Vernichtung der Schuldbuecher; es gab Leute genug, darunter nicht wenige von nicht gemeiner Herkunft und ungewoehnlichen Anlagen, die nur auf das Signal warteten, um wie eine Raeuberschar ueber die buergerliche Gesellschaft herzufallen und das verlotterte Vermoegen sich wieder zu erpluendern. Wo eine Bande sich bildet, fehlt es an Fuehrern nicht; auch hier fanden sich bald Maenner, die zu Raeuberhauptleuten sich eigneten. Der gewesene Praetor Lucius Catilina, der Quaestor Gnaeus Piso zeichneten unter ihren Genossen nicht bloss durch ihre vornehme Geburt und ihren hoeheren Rang sich aus. Sie hatten die Bruecke vollstaendig hinter sich abgebrochen und imponierten ihren Spiessgesellen durch ihre Ruchlosigkeit ebensosehr wie durch ihre Talente. Vor allem Catilina war einer der frevelhaftesten dieser frevelhaften Zeit. Seine Bubenstuecke gehoeren in die Kriminalakten, nicht in die Geschichte; aber schon sein Aeusseres, das bleiche Antlitz, der wilde Blick, der bald traege, bald hastige Gang verrieten seine unheimliche Vergangenheit. In hohem Grade besass er die Eigenschaften, die von dem Fuehrer einer solchen Rotte verlangt werden: die Faehigkeit, alles zu geniessen und alles zu entbehren, Mut, militaerisches Talent, Menschenkenntnis, Verbrecherenergie und jene entsetzliche Paedagogik des Lasters, die den Schwachen zu Falle zu bringen, den Gefallenen zum Verbrecher zu erziehen versteht. Aus solchen Elementen eine Verschwoerung zum Umsturz der bestehenden Ordnung zu bilden, konnte Maennern, die Geld und politischen Einfluss besassen, nicht schwerfallen. Catilina, Piso und ihresgleichen gingen bereitwillig auf jeden Plan ein, der ihnen Aechtungen und Kassation der Schuldbuecher in Aussicht stellte; jener war ueberdies noch mit der Aristokratie speziell verfeindet, weil sie sich der Bewerbung des verworfenen und gefaehrlichen Menschen um das Konsulat widersetzt hatte. Wie er einst als Scherge Sullas an der Spitze einer Keltenschar auf die Geaechteten Jagd gemacht und unter anderen seinen eigenen hochbejahrten Schwager mit eigener Hand niedergestossen hatte, so liess er jetzt sich bereitwillig dazu herbei, der Gegenpartei aehnliche Dienst zuzusagen. Ein geheimer Bund ward gestiftet. Die Zahl der in denselben aufgenommenen Individuen soll 400 ueberstiegen haben; er zaehlte Affiliierte in allen Landschaften und Stadtgemeinden Italiens; ueberdies verstand es sich von selbst, dass einer Insurrektion, die das zeitgemaesse Programm der Schuldentilgung auf ihre Fahne schrieb, aus den Reihen der liederlichen Jugend zahlreiche Rekruten ungeheissen zustroemen wuerden. Im Dezember 688 (66) - so wird erzaehlt - glaubten die Leiter des Bundes den geeigneten Anlass gefunden zu haben, um loszuschlagen. Die beiden fuer 689 (65) erwaehlten Konsuln Publius Cornelius Sulla und Publius Autronius Paetus waren vor kurzem der Wahlbestechung gerichtlich ueberwiesen und deshalb nach gesetzlicher Vorschrift ihrer Anwartschaft auf das hoechste Amt verlustig erklaert worden. Beide traten hierauf dem Bunde bei. Die Verschworenen beschlossen, ihnen das Konsulat mit Gewalt zu verschaffen und dadurch sich selbst in den Besitz der hoechsten Gewalt im Staate zu setzen. An dem Tage, wo die neuen Konsuln ihr Amt antreten wuerden, dem 1. Januar 689 (65) sollte die Kurie von Bewaffneten gestuermt, die neuen Konsuln und die sonst bezeichneten Opfer niedergemacht und Sulla und Paetus nach Kassierung des gerichtlichen Urteils, das sie ausschloss, als Konsuln proklamiert werden. Crassus sollte sodann die Diktatur, Caesar das Reiterfuehreramt uebernehmen, ohne Zweifel, um eine imposante Militaermacht auf die Beine zu bringen, waehrend Pompeius fern am Kaukasus beschaeftigt war. Hauptleute und Gemeine waren gedungen und angewiesen; Catilina wartete an dem bestimmten Tage in der Naehe des Rathauses auf das verabredete Zeichen, das auf Crassus’ Wink ihm von Caesar gegeben werden sollte. Allein er wartete vergebens; Crassus fehlte in der entscheidenden Senatssitzung, und daran scheiterte fuer diesmal die projektierte Insurrektion. Ein aehnlicher noch umfassenderer Mordplan ward dann fuer den 5. Februar verabredet; allein auch dieser ward vereitelt, da Catilina das Zeichen zu frueh gab, bevor noch die bestellten Banditen sich alle eingefunden hatten. Darueber ward das Geheimnis ruchbar. Die Regierung wagte zwar nicht, offen der Verschwoerung entgegenzutreten, aber sie gab doch den zunaechst bedrohten Konsuln Wachen bei und stellte der Bande der Verschworenen eine von der Regierung bezahlte entgegen. Um Piso zu entfernen, wurde der Antrag gestellt, ihn als Quaestor mit praetorischen Befugnissen nach dem diesseitigen Spanien zu senden; worauf Crassus einging, in der Hoffnung, durch denselben die Hilfsquellen dieser wichtigen Provinz fuer die Insurrektion zu gewinnen. Weitergehende Vorschlaege wurden durch die Tribune verhindert. Also lautet die Ueberlieferung, welche offenbar die in den Regierungskreisen umlaufende Version wiedergibt und deren Glaubwuerdigkeit im einzelnen in Ermangelung jeder Kontrolle dahingestellt bleiben muss. Was die Hauptsache anlangt, die Beteiligung von Caesar und Crassus, so kann allerdings das Zeugnis ihrer politischen Gegner nicht als ausreichender Beweis dafuer angesehen werden. Aber es passt doch ihre offenkundige Taetigkeit in dieser Epoche auffallend genau zu der geheimen, die dieser Bericht ihnen beimisst. Dass Crassus, der in diesem Jahre Zensor war, als solcher den Versuch machte, die Transpadaner in die Buergerliste einzuschreiben, war schon geradezu ein revolutionaeres Beginnen. Noch bemerkenswerter ist es, dass Crassus bei derselben Gelegenheit Anstalt machte, Aegypten und Kypros in das Verzeichnis der roemischen Domaenen einzutragen ^2 und dass Caesar um die gleiche Zeit (689 oder 690 65 oder 64) durch einige Tribune bei der Buergerschaft den Antrag stellen liess, ihn nach Aegypten zu senden, um den von den Alexandrinern vertriebenen Koenig Ptolemaeos wiedereinzusetzen. Diese Machinationen stimmen mit den von den Gegnern erhobenen Anklagen in bedenklicher Weise zusammen. Gewisses laesst sich hier nicht ermitteln; aber die grosse Wahrscheinlichkeit ist dafuer, dass Crassus und Caesar den Plan entworfen hatten, sich waehrend Pompeius’ Abwesenheit der Militaerdiktatur zu bemaechtigen; dass Aegypten zur Basis dieser demokratischen Militaermacht ausersehen war; dass endlich der Insurrektionsversuch von 689 (65) angezettelt worden ist, um diese Entwuerfe zu realisieren und Catilina und Piso also Werkzeuge in den Haenden von Crassus und Caesar gewesen sind. --------------------------------------------- ^2 Plut. Crass. 13; Cic. leg. agr. 2, 17, 44. In dies Jahr (689 65) gehoert Ciceros Rede De rege Alexandrino, die man unrichtig in das Jahr 698 (56) gesetzt hat. Cicero widerlegt darin, wie die Fragmente deutlich zeigen, Crassus’ Behauptung, dass durch das Testament des Koenigs Alexandros Aegypten roemisches Eigentum geworden sei. Diese Rechtsfrage konnte und musste im Jahre 689 (65) diskutiert werden; im Jahre 698 (56) aber war sie durch das Julische Gesetz von 695 (59) bedeutungslos geworden. Auch handelte es sich im Jahre 698 (56) gar nicht um die Frage, wem Aegypten gehoere, sondern um die Zurueckfuehrung des durch einen Aufstand vertriebenen Koenigs, und es hat bei dieser uns genau bekannten Verhandlung Crassus keine Rolle gespielt. Endlich war Cicero nach der Konferenz von Luca durchaus nicht in der Lage, gegen einen der Triumvirn ernstlich zu opponieren. ----------------------------------------------- Einen Augenblick kam die Verschwoerung ins Stocken. Die Wahlen fuer 690 (64) fanden statt, ohne dass Crassus und Caesar ihren Versuch sich des Konsulats zu bemeistern, dabei erneuert haetten; wozu mit beigetragen haben mag, dass ein Verwandter des Fuehrers der Demokratie, Lucius Caesar, ein schwacher und von seinem Geschlechtsfreund nicht selten als Werkzeug benutzter Mann, diesmal um das Konsulat sich bewarb. Indes draengten die Berichte aus Asien zur Eile. Die kleinasiatischen und armenischen Angelegenheiten waren bereits vollstaendig geordnet. So klar auch die demokratischen Strategen es bewiesen, dass der Mithradatische Krieg erst mit der Gefangennahme des Koenigs als beendigt gelten koenne und dass es deshalb notwendig sei, die Hetzjagd um das Schwarze Meer herum zu beginnen, vor allen Dingen aber von Syrien fernzubleiben - Pompeius war, unbekuemmert um solches Geschwaetz, im Fruehjahr 690 (64) aus Armenien aufgebrochen und nach Syrien marschiert. Wenn Aegypten wirklich zum Hauptquartier der Demokratie ausersehen war, so war keine Zeit zu verlieren; leicht konnte sonst Pompeius eher als Caesar in Aegypten stehen. Die Verschwoerung von 688 (66) durch die schlaffen und aengstlichen Repressivmassregeln keineswegs gesprengt, regte sich wieder, als die Konsulwahlen fuer 691 (63) herankamen. Die Personen waren vermutlich wesentlich dieselben und auch der Plan nur wenig veraendert. Die Leiter der Bewegung hielten wieder sich im Hintergrund. Als Bewerber um das Konsulat hatten sie diesmal aufgestellt: Catilina selbst und Gaius Antonius, den juengeren Sohn des Redners, einen Bruder des von Kreta her uebel berufenen Feldherrn. Catilinas war man sicher; Antonius, urspruenglich Sullaner wie Catilina und wie dieser vor einigen Jahren von der demokratischen Partei deshalb vor Gericht gestellt und aus dem Senat ausgestossen, uebrigens ein schlaffer, unbedeutender, in keiner Hinsicht zum Fuehrer berufener, vollstaendig bankrotter Mann, gab um den Preis des Konsulats und der daran geknuepften Vorteile sich den Demokraten willig zum Werkzeug hin. Durch diese Konsuln beabsichtigten die Haeupter der Verschwoerung, sich des Regiments zu bemaechtigen, die in der Hauptstadt zurueckgebliebenen Kinder des Pompeius als Geiseln festzunehmen und in Italien und den Provinzen gegen Pompeius zu ruesten. Auf die erste Nachricht von dem in der Hauptstadt gefallenen Schlage sollte der Statthalter Gnaeus Piso im diesseitigen Spanien die Fahne der Insurrektion aufstecken. Die Kommunikation mit ihm konnte auf dem Seeweg nicht stattfinden, da Pompeius das Meer beherrschte; man zaehlte dafuer auf die Transpadaner, die alten Klienten der Demokratie, unter denen es gewaltig gaerte und die natuerlich sofort das Buergerrecht erhalten haben wuerden, ferner auf verschiedene keltische Staemme ^3. Bis nach Mauretanien hin liefen die Faeden dieser Verbindung. Einer der Mitverschworenen, der roemische Grosshaendler Publius Sittius aus Nuceria, durch finanzielle Verwicklungen gezwungen, Italien zu meiden, hatte daselbst und in Spanien einen Trupp verzweifelter Leute bewaffnet und zog mit diesen als Freischarenfuehrer im westlichen Afrika herum, wo er alte Handelsverbindungen hatte. ------------------------------------------------- ^3 Die Ambrani (Suet. Caes. 9) sind wohl nicht die mit den Kimbern zusammen genannten Ambronen (Plot. Mar. 19), sondern verschrieben fuer Arverni. ------------------------------------------------- Die Partei strengte alle ihre Kraefte fuer den Wahlkampf an. Crassus und Caesar setzten ihr Geld - eigenes oder geborgtes -und ihre Verbindungen ein, um Catilina und Antonius das Konsulat zu verschaffen; Catilinas Genossen spannten jeden Nerv an, um den Mann an das Ruder zu bringen, der ihnen die Aemter und Priestertuemer, die Palaeste und Landgueter ihrer Gegner und vor allen Dingen Befreiung von ihren Schulden verhiess und von dem man wusste, dass er Wort halten werde. Die Aristokratie war in grosser Not, hauptsaechlich weil sie nicht einmal Gegenkandidaten aufzustellen vermochte. Dass ein solcher seinen Kopf wagte, war offenbar; und die Zeiten waren nicht mehr, wo der Posten der Gefahr den Buerger lockte - jetzt schwieg selbst der Ehrgeiz vor der Angst. So begnuegte sich die Nobilitaet, einen schwaechlichen Versuch zu machen, den Wahlumtrieben durch Erlassung eines neuen Gesetzes ueber den Stimmenkauf zu steuern -was uebrigens an der Interzession eines Volkstribunen scheiterte - und ihre Stimmen auf einen Bewerber zu werfen, der ihr zwar auch nicht genehm, aber doch wenigstens unschaedlich war. Es war dies Marcus Cicero, notorisch ein politischer Achseltraeger ^4, gewohnt bald mit den Demokraten, bald mit Pompeius, bald aus etwas weiterer Ferne mit der Aristokratie zu liebaeugeln und jedem einflussreichen Beklagten ohne Unterschied der Person oder Partei - auch Catilina zaehlte er unter seinen Klienten - Advokatendienste zu leisten, eigentlich von keiner Partei oder, was ziemlich dasselbe ist, von der Partei der materiellen Interessen, die in den Griechen dominierte und den beredten Sachwalter, den hoeflichen und witzigen Gesellschafter gern hatte. Er hatte Verbindungen genug in der Hauptstadt und den Landstaedten, um neben den vor der Demokratie aufgestellten Kandidaten eine Chance zu haben; und da auch die Nobilitaet, obwohl nicht gern, und die Pompeianer fuer ihn stimmten, ward er mit grosser Majoritaet gewaehlt. Die beiden Kandidaten der Demokratie erhielten fast gleich viele Stimmen, jedoch fielen auf Antonius, dessen Familie angesehener war als die seines Konkurrenten, einige mehr. Dieser Zufall vereitelte die Wahl Catilinas und rettete Rom vor einem zweiten Cinna. Schon etwas frueher war Piso, es hiess auf Anstiften seines politischen und persoenlichen Feindes Pompeius, in Spanien von seiner einheimischen Eskorte niedergemacht worden ^5. Mit dem Konsul Antonius allein war nichts anzufangen; Cicero sprengte das lockere Band, das ihn an die Verschwoerung knuepfte, noch ehe sie beide ihre Aemter antraten, indem er auf die von Rechts wegen ihm zustehende Losung um die Konsularprovinzen Verzicht leistete und dem tief verschuldeten Kollegen die eintraegliche Statthalterschaft Makedonien ueberliess. Die wesentlichen Vorbedingungen auch dieses Anschlags waren also gefallen. ------------------------------------------------------------- ^4 Naiver kann dies nicht ausgesprochen werden, als es in der seinem Bruder untergeschobenen Denkschrift geschieht (pet. 1, 5; 13, 51 53 vom Jahre 690 64); der Bruder selbst wuerde schwerlich sich so offenherzig oeffentlich geaeussert haben. Als authentisches Belegstueck dazu werden unbefangene Leute nicht ohne Interesse die zweite Rede gegen Rullus lesen, wo der "erste demokratische Konsul", in sehr ergoetzlicher Weise das liebe Publikum nasfuehrend, ihm die "richtige Demokratie" entwickelt. ^5 Seine noch vorhandene Grabschrift lautet: Cn. Calpurnius Cn, f. Piso quaestor pro pr. ex s. c. provinciam Hispaniam citeriorem optinuit. ------------------------------------------------------------- Inzwischen entwickelten die orientalischen Verhaeltnisse sich immer bedrohlicher fuer die Demokratie. Die Ordnung Syriens schritt rasch vorwaerts; schon waren von Aegypten Aufforderungen an Pompeius ergangen, daselbst einzuruecken und das Land fuer Rom einzuziehen; man musste fuerchten, demnaechst zu vernehmen, dass Pompeius selbst das Niltal in Besitz genommen habe. Eben hierdurch mag Caesars Versuch, sich geradezu vom Volke nach Aegypten senden zu lassen, um dem Koenige gegen seine aufruehrerischen Untertanen Beistand zu leisten, hervorgerufen worden sein; er scheiterte, wie es scheint, an der Abneigung der Grossen und Kleinen, irgend etwas gegen Pompeius’ Interesse zu unternehmen. Pompeius’ Heimkehr und damit die wahrscheinliche Katastrophe rueckten immer naeher; wie oft auch die Sehne gerissen war, es musste doch wieder versucht werden, denselben Boten zu spannen. Die Stadt war in dumpfer Gaerung: haeufige Konferenzen der Haeupter der Bewegung deuteten an, dass wieder etwas im Werke sei. Was das sei, ward offenbar, als die neuen Volkstribune ihr Amt antraten (10. Dezember 690 64) und sogleich einer von ihnen, Publius Servillius Rullus, ein Ackergesetz beantragte, das den Fuehrern der Demokraten eine aehnliche Stellung verschaffen sollte, wie sie infolge der Gabinisch- Manilischen Antraege Pompeius einnahm. Der nominelle Zweck war die Gruendung von Kolonien in Italien, wozu der Boden indes nicht durch Expropriation gewonnen werden sollte - vielmehr wurden alle bestehenden Privatrechte garantiert, ja sogar die widerrechtlichen Okkupationen der juengsten Zeit in volles Eigentum umgewandelt. Nur die verpachtete kampanische Domaene sollte parzelliert und kolonisiert werden, im uebrigen die Regierung das zur Assignation bestimmte Land durch gewoehnlichen Kauf erwerben. Um die hierzu noetigen Summen zu beschaffen, sollte das uebrige italische und vor allem alles ausseritalische Domanialland sukzessiv zum Verkauf gebracht werden; worunter namentlich die ehemaligen koeniglichen Tafelgueter in Makedonien, dem Thrakischen Chersones, Bithynien, Pontus, Kyrene, ferner die Gebiete der nach Kriegsrecht zu vollem Eigen gewonnenen Staedte in Spanien, Afrika, Sizilien, Hellas, Kilikien verstanden waren. Verkauft werden sollte ingleichen alles, was der Staat an beweglichen und unbeweglichem Gut seit dem Jahre 666 (88) erworben und worueber er nicht frueher verfuegt hatte; was hauptsaechlich auf Aegypten und Kypros zielte. Zu dem gleichen Zweck wurden alle untertaenigen Gemeinden mit Ausnahme der Staedte latinischen Rechts und der sonstigen Freistaedte mit sehr hoch gegriffenen Gefaellen und Zehnten belastet. Ebenfalls ward endlich fuer jene Ankaeufe bestimmt der Ertrag der neuen Provinzialgefaelle, anzurechnen vom Jahre 692 (62) und der Erloes aus der saemtlichen, noch nicht gesetzmaessig verwandten Beute; welche Anordnungen auf die neuen, von Pompeius im Osten eroeffneten Steuerquellen und auf die in den Haenden des Pompeius und der Erben Sullas befindlichen oeffentlichen Gelder sich bezog. Zur Ausfuehrung dieser Massregel sollten Zehnmaenner mit eigener Jurisdiktion und eigenem Imperium ernannt werden, welche fuenf Jahre im Amte zu bleiben und mit 200 Unterbeamten aus dem Ritterstand sich zu umgeben hatten; bei der Wahl der Zehnmaenner aber sollten nur die Kandidaten, die persoenlich sich melden wuerden, beruecksichtigt werden duerfen und, aehnlich wie bei den Priesterwahlen, nur siebzehn durch Los aus den fuenfunddreissig zu bestimmende Bezirke waehlen. Es war ohne grossen Scharfsinn zu erkennen, dass man in diesem Zehnmaennerkollegium eine der des Pompeius nachgebildete, nur etwas weniger militaerisch und mehr demokratisch gefaerbte Gewalt zu schaffen beabsichtigte. Man bedurfte der Gerichtsbarkeit namentlich, um die aegyptische Frage zu entscheiden, der Militaergewalt, um gegen Pompeius zu ruesten; die Klausel, welche die Wahl eines Abwesenden untersagte, schloss Pompeius aus, und die Verminderung der stimmberechtigten Bezirke sowie die Manipulation des Auslosens sollten die Lenkung der Wahl im Sinne der Demokratie erleichtern. Indes dieser Versuch verfehlte gaenzlich sein Ziel. Die Menge, die es bequemer fand, das Getreide im Schatten der roemischen Hallen aus den oeffentlichen Magazinen sich zumessen zu lassen, als es im Schweisse des Angesichts selber zu bauen, nahm den Antrag an sich schon mit vollkommener Gleichgueltigkeit auf. Sie fuehlte auch bald heraus, dass Pompeius einen solchen, in jeder Hinsicht ihn verletzenden Beschluss sich nimmermehr gefallen lassen werde und dass es nicht gut stehen koenne mit einer Partei, die in ihrer peinlichen Angst sich zu so ausschweifenden Anerbietungen herbeilasse. Unter solchen Umstaenden fiel es der Regierung nicht schwer, den Antrag zu vereiteln; der neue Konsul Cicero nahm die Gelegenheit wahr, sein Talent, offene Tueren einzulaufen, auch hier geltend zu machen; noch ehe die bereitstehenden Tribune interzedierten, zog der Urheber selbst den Vorschlag zurueck (1. Januar 691 62). Die Demokratie hatte nichts gewonnen als die unerfreuliche Belehrung, dass die grosse Menge in Liebe oder in Furcht fortwaehrend noch zu Pompeius hielt und dass jeder Antrag sicher fiel, den das Publikum als gegen Pompeius gerichtet erkannte. Ermuedet von all diesem vergeblichen Wuehlen und resultatlosem Planen, beschloss Catilina, die Sache zur Entscheidung zu treiben und ein fuer allemal ein Ende zu machen. Er traf im Laufe des Sommers seine Massregeln, um den Buergerkrieg zu eroeffnen. Faesulae (Fiesole), eine sehr feste Stadt in dem von Verarmten und Verschworenen wimmelnden Etrurien und fuenfzehn Jahre zuvor der Herd des Lepidianischen Aufstandes, ward wiederum zum Hauptquartier der Insurrektion ausersehen. Dorthin gingen die Geldsendungen, wozu namentlich die in die Verschwoerung verwickelten vornehmen Damen der Hauptstadt die Mittel hergaben; dort wurden Waffen und Soldaten gesammelt; ein alter sullanischer Hauptmann, Gaius Manlius, so tapfer und so frei von Gewissensskrupeln wie nur je ein Lanzknecht, uebernahm daselbst vorlaeufig den Oberbefehl. Aehnliche wenn auch minder ausgedehnte Zuruestungen wurden an andern Punkten Italiens gemacht. Die Transpadaner waren so aufgeregt, dass sie nur auf das Zeichen zum Losschlagen zu warten schienen. Im bruttischen Lande, an der Ostkueste Italiens, in Capua, wo ueberall grosse Sklavenmassen angehaeuft waren, schien eine zweite Sklaveninsurrektion, gleich der des Spartacus, im Entstehen. Auch in der Hauptstadt bereitete etwas sich vor; wer die trotzige Haltung sah, in der die vorgeforderten Schuldner vor dem Stadtpraetor erschienen, musste der Szenen gedenken, die der Ermordung des Asellio vorangegangen waren. Die Kapitalisten schwebten in namenloser Angst; es zeigte sich noetig, das Verbot der Goldund Silberausfuhr einzuschaerfen und die Haupthaefen ueberwachen zu lassen. Der Plan der Verschworenen war, bei der Konsulwahl fuer 692 (62) zu der Catilina sich wieder gemeldet hatte, den wahlleitenden Konsul sowie die unbequemen Mitbewerber kurzweg niederzumachen und Catilinas Wahl um jeden Preis durchzusetzen, noetigenfalls selbst bewaffnete Scharen von Faesulae und den anderen Sammelpunkten gegen die Hauptstadt zu fuehren und mit ihnen den Widerstand zu brechen. Cicero, bestaendig durch seine Agenten und Agentinnen von den Verhandlungen der Verschworenen rasch und vollstaendig unterrichtet, denunzierte an dem anberaumten Wahltag (20. Oktober) die Verschwoerung in vollem Senat und im Beisein ihrer hauptsaechlichsten Fuehrer. Catilina liess sich nicht dazu herab zu leugnen; er antwortete trotzig, wenn die Wahl zum Konsul auf ihn fallen sollte, so werde es allerdings der grossen hauptlosen Partei gegen die kleine, von elenden Haeuptern geleitete an einem Fuehrer nicht laenger fehlen. Indes da handgreifliche Beweise des Komplotts nicht vorlagen, war von dem aengstlichen Senat nichts weiter zu erreichen, als dass er in der ueblichen Weise den von den Beamten zweckmaessig befundenen Ausnahmemassregeln im voraus seine Sanktion erteilte (21. Oktober). So nahte die Wahlschlacht, diesmal mehr eine Schlacht als eine Wahl; denn auch Cicero hatte aus den juengeren Maennern namentlich des Kaufmannsstandes sich eine bewaffnete Leibwache gebildet; und seine Bewaffneten waren es, die am 28. Oktober, auf welchen Tag die Wahl vom Senat verschoben worden war, das Marsfeld bedeckten und beherrschten. Den Verschworenen gelang es weder, den wahlleitenden Konsul niederzumachen noch die Wahlen in ihrem Sinne zu entscheiden. Inzwischen aber hatte der Buergerkrieg begonnen. Am 27. Oktober hatte Gaius Manlius bei Faesulae den Adler aufgepflanzt, um den die Armee der Insurrektion sich scharen sollte - es war einer der Marianischen aus dem Kimbrischen Kriege - , und die Raeuber aus den Bergen wie das Landvolk aufgerufen, sich ihm anzuschliessen. Seine Proklamationen forderten, anknuepfend an die alten Traditionen der Volkspartei, Befreiung von der erdrueckendem Schuldenlast und Milderung des Schuldprozesses, der, wenn der Schuldbestand in der Tat das Vermoegen ueberstieg, allerdings immer noch rechtlich den Verlust der Freiheit fuer den Schuldner nach sich zog. Es schien, als wolle das hauptstaedtische Gesindel, indem es gleichsam als legitimer Nachfolger der alten plebejischen Bauernschaft auftrat und unter den ruhmvollen Adlern des Kimbrischen Krieges seine Schlachten schlug, nicht bloss die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit Roms beschmutzen. Indes blieb diese Schilderhebung vereinzelt; in den anderen Sammelpunkten kam die Verschwoerung nicht hinaus ueber Waffenaufhaeufung und Veranstaltung geheimer Zusammenkuenfte, da es ueberall an entschlossenen Fuehrern gebrach. Es war ein Glueck fuer die Regierung; denn wie offen auch seit laengerer Zeit der bevorstehende Buergerkrieg angekuendigt war, hatten doch die eigene Unentschlossenheit und die Schwerfaelligkeit der verrosteten Verwaltungsmaschinerie ihr nicht gestattet, irgendwelche militaerische Vorbereitungen zu treffen. Erst jetzt ward der Landsturm aufgerufen und wurden in die einzelnen Landschaften Italiens hoehere Offiziere kommandiert, um jeder in seinem Bezirk die Insurrektion zu unterdruecken, zugleich aus der Hauptstadt die Fechtersklaven ausgewiesen und wegen der befuerchteten Brandstiftungen Patrouillen angeordnet. Catilina war in einer peinlichen Lage. Nach seiner Absicht hatte bei den Konsularwahlen gleichzeitig in der Hauptstadt und in Etrurien Iosgeschlagen werden sollen; das Scheitern der ersteren und das Ausbrechen der zweiten Bewegung gefaehrdete ihn persoenlich wie den ganzen Erfolg seines Unternehmens. Nachdem einmal die Seinigen bei Faesulae die Waffen gegen die Regierung erhaben hatten, war in Rom seines Bleibens nicht mehr; und dennoch lag ihm nicht bloss alles daran, die hauptstaedtische Verschwoerung jetzt wenigstens zum raschen Losschlagen zu bestimmen, sondern wusste dies auch geschehen sein, bevor er Rom verliess - denn er kannte seine Gehilfen zu gut, um sich dafuer auf sie zu verlassen. Die angesehenen unter den Mitverschworenen, Publius Lentulus Sura, Konsul 683 (71), spaeter aus dem Senat gestossen und jetzt, um in den Senat zurueckzugelangen, wieder Praetor, und die beiden gewesenen Praetoren Publius Autronius und Lucius Cassius waren unfaehige Menschen, Lentulus ein gewoehnlicher Aristokrat von grossen Warten und grossen Anspruechen, aber langsam im Begreifen und unentschlossen im Handeln, Autronius durch nichts ausgezeichnet als durch seine gewaltige Kreischstimme; von Lucius Cassius gar begriff es niemand, wie ein so dicker und so einfaeltiger Mensch unter die Verschwoerer geraten sei. Die faehigeren Teilnehmer aber, wie den jungen Senator Gaius Cethegus und die Ritter Lucius Statilius und Publius Gabinius Capito, durfte Catilina nicht wagen, an die Spitze zu stellen, da selbst unter den Verschworenen noch die traditionelle Standeshierarchie ihren Platz behauptete und auch die Anarchisten nicht meinten, obsiegen zu koennen, wenn nicht ein Konsular oder mindestens ein Praetorier an der Spitze stand. Wie dringend darum immer die Insurrektionsarmee nach ihrem Feldherrn verlangte und wie misslich es fuer diesen war, nach dem Ausbruch des Aufstandes laenger am Sitze der Regierung zu verweilen, entschloss Catilina sich dennoch, vorlaeufig noch in Rom zu bleiben. Gewohnt, durch seinen kecken Uebermut den feigen Gegnern zu imponieren, zeigte er sich oeffentlich auf dem Markte wie im Rathaus und antwortete auf die Drohungen, die dort gegen ihn fielen, dass man sich hueten moege, ihn aufs aeusserste zu treiben; wem man das Haus anzuende, der werde genoetigt, den Brand unter Truemmern zu loeschen. In der Tat wagten es weder Private noch Behoerden, auf den gefaehrlichen Menschen die Hand zulegen; es war ziemlich gleichgueltig, dass ein junger Adliger ihn wegen Vergewaltigung vor Gericht zog, denn bevor der Prozess zu Ende kommen konnte, musste laengst anderweitig entschieden sein. Aber auch Catilinas Entwuerfe scheiterten, hauptsaechlich daran, dass die Agenten der Regierung sich in den Kreis der Verschworenen gedraengt hatten und dieselbe stets von allem Detail des Kornplatts genau unterrichtet hielten. Als zum Beispiel die Verschworenen vor dem festen Praeneste erschienen (1. November), das sie durch einen Handstreich zu ueberrumpeln gehofft hatten, fanden sie die Bewohner gewarnt und geruestet; und in aehnlicher Weise schlug alles fehl. Catilina fand bei all seiner Tollkuehnheit es doch geraten, jetzt seine Abreise auf einen der naechsten Tage festzusetzen; vorher aber wurde noch auf seine dringende Mahnung in einer letzten Zusammenkunft der Verschworenen in der Nacht vom 6. auf den 7. November beschlossen, den Konsul Cicero, der die Kontermine hauptsaechlich leitete, noch vor der Abreise des Fuehrers zu ermorden und, um jedem Verrat zuvorzukommen, diesen Beschluss augenblicklich ins Werk zu setzen. Frueh am Morgen des 7. November pochten denn auch die erkorenen Moerder an dem Hause des Konsuls; aber sie sahen die Wachen verstaerkt und sich selber abgewiesen - auch diesmal hatten die Spione der Regierung den Verschworenen den Rang abgelaufen. Am Tage darauf (8. November) berief Cicero den Senat. Noch jetzt wagte es Catilina zu erscheinen und gegen die zornigen Angriffe des Konsuls, der ihm ins Gesicht die Vorgaenge der letzten Tage enthuellte, eine Verteidigung zu versuchen, aber man hoerte nicht mehr auf ihn und in der Naehe des Platzes, auf dem er sass, leerten sich die Baenke. Er verliess die Sitzung und begab sich, wie er uebrigens auch ohne diesen Zwischenfall ohne Zweifel getan haben wuerde, der Verabredung gemaess nach Etrurien. Hier rief er sich selber zum Konsul aus und nahm eine zuwartende Stellung, um auf die erste Meldung von dem Ausbruch einer Insurrektion in der Hauptstadt die Truppen gegen dieselbe in Bewegung zu setzen. Die Regierung erklaerte die beiden Fuehrer Catilina und Manlius sowie diejenigen ihrer Genossen, die nicht bis zu einem bestimmten Tag die Waffen niedergelegt haben wuerden, in die Acht und rief neue Milizen ein; aber an die Spitze des gegen Catilina Gestimmten Heeres ward der Konsul Gaius Antonius gestellt, der notorisch in die Verschwoerung verwickelt war und bei dessen Charakter es durchaus vom Zufall abhing, ob er seine Truppen gegen Catilina oder ihm zufuehren werde. Man schien es geradezu darauf angelegt zu haben, aus diesem Antonius einen zweiten Lepidus zu machen. Ebensowenig ward eingeschritten gegen die in der Hauptstadt zurueckgebliebenen Leiter der Verschwoerung, obwohl jedermann mit Fingern auf sie wies und die Insurrektion in der Hauptstadt von den Verschworenen nichts weniger als aufgegeben, vielmehr der Plan derselben noch von Catilina selbst vor seinem Abgang von Rom festgelegt worden war. Ein Tribun sollte durch Berufung einer Volksversammlung das Zeichen geben, die Nacht darauf Cethegus den Konsul Cicero aus dem Wege raeumen, Gabinius und Statilius die Stadt an zwoelf Stellen zugleich in Brand stecken und mit dem inzwischen herangezogenen Heere Catilinas die Verbindung in moeglichster Geschwindigkeit hergestellt werden. Haetten Cethegus’ dringende Vorstellungen gefruchtet und Lentulus, der nach Catilinas Abreise an die Spitze der Verschworenen gestellt war, sich zu raschem Losschlagen entschlossen, so konnte die Verschwoerung auch jetzt noch gelingen. Allein die Konspiratoren waren gerade ebenso unfaehig und ebenso feig wie ihre Gegner; Wochen verflossen und es kam zu keiner Entscheidung. Endlich fuehrte die Kontermine sie herbei. In seiner weitlaeufigen und gern die Saeumigkeit in dem Naechsten und Notwendigen durch die Entwerfung fernliegender und weitsichtiger Plaene bedeckenden Art hatte Lentulus sich mit den eben in Rom anwesenden Deputierten eines Keltengaus, der Allobrogen, eingelassen und diese, die Vertreter eines gruendlich zerruetteten Gemeinwesens und selber tief verschuldet, versucht in die Verschwoerung zu verwickeln, auch ihnen bei ihrer Abreise Boten und Briefe an die Vertrauten mitgegeben. Die Allobrogen verliessen Rom, wurden aber in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember hart an den Toren von den roemischen Behoerden angehalten und ihre Papiere ihnen abgenommen. Es zeigte sich, dass die allobrogischen Abgeordneten sich zu Spionen der roemischen Regierung hergegeben und die Verhandlungen nur deshalb gefuehrt hatten, um dieser die gewuenschten Beweisstuecke gegen die Hauptleiter der Verschwoerung in die Haende zu spielen. Am Morgen darauf wurden von Cicero in moeglichster Stille Verhaftsbefehle gegen die gefaehrlichsten Fuehrer des Komplotts erlassen und gegen Lentulus, Cethegus, Gabinius und Statilius auch vollzogen, waehrend einige andere durch die Flucht der Festnehmung entgingen. Die Schuld der Ergriffenen wie der Fluechtigen war vollkommen evident. Unmittelbar nach der Verhaftung wurden dem Senat die weggenommenen Briefschaften vorgelegt, zu deren Siegel und Handschrift die Verhafteten nicht umhin konnten, sich zu bekennen, und die Gefangenen und Zeugen verhoert; weitere bestaetigende Tatsachen, Waffenniederlagen in den Haeusern der Verschworenen, drohende Aeusserungen, die sie getan, ergaben sich alsbald; der Tatbestand der Verschwoerung war vollstaendig und rechtskraeftig festgestellt und die wichtigsten Aktenstuecke sogleich auf Ciceros Veranstaltung durch fliegende Blaetter publiziert. Die Erbitterung gegen die anarchistische Verschwoerung war allgemein. Gern haette die oligarchische Partei die Enthuellungen benutzt, um mit der Demokratie ueberhaupt und namentlich mit Caesar abzurechnen, allein sie war viel zu gruendlich gesprengt, um dies durchsetzen und ihm das Ende bereiten zu koennen, das sie vor Zeiten den beiden Gracchen und dem Saturninus bereitet hatte; in dieser Hinsicht blieb es bei dem guten Willen. Die hauptstaedtische Menge empoerten namentlich die Brandstiftungsplaene der Verschworenen. Die Kaufmannschaft und die ganze Partei der materiellen Interessen erkannte in diesem Krieg der Schuldner gegen die. Glaeubiger natuerlich einen Kampf um ihre Existenz; in stuermischer Aufregung draengte sich ihre Jugend, die Schwerter in den Haenden, um das Rathaus und zueckte dieselben gegen die offenen und heimlichen Parteigenossen Catilinas. In der Tat war fuer den Augenblick die Verschwoerung paralysiert; wenn auch vielleicht ihre letzten Urheber noch auf freien Fuessen waren, so war doch der ganze mit der Ausfuehrung beauftragte Stab der Verschwoerung entweder gefangen oder auf der Flucht; der bei Faesulae versammelte Haufen konnte ohne Unterstuetzung durch eine Insurrektion in der Hauptstadt unmoeglich viel ausrichten. In einem leidlich geordneten Gemeinwesen waere die Sache hiermit politisch zu Ende gewesen und haetten das Militaer und die Gerichte das weitere uebernommen. Allein in Rom war es so weit gekommen, dass die Regierung nicht einmal ein paar angesehene Adlige in sicherem Gewahrsam zu halten imstande war. Die Sklaven und Freigelassenen des Lentulus und der uebrigen Verhafteten regten sich; Plaene, hiess es, seien geschmiedet, um sie mit Gewalt aus den Privathaeusern, in denen sie gefangen sassen, zu befreien; es fehlte, dank dem anarchischen Treiben der letzten Jahre, in Rom nicht an Bandenfuehrern, die nach einer gewissen Taxe Auflaeufe und Gewalttaten in Akkord nahmen; Catilina endlich war von dem Ereignis benachrichtigt und nahe genug, um mit seinen Scharen einer. dreisten Streich zu versuchen. Wieviel an diesen Reden Wahres war, laesst sich nicht sagen; die Besorgnisse aber waren gegruendet, da der Verfassung gemaess in der Hauptstadt der Regierung weder Truppen noch auch nur eine achtunggebietende Polizeimacht zu Gebote stand und sie in der Tat jedem Banditenhaufen preisgegeben war. Der Gedanke ward laut, eile etwaigen Befreiungsversuche durch sofortige Hinrichtung der Gefangenen abzuschneiden. Verfassungmaessig war dies nicht moeglich. Nach dem altgeheiligten Provokationsrecht konnte ueber den Gemeindebuerger ein Todesurteil nur von der gesamten Buergerschaft und sonst von keiner andren Behoerde verhaengt werden; seit die Buergerschaftsgerichte selbst zur Antiquitaet geworden waren, ward ueberhaupt nicht mehr auf den Tod erkannt. Gern haette Cicero das bedenkliche Ansinnen zurueckgewiesen; so gleichgueltig auch an sich die Rechtsfrage dem Advokaten sein mochte, er wusste wohl, wie nuetzlich es ebendiesem ist, liberal zu heissen, und verspuerte wenig Lust, durch dies vergossene Blut sich auf ewig von der demokratischen Partei zu scheiden. Indes seine Umgebung, namentlich seine vornehme Gemahlin draengten ihn, seine Verdienste um das Vaterland durch diesen kuehnen Schritt zu kroenen; der Konsul, wie alle Feigen aengstlich bemueht, den Schein der Feigheit zu vermeiden und doch auch vor der furchtbaren Verantwortung zitternd, berief in seiner Not den Senat und ueberliess es diesem, ueber Leben und Tod der vier Gefangenen zu entscheiden. Freilich hatte dies keinen Sinn; denn da der Senat verfassungmaessig noch viel weniger hierueber erkennen konnte als der Konsul, so fiel rechtlich doch immer alle Verantwortung auf den letzteren zurueck; aber wann ist je die Feigheit konsequent gewesen? Caesar bot alles auf, um die Gefangenen zu retten, und seine Rede voll versteckter Drohungen vor der kuenftigen unausbleiblichen Rache der Demokratie machte den tiefsten Eindruck. Obwohl bereits saemtliche Konsulare und die grosse Majoritaet des Senats sich fuer die Hinrichtung ausgesprochen hatten, schienen doch nun wieder die meisten, Cicero voran, sich zur Enthaltung der rechtlichen Schranken zu neigen. Allein indem Cato nach Rabulistenart die Verfechter der milderen Meinung der Mitwisserschaft an dem Komplott verdaechtigte und auf die Vorbereitungen zur Befreiung der Gefangenen durch einen Strassenaufstand hinwies, wusste er die schwankenden Seelen wieder in eine andere Furcht zu werfen und fuer die sofortige Hinrichtung der Verbrecher die Majoritaet zu gewinnen. Die Vollziehung des Beschlusses lag natuerlich dem Konsul ob, der ihn hervorgerufen hatte. Spaet am Abend des fuenften Dezembers wurden die Verhafteten aus ihren bisherigen Quartieren abgeholt und ueber den immer noch dicht von Menschen vollgedraengten Marktplatz in das Gefaengnis gebracht, worin die zum Tode verurteilten Verbrecher aufbewahrt zu werden pflegten. Es war ein unterirdisches, zwoelf Fuss tiefes Gewoelbe am Fuss des Kapitols, das ehemals als Brunnenhaus gedient hatte. Der Konsul selbst fuehrte den Lentulus, Praetoren die uebrigen, alle von starken Wachen begleitet; doch fand der Befreiungsversuch, den man erwartete, nicht statt. Niemand wusste, ob die Verhafteten in ein gesichertes Gewahrsam oder zur Richtstaette gefuehrt wurden. An der Tuere des Kerkers wurden sie den Dreimaennern uebergeben, die die Hinrichtungen leiteten, und in dem unterirdischen Gewoelbe bei Fackelschein erdrosselt. Vor der Tuere hatte, bis die Exekutionen vollzogen waren, der Konsul gewartet und rief darauf ueber den Markt hin mit seiner lauten wohlbekannten Stimme der stumm harrenden Menge die Worte zu: "Sie sind tot!" Bis tief in die Nacht hinein wogten die Haufen durch die Strassen und begruessten jubelnd den Konsul, dem sie meinten, die Sicherung ihrer Haeuser und ihrer Habe schuldig geworden zu sein. Der Rat ordnete oeffentliche Dankfeste an und die ersten Maenner der Nobilitaet, Marcus Cato und Quintus Catulus, begruessten den Urheber des Todesurteils mit dem - hier zuerst vernommenen - Namen eines Vaters des Vaterlandes. Aber es war eine grauenvolle Tat und nur um so grauenvoller, weil sie einem ganzen Volke als gross und preisenswert erschien. Elender hat sich wohl nie ein Gemeinwesen bankrott erklaert, als Rom durch diesen, mit kaltem Blute von der Majoritaet der Regierung gefassten, von der oeffentlichen Meinung gebilligten Beschluss, einige politische Gefangene, die nach den Gesetzen zwar strafbar waren, aber das Leben nicht verwirkt hatten, eiligst umzubringen, weil man der Sicherheit der Gefaengnisse nicht traute und es keine ausreichende Polizei gab! Es war der humoristische Zug, der selten einer geschichtlichen Tragoedie fehlt, dass dieser Akt der brutalsten Tyrannei von dem haltungslosesten und aengstlichsten aller roemischen Staatsmaenner vollzogen werden musste und dass der "erste demokratische Konsul" dazu ausersehen war, das Palladium der alten roemischen Gemeindefreiheit, das Provokationsrecht, zu zerstoeren. Nachdem in der Hauptstadt die Verschwoerung erstickt worden war noch bevor sie zum Ausbruch kam, blieb es noch uebrig, der Insurrektion in Etrurien ein Ende zu machen. Der Heerbestand von etwa 2000 Mann, den Catilina vorfand, hatte sich durch die zahlreich herbeistroemenden Rekruten nahezu verfuenffacht und bildete schon zwei ziemlich vollzaehlige Legionen, worin freilich nur etwa der vierte Teil der Mannschaft genuegend bewaffnet war. Catilina hatte sich mit ihnen in die Berge geworfen und ein Schlacht mit den Truppen des Antonius vermieden, um die Organisierung seiner Scharen zu vollenden und den Ausbruch des Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht von dem Scheitern desselben sprengte auch die Armee der Insurgenten: die Masse der minder Kompromittierten ging daraufhin wieder nach Hause. Der zurueckbleibende Rest entschlossener oder vielmehr verzweifelter Leute machte einen Versuch, sich durch die Apenninenpaesse nach Gallien durchzuschlagen; aber als die kleine Schar an dem Fuss des Gebirges bei Pistoria (Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei Heeren in die Mitte genommen. Vor sich hatte sie das Korps des Quintus Metellus, das von Ravenna und Ariminum herangezogen war, um den noerdlichen Abhang des Apennin zu besetzen; hinter sich die Armee des Antonius, der dem Draengen seiner Offiziere endlich nachgegeben und sich zu einem Winterfeldzuge verstanden hatte. Catilina war nach beiden Seiten hin eingekeilt und die Lebensmittel gingen zu Ende; es blieb nichts uebrig, als sich auf den naeherstehenden Feind, das heisst auf Antonius zu werfen. In einem engen von felsigen Bergen eingeschlossenen Tale kam es zum Kampfe zwischen den Insurgenten und den Truppen des Antonius, welche derselbe, um die Exekution gegen seine ehemaligen Verbuendeten wenigstens nicht selbst vollstrecken zu muessen, fuer diesen Tag unter einem Vorwand einem tapferen, unter den Waffen ergrauten Offizier, dem Marcus Petreius, anvertraut hatte. Die Uebermacht der Regierungsarmee kam bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes wenig in Betracht. Catilina wie Petreius stellten ihre zuverlaessigsten Leute in die vordersten Reihen; Quartier ward weder
gegeben noch genommen. Lange stand der Kampf und von beiden Seiten fielen viele tapfere Maenner; Catilina, der vor dem Anfange der Schlacht sein Pferd und die der saemtlichen Offiziere zurueckgeschickt hatte, bewies an diesem Tage, dass ihn die Natur zu nicht gewoehnlichen Dingen bestimmt hatte und dass er es verstand, zugleich als Feldherr zu kommandieren und als Soldat zu fechten. Endlich sprengte Petreius mit seiner Garde das Zentrum des Feindes und fasste, nachdem er dies geworfen hatte, die beiden Fluegel von innen; der Sieg war damit entschieden. Die Leichen der Catilinarier - man zaehlte ihrer 3000 - deckten gleichsam in Reihe und Glied den Boden, wo sie gefochten hatten; die Offiziere und der Feldherr selbst hatten, da alles verloren war, sich in die Feinde gestuerzt und dort den Tod gesucht und gefunden (Anfang 692 62). Antonius ward wegen dieses Sieges vom Senat mit dem Imperatorentitel gebrandmarkt und neue Dankfeste bewiesen, dass Regierung und Regierte anfingen, sich an den Buergerkrieg zu gewoehnen. Das anarchistische Komplott war also in der Hauptstadt wie in Italien mit blutiger Gewalt niedergeschlagen worden; man ward nur noch an dasselbe erinnert durch die Kriminalprozesse, die in den etruskischen Landstaedten und in der Hauptstadt unter den Affiliierten der geschlagenen Partei aufraeumten, und durch die anschwellenden italischen Raeuberbanden, wie deren zum Beispiel eine aus den Resten der Heere des Spartacus und des Catilina erwachsene im Jahre 694 (60) im Gebiet von Thurii durch Militaergewalt vernichtet ward. Aber es ist wichtig, es im Auge zu behalten, dass der Schlag keineswegs bloss die eigentlichen Anarchisten traf, die zur Anzuendung der Hauptstadt sich verschworen und bei Pistoria gefochten hatten, sondern die ganze demokratische Partei. Dass diese, insbesondere Crassus und Caesar, hier so gut wie bei dem Komplott von 688 (66) die Hand im Spiele hatten, darf als eine nicht juristisch, aber historisch ausgemachte Tatsache angesehen werden. Zwar dass Catulus und die uebrigen Haeupter der Senatspartei den Fuehrer der Demokraten der Mitwisserschaft um das anarchistische Komplott ziehen und dass dieser als Senator gegen den von der Oligarchie beabsichtigten brutalen Justizmord sprach und stimmte, konnte nur von der Parteischikane als Beweis seiner Beteiligung an den Plaenen Catilinas geltend gemacht werden. Aber mehr ins Gewicht faellt eine Reihe anderer Tatsachen. Nach ausdruecklichen und unabweisbaren Zeugnissen waren es vor allen Crassus und Caesar, die Catilinas Bewerbung um das Konsulat unterstuetzten. Als Caesar 690 (64) die Schergen Sullas vor das Mordgericht zog, liess er die uebrigen verurteilen, den schuldigsten und schaedlichsten aber von ihnen allen, den Catilina, freisprechen. Bei den Enthuellungen des dritten Dezember nannte Cicero zwar unter den Namen der bei ihm angezeigten Verschworenen die der beiden einflussreichen Maenner nicht; allein es ist notorisch, dass die Denunzianten nicht bloss auf diejenigen aussagten, gegen die nachher die Untersuchung gerichtet ward, sondern ausserdem noch auf "viele Unschuldige", die der Konsul Cicero aus dem Verzeichnis zu streichen fuer gut fand; und in spaeteren Jahren, als er keine Ursache hatte, die Wahrheit zu entstellen, hat eben er ausdruecklich Caesar unter den Mitwissern genannt. Eine indirekte, aber sehr verstaendliche Bezichtigung liegt auch darin, dass von den vier am dritten Dezember Verhafteten die beiden am wenigsten gefaehrlichen, Statilius und Gabinius, den Senatoren Caesar und Crassus zur Bewachung uebergeben wurden; offenbar sollten sie entweder, wenn sie sie entrinnen liessen, vor der oeffentlichen Meinung als Mitschuldige oder, wenn sie in der Tat sie festhielten, vor ihren Mitverschworenen als Abtruennige kompromittiert werden. Bezeichnend fuer die Situation ist die folgende im Senat vorgefallene Szene. Unmittelbar nach der Verhaftung des Lentulus und seiner Genossen wurde ein von den Verschworenen in der Hauptstadt an Catilina abgesandter Bote von den Agenten der Regierung aufgegriffen und derselbe, nachdem ihm Straflosigkeit zugesichert war, in voller Senatssitzung ein umfassendes Gestaendnis abzulegen veranlasst. Wie er aber an die bedenklichen Teile seiner Konfession kam und namentlich als seinen Auftraggeber den Crassus nannte, ward er von den Senatoren unterbrochen und auf Ciceros Vorschlag beschlossen, die ganze Angabe ohne weitere Untersuchung zu kassieren, ihren Urheber aber ungeachtet der zugesicherten Amnestie so lange einzusperren, bis er nicht bloss die Angabe zurueckgenommen, sondern auch bekannt haben werde, wer ihn zu solchem falschen Zeugnis aufgestiftet habe! Hier liegt es deutlich zu Tage, nicht bloss dass jener Mann die Verhaeltnisse recht genau kannte, der auf die Aufforderung, einen Angriff auf Crassus zu machen, zur Antwort gab, er habe keine Lust, den Stier der Herde zu reizen, sondern auch dass die Senatsmajoritaet, Cicero an der Spitze, unter sich einig geworden war, die Enthuellungen nicht ueber eine bestimmte Grenze vorschreiten zu lassen. Das Publikum war so heikel nicht; die jungen Leute, die zur Abwehr der Mordbrenner die Waffen ergriffen hatten, waren gegen keinen so erbittert wie gegen Caesar; sie richteten am fuenften Dezember, als er die Kurie verliess, die Schwerter auf seine Brust und es fehlte nicht viel, dass er schon jetzt an derselben Stelle sein Leben gelassen haette, wo siebzehn Jahre spaeter ihn der Todesstreich traf; laengere Zeit hat er die Kurie nicht wieder betreten. Wer ueberall den Verlauf der Verschwoerung unbefangen erwaegt, wird des Argwohns sich nicht zu erwehren vermoegen, dass waehrend dieser ganzen Zeit hinter Catilina maechtigere Maenner standen, welche, gestuetzt auf den Mangel rechtlich vollstaendiger Beweise und auf die Lauheit und Feigheit der nur halb eingeweihten und nach jedem Vorwande zur Untaetigkeit begierig greifenden Senatsmehrheit, es verstanden, jedes ernstliche Einschreiten der Behoerden gegen die Verschwoerung zu hemmen, dem Chef der Insurgenten freien Abzug zu verschaffen und selbst die Kriegserklaerung und Truppensendungen gegen die Insurrektion so zu lenken, dass sie beinahe auf die Sendung einer Hilfsarmee hinauslief. Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafuer zeugt, dass die Faeden des Catilinarischen Komplotts weit hoeher hinaufreichen als bis zu Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung verdienen, dass in viel spaeterer Zeit, als Caesar an die Spitze des Staates gelangt war, er mit dem einzigen noch uebrigen Catilinarier, dem mauretanischen Freischarenfuehrer Publius Sittius, im engsten Buendnis stand, und dass er das Schuldrecht ganz in dem Sinne milderte, wie es die Proklamationen des Manlius begehrten. All diese einzelnen Inzichten reden deutlich genug; waere das aber auch nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie gegenueber der seit den Gabinisch- Manilischen Gesetzen drohender als je ihr zur Seite sich erhebenden Militaergewalt macht es an sich schon fast zur Gewissheit, dass sie, wie es in solchen Faellen zu gehen pflegt, in den geheimen Komplotten und dem Buendnis mit der Anarchie eine letzte Hilfe gesucht hat. Die Verhaeltnisse waren denen der cinnanischen Zeit sehr aehnlich. Wenn im Osten Pompeius eine Stellung einnahm ungefaehr wie damals Sulla, so suchten Crassus und Caesar ihm gegenueber in Italien eine Gewalt aufzurichten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um sie dann womoeglich besser als diese zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder durch Terrorismus und Anarchie, und diesen zu bahnen war Catilina allerdings der geeignete Mann. Natuerlich hielten die reputierlicheren Fuehrer der Demokratie sich hierbei moeglichst im Hintergrund und ueberliessen den unsauberen Genossen die Ausfuehrung der unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie spaeterhin sich zuzueignen hofften. Noch mehr wandten, als das Unternehmen gescheitert war, die hoehergestellten Teilnehmer alles an, um ihre Beteiligung daran zu verhuellen. Und auch in spaeterer Zeit, als der ehemalige Konspirator selbst die Zielscheibe der politischen Komplotte geworden war, zog ebendarum ueber diese duesteren Jahre in dem Leben des grossen Mannes der Schleier nur um so dichter sich zusammen und wurden in diesem Sinne sogar eigene Apologien fuer ihn geschrieben ^6. ---------------------------------------------------- ^6 Eine solche ist der ’Catilina’ des Sallustius, der von dem Verfasser, einem notorischen Caesarianer, nach dem Jahre 708 (46) entweder unter Caesars Alleinherrschaft oder wahrscheinlicher unter dem Triumvirat seiner Erben veroeffentlicht wurde; offenbar als politische Tendenzschrift, welche sich bemueht, die demokratische Partei, auf welcher ja die roemische Monarchie beruht, zu Ehren zu bringen und Caesars Andenken von dem schwaerzesten Fleck, der darauf haftete, zu reinigen, nebenher auch den Oheim des Trimvirn Marcus Antonius moeglichst weisszuwaschen (vgl. z. B. c. 59 mit Dio 37, 39). Ganz aehnlich soll der ’Jugurtha’ desselben Verfassers teils die Erbaermlichkeit des oligarchischen Regiments aufdecken, teils den Koryphaeen der Demokratie Gaius Marius verherrlichen. Dass der gewandte Schriftsteller den apologetischen und akkusatorischen Charakter dieser seiner Buecher zuruecktreten laesst, beweist nicht, dass sie keine, sondern dass sie gute Parteischriften sind. ------------------------------------------------------ Seit fuenf Jahren stand Pompeius im Osten an der Spitze seiner Heere und Flotten; seit fuenf Jahren konspirierte die Demokratie daheim, um ihn zu stuerzen. Das Ergebnis war entmutigend. Mit unsaeglichen Anstrengungen hatte man nicht bloss nichts erreicht, sondern moralisch wie materiell ungeheure Einbusse gemacht. Schon die Koalition vom Jahre 683 (71) musste den Demokraten vom reinen Wasser ein Aergernis sein, obwohl die Demokratie damals nur mit zwei angesehenen Maennern der Gegenpartei sich einliess und diese auf ihr Programm verpflichtete. Jetzt aber hatte die demokratische Partei gemeinschaftliche Sache gemacht mit einer Bande von Moerdern und Bankerottierern, die fast alle gleichfalls Ueberlaeufer aus dem Lager der Aristokratie waren, und hatte deren Programm, das heisst den Cinnanischen Terrorismus, wenigstens vorlaeufig akzeptiert. Die Partei der materiellen Interessen, eines der Hauptelemente der Koalition von 683 (71) wurde hierdurch der Demokratie entfremdet und zunaechst den Optimaten, ueberhaupt aber jeder Macht, die Schutz vor der Anarchie gewaehren wollte und konnte, in die Arme getrieben. Selbst die hauptstaedtische Menge, die zwar gegen einen Strassenkrawall nichts einzuwenden hatte, aber es doch unbequem fand, sich das Haus ueber dem Kopfe anzuenden zu lassen, ward einigermassen scheu. Es ist merkwuerdig, dass eben in diesem Jahr (691 63) die volle Wiederherstellung der Sempronischen Getreidespenden stattfand, und zwar von Seiten des Senats auf den Antrag Catos. Offenbar hatte der Bund der Demokratenfuehrer mit der Anarchie zwischen jene und die Stadtbuergerschaft einen Keil getrieben, und suchte die Oligarchie, nicht ohne wenigstens augenblicklichen Erfolg, diesen Riss zu erweitern und die Massen auf ihre Seite hinueberzuziehen. Endlich war Gnaeus Pompeius durch all diese Kabalen teils gewarnt, teils erbittert worden; nach allem, was vorgefallen war, und nachdem die Demokratie die Bande, die sie mit Pompeius verknuepften, selber so gut wie zerrissen hatte, konnte sie nicht mehr schicklicherweise von ihm begehren, was im Jahre 684 (70) eine gewisse Billigkeit fuer sich gehabt hatte, dass er die demokratische Macht, die er und die ihn emporgebracht, nicht selber mit dem Schwerte zerstoere. So war die Demokratie entehrt und geschwaecht; vor allen Dingen aber war sie laecherlich geworden durch die unbarmherzige Aufdeckung ihrer Ratlosigkeit und Schwaeche. Wo es sich um die Demuetigung des gestuerzten Regiments und aehnliche Nichtigkeiten handelte, war sie gross und gewaltig; aber jeder ihrer Versuche, einen wirklich politischen Erfolg zu erreichen, war platt zur Erde gefallen. Ihr Verhaeltnis zu Pompeius war so falsch wie klaeglich. Waehrend sie ihn mit Lobspruechen und Huldigungen ueberschuettete, spann sie gegen ihn eine Intrige nach der anderen, die eine nach der anderen, Seifenblasen gleich, von selber zerplatzten. Der Feldherr des Ostens und der Meere, weit entfernt, sich dagegen zur Wehr zu setzen, schien das ganze geschaeftige Treiben nicht einmal zu bemerken und seine Siege ueber sie zu erfechten wie Herakles den ueber die Pygmaeen, ohne selber darum gewahr zu werden. Der Versuch, den Buergerkrieg zu entflammen, war jaemmerlich gescheitert; hatte die anarchistische Fraktion wenigstens einige Energie entwickelt, so hatte die reine Demokratie die Rotten wohl zu dingen verstanden, aber weder sie zu fuehren, noch sie zu retten, noch mit ihnen zu sterben. Selbst die alte todesmatte Oligarchie hatte, gestaerkt durch die aus den Reihen der Demokratie zu ihr uebertretenden Massen und vor allem durch die in dieser Angelegenheit unverkennbare Gleichheit ihrer Interessen und derjenigen des Pompeius, es vermocht, diesen Revolutionsversuch niederzuschlagen und damit noch einen letzten Sieg ueber die Demokratie zu erfechten. Inzwischen war Koenig Mithradates gestorben, Kleinasien und Syrien geordnet, Pompeius’ Heimkehr nach Italien jeden Augenblick zu erwarten. Die Entscheidung war nicht fern; aber konnte in der Tat noch die Rede sein von einer Entscheidung zwischen dem Feldherrn, der ruhmvoller und gewaltiger als je zurueckkam, und der beispiellos gedemuetigten und voellig machtlosen Demokratie? Crassus schickte sich an, seine Familie und sein Gold zu Schiffe zu bringen und irgendwo im Osten eine Freistatt aufzusuchen; und selbst eine so elastische und so energische Natur wie Caesar schien im Begriff, das Spiel verloren zu geben. In dieses Jahr (691 63) faellt seine Bewerbung um die Stelle des Oberpontifex; als er am Morgen der Wahl seine Wohnung verliess, aeusserte er, wenn auch dieses ihm fehlschlage, werde er, die Schwelle seines Hauses nicht wieder ueberschreiten. 6. Kapitel Pompeius’ Ruecktritt und die Koalition der Praetendenten Als Pompeius nach Erledigung der ihm aufgetragenen Verrichtungen seine Blicke wieder der Heimat zuwandte, fand er zum zweiten Male das Diadem zu seinen Fuessen. Laengst neigte die Entwicklung des roemischen Gemeinwesens einer solchen Katastrophe sich zu; es war jedem Unbefangenen offenbar und war tausendmal gesagt worden, dass, wenn der Herrschaft der Aristokratie ein Ende gemacht sein werde, die Monarchie unausbleiblich sei. Jetzt war der Senat gestuerzt zugleich durch die buergerliche, liberale Opposition und die soldatische Gewalt; es konnte sich nur noch darum handeln, fuer die neue Ordnung der Dinge die Personen, die Namen und Formen festzustellen, die uebrigens in den teils demokratischen, teils militaerischen Elementen der Umwaelzung bereits klar genug angedeutet waren. Die Ereignisse der letzten fuenf Jahre hatten auf diese bevorstehende Umwandlung des Gemeinwesens gleichsam das letzte Siegel gedrueckt. In den neu eingerichteten asiatischen Provinzen, die in ihrem Ordner den Nachfolger des grossen Alexander koeniglich verehrten und schon seine beguenstigten Freigelassenen wie Prinzen empfingen, hatte Pompeius den Grund seiner Herrschaft gelegt und zugleich die Schaetze, das Heer und den Nimbus gefunden, deren der kuenftige Fuerst des roemischen Staats bedurfte. Die anarchistische Verschwoerung aber in der Hauptstadt mit dem daran sich knuepfenden Buergerkrieg hatte es jedem, der politische oder auch nur materielle Interessen hegte, mit empfindlicher Schaerfe dargelegt, dass eine Regierung ohne Autoritaet und ohne militaerische Macht, wie die des Senats war, den Staat der ebenso laecherlichen wie furchtbaren Tyrannei der politischen Industrieritter aussetzte und dass eine Verfassungsaenderung, welche die Militaergewalt enger mit dem Regiment verknuepfte, eine unabweisliche Notwendigkeit war, wenn die gesellschaftliche Ordnung ferner Bestand haben sollte. So war im Osten der Herrscher aufgestanden, in Italien der Thron errichtet; allem Anschein nach war das Jahr 692 (62) das letzte der Republik, das erste der Monarchie. Zwar ohne Kampf war an dieses Ziel nicht zu gelangen. Die Verfassung, die ein halbes Jahrtausend gedauert hatte und unter der die unbedeutende Stadt am Tiber zu beispielloser Groesse und Herrlichkeit gediehen war, hatte ihre Wurzeln man wusste nicht wie tief in den Boden gesenkt, und es liess sich durchaus nicht berechnen, bis in welche Schichten hinab der Versuch, sie umzustuerzen, die buergerliche Gesellschaft aufwuehlen werde. Mehrere Nebenbuhler waren in dem Wettlauf nach dem grossen Ziel von Pompeius ueberholt, aber nicht voellig beseitigt worden. Es lag durchaus nicht ausser der Berechnung, dass alle diese Elemente sich verbanden, um den neuen Machthaber zu stuerzen und Pompeius sich gegenueber Quintus Catulus und Marcus Cato mit Marcus Crassus, Gaius Caesar und Titus Labienus vereinigt fand. Aber nicht leicht konnte der unvermeidliche und unzweifelhaft ernste Kampf unter guenstigeren Verhaeltnissen aufgenommen werden. Es war in hohem Grade wahrscheinlich, dass unter dem frischen Eindrucke des Catilinarischen Aufstandes einem Regimente, das Ordnung und Sicherheit, wenngleich um den Preis der Freiheit, verhiess, die gesamte Mittelpartei sich fuegen werde, vor allem die einzig um ihre materiellen Interessen bekuemmerte Kaufmannschaft, aber nicht minder ein grosser Teil der Aristokratie, die, in sich zerruettet und politisch hoffnungslos, zufrieden sein musste, durch zeitige Transaktion mit dem Fuersten sich Reichtum, Rang und Einfluss zu sichern; vielleicht sogar mochte ein Teil der von den letzten Schlaegen schwer getroffenen Demokratie sich bescheiden, von einem durch sie auf den Schild gehobenen Militaerchef die Realisierung eines Teils ihrer Forderungen zu erhoffen. Aber wie auch immer die Parteiverhaeltnisse sich stellten, was kam, zunaechst wenigstens, auf die Parteien in Italien ueberhaupt noch an, Pompeius gegenueber und seinem siegreichen Heer? Zwanzig Jahre zuvor hatte Sulla, nachdem er mit Mithradates einen Notfrieden abgeschlossen hatte, gegen die gesamte, seit Jahren massenhaft ruestende liberale Partei, von den gemaessigten Aristokraten und der liberalen Kaufmannschaft an bis hinab zu den Anarchisten, mit seinen fuenf Legionen eine der natuerlichen Entwicklung der Dinge zuwiderlaufende Restauration durchzusetzen vermocht. Pompeius’ Aufgabe war weit minder schwer. Er kam zurueck, nachdem er zur See und zu Lande seine verschiedenen Aufgaben vollstaendig und gewissenhaft geloest hatte. Er durfte erwarten, auf keine andere ernstliche Opposition zu treffen als auf die der verschiedenen extremen Parteien, von denen jede einzeln gar nichts vermochte und die, selbst verbuendet, immer nicht mehr waren als eine Koalition eben noch hitzig sich befehdender und innerlich gruendlich entzweiter Faktionen. Vollkommen ungeruestet waren sie ohne Heer und Haupt, ohne Organisation in Italien, ohne Rueckhalt in den Provinzen, vor allen Dingen ohne einen Feldherrn; es war in ihren Reihen kaum ein namhafter Militaer, geschweige denn ein Offizier, der es haette wagen duerfen, die Buerger zum Kampfe gegen Pompeius aufzurufen. Auch das durfte in Anschlag kommen, dass der jetzt seit siebzig Jahren rastlos flammende und an seiner eigenen Glut zehrende Vulkan der Revolution sichtlich ausbrannte und anfing, in sich selber zu erloeschen. Es war sehr zweifelhaft, ob es jetzt gelingen werde, die Italiker so fuer Parteiinteressen zu bewaffnen, wie noch Cinna und Carbo dies vermocht hatten. Wenn Pompeius zugriff, wie konnte es ihm fehlen, eine Staatsumwaelzung durchzusetzen, die in der organischen Entwicklung des roemischen Gemeinwesens mit einer gewissen Naturnotwendigkeit vorgezeichnet war? Pompeius hatte den Moment erfasst, indem er die Mission nach dem Orient uebernahm; er schien fortfahren zu wollen. Im Herbste des Jahres 691 (63) traf Quintus Metellus Nepos aus dem Lager des Pompeius in der Hauptstadt ein und trat auf als Bewerber um das Tribunat, in der ausgesprochenen Absicht, als Volkstribun Pompeius das Konsulat fuer das Jahr 693 (61) und zunaechst durch speziellen Volksbeschluss die Fuehrung des Krieges gegen Catilina zu verschaffen. Die Aufregung in Rom war gewaltig. Es war nicht zu bezweifeln, dass Nepos im direkten oder indirekten Auftrag des Pompeius handelte; Pompeius’ Begehren, in Italien an der Spitze seiner asiatischen Legionen als Feldherr aufzutreten und daselbst die hoechste militaerische und die hoechste buergerliche Gewalt zugleich zu verwalten, ward aufgefasst als ein weiterer Schritt auf dem Wege zum Throne, Nepos’ Sendung als die halboffizielle Ankuendigung der Monarchie. Es kam alles darauf an, wie die beiden grossen politischen Parteien zu diesen Eroeffnungen sich verhielten; ihre kuenftige Stellung und die Zukunft der Nation hingen davon ab. Die Aufnahme aber, die Nepos fand, war selbst wieder bestimmt durch das damalige Verhaeltnis der Parteien zu Pompeius, das sehr eigentuemlicher Art war. Als Feldherr der Demokratie war Pompeius nach dem Osten gegangen. Er hatte Ursache genug, mit Caesar und seinem Anhang unzufrieden zu sein, aber ein offener Bruch war nicht erfolgt. Es ist wahrscheinlich, dass Pompeius, der weit entfernt und mit andern Dingen beschaeftigt war, ueberdies der Gabe, sich politisch zu orientieren, durchaus entbehrte, den Umfang und den Zusammenhang der gegen ihn gesponnenen demokratischen Umtriebe damals wenigstens keineswegs durchschaute, vielleicht sogar in seiner hochmuetigen und kurzsichtigen Weise einen gewissen Stolz darein setzte, diese Maulwurfstaetigkeit zu ignorieren. Dazu kam, was bei einem Charakter von Pompeius’ Art sehr ins Gewicht fiel, dass die Demokratie den aeusseren Respekt gegen den grossen Mann nie aus den Augen gesetzt, ja eben jetzt (691 63), unaufgefordert wie er es liebte, ihm durch einen besonderen Volksschluss unerhoerte Ehren und Dekorationen gewaehrt hatte. Indes waere auch alles dies nicht gewesen, so lag es in Pompeius’ eigenem wohlverstandenen Interesse, sich wenigstens aeusserlich fortwaehrend zur Popularpartei zu halten; Demokratie und Monarchie stehen in so enger Wahlverwandtschaft, dass Pompeius, indem er nach der Krone griff, kaum anders konnte, als sich wie bisher den Vorfechter der Volksrechte nennen. Wie also persoenliche und politische Gruende, zusammenwirkten, um trotz allem Vorgefallenen Pompeius und die Fuehrer der Demokratie bei ihrer bisherigen Verbindung festzuhalten, so geschah auf der entgegengesetzten Seite nichts, um die Kluft auszufuellen, die ihn seit seinem Uebertritt in das Lager der Demokratie von seinen sullanischen Parteigenossen trennte. Sein persoenliches Zerwuerfnis mit Metellus und Lucullus uebertrug sich auf deren ausgedehnte und einflussreiche Koterien. Eine kleinliche, aber fuer einen so kleinlich zugeschnittenen Charakter eben ihrer Kleinlichkeit wegen um so tiefer erbitternde Opposition des Senats hatte ihn auf seiner ganzen Feldherrnlaufbahn begleitet. Er empfand es schmerzlich, dass der Senat nicht das geringste getan, um den ausserordentlichen Mann nach Verdienst, das heisst ausserordentlich zu ehren. Endlich ist es nicht aus der Acht zu lassen, dass die Aristokratie eben damals von ihrem frischen Siege berauscht, die Demokratie tief gedemuetigt war, und dass die Aristokratie von dem bocksteifen und halb naerrischen Cato, die Demokratie von dem schmiegsamen Meister der Intrige Caesar geleitet ward. In diese Verhaeltnisse traf das Auftreten des von Pompeius gesandten Emissaers. Die Aristokratie betrachtete nicht bloss die Antraege, die derselbe zu Pompeius’ Gunsten ankuendigte, als eine Kriegserklaerung gegen die bestehende Verfassung, sondern behandelte sie auch oeffentlich als solche und gab sich nicht die mindeste Muehe, ihre Besorgnis und ihren Ingrimm zu verhehlen: in der ausgesprochenen Absicht, diese Antraege zu bekaempfen, liess sich Marcus Cato mit Nepos zugleich zum Volkstribun waehlen und wies Pompeius’ wiederholten Versuch, sich ihm persoenlich zu naehern, schroff zurueck. Es ist begreiflich, dass Nepos hiernach sich nicht veranlasst fand, die Aristokratie zu schonen, dagegen den Demokraten sich um so bereitwilliger anschloss, als diese, geschmeidig wie immer, in das Unvermeidliche sich fuegten und das Feldherrnamt in Italien wie das Konsulat lieber freiwillig zugestanden als es mit den Waffen sich abzwingen liessen. Das herzliche Einverstaendnis offenbarte sich bald. Nepos bekannte sich (Dezember 691 63) oeffentlich zu der demokratischen Auffassung der von der Senatsmajoritaet kuerzlich verfuegten Exekutionen als verfassungswidriger Justizmorde; und dass auch sein Herr und Meister sie nicht anders ansah, bewies sein bedeutsames Stillschweigen auf die voluminoese Rechtfertigungsschrift, die ihm Cicero uebersandt hatte. Andererseits war es der erste Akt, womit Caesar seine Praetur eroeffnete, dass er den Quintus Catulus wegen der bei dem Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels angeblich von ihm unterschlagenen Gelder zur Rechenschaft zog und die Vollendung des Tempels an Pompeius uebertrug. Es war das ein Meisterzug. Catulus baute an dem Tempel jetzt bereits im sechzehnten Jahr und schien gute Lust zu haben, als Oberaufseher der kapitolinischen Bauten wie zu leben so zu sterben; ein Angriff auf diesen, nur durch das Ansehen des vornehmen Beauftragten zugedeckten Missbrauch eines oeffentlichen Auftrags war der Sache nach vollkommen begruendet und in hohem Masse populaer. Indem aber zugleich dadurch Pompeius die Aussicht eroeffnet ward, an dieser stolzesten Stelle der ersten Stadt des Erdkreises den Namen des Catulus tilgen und den seinigen eingraben zu duerfen, ward ihm ebendas geboten, was ihn vor allem reizte und der Demokratie nicht schadete, ueberschwengliche, aber leere Ehre, und ward zugleich die Aristokratie, die doch ihren besten Mann unmoeglich fallen lassen konnte, auf die aergerlichste Weise mit Pompeius verwickelt. Inzwischen hatte Nepos seine Pompeius betreffenden Antraege bei der Buergerschaft eingebracht. Am Tage der Abstimmung interzedierten Cato und sein Freund und Kollege Quintus Minucius. Als Nepos sich daran nicht kehrte und mit der Verlesung fortfuhr, kam es zu einem foermlichen Handgemenge: Cato und Minucius warfen sich ueber ihren Kollegen und zwangen ihn innezuhalten; eine bewaffnete Schar befreite ihn zwar und vertrieb die aristokratische Fraktion vom Markte; aber Cato und Minucius kamen wieder, nun gleichfalls von bewaffneten Haufen begleitet, und behaupteten schliesslich das Schlachtfeld fuer die Regierung. Durch diesen Sieg ihrer Bande ueber die des Gegners ermutigt, suspendierte der Senat den Tribun Nepos sowie den Praetor Caesar, der denselben bei der Einbringung des Gesetzes nach Kraeften unterstuetzt hatte, von ihren Aemtern; die Absetzung, die im Senat beantragt ward, wurde, mehr wohl wegen ihrer Verfassungsals wegen ihrer Zweckwidrigkeit, von Cato verhindert. Caesar kehrte sich an den Beschluss nicht und fuhr in seinen Amtshandlungen fort, bis der Senat Gewalt gegen ihn brauchte. Sowie dies bekannt ward, erschien die Menge vor seinem Hause und stellte sich ihm zur Verfuegung; es haette nur von ihm abgehangen, den Strassenkampf zu beginnen oder wenigstens die von Metellus gestellten Antraege jetzt wiederaufzunehmen und Pompeius das von ihm gewuenschte Militaerkommando in Italien zu verschaffen; allein dies lag nicht in seinem Interesse, und so bewog er die Haufen, sich wieder zu zerstreuen, worauf der Senat die gegen ihn verhaengte Strafe zuruecknahm. Nepos selbst hatte sogleich nach seiner Suspension die Stadt verlassen und sich nach Asien eingeschifft, um Pompeius von dem Erfolg seiner Sendung Bericht zu erstatten. Pompeius hatte alle Ursache, mit der Wendung der Dinge zufrieden zu sein. Der Weg zum Thron ging nun einmal notwendig durch den Buergerkrieg; und diesen mit gutem Fug beginnen zu koennen dankte er Catos unverbesserlicher Verkehrtheit. Nach der rechtswidrigen Verurteilung der Anhaenger Catilinas, nach den unerhoerten Gewaltsamkeiten gegen den Volkstribun Metellus konnte Pompeius ihn fuehren zugleich als Verfechter der beiden Palladien der roemischen Gemeindefreiheit, des Berufungsrechts und der Unverletzlichkeit des Volkstribunats, gegen die Aristokratie und als Vorkaempfer der Ordnungspartei gegen die Catilinarische Bande. Es schien fast unmoeglich, dass Pompeius dies unterlassen und mit sehenden Augen sich zum zweitenmal in die peinliche Situation begeben werde, in die die Entlassung seiner Armee im Jahre 684 (70) ihn versetzt und aus der erst das Gabinische Gesetz ihn erloest hatte. Indes, wie nahe es ihm auch gelegt war, die weisse Binde um seine Stirn zu legen, wie sehr seine eigene Seele danach geluestete: als es galt, den Griff zu tun, versagten ihm abermals Herz und Hand. Dieser in allem, nur in seinen Anspruechen nicht, ganz gewoehnliche Mensch haette wohl gern ausserhalb des Gesetzes sich gestellt, wenn dies nur haette geschehen koennen, ohne den gesetzlichen Boden zu verlassen. Schon sein Zaudern in Asien liess dies ahnen. Er haette, wenn er gewollt, sehr wohl im Januar 692 (62) mit Flotte und Heer im Hafen von Brundisium eintreffen und Nepos hier empfangen koennen. Dass er den ganzen Winter 691/92 (63/62) in Asien saeumte, hatte zunaechst die nachteilige Folge, dass die Aristokratie, die natuerlich den Feldzug gegen Catilina nach Kraeften beschleunigte, inzwischen mit dessen Banden fertiggeworden war und damit der schicklichste Vorwand, die asiatischen Legionen in Italien zusammenzuhalten, hinwegfiel. Fuer einen Mann von Pompeius’ Art, der in Ermangelung des Glaubens an sich und an seinen Stern sich im oeffentlichen Leben aengstlich an das formale Recht anklammerte, und bei dem der Vorwand ungefaehr ebensoviel wog wie der Grund, fiel dieser Umstand schwer ins Gewicht. Er mochte sich ferner sagen, dass, selbst wenn er sein Heer entlasse, er dasselbe nicht voellig aus der Hand gebe und im Notfall doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine schlagfertige Armee aufzubringen vermoege; dass die Demokratie in unterwuerfiger Haltung seines Winkes gewaertig und mit dem widerspenstigen Senat auch ohne Soldaten fertig zu werden sei und was weiter sich von solchen Erwaegungen darbot, in denen gerade genug Wahres war, um sie dem, der sich selber betruegen wollte, plausibel erscheinen zu lassen. Den Anschlag gab natuerlich wiederum Pompeius’ eigenstes Naturell. Er gehoerte zu den Menschen, die wohl eines Verbrechens faehig sind, aber keiner Insurbordination; im guten wie im schlimmen Sinne war er durch und durch Soldat. Bedeutende Individualitaeten achten das Gesetz als die sittliche Notwendigkeit, gemeine als die hergebrachte alltaegliche Regel; ebendarum fesselt die militaerische Ordnung, in der mehr als irgendwo sonst das Gesetz als Gewohnheit auftritt, jeden nicht ganz in sich festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist oft beobachtet worden, dass der Soldat, auch wenn er den Entschluss gefasst hat, seinen Vorgesetzten den Gehorsam zu versagen, dennoch, wenn dieser Gehorsam gefordert wird, unwillkuerlich wieder in Reihe und Glied tritt; es war dies Gefuehl, das Lafayette und Dumouriez im letzten Augenblick vor dem Treuebruch schwanken und scheitern machte, und eben demselben ist auch Pompeius unterlegen. Im Herbst 692 (62) schiffte Pompeius nach Italien sich ein. Waehrend in der Hauptstadt alles sich bereitete, den neuen Monarchen zu empfangen, kam der Bericht, dass Pompeius, kaum in Brundisium gelandet, seine Legionen aufgeloest und mit geringem Gefolge die Reise nach der Hauptstadt angetreten habe. Wenn es ein Glueck ist, eine Krone muehelos zu gewinnen, so hat das Glueck nie mehr fuer einen Sterblichen getan, als es fuer Pompeius tat; aber an den Mutlosen verschwenden die Goetter alle Gunst und alle Gabe umsonst. Die Parteien atmeten auf. Zum zweiten Male hatte Pompeius abgedankt; die schon ueberwundenen Mitbewerber konnten abermals den Wettlauf beginnen, wobei wohl das wunderlichste war, dass in diesem Pompeius wieder mitlief. Im Januar 693 (61) kam er nach Rom. Seine Stellung war schief und schwankte so unklar zwischen den Parteien, dass man ihm den Spottnamen Gnaeus Cicero verlieh. Er hatte es eben mit allen verdorben. Die Anarchisten sahen in ihm einen Widersacher, die Demokraten einen unbequemen Freund, Marcus Crassus einen Nebenbuhler, die vermoegende Klasse einen unzuverlaessigen Beschuetzer, die Aristokratie einen erklaerten Feind ^1. Er war wohl immer noch der maechtigste Mann im Staat; sein durch ganz Italien zerstreuter militaerischer Anhang, sein Einfluss in den Provinzen, namentlich den oestlichen, sein militaerischer Ruf, sein ungeheurer Reichtum gaben ihm ein Gewicht wie es kein anderer hatte; aber statt des begeisterten Empfanges, auf den er gezaehlt hatte, war die Aufnahme, die er fand, mehr als kuehl, und noch kuehler behandelte man die Forderungen, die er stellte. Er begehrte fuer sich, wie er schon durch Nepos hatte ankuendigen lassen, das zweite Konsulat, ausserdem natuerlich die Bestaetigung der vor. ihm im Osten getroffenen Anordnungen und die Erfuellung des seinen Soldaten gegebenen Versprechens, sie mit Laendereien auszustatten. Hiergegen erhob sich im Senat eine systematische Opposition, zu der die persoenliche Erbitterung des Lucullus und des Metellus Creticus, der alte Groll des Crassus und Catos gewissenhafte Torheit die hauptsaechlichsten Elemente hergaben. Das gewuenschte zweite Konsulat ward sofort und unverbluemt verweigert. Gleich die erste Bitte, die der heimkehrende Feldherr an den Senat richtete, die Wahl der Konsuln fuer 693 (61) bis nach seinem Eintreffen in der Hauptstadt aufzuschieben, war ihm abgeschlagen worden; viel weniger war daran zu denken, die erforderliche Dispensation von dem Gesetze Sullas ueber die Wiederwahl vom Senat zu erlangen. Fuer die in den oestlichen Provinzen von ihm getroffenen Anordnungen begehrte Pompeius die Bestaetigung natuerlich im ganzen; Lucullus setzte es durch, dass ueber jede Verfuegung besonders verhandelt und abgestimmt ward, womit fuer endlose Trakasserien und eine Menge Niederlagen im einzelnen das Feld eroeffnet war. Das Versprechen einer Landschenkung an die Soldaten der asiatischen Armee ward vom Senat wohl im allgemeinen ratifiziert, jedoch zugleich ausgedehnt auf die kretischen Legionen des Metellus und, was schlimmer war, es wurde nicht ausgefuehrt, da die Gemeindekasse leer und der Senat nicht gemeint war, die Domaenen fuer diesen Zweck anzugreifen. Pompeius, daran verzweifelnd, der zaehen und tueckischen Opposition des Rates Herr zu werden, wandte sich an die Buergerschaft. Allein auf diesem Gebiet verstand er noch weniger sich zu bewegen. Die demokratischen Fuehrer, obwohl sie ihm nicht offen entgegentraten, hatten doch auch durchaus keine Ursache, seine Interessen zu den ihrigen zu machen und hielten sich beiseite. Pompeius’ eigene Werkzeuge, wie zum Beispiel die durch seinen Einfloss und zum Teil durch sein Geld gewaehlten Konsuln Marcus Pupius Piso 693 (61) und Lucius Afranius 694 (60), erwiesen sich als ungeschickt und unbrauchbar. Als endlich durch den Volkstribun Lucius Flavius in Form eines allgemeinen Ackergesetzes die Landanweisung fuer Pompeius’ alte Soldaten an die Buergerschaft gebracht :ward, blieb der von den Demokraten nicht unterstuetzte, von den Aristokraten offen bekaempfte Antrag in der Minoritaet (Anfang 694 60). Fast demuetig buhlte der hochgestellte Feldherr jetzt um die Gunst der Massen, wie denn auf seinem Antrieb durch ein von dem Praetor Metellus Nepos eingebrachtes Gesetz die italischen Zoelle abgeschafft wanden (694 60). Aber er spielte den Demagogen ohne Geschick und ohne Glueck; sein Ansehen litt darunter, und was er wollte, erreichte er nicht. Er hatte sich vollstaendig festgezogen. Einer seiner Gegner fusst seine damalige politische Stellung dahin zusammen, dass er bemueht sei, "seinen gestickten Triumphalmantel schweigend zu konservieren". Es blieb ihm in der Tat nichts uebrig, als sich zu aergern. ----------------------------------------------- ^1 Der Eindruck der ersten Ansprache, die Pompeius nach seiner Rueckkehr an die Buergerschaft richtete, wird von Cicero (Art. 1, 14) so geschildert: prima contio Pornpei non iucunda miseris, inanis improbis, beatis non grata, bonis non gravis; ----------------------------------------------- Da bot sich eine neue Kombination dar. Der Fuehrer der demokratischem Partei hatte die politische Windstille, die zunaechst auf den Ruecktritt des bisherigen Machthabers gefolgt war, in seinem Interesse taetig benutzt. Als Pompeius aus Asien zurueckkam, war Caesar wenig mehr gewesen als was auch Catilina war: der Chef einer fast zu einem Verschwoererklub eingeschwundenen politischen Partei und ein bankrotter Mann. Seitdem aber hatte er nach verwalteter Praetur (692 62) die Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien uebernommen und dadurch Mittel gefunden, teils seiner Schulden sich zu entledigen; teils zu seinem militaerischen Ruf den Grund zu legen. Sein alter Freund und Bundesgenosse Crassus hatte durch die Hoffnung, den. Rueckhalt gegen Pompeius, den er an Piso verloren, jetzt an Caesar wiederzufinden, sich bestimmen lassen, ihn noch vor seinem Abgang in die Provinz von dem drueckendsten Teil seiner Schuldenlast zu befreien. Er selbst hatte den kurzen Aufenthalt daselbst energisch benutzt. Im Jahre 694 (60) mit gefuellten Kassen und als Imperator mit wohlgegruendeten Anspruechen auf den Triumph aus Spanien zurueckgekehrt, trat er fuer das folgende Jahr als Bewerber um das Konsulat auf, um dessentwillen er, da der Senat ihm die Erlaubnis, abwesend sich zu der Konsulwahl zu melden, abschlug, die Ehre des Triumphes unbedenklich darangab. Seit Jahren hatte die Demokratie danach gerungen, einen der Ihrigen in den Besitz des hoechsten Amtes zu bringen, um auf dieser Bruecke zu einer eigenen militaerischen Macht zu gelangen. Laengst war es ja den Einsichtigen aller Farben klar geworden, dass der Parteienstreit nicht durch buergerlichen Kampf, sondern nur noch durch Militaermacht entschieden werden koenne; der Verlauf aber der Koalition zwischen der Demokratie und den maechtigen Militaerchefs, durch die der Senatsherrschaft ein Ende gemacht worden war, zeigte mit unerbittlicher Schaerfe, dass jede solche Allianz schliesslich auf eine Unterordnung der buergerlichen unter die militaerischen Elemente hinauslief und dass die Volkspartei, wenn sie wirklich herrschen wollte, nicht mit ihr eigentlich fremden, ja feindlichen Generalen sich verbuenden, sondern ihre Fuehrer selbst zu Generalen machen muesse. Die dahin zielenden Versuche, Catilinas Wahl zum Konsul durchzusetzen, in Spanien oder Aegypten einen militaerischen Rueckhalt zu gewinnen, waren gescheitert; jetzt bot sich ihr die Moeglichkeit, ihrem bedeutendsten Manne das Konsulat und die Konsularprovinz auf dem gewoehnlichen, verfassungsmaessigen Wege zu verschaffen und durch Begruendung, wenn man so sagen darf, einer demokratischen Hausmacht sich von dem zweifelhaften und gefaehrlichen Bundesgenossen Pompeius unabhaengig zu machen. Aber je mehr der Demokratie daran gelegen sein musste, sich diese Bahn zu eroeffnen, die ihr nicht so sehr die guenstigste als die einzige Aussicht auf ernstliche Erfolge darbot, desto gewisser konnte sie dabei auf den entschlossenen Widerstand ihrer politischen Gegner zaehlen. Es kam darauf an, wen sie hierbei sich gegenueber fand. Die Aristokratie vereinzelt war nicht furchtbar; aber es hatte doch soeben in der Catilinarischen Angelegenheit sich herausgestellt, dass sie da allerdings noch etwas vermochte, wo sie von den Maennern der materiellen Interessen und von den Anhaengern des Pompeius mehr oder minder offen unterstuetzt ward. Sie hatte Catilinas Bewerbung um das Konsulat mehrmals vereitelt, und dass sie das gleiche gegen Caesar versuchen werde, war gewiss genug. Aber wenn auch vielleicht Caesar ihr zum Trotze gewaehlt ward, so reichte die Wahl allein nicht aus. Er bedurfte mindestens einige Jahre ungestoerter Wirksamkeit ausserhalb Italiens, um eine feste militaerische Stellung zu gewinnen, und sicherlich liess die Nobilitaet kein Mittel unversucht, um waehrend dieser Vorbereitungszeit seine Plaene zu durchkreuzen. Der Gedanke lag nahe, ob es nicht gelingen koenne, die Aristokratie wieder, wie im Jahre 683/84 (71 /70) zu isolieren und zwischen den Demokraten nebst ihrem Bundesgenossen Crassus einerund Pompeius und der hohen Finanz andererseits ein auf gemeinschaftlichen Vorteil fest begruendetes Buendnis aufzurichten. Fuer Pompeius war ein solches allerdings ein politischer Selbstmord. Sein bisheriges Gewicht im Staate beruhte darauf, dass er das einzige Parteihaupt war, das zugleich ueber Legionen, wenn auch jetzt aufgeloeste, doch immer noch in einem gewissen Masse verfuegte. Der Plan der Demokratie war ebendarauf gerichtet, ihn dieses Uebergewichtes zu berauben und ihm in ihrem eigenen Haupt einen militaerischen Nebenbuhler zur Seite zu stellen. Nimmermehr durfte er hierauf eingehen, am allerwenigsten aber einem Manne wie Caesar, der schon als blosser politischer Agitator ihm genug zu schaffen gemacht und soeben in Spanien die glaenzendsten Beweise auch militaerischer Kapazitaet gegeben hatte, selber zu einer Oberfeldherrnstelle verhelfen. Allein auf der anderen Seite war, infolge der schikanoesen Opposition des Senats und der Gleichgueltigkeit der Menge fuer Pompeius und Pompeius’ Wuensche, seine Stellung, namentlich seinen alten Soldaten gegenueber, so peinlich und so demuetigend geworden, dass man bei seinem Charakter wohl erwarten konnte, um den Preis der Erloesung aus dieser unbequemen Lage ihn fuer eine solche Koalition zu gewinnen. Was aber die sogenannte Ritterpartei anlangt, so fand diese ueberall da sich ein, wo die Macht war, und es verstand sich von selbst, dass sie nicht lange auf sich werde warten lassen, wenn sie Pompeius und die Demokratie aufs neue ernstlich sich verbuenden sah. Es kam hinzu, dass wegen Catos uebrigens sehr loeblicher Strenge gegen die Steuerpaechter die hohe Finanz eben jetzt wieder mit dem Senat in heftigem Hader lag. So ward im Sommer 694 (60) die zweite Koalition abgeschlossen. Caesar liess sich das Konsulat fuer das folgende Jahr und demnaechst die Statthalterschaft zusichern; Pompeius ward die Ratifikation seiner im Osten getroffenen Verfuegungen und Anweisung von Laendereien an die Soldaten der asiatischen Armee zugesagt; der Ritterschaft versprach Caesar gleichfalls das, was der Senat verweigert hatte, ihr durch die Buergerschaft zu verschaffen; Crassus endlich, der unvermeidliche, durfte wenigstens dem Bunde sich anschliessen, freilich ohne fuer den Beitritt, den er nicht verweigern konnte, bestimmte Zusagen zu erhalten. Es waren genau dieselben Elemente, ja dieselben Personen, die im Herbst 683 (71) und die im Sommer 684 (70) den Bund miteinander schlossen; aber wie so ganz anders standen doch damals und jetzt die Parteien! Damals war die Demokratie nichts als eine politische Partei, ihre Verbuendeten siegreiche, an der Spitze ihrer Armeen stehende Feldherren; jetzt war der Fuehrer der Demokraten selber ein sieggekroenter, von grossartigen militaerischen Entwuerfen erfuellter Imperator, die Bundesgenossen gewesene Generale ohne Armee. Damals siegte die Demokratie in Prinzipienfragen und raeumte um diesen Preis die hoechsten Staatsaemter ihren beiden Verbuendeten ein; jetzt war sie praktischer geworden und nahm die hoechste buergerliche und militaerische Gewalt fuer sich selber, wogegen nur in untergeordneten Dingen den Bundesgenossen Konzessionen gemacht und, bezeichnend genug, nicht einmal Pompeius’ alte Forderung eines zweiten Konsulats beruecksichtigt wurde. Damals gab sich die Demokratie ihren Verbuendeten hin; jetzt mussten diese sich ihr anvertrauen. Alle Verhaeltnisse sind vollstaendig veraendert, am meisten jedoch der Charakter der Demokratie selbst. Wohl hatte dieselbe, seit sie ueberhaupt war, im innersten Kern ein monarchisches Element in sich getragen; allein das Verfassungsideal, wie es ihren besten Koepfen in mehr oder minder deutlichen Umrissen vorschwebte, blieb doch immer ein buergerliches Gemeinwesen, eine perikleische Staatsordnung, in der die Macht des Fuersten darauf beruhte, dass er die Buergerschaft in edelster und vollkommenster Weise vertrat und der vollkommenste und edelste Teil der Buergschaft ihren rechten Vertrauensmann in ihm erkannte. Auch Caesar ist von solchen Anschauungen ausgegangen; aber es waren nun einmal Ideale, die wohl auf die Realitaeten einwirken, aber nicht geradezu realisiert werden konnten. Weder die einfache buergerliche Gewalt, wie Gaius Gracchus sie besessen, noch die Bewaffnung der demokratischen Partei, wie sie Cinna, freilich in sehr unzulaenglicher Art, versucht hatte, vermochten in dem roemischen Gemeinwesen als dauerndes Schwergewicht sich zu behaupten; die nicht fuer eine Partei, sondern fuer einen Feldherrn fechtende Heeresmaschine, die rohe Macht der Condottieri zeigte sich, nachdem sie zuerst im Dienste der Restauration auf den Schauplatz getreten war, bald allen politischen Parteien unbedingt ueberlegen. Auch Caesar musste im praktischen Parteitreiben hiervon sich ueberzeugen und also reifte in ihm der verhaengnisvolle Entschluss, diese Heeresmaschine selbst seinen Idealen dienstbar zu machen und das Gemeinwesen, wie er es im Sinne trug, durch Condottiergewalt aufzurichten. In dieser Absicht schloss er im Jahre 683 (71) den Bund mit den Generalen der Gegenpartei, welcher, ungeachtet dieselben das demokratische Programm akzeptiert hatten, doch die Demokratie und Caesar selbst an den Rand des Unterganges fuehrte. In der gleichen Absicht trat elf Jahre spaeter er selber als Condottiere auf. Es geschah in beiden Faellen mit einer gewissen Naivitaet, mit dem guten Glauben an die Moeglichkeit, ein freies Gemeinwesen wo nicht durch fremde, doch durch den eigenen Saebel begruenden zu koennen. Man sieht es ohne Muehe ein, dass dieser Glaube trog und dass niemand den boesen Geist zum Diener nimmt, ohne ihm selbst zum Knecht zu werden; aber die groessten Maenner sind nicht die, welche am wenigsten irren. Wenn noch nach Jahrtausenden wir ehrfurchtsvoll uns neigen vor denn, was Caesar gewollt und getan hat, so liegt die Ursache nicht darin, dass er eine Krone begehrt und gewonnen hat, was an sich so wenig etwas Grosses ist wie die Krone selbst, sondern darin, dass sein maechtiges Ideal: eines freien Gemeinwesens unter einem Herrscher - ihn nie verlassen und auch als Monarchen ihn davor bewahrt hat, in das gemeine Koenigtum zu versinken. Ohne Schwierigkeit ward von den vereinigten Parteien Caesars Wahl zum Konsul fuer das Jahr 695 (59) durchgesetzt. Die Aristokratie musste zufrieden sein, durch einen selbst in dieser Zeit tiefster Korruption Aufsehen erregenden Stimmenkauf, wofuer der ganze Herrenstand die Mittel zusammenschoss, ihm in der Person des Marcus Bibulus einen Kollegen zuzugesellen, dessen bornierter Starrsinn in ihren Kreisen als konservative Energie betrachtet ward und an dessen gutem Willen wenigstens es nicht lag, wenn die vornehmen Herren ihre patriotischen Auslagen nicht wieder herausbekamen. Als Konsul brachte Caesar zunaechst die Begehren seiner Verbuendeten zur Verhandlung, unter denen die Landanweisung an die Veteranen des asiatischen Heeres bei weitem das wichtigste war. Das zu diesem Ende von Caesar entworfene Ackergesetz hielt im allgemeinen fest an den Grundzuegen, wie sie der das Jahr zuvor in Pompeius’ Auftrag eingebrachte, aber gescheiterte Gesetzesentwurf aufgestellt hatte. Zur Verteilung ward nur das italische Domanialland bestimmt, das heisst wesentlich das Gebiet von Capua, und, wenn dies nicht ausreichen sollte, anderer italischer Grundbesitz, der aus dem Ertrage der neuen oestlichen Provinzen zu dem in den zensorischen Listen verzeichneten Taxationswert angekauft werden sollte; alle bestehenden Eigentumsund Erbbesitzrechte blieben also unangetastet. Die einzelnen Parzellen waren klein. Die Landempfaenger sollten arme Buerger, Vaeter von wenigstens drei Kindern sein; der bedenkliche Grundsatz, dass der geleistete Militaerdienst Anspruch auf Grundbesitz gebe, ward nicht aufgestellt, sondern es wurden nur, wie es billig und zu allen Zeiten geschehen war, die alten Soldaten sowie nicht minder die auszuweisenden Zeitpaechter den Landausteilern vorzugsweise zur Beruecksichtigung empfohlen. Die Ausfuehrung ward einer Kommission von zwanzig Maennern uebertragen, in die Caesar bestimmt erklaerte, sich selber nicht waehlen lassen zu wollen. Die Opposition hatte gegen diesen Vorschlag einen schweren Stand. Es liess sich vernuenftigerweise nicht leugnen, dass die Staatsfinanzen nach Einrichtung der Provinzen Pontus und Syrien imstande sein mussten, auf die kampanischen Pachtgelder zu verzichten; dass es unverantwortlich war, einen der schoensten und eben zum Kleinbesitz vorzueglich geeigneten Distrikt Italiens dem Privatverkehr zu entziehen; dass es endlich ebenso ungerecht wie laecherlich war, noch jetzt nach der Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien der Ortschaft Capua die Munizipalrechte vorzuenthalten. Der ganze Vorschlag trug den Stempel der Maessigung, der Ehrlichkeit und der Solidaritaet, womit sehr geschickt der demokratische Parteicharakter verbunden war; denn im wesentlichen lief derselbe doch hinaus auf die Wiederherstellung der in der marianischen Zeit gegruendeten und von Sulla wiederaufgehobenen capuanischen Kolonie. Auch in der Form beobachtete Caesar jede moegliche Ruecksicht. Er legte den Entwurf des Ackergesetzes, sowie zugleich den Antrag, die von Pompeius im Osten erlassenen Verfuegungen in Bausch und Bogen zu ratifizieren und die Petition der Steuerpaechter um Nachlass eines Drittels der Pachtsummen, zunaechst dem Senat zur Begutachtung vor und erklaerte sich bereit, Abaenderungsvorschlaege entgegenzunehmen und zu diskutieren. Das Kollegium hatte jetzt Gelegenheit, sich zu ueberzeugen, wie toericht es gehandelt hatte, durch Verweigerung dieser Begehren Pompeius und die Ritterpartei dem Gegner in die Arme zu treiben. Vielleicht war es das stille Gefuehl hiervon, das die hochgeborenen Herren zu dem lautesten und mit dem gehaltenen Auftreten Caesars uebel kontrastierenden Widerbellen trieb. Das Ackergesetz ward von ihnen einfach und selbst ohne Diskussion zurueckgewiesen. Der Beschluss ueber Pompeius’ Einrichtungen in Asien fand ebensowenig Gnade vor ihren Augen. Den Antrag hinsichtlich der Steuerpaechter versuchte Cato nach der unloeblichen Sitte des roemischen Parlamentarismus totzusprechen, das heisst bis zu der gesetzlichen Schlussstunde der Sitzung seine Rede fortzuspinnen; als Caesar Miene machte, den stoerrigen Mann verhaften zu lassen, ward schliesslich auch dieser Antrag verworfen. Natuerlich gingen nun saemtliche Antraege an die Buergerschaft. Ohne sich weit von der Wahrheit zu entfernen, konnte Caesar der Menge sagen, dass der Senat die vernuenftigsten und notwendigsten, in der achtungsvollsten Form an ihn gebrachten Vorschlaege, bloss weil sie von dem demokratischen Konsul kamen, schnoede zurueckgewiesen habe. Wenn er hinzufuegte, dass die Aristokraten ein Komplott gesponnen haetten, um die Verwerfung der Antraege zu bewirken, und die Buergerschaft, namentlich Pompeius selbst und dessen alte Soldaten, aufforderte, gegen List und Gewalt ihm beizustehen, so war auch dies keineswegs aus der Luft gegriffen. Die Aristokratie, voran der eigensinnige Schwachkopf Bibulus und der standhafte Prinzipiennarr Cato, hatte in der Tat vor, die Sache bis zu offenbarer Gewalt zu treiben. Pompeius, von Caesar veranlasst, sich ueber seine Stellung zu der obschwebenden Frage auszusprechen, erklaerte unumwunden, wie es sonst seine Art nicht war, dass, wenn jemand wagen sollte, das Schwert zu zuecken, auch er nach dem seinigen greifen und dann den Schild nicht zu Hause lassen werde; ebenso sprach Crassus sich aus. Pompeius’ alte Soldaten wurden angewiesen, am Tage der Abstimmung, die ja zunaechst sie anging, zahlreich mit Waffen unter den Kleidern auf dem Stimmplatz zu erscheinen. Die Nobilitaet liess dennoch kein Mittel unversucht, um die Antraege Caesars zu vereiteln. An jedem Tage, wo Caesar vor dem Volke auftrat, stellte sein Kollege Bibulus die bekannten politischen Wetterbeobachtungen an, die alle oeffentlichen Geschaefte unterbrachen; Caesar kuemmerte sich um den Himmel nicht, sondern fuhr fort, seine irdischen Geschaefte zu betreiben. Die tribunizische Interzession ward eingelegt; Caesar begnuegte sich, sie nicht zu beachten. Bibulus und Cato sprangen auf die Rednertribuene, harangierten die Menge und veranlassten den gewoehnlichen Krawall; Caesar liess sie durch Gerichtsdiener vom Markte hinwegfuehren und uebrigens dafuer sorgen, dass ihnen kein Leides geschah - es lag auch in seinem Interesse, dass die politische Komoedie das blieb, was sie war. Alles Schikanierens und alles Folterns der Nobilitaet ungeachtet, wurden das Ackergesetz, die Bestaetigung der asiatischen Organisationen und der Nachlass fuer die Steuerpaechter von der Buergerschaft angenommen, die Zwanzigerkommission, an ihrer Spitze Pompeius und Crassus, erwaehlt und in ihr Amt eingesetzt; mit allen ihren Anstrengungen hatte die Aristokratie nichts weiter erreicht, als dass ihre blinde und gehaessige Widersetzlichkeit die Bande der Koalition noch fester gezogen und ihre Energie, deren sie bald bei. wichtigeren Dingen beduerfen sollte, an diesen im Grunde gleichgueltigen Angelegenheiten sich erschoepft hatte. Man beglueckwuenschte sich untereinander ueber den bewiesenen Heldenmut; dass Bibulus erklaert hatte, lieber sterben als weichen zu wollen, dass Cato noch in den Haenden der Buettel fortgefahren hatte zu perorieren, waren grosse patriotische Taten; uebrigens ergab man sich in sein Schicksal. Der Konsul Bibulus schloss sich fuer den noch uebrigen Teil des Jahres in sein Haus ein, wobei er zugleich durch oeffentlichen Anschlag bekannt machte, dass er die fromme Absicht habe, an allen in diesem Jahr zu Volksversammlungen geeigneten Tagen nach Himmelszeichen zu spaehen. Seine Kollegen bewunderten wieder den grossen Mann, der, gleich wie Ennius von dem alten Fabius gesagt, "den Staat durch Zaudern errette", und taten wie er; die meisten derselben, darunter Cato, erschienen nicht mehr im Senat und halfen innerhalb ihrer vier Waende ihrem Konsul sich aergern, dass der politischen Astronomie zum Trotz die Weltgeschichte weiterging. Dem Publikum erschien diese Passivitaet des Konsuls sowie der Aristokratie ueberhaupt wie billig als politische Abdikation; und die Koalition war natuerlich sehr wohl damit zufrieden, dass man sie die weiteren Schritte fast ungestoert tun liess. Der wichtigste darunter war die Regulierung der kuenftigen Stellung Caesars. Verfassungsmaessig lag es dem Senat ob, die Kompetenzen des zweiten konsularischen Amtsjahrs nach vor der Wahl der Konsuln festzustellen; demgemaess hatte er denn auch, in Voraussicht der Wahl Caesars, dazu fuer 696 (58) zwei Provinzen ausersehen, in denen der Statthalter nichts anderes vorzunehmen fand als Strassenbauten und dergleichen nuetzliche Dinge mehr. Natuerlich konnte es nicht dabei bleiben; es war unter den Verbuendeten ausgemacht, dass Caesar ein ausserordentliches nach dem Muster der Gabinisch-Manilischen Gesetze zugeschnittenes Kommando durch Volksschluss erhalten solle. Caesar indes hatte oeffentlich erklaert, keinen Antrag zu seinen eigenen Gunsten einbringen zu wollen; der Volkstribun Publius Vatinius uebernahm es also, den Antrag bei der Buergerschaft zu stellen, die natuerlich unbedingt gehorchte. Caesar erhielt dadurch die Statthalterschaft des cisalpinischen Galliens und den Oberbefehl der drei daselbst stehenden, schon im Grenzkrieg unter Lucius Afranius erprobten Legionen, ferner propraetorischen Rang fuer seine Adjutanten, wie die Pompeianischen ihn gehabt hatten; auf fuenf Jahre hinaus, auf laengere Zeit, als je frueher ein ueberhaupt auf bestimmte Zeit beschraenkter Feldherr bestellt worden war, ward dies Amt ihm gesichert. Den Kern seiner Statthalterschaft bildeten die Transpadaner, seit Jahren schon, in Hoffnung auf das Buergerrecht, die Klienten der demokratischen Partei in Rom und insbesondere Caesars. Sein Sprengel erstreckte sich suedlich bis zum Arnus und zum Rubico und schloss Luca und Ravenna ein. Nachtraeglich ward dann noch die Provinz Narbo mit der einen daselbst befindlichen Legion zu Caesars Amtsbezirk hinzugefuegt, was auf Pompeius’ Antrag der Senat beschloss, um wenigstens nicht auch dies Kommando durch ausserordentlichen Buergerschaftsbeschluss auf Caesar uebergehen zu sehen. Man hatte damit, was man wollte. Da verfassungsmaessig in dem eigentlichen Italien keine Truppen stehen durften, so beherrschte der Kommandant der norditalischen und gallischen Legionen auf die naechsten fuenf Jahre zugleich Italien und Rom; und wer auf fuenf Jahre, ist auch Herr auf Lebenszeit. Caesars Konsulat hatte seinen Zweck erreicht. Es versteht sich, dass die neuen Machthaber nebenbei nicht versaeumten, die Menge durch Spiele und Lustbarkeiten aller Art bei guter Laune zu erhalten, und dass sie jede Gelegenheit ergriffen, ihre Kasse zu fuellen; wie denn zum Beispiel dem Koenig von Aegypten der Volksschluss, der ihn als legitimen Herrscher anerkannte, von der Koalition um hohen Preis verkauft ward, und ebenso andere Dynasten und Gemeinden Freibriefe und Privilegien bei dieser Gelegenheit erwarben. Auch die Dauerhaftigkeit der getroffenen Einrichtungen schien hinlaenglich gesichert. Das Konsulat ward wenigstens fuer das naechste Jahr sicheren Haenden anvertraut. Das Publikum glaubte anfangs, dass es Pompeius und Crassus selber bestimmt sei; die Machthaber zogen es indes vor, zwei untergeordnete, aber zuverlaessige Maenner ihrer Partei, Aulus Gabinius, den besten unter Pompeius’ Adjutanten, und Lucius Piso, der minder bedeutend, aber Caesars Schwiegervater war, fuer 696 (58) zu Konsuln waehlen zu lassen. Pompeius uebernahm es persoenlich, Italien zu bewachen, wo er an der Spitze der Zwanzigerkommission die Ausfuehrung des Ackergesetzes betrieb und gegen 20000 Buerger, grossenteils alte Soldaten aus seiner Armee, im Gebiete von Capua mit Grundbesitz ausstattete; als Rueckhalt gegen die hauptstaedtische Opposition dienten ihm Caesars norditalische Legionen. Auf einen Bruch unter den Machthabern selbst war zunaechst wenigstens keine Aussicht. Die von Caesar als Konsul erlassenen Gesetze, an deren Aufrechterhaltung Pompeius wenigstens ebensoviel gelegen war als Caesar, verbuergten die Fortdauer der Spaltung zwischen Pompeius und der Aristokratie, deren Spitzen, namentlich Cato, fortfuhren, die Gesetze als nichtig zu behandeln, und damit den Fortbestand der Koalition. Es kam hinzu, dass auch die persoenlichen Bande zwischen ihren Haeuptern sich enger zusammenzogen. Caesar hatte seinen Verbuendeten redlich und treulich Wort gehalten, ohne sie in dem Versprochenen zu beknappen oder zu schikanieren, und namentlich das in Pompeius’ Interesse beantragte Ackergesetz voellig wie seine eigene Sache mit Gewandtheit und Energie durchgefochten; Pompeius war nicht unempfaenglich fuer rechtliches Verhalten und gute Treue und wohlwollend gestimmt gegen denjenigen, der ihm ueber die seit drei Jahren gespielte armselige Petentenrolle mit einem Schlag hinweggeholfen hatte. Der haeufige und vertraute Verkehr mit einem Manne von der unwiderstehlichen Liebenswuerdigkeit Caesars tat das uebrige, um den Bund der Interessen in einen Freundschaftsbund umzugestalten. Das Ergebnis und das Unterpfand dieser Freundschaft, freilich zugleich auch eine oeffentliche, schwer misszuverstehende Ankuendigung der neubegruendeten Gesamtherrschaft, war die Ehe, die Pompeius mit Caesars einziger, dreiundzwanzigjaehriger Tochter einging. Julia, die die Anmut ihres Vaters geerbt hatte, lebte mit ihrem um das doppelte aelteren Gemahl in der gluecklichsten Haeuslichkeit, und die nach so vielen Noeten und Krisen Ruhe und Ordnung herbeisehnende Buergerschaft sah in diesem Ehebuendnis die Gewaehr einer friedlichen und gedeihlichen Zukunft. Je fester und enger also das Buendnis zwischen Pompeius und Caesar sich knuepfte, desto hoffnungsloser gestaltete sich die Sache der Aristokratie. Sie fuehlte das Schwert ueber ihrem Haupte schweben und kannte Caesar hinlaenglich, um nicht zu bezweifeln, dass er, wenn noetig, es unbedenklich brauchen werde. "Von allen Seiten", schrieb einer von ihnen, "stehen wir im Schach; schon haben wir aus Furcht vor dem Tode oder vor der Verbannung auf die ’Freiheit’ verzichtet; jeder seufzt, zu reden wagt keiner". Mehr konnten die Verbuendeten nicht verlangen. Aber wenn auch die Majoritaet der Aristokratie in dieser wuenschenswerten Stimmung sich befand, so fehlte es doch natuerlich in dieser Partei auch nicht an Heissspornen. Kaum hatte Caesar das Konsulat niedergelegt, als einige der hitzigsten Aristokraten, Lucius Domitius und Gaius Memmius, im vollen Senat den Antrag stellten, die Julischen Gesetze zu kassieren. Es war das freilich nichts als eine Torheit, die nur zum Vorteil der Koalition ausschlug; denn da Caesar nun selbst darauf bestand, dass der Senat die Gueltigkeit der angefochtenen Gesetze untersuchen moege, konnte dieser nicht anders, als deren Legalitaet foermlich anerkennen. Allein begreiflicherweise fanden dennoch die Machthaber hierin eine neue Aufforderung, an einigen der namhaftesten und vorlautesten Opponenten ein Exempel zu statuieren, und dadurch sich zu versichern, dass die uebrige Masse bei jenem zweckmaessigen Seufzen und Schweigen beharre. Anfangs hatte man gehofft, dass die Klausel des Ackergesetzes, welche wie ueblich den Eid auf das neue Gesetz von den saemtlichen Senatoren bei Verlust ihrer politischen Rechte forderte, die heftigsten Widersacher bestimmen werde, nach dem Vorgange des Metellus Numidicus sich durch die Eidverweigerung selber zu verbannen. Allein so gefaellig erwiesen sich dieselben doch nicht; selbst der gestrenge Cato bequemte sich zu schwoeren, und seine Sanchos folgten ihm nach. Ein zweiter wenig ehrbarer Versuch, die Haeupter der Aristokratie wegen eines angeblich gegen Pompeius gesponnenen Mordanschlags mit Kriminalanklagen zu bedrohen und dadurch sie in die Verbannung zu treiben, ward durch die Unfaehigkeit der Werkzeuge vereitelt; der Denunziant, ein gewisser Vettius, uebertrieb und widersprach sich so arg und der Tribun Vatinius, der die unsaubere Maschine dirigierte, zeigte sein Einverstaendnis mit jenem Vettius so deutlich, dass man es geraten fand, den letzteren im Gefaengnis zu erdrosseln und die ganze Sache fallen zu lassen. Indes hatte man bei dieser Gelegenheit von der vollstaendigen Aufloesung der Aristokratie und der grenzenlosen Angst der vornehmen Herren sich sattsam ueberzeugt; selbst ein Mann wie Lucius Lucullus hatte sich persoenlich Caesar zu Fuessen geworfen und oeffentlich erklaert, dass er seines hohen Alters wegen sich genoetigt sehe, vom oeffentlichen Leben zurueckzutreten. Man liess sich denn endlich an einigen wenigen Opfern genuegen. Hauptsaechlich galt es Cato zu entfernen, welcher seiner Ueberzeugung von der Nichtigkeit der saemtlichen Julischen Gesetze keinen Hehl hatte, und der Mann war so, wie er dachte zu handeln. Ein solcher Mann war freilich Marcus Cicero nicht, und man gab sich nicht die Muehe, ihn zu fuerchten. Allein die demokratische Partei, die in der Koalition die erste Rolle spielte, konnte den Justizmord des 5. Dezember 691 (63), den sie so laut und mit so gutem Rechte getadelt hatte, unmoeglich nach ihrem Siege ungeahndet lassen. Haette man die wirklichen Urheber des verhaengnisvollen Beschlusses zur Rechenschaft ziehen wollen, so masste man freilich sich nicht an den schwachmuetigen Konsul halten, sondern an die Fraktion der strengen Aristokratie, die den aengstlichen Mann zu jener Exekution gedraengt hatte. Aber nach formellem Recht waren fuer dieselbe allerdings nicht die Ratgeber des Konsuls, sondern der Konsul selbst verantwortlich, und vor allem war es der mildere Weg, nur den Konsul zur Rechenschaft zu ziehen und das Senatskollegium ganz aus dem Spiele zu lassen, weshalb auch in den Motiven des gegen Cicero gerichteten Antrags der Senatsbeschluss, kraft dessen derselbe die Hinrichtung anordnete, geradezu als untergeschoben bezeichnet ward. Selbst gegen Cicero haetten die Machthaber gern Aufsehen erregende Schritte vermieden; allein derselbe konnte es nicht ueber sich gewinnen, weder den Machthabern die verlangten Garantien zu geben, noch unter einem der mehrfach ihm dargebotenen schicklichen Vorwaende sich selbst von Rom zu verbannen, noch auch nur zu schweigen. Bei dem besten Willen, jeden Anstoss zu vermeiden, und der aufrichtigsten Angst hatte er doch nicht Haltung genug, um vorsichtig zu sein; das Wort masste heraus, wenn ein petulanter Witz ihn prickelte oder wenn sein durch das Lob so vieler adliger Herren fast uebergeschnapptes Selbstbewusstsein die wohlkadenzierten Perioden des plebejischen Advokaten schwellte. Die Ausfuehrung der gegen Cato und Cicero beschlossenen Massregeln ward dem lockeren und wuesten, aber gescheiten und vor allen Dingen dreisten Publius Clodius uebertragen, der seit Jahren mit Cicero in der bi
ttersten Feindschaft lebte und, um diese befriedigen und als Demagog eine Rolle spielen zu koennen, unter Caesars Konsulat sich durch eilige Adoption aus einem Patrizier in einen Plebejer verwandelt und dann fuer das Jahr 696 (58) zum Volkstribun hatte waehlen lassen. Als Rueckhalt fuer Clodius verweilte der Prokonsul Caesar, bis der Schlag gegen die beiden Opfer gefallen war, in der unmittelbaren Naehe der Hauptstadt. Den erhaltenen Auftraegen gemaess schlug Clodius der Buergerschaft vor, Cato mit der Regulierung der verwickelten Gemeindeverhaeltnisse der Byzantier und mit der Einziehung des Koenigreichs Kypros zu beauftragen, welches ebenso wie Aegypten durch das Testament Alexanders II. den Roemern angefallen war und nicht, wie Aegypten, die roemische Einziehung abgekauft, dessen Koenig ueberdies den Clodius vor Zeiten persoenlich beleidigt hatte. Hinsichtlich Ciceros brachte Clodius einen Gesetzentwurf ein, welcher die Hinrichtung eines Buergers ohne Urteil und Recht als ein mit Landesverweisung zu bestrafendes Verbrechen bezeichnete. Cato also ward durch eine ehrenvolle Sendung entfernt, Cicero wenigstens mit der moeglichst gelinden Strafe belegt, ueberdies in dem Antrag doch nicht mit Namen genannt. Das Vergnuegen aber versagte man sich nicht, einerseits einen notorisch zaghaften und zu der Gattung der politischen Wetterfahnen zaehlenden Mann wegen von ihm bewiesener Energie zu bestrafen, andererseits den verbissenen Gegner aller Eingriffe der Buergerschaft in die Administration und aller ausserordentlichen Kommandos durch Buergerschaftsbeschluss selbst mit einem solchen auszustatten; und mit gleichem Humor ward der Cato betreffende Antrag motiviert mit der abnormen Tugendhaftigkeit dieses Mannes, welche ihn vor jedem andern geeignet erscheinen lasse, einen so kitzlichen Auftrag, wie die Einziehung des ansehnlichen kyprischen Kronschatzes war, auszufuehren, ohne zu stehlen. Beide Antraege tragen ueberhaupt den Charakter ruecksichtsvoller Deferenz und kuehler Ironie, der Caesars Verhalten dem Senat gegenueber durchgaengig bezeichnet. Auf Widerstand stiessen sie nicht. Es half natuerlich nichts, dass die Senatsmajoritaet, um doch auf irgendeine Art gegen die Verhoehnung und Brandmarkung ihres Beschlusses in der Catilinarischen Sache zu protestieren, oeffentlich das Trauergewand anlegte und dass Cicero selbst, nun da es zu spaet war, bei Pompeius kniefaellig um Gnade bat; er musste, noch bevor das Gesetz durchging, das ihm die Heimat verschloss, sich selber verbannen (April 696 58). Cato liess es gleichfalls nicht darauf ankommen, durch Ablehnung des ihm gewordenen Auftrags schaerfere Massregeln zu provozieren, sondern nahm denselben an und schiffte sich ein nach dem Osten. Das Naechste war getan; auch Caesar konnte Italien verlassen, um sich ernsteren Aufgaben zu widmen.
7. Kapitel Die Unterwerfung des Westens
Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egoismus, der in der Kurie und auf den Strassen der Hauptstadt seine Schlachten schlug, sich der Gang der Geschichte wieder zu Dingen wendet, die wichtiger sind als die Frage, ob der erste Monarch Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heissen wird, so mag es wohl gestattet sein, an der Schwelle eines Ereignisses, dessen Folgen noch heute die Geschicke der Welt bestimmen, einen Augenblick umzuschauen und den Zusammenhang zu bezeichnen, in welchem die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Roemer und ihre ersten Beruehrungen mit den Bewohnern Deutschlands und Grossbritanniens weltgeschichtlich aufzufassen sind. Kraft des Gesetzes, dass das zum Staat entwickelte Volk die politisch unmuendigen, das zivilisierte die geistig unmuendigen Nachbarn in sich aufloest - kraft dieses Gesetzes, das so allgemeingueltig und so sehr Naturgesetz ist wie das Gesetz der Schwere, war die italische Nation, die einzige des Altertums, welche die hoehere politische Entwicklung und die hoehere Zivilisation, wenn auch letztere nur in unvollkommener und aeusserlicher Weise, miteinander zu verbinden vermocht hat, befugt, die zum Untergang reifen griechischen Staaten des Ostens sich untertan zu machen und die Voelkerschaften niedrigerer Kulturgrade im Westen, Libyer, Iberer, Kelten, Germanen, durch ihre Ansiedler zu verdraengen - eben wie England mit gleichem Recht in Asien eine ebenbuertige, aber politisch impotente Zivilisation sich unterworfen, in Amerika und Australien ausgedehnte barbarische Landschaften mit dem Stempel seiner Nationalitaet bezeichnet und geadelt hat und noch fortwaehrend bezeichnet und adelt. Die Vorbedingung dieser Aufgabe, die Einigung Italiens, hatte die roemische Aristokratie vollbracht; die Aufgabe selber hat sie nicht geloest, sondern die ausseritalischen Eroberungen stets nur entweder als notwendiges Uebel oder auch als einen gleichsam ausserhalb des Staates stehenden Rentenbesitz betrachtet. Es ist der unvergaengliche Ruhm der roemischen Demokratie oder Monarchie - denn beides faellt zusammen -, dass sie jene hoechste Bestimmung richtig begriffen und kraeftig verwirklicht hat. Was die unwiderstehliche Macht der Verhaeltnisse durch den wider seinen Willen die Grundlagen der kuenftigen roemischen Herrschaft im Westen wie im Osten feststellenden Senat vorbereitet hatte, was dann die roemische Emigration in die Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in die westlichen Landschaften doch auch als Pionier einer hoeheren Kultur, instinktmaessig betrieb, das hat der Schoepfer der roemischen Demokratie Gaius Gracchus mit staatsmaennischer Klarheit und Sicherheit erfasst und durchzufuehren begonnen. Die beiden Grundgedanken der neuen Politik: das Machtgebiet Roms, soweit es hellenisch war, zu reunieren, soweit es nicht hellenisch war, zu kolonisieren, waren mit der Einziehung des Attalischen Reiches, mit den transalpinischen Eroberungen des Flaccus bereits in der gracchischen Zeit praktisch anerkannt worden; aber die obsiegende Reaktion liess sie wieder verkuemmern. Der roemische Staat blieb eine wueste Laendermasse ohne intensive Okkupation und ohne gehoerige Grenzen; Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen waren durch weite, kaum in ihren Kuestensaeumen den Roemern untertaenige Gebiete von dem Mutterland geschieden, an der afrikanischen Nordkueste nur die Gebiete von Karthago und Kyrene inselartig okkupiert, selbst von dem untertaenigen Gebiet grosse Strecken, namentlich in Spanien, den Roemern nur dem Namen nach unterworfen: von Seiten der Regierung aber geschah zur Konzentrierung und Arrondierung der Herrschaft schlechterdings nichts, und der Verfall der Flotte schien endlich das letzte Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu loesen. Wohl versuchte die Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch die aeussere Politik im Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn namentlich Marius mit solchen Ideen sich trug; aber da sie nicht auf die Dauer ans Ruder kam, blieb es bei Entwuerfen. Erst als mit dem Sturz der Sullanischen Verfassung im Jahre 684 (70) die Demokratie tatsaechlich das Regiment in die Hand nahm, trat auch in dieser Hinsicht ein Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herrschaft auf dem Mittellaendischen Meere wiederhergestellt, die erste Lebensfrage fuer einen Staat wie der roemische war. Gegen Osten wurde weiter durch die Einziehung der pontischen und syrischen Landschaften die Euphratgrenze gesichert. Aber noch war es uebrig, jenseits der Alpen zugleich das roemische Gebiet gegen Norden und Westen abzuschliessen und der hellenischen Zivilisation, der noch keineswegs gebrochenen Kraft des italischen Stammes hier einen neuen jungfraeulichen Boden zu gewinnen. Dieser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist mehr als ein Irrtum, es ist ein Frevel gegen den in der Geschichte maechtigen heiligen Geist, wenn man Gallien einzig als den Exerzierplatz betrachtet, auf dem Caesar sich und seine Legionen fuer den bevorstehenden Buergerkrieg uebte. Wenn auch die Unterwerfung des Westens fuer Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als er in den transalpinischen Kriegen seine spaetere Machtstellung begruendet hat, so ist ebendies das Privilegium des staatsmaennischen Genius, dass seine Mittel selbst wieder Zwecke sind. Caesar bedurfte wohl fuer seine Parteizwecke einer militaerischen Macht; Gallien aber hat er nicht als Parteimann erobert. Es war zunaechst fuer Rom eine politische Notwendigkeit, der ewig drohenden Invasion der Deutschen schon jenseits der Alpen zu begegnen und dort einen Damm zu ziehen, der der roemischen Welt den Frieden sicherte. Aber auch dieser wichtige Zweck war noch nicht der hoechste und letzte, weshalb Gallien von Caesar erobert ward. Als der roemischen Buergerschaft die alte Heimat zu eng geworden war und sie in Gefahr stand zu verkuemmern, rettete die italische Eroberungspolitik des Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die italische Heimat wieder zu eng geworden; wieder siechte der Staat an denselben in gleicher Art, nur in groesseren Verhaeltnissen sich wiederholenden sozialen Missstaenden. Es war ein genialer Gedanke, eine grossartige Hoffnung, welche Caesar ueber die Alpen fuehrte: der Gedanke und die Zuversicht, dort seinen Mitbuergern eine neue, grenzenlose Heimat zu gewinnen und den Staat zum zweitenmal dadurch zu regenerieren, dass er auf eine breitere Basis gestellt ward. Gewissermassen laesst sich zu den auf die Unterwerfung des Westens abzielenden Unternehmungen schon der Feldzug rechnen, den Caesar im Jahre 693 (61) im Jenseitigen Spanien unternahm. Wielange auch Spanien schon den Roemern gehorchte, immer noch war selbst nach der Expedition des Decimus Brutus gegen die Callaeker das westliche Gestade von den Roemern wesentlich unabhaengig geblieben und die Nordkueste noch gar von ihnen nicht betreten worden; und die Raubzuege, denen von dort aus die untertaenigen Landschaften fortwaehrend sich ausgesetzt sahen, taten der Zivilisierung und Romanisierung Spaniens nicht geringen Eintrag. Hiergegen richtete sich Caesars Zug an der Westkueste hinauf. Er ueberschritt die den Tajo noerdlich begrenzende Kette der Herminischen Berge (Sierra de Estrella), nachdem er die Bewohner derselben ueberwunden und zum Teil in die Ebene uebergesiedelt hatte, unterwarf die Landschaft zu beiden Seiten des Duero und gelangte bis an die nordwestliche Spitze der Halbinsel, wo er mit Hilfe einer von Gades herbeigezogenen Flottille Brigantium (Coru¤a) einnahm. Dadurch wurden die Anwohner des Atlantischen Ozeans, Lusitaner und Callaeker zur Anerkennung der roemischen Suprematie gezwungen, waehrend der Ueberwinder zugleich darauf bedacht war, durch Herabsetzung der nach Rom zu entrichtenden Tribute und Regulierung der oekonomischen Verhaeltnisse der Gemeinden die Lage der Untertanen ueberhaupt leidlicher zu gestalten. Indes wenn auch schon in diesem militaerischen und administrativen Debuet des grossen Feldherrn und Staatsmannes dieselben Talente und dieselben leitenden Gedanken durchschimmern, die er spaeter auf groesseren Schauplaetzen bewaehrt hat, so war doch seine Wirksamkeit auf der Iberischen Halbinsel viel zu voruebergehend, um tief einzugreifen, um so mehr als bei deren eigentuemlichen physischen und nationalen Verhaeltnissen nur eine laengere Zeit hindurch mit Stetigkeit fortgesetzte Taetigkeit hier eine dauernde Wirkung aeussern konnte. Eine bedeutendere Rolle in der romanischen Entwicklung des Westens war der Landschaft bestimmt, welche zwischen den Pyrenaeen und dem Rheine, dem Mittelmeer und dem Atlantischen Ozean sich ausbreitet und an der seit der augustinischen Zeit der Name des Keltenlandes, Gallien, vorzugsweise haftet, obwohl genau genommen das Keltenland teils enger ist, teils viel weiter sich erstreckt und jene Landschaft niemals eine nationale und nicht vor Augustus eine politische Einheit gebildet hat. Es ist eben darum nicht leicht, von den in sich sehr ungleichartigen Zustaenden, die Caesar bei seinem Eintreffen daselbst im Jahre 696 (58) vorfand, ein anschauliches Bild zu entwerfen. In der Landschaft am Mittelmeer, welche ungefaehr, im Westen der Rhone Languedoc, im Osten Dauphine und Provence umfassend, seit sechzig Jahren roemische Provinz war, hatten seit dem kimbrischen Sturm, der auch ueber sie hingebraust war, die roemischen Waffen selten geruht. 664 (90) hatte Gaius Caelius mit den Salyern um Aquae Sextiae, 674 (80) Gaius Flaccus auf dem Marsch nach Spanien mit anderen keltischen Gauen gekaempft. Als im Sertorianischen Krieg der Statthalter Lucius Manlius, genoetigt, seinen Kollegen jenseits der Pyrenaeen zu Hilfe zu eilen, geschlagen von Ilerda (Lerida) zurueckkam und auf dem Heimweg von den westlichen Nachbarn der roemischen Provinz, den Aquitanern, zum zweitenmal besiegt ward (um 676 78), scheint dies einen allgemeinen Aufstand der Provinzialen zwischen den Pyrenaeen und der Rhone, vielleicht selbst derer zwischen Rhone und Alpen hervorgerufen zu haben. Pompeius musste sich durch das empoerte Gallien seinen Weg nach Spanien mit dem Schwerte bahnen und gab zur Strafe fuer die Empoerung die Marken der Volker-Arekomiker und der Helvier (Departement Gard und Ardeche) den Massalioten zu eigen; der Statthalter Manius Fonteius (678-680 76-74) fuehrte diese Anordnungen aus und stellte die Ruhe in der Provinz wieder her, indem er die Vocontier (Departement Drome) niederwarf, Massalia vor den Aufstaendischen schuetzte und die roemische Hauptstadt Narbo, die sie berannten, wieder befreite. Die Verzweiflung indes und die oekonomische Zerruettung, welche die Mitleidenschaft unter dem Spanischen Krieg und ueberhaupt die amtlichen und nichtamtlichen Erpressungen der Roemer ueber die gallischen Besitzungen brachten, liess dieselben nicht zur Ruhe kommen und namentlich der von Narbo am weitesten entfernte Kanton der Allobrogen war in bestaendiger Gaerung, von der die "Friedensstiftung", die Gaius Piso dort 688 (66) vornahm, sowie das Verhalten der allobrogischen Gesandtschaft in Rom bei Gelegenheit des Anarchistenkomplotts 691 (63) Zeugnis ablegen und die bald darauf (693 61) in offene Empoerung ausbrach. Catugnatus, der Fuehrer der Allobrogen in diesem Kriege der Verzweiflung, ward, nachdem er anfangs nicht ungluecklich gefochten, bei Solonium nach ruehmlicher Gegenwehr von dem Statthalter Gaius Pomptinus ueberwunden. Trotz aller dieser Kaempfe wurden die Grenzer. des roemischen Gebiets nicht wesentlich vorgeschoben; Lugudunum Convenarum, wo Pompeius die Truemmer der Sertorianischen Armee angesiedelt hatte, Tolosa, Vienna und Genava waren immer noch die aeussersten roemischen Ortschaften gegen Westen und Norden. Dabei aber war die Bedeutung dieser gallischen Besitzungen fuer das Mutterland bestaendig im Steigen; das herrliche, dem italischen verwandte Klima, die guenstigen Bodenverhaeltnisse, das dem Handel so foerderliche grosse und reiche Hinterland mit seinen bis nach Britannien reichenden Kaufstrassen, der bequeme Landund Seeverkehr mit der Heimat gaben rasch dem suedlichen Kettenland eine oekonomische Wichtigkeit fuer Italien, die viel aeltere Besitzungen, wie zum Beispiel die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hatten; und wie die politisch schiffbruechigen Roemer in dieser Zeit vorzugsweise in Massalia eine Zufluchtsstaette suchten und dort italische Bildung wie italischen Luxus wiederfanden, so zogen sich auch die freiwilligen Auswanderer aus Italien mehr und mehr an die Rhone und die Garonne. "Die Provinz Gallien", heisst es in einer zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen Schilderung, "ist voll von Kaufleuten; sie wimmelt von roemischen Buergern. Kein Gallier macht ein Geschaeft ohne Vermittlung eines Roemers; jeder Pfennig, der in Gallien aus einer Hand in die andere kommt, geht durch die Rechnungsbuecher der roemischen Buerger". Aus derselben Schilderung ergibt sich, dass in Gallien auch ausser den Kolonisten von Narbo roemische Landwirte und Viehzuechter in grosser Anzahl sich aufhielten; wobei uebrigens nicht ausser acht zu lassen ist, dass das meiste von Roemern besessene Provinzland, eben wie in fruehester Zeit der groesste Teil der englischen Besitzungen in Nordamerika, in den Haenden des hohen, in Italien lebenden Adels war und jene Ackerbauer und Viehzuechter zum groessten Teil aus deren Verwaltern, Sklaven oder Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich, dass unter solchen Verhaeltnissen die Zivilisierung und die Romanisierung unter den Eingeborenen rasch um sich griff. Diese Kelten liebten den Ackerbau nicht; ihre neuen Herren aber zwangen sie, das Schwert mit dem Pfluge zu vertauschen, und es ist sehr glaublich, dass der erbitterte Widerstand der Allobrogen zum Teil eben durch dergleichen Anordnungen hervorgerufen ward. In aelteren Zeiten hatte der Hellenismus auch diese Landschaften bis zu einem gewissen Grade beherrscht; die Elemente hoeherer Gesittung, die Anregungen zu Weinund Oelbau, zum Gebrauche der Schrift ^1 und zur Muenzpraegung kamen ihnen von Massalia. Auch durch die Roemer ward die hellenische Kultur hier nichts weniger als verdraengt; Massalia gewann durch sie mehr an Einfluss als es verlor, und noch in der roemischen Zeit wurden griechische Aerzte und Rhetoren in den gallischen Kantons von Gemeinde wegen angestellt. Allein begreiflicherweise erhielt doch der Hellenismus im suedlichen Keltenland durch die Roemer denselben Charakter wie in Italien: die spezifisch hellenische Zivilisation wich der lateinischgriechischen Mischkultur, die bald hier Proselyten in grosser Anzahl machte. Die "Hosengallier", wie man im Gegensatz zu den norditalischen "Galliern in der Toga" die Bewohner des suedlichen Keltenlandes nannte, waren zwar nicht wie jene bereits vollstaendig romanisiert, aber sie unterschieden sich doch schon sehr merklich von den "langhaarigen Galliern" der noch unbezwungenen noerdlichen Landschaften. Die bei ihnen sich einbuergernde Halbkultur gab zwar Stoff genug her zu Spoettereien ueber ihr barbarisches Latein, und man unterliess es nicht, dem, der im Verdacht keltischer Abstammung stand, seine "behoste Verwandtschaft" zu Gemuete zu fuehren; aber dies schlechte Latein reichte doch dazu aus, dass selbst die entfernten Allobrogen mit den roemischen Behoerden in Geschaeftsverkehr treten und sogar in roemischen Gerichten ohne Dolmetsch Zeugnis ablegen konnten. ------------------------------------------- ^1 So ward zum Beispiel in Vaison im Vocontischen Gau eine in keltischer Sprache mit gewoehnlichem griechischen Alphabet geschriebene Inschrift gefunden. Sie lautet: segomaros oyilloneos tooytioys namaysatis e/o/royb/e/l/e/samisosin nem/e/ton. Das letzte Wort heisst "heilig". ------------------------------------------- Wenn also die keltische und ligurische Bevoelkerung dieser Gegenden auf dem Wege war, ihre Nationalitaet einzubuessen und daneben siechte und verkuemmerte unter einem politischen und oekonomischen Druck, von dessen Unertraeglichkeit die hoffnungslosen Aufstaende hinreichend Zeugnis ablegen, so ging doch hier der Untergang der eingeborenen Bevoelkerung Hand in Hand mit der Einbuergerung derselben hoeheren Kultur, welche wir in dieser Zeit in Italien finden. Aquae Sextiae und mehr noch Narbo waren ansehnliche Ortschaften, die wohl neben Benevent und Capua genannt werden mochten; und Massalia, die bestgeordnete, freieste, wehrhafteste, maechtigste unter allen von Rom abhaengigen griechischen Staedten, unter ihrem streng aristokratischen Regiment, auf das die roemischen Konservativen wohl als auf das Muster einer guten Stadtverfassung hinwiesen, im Besitz eines bedeutenden und von den Roemern noch ansehnlich vergroesserten Gebiets und eines ausgebreiteten Handels, stand neben jenen launischen Staedten wie in Italien neben Capua und Benevent Rhegion und Neapolis. Anders sah es aus, wenn man die roemische Grenze ueberschritt. Die grosse keltische Nation, die in den suedlichen Landschaften schon von der italischen Einwanderung anfing unterdrueckt zu werden, bewegte sich noerdlich der Cevennen noch in althergebrachter Freiheit. Es ist nicht das erste Mal, dass wir ihr begegnen; mit den Auslaeufern und Vorposten des ungeheuren Stammes hatten die Italiker bereits am Tiber und am Po, in den Bergen Kastiliens und Kaerntens, ja tief im inneren Kleinasien gefochten, erst hier aber ward der Hauptstock in seinem Kerne von ihren Angriffen erfasst. Der Keltenstamm hatte bei seiner Ansiedlung in Mitteleuropa sich vornehmlich ueber die reichen Flusstaeler und das anmutige Huegelland des heutigen Frankreich mit Einschluss der westlichen Striche Deutschlands und der Schweiz ergossen und von hier aus wenigstens den suedlichen Teil von England, vielleicht schon damals ganz Grossbritannien und Irland besetzt ^2; mehr als irgendwo sonst bildete er hier eine breite, geographisch geschlossene Voelkermasse. Trotz der Unterschiede in Sprache und Sitte, die natuerlich innerhalb dieses weiten Gebietes nicht fehlten, scheint dennoch ein enger gegenseitiger Verkehr, ein geistiges Gefuehl der Gemeinschaft die Voelkerschaften von der Rhone und Garonne bis zum Rhein und der Themse zusammengeknuepft zu haben; wogegen dieselben mit den Kelten in Spanien und im heutigen Oesterreich wohl oertlich gewissermassen zusammenhingen, aber doch teils die gewaltigen Bergscheiden der Pyrenaeen und der Alpen, teils die hier ebenfalls einwirkenden Obergriffe der Roemer und der Germanen den Verkehr und den geistigen Zusammenhang der Stammverwandten ganz anders unterbrachen als der schmale Meerarm den der kontinentalen und der britischen Kelten. Leider ist es uns nicht vergoennt, die innere Entwicklungsgeschichte des merkwuerdigen Volkes in diesen seinen Hauptsitzen von Stufe zu Stufe zu verfolgen; wir muessen uns begnuegen, dessen kulturhistorischen und politischen Zustand, wie er hier zu Caesars Zeit uns entgegentritt, wenigstens in seinen Umrissen darzustellen. ------------------------------------------------- ^2 Auf eine laengere Zeit hindurch fortgesetzte Einwanderung belgischer Kelten nach Britannien deuten die von belgischen Gauen entlehnten Namen englischer Voelkerschaften an beiden Ufern der Themse, wie der Atrebaten, der Belgen, ja der Britanner selbst, welcher von den an der Somme unterhalb Amiens ansaessigen Britonen zuerst auf einen englischen Gau und sodann auf die ganze Insel uebertragen zu sein scheint. Auch die englische Goldmuenzung ist aus der belgischen abgeleitet und urspruenglich mit ihr identisch. --------------------------------------------------- Gallien war nach den Berichten der Alten verhaeltnismaessig wohl bevoelkert. Einzelne Angaben lassen schliessen, dass in den belgischen Distrikten etwa 900 Koepfe auf die Quadratmeile kamen - ein Verhaeltnis, wie es heutzutage etwa fuer Wallis und fuer Livland gilt, - in dem helvetischen Kanton etwa 1100 ^3; es ist wahrscheinlich, dass in den Distrikten, die kultivierter waren als die belgischen und weniger gebirgig als der helvetische, wie bei den Biturigen, Arvernern, Haeduern, sich die Ziffer noch hoeher stellte. Der Ackerbau ward in Gallien wohl getrieben, wie denn schon Caesars Zeitgenossen in der Rheinlandschaft die Sitte des Mergelns auffiel ^4 und die uralte keltische Sitte, aus Gerste Bier (cervesia) zu bereiten, ebenfalls fuer die fruehe und weite Verbreitung der Getreidekultur spricht; allein er ward nicht geachtet. Selbst in dem zivilisierteren Sueden galt es noch fuer den freien Kelten als nicht anstaendig, den Pflug zu fuehren. Weit hoeher stand bei den Kelten die Viehzucht, fuer welche die roemischen Gutsbesitzer dieser Epoche sich sowohl des keltischen Viehschlags als auch der tapferen, des Reitens kundigen und mit der Pflege der Tiere vertrauten keltischen Sklaven vorzugsweise gern bedienten ^5. Namentlich in den noerdlichen keltischen Landschaften ueberwog die Viehzucht durchaus. Die Bretagne war zu Caesars Zeit ein kornarmes Land. Im Nordosten reichten dichte Waelder, an den Kern der Ardennen sich anschliessend, fast ununterbrochen von der Nordsee bis zum Rheine, und auf den heute so gesegneten Fluren Flanderns und Lothringens weidete damals der menapische und treverische Hirte im undurchdringlichen Eichenwald seine halbwilden Saeue. Ebenwie im Potal durch die Roemer an die Stelle der keltischen Eichelmast Wollproduktion und Kornbau getreten sind, so gehen auch die Schafzucht und die Ackerwirtschaft in den Ebenen der Schelde und der Maas auf sie zurueck. In Britannien gar war das Dreschen des Kornes noch nicht ueblich, und in den noerdlicheren Strichen hoerte hier der Ackerbau ganz auf und war die Viehzucht die einzige bekannte Bodenbenutzung. Der Oelund Weinbau, der den Massalioten reichen Ertrag abwarf, ward jenseits der Cevennen zu Caesars Zeiten noch nicht betrieben. ----------------------------------------------------- ^3 Das erste Aufgebot der belgischen Kantone ausschliesslich der Remer, also der Landschaft zwischen Seine und Schelde und oestlich bis gegen Reims und Andernach von 2000-2200 Quadratmeilen, wird auf etwa 300000 Mann berechnet; wonach, wenn man das fuer die Bellovaker angegebene Verhaeltnis des ersten Aufgebots zu der gesamten waffenfaehigen Mannschaft als allgemein gueltig betrachtet, die Zahl der waffenfaehigen Belgen auf 500000 und danach die Gesamtbevoelkerung auf mindestens 2 Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den Nebenvoelkern zaehlten vor ihrem Auszug 336000 Koepfe; wenn man annimmt, dass sie damals schon vom rechten Rheinufer verdraengt waren, kann ihr Gebiet auf ungefaehr 300 Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hierbei mitgezaehlt sind, laesst sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen, welche Form die Sklaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Caesar (Gall. 1, 4) von Orgetorix’ Sklaven, Hoerigen und Schuldnern erzaehlt, spricht eher fuer als gegen die Mitzaehlung. Dass uebrigens jeder solche Versuch, das, was der alten Geschichte vor allen Dingen fehlt, die statistische Grundlage, durch Kombination zu ersetzen, mit billiger Vorsicht aufgenommen werden muss, wird der verstaendige Leser ebensowenig verkennen als ihn darum unbedingt wegwerfen. ^4 "In Gallien, jenseits der Alpen im Binnenland am Rhein, habe ich," erzaehlt Scrofa bei Varro rust. 1, 7, 8, "als ich dort kommandierte, einige Striche betreten, wo weder die Rebe noch die Olive noch der Obstbaum fortkommt, wo man mit weisser Grubenkreide die Aecker duengt, wo man weder Grubennoch Seesalz hat, sondern die salzige Kohle gewisser verbrannter Hoelzer statt Salz benutzt." Diese Schilderung bezieht sich wahrscheinlich auf die vorcaesarische Zeit und auf die oestlichen Striche der alten Provinz, wie zum Beispiel die allobrogische Landschaft; spaeter beschreibt Plinius (nat. 17, 6, 42f.) ausfuehrlich das gallisch-britannische Mergeln. ^5 "Von gutem Schlag sind in Italien besonders die gallischen Ochsen, zur Feldarbeit naemlich; wogegen die ligurischen nichts Rechtes beschaffen" (Varr. rust. 2, 5, 9). Hier ist zwar das Cisalpinische Gallien gemeint, allein die Viehwirtschaft daselbst geht doch unzweifelhaft zurueck auf die keltische Epoche. Der "gallischen Klepper" (Gallici canterii) gedenkt schon Plautus (Aul. 3, 5, 21). "Nicht jede Rasse schickt sich fuer das Hirtengeschaeft; weder die Bastuler noch die Turduler (beide in Andalusien) eignen sich dafuer; am besten sind die Kelten, besonders fuer Reitund Lasttiere (iumenta)" (Varro rust. 2, 10, 4). ----------------------------------------- Dem Zusammensiedeln waren die Gallier von Haus aus geneigt; offene Doerfer gab es ueberall und allein der helvetische Kanton zaehlte deren im Jahre 696 (58) vierhundert ausser einer Menge einzelner Hoefe. Aber es fehlte auch nicht an ummauerten Staedten, deren Mauern von Fachwerk sowohl durch ihre Zweckmaessigkeit als durch die zierliche Ineinanderfuegung von Balken und Steinen den Roemern auffielen, waehrend freilich selbst in den Staedten der Allobrogen die Gebaeude allein aus Holz aufgefuehrt waren. Solcher Staedte hatten die Helvetier zwoelf und ebensoviele die Suessionen; wogegen allerdings in den noerdlicheren Distrikten, zum Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch Staedte gab, aber doch die Bevoelkerung im Kriege mehr in den Suempfen und Waeldern als hinter den Mauern Schutz suchte und jenseits der Themse gar die primitive Schutzwehr der Waldverhacke durchaus an die Stelle der Staedte trat und im Krieg die einzige Zufluchtsstaette fuer Menschen und Herden war. Mit der verhaeltnismaessig bedeutenden Entwicklung des staedtischen Lebens steht in enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande und zu Wasser. Ueberall gab es Strassen und Bruecken. Die Flussschiffahrt, wozu Stroeme wie Rhone, Garonne, Loire und Seine von selber aufforderten, war ansehnlich und ergiebig. Aber weit merkwuerdiger noch ist die Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloss sind die Kelten allem Anschein nach diejenige Nation, die zuerst den Atlantischen Ozean regelmaessig befahren hat, sondern wir finden auch hier die Kunst, Schiffe zu bauen und zu lenken, auf einer bemerkenswerten Hoehe. Die Schiffahrt der Voelker des Mittelmeers ist, wie dies bei der Beschaffenheit der von ihnen befahrenen Gewaesser begreiflich ist, verhaeltnismaessig lange bei dem Ruder stehengeblieben: die Kriegsfahrzeuge der Phoeniker, Hellenen und Roemer waren zu allen Zeiten Rudergaleeren, auf welchen das Segel nur als gelegentliche Verstaerkung des Ruders verwendet wurde; nur die Handelsschiffe sind in der Epoche der entwickelten antiken Zivilisation eigentliche Segler gewesen ^6. Die Gallier dagegen bedienten zwar auf dem Kanal sich zu Caesars Zeit wie noch lange nachher einer Art tragbarer lederner Kaehne, die im wesentlichen gewoehnliche Ruderboote gewesen zu sein scheinen; aber an der Westkueste Galliens fuhren die Santonen, die Pictonen, vor allem die Veneter mit grossen, freilich plump gebauten Schiffen, die nicht mit Rudern bewegt wurden, sondern mit Ledersegeln und eisernen Ankerketten versehen waren, und verwandten diese nicht nur fuer ihren Handelsverkehr mit Britannien, sondern auch im Seegefecht. Hier also begegnen wir nicht bloss zuerst der Schiffahrt auf dem freien Ozean, sondern hier hat auch zuerst das Segelschiff voellig den Platz des Ruderbootes eingenommen - ein Fortschritt, den freilich die sinkende Regsamkeit der alten Welt nicht zu nutzen verstanden hat und dessen unuebersehliche Resultate erst unsere verjuengte Kulturperiode beschaeftigt ist, allmaehlich zu ziehen. ----------------------------------------------------------- ^6 Dahin fuehrt die Benennung des Kauffahrteioder des "runden" im Gegensatz zu dem "langen" oder dem Kriegsschiff und die aehnliche Gegeneinanderstellung der "Ruderschiffe" (epik/o/poi n/e/es) und der "Kauffahrer" (olkades" Dion. Hal. 3, 44); ferner die geringe Bemannung der Kauffahrteischiffe, die auf den allergroessten nicht mehr betrug als 200 Mann (Rheinisches Museum N. F. 11, 1874, S. 625), waehrend auf der gewoehnlichen Galeere von drei Verdecken schon 170 Ruderer gebraucht wurden. Vgl. F. K. Movers, Die Phoenicier. Bonn-Berlin 1840-56, Bd. 2, 3, S. 167f. ---------------------------------------------------------- Bei diesem regelmaessigen Seeverkehr zwischen der britischen und der gallischen Kueste ist die ueberaus enge politische Verbindung zwischen den beiderseitigen Anwohnern des Kanals ebenso erklaerlich wie das Aufbluehen des ueberseeischen Handels und der Fischerei. Es waren die Kelten, namentlich der Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis aus England holten und es auf den Flussund Landstrassen des Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren. Die Angabe, dass zu Caesars Zeit einzelne Voelkerschaften an der Rheinmuendung von Fischen und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf beziehen, dass hier die Seefischerei und das Einsammeln der Seevoegeleier in ausgedehntem Umfang betrieben ward. Fasst man die vereinzelten und spaerlichen Angaben, die ueber den keltischen Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken ergaenzend zusammen, so begreift man es, dass die Zoelle der Flussund Seehaefen in den Budgets einzelner Kantons, zum Beispiel in denen der Haeduer und der Veneter, eine grosse Rolle spielten und dass der Hauptgott der Nation ihr galt als der Beschuetzer der Strassen und des Handels und zugleich als Erfinder der Gewerke. Ganz nichtig kann danach auch die keltische Industrie nicht gewesen sein; wie denn die ungemeine Anstelligkeit der Kelten und ihr eigentuemliches Geschick, jedes Muster nachzuahmen und jede Anweisung auszufuehren auch von Caesar hervorgehoben wird. In den meisten Zweigen scheint aber doch das Gewerk bei ihnen sich nicht ueber das Mass des Gewoehnlichen erhoben zu haben; die spaeter im mittleren und noerdlichen Gallien bluehende Fabrikation leinener und wollener Stoffe ist nachweislich erst durch die Roemer ins Leben gerufen worden. Eine Ausnahme, und soviel wir wissen die einzige, macht die Bearbeitung der Metalle. Das nicht selten technisch vorzuegliche und noch jetzt geschmeidige Kupfergeraet, das in den Graebern des Keltenlandes zum Vorschein kommt, und die sorgfaeltig justierten arvernischen Goldmuenzen sind heute noch lebendige Zeugen der Geschicklichkeit der keltischen Kupferund Goldarbeiter; und wohl stimmen dazu die Berichte der Alten, dass die Roemer von den Biturigen das Verzinnen, von den Alesiern das Versilbern lernten - Erfindungen, von denen die erste durch den Zinnhandel nahe genug gelegt war und die doch wahrscheinlich beide noch in der Zeit der keltischen Freiheit gemacht worden sind. Hand in Hand mit der Gewandtheit in der Bearbeitung der Metalle ging die Kunst, sie zu gewinnen, die zum Teil, namentlich in den Eisengruben an der Loire, eine solche bergmaennische Hoehe erreicht hatte, dass die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine bedeutende Rolle spielten. Die den Roemern dieser Zeit gelaeufige Meinung, dass Gallien eines der goldreichsten Laender der Erde sei, wird freilich widerlegt durch die wohlbekannten Bodenverhaeltnisse und durch die Fundbestaende der keltischen Graeber, in denen Gold nur sparsam und bei weitem minder haeufig erscheint als in den gleichartigen Funden der wahren Heimatlaender des Goldes; es ist auch diese Vorstellung wohl nur hervorgerufen worden durch das, was griechische Reisende und roemische Soldaten, ohne Zweifel nicht ohne starke Uebertreibung, ihren Landsleuten von der Pracht der arvernischen Koenige und den Schaetzen der tolosanischen Tempel zu erzaehlen wussten. Aber voellig aus der Luft griffen die Erzaehler doch nicht. Es ist sehr glaublich, dass in und an den Fluessen, welche aus den Alpen und den Pyrenaeen stroemen, Goldwaeschereien und Goldsuchereien, die bei dem heutigen Wert der Arbeitskraft unergiebig sind, in roheren Zeiten und bei Sklavenwirtschaft mit Nutzen und in bedeutendem Umfang betrieben wurden; ueberdies moegen die Handelsverhaeltnisse Galliens, wie nicht selten die der halbzivilisierten Voelker, das Aufhaeufen eines toten Kapitals edler Metalle beguenstigt haben. Bemerkenswert ist der niedrige Stand der bildenden Kunst, der bei der mechanischen Geschicklichkeit in Behandlung der Metalle nur um so greller hervortritt. Die Vorliebe fuer bunte und glaenzende Zieraten zeigt den Mangel an Schoenheitssinn, und eine leidige Bestaetigung gewaehren die gallischen Muenzen mit ihren bald uebereinfach, bald abenteuerlich, immer aber kindisch entworfenen und fast ohne Ausnahme mit unvergleichlicher Roheit ausgefuehrten Darstellungen. Es ist vielleicht ohne Beispiel, dass eine Jahrhunderte hindurch mit einem gewissen technischen Geschick geuebte Muenzpraegung sich wesentlich darauf beschraenkt hat, zwei oder drei griechische Stempel immer wieder und immer entstellter nachzuschneiden. Dagegen wurde die Dichtkunst von den Kelten hoch geschaetzt und verwuchs eng mit den religioesen und selbst mit den politischen Institutionen der Nation; wir finden die geistliche wie die Hofund Bettelpoesie in Bluete. Auch Naturwissenschaft und Philosophie fanden, wenngleich in den Formen und den Banden der Landestheologie, bei den Kelten eine gewisse Pflege und der hellenische Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo und wie er an sie herantrat. Die Kunde der Schrift war wenigstens bei den Priestern allgemein. Meistenteils bediente man in dem freien Gallien zu Caesars Zeit sich der griechischen, wie unter andern die Helvetier taten; nur in den suedlichsten Distrikten desselben war schon damals infolge des Verkehrs mit den romanisierten Kelten die lateinische ueberwiegend, der wir zum Beispiel auf den arvernischen Muenzen dieser Zeit begegnen. Auch die politische Entwicklung der keltischen Nation bietet sehr bemerkenswerte Erscheinungen. Die staatliche Verfassung ruht bei ihr wie ueberall auf dem Geschlechtsgau mit dem Fuersten, dem Rat der Aeltesten und der Gemeinde der freien waffenfaehigen Maenner; dies aber ist ihr eigentuemlich, dass sie ueber diese Gauverfassung niemals hinausgelangt ist. Bei den Griechen und Roemern trat sehr frueh an die Stelle des Gaues als die Grundlage der politischen Einheit der Mauerring: wo zwei Gaue in denselben Mauern sich zusammenfanden, verschmolzen sie zu einem Gemeinwesen; wo eine Buergerschaft einem Teil ihrer Mitbuerger einen neuen Mauerring anwies, entstand regelmaessig damit auch ein neuer, nur durch die Bande der Pietaet und hoechstens der Klientel mit der Muttergemeinde, verknuepfter Staat. Bei den Kelten dagegen bleibt die "Buergerschaft" zu allen Zeiten der Clan; dem Gau und nicht irgendeiner Stadt stehen Fuerst und Rat vor, und der allgemeine Gautag bildet die letzte Instanz im Staate. Die Stadt hat, wie im Orient, nur merkantile und strategische, nicht politische Bedeutung; weshalb denn auch die gallischen Ortschaften, selbst ummauerte und sehr ansehnliche wie Vienna und Genava, den Griechen und Roemern nichts sind als Doerfer. Zu Caesars Zeit bestand die urspruengliche Clanverfassung noch wesentlich ungeaendert bei den Inselkelten und in den noerdlichen Gauen des Festlandes: die Landesgemeinde behauptete die hoechste Autoritaet; der Fuerst ward in wesentlichen Fragen durch ihre Beschluesse gebunden; der Gemeinderat war zahlreich - er zaehlte in einzelnen Clans sechshundert Mitglieder -, scheint aber nicht mehr bedeutet zu haben als der Senat unter den roemischen Koenigen. Dagegen in dem regsameren Sueden des Landes war ein oder zwei Menschenalter vor Caesar - die Kinder der letzten Koenige lebten noch zu seiner Zeit - wenigstens bei den groesseren Clans, den Arvernern, Haeduern, Sequanern, Helvetiern, eine Umwaelzung eingetreten, die die Koenigsherrschaft beseitigte und dem Adel die Gewalt in die Haende gab. Es ist nur die Kehrseite des ebenbezeichneten vollstaendigen Mangels staedtischer Gemeinwesen bei den Kelten, dass der entgegengesetzte Pol der politischen Entwicklung, das Rittertum, in der keltischen Clanverfassung so voellig ueberwiegt. Die keltische Aristokratie war allem Anschein nach ein hoher Adel, groesstenteils vielleicht die Glieder der koeniglichen oder ehemals koeniglichen Familien, wie es denn bemerkenswert ist, dass die Haeupter der entgegengesetzten Parteien in demselben Clan sehr haeufig dem gleichen Geschlecht angehoeren. Diese grossen Familien vereinigten in ihrer Hand die oekonomische, kriegerische und politische Uebermacht. Sie monopolisierten die Pachtungen der nutzbaren Rechte des Staates. Sie noetigen die Gemeinfreien, die die Steuerlast erdrueckte, bei ihnen zu borgen und zuerst tatsaechlich als Schuldner, dann rechtlich als Hoerige sich ihrer Freiheit zu begeben. Sie entwickelten bei sich das Gefolgwesen, das heisst das Vorrecht des Adels, sich mit einer Anzahl geloehnter reisiger Knechte, sogenannter Ambakten ^7, zu umgeben und damit einen Staat im Staate zu bilden; und gestuetzt auf diese ihre eigenen Leute trotzten sie den gesetzlichen Behoerden und dem Gemeindeaufgebot und sprengten tatsaechlich das Gemeinwesen. Wenn in einem Clan, dar etwa 80000 Waffenfaehige zaehlte, ein einzelner Adliger mit 10000 Knechten, ungerechnet die Hoerigen und die Schuldner, auf dem Landtage erscheinen konnte, so ist es einleuchtend, dass ein solcher mehr ein unabhaengiger Dynast war als ein Buerger seines Clans. Es kam hinzu, dass die vornehmen Familien der verschiedenen Clans innig unter sich zusammenhingen und durch Zwischenheiraten und Sondervertraege gleichsam einen geschlossenen Bund bildeten, dem gegenueber der einzelne Clan ohnmaechtig war. Darum vermochten die Gemeinden nicht laenger den Landfrieden aufrecht zu halten und regierte durchgaengig das Faustrecht. Schutz fand nur noch der hoerige Mann bei seinem Herrn, den Pflicht und Interesse noetigten, die seinem Klienten zugefuegte Unbill zu ahnden; die Freien zu beschirmen hatte der Staat die Gewalt nicht mehr, weshalb diese zahlreich sich als Hoerige einem Maechtigen zu eigen gaben. Die Gemeindeversammlung verlor ihre politische Bedeutung; und auch das Fuerstentum, das den Uebergriffen des Adels haette steuern sollen, erlag demselben bei den Kelten so gut wie in Latium. An die Stelle des Koenigs trat der "Rechtswirker" oder Vergobretus ^8, der wie der roemische Konsul nur auf ein Jahr ernannt ward. Soweit der Gau ueberhaupt noch zusammenhielt, ward er durch den Gemeinderat geleitet, in dem natuerlich die Haeupter der Aristokratie die Regierung an sich rissen. Es versteht sich von selbst, dass unter solchen Verhaeltnissen es in den einzelnen Clans in ganz aehnlicher Weise gaerte, wie es in Latium nach der Vertreibung der Koenige Jahrhunderte lang gegaert hatte: waehrend die Adelschaften der verschiedenen Gemeinden sich zu einem der Gemeindemacht feindlichen Sonderbuendnis zusammentaten, hoerte die Menge nicht auf, die Wiederherstellung des Koenigtums zu begehren, und versuchte nicht selten ein hervorragender Edelmann, wie Spurius Cassius in Rom getan, gestuetzt auf die Masse der Gauangehoerigen, die Macht seiner Standesgenossen zu brechen und zu seinem Besten die Krone wieder in ihre Rechte einzusetzen. --------------------------------------------------- ^7 Dies merkwuerdige Wort muss schon im sechsten Jahrhundert Roms bei den Kelten im Potal gebraeuchlich gewesen sein; denn bereits Ennius kennt es, und es kann nur von da her in so frueher Zeit den Italikern zugekommen sein. Es ist dasselbe aber nicht bloss keltisch, sondern auch deutsch, die Wurzel unseres "Amt"; wie ja auch das Gefolgwesen selbst den Kelten und den Deutschen gemeinsam ist. Von grosser geschichtlicher Wichtigkeit waere es, auszumachen ob das Wort und also auch die Sache zu den Kelten von den Deutschen oder zu den Deutschen von den Kelten kam. Wenn, wie man gewoehnlich annimmt, das Wort urspruenglich deutsch ist und zunaechst den in der Schlacht dem Herrn "gegen den Ruecken" (and = gegen, bak = Ruecken) stehenden Knecht bezeichnet, so ist dies mit dem auffallend fruehen Vorkommen dieses Wortes bei den Kelten nicht gerade unvereinbar. Nach allen Analogien kann das Recht Ambakten, das ist do?loi misth/o/toi, zu halten, dem keltischen Adel nicht von Haus aus zugestanden, sondern erst allmaehlich im Gegensatz zu dem aelteren Koenigtum wie zu der Gleichheit der Gemeinfreien sich entwickelt haben. Wenn also das Ambaktentum bei den Kelten keine altnationale, sondern eine relativ junge Institution ist, so ist es auch, bei dem zwischen den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang bestehenden und weiterhin zu eroerternden Verhaeltnis, nicht bloss moeglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass die Kelten, in Italien wie in Gallien, zu diesen gedungenen Waffenknechten hauptsaechlich Deutsche nahmen. Die "Schweizer" wuerden also in diesem Falle um einige Jahrtausende aelter sein, als man meint. Sollte die Benennung, womit, vielleicht nach dem Beispiel der Kelten, die Roemer die Deutschen als Nation bezeichnen, der Name Germani wirklich keltischen Ursprungs sein, so steht dies damit, wie man sieht, im besten Einklang. Freilich werden diese Annahmen immer zurueckstehen muessen, falls es gelingt, das Wort ambactus in befriedigender Weise aus keltischer Wurzel zu erklaeren; wie denn J. K. Zeuss (Grammatica celtica. Leipzig 1853, S. 796), wenngleich zweifelnd, dasselbe auf ambi = um und ag = agere, = Herumbeweger oder Herumbewegter, also Begleiter, Diener zurueckfuehrt. Dass das Wort auch als keltischer Eigenname vorkommt (Zeuss, S. 77) und vielleicht noch in dem cambrischen amaeth = Bauer, Arbeiter erhalten ist (Zeuss, S. 156), kann nach keiner Seite hin entscheiden. ^8 Von den keltischen Woertern guerg = Wirker und breth = Gericht. ---------------------------------------------------------------- Wenn also die einzelnen Gaue unheilbar hinsiechten, so regte sich wohl daneben maechtig in der Nation das Gefuehl der Einheit und suchte in mancherlei Weise Form und Halt zu gewinnen. Jenes Zusammenschliessen des gesamten keltischen Adels im Gegensatz gegen die einzelnen Gauverbaende zerruettete zwar die bestehende Ordnung der Dinge, aber weckte und naehrte doch auch die Vorstellung der Zusammengehoerigkeit der Nation. Ebendahin wirkten die von aussen her gegen die Nation gerichteten Angriffe und die fortwaehrende Schmaelerung ihres Gebiets im Kriege mit den Nachbarn. Wie die Hellenen in den Kriegen gegen die Perser, die Italiker in denen gegen die cisalpinischen Kelten, so scheinen die transalpinischen Gallier in den Kriegen gegen Rom des Bestehens und der Macht der nationalen Einheit sich bewusst geworden zu sein. Unter dem Hader der rivalisierenden Clans und all jenem feudalistischen Gezaenk machten doch auch die Stimmen derer sich bemerklich, die die Unabhaengigkeit der Nation um den Preis der Selbstaendigkeit der einzelnen Gaue und selbst um den der ritterschaftlichen Herrenrechte zu erkaufen bereit waren. Wie durchweg populaer die Opposition gegen die Fremdherrschaft war, bewiesen die Kriege Caesars, dem gegenueber die keltische Patriotenpartei eine ganz aehnliche Stellung hatte wie die deutschen Patrioten gegen Napoleon: fuer ihre Ausdehnung und ihre Organisation zeugt unter anderem die Telegraphengeschwindigkeit, mit der sie sich Nachrichten mitteilte. Die Allgemeinheit und die Maechtigkeit des keltischen Nationalbewusstseins wuerden unerklaerlich sein, wenn nicht bei der groessten politischen Zersplitterung die keltische Nation seit langem religioes und selbst theologisch zentralisiert gewesen waere. Die keltische Priesterschaft oder, mit dem einheimischen Namen, die Korporation der Druiden umfasste sicher die Britischen Inseln und ganz Gallien, vielleicht noch andere Keltenlaender mit einem gemeinsamen religioes-nationalen Bande. Sie stand unter einem eigenen Haupte, das die Priester selber sich waehlten, mit eigenen Schulen, in denen die sehr umfaengliche Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien, namentlich Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder Clan respektierte, mit jaehrlichen Konzilien, die bei Chartres im "Mittelpunkt der keltischen Erde" abgehalten wurden, und vor allen Dingen mit einer glaeubigen Gemeinde, die an peinlicher Froemmigkeit und an blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen Iren nichts nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, dass eine solche Priesterschaft auch das weltliche Regiment an sich zu reissen versuchte und teilweise an sich riss: sie leitete, wo das Jahrkoenigtum bestand, im Fall eines Interregnums die Wahlen; sie nahm mit Erfolg das Recht in Anspruch, einzelne Maenner und ganze Gemeinden von der religioesen und folgeweise auch der buergerlichen Gemeinschaft auszuschliessen; sie wusste die wichtigsten Zivilsachen, namentlich Grenzund Erbschaftsprozesse an sich zu ziehen, sie entwickelte, gestuetzt wie es scheint auf ihr Recht, aus der Gemeinde auszuschliessen, und vielleicht auch auf die Landesgewohnheit, dass zu den ueblichen Menschenopfern vorzugsweise Verbrecher genommen wurden, eine ausgedehnte priesterliche Kriminalgerichtsbarkeit, die mit der der Koenige und Vergobreten konkurrierte; sie nahm sogar die Entscheidung ueber Krieg und Frieden in Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchenstaat mit Papst und Konzilien, mit Immunitaeten, Interdikten und geistlichen Gerichten; nur dass dieser Kirchenstaat nicht, wie der der Neuzeit, von den Nationen abstrahierte, sondern vielmehr vor allen Dingen national war. Aber wenn also das Gefuehl der Zusammengehoerigkeit unter den keltischen Staemmen mit voller Lebendigkeit erwacht war, so blieb es dennoch der Nation versagt, zu einem Haltpunkt politischer Zentralisation zu gelangen, wie ihn Italien an der roemischen Buergerschaft, Hellenen und Germanen an den makedonischen und fraenkischen Koenigen fanden. Die keltische Priesterund ebenso die Adelschaft, obwohl beide in gewissem Sinn die Nation vertraten und verbanden, waren doch einerseits ihrer staendisch-partikularistischen Interessen wegen unfaehig, sie zu einigen, andererseits maechtig genug, um keinem Koenig und keinem Gau das Werk der Einigung zu gestatten. Ansaetze zu demselben fehlen nicht; sie gingen, wie die Gauverfassung es an die Hand gab, den Weg des Hegemoniesystems. Der maechtige Kanton bestimmte den schwaecheren, sich ihm in der Art unterzuordnen, dass die fuehrende Gemeinde nach aussen die andere mitvertrat und in Staatsvertraegen fuer sie mitstipulierte, der Klientelgau dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl zur Erlegung eines Tributs verpflichtete. Auf diesem Wege entstanden eine Reihe von Sonderbuenden: einen fuehrenden Gau fuer das ganze Keltenland, einen wenn auch noch so losen Verband der gesamten Nation gab es nicht. Es ward bereits erwaehnt, dass die Roemer bei dem Beginn ihrer transalpinischen Eroberungen dort im Norden einen britischbelgischen Bund unter Fuehrung der Suessionen, im mittleren und suedlichen Gallien die Arvernerkonfoederation vorfanden, mit welcher letzteren die Haeduer mit ihrer schwaecheren Klientel rivalisierten. In Caesars Zeit finden wir die Belgen im nordoestlichen Gallien zwischen Seine und Rhein noch in einer solchen Gemeinschaft, die sich indes wie es scheint auf Britannien nicht mehr erstreckt; neben ihnen erscheint in der heutigen Normandie und Bretagne der Bund der aremorikanischen, das heisst der Seegaue; im mittleren oder dem eigentlichen Gallien ringen wie ehemals zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze einerseits die Haeduer stehen, andererseits, nachdem die Arverner, durch die Kriege mit Rom geschwaecht, zurueckgetreten waren, die Sequaner. Diese verschiedenen Eidgenossenschaften standen unabhaengig nebeneinander; die fuehrenden Staaten des mittleren Gallien scheinen ihre Klientel nie auf das nordoestliche und ernstlich wohl auch nicht auf den Nordwesten Galliens erstreckt zu haben. Der Freiheitsdrang der Nation fand in diesen Gauverbaenden eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder Hinsicht ungenuegend. Die Verbindung war von der lockersten, bestaendig zwischen Allianz und Hegemonie schwankenden Art, die Repraesentation der Gesamtheit im Frieden durch die Bundestage, im Kriege durch den Herzog ^9 im hoechsten Grade schwaechlich. Nur die belgische Eidgenossenschaft scheint etwas fester zusammengehalten zu haben; der nationale Aufschwung, aus dem die glueckliche Abwehr der Kimbrer hervorging, mag ihr zugute gekommen sein. Die Rivalitaeten um die Hegemonie machten einen Riss in jeden einzelnen Bund, den die Zeit nicht schloss, sondern erweiterte, weil selbst der Sieg des einen Nebenbuhlers dem Gegner die politische Existenz liess und demselben, auch wenn er in die Klientel sich gefuegt hatte, immer gestattet blieb, den Kampf spaeterhin zu erneuern. Der Wettstreit der maechtigeren Gaue entzweite nicht bloss diese, sondern in jedem abhaengigen Clan, in jedem Dorfe, ja oft in jedem Hause setzte er sich fort, indem jeder einzelne nach seinen persoenlichen Verhaeltnissen Partei ergriff. Wie Hellas sich aufrieb nicht so sehr in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren Zwist athenischer und lakedaemonischer Faktionen in jeder abhaengigen Gemeinde, ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalitaet der Arverner und Haeduer mit ihren Wiederholungen in kleinem und immer kleinerem Massstab das Kelterwolk vernichtet. --------------------------------------------- ^9 Welche Stellung ein solcher Bundesfeldherr seinen Leuten gegenueber einnahm, zeigt die gegen Vercingetorix erhobene Anklage auf Landesverrat (Caes. Gall. 7, 20). --------------------------------------------- Die Wehrhaftigkeit der Nation empfand den Rueckschlag dieser politischen und sozialen Verhaeltnisse. Die Reiterei war durchaus die vorwiegende Waffe, woneben bei den Belgen und mehr noch auf den Britischen Inseln die altnationalen Streitwagen in bemerkenswerter Vervollkommnung erscheinen. Diese ebenso zahlreichen wie tuechtigen Reiterund Wagenkaempferscharen wurden gebildet aus dem Adel und dessen Mannen, der denn auch echt ritterlich an Hunden und Pferden seine Lust hatte und es sich viel kosten liess, edle Rosse auslaendischer Rasse zu reiten. Fuer den Geist und die Kampfweise dieser Edelleute ist es bezeichnend, dass, wenn das Aufgebot erging, wer irgend von ihnen sich zu Pferde halten konnte, selbst der hochbejahrte Greis mit aufsass, und dass sie, im Begriff mit einem gering geschaetzten Feinde ein Gefecht zu beginnen, Mann fuer Mann schwuren, Haus und Hof meiden zu wollen, wenn ihre Schar nicht wenigstens zweimal durch die feindliche Linie setzen werde. Unter den gedungenen Mannen herrschte das Lanzknechttum mit all seiner entsittlichten und entgeistigten Gleichgueltigkeit gegen fremdes und eigenes Leben - das zeigen die Erzaehlungen, wie anekdotenhaft sie auch gefaerbt sind, von der keltischen Sitte, beim Gastmahl zum Scherz zu rapieren und gelegentlich auf Leben und Tod zu fechten; von dem dort herrschenden, selbst die roemischen Fechterspiele noch ueberbietenden Gebrauch, sich gegen eine bestimmte Geldsumme oder eine Anzahl Faesser Wein zum Schlachten zu verkaufen und vor den Augen der ganzen Menge auf dem Schilde hingestreckt den Todesstreich freiwillig hinzunehmen. Neben diesen Reisigen trat das Fussvolk in den Hintergrund. In der Hauptsache glich es wesentlich noch den Keltenscharen, mit denen die Roemer in Italien und Spanien gefochten hatten. Der grosse Schild war wie damals die hauptsaechlichste Wehr; unter den Waffen spielte dagegen statt des Schwertes jetzt die lange Stosslanze die erste Rolle. Wo mehrere Gaue verbuendet Krieg fuehrten, lagerte und stritt natuerlich Clan gegen Clan; es findet sich keine Spur, dass man das Aufgebot des einzelnen Gaues militaerisch gegliedert und kleinere und regelrechtere taktische Abteilungen gebildet haette. Noch immer schleppte ein langer Wagentross dem Keltenheer das Gepaeck nach; anstatt des verschanzten Lagers, wie es die Roemer allabendlich schlugen, diente noch immer das duerftige Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Beispiel den Nerviern, wird ausnahmsweise die Tuechtigkeit ihres Fussvolks hervorgehoben; bemerkenswert ist es, dass eben diese keine Ritterschaft hatten und vielleicht sogar kein keltischer, sondern ein eingewanderter deutscher Stamm waren. Im allgemeinen aber erscheint das keltische Fussvolk dieser Zeit als ein unkriegerischer und schwerfaelliger Landsturm; am meisten in den suedlicheren Landschaften, wo mit der Rohen auch die Tapferkeit geschwunden war. Der Kelte, sagt Caesar, wagt es nicht, dem Germanen im Kampfe ins Auge zu sehen; noch schaerfer als durch dieses Urteil kritisierte der roemische Feldherr die keltische Infanterie dadurch, dass, nachdem er sie in seinem ersten Feldzug kennengelernt hatte, er sie nie wieder in Verbindung mit der roemischen verwandt hat. Ueberblicken wir den Gesamtzustand der Kelten, wie ihn Caesar in den transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, verglichen mit der Kulturstufe, auf der anderthalb Jahrhunderte zuvor die Kelten im Potal uns entgegentraten, ein Fortschritt in der Zivilisation unverkennbar. Damals ueberwog in den Heeren durchaus die in ihrer Art vortreffliche Landwehr (I, 340); jetzt nimmt die Ritterschaft den ersten Platz ein. Damals wohnten die Kelten in offenen Flecken; jetzt umgaben ihre Ortschaften wohlgefuegte Mauern. Auch die lombardischen Graeberfunde stehen, namentlich in dem Kupferund Glasgeraet, weit zurueck hinter denen des noerdlichen Keltenlandes. Vielleicht der zuverlaessigste Messer der steigenden Kultur ist das Gefuehl der Zusammengehoerigkeit der Nation; sowenig davon in den auf dem Boden der heutigen Lombardei geschlagenen Keltenkaempfen zu Tage tritt, so lebendig erscheint es in den Kaempfen gegen Caesar. Allem Anschein nach hatte die keltische Nation, als Caesar ihr gegenuebertrat, das Maximum der ihr beschiedenen Kultur bereits erreicht und war schon wieder im Sinken. Die Zivilisation der transalpinischen Kelten in der caesarischen Zeit bietet selbst fuer uns, die wir nur sehr unvollkommen ueber sie berichtet sind, manche achtbare und noch mehr interessante Seite; in mehr als einer Hinsicht schliesst sie sich enger der modernen an als der hellenischroemischen, mit ihren Segelschiffen, ihrem Rittertum, ihrer Kirchenverfassung, vor allen Dingen mit ihren, wenn auch unvollkommenen Versuchen, den Staat nicht auf die Stadt, sondern auf den Stamm und in hoeherer Potenz auf die Nation zu bauen. Aber ebendarum, weil wir hier der keltischen Nation auf dem Hoehepunkt ihrer Entwicklung begegnen, tritt um so bestimmter ihre mindere sittliche Begabung oder, was dasselbe ist, ihre mindere Kulturfaehigkeit hervor. Sie vermochte aus sich weder eine nationale Kunst noch einen nationalen Staat zu erzeugen und brachte es hoechstens zu einer nationalen Theologie und einem eigenen Adeltum. Die urspruengliche naive Tapferkeit war nicht mehr; der auf hoehere Sittlichkeit und zweckmaessige Ordnungen gestuetzte militaerische Mut, wie er im Gefolge der gesteigerten Zivilisation eintritt, hatte nur in sehr verkuemmerter Gestalt sich eingestellt in dem Rittertum. Wohl war die eigentliche Barbarei ueberwunden; die Zeiten waren nicht mehr, wo im Keltenland das fette Hueftstueck dem tapfersten der Gaeste zugeteilt ward, aber jedem der Mitgeladenen, der sich dadurch verletzt erachtete, freistand, den Empfaenger deswegen zum Kampfe zu fordern, und wo man mit dem verstorbenen Haeuptling seine treuesten Gefolgsmaenner verbrannte. Aber doch dauerten die Menschenopfer noch fort, und der Rechtssatz, dass die Folterung des freien Mannes unzulaessig, aber die der freien Frau erlaubt sei so gut wie die Folterung des Sklaven, wirft ein unerfreuliches Licht auf die Stellung, die das weibliche Geschlecht bei den Kelten auch noch in ihrer Kulturzeit einnahm. Die Vorzuege, die der primitiven Epoche der Nationen eigen sind, hatten die Kelten eingebuesst, aber diejenigen nicht erworben, die die Gesittung dann mit sich bringt, wenn sie ein Volk innerlich und voellig durchdringt. Also war die keltische Nation in ihren inneren Zustaenden beschaffen. Es bleibt noch uebrig, ihre aeusseren Beziehungen zu den Nachbarn darzustellen und zu schildern, welche Rolle sie in diesem Augenblick einnahmen in dem gewaltigen Wettlauf und Wettkampf der Nationen, in dem das Behaupten sich ueberall noch schwieriger erweist als das Erringen. An den Pyrenaeen hatten die Verhaeltnisse der Voelker laengst sich friedlich geordnet und waren die Zeiten laengst vorbei, wo die Kelten hier die iberische, das heisst baskische Urbevoelkerung bedraengten und zum Teil verdraengten. Die Taeler der Pyrenaeen wie die Gebirge Bearns und der Gascogne und ebenso die Kuestensteppen suedlich von der Garonne standen zu Caesars Zeit im unangefochtenen Besitz der Aquitaner, einer grossen Anzahl kleiner, wenig unter sich und noch weniger mit dem Ausland sich beruehrender Voelkerschaften iberischer Abstammung; hier war nur die Garonnemuendung selbst mit dem wichtigen Hafen Burdigala (Bordeaux) in den Haenden eines keltischen Stammes, der Bituriger-Vivisker. Von weit groesserer Bedeutung waren die Beruehrungen der keltischen Nation mit dem Roemervolk und mit den Deutschen. Es soll hier nicht wiederholt werden, was frueher erzaehlt worden ist, wie die Roemer in langsamem Vordringen die Kelten allmaehlich zurueckgedrueckt, zuletzt auch den Kuestensaum zwischen den Alpen und den Pyrenaeen besetzt und sie dadurch von Italien, Spanien und dem Mittellaendischen Meer gaenzlich abgeschnitten hatten, nachdem bereits Jahrhunderte zuvor durch die Anlage der hellenischen Zwingburg an der Rhonemuendung diese Katastrophe vorbereitet worden war; daran aber muessen wir hier wieder erinnern, dass nicht bloss die Ueberlegenheit der roemischen Waffen die Kelten bedraengte, sondern ebensosehr die der roemischen Kultur, der die ansehnlichen Anfaenge der hellenischen Zivilisation im Keltenlande ebenfalls in letzter Instanz zugute kamen. Auch hier bahnten Handel und Verkehr wie so oft der Eroberung den Weg. Der Kelte liebte nach nordischer Weise feurige Getraenke; dass er den edlen Wein wie der Skythe unvermischt und bis zum Rausche trank, erregte die Verwunderung und den Ekel des maessigen Suedlaenders, aber der Haendler verkehrt nicht ungern mit solchen Kunden. Bald ward der Handel nach dem Keltenland eine Goldgrube fuer den italischen Kaufmann; es war nichts Seltenes, dass daselbst ein Krug Wein um einen Sklaven getauscht ward. Auch andere Luxusartikel, wie zum Beispiel italische Pferde, fanden in dem Keltenland vorteilhaften Absatz. Es kam sogar bereits vor, dass roemische Buerger jenseits der roemischen Grenze Grundbesitz erwarben und denselben nach italischer Art nutzten, wie denn zum Beispiel roemische Landgueter im Kanton der Segusiaver (bei Lyon) schon um 673 (81) erwaehnt werden. Ohne Zweifel ist es hiervon eine Folge, dass, wie schon gesagt ward, selbst in dem freien Gallien, zum Beispiel bei den Arvernern, die roemische Sprache schon vor der Eroberung nicht unbekannt war; obwohl sich freilich diese Kunde vermutlich noch auf wenige beschraenkte und selbst mit den Vornehmen des verbuendeten Gaues der Haeduer durch Dolmetscher verkehrt werden musste. So gut wie die Haendler mit Feuerwasser und die Squatters die Besetzung Nordamerikas einleiteten, so wiesen und winkten diese roemischen Weinhaendler und Gutsbesitzer den kuenftigen Eroberer Galliens heran. Wie lebhaft man auch auf der entgegengesetzten Seite dies empfand, zeigt das Verbot, das einer der tuechtigsten Staemme des Keltenlandes, der Gau der Nervier, gleich einzelnen deutschen Voelkerschaften, gegen den Handelsverkehr mit den Roemern erliess. Ungestuemer noch als vom Mittellaendischen Meere die Roemer, draengten vom Baltischen und der Nordsee herab die Deutschen, ein frischer Stamm aus der grossen Voelkerwiege des Ostens, der sich Platz machte neben seinen aelteren Bruedern mit jugendlicher Kraft, freilich auch mit jugendlicher Roheit. Wenn auch die naechst am Rhein wohnenden Voelkerschaften dieses Stammes, die Usipeten, Tencterer, Sugambrer, Ubier, sich einigermassen zu zivilisieren angefangen und wenigstens aufgehoert hatten, freiwillig ihre Sitze zu wechseln, so stimmen doch alle Nachrichten dahin zusammen, dass weiter landeinwaerts der Ackerbau wenig bedeutete und die einzelnen Staemme kaum noch zu festen Sitzen gelangt waren. Es ist bezeichnend dafuer, dass die westlichen Nachbarn in dieser Zeit kaum eines der Voelker des inneren Deutschlands seinem Gaunamen nach zu nennen wussten, sondern dieselben ihnen nur bekannt sind unter den allgemeinen Bezeichnungen der Sueben, das ist der schweifenden Leute, der Nomaden, und der Markomannen, das ist der Landwehr ^10 - Namen, die in Caesars Zeit schwerlich schon Gaunamen waren, obwohl sie den Roemern als solche erschienen und spaeter auch vielfach Gaunamen geworden sind. Der gewaltigste Andrang dieser grossen Nation traf die Kelten. Die Kaempfe, die die Deutschen um den Besitz der Landschaften oestlich vom Rheine mit den Kelten gefuehrt haben moegen, entziehen sich vollstaendig unseren Blicken. Wir vermoegen nur zu erkennen, dass um das Ende des siebenten Jahrhunderts Roms schon alles Land bis zum Rhein den Kelten verloren war, die Boier, die einst in Bayern und Boehmen gesessen haben mochten, heimatlos herumirrten und selbst der ehemals von den Helvetiern besessene Schwarzwald wenn auch noch nicht von den naechstwohnenden deutschen Staemmen in Besitz genommen, doch wenigstens wuestes Grenzstreitland war - vermutlich schon damals das, was es spaeter hiess: die helvetische Einoede. Die barbarische Strategik der Deutschen, durch meilenweite Wuestlegung der Nachbarschaft sich vor feindlichen Ueberfaellen zu sichern, scheint hier im groessten Massstab Anwendung gefunden zu haben. ----------------------------------------------------- ^10 So sind Caesars Sueben wahrscheinlich die Chatten; aber dieselbe Benennung kam sicher zu Caesars Zeit und noch viel spaeter auch jedem anderen deutschen Stamme zu, der als ein regelmaessig wandernder bezeichnet werden konnte. Wenn also auch, wie nicht zu bezweifeln, der "Koenig der Sueben" bei Mela (3, 1) und Plinius (nat. 2, 67, 170) Ariovist ist, so folgt darum noch keineswegs, dass Ariovist ein Chatte war. Die Markomannen als ein bestimmtes Volk lassen sich vor Marbod nicht nachweisen; es ist sehr moeglich, dass das Wort bis dahin nichts bezeichnet als was es etymologisch bedeutet, die Landoder Grenzwehr. Wenn Caesar (Galt. 1, 51) unter den im Heere Ariovists fechtenden Voelkern Markomannen erwaehnt, so kann er auch hier eine bloss appellative Bezeichnung ebenso missverstanden haben, wie dies bei den Sueben entschieden der Fall ist. --------------------------------------------------- Aber die Deutschen waren nicht stehen geblieben am Rheine. Der seinem Kern nach aus deutschen Staemmen zusammengesetzte Heereszug der Kimbrer und Teutonen, der fuenfzig Jahre zuvor ueber Pannonien, Gallien, Italien und Spanien so gewaltig hingebraust war, schien nichts gewesen zu sein als eine grossartige Rekognoszierung. Schon hatten westlich vom Rhein, namentlich dem untern Lauf desselben, verschiedene deutsche Staemme bleibende Sitze gefunden: als Eroberer eingedrungen, fuhren diese Ansiedler fort, von ihren gallischen Umwohnern gleich wie von Untertanen Geiseln einzufordern und jaehrlichen Tribut zu erheben. Dahin gehoerten die Aduatuker, die aus einem Splitter der Kimbrermasse zu einem ansehnlichen Gau geworden waren, und eine Anzahl anderer, spaeter unter dem Namen der Tungrer zusammengefasster Voelkerschaften an der Maas in der Gegend von Luettich; sogar die Treverer (um Trier) und die Nervier (im Hennegau), zwei der groessten und maechtigsten Voelkerschaften dieser Gegend, bezeichnen achtbare Autoritaeten geradezu als Germanen. Die vollstaendige Glaubwuerdigkeit dieser Berichte muss allerdings dahingestellt bleiben, da es, wie Tacitus in Beziehung auf die zuletzt erwaehnten beiden Voelker bemerkt, spaeterhin wenigstens in diesen Strichen fuer eine Ehre galt, von deutschem Blute abzustammen und nicht zu der gering geachteten keltischen Nation zu gehoeren: doch scheint die Bevoelkerung in dem Gebiet der Schelde, Maas und Mosel allerdings in der einen oder andern Weise sich stark mit deutschen Elementen gemischt oder doch unter deutschen Einfluessen gestanden zu haben. Die deutschen Ansiedlungen selbst waren vielleicht geringfuegig; unbedeutend waren sie nicht, denn in dem chaotischen Dunkel, in dem wir um diese Zeit die Voelkerschaften am rechten Rheinufer aufund niederwogen sehen, laesst sich doch wohl erkennen, dass groessere deutsche Massen auf der Spur jener Vorposten sich anschickten, den Rhein zu ueberschreiten. Von zwei Seiten durch die Fremdherrschaft bedroht und in sich zerrissen, war es kaum zu erwarten, dass die unglueckliche keltische Nation sich jetzt noch emporraffen und mit eigener Kraft sich erretten werde. Die Zersplitterung und der Untergang in der Zersplitterung war bisher ihre Geschichte; wie sollte eine Nation, die keinen Tag nannte gleich denen von Marathon und Salamis, von Aricia und dem Raudischen Felde, eine Nation, die selbst in ihrer frischen Zeit keinen Versuch gemacht hatte, Massalia mit gesamter Hand zu vernichten, jetzt, da es Abend ward, so furchtbarer Feinde sich erwehren? Je weniger die Kelten, sich selbst ueberlassen, den Germanen gewachsen waren, desto mehr Ursache hatten die Roemer, die zwischen den beiden Nationen obwaltenden Verwicklungen
sorgsam zu ueberwachen. Wenn auch die daraus entspringenden Bewegungen sie bis jetzt nicht unmittelbar beruehrt hatten, so waren sie doch bei dem Ausgang derselben mit ihren wichtigsten Interessen beteiligt. Begreiflicherweise hatte die innere Haltung der keltischen Nation sich mit ihren auswaertigen Beziehungen rasch und nachhaltig verflochten. Wie in Griechenland die lakedaemonische Partei sich gegen die Athener mit Persien verband, so hatten die Roemer von ihrem ersten Auftreten jenseits der Alpen an gegen die Arverner, die damals unter den suedlichen Kelten die fuehrende Macht waren, an deren Nebenbuhlern um die Hegemonie, den Haeduern, eine Stuetze gefunden und mit Hilfe dieser neuen "Brueder der roemischen Nation" nicht bloss die Allobrogen und einen grossen Teil des mittelbaren Gebiets der Arverner sich untertaenig gemacht, sondern auch in dem freigebliebenen Gallien durch ihren Einfluss den Uebergang der Hegemonie von den Arvernern auf diese Haeduer veranlasst. Allein wenn den Griechen nur von einer Seite her fuer ihre Nationalitaet Gefahr drohte, so sahen sich die Kelten zugleich von zwei Landesfeinden bedraengt, und es war natuerlich, dass man bei dem einen vor dem anderen Schutz suchte und dass, wenn die eine Keltenpartei sich den Roemern anschloss, ihre Gegner dagegen mit den Deutschen Buendnis machten. Am naechsten lag dies den Belgen, die durch Nachbarschaft und vielfaeltige Mischung den ueberrheinischen Deutschen genaehert waren und ueberdies bei ihrer minder entwickelten Kultur sich dem stammfremden Sueben wenigstens ebenso verwandt fuehlen mochten als dem gebildeten allobrogischen oder helvetischen Landsmann. Aber auch die suedlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt, der ansehnliche Gau der Sequaner (um Besan‡on) an der Spitze der den Roemern feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache, gegen die sie zunaechst bedrohenden Roemer ebenjetzt die Deutschen herbeizurufen; das laessige Regiment des Senats und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die den Kelten nicht unbekannt geblieben waren, liessen gerade diesen Moment als geeignet erscheinen, um des roemischen Einflusses sich zu entledigen und zunaechst deren Klienten, die Haeduer, zu demuetigen. Ueber die Zoelle auf der Saone, die das Gebiet der Haeduer von dem der Sequaner schied, war es zwischen den beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683 (71) hatte der deutsche Fuerst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als Condottiere der Sequaner den Rhein ueberschritten. Der Krieg zog manches Jahr unter wechselnden Erfolgen sich hin; im ganzen waren die Ergebnisse den Haeduern unguenstig. Ihr Fuehrer Eporedorix bot endlich die ganze Klientel auf und zog mit ungeheurer Uebermacht aus gegen die Germanen. Diese verweigerten beharrlich den Kampf und hielten sich gedeckt in Suempfen und Waeldern. Als aber dann die Clans, des Harrens muede, anfingen aufzubrechen und sich aufzuloesen, erschienen die Deutschen in freiem Felde und nun erzwang bei Admagetobriga Ariovist die Schlacht, in der die Bluete der Ritterschaft der Haeduer auf dem Kampfplatze blieb. Die Haeduer, durch diese Niederlage gezwungen, auf die Bedingungen, wie der Sieger sie stellte, Frieden zu schliessen, mussten auf die Hegemonie verzichten und mit ihrem ganzen Anhang in die Klientel der Sequaner sich fuegen, auch sich anheischig machen, den Sequanern oder vielmehr dem Ariovist Tribut zu zahlen und die Kinder ihrer vornehmsten Adligen als Geiseln zu stellen, endlich eidlich versprechen, weder diese Geiseln je zurueckzufordern noch die Intervention der Roemer anzurufen. Dieser Friede ward, wie es scheint, um 693 (61) geschlossen ^11. Ehre und Vorteil geboten den Roemern, dagegen aufzutreten; der vornehme Haeduer Divitiacus, das Haupt der roemischen Partei in seinem Clan und darum jetzt von seinen Landsleuten verbannt, ging persoenlich nach Rom, um ihre Dazwischenkunft zu erbitten; eine noch ernstere Warnung war der Aufstand der Allobrogen 693 (61), der Nachbarn der Sequaner, welcher ohne Zweifel mit diesen Ereignissen zusammenhing. In der Tat ergingen Befehle an die gallischen Statthalter, den Haeduern beizustehen; man sprach davon, Konsuln und konsularische Armeen ueber die Alpen zu senden; allein der Senat, an den diese Angelegenheiten zunaechst zur Entscheidung kamen, kroente schliesslich auch hier grosse Worte mit kleinen Taten: die allobrogische Insurrektion ward mit den Waffen unterdrueckt, fuer die Haeduer aber geschah nicht nur nichts, sondern es ward sogar Ariovist im Jahre 695 (59) in das Verzeichnis der den Roemern befreundeten Koenige eingeschrieben ^12. Der deutsche Kriegsfuerst nahm dies begreiflicherweise als Verzicht der Roemer auf das nicht von ihnen eingenommene Keltenland; er richtete demgemaess sich hier haeuslich ein und fing an, auf gallischem Boden ein deutsches Fuerstentum zu begruenden. Die zahlreichen Haufen, die er mitgebracht hatte, die noch zahlreicheren, die auf seinen Ruf spaeter aus der Heimat nachkamen - man rechnete, dass bis zum Jahre 696 (58) etwa 120000 Deutsche den Rhein ueberschritten -, diese ganze gewaltige Einwanderung der deutschen Nation, welche durch die einmal geoeffneten Schleusen stromweise ueber den schoenen Westen sich ergoss, gedachte er daselbst ansaessig zu machen und auf dieser Grundlage seine Herrschaft ueber das Keltenland aufzubauen. Der Umfang der von ihm am linken Rheinufer ins Leben gerufenen deutschen Ansiedlungen laesst sich nicht bestimmen; ohne Zweifel reichte er weit und noch viel weiter seine Entwuerfe. Die Kelten wurden von ihm als eine im ganzen unterworfene Nation behandelt und zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied gemacht. Selbst die Sequaner, als deren gedungener Feldhauptmann er den Rhein ueberschritten hatte, mussten dennoch, als waeren auch sie besiegte Feinde, ihm fuer seine Leute ein Drittel ihrer Mark abtreten - vermutlich den spaeter von den Tribokern bewohnten oberen Elsass, wo Ariovist sich mit den Seinigen auf die Dauer einrichtete; ja als sei dies nicht genug, ward ihnen nachher fuer die nachgekommenen Haruder noch ein zweites Drittel abverlangt. Ariovist schien im Keltenland die Rolle des makedonischen Philipp uebernehmen und ueber die germanisch gesinnten Kelten nicht minder wie ueber die den Roemern anhaengenden den Herrn spielen zu wollen. ------------------------------------------------- ^11 Ariovists Ankunft in Gallien ist nach Caesar (Gall. 1, 36) auf 683 (71), die Schlacht von Admagetobriga (denn so heisst der einer falschen Inschrift zuliebe jetzt gewoehnlich Magetobriga genannte Ort) nach Caesar (Gall. 1, 35) und Cicero (Art. 1, 19) auf 693 (61) gesetzt worden. ^12 Um diesen Hergang der Dinge nicht unglaublich zu finden oder demselben gar tiefere Motive unterzulegen, als staatsmaennische Unwissenheit und Faulheit sind, wird man wohltun, den leichtfertigen Ton sich zu vergegenwaertigen, in dem ein angesehener Senator wie Cicero in seiner Korrespondenz sich ueber diese wichtigen transalpinischen Angelegenheiten auslaesst. ------------------------------------------------ Das Auftreten des kraeftigen deutschen Fuersten in einer so gefaehrlichen Naehe, das schon an sich die ernstesten Besorgnisse der Roemer erwecken musste, erschien noch bedrohlicher insofern, als dasselbe keineswegs vereinzelt stand. Auch die am rechten Rheinufer ansaessigen Usipeten und Tencterer waren, der unaufhoerlichen Verheerung ihres Gebiets durch die uebermuetigen Suebenstaemme muede, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf (695 59) aus ihren bisherigen Sitzen aufgebrochen, um sich andere an der Rheinmuendung zu suchen. Schon hatten sie dort den Menapiern den auf dem rechten Ufer belegenen Teil ihres Gebiets weggenommen, und es war vorherzusehen, dass sie den Versuch machen wuerden, auch auf dem linken sich festzusetzen. Zwischen Koeln und Mainz sammelten ferner sich suebische Haufen und drohten in dem gegenueberliegenden Keltengau der Treverer als ungeladene Gaeste zu erscheinen. Endlich ward auch das Gebiet des oestlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und zahlreichen Helvetier, immer nachdruecklicher von den Germanen heimgesucht, so dass die Helvetier, die vielleicht schon ohnehin durch das Zurueckstroemen ihrer Ansiedler aus dem verlorenen Gebiet nordwaerts vom Rheine an Ueberbevoelkerung litten, ueberdies durch die Festsetzung Ariovists im Gebiet der Sequaner, einer voelligen Isolierung von ihren Stammgenossen entgegengingen, den verzweifelten Entschluss fassten, ihr bisheriges Gebiet freiwillig den Germanen zu raeumen und westlich vom Jura geraeumigere und fruchtbarere Sitze und zugleich womoeglich die Hegemanie im inneren Gallien zu gewinnen - ein Plan, den schon waehrend der kimbrischen Invasion einige ihrer Distrikte gefasst und auszufuehren versucht hatten. Die Rauraker, deren Gebiet (Basel und der suedliche Elsass) in aehnlicher Weise bedroht war, ferner die Reste der Boier, die bereits frueher von den Germanen gezwungen waren, ihrer Heimat den Ruecken zu kehren, und nun unstet umherirrten, und andere kleinere Staemme machten mit den Helvetiern gemeinschaftliche Sache. Bereits 693 (61) kamen ihre Streiftrupps ueber den Jura und selbst bis in die roemische Provinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr lange sich verzoegern; unvermeidlich rueckten alsdann germanische Ansiedler nach in die von ihren Verteidigern verlassene wichtige Landschaft zwischen dem Bodenund dem Genfersee. Von den Rheinquellen bis zum Atlantischen Ozean waren die deutschen Staemme in Bewegung, die ganze Rheinlinie von ihnen bedroht; es war ein Moment wie da die Alamannen und Franken sich ueber das sinkende Reich der Caesaren warfen, und jetzt gleich schien gegen die Kelten ebendas ins Werk gesetzt werden zu sollen, was ein halbes Jahrtausend spaeter gegen die Roemer gelang. Unter diesen Verhaeltnissen traf der neue Statthalter Gaius Caesar im Fruehling 696 (58) in dem Narbonensischen Gallien ein, das zu seiner urspruenglichen, das Diesseitige Gallien nebst Istrien und Dalmatien umfassenden Statthalterschaft durch Senatsbeschluss hinzugefuegt worden war. Sein Amt, das ihm zuerst auf fuenf (bis Ende 700 54), dann im Jahre 699 (55) auf weitere fuenf Jahre (bis Ende 705 49) uebertragen ward, gab ihm das Recht, zehn Unterbefehlshaber von propraetorischem Rang zu ernennen, und - wenigstens nach seiner Auslegung - aus der besonders im Diesseitigen Gallien zahlreichen Buergerbevoelkerung des ihm gehorchenden Gebiets nach Gutduenken seine Legionen zu ergaenzen oder auch neue zu bilden. Das Heer, das er in den beiden Provinzen uebernahm, bestand an Linienfussvolk aus vier geschulten und kriegsgewohnten Legionen, der siebenten, achten, neunten und zehnten, oder hoechstens 24000 Mann, wozu dann, wie ueblich, die Untertanenkontingente hinzutraten. Reiterei und Leichtbewaffnete waren ausserdem vertreten durch Reiter aus Spanien und numidische, kretische, balearische Schuetzen und Schleuderer. Caesars Stab, die Elite der hauptstaedtischen Demokratie, enthielt neben nicht wenigen unbrauchbaren, vornehmen jungen Maennern einzelne faehige Offiziere, wie Publius Crassus, den juengeren Sohn des alten politischen Bundesgenossen Caesars, und Titus Labienus, der dem Haupt der Demokratie als treuer Adjutant vom Forum auf das Schlachtfeld gefolgt war. Bestimmte Auftraege hatte Caesar nicht erhalten; fuer den Einsichtigen und Mutigen lagen sie in den Verhaeltnissen. Auch hier war nachzuholen, was der Senat versaeumt hatte, und vor allen Dingen der Strom der deutschen Voelkerwanderung zu hemmen. Ebenjetzt begann die mit der deutschen eng verflochtene und seit langen Jahren vorbereitete helvetische Invasion. Um die verlassenen Huetten nicht den Germanen zu goennen, und um sich selber die Rueckkehr unmoeglich zu machen, hatten die Helvetier ihre Staedte und Weiler niedergebrannt, und ihre langen Wagenzuege, mit Weibern, Kindern und dem besten Teil der Fahrnis beladen, trafen von allen Seiten her am Leman bei Genava (Genf) ein, wo sie und ihre Genossen sich zum 28. Maerz ^13 dieses Jahres Rendezvous gegeben hatten. Nach ihrer eigenen Zaehlung bestand die gesamte Masse aus 368000 Koepfen, wovon etwa der vierte Teil imstande war, die Waffen zu tragen. Das Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich erstreckend die helvetische Landschaft gegen Westen fast vollstaendig abschloss und dessen schmale Defileen fuer den Durchzug einer solchen Karawane ebenso schlecht geeignet waren wie gut fuer die Verteidigung, hatten darum die Fuehrer beschlossen, in suedlicher Richtung zu umgehen und den Weg nach Westen sich da zu eroeffnen, wo zwischen dem suedwestlichen und hoechsten Teil des Jura und den savoyischen Bergen bei dem heutigen Fort de l’Ecluse die Rhone die Gebirgsketten durchbrochen hat. Allein am rechten Ufer treten hier die Felsen und Abgruende so hart an den Fluss, dass nur ein schmaler, leicht zu sperrender Pfad uebrig bleibt und die Sequaner, denen dies Ufer gehoerte, den Helvetiern mit Leichtigkeit den Pass verlegen konnten. Sie zogen es darum vor, oberhalb des Durchbruchs der Rhone auf das linke allobrogische Ufer ueberzugehen, um weiter stromabwaerts, wo die Rhone in die Ebene eintritt, wieder das rechte zu gewinnen und dann weiter nach dem ebenen Westen Galliens zu ziehen; dort war der fruchtbare Kanton der Santonen (Saintonge, das Tal der Charente) am Atlantischen Meer von den Wanderern zu ihrem neuen Wohnsitz ausersehen. Dieser Marsch fuehrte, wo er das linke Rhoneufer betrat, durch roemisches Gebiet; und Caesar, ohnehin nicht gemeint, sich die Festsetzung der Helvetier im westlichen Gallien gefallen zu lassen, war fest entschlossen, ihnen den Durchzug nicht zu gestatten. Allein von seinen vier Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia; obwohl er die Milizen der jenseitigen Provinz schleunigst aufbot, schien es kaum moeglich, mit einer so geringen Mannschaft dem zahllosen Keltenschwarm den Uebergang ueber die Rhone, von ihrem Austritt aus dem Leman bei Genf bis zu ihrem Durchbruch, auf einer Strecke von mehr als drei deutschen Meilen, zu verwehren. Caesar gewann indes durch Unterhandlungen mit den Helvetiern, die den Uebergang ueber den Fluss und den Marsch durch das allobrogische Gebiet gern in friedlicher Weise bewerkstelligt haetten, eine Frist von fuenfzehn Tagen, welche dazu benutzt ward, die Rhonebruecke bei Genava (Genf) abzubrechen und das suedliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deutsche Meilen lange Verschanzung dem Feinde zu sperren - es war die erste Anwendung des von den Roemern spaeter in so ungeheurem Umfang durchgefuehrten Systems, mittels einer Kette einzelner, durch Waelle und Graeben miteinander in Verbindung gesetzter Schanzen die Reichsgrenze militaerisch zu schliessen. Die Versuche der Helvetier, auf Kaehnen oder mittels Furten an verschiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen, wurden in diesen Linien von den Roemern gluecklich vereitelt und die Helvetier genoetigt, von dem Rhoneuebergang abzustehen. Dagegen vermittelte die den Roemern feindlich gesinnte Partei in Gallien, die an den Helvetiern eine maechtige Verstaerkung zu erhalten hoffte, namentlich der Haeduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder und in seinem Gau wie dieser an der Spitze der roemischen so seinerseits an der Spitze der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jurapaesse und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verbieten hatten die Roemer keinen Rechtsgrund; allein es standen fuer sie bei dem helvetischen Heerzug andere und hoehere Interessen auf dem Spiel als die Frage der formellen Integritaet des roemischen Gebiets - Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt, wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius getan, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu beschraenken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige Reichsgrenze ueberschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats, sondern des Staates: er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der ihm eigenen Raschheit die drei dort kantonnierenden sowie zwei neugebildete Rekrutenlegionen herangefuehrt. Diese Truppen vereinigte er mit dem bei Genava stehenden Korps und ueberschritt mit der gesamten Macht die Rhone. Sein unvermutetes Erscheinen im Gebiete der Haeduer brachte natuerlich daselbst sofort wieder die roemische Partei ans Regiment, was der Verpflegung wegen nicht gleichgueltig war. Die Helvetier fand er beschaeftigt, die Saone zu passieren und aus dem Gebiet der Sequaner in das der Haeduer einzuruecken; was von ihnen noch am linken Saoneufer stand, namentlich das Korps der Tigoriner, ward von den rasch vordringenden Roemern aufgehoben und vernichtet. Das Gros des Zuges war indes bereits auf das rechte Ufer des Flusses uebergesetzt; Caesar folgte ihnen und bewerkstelligte den Uebergang, den der ungeschlachte Zug der Helvetier in zwanzig Tagen nicht hatte vollenden koennen, in vierundzwanzig Stunden. Die Helvetier, durch diesen Uebergang der roemischen Armee ueber den Fluss gehindert, ihren Marsch in westlicher Richtung fortzusetzen, schlugen die Richtung nach Norden ein, ohne Zweifel in der Voraussetzung, dass Caesar nicht wagen werde, ihnen weit in das innere Gallien hinein zu folgen, und in der Absicht, wenn er von ihnen abgelassen habe, sich wieder ihrem eigentlichen Ziel zuzuwenden. Fuenfzehn Tage marschierte das roemische Heer in dem Abstand etwa einer deutschen Meile von dem feindlichen hinter demselben her, an seine Fersen sich heftend und auf einen guenstigen Augenblick hoffend, um den feindlichen Heereszug unter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und zu vernichten. Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfaellig auch die helvetische Karawane einherzog, die Fuehrer wussten einen Ueberfall zu verhueten und zeigten sich wie mit Vorraeten reichlich versehen, so durch ihre Spione von jedem Vorgang im roemischen Lager aufs genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Roemer an, Mangel an dem Notwendigsten zu leiden, namentlich als die Helvetier sich von der Saone entfernten und der Flusstransport aufhoerte. Das Ausbleiben der von den Haeduern versprochenen Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunaechst hervorging, erregte um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf ihrem Gebiete sich herumbewegten. Ferner zeigte sich die ansehnliche, fast 4000 Pferde zaehlende roemische Reiterei voellig unzuverlaessig - was freilich erklaerlich war, da dieselbe fast ganz aus keltischer Ritterschaft, namentlich den Reitern der Haeduer unter dem Befehl des wohlbekannten Roemerfeindes Dumnorix bestand und Caesar selbst sie mehr noch als Geiseln denn als Soldaten uebernommen hatte. Man hatte guten Grund zu glauben, dass eine Niederlage, die sie von der weit schwaecheren helvetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst herbeigefuehrt worden war, und dass durch sie der Feind von allen Vorfaellen im roemischen Lager unterrichtet ward. Caesars Lage wurde bedenklich; in leidiger Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den Haeduern, trotz ihres offiziellen Buendnisses mit Rom und der nach Rom sich neigenden Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische Patriotenpartei vermochte; was sollte daraus werden, wenn man in die gaerende Landschaft tiefer und tiefer sich hineinwagte und von den Verbindungen immer weiter sich entfernte? Eben zogen die Heere an der Hauptstadt der Haeduer, Bibracte (Autun), in maessiger Entfernung vorueber; Caesar beschloss, dieses wichtigen Ortes sich mit gewaffneter Hand zu bemaechtigen, bevor er den Marsch in das Binnenland fortsetzte, und es ist wohl moeglich, dass er ueberhaupt beabsichtigte, von weiterer Verfolgung abzustehen und in Bibracte sich festzusetzen. Allein da er, von der Verfolgung ablassend, sich gegen Bibracte wendete, meinten die Helvetier, dass die Roemer zur Flucht Anstalt machten, und griffen nun ihrerseits an. Mehr hatte Caesar nicht gewuenscht. Auf zwei parallel laufenden Huegelreihen stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten begannen das Gefecht, sprengten die in die Ebene vorgeschobene roemische Reiterei auseinander und liefen an gegen die am Abhang des Huegels postierten roemischen Legionen, mussten aber hier vor Caesars Veteranen weichen. Als darauf die Roemer, ihren Vorteil verfolgend, nun ihrerseits in die Ebene hinabstiegen, gingen die Kelten wieder gegen sie vor und ein zurueckgehaltenes keltisches Korps nahm sie zugleich in die Flanke. Dem letzteren ward die Reserve der roemischen Angriffskolonne entgegengeworfen; sie draengte dasselbe von der Hauptmasse ab auf das Gepaeck und die Wagenburg, wo es aufgerieben ward. Auch das Gros des helvetischen Zuges ward endlich zum Weichen gebracht und genoetigt, den Rueckzug in oestlicher Richtung zu nehmen - der entgegengesetzten von derjenigen, in die ihr Zug sie fuehrte. Den Plan der Helvetier, am Atlantischen Meer sich neue Wohnsitze zu gruenden, hatte dieser Tag vereitelt und die Helvetier der Willkuer des Siegers ueberliefert; aber es war ein heisser auch fuer die Sieger gewesen. Caesar, der Ursache hatte, seinem Offizierkorps nicht durchgaengig zu trauen, hatte gleich zu Anfang alle Offizierspferde fortgeschickt, um die Notwendigkeit standzuhalten den Seinigen gruendlich klar zu machen; in der Tat wuerde die Schlacht, haetten die Roemer sie verloren, wahrscheinlich die Vernichtung der roemischen Armee herbeigefuehrt haben. Die roemischen Truppen waren zu erschoepft, um die Ueberwundenen kraeftig zu verfolgen; allein infolge der Bekanntmachung Caesars, dass er alle, die die Helvetier unterstuetzen wuerden, wie diese selbst als Feinde der Roemer behandeln werde, ward, wohin die geschlagene Armee kam, zunaechst in dem Gau der Lingonen (um Langres), ihr jede Unterstuetzung verweigert und, aller Zufuhr und ihres Gepaecks beraubt und belastet von der Masse des nicht kampffaehigen Trosses, mussten sie wohl dem roemischen Feldherrn sich unterwerfen. Das Los der Besiegten war ein verhaeltnismaessig mildes. Den heimatlosen Boiern wurden die Haeduer angewiesen, in ihrem Gebiet Wohnsitze einzuraeumen; und diese Ansiedlung der ueberwundenen Feinde inmitten der maechtigsten Kettengaue tat fast die Dienste einer roemischen Kolonie. Die von den Helvetiern und Raurakern noch uebrigen, etwas mehr als ein Drittel der ausgezogenen Mannschaft, wurden natuerlich in ihr ehemaliges Gebiet zurueckgesandt. Dasselbe wurde der roemischen Provinz einverleibt, aber die Bewohner zum Buendnis mit Rom unter guenstigen Bedingungen zugelassen, um unter roemischer Hoheit am oberen Rhein die Grenze gegen die Deutschen zu verteidigen. Nur die suedwestliche Spitze des helvetischen Gaus wurde von den Roemern in unmittelbaren Besitz genommen und spaeterhin hier, an dem anmutigen Gestade des Leman, die alte Keltenstadt Noviodunum (jetzt Nyon) in eine roemische Grenzfestung, die Julische Reiterkolonie ^14, umgewandelt. --------------------------------------------------- ^13 Nach dem unberichtigten Kalender. Nach der gangbaren Rektifikation, die indes hier keineswegs auf hinreichend zuverlaessigen Daten beruht, entspricht dieser Tag dem 16. April des Julianischen Kalenders. ^14 Julia Equestris, wo der letzte Beiname zu fassen ist wie in anderen Kolonien Caesars die Beinamen sextanorum, decimanorum, u. a. m. Es waren keltische oder deutsche Reiter Caesars, die, natuerlich unter Erteilung des roemischen oder doch des latinischen Buergerrechts, hier Landlose empfingen. ------------------------------------------------- Am Oberrhein also war der drohenden Invasion der Deutschen vorgebeugt und zugleich die den Roemern feindliche Partei unter den Kelten gedemuetigt. Auch am Mittelrhein, wo die Deutschen bereits vor Jahren uebergegangen waren und die in Gallien mit der roemischen wetteifernde Macht des Ariovist taeglich weiter um sich griff, musste in aehnlicher Weise durchgegriffen werden, und leicht war die Veranlassung zum Bruche gefunden. Im Vergleich mit dem von Ariovist ihnen drohenden oder bereits auferlegten Joch mochte hier dem groesseren Teil der Kelten jetzt die roemische Suprematie das geringere Uebel duenken; die Minoritaet, die an ihrem Roemerhass festhielt, musste wenigstens verstummen. Ein unter roemischem Einfluss abgehaltener Landtag der Keltenstaemme des mittleren Galliens ersuchte im Namen der keltischen Nation den roemischen Feldherrn um Beistand gegen die Deutschen. Caesar ging darauf ein. Auf seine Veranlassung stellten die Haeduer die Zahlung des vertragsmaessig an Ariovist zu entrichtenden Tributes ein und forderten die gestellten Geiseln zurueck, und da Ariovist wegen dieses Vertragsbruchs die Klienten Roms angriff, nahm Caesar davon Veranlassung, mit ihm in direkte Verhandlung zu treten und, ausser der Rueckgabe der Geiseln und dem Versprechen, mit den Haeduern Frieden zu halten, namentlich zu fordern, dass Ariovist sich anheischig mache, keine Deutschen mehr ueber den Rhein nachzuziehen. Der deutsche Feldherr antwortete dem roemischen in dem Vollgefuehl ebenbuertigen Rechtes. Ihm sei das noerdliche Gallien so gut nach Kriegsrecht untertaenig geworden wie den Roemern das suedliche; wie er die Roemer nicht hindere, von den Allobrogen Tribut zu nehmen, so duerften auch sie ihm nicht wehren, seine Untertanen zu besteuern. In spaeteren geheimen Eroeffnungen zeigte es sich, dass der Fuerst der roemischen Verhaeltnisse wohl kundig war: er erwaehnte der Aufforderungen, die ihm von Rom aus zugekommen seien, Caesar aus dem Wege zu raeumen, und erbot sich, wenn Caesar ihm das noerdliche Gallien ueberlassen wolle, ihm dagegen zur Erlangung der Herrschaft ueber Italien behilflich zu sein - wie ihm der Parteihader der keltischen Nation den Eintritt in Gallien eroeffnet hatte, so schien er von dem Parteihader der italischen die Befestigung seiner Herrschaft daselbst zu erwarten. Seit Jahrhunderten war den Roemern gegenueber diese Sprache der vollkommen ebenbuertigen und ihre Selbstaendigkeit schroff und ruecksichtslos aeussernden Macht nicht gefuehrt worden, wie man sie jetzt von dem deutschen Heerkoenig vernahm: kurzweg weigerte er sich zu kommen, als der roemische Feldherr nach der bei Klientelfuersten hergebrachten Uebung ihm ansann, vor ihm persoenlich zu erscheinen. Um so notwendiger war es, nicht zu zaudern: sogleich brach Caesar auf gegen Ariovist. Ein panischer Schrecken ergriff seine Truppen, vor allem seine Offiziere, als sie daran sollten, mit den seit vierzehn Jahren nicht unter Dach und Fach gekommenen deutschen Kernscharen sich zu messen - auch in Caesars Lager schien die tiefgesunkene roemische Sittenund Kriegszucht sich geltend machen und Desertion und Meuterei hervorrufen zu wollen. Allein der Feldherr, indem er erklaerte, noetigenfalls mit der zehnten Legion allein gegen den Feind zu ziehen, wusste nicht bloss durch solche Ehrenmahnung diese, sondern durch den kriegerischen Wetteifer auch die uebrigen Regimenter an die Adler zu fesseln und etwas von seiner eigenen Energie den Truppen einzuhauchen. Ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu besinnen, fuehrte er in raschen Maerschen sie weiter und kam gluecklich Ariovist in der Besetzung der sequanischen Hauptstadt Vesontio (Besan‡on) zuvor. Eine persoenliche Zusammenkunft der beiden Feldherrn, die auf Ariovists Begehren stattfand, schien einzig einen Versuch gegen Caesars Person bedecken zu sollen; zwischen den beiden Zwingherren Galliens konnten nur die Waffen entscheiden. Vorlaeufig kam der Krieg zum Stehen. Im unteren Elsass, etwa in der Gegend von Muelhausen, eine deutsche Meile vom Rhein ^15, lagerten die beiden Heere in geringer Entfernung voneinander, bis es Ariovist gelang, mit seiner sehr ueberlegenen Macht an dem roemischen Lager vorbeimarschierend, sich ihm in den Ruecken zu legen und die Roemer von ihrer Basis und ihren Zufuhren abzuschneiden. Caesar versuchte sich aus seiner peinlichen Lage durch eine Schlacht zu befreien; allein Ariovist nahm sie nicht an. Dem roemischen Feldherrn blieb nichts uebrig, als trotz seiner geringen Staerke, die Bewegung des Feindes nachzuahmen und seine Verbindungen dadurch wieder zu gewinnen, dass er zwei Legionen am Feinde vorbeiziehen und jenseits des Lagers der Deutschen eine Stellung nehmen liess, waehrend vier in dem bisherigen Lager zurueckblieben. Ariovist, da er die Roemer geteilt sah, versuchte einen Sturm auf ihr kleineres Lager; allein die Roemer schlugen ihn ab. Unter dem Eindruck dieses Erfolges ward das gesamte roemische Heer zum Angriff vorgefuehrt; und auch die Deutschen stellten in Schlachtordnung sich auf, in langer Linie, jeder Stamm fuer sich, hinter sich, um die Flucht zu erschweren, die Karren der Armee mit dem Gepaeck und den Weibern. Der rechte Fluegel der Roemer unter Caesars eigener Fuehrung stuerzte sich rasch auf den Feind und trieb ihn vor sich her; dasselbe gelang dem rechten Fluegel der Deutschen. Noch stand die Waage gleich; allein die Taktik der Reserven entschied, wie so manchen anderen Kampf gegen Barbaren, so auch den gegen die Germanen zu Gunsten der Roemer; ihre dritte Linie, die Publius Crassus rechtzeitig zur Hilfe sandte, stellte auf dem linken Fluegel die Schlacht wieder her und damit war der Sieg entschieden. Bis an den Rhein ward die Verfolgung fortgesetzt; nur wenigen, darunter dem Koenig, gelang es, auf das andere Ufer zu entkommen (696 58). ---------------------------------------- ^15 F. W. A. Goeler (Caesars gallischer Krieg. Karlsruhe 1858, S. 45f.) meint, das Schlachtfeld bei Cernay unweit Muehlhausen aufgefunden zu haben, was im ganzen uebereinkommt mit Napoleons (precis p. 35) Ansetzung des Schlachtfeldes in der Gegend von Belfort. Diese Annahme ist zwar nicht sicher, aber den Umstaenden angemessen; denn dass Caesar fuer die kurze Strecke von Besan‡on bis dahin sieben Tagemaersche brauchte, erklaert er selbst (Lall. 1, 41) durch die Bemerkung, dass er einen Umweg von ueber zehn deutschen Meilen genommen, um die Bergwege zu vermeiden, und dafuer, dass die Schlacht 5, nicht 50 Milien vom Rhein geschlagen ward, entscheidet bei gleicher Autoritaet der Ueberlieferung die ganze Darstellung der bis zum Rhein fortgesetzten und offenbar nicht mehrtaegigen, sondern an dem Schlachttag selbst beendigten Verfolgung. Der Vorschlag W. Ruestows (Einleitung zu Caesars Kommentar, S. 117), das Schlachtfeld an die obere Saar zu verlegen, beruht auf einem Missverstaendnis. Das von den Sequanern, Denkern, Lingonen erwartete Getreide soll dem roemischen Heere nicht unterwegs auf dem Marsche gegen Ariovist zukommen, sondern vor dem Aufbruch nach Besan‡on geliefert und von den Truppen mitgenommen werden; wie dies sehr deutlich daraus hervorgeht, dass Caesar, indem er seine Truppen auf jene Lieferungen hinweist, daneben sie auf das unterwegs einzubringende Korn vertroestet. Von Besan‡on aus beherrschte Caesar die Gegend von Langres und Epinal und schrieb, wie begreiflich, seine Lieferungen lieber hier aus als in den ausfouragierten Distrikten, aus denen er kam. ---------------------------------------- So glaenzend kuendigte dem maechtigen Strom, den hier die italischen Soldaten zum erstenmal erblickten, das roemische Regiment sich an; mit einer einzigen gluecklichen Schlacht war die Rheinlinie gewonnen. Das Schicksal der deutschen Ansiedlungen am linken Rheinufer lag in Caesars Hand; der Sieger konnte sie vernichten, aber er tat es nicht. Die benachbarten keltischen Gaue, die Sequaner, Leuker, Mediomatriker, waren weder wehrhaft noch zuverlaessig; die uebersiedelten Deutschen versprachen nicht bloss tapfere Grenzhueter, sondern auch bessere Untertanen Roms zu werden, da sie von den Kelten die Nationalitaet, von ihren ueberrheinischen Landsleuten das eigene Interesse an der Bewahrung der neugewonnenen Wohnsitze schied und sie bei ihrer isolierten Stellung nicht umhin konnten, an der Zentralgewalt festzuhalten. Caesar zog hier wie ueberall die ueberwundenen Feinde den zweifelhaften Freunden vor; er liess den von Ariovist laengs des linken Rheinufers angesiedelten Germanen, den Tribokern um Strassburg, den Nemetern um Speyer, den Vangionen um Worms, ihre neuen Sitze und vertraute ihnen die Bewachung der Rheingrenze gegen ihre Landsleute an ^16. ---------------------------------------------- ^16 Das scheint die einfachste Annahme ueber den Ursprung dieser germanischen Ansiedlungen. Dass Ariovist jene Voelker am Mittelrhein ansiedelte, ist deshalb wahrscheinlich, weil sie in seinem Heer fechten (Caes. Gall. 1, 51) und frueher nicht vorkommen; dass ihnen Caesar ihre Sitze liess, deshalb, weil er Ariovist gegenueber sich bereit erklaerte, die in Gallien bereits ansaessigen Deutschen zu dulden (Caes. Gall. 1, 35. 43), und weil wir sie spaeter in diesen Sitzen finden. Caesar gedenkt der nach der Schlacht hinsichtlich dieser germanischen Ansiedlungen getroffenen Verfuegungen nicht, weil er ueber alle in Gallien von ihm vorgenommenen organischen Einrichtungen grundsaetzlich Stillschweigen beobachtet. ---------------------------------------------- Die Sueben aber, die am Mittelrhein das treverische Gebiet bedrohten, zogen auf die Nachricht von Ariovists Niederlage wieder zurueck in das innere Deutschland, wobei sie unterwegs durch die naechstwohnenden Voelkerschaften ansehnliche Einbusse erlitten. Die Folgen dieses einen Feldzuges waren unermesslich; noch Jahrtausende nachher wurden sie empfunden. Der Rhein war die Grenze des Roemischen Reiches gegen die Deutschen geworden. In Gallien, das nicht mehr vermochte, sich selber zu gebieten, hatten bisher die Roemer an der Suedkueste geherrscht, seit kurzem die Deutschen versucht, weiter oberwaerts sich festzusetzen. Die letzten Ereignisse hatten es entschieden, dass Gallien nicht nur zum Teil, sondern ganz der roemischen Oberhoheit zu verfallen und dass die Naturgrenze, die der maechtige Fluss darbietet, auch die staatliche Grenze zu werden bestimmt war. In seiner besseren Zeit hatte der Senat nicht geruht, bis Roms Herrschaft Italiens natuerliche Grenzen, die Alpen und das Mittelmeer und dessen naechste Inseln, erreicht hatte. Einer aehnlichen militaerischen Abrundung bedurfte auch das erweiterte Reich; aber die gegenwaertige Regierung ueberliess dieselbe dem Zufall und sah hoechstens darauf, nicht dass die Grenzen verteidigt werden konnten, sondern dass sie nicht unmittelbar von ihr selbst verteidigt zu werden brauchten. Man fuehlte es, dass jetzt ein anderer Geist und ein anderer Arm die Geschicke Roms zu lenken begannen. Die Grundmauern des kuenftigen Gebaeudes standen; um aber dasselbe auszubauen und bei den Galliern die Anerkennung der roemischen Herrschaft und der Rheingrenze bei den Deutschen vollstaendig durchzufuehren, fehlte doch noch gar viel. Ganz Mittelgallien zwar von der roemischen Grenze bis hinauf nach Chartres und Trier fuegte sich ohne Widerrede dem neuen Machthaber, und am oberen und mittleren Rhein war auch von den Deutschen vorlaeufig kein Angriff zu besorgen. Allein die noerdlichen Landschaften, sowohl die aremorikanischen Gaue in der Bretagne und der Normandie als auch die maechtigere Konfoederation der Belgen, waren von den gegen das mittlere Gallien gefuehrten Schlaegen nicht mitgetroffen worden und fanden sich nicht veranlasst, dem Besieger Ariovists sich zu unterwerfen. Es kam hinzu, dass, wie bemerkt, zwischen den Belgen und den ueberrheinischen Deutschen sehr enge Beziehungen bestanden und auch an der Rheinmuendung germanische Staemme sich fertig machten, den Strom zu ueberschreiten. Infolgedessen brach Caesar mit seinem jetzt auf acht Legionen vermehrten Heer im Fruehjahr 697 (57) auf gegen die belgischen Gaue. Eingedenk des tapferen und gluecklichen Widerstandes, den sie fuenfzig Jahre zuvor mit gesamter Hand an der Landgrenze den Kimbrern geleistet hatte, und gespornt durch die zahlreich aus Mittelgallien zu ihnen gefluechteten Patrioten, sandte die Eidgenossenschaft der Belgen ihr gesamtes erstes Aufgebot, 300000 Bewaffnete unter Anfuehrung des Koenigs der Suessionen, Galba, an ihre Suedgrenze, um Caesar daselbst zu empfangen. Nur ein einziger Gau, der der maechtigen Remer (um Reims), ersah in dieser Invasion der Fremden die Gelegenheit, das Regiment abzuschuetteln, das ihre Nachbarn, die Suessionen, ueber sie ausuebten, und schickte sich an, die Rolle, die in Mittelgallien die Haeduer gespielt hatten, im noerdlichen zu uebernehmen. In ihrem Gebiet trafen das roemische und das belgische Heer fast gleichzeitig ein. Caesar unternahm es nicht, dem tapferen, sechsfach staerkeren Feinde eine Schlacht zu liefern; nordwaerts der Aisne, unweit des heutigen Pontavert, zwischen Reims und Laon, nahm er sein Lager auf einem teils durch den Fluss und durch Suempfe, teils durch Graeben und Redouten von allen Seiten fast unangreifbar gemachten Plateau und begnuegte sich, die Versuche der Belgen, die Aisne zu ueberschreiten und ihn damit von seinen Verbindungen abzuschneiden, durch defensive Massregeln zu vereiteln. Wenn er darauf zaehlte, dass die Koalition demnaechst unter ihrer eigenen Schwere zusammenbrechen werde, so hatte er richtig gerechnet. Koenig Galba war ein redlicher, allgemein geachteter Mann; aber der Lenkung einer Armee von 300000 Mann auf feindlichem Boden war er nicht gewachsen. Man kam nicht weiter und die Vorraete gingen auf die Neige; Unzufriedenheit und Entzweiung fingen an, im Lager der Eidgenossen sich einzunisten. Die Bellovaker vor allem, den Suessionen an Macht gleich und schon verstimmt darueber, dass die Feldhauptmannschaft des eidgenoessischen Heeres nicht an sie gekommen war, waren nicht laenger zu halten, seit die Meldung eingetroffen war, dass die Haeduer als Bundesgenossen der Roemer Anstalt machten, in das bellovakische Gebiet einzuruecken. Man beschloss, sich aufzuloesen und nach Hause zu gehen; wenn Schande halber die saemtlichen Gaue zugleich sich verpflichteten, dem zunaechst angegriffenen mit gesamter Hand zu Hilfe zu eilen, so ward durch solche unausfuehrbare Stipulationen das klaegliche Auseinanderlaufen der Eidgenossenschaft nur klaeglich beschoenigt. Es war eine Katastrophe, welche lebhaft an diejenige erinnert, die im Jahre 1792 fast auf demselben Boden eintrat; und gleichwie in dem Feldzug in der Champagne war die Niederlage nur um so schwerer, weil sie ohne Schlacht erfolgt war. Die schlechte Leitung der abziehenden Armee gestattete dem roemischen Feldherrn, dieselbe zu verfolgen, als waere sie eine geschlagene, und einen Teil der bis zuletzt gebliebenen Kontingente aufzureiben. Aber die Folgen des Sieges beschraenkten sich hierauf nicht. Wie Caesar in die westlichen Kantone der Belgen einrueckte, gab einer nach dem andern fast ohne Gegenwehr sich verloren: die maechtigen Suessionen (um Soissons), ebenso wie ihre Nebenbuhler, die Bellovaker (um Beauvais) und die Ambianer (um Amiens). Die Staedte oeffneten die Tore, als sie die fremdartigen Belagerungsmaschinen, die auf die Mauern zurollenden Tuerme erblickten; wer sich dem fremden Herrn nicht ergeben mochte, suchte eine Zuflucht jenseits des Meeres in Britannien. Aber in den oestlichen Kantonen regte sich energischer das Nationalgefuehl. Die Viromanduer (um Arras), die Atrebaten (um Saint-Quentin), die deutschen Aduatuker (um Namur), vor allem aber die Nervier (im Hennegau) mit ihrer nicht geringen Klientel, an Zahl den Suessionen und Bellovakern wenig nachgebend, an Tapferkeit und kraeftigem Vaterlandssinn ihnen weit ueberlegen, schlossen einen zweiten und engeren Bund und zogen ihre Mannschaften an der oberen Samtire zusammen. Keltische Spione unterrichteten sie aufs genaueste ueber die Bewegungen der roemischen Armee; ihre eigene Ortskunde sowie die hohen Verzaeunungen, welche in diesen Landschaften ueberall angelegt waren, um den dieselben oft heimsuchenden berittenen Raeuberscharen den Weg zu versperren, gestatteten den Verbuendeten, ihre eigenen Operationen dem Blick der Roemer groesstenteils zu entziehen. Als diese an der Sambre unweit Bavay anlangten und die Legionen eben beschaeftigt waren, auf dem Kamm des linken Ufers das Lager zu schlagen, die Reiterei und leichte Infanterie die jenseitigen Hoehen zu erkunden, wurden auf einmal die letzteren von der gesamten Masse des feindlichen Landsturms ueberfallen und den Huegel hinab in den Fluss gesprengt. In einem Augenblick hatte der Feind auch diesen ueberschritten und stuermte mit todverachtender Entschlossenheit die Hoehen des linken Ufers. Kaum blieb den schanzenden Legionaeren die Zeit, um die Hacke mit dem Schwert zu vertauschen; die Soldaten, viele unbehelmt, mussten fechten, wo sie eben standen, ohne Schlachtlinie, ohne Plan, ohne eigentliches Kommando, denn bei der Ploetzlichkeit des Ueberfalls und dem von hohen Hecken durchschnittenen Terrain hatten die einzelnen Abteilungen die Verbindung voellig verloren. Statt der Schlacht entspann sich eine Anzahl zusammenhangloser Gefechte. Labienus mit dem linken Fluegel warf die Atrebaten und verfolgte sie bis ueber den Fluss. Das roemische Mitteltreffen draengte die Viromanduer den Abhang hinab. Der rechte Fluegel aber, bei dem der Feldherr selbst sich befand, wurde von den weit zahlreicheren Nerviern um so leichter ueberfluegelt, als das Mitteltreffen, durch seinen Erfolg fortgerissen, den Platz neben ihm geraeumt hatte, und selbst das halbfertige Lager von den Nerviern besetzt; die beiden Legionen, jede einzeln in ein dichtes Knaeuel zusammengeballt und von vorn und in beiden Flanken angegriffen, ihrer meisten Offiziere und ihrer besten Soldaten beraubt, schienen im Begriff, gesprengt und zusammengehauen zu werden. Schon flohen der roemische Tross und die Bundestruppen nach allen Seiten; von der keltischen Reiterei jagten ganze Abteilungen, wie das Kontingent der Treverer, mit verhaengten Zuegeln davon, um vom Schlachtfelde selbst die willkommene Kunde der erlittenen Niederlage daheim zu melden. Es stand alles auf dem Spiel. Der Feldherr selbst ergriff den Schild und focht unter den Vordersten; sein Beispiel, sein auch jetzt noch begeisternder Zuruf brachten die schwankenden Reihen wieder zum Stehen. Schon hatte man einigermassen sich Luft gemacht und wenigstens die Verbindung der beiden Legionen dieses Fluegels wiederhergestellt, als Succurs herbeikam: teils von dem Uferkamm herab, wo waehrenddessen mit dem Gepaeck die roemische Nachhut eingetroffen war, teils vom anderen Flussufer her, wo Labienus inzwischen bis an das feindliche Lager vorgedrungen war und sich dessen bemaechtigt hatte und nun, endlich die auf dem rechten Fluegel drohende Gefahr gewahrend, die siegreiche zehnte Legion seinem Feldherrn zu Hilfe sandte. Die Nervier, von ihren Verbuendeten getrennt und von allen Seiten zugleich angegriffen, bewaehrten jetzt, wo das Glueck sich wandte, denselben Heldenmut, wie da sie sich Sieger glaubten; noch von den Leichenbergen der Ihrigen herunter fochten sie bis auf den letzten Mann. Nach ihrer eigenen Angabe ueberlebten von ihren sechshundert Ratsherren nur drei diesen Tag. Nach dieser vernichtenden Niederlage mussten die Nervier, Atrebaten und Viromanduer wohl die roemische Hoheit anerkennen. Die Aduatuker, zu spaet eingetroffen, um an dem Kampfe an der Sambre teilzunehmen, versuchten zwar noch, in der festesten ihrer Staedte (auf dem Berge Falhize an der Maas unweit Huy) sich zu halten, allein bald unterwarfen auch sie sich. Ein noch nach der Ergebung gewagter naechtlicher Ueberfall des roemischen Lagers vor der Stadt schlug fehl und der Treubruch ward von den Roemern mit furchtbarer Strenge geahndet. Die Klientel der Aduatuker, die aus den Eburonen zwischen Maas und Rhein und anderen kleinen, benachbarten Staemmen bestand, wurde von den Roemern selbstaendig erklaert, die gefangenen Aduatuker aber in Masse zu Gunsten des roemischen Schatzes unter dem Hammer verkauft. Es schien, als ob das Verhaengnis, das die Kimbrer betroffen hatte, auch diesen letzten kimbrischen Splitter noch verfolge. Den uebrigen unterworfenen Staemmen begnuegte sich Caesar eine allgemeine Entwaffnung und Geiselstellung aufzuerlegen. Die Remer wurden natuerlich der fuehrende Gau im belgischen wie die Haeduer im mittleren Gallien; sogar in diesem begaben sich manche mit den Haeduern verfeindete Clans vielmehr in die Klientel der Reiner. Nur die entlegenen Seekantone der Moriner (Artois) und der Menapier (Flandern und Brabant) und die grossenteils von Deutschen bewohnte Landschaft zwischen Schelde und Rhein blieben fuer diesmal von der roemischen Invasion noch verschont und im Besitz ihrer angestammten Freiheit. Die Reihe kam an die aremorikanischen Gaue. Noch im Herbst 697 (57) ward Publius Crassus mit einem roemischen Korps dahin gesandt; er bewirkte, dass die Veneter, die, als Herren der Haefen des heutigen Morbihan und einer ansehnlichen Flotte, in Schiffahrt und Handel unter allen keltischen Gauen den ersten Platz einnahmen, und ueberhaupt die Kuestendistrikte zwischen Loire und Seine sich den Roemern unterwarfen und ihnen Geiseln stellten. Allein es gereute sie bald. Als im folgenden Winter (697/98 57/5 roemische Offiziere in diese Gegenden kamen, um Getreidelieferungen daselbst auszuschreiben, wurden sie von den Venetern als Gegengeiseln festgehalten. Dem gegebenen Beispiel folgten rasch nicht bloss die aremoricanischen, sondern auch die noch freigebliebenen Seekantone der Belgen; wo, wie in einigen Gauen der Normandie, der Gemeinderat sich weigerte, der Insurrektion beizutreten, machte die Menge ihn nieder und schloss mit verdoppeltem Eifer der Nationalsache sich an. Die ganze Kueste von der Muendung der Loire bis zu der des Rheins stand auf gegen Rom; die entschlossensten Patrioten aus allen keltischen Gauen eilten dorthin, um mitzuwirken an dem grossen Werke der Befreiung; man rechnete schon auf den Aufstand der gesamten belgischen Eidgenossenschaft, auf Beistand aus Britannien, auf das Einruecken der ueberrheinischen Germanen. Caesar sandte Labienus mit der ganzen Reiterei an den Rhein, um die gaerende belgische Landschaft niederzuhalten und noetigenfalls den Deutschen den Uebergang ueber den Fluss zu wehren; ein anderer seiner Unterbefehlshaber, Quintus Titurius Sabinus, ging mit drei Legionen nach der Normandie, wo die Hauptmasse der Insurgenten sich sammelte. Allein der eigentliche Herd der Insurrektion waren die maechtigen und intelligenten Veneter; gegen sie ward zu Lande und zur See der Hauptangriff gerichtet. Die teils aus den Schiffen der untertaenigen Keltengaue, teils aus einer Anzahl roemischer, eiligst auf der Loire erbauter und mit Ruderern aus der Narbonensischen Provinz bemannter Galeeren gebildete Flotte fuehrte der Unterfeldherr Decimus Brutus heran; Caesar selbst rueckte mit dem Kern seiner Infanterie ein in das Gebiet der Veneter. Aber man war dort vorbereitet und hatte ebenso geschickt wie entschlossen die guenstigen Verhaeltnisse benutzt, die das bretagnische Terrain und der Besitz einer ansehnlichen Seemacht darbot. Die Landschaft war durchschnitten und getreidearm, die Staedte groesstenteils auf Klippen und Landspitzen gelegen und vom Festlande her nur auf schwer zu passierenden Watten zugaenglich; die Verpflegung wie die Belagerung waren fuer das zu Lande angreifende Heer gleich schwierig, waehrend die Kelten durch ihre Schiffe die Staedte leicht mit allem Noetigen versehen und im schlimmsten Fall die Raeumung derselben bewerkstelligen konnten. Die Legionen verschwendeten in den Belagerungen der venetischen Ortschaften Zeit und Kraft, um zuletzt die wesentlichen Fruechte des Sieges auf den Schiffen der Feinde verschwinden zu sehen. Als daher die roemische Flotte, lange in der Loiremuendung von Stuermen zurueckgehalten, endlich an der bretagnischen Kueste eintraf, ueberliess man es ihr, den Kampf durch eine Seeschlacht zu entscheiden. Die Kelten, ihrer Ueberlegenheit auf diesem Elemente sich bewusst, fuehrten gegen die von Brutus befehligte roemische Flotte die ihrige vor. Nicht bloss zaehlte diese zweihundertzwanzig Segel, weit mehr, als die Roemer hatten aufbringen koennen; ihre hochbordigen, festgebauten Segelschiffe von flachem Boden waren auch bei weitem geeigneter fuer die hochgehenden Fluten des Atlantischen Meeres als die niedrigen leichtgefugten Rudergaleeren der Roemer mit ihren scharfen Kielen. Weder die Geschosse noch die Enterbruecken der Roemer vermochten das hohe Deck der feindlichen Schiffe zu erreichen und an den maechtigen Eichenplanken derselben prallten die eisernen Schnaebel machtlos ab. Allein die roemischen Schiffsleute zerschnitten die Taue, durch welche die Rahen an den Masten befestigt waren, mittels an langen Stangen befestigter Sicheln; Rahen und Segel stuerzten herab und, da man den Schaden nicht rasch zu ersetzen verstand, ward das Schiff dadurch zum Wrack, wie heutzutage durch Stuerzen der Maste, und leicht gelang es den roemischen Booten, durch vereinigten Angriff des gelaehmten feindlichen Schiffes sich zu bemeistern. Als die Gallier dieses Manoevers innewurden, versuchten sie von der Kueste, an der sie den Kampf mit den Roemern aufgenommen hatten, sich zu entfernen und die hohe See zu gewinnen, wohin die roemischen Galeeren ihnen nicht folgen konnten; allein zum Unglueck fuer sie trat ploetzlich eine vollstaendige Windstille ein und die ungeheure Flotte, an deren Ausruestung die Seegaue alle ihre Kraefte gesetzt hatten, ward von den Roemern fast gaenzlich vernichtet. So ward diese Seeschlacht - soweit die geschichtliche Kunde reicht, die aelteste auf dem Atlantischen Ozean geschlagene - ebenwie zweihundert Jahre zuvor das Treffen bei Mylae trotz der unguenstigsten Verhaeltnisse durch eine von der Not eingegebene glueckliche Erfindung zum Vorteil der Roemer entschieden. Die Folge des von Brutus erfochtenen Sieges war die Ergebung der Veneter und der ganzen Bretagne. Mehr, um der keltischen Nation, nach so vielfaeltigen Beweisen von Milde gegen die Unterworfenen, jetzt durch ein Beispiel furchtbarer Strenge gegen die hartnaeckig Widerstrebenden zu imponieren, als um den Vertragsbruch und die Festnahme der roemischen Offiziere zu ahnden, liess Caesar den gesamten Gemeinderat hinrichten und die Buergerschaft des venetischen Gaus bis auf den letzten Mann in die Knechtschaft verkaufen. Durch dies entsetzliche Geschick wie durch ihre Intelligenz und ihren Patriotismus haben die Veneter mehr als irgendein anderer Keltenclan sich ein Anrecht erworben auf die Teilnahme der Nachwelt. Dem am Kanal versammelten Aufgebot der Kuestenstaaten setzte Sabinus inzwischen dieselbe Taktik entgegen, durch die Caesar das Jahr zuvor den belgischen Landsturm an der Aisne ueberwunden hatte; er verhielt sich verteidigend, bis Ungeduld und Mangel in den Reihen der Feinde einrissen, und wusste sie dann durch Taeuschung ueber die Stimmung und Staerke seiner Truppen und vor allem durch die eigene Ungeduld zu einem unbesonnenen Sturm auf das roemische Lager zu verlocken und dabei zu schlagen, worauf die Milizen sich zerstreuten und die Landschaft bis zur Seine sich unterwarf. Nur die Moriner und Menapier beharrten dabei, sich der Anerkennung der roemischen Hoheit zu entziehen. Um sie dazu zu zwingen, erschien Caesar an ihren Grenzen: aber gewitzigt durch die von ihren Landsleuten gemachten Erfahrungen, vermieden sie es, den Kampf an der Landesgrenze aufzunehmen und wichen zurueck in die damals von den Ardennen gegen die Nordsee hin fast ununterbrochen sich erstreckenden Waelder. Die Roemer versuchten, sich durch dieselben mit der Axt eine Strasse zu bahnen, zu deren beiden Seiten die gefaellten Baeume als Verbacke gegen feindliche Ueberfaelle aufgeschichtet wurden; allein selbst Caesar, verwegen wie er war, fand nach einigen Tagen muehseligsten Marschierens es ratsam, zumal da es gegen den Winter ging, den Rueckzug anzuordnen, obwohl von den Morinern nur ein kleiner Teil unterworfen und die maechtigen Menapier gar nicht erreicht worden waren. Das folgende Jahr (699 55) ward, waehrend Caesar selbst in Britannien beschaeftigt war, der groesste Teil des Heeres aufs neue gegen diese Voelkerschaften gesandt; allein auch diese Expedition blieb in der Hauptsache erfolglos. Dennoch war das Ergebnis der letzten Feldzuege die fast vollstaendige Unterwerfung Galliens unter die Herrschaft der Roemer. Wenn Mittelgallien ohne Gegenwehr sich unter dieselbe gefuegt hatte, so waren durch den Feldzug des Jahres 697 (57) die belgischen, durch den des folgenden Jahres die Seegaue mit den Waffen zur Anerkennung der roemischen Herrschaft gezwungen worden. Die hochfliegenden Hoffnungen aber, mit denen die keltischen Patrioten den letzten Feldzug begonnen, hatten nirgends sich erfuellt. Weder Deutsche noch Briten waren ihnen zu Hilfe gekommen, und in Belgien hatte Labienus’ Anwesenheit genuegt, die Erneuerung der vorjaehrigen Kaempfe zu verhueten. Waehrend also Caesar das roemische Gebiet im Westen mit den Waffen zu einem geschlossenen Ganzen fortbildete, versaeumte er nicht, der neu unterworfenen Landschaft, welche ja bestimmt war, die zwischen Italien und Spanien klaffende Gebietsluecke auszufuellen, mit der italischen Heimat wie mit den spanischen Provinzen Kommunikationen zu eroeffnen. Die Verbindung zwischen Gallien und Italien war allerdings durch die von Pompeius im Jahre 677 (77) angelegte Heerstrasse ueber den Mont Genevre wesentlich erleichtert worden; allein seit das ganze Gallien den Roemern unterworfen war, bedurfte man einer aus dem Potal nicht in westlicher, sondern in noerdlicher Richtung den Alpenkamm ueberschreitenden und eine kuerzere Verbindung zwischen Italien und dem mittleren Gallien herstellenden Strasse. Dem Kaufmann diente hierzu laengst der Weg, der ueber den Grossen Bernhard in das Wallis und an den Genfer See fuehrt; um diese Strasse in seine Gewalt zu bringen, liess Caesar schon im Herbst 697 (57) durch Servius Galba Octodurum (Martigny) besetzen und die Bewohner des Wallis zur Botmaessigkeit bringen, was durch die tapfere Gegenwehr dieser Bergvoelker natuerlich nur verzoegert, nicht verhindert ward. Um ferner die Verbindung mit Spanien zu gewinnen, wurde im folgenden Jahr (698 56) Publius Crassus nach Aquitanien gesandt mit dem Auftrag, die daselbst wohnenden iberischen Staemme zur Anerkennung der roemischen Herrschaft zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne Schwierigkeit; die Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und verstanden es besser als diese, von ihren Feinden zu lernen. Die Staemme jenseits der Pyrenaeen, namentlich die tuechtigen Kantabrer sandten ihren bedrohten Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfahrene, unter Sertorius’ Fuehrung roemisch geschulte Offiziere, die soweit moeglich die Grundsaetze der roemischen Kriegskunst, namentlich das Lagerschlagen, bei dem schon durch seine Zahl und seine Tapferkeit ansehnlichen aquitanischen Aufgebot einfuehrten. Allein der vorzuegliche Offizier, der die Roemer fuehrte, wusste alle Schwierigkeiten zu ueberwinden, und nach einigen hart bestrittenen, aber gluecklich gewonnenen Feldschlachten die Voelkerschaften von der Garonne bis nahe an die Pyrenaeen zur Ergebung unter den neuen Herrn zu bestimmen. Das eine Ziel, das Caesar sich gesteckt hatte, die Unterwerfung Galliens, war mit kaum nennenswerten Ausnahmen im wesentlichen soweit erreicht, als es ueberhaupt mit dem Schwert sich erreichen liess. Allein die andere Haelfte des von Caesar begonnenen Werkes war noch bei weitem nicht genuegend erledigt und die Deutschen noch keineswegs ueberall genoetigt, den Rhein als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter 698/99 (56/55) hatte an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin die Roemer noch nicht vorgedrungen waren, eine abermalige Grenzueberschreitung stattgefunden. Die deutschen Staemme der Usipeten und Tencterer, deren Versuche, in dem Gebiet der Menapier ueber den Rhein zu setzen, bereits erwaehnt wurden, waren endlich doch, die Wachsamkeit ihrer Gegner durch einen verstellten Abzug taeuschend, auf den eigenen Schiffen der Menapier uebergegangen - ein ungeheurer Schwarm, der sich mit Einschluss der Weiber und Kinder auf 430000 Koepfe belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend von Nimwegen und Kleve; aber es hiess, dass sie, den Aufforderungen der keltischen Patriotenpartei folgend, in das Innere Galliens einzuruecken beabsichtigten, und das Geruecht ward dadurch bestaerkt, dass ihre Reiterscharen bereits bis an die Grenzen der Treuerer streiften. Indes als Caesar mit seinen Legionen ihnen gegenueber anlangte, schienen die vielgeplagten Auswanderer nicht nach neuen Kaempfen begierig, sondern gern bereit, von den Roemern Land zu nehmen und es unter ihrer Hoheit in Frieden zu bestellen. Waehrend darueber verhandelt ward, stieg in dem roemischen Feldherrn der Argwohn auf, dass die Deutschen nur Zeit zu gewinnen suchten, bis die von ihnen entsendeten Reiterscharen wiedereingetroffen seien. Ob derselbe gegruendet war oder nicht, laesst sich nicht sagen; aber darin bestaerkt durch einen Angriff, den trotz des tatsaechlichen Waffenstillstandes ein feindlicher Trupp auf seine Vorhut unternahm, und erbittert durch den dabei erlittenen empfindlichen Verlust, glaubte Caesar sich berechtigt, jede voelkerrechtliche Ruecksicht aus den Augen zu setzen. Als am anderen Morgen die Fuersten und Aeltesten der Deutschen, den ohne ihr Vorwissen unternommenen Angriff zu entschuldigen, im roemischen Lager erschienen, wurden sie festgehalten und die nichts ahnende, ihrer Fuehrer beraubte Menge von dem roemischen Heer ploetzlich ueberfallen. Es war mehr eine Menschenjagd als eine Schlacht; was nicht unter den Schwertern der Roemer fiel, ertrank im Rheine; fast nur die zur Zeit des Ueberfalls detachierten Abteilungen entkamen dem Blutbad und gelangten zurueck ueber den Rhein, wo ihnen die Sugambrer in ihrem Gebiet, es scheint an der Lippe, eine Freistatt gewaehrten. Das Verfahren Caesars gegen diese deutschen Einwanderer fand im Senat schweren und gerechten Tadel; allein wie wenig auch dasselbe entschuldigt werden kann, den deutschen Uebergriffen war dadurch mit erschreckendem Nachdruck gesteuert. Doch fand es Caesar ratsam, noch einen Schritt weiter zu gehen und die Legionen ueber den Rhein zu fuehren. An Verbindungen jenseits desselben mangelte es ihm nicht. Den Deutschen auf ihrer damaligen Bildungsstufe fehlte noch jeder nationale Zusammenhang; an politischer Zerfahrenheit gaben sie, wenn auch aus anderen Ursachen, den Kelten nichts nach. Die Ubier (an der Sieg und Lahn), der zivilisierteste unter den deutschen Staemmen, waren vor kurzem von einem maechtigen suebischen Gau des Binnenlandes botmaessig und zinspflichtig gemacht worden und hatten schon 697 (57) Caesar durch ihre Boten ersucht, auch sie wie die Gallier von der suebischen Herrschaft zu befreien. Es war Caesars Absicht nicht, diesem Ansinnen, das ihn in endlose Unternehmungen verwickelt haben wuerde, ernstlich zu entsprechen; aber wohl schien es zweckmaessig, um das Erscheinen der germanischen Waffen diesseits des Rheines zu verhindern, die roemischen jenseits desselben wenigstens zu zeigen. Der Schutz, den die entronnenen Usipeten und Tencterer bei den Sugambrern gefunden hatten, bot eine geeignete Veranlassung dar. In der Gegend, wie es scheint, zwischen Koblenz und Andernach schlug Caesar eine Pfahlbruecke ueber den Rhein und fuehrte seine Legionen hinueber aus dem treverischen in das ubische Gebiet. Einige kleinere Gaue gaben ihre Unterwerfung ein; allein die Sugambrer, gegen die der Zug zunaechst gerichtet war, zogen, wie das roemische Heer herankam, mit ihren Schutzbefohlenen sich in das innere Land zurueck. In gleicher Weise liess der maechtige suebische Gau, der die Ubier bedraengte, vermutlich derjenige, der spaeter unter dem Namen der Chatten auftritt, die zunaechst an das ubische Gebiet angrenzenden Distrikte raeumen und das nicht streitbare Volk in Sicherheit bringen, waehrend alle waffenfaehige Mannschaft angewiesen ward, im Mittelpunkt des Gaues sich zu versammeln. Diesen Handschuh aufzuheben hatte der roemische Feldherr weder Veranlassung noch Lust; sein Zweck, teils zu rekognoszieren, teils durch einen Zug ueber den Rhein womoeglich den Deutschen, wenigstens aber den Kelten und den Landsleuten daheim zu imponieren, war im wesentlichen erreicht; nach achtzehntaegigem Verweilen am rechten Rheinufer traf er wieder in Gallien ein und brach die Rheinbruecke hinter sich ab (699 55). Es blieben die Inselkelten. Bei dem engen Zusammenhang zwischen ihnen und den Kelten des Festlandes, namentlich den Seegauen, ist es begreiflich, dass sie an dem nationalen Widerstand wenigstens mit ihren Sympathien sich beteiligt hatten und den Patrioten wenn auch nicht bewaffneten Beistand, doch mindestens jedem von ihnen, fuer den die Heimat nicht mehr sicher war, auf ihrer meerbeschuetzten Insel eine ehrenvolle Freistatt gewaehrten. Eine Gefahr lag hierin allerdings, wenn nicht fuer die Gegenwart, doch fuer die Zukunft; es schien zweckmaessig, wo nicht die Eroberung der Insel selbst zu unternehmen, doch auch hier die Defensive offensiv zu fuehren und durch eine Landung an der Kueste den Insulanern zu zeigen, dass der Arm der Roemer auch ueber den Kanal reiche. Schon der erste roemische Offizier, der die Bretagne betrat, Publius Crassus, war von dort nach den "Zinninseln" an der Westspitze Englands (Scillyinseln) hinuebergefahren (697 57); im Sommer 699 (55) ging Caesar selbst mit nur zwei Legionen da, wo er am schmalsten ist ^17, ueber den Kanal. Er fand die Kueste mit feindlichen Truppenmassen bedeckt und fuhr mit seinen Schiffen weiter; aber die britischen Streitwagen bewegten sich ebenso schnell zu Lande fort wie die roemischen Galeeren auf der See, und nur mit groesster Muehe gelang es den roemischen Soldaten unter dem Schutze der Kriegsschiffe, die durch Wurfmaschinen und Handgeschuetze den Strand fegten, im Angesicht der Feinde teils watend, teils in Kaehnen das Ufer zu gewinnen. Im ersten Schreck unterwarfen sich die naechsten Doerfer; allein bald wurden die Insulaner gewahr, wie schwach der Feind sei und wie er nicht wage, sich vom Ufer zu entfernen. Die Eingeborenen verschwanden in das Binnenland und kamen nur zurueck, um das Lager zu bedrohen; die Flotte aber, die man auf der offenen Reede gelassen hatte, erlitt durch den ersten ueber sie hereinbrechenden Sturmwind sehr bedeutenden Schaden. Man musste sich gluecklich schaetzen, die Angriffe der Barbaren abzuschlagen, bis man die Schiffe notduerftig repariert hatte, und mit denselben, noch ehe die schlimme Jahreszeit hereinbrach, die gallische Kueste wiederzuerreichen. ------------------------------------------- ^17 Dass Caesars Ueberfahrten nach Britannien aus den Haefen der Kueste von Calais bis Boulogne an die Kueste von Kent gingen, ergibt die Natur der Sache sowie Caesars ausdrueckliche Angabe. Die genauere Bestimmung der Oertlichkeit ist oft versucht worden, aber nicht gelungen. Ueberliefert ist nur, dass bei der ersten Fahrt die Infanterie in dem einen, die Reiterei in einem anderen, von jenem 8 Milien in oestlicher Richtung entfernten Hafen sich einschiffte (Gall. 4, 22, 23, 28) und dass die zweite Fahrt aus demjenigen von diesen beiden Haefen, den Caesar am bequemsten gefunden, dem (sonst nicht weiter genannten) Irischen, von der britannischen Kueste 30 (so nach Caesars Handschriften 5, 2) oder 40 (= 320 Stadien, nach Strab. 4, 5, 2, der unzweifelhaft aus Caesar schoepfte) Milien entfernten abging. Aus Caesars Worten (Gall. 4, 21), dass er "die kuerzeste Ueberfahrt" gewaehlt habe, kann man verstaendigerweise wohl folgern, dass er nicht durch den Kanal, sondern durch den Pas de Calais, aber keineswegs, dass er durch diesen auf der mathematisch kuerzesten Linie fuhr. Es gehoert der Inspirationsglaube der Lokaltopographen dazu, um mit solchen Daten in der Hand, von denen das an sich beste noch durch die schwankende Ueberlieferung der Zahl fast unbrauchbar wird, an die Bestimmung der Oertlichkeit zu gehen; doch moechte unter den vielen Moeglichkeiten am meisten fuer sich zu haben, dass der Irische Hafen (den schon Strab. a. a. O. wahrscheinlich richtig mit demjenigen identifiziert, von dem bei der ersten Fahrt die Infanterie ueberging) bei Ambleteuse, westlich vom Cap Gris Nez, der Reiterhaufen bei Ecale (Wissant), oestlich von demselben Vorgebirge, zu suchen ist, die Landung aber oestlich von Dover bei Walmercastle stattfand. ------------------------------------------- Caesar selbst war mit den Ergebnissen dieser leichtsinnig und mit unzulaenglichen Mitteln unternommenen Expedition so unzufrieden, dass er sogleich (Winter 699/700 55/54) eine Transportflotte von 800 Segeln instand setzen liess und im Fruehling 700 (54), diesmal mit fuenf Legionen und 2000 Reitern, zum zweitenmal nach der kentischen Kueste unter Segel ging. Vor der gewaltigen Armada wich die auch diesmal am Ufer versammelte Streitmacht der Briten, ohne einen Kampf zu wagen; Caesar trat sofort den Marsch ins Binnenland an und ueberschritt nach einigen gluecklichen Gefechten den Fluss Stour; allein er musste sehr wider seinen Willen innehalten, weil die Flotte auf der offenen Reede wiederum von den Stuermen des Kanals halb vernichtet worden war. Bis man die Schiffe auf den Strand gezogen und fuer die Reparatur umfassende Vorkehrungen getroffen, ging eine kostbare Zeit verloren, die die Kelten weislich benutzten. Der tapfere und umsichtige Fuerst Cassivellaunus, der in dem heutigen Middlesex und der Umgegend gebot, sonst der Schreck der Kelten suedlich von der Themse, jetzt aber Hort und Vorfechter der ganzen Nation, war an die Spitze der Landesverteidigung getreten. Er sah bald, dass mit dem keltischen Fussvolk gegen das roemische schlechterdings nichts auszurichten und die schwer zu ernaehrende und schwer zu regierende Masse des Landsturms der Verteidigung nur hinderlich
war; also entliess er diesen und behielt nur die Streitwagen, deren er 4000 zusammenbrachte und deren Kaempfer, geuebt vom Wagen herabspringend zu Fuss zu fechten, gleich der Buergerreiterei des aeltesten Rom in zwiefacher Weise verwendet werden konnten. Als Caesar den Marsch wieder fortzusetzen imstande war, fand er denselben nirgend sich verlegt; aber die britischen Streitwagen zogen stets dem roemischen Heer vorauf und zur Seite, bewirkten die Raeumung des Landes, die bei dem Mangel an Staedten keine grosse Schwierigkeit machte, hinderten jede Detachierung und bedrohten die Kommunikationen. Die Themse ward - wie es scheint zwischen Kingston und Brentford oberhalb London - von den Roemern ueberschritten; man kam vorwaerts, aber nicht eigentlich weiter; der Feldherr erfocht keinen Sieg, der Soldat machte keine Beute und das einzige wirkliche Resultat, die Unterwerfung der Trinobanten im heutigen Essex, war weniger die Folge der Furcht vor den Roemern als der tiefen Verfeindung dieses Gaus mit Cassivellaunus. Mit jedem Schritte vorwaerts stieg die Gefahr, und der Angriff, den die Fuersten von Kent nach Cassivellaunus’ Anordnung auf das roemische Schiffslager machten, mahnte, obwohl er abgeschlagen ward, doch dringend zur Umkehr. Die Erstuermung eines grossen britischen Verhacks, in dem eine Menge Vieh den Roemern in die Haende fiel, gab fuer das ziellose Vordringen einen leidlichen Abschluss und einen ertraeglichen Vorwand fuer die Umkehr. Auch Cassivellaunus war einsichtig genug, den gefaehrlichen Feind nicht aufs Aeusserste zu treiben, und versprach, wie Caesar verlangte, die Trinobanten nicht zu beunruhigen, Abgaben zu zahlen und Geiseln zu stellen; von Auslieferung der Waffen oder Zuruecklassung einer roemischen Besatzung war nicht die Rede, und selbst jene Versprechungen wurden vermutlich, soweit sie die Zukunft betrafen, ernstlich weder gegeben noch genommen. Nach Empfang der Geiseln kehrte Caesar in das Schiffslager und von da nach Gallien zurueck. Wenn er, wie es allerdings scheint, gehofft hatte, Britannien diesmal zu erobern, so war dieser Plan teils an dem klugen Verteidigungssystem des Cassivellaunus, teils und vor allem an der Unbrauchbarkeit der italischen Ruderflotte auf den Gewaessern der Nordsee vollkommen gescheitert; denn dass der bedungene Tribut niemals erlegt ward, ist gewiss. Der naechste Zweck aber: die Inselkelten aus ihrer trotzigen Sicherheit aufzuruetteln und sie zu veranlassen, in ihrem eigenen Interesse ihre Inseln nicht laenger zum Herd der festlaendischen Emigration herzugeben, scheint allerdings erreicht worden zu sein; wenigstens werden Beschwerden ueber dergleichen Schutzverleihung spaeterhin nicht wieder vernommen. Das Werk der Zurueckweisung der germanischen Invasion und der Unterwerfung der festlaendischen Kelten war vollendet. Aber oft ist es leichter, eine freie Nation zu unterwerfen als eine unterworfene in Botmaessigkeit zu erhalten. Die Rivalitaet um die Hegemonie, an der mehr noch als an den Angriffen Roms die keltische Nation zugrunde gegangen war, ward durch die Eroberung gewissermassen aufgehoben, indem der Eroberer die Hegemonie fuer sich selbst nahm. Die Sonderinteressen schwiegen; in dem gemeinsamen Druck fuehlte man doch sich wieder als ein Volk, und was man, da man es besass, gleichgueltig verspielt hatte, die Freiheit und die Nationalitaet, dessen unendlicher Wert ward nun, da es zu spaet war, von der unendlichen Sehnsucht vollstaendig ermessen. Aber war es denn zu spaet? Mit zorniger Scham gestand man es sich, dass eine Nation, die mindestens eine Million waffenfaehiger Maenner zaehlte, eine Nation von altem und wohlbegruendetem kriegerischen Ruhm, von hoechstens 50000 Roemern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung der Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne dass sie auch nur einen Schlag getan, die der belgischen, ohne dass sie mehr getan als schlagen wollen; dagegen wieder der heldenmuetige Untergang der Nervier und Veneter, der kluge und glueckliche Widerstand der Moriner und der Briten unter Cassivellaunus - alles, was im einzelnen versaeumt und geleistet, gescheitert und erreicht war, spornte die Gemueter aller Patrioten zu neuen, womoeglich einigeren und erfolgreicheren Versuchen. Namentlich unter dem keltischen Adel herrschte eine Gaerung, die jeden Augenblick in einen allgemeinen Aufstand ausbrechen zu muessen schien. Schon vor dem zweiten Zug nach Britannien im Fruehjahr 700 (54) hatte Caesar es notwendig gefunden, sich persoenlich zu den Treverern zu begeben, die, seit sie 697 (57) in der Nervierschlacht sich kompromittiert hatten, auf den allgemeinen Landtagen nicht mehr erschienen waren und mit den ueberrheinischen Deutschen mehr als verdaechtige Verbindungen angeknuepft hatten. Damals hatte Caesar sich begnuegt, die namhaftesten Maenner der Patriotenpartei, namentlich den Indutiomarus, unter dem treverischen Reiterkontingent mit sich nach Britannien zu fuehren; er tat sein moegliches, die Verschwoerung nicht zu sehen, um nicht durch strenge Massregeln sie zur Insurrektion zu zeitigen. Allein als der Haeduer Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffizier, in der Tat aber als Geisel sich bei dem nach Britannien bestimmten Heere befand, geradezu verweigerte sich einzuschiffen und statt dessen nach Hause ritt, konnte Caesar nicht umhin, ihn als Ausreisser verfolgen zu lassen, wobei er von der nachgeschickten Abteilung eingeholt und, da er gegen dieselbe sich zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700 54). Dass der angesehenste Ritter des maechtigsten und noch am wenigsten abhaengigen Keltengaus von den Roemern getoetet worden, war ein Donnerschlag fuer den ganzen keltischen Adel; jeder, der sich aehnlicher Gesinnung bewusst war - und es war dies die ungeheure Majoritaet -, sah in jener Katastrophe das Bild dessen, was ihm selber bevorstand. Wenn Patriotismus und Verzweiflung die Haeupter des keltischen Adels bestimmt hatte sich zu verschwoeren, so trieb jetzt Furcht und Notwehr die Verschworenen zum Losschlagen. Im Winter 700/01 (54/53) lagerte, mit Ausnahme einer in die Bretagne und einer zweiten in den sehr unruhigen Gau der Carnuten (bei Chartres) verlegten Legion, das gesamte roemische Heer, sechs Legionen stark, im belgischen Gebiet. Die Knappheit der Getreidevorraete hatte Caesar bewogen, seine Truppen weiter, als er sonst zu tun pflegte, auseinander und in sechs verschiedene, in den Gauen der Bellovaker, Ambianer, Moriner, Nervier, Reiner und Eburonen, errichtete Lager zu verlegen. Das am weitesten gegen Osten im eburonischen Gebiet, wahrscheinlich unweit des spaeteren Aduatuca, des heutigen Tongern, angelegte Standlager, das staerkste von allen, bestehend aus einer Legion unter einem der angesehensten Caesarischen Divisionsfuehrer, dem Quintus Titurius Sabinus, und ausserdem verschiedenen, von dem tapferen Lucius Aurunculeius Cotta, gefuehrten Detachements zusammen von der Staerke einer halben Legion ^18, fand sich urploetzlich von dem Landsturm der Eburonen unter den Koenigen Ambiorix und Catuvolcus umzingelt. Der Angriff kam so unerwartet, dass die eben vom Lager abwesenden Mannschaften nicht einberufen werden konnten und von den Feinden aufgehoben wurden; uebrigens war zunaechst die Gefahr nicht gross, da es an Vorraeten nicht mangelte und der Sturm, den die Eburonen versuchten, an den roemischen Verschanzungen machtlos abprallte. Aber Koenig Ambiorix eroeffnete dem roemischen Befehlshaber, dass die saemtlichen roemischen Lager in Gallien an demselben Tage in gleicher Weise angegriffen und die Roemer unzweifelhaft verloren seien, wenn die einzelnen Korps nicht rasch aufbraechen und miteinander sich vereinigten; dass Sabinus damit um so mehr Ursache habe zu eilen, als gegen ihn auch die ueberrheinischen Deutschen bereits im Anmarsch seien; dass er selbst aus Freundschaft fuer die Roemer ihnen freien Abzug bis zu dem naechsten, nur zwei Tagemaersche entfernten roemischen Lager zusichere. Einiges in diesen Angaben schien nicht erfunden; dass der kleine, von den Roemern besonders beguenstigte Gau der Eburonen den Angriff auf eigene Hand unternommen habe, war in der Tat unglaublich und bei der Schwierigkeit, mit den anderen, weit entfernten Lagern sich in Verbindung zu setzen, die Gefahr von der ganzen Masse der Insurgenten angegriffen und vereinzelt aufgerieben zu werden, keineswegs gering zu achten; nichtsdestoweniger konnte es nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, dass sowohl die Ehre wie die Klugheit gebot, die vom Feinde angebotene Kapitulation zurueckzuweisen und an dem anvertrauten Posten auszuharren. Auch im Kriegsrat vertraten zahlreiche Stimmen, namentlich die gewichtige des Lucius Aurunculeius Cotta diese Ansicht. Dennoch entschied sich der Kommandant dafuer, den Vorschlag des Ambiorix anzunehmen. Die roemischen Truppen zogen also am anderen Morgen ab; aber in einem schmalen Tal, kaum eine halbe Meile vom Lager, angelangt, fanden sie sich von den Eburonen umzingelt und jeden Ausweg gesperrt. Sie versuchten, mit den Waffen sich den Weg zu oeffnen; allein die Eburonen liessen sich auf kein Nahgefecht ein und begnuegten sich, aus ihren unangreifbaren Stellungen ihre Geschosse in den Knaeuel der Roemer zu entsenden. Wie verwirrt, als ob er Rettung vor dem Verrat bei dem Verraeter suchte, begehrte Sabinus eine Zusammenkunft mit Ambiorix; sie wurde gewaehrt und er und die ihn begleitenden Offiziere erst entwaffnet, dann niedergemacht. Nach dem Fall des Befehlshabers warfen sich die Eburonen von allen Seiten zugleich auf die erschoepften und verzweifelnden Roemer und brachen ihre Reihen: die meisten, unter ihnen der schon frueher verwundete Cotta, fanden bei diesem Angriff ihren Tod; ein kleiner Teil, dem es gelungen war, das verlassene Lager wiederzugewinnen, stuerzte sich waehrend der folgenden Nacht in die eigenen Schwerter. Der ganze Heerhaufen ward vernichtet. ---------------------------------------------- ^18 Dass Cotta, obwohl nicht Unterfeldherr des Sabinus, sondern gleich ihm Legat, doch der juengere und minder angesehene General und wahrscheinlich im Fall einer Differenz sich zu fuegen angewiesen war, ergibt sich sowohl aus den frueheren Leistungen des Sabinus, als daraus, dass, wo beide zusammen genannt werden (Gall. 4, 22, 37; 5, 24, 26, 52; 6, 32; anders 6, 37), Sabinus regelmaessig voransteht, nicht minder aus der Erzaehlung der Katastrophe selbst. ueberdies kann man doch unmoeglich annehmen, dass Caesar einem Lager zwei Offiziere mit gleicher Befugnis vorgesetzt und fuer den Fall der Meinungsverschiedenheit gar keine Anordnung getroffen haben soll. Auch zaehlen die fuenf Kohorten nicht als Legion mit (vgl. Gall. 6, 32, 33), so wenig wie die zwoelf Kohorten an der Rheinbruecke (Gall. 6, 29 vgl. 32, 33), und scheinen aus Detachements anderer Heerteile bestanden zu haben, die diesem den Germanen zunaechst gelegenen Lager zur Verstaerkung zugeteilt worden waren. ---------------------------------------------- Dieser Erfolg, wie die Insurgenten ihn selber kaum gehofft haben mochten, steigerte die Gaerung unter den keltischen Patrioten so gewaltig, dass die Roemer, mit Ausnahme der Haeduer und der Reiner, keines einzigen Distrikts ferner sicher waren und an den verschiedensten Punkten der Aufstand losbrach. Vor allen Dingen verfolgten die Eburonen ihren Sieg. Verstaerkt durch das Aufgebot der Aduatuker, die gern die Gelegenheit ergriffen, das von Caesar ihnen zugefuegte Leid zu vergelten, und der maechtigen und noch unbezwungenen Menapier, erschienen sie in dem Gebiet der Nervier, welche sogleich sich anschlossen, und der ganze also auf 60000 Koepfe angeschwollene Schwarm rueckte vor das im nervischen Gau befindliche roemische Lager. Quintus Cicero, der hier kommandierte, hatte mit seinem schwachen Korps einen schweren Stand, namentlich als die Belagerer, von dem Feinde lernend, Waelle und Graeben, Schilddaecher und bewegliche Tuerme in roemischer Weise auffuehrten und die strohgedeckten Lagerhuetten mit Brandschleudern und Brandspeeren ueberschuetteten. Die einzige Hoffnung der Belagerten beruhte auf Caesar, der nicht allzuweit entfernt in der Gegend von Amiens mit drei Legionen im Winterlager stand. Allein - ein charakteristischer Beweis fuer die im Keltenland herrschende Stimmung - geraume Zeit hindurch kam dem Oberfeldherrn nicht die geringste Andeutung zu weder von der Katastrophe des Sabinus, noch von der gefaehrlichen Lage Ciceros. Endlich gelang es einem keltischen Reiter aus Ciceros Lager, sich durch die Feinde bis zu Caesar durchzuschleichen. Auf die erschuetternde Kunde brach Caesar augenblicklich auf, zwar nur mit zwei schwachen Legionen, zusammen etwa 7000 Mann stark, und 400 Reitern; aber nichtsdestoweniger genuegte die Meldung, dass Caesar anrueckte, um die Insurgenten zur Aufhebung der Belagerung zu bestimmen. Es war Zeit; nicht der zehnte Mann in Ciceros Lager war unverwundet. Caesar, gegen den das Insurgentenheer sich gewandt hatte, taeuschte die Feinde in der schon mehrmals mit Erfolg angewandten Weise ueber seine Staerke; unter den unguenstigsten Verhaeltnissen wagten sie einen Sturm auf das Roemerlager und erlitten dabei eine Niederlage. Es ist seltsam, aber charakteristisch fuer die keltische Nation, dass infolge dieser einen verlorenen Schlacht, oder vielleicht mehr noch infolge von Caesars persoenlichem Erscheinen auf dem Kampfplatz die so siegreich aufgetretene, so weithin ausgedehnte Insurrektion ploetzlich und klaeglich den Krieg abbrach. Nervier, Menapier, Aduatuker, Eburonen begaben sich nach Hause. Das gleiche taten die Mannschaften der Seegaue, die Anstalt gemacht hatten, die Legion in der Bretagne zu ueberfallen. Die Treverer, durch deren Fuehrer Indutiomarus die Eburonen, die Klienten des maechtigen Nachbargaus, zu jenem so erfolgreichen Angriff hauptsaechlich bestimmt worden waren, hatten auf die Kunde der Katastrophe von Aduatuca die Waffen ergriffen und waren in das Gebiet der Remer eingerueckt, um die unter Labienus’ Befehl dort kantonnierende Legion anzugreifen; auch sie stellten fuer jetzt die Fortsetzung des Kampfes ein. Nicht ungern verschob Caesar die weiteren Massregeln gegen die aufgestandenen Distrikte auf das Fruehjahr, um seine hart mitgenommenen Truppen nicht der ganzen Strenge des gallischen Winters auszusetzen und um erst dann wieder auf dem Kampfplatze zu erscheinen, wenn durch die angeordnete Aushebung von dreissig neuen Kohorten die vernichteten fuenfzehn in imponierender Weise ersetzt sein wuerden. Die Insurrektion spann inzwischen sich fort, wenn auch zunaechst die Waffen ruhten. Ihre Hauptsitze in Mittelgallien waren teils die Distrikte der Carnuten und der benachbarten Senonen (um Sens), welche letztere den von Caesar eingesetzten Koenig aus dem Lande jagten, teils die Landschaft der Treverer, welche die gesamte keltische Emigration und die ueberrheinischen Deutschen zur Teilnahme an dem bevorstehenden Nationalkrieg aufforderten und ihre ganze Mannschaft aufboten, um mit dem Fruehjahr zum zweitenmal in das Gebiet der Roemer einzuruecken, das Korps des Labienus aufzuheben und die Verbindung mit den Aufstaendischen an der Seine und Loire zu suchen. Die Abgeordneten dieser drei Gaue blieben auf dem von Caesar im mittleren Gallien ausgeschriebenen Landtag aus und erklaerten damit ebenso offen den Krieg, wie es ein Teil der belgischen Gaue durch die Angriffe auf das Lager des Sabinus und Cicero getan hatte. Der Winter neigte sich zu Ende, als Caesar mit seinem inzwischen ansehnlich verstaerkten Heer aufbrach gegen die Insurgenten. Die Versuche der Treverer, den Aufstand zu konzentrieren, waren nicht geglueckt; die gaerenden Landschaften wurden durch den Einmarsch roemischer Truppen im Zaum gehalten, die in offener Empoerung stehenden vereinzelt angegriffen. Zuerst wurden die Nervier von Caesar selbst zu Paaren getrieben. Das gleiche widerfuhr den Senonen und Carnuten. Auch die Menapier, der einzige Gau, der sich niemals noch den Roemern unterworfen hatte, wurden durch einen von drei Seiten zugleich gegen sie gerichteten Gesamtangriff genoetigt, der lange bewahrten Freiheit zu entsagen. Den Treverern bereitete inzwischen Labienus dasselbe Schicksal. Ihr erster Angriff war gelaehmt worden teils durch die Weigerung der naechstwohnenden deutschen Staemme, ihnen Soeldner zu liefern, teils dadurch, dass Indutiomarus, die Seele der ganzen Bewegung, in einem Scharmuetzel mit den Reitern des Labienus geblieben war. Allein sie gaben ihre Entwuerfe darum nicht auf. Mit ihrem gesamten Aufgebot erschienen sie Labienus gegenueber und harrten der nachfolgenden deutschen Scharen; denn bessere Aufnahme als bei den Anwohnern des Rheines hatten ihre Werber bei den streitbaren Voelkerschaften des inneren Deutschlands, namentlich, wie es scheint, den Chatten gefunden. Allein da Labienus Miene machte, diesen ausweichen und Hals ueber Kopf abmarschieren zu wollen, griffen die Treverer, noch ehe die Deutschen angelangt waren und in der unguenstigsten Oertlichkeit, die Roemer an und wurden vollstaendig geschlagen. Den zu spaet eintreffenden Deutschen blieb nichts uebrig als umzukehren, dem treverischen Gau nichts als sich zu unterwerfen; das Regiment daselbst kam wieder an das Haupt der roemischen Partei, an des Indutiomarus Schwiegersohn Cingetorix. Nach diesen Expeditionen Caesars gegen die Menapier und des Labienus gegen die Treverer traf in dem Gebiet der letzteren die ganze roemische Armee wieder zusammen. Um den Deutschen das Wiederkommen zu verleiden, ging Caesar noch einmal ueber den Rhein, um womoeglich gegen die laestigen Nachbarn einen nachdruecklichen Schlag zu fuehren; allein da die Chatten, ihrer erprobten Taktik getreu, sich nicht an ihrer Westgrenze, sondern weit landeinwaerts, es scheint am Harz, zur Landesverteidigung sammelten, kehrte er sogleich wieder um und begnuegte sich, an dem Rheinuebergang Besatzung zurueckzulassen. Mit den saemtlichen an dem Aufstand beteiligten Voelkerschaften war also abgerechnet; nur die Eburonen waren uebergangen, aber nicht vergessen. Seit Caesar die Katastrophe von Aduatuca erfahren hatte, trug er das Trauergewand und hatte geschworen, erst dann es abzulegen, wenn er seine nicht im ehrlichen Kriege gefallenen, sondern heimtueckisch ermordeten Soldaten geraecht haben wuerde. Ratund tatlos sassen die Eburonen in ihren Huetten und sahen zu, wie einer nach dem andern die Nachbargaue den Roemern sich unterwarfen, bis die roemische Reiterei vom treverischen Gebiet aus durch die Ardennen in ihr Land einrueckte. Man war so wenig auf den Angriff gefasst, dass sie beinahe den Koenig Ambiorix in seinem Hause ergriffen haette; mit genauer Not, waehrend sein Gefolge fuer ihn sich aufopferte, entkam er in das nahe Gehoelz. Bald folgten den Reitern zehn roemische Legionen. Zugleich erging an die umwohnenden Voelkerschaften die Aufforderung, mit den roemischen Soldaten in Gemeinschaft die vogelfreien Eburonen zu hetzen und ihr Land zu pluendern; nicht wenige folgten dem Ruf, sogar von jenseits des Rheines eine kecke Schar sugambrischer Reiter, die uebrigens es den Roemern nicht besser machte wie den Eburonen und fast durch einen kecken Handstreich das roemische Lager bei Aduatuca ueberrumpelt haette. Das Schicksal der Eburonen war entsetzlich. Wie sie auch in Waeldern und Suempfen sich bargen, der Jaeger waren mehr als des Wildes. Mancher gab sich selbst den Tod wie der greise Fuerst Catuvolcus; nur einzelne retteten Leben und Freiheit, unter diesen wenigen aber der Mann, auf den die Roemer vor allem fahndeten, der Fuerst Ambiorix: mit nur vier Reitern entrann er ueber den Rhein. Auf diese Exekution gegen den Gau, der vor allen andern gefrevelt, folgten in den anderen Landschaften die Hochverratsprozesse gegen die einzelnen. Die Zeit der Milde war vorbei. Nach dem Spruche des roemischen Prokonsuls ward der angesehene carnutische Ritter Acco von roemischen Liktoren enthauptet (701 53) und die Herrschaft der Ruten und Beile damit foermlich eingeweiht. Die Opposition verstummte: ueberall herrschte Ruhe. Caesar ging, wie er pflegte, im Spaetjahr 701 (53) ueber die Alpen, um den Winter hindurch die immer mehr sich verwickelnden Verhaeltnisse in der Hauptstadt aus der Naehe zu beobachten. Der kluge Rechner hatte diesmal sich verrechnet. Das Feuer war gedaempft, aber nicht geloescht. Den Streich, unter dem Accos Haupt fiel, fuehlte der ganze keltische Adel. Eben jetzt bot die Lage der Dinge mehr Aussicht als je. Die Insurrektion des letzten Winters war offenbar nur daran gescheitert, dass Caesar selbst auf dem Kampfplatz erschienen war; jetzt war er fern, durch den nahe bevorstehenden Buergerkrieg festgehalten am Po, und das gallische Heer, das an der oberen Seine zusammengezogen stand, weit getrennt von dem gefuerchteten Feldherrn. Wenn jetzt ein allgemeiner Aufstand in Mittelgallien ausbrach, so konnte das roemische Heer umzingelt, die fast unverteidigte altroemische Provinz ueberschwemmt sein, bevor Caesar wieder jenseits der Alpen stand, selbst wenn die italischen Verwicklungen nicht ueberhaupt ihn abhielten, sich ferner um Gallien zu kuemmern. Verschworene aus allen mittelgallischen Gauen traten zusammen; die Carnuten, als durch Accos Hinrichtung zunaechst betroffen, erboten sich voranzugehen. An dem festgesetzten Tage im Winter 701/02 (53/52) gaben die carnutischen Ritter Gutruatus und Conconnetodumnus in Cenabum (Orleans) das Zeichen zur Erhebung und machten die daselbst anwesenden Roemer insgesamt nieder. Die gewaltigste Bewegung ergriff das ganze Keltenland; ueberall regten sich die Patrioten. Nichts aber ergriff so tief die Nation wie die Schilderhebung der Arverner. Die Regierung dieser Gemeinde, die einst unter ihren Koenigen die erste im suedlichen Gallien gewesen und noch nach dem durch die ungluecklichen Kriege gegen Rom herbeigefuehrten Zusammensturz ihres Prinzipats eine der reichsten, gebildetsten und maechtigsten in ganz Gallien geblieben war, hatte bisher unverbruechlich zu Rom gehalten. Auch jetzt war die Patriotenpartei in dem regierenden Gemeinderat in der Minoritaet; ein Versuch, von demselben den Beitritt zu der Insurrektion zu erlangen, war vergeblich. Die Angriffe der Patrioten richteten sich also gegen den Gemeinderat und die bestehende Verfassung selbst, und um so mehr, als die Verfassungsaenderung, die bei den Arvernern den Gemeinderat an die Stelle des Fuersten gesetzt hatte, nach den Siegen der Roemer und wahrscheinlich unter dem Einfluss derselben erfolgt war. Der Fuehrer der arvernischen Patrioten, Vercingetorix, einer jener Adligen, wie sie wohl bei den Kelten begegnen, von fast koeniglichem Ansehen in und ausser seinem Gau, dazu ein stattlicher, tapferer, kluger Mann, verliess die Hauptstadt und rief das Landvolk, das der herrschenden Oligarchie ebenso feind war wie den Roemern, zugleich zur Wiederherstellung des arvernischen Koenigtums und zum Krieg gegen Rom auf. Rasch fiel die Menge ihm zu; die Wiederherstellung des Thrones des Luerius und Betuhus war zugleich die Erklaerung des Nationalkriegs gegen Rom. Den einheitlichen Halt, an dessen Mangel alle bisherigen Versuche der Nation, das fremdlaendische Joch von sich abzuschuetteln, gescheitert waren, fand sie jetzt in dem neuen selbsternannten Koenig der Arverner. Vercingetorix ward fuer die Kelten des Festlandes, was fuer die Inselkelten Cassivellaunus; gewaltig durchdrang die Massen das Gefuehl, dass er oder keiner der Mann sei, die Nation zu erretten. Rasch war der Westen von der Muendung der Garonne bis zu der der Seine von der Insurrektion erfasst und Vercingetorix hier von allen Gauen als Oberfeldherr anerkannt; wo der Gemeinderat Schwierigkeit machte, noetigte ihn die Menge zum Anschluss an die Bewegung; nur wenige Gaue, wie der der Biturigen, liessen zum Beitritt sich zwingen, und vielleicht auch diese nur zum Schein. Weniger guenstigen Boden fand der Aufstand in den Landschaften oestlich von der oberen Loire. Alles kam hier auf die Haeduer an; und diese schwankten. Die Patriotenpartei war in diesem Gau sehr maechtig; aber der alte Antagonismus gegen die fuehrenden Arverner hielt ihrem Einfluss die Waage - zum empfindlichsten Nachteil der Insurrektion, da der Anschluss der oestlichen Kantone, namentlich der Sequaner und der Helvetier, durch den Beitritt der Haeduer bedingt war und ueberhaupt in diesem Teile Galliens die Entscheidung bei ihnen stand. Waehrend also die Aufstaendischen daran arbeiteten, teils die noch schwankenden Kantone, vor allen die Haeduer, zum Beitritt zu bewegen, teils sich Narbos zu bemaechtigen - einer ihrer Fuehrer, der verwegene Lucterius, hatte bereits innerhalb der Grenzen der alten Provinz am Tarn sich gezeigt -, erschien ploetzlich im tiefen Winter, Freunden und Feinden gleich unerwartet, der roemische Oberfeldherr diesseits der Alpen. Rasch traf er nicht bloss die noetigen Anstalten, um die alte Provinz zu decken, sondern sandte auch ueber die schneebedeckten Cevennen einen Haufen in das arvernische Gebiet; aber seines Bleibens war nicht hier, wo ihn jeden Augenblick der Zutritt der Haeduer zu dem gallischen Buendnis von seiner um Sens und Langres lagernden Armee abschneiden konnte. In aller Stille ging er nach Vienna und von da, nur von wenigen Reitern begleitet, durch das Gebiet der Haeduer zu seinen Truppen. Die Hoffnungen schwanden, welche die Verschworenen zum Losschlagen bestimmt hatten; in Italien blieb es Friede und Caesar stand abermals an der Spitze seiner Armee. Was aber sollten sie beginnen? Es war eine Torheit, unter solchen Umstaenden auf die Entscheidung der Waffen es ankommen zu lassen; denn diese hatten bereits unwiderruflich entschieden. Man konnte ebensogut versuchen, mit Steinwuerfen die Alpen zu erschuettern, wie die Legionen mit den keltischen Haufen, mochten dieselben nun in ungeheuren Massen zusammengeballt oder vereinzelt ein Gau nach dem andern preisgegeben werden. Vercingetorix verzichtete darauf, die Roemer zu schlagen. Er nahm ein aehnliches Kriegssystem an, wie dasjenige war, durch das Cassivellaunus die Inselkelten gerettet hatte. Das roemische Fussvolk war nicht zu besiegen; aber Caesars Reiterei bestand fast ausschliesslich aus dem Zuzug des keltischen Adels und war durch den allgemeinen Abfall tatsaechlich aufgeloest. Es war der Insurrektion, die ja eben wesentlich aus dem keltischen Adel bestand, moeglich, in dieser Waffe eine solche Ueberlegenheit zu entwickeln, dass sie weit und breit das Land oede legen, Staedte und Doerfer niederbrennen, die Vorraete vernichten, die Verpflegung und die Verbindungen des Feindes gefaehrden konnte, ohne dass derselbe es ernstlich zu hindern vermochte. Vercingetorix richtete demzufolge all seine Anstrengung auf die Vermehrung der Reiterei und der nach damaliger Fechtweise regelmaessig damit verbundenen Bogenschuetzen zu Fuss. Die ungeheuren und sich selber laehmenden Massen der Linienmiliz schickte er zwar nicht nach Hause, liess sie aber doch nicht vor den Feind und versuchte, ihnen allmaehlich einige Schanz-, Marschierund Manoevrierfaehigkeit und die Erkenntnis beizubringen, dass der Soldat nicht bloss bestimmt ist, sich zu raufen. Von den Feinden lernend, adoptierte er namentlich das roemische Lagersystem, auf dem das ganze Geheimnis der taktischen Ueberlegenheit der Roemer beruhte; denn infolgedessen vereinigte jedes roemische Korps alle Vorteile der Festungsbesatzung mit allen Vorteilen der Offensivarmee ^19. Freilich war jenes dem staedtearmen Britannien und seinen rauhen, entschlossenen und im ganzen einigen Bewohnern vollkommen angemessene System auf die reichen Landschaften an der Loire und deren schlaffe, in vollstaendiger politischer Aufloesung begriffene Bewohner nicht unbedingt uebertragbar. Vercingetorix setzte wenigstens durch, dass man nicht wie bisher jede Stadt zu halten versuchte und darum keine hielt; man ward sich einig, die der Verteidigung nicht faehigen Ortschaften, bevor der Angriff sie erreichte, zu vernichten, die starken Festungen aber mit gesamter Hand zu verteidigen. Daneben tat der Arvernerkoenig, was er vermochte, um durch unnachsichtliche Strenge die Feigen und Saeumigen, durch Bitten und Vorstellungen die Schwankenden, die Habsuechtigen durch Gold, die entschiedenen Gegner durch Zwang an die Sache des Vaterlandes zu fesseln und selbst dem vornehmen oder niedrigen Gesindel einigen Patriotismus aufzunoetigen oder abzulisten. -------------------------------------------------------- ^19 Freilich war dies nur moeglich, solange die Offensivwaffen hauptsaechlich auf Hieb und Stich gerichtet waren. In der heutigen Kriegfuehrung ist, wie dies Napoleon I. vortrefflich auseinandergesetzt hat, dies System deshalb unanwendbar geworden, weil bei unseren, aus der Ferne wirkenden Offensivwaffen die deployierte Stellung vorteilhafter ist als die konzentrische. In Caesars Zeit verhielt es sich umgekehrt. ----------------------------------------------------- Noch bevor der Winter zu Ende war, warf er sich auf die im Gebiet der Haeduer von Caesar angesiedelten Boier, um diese fast einzigen zuverlaessigen Bundesgenossen Roms zu vernichten, bevor Caesar herankam. Die Nachricht von diesem Angriff bestimmte auch Caesar, mit Zuruecklassung des Gepaecks und zweier Legionen in den Winterquartieren von Agedincum (Sens), sogleich und frueher, als er sonst wohl getan haben wuerde, gegen die Insurgenten zu marschieren. Dem empfindlichen Mangel an Reiterei und leichtem Fussvolk half er einigermassen ab durch nach und nach herbeigezogene deutsche Soeldner, die statt ihrer eigenen kleinen und schwachen Klepper mit italischen und spanischen, teils gekauften, teils von den Offizieren requirierten Pferden ausgeruestet wurden. Caesar, nachdem er unterwegs die Hauptstadt der Carnuten, Cenabum, die das Zeichen zum Abfall gegeben, hatte pluendern und in Asche legen lassen, rueckte ueber die Loire in die Landschaft der Biturigen. Er erreichte damit, dass Vercingetorix die Belagerung der Stadt der Boier aufgab und gleichfalls sich zu den Biturigen begab. Hier zuerst sollte die neue Kriegfuehrung sich erproben. Auf Vercingetorix’ Geheiss gingen an einem Tage mehr als zwanzig Ortschaften der Biturigen in Flammen auf; die gleiche Selbstverwuestung verhaengte der Feldherr ueber die benachbarten Gaue, soweit sie von roemischen Streifparteien erreicht werden konnten. Nach seiner Absicht sollte auch die reiche und feste Hauptstadt der Biturigen Avaricum (Bourges) dasselbe Schicksal treffen; allein die Majoritaet des Kriegsrats gab den kniefaelligen Bitten der biturigischen Behoerden nach und beschloss, diese Stadt vielmehr mit allem Nachdruck zu verteidigen. So konzentrierte sich der Krieg zunaechst um Avaricum. Vercingetorix stellte sein Fussvolk inmitten der der Stadt benachbarten Suempfe in einer so unnahbaren. Stellung auf, dass es, auch ohne von der Reiterei gedeckt zu sein, den Angriff der Legionen nicht zu fuerchten brauchte. Die keltische Reiterei bedeckte alle Strassen und hemmte die Kommunikation. Die Stadt wurde stark besetzt und zwischen ihr und der Armee vor den Mauern die Verbindung offen gehalten. Caesars Lage war sehr schwierig. Der Versuch, das keltische Fussvolk zum Schlagen zu bringen, misslang; es ruehrte sich nicht aus seinen unangreifbaren Linien. Wie tapfer vor der Stadt auch seine Soldaten schanzten und fochten, die Belagerten wetteiferten mit ihnen an Erfindsamkeit und Mut, und fast waere es ihnen gelungen, das Belagerungszeug der Gegner in Brand zu stecken. Dabei ward die Aufgabe, ein Heer von beilaeufig 60000 Mann in einer weithin oede gelegten und von weit ueberlegenen Reitermassen durchstreiften Landschaft mit Lebensmitteln zu versorgen, taeglich schwieriger. Die geringen Vorraete der Boier waren bald verbraucht; die von den Haeduern versprochene Zufuhr blieb aus; schon war das Getreide aufgezehrt und der Soldat ausschliesslich auf Fleischrationen gesetzt. Indes rueckte der Augenblick heran, wo die Stadt, wie todverachtend auch die Besatzung kaempfte, nicht laenger zu halten war. Noch war es nicht unmoeglich, die Truppen bei naechtlicher Weile in der Stille herauszuziehen und die Stadt zu vernichten, bevor der Feind sie besetzte. Vercingetorix traf die Anstalten dazu, allein das Jammergeschrei, das im Augenblick des Abmarsches die zurueckbleibenden Weiber und Kinder erhoben, machte die Roemer aufmerksam; der Abzug misslang. An dem folgenden trueben und regnichten Tage ueberstiegen die Roemer die Mauern und schonten, erbittert durch die hartnaeckige Gegenwehr, in der eroberten Stadt weder Geschlecht noch Alter. Die reichen Vorraete, die die Kelten in derselben aufgehaeuft hatten, kamen den ausgehungerten Soldaten Caesars zugute. Mit der Einnahme von Avaricum (Fruehling 702 52) war ueber die Insurrektion ein erster Erfolg erfochten und nach frueheren Erfahrungen mochte Caesar wohl erwarten, dass damit dieselbe sich aufloesen und es nur noch erforderlich sein werde, einzelne Gaue zu Paaren zu treiben. Nachdem er also mit seiner gesamten Armee sich in dem Gau der Haeduer gezeigt und durch diese imposante Demonstration die gaerende Patriotenpartei daselbst genoetigt hatte, fuer den Augenblick wenigstens, sich ruhig zu verhalten, teilte er sein Heer und sandte Labienus zurueck nach Agedincum, um in Verbindung mit den dort zurueckgelassenen Truppen an der Spitze von vier Legionen die Bewegung zunaechst in dem Gebiet der Carnuten und Senonen, die auch diesmal wieder voranstanden, zu unterdruecken, waehrend er selber mit den sechs uebrigen Legionen sich suedwaerts wandte und sich anschickte, den Krieg in die arvernischen Berge, das eigene Gebiet des Vercingetorix, zu tragen. Labienus rueckte von Agedincum aus das linke Seineufer hinauf, um der auf einer Insel in der Seine gelegenen Stadt der Parisier, Lutetia (Paris), sich zu bemaechtigen und von dieser gesicherten und im Herzen der aufstaendischen Landschaft befindlichen Stellung aus diese wieder zu unterwerfen. Allein hinter Melodunum (Melun) fand er sich den Weg verlegt durch das gesamte Insurgentenheer, das unter der Fuehrung des greisen Camulogenus zwischen unangreifbaren Suempfen hier sich aufgestellt hatte. Labienus ging eine Strecke zurueck, ueberschritt bei Melodunum die Seine und rueckte auf dem rechten Ufer derselben ungehindert gegen Lutetia; Camulogenus liess diese Stadt abbrennen und die auf das linke Ufer fuehrenden Bruecken abbrechen und nahm Labienus gegenueber eine Stellung ein, in welcher dieser weder ihn zum Schlagen zu bringen, noch unter den Augen der feindlichen Armee den Uebergang zu bewirken imstande war. Die roemische Hauptarmee ihrerseits rueckte am Allier hinab in den Arvernergau. Vercingetorix versuchte, ihr den Uebergang auf das linke Ufer des Allier zu verwehren, allein Caesar ueberlistete ihn und stand nach einigen Tagen vor der arvernischen Hauptstadt Gergovia ^20. Indes hatte Vercingetorix, ohne Zweifel schon, waehrend er Caesar am Allier gegenueberstand, in Gergovia hinreichende Vorraete zusammenbringen und vor den Mauern der auf der Spitze eines ziemlich steil sich erhebenden Huegels gelegenen Stadt ein mit starken Steinwaellen versehenes Standlager fuer seine Truppen anlegen lassen; und da er hinreichenden Vorsprung hatte, langte er vor Caesar bei Gergovia an und erwartete in dem befestigten Lager unter der Festungsmauer den Angriff. Caesar mit seiner verhaeltnismaessig schwachen Armee konnte den Platz weder regelrecht belagern, noch auch nur hinreichend blockieren; er schlug sein Lager unterhalb der von Vercingetorix besetzten Anhoehe und verhielt sich notgedrungen ebenso untaetig wie sein Gegner. Fuer die Insurgenten war es fast ein Sieg, dass Caesars von Triumph zu Triumph fortschreitender Lauf an der Seine wie am Allier ploetzlich gestockt war. In der Tat kamen die Folgen dieser Stockung fuer Caesar beinahe denen einer Niederlage gleich. Die Haeduer, die bisher immer noch geschwankt hatten, machten jetzt ernstlich Anstalt, der Patriotenpartei sich anzuschliessen; schon war die Mannschaft, die Caesar nach Gergovia entboten hatte, auf dem Marsche durch die Offiziere bestimmt worden, sich fuer die Insurgenten zu erklaeren; schon hatte man gleichzeitig im Kanton selbst angefangen, die daselbst ansaessigen Roemer zu pluendern und zu erschlagen. Noch hatte Caesar, indem er jenem auf Gergovia zurueckenden Korps der Haeduer mit zwei Dritteln des Blockadeheeres entgegengegangen war, dasselbe durch sein ploetzliches Erscheinen wieder zum nominellen Gehorsam zurueckgebracht; allein es war mehr als je ein hohles und bruechiges Verhaeltnis, dessen Fortbestand fast zu teuer erkauft worden war durch die grosse Gefahr der vor Gergovia zurueckgelassenen beiden Legionen. Denn auf diese hatte Vercingetorix, Caesars Abmarsch rasch und entschlossen benutzend, waehrend dessen Abwesenheit einen Angriff gemacht, der um ein Haar mit der Ueberwaeltigung derselben und der Erstuermung des roemischen Lagers geendigt haette. Nur Caesars unvergleichliche Raschheit wandte eine zweite Katastrophe wie die von Aduatuca hier ab. Wenn auch die Haeduer jetzt wieder gute Worte gaben, war es doch vorherzusehen, dass sie, wenn die Blockade sich noch laenger ohne Erfolg hinspann, sich offen auf die Seite der Aufstaendischen schlagen und dadurch Caesar noetigen wuerden, dieselbe aufzuheben; denn ihr Beitritt wuerde die Verbindung zwischen ihm und Labienus unterbrochen und namentlich den letzteren in seiner Vereinzelung der groessten Gefahr ausgesetzt haben. Caesar war entschlossen, es hierzu nicht kommen zu lassen, sondern, wie peinlich und selbst gefaehrlich es auch war, unverrichteter Sache von Gergovia abzuziehen, dennoch, wenn es einmal geschehen musste, lieber sogleich aufzubrechen und, in den Gau der Haeduer einrueckend, deren foermlichen Uebertritt um jeden Preis zu verhindern. Ehe er indes diesen, seinem raschen und sicheren Naturell wenig zusagenden Rueckzug antrat, machte er noch einen letzten Versuch, sich aus seiner peinlichen Verlegenheit durch einen glaenzenden Erfolg zu befreien. Waehrend die Masse der Besatzung von Gergovia beschaeftigt war, die Seite, auf der der Sturm erwartet ward, zu verschanzen, ersah der roemische Feldherr sich die Gelegenheit, einen anderen, weniger bequem gelegenen, aber augenblicklich entbloessten Aufgang zu ueberrumpeln. In der Tat ueberstiegen die roemischen Sturmkolonnen die Lagermauer und besetzten die naechstliegenden Quartiere des Lagers; allein schon war auch die ganze Besatzung alarmiert und bei den geringen Entfernungen fand es Caesar nicht raetlich, den zweiten Sturm auf die Stadtmauer zu wagen. Er gab das Zeichen zum Rueckzug; indes die vordersten Legionen, vom Ungestuem des Sieges hingerissen, hoerten nicht oder wollten nicht hoeren, und drangen unaufhaltsam vor bis an die Stadtmauer, einzelne sogar bis in die Stadt. Aber immer dichtere Massen warfen den Eingedrungenen sich entgegen; die vordersten fielen, die Kolonnen stockten; vergeblich stritten Centurionen und Legionaere mit dem aufopferndsten Heldenmut; die Stuermenden wurden mit sehr betraechtlichem Verlust aus der Stadt hinaus und den Berg hinuntergejagt, wo die von Caesar in der Ebene aufgestellten Truppen sie aufnahmen und groesseres Unglueck verhueteten. Die gehoffte Einnahme von Gergovia hatte sich in eine Niederlage verwandelt, und der betraechtliche Verlust an Verwundeten und Toten - man zaehlte 700 gefallene Soldaten, darunter 46 Centurionen - war der kleinste Teil des erlittenen Unfalls. Caesars imponierende Stellung in Gallien beruhte wesentlich auf seinem Siegernimbus; und dieser fing an zu erblassen. Schon die Kaempfe um Avaricum, Caesars vergebliche Versuche, den Feind zum Schlagen zu zwingen, die entschlossene Verteidigung der Stadt und ihre fast zufaellige Erstuermung, trugen einen anderen Stempel als die frueheren Keltenkriege und hatten den Kelten Vertrauen auf sich und ihren Fuehrer eher gegeben als genommen. Weiter hatte das neue System der Kriegfuehrung: unter dem Schutze der Festungen in verschanzten Lagern dem Feind die Stirne zu bieten - bei Lutetia sowohl wie bei Gergovia sich vollkommen bewaehrt. Diese Niederlage endlich, die erste, die Caesar selbst von den Kelten erlitten hatte, kroente den Erfolg, und sie gab denn auch gleichsam das Signal fuer einen zweiten Ausbruch der Insurrektion. Die Haeduer brachen jetzt foermlich mit Caesar und traten mit Vercingetorix in Verbindung. Ihr Kontingent, das noch bei Caesars Armee sich befand, machte nicht bloss von dieser sich los, sondern nahm auch bei der Gelegenheit in Noviodunum an der Loire die Depots der Armee Caesars weg, wodurch die Kassen und Magazine, eine Menge Remontepferde und saemtliche Caesar gestellte Geiseln den Insurgenten in die Haende fielen. Wenigstens ebensowichtig war es, dass auf diese Nachrichten hin auch die Belgen, die bisher der ganzen Bewegung sich ferngehalten hatten, anfingen sich zu ruehren. Der maechtige Gau der Bellovaker machte sich auf, um das Korps des Labienus, waehrend es bei Lutetia dem Aufgebot der umliegenden mittelgallischen Gaue gegenueberstand, im Ruecken anzugreifen. Auch sonst ward ueberall geruestet; die Gewalt des patriotischen Aufschwungs riss selbst die entschiedensten und beguenstigtsten Parteigaenger Roms mit sich fort, wie zum Beispiel den Koenig der Atrebaten, Commius, der seiner treuen Dienste wegen von den Roemern wichtige Privilegien fuer seine Gemeinde und die Hegemonie ueber die Moriner empfangen hatte. Bis in die altroemische Provinz gingen die Faeden der Insurrektion: sie machte, vielleicht nicht ohne Grund, sich Hoffnung, selbst die Allobrogen gegen die Roemer unter die Waffen zu bringen. Mit einziger Ausnahme der Reiner und der von den Remern zunaechst abhaengigen Distrikte der Suessionen, Leuker und Lingonen, deren Partikularismus selbst unter diesem allgemeinen Enthusiasmus nicht muerbe ward, stand jetzt in der Tat, zum ersten und zum letzten Male, die ganze keltische Nation von den Pyrenaeen bis zum Rhein fuer ihre Freiheit und Nationalitaet unter den Waffen; wogegen, merkwuerdig genug, die saemtlichen deutschen Gemeinden, die bei den bisherigen Kaempfen in erster Reihe gestanden hatten, sich ausschlossen, ja sogar die Treuerer und, wie es scheint, auch die Menapier durch ihre Fehden mit den Deutschen verhindert wurden, an dem Nationalkrieg taetigen Anteil zu nehmen. ------------------------------------------------- ^20 Man sucht diesen Ort auf einer Anhoehe eine Stunde suedlich von der arvernischen Hauptstadt Nemetum, dem heutigen Clermont welche noch jetzt Gergoie genannt wird; und sowohl die bei den Ausgrabungen daselbst zu Tage gekommenen Ueberreste von rohen Festungsmauern, wie die urkundlich bis ins zehnte Jahrhundert hinauf verfolgte Ueberlieferung des Namens lassen an der Richtigkeit dieser Ortsbestimmung keinen Zweifel. Auch passt dieselbe wie zu den uebrigen Angaben Caesars, so namentlich dazu dass er Gergovia ziemlich deutlich als Hauptort der Arverner bezeichnet (Gall. 7, 4). Man wird demnach anzunehmen haben, dass die Arverner nach der Niederlage genoetigt wurden, sich von Gergovia nach dem nahen, weniger festen Nemetum ueberzusiedeln. --------------------------------------------------- Es war ein schwerer, entscheidungsvoller Augenblick, als nach dem Abzug von Gergovia und dem Verlust von Noviodunum in Caesars Hauptquartier ueber die nun zu ergreifenden Massregeln Kriegsrat gehalten ward. Manche Stimmen sprachen sich fuer den Rueckzug ueber die Cevennen in die altroemische Provinz aus, welche jetzt der Insurrektion von allen Seiten her offenstand und allerdings der zunaechst doch zu ihrem Schutze von Rom gesandten Legionen dringend bedurfte. Allein Caesar verwarf diese aengstliche, nicht durch die Lage der Dinge, sondern durch Regierungsinstruktionen und Verantwortungsfurcht bestimmte Strategie. Er begnuegte sich, in der Provinz den Landsturm der dort ansaessigen Roemer unter die Waffen zu rufen und durch ihn, so gut es eben ging, die Grenzen besetzen zu lassen. Dagegen brach er selbst in entgegengesetzter Richtung auf und rueckte in Gewaltmaerschen auf Agedincum zu, auf das er Labienus sich in moeglichster Eile zurueckzuziehen befahl. Die Kelten versuchten natuerlich, die Vereinigung der beiden roemischen Heere zu verhindern. Labienus haette wohl, ueber die Marne setzend und am rechten Seineufer flussabwaerts marschierend, Agedincum erreichen koennen, wo er seine Reserve und sein Gepaeck zurueckgelassen hatte; aber er zog es vor, den Kelten nicht abermals das Schauspiel des Rueckzugs roemischer Truppen zu gewaehren. Er ging daher, statt ueber die Marne, vielmehr unter den Augen des getaeuschten Feindes ueber die Seine und lieferte am linken Ufer derselben den feindlichen Massen eine Schlacht, in welcher er siegte und unter vielen andern auch der keltische Feldherr selbst, der alte Camulogenus, auf der Walstatt blieb. Ebensowenig gelang es den Insurgenten, Caesar an der Loire aufzuhalten; Caesar gab ihnen keine Zeit, dort groessere Massen zu versammeln, und sprengte die Milizen der Haeduer, die er allein dort vorfand, ohne Muehe auseinander. So ward die Vereinigung der beiden Heerhaufen gluecklich bewerkstelligt. Die Aufstaendischen inzwischen hatten ueber die weitere Kriegfuehrung in Bibracte (Autun), der Hauptstadt der Haeduer, geratschlagt; die Seele dieser Beratungen war wieder Vercingetorix, dem nach dem Siege von Gergovia die Nation begeistert anhing. Zwar schwieg der Partikularismus auch jetzt nicht; die Haeduer machten noch in diesem Todeskampf der Nation ihre Ansprueche auf die Hegemonie geltend und stellten auf der Landesversammlung den Antrag, an die Stelle des Vercingetorix einen der Ihrigen zu setzen. Allein die Landesvertreter hatten dies nicht bloss abgelehnt und Vercingetorix im Oberbefehl bestaetigt, sondern auch seinen Kriegsplan unveraendert angenommen. Es war im wesentlichen derselbe, nach dem er bei Avaricum und bei Gergovia operiert hatte. Zum Angelpunkt der neuen Stellung ward die feste Stadt der Mandubier, Alesia (Alise Sainte-Reine bei Semur im Departement Cote d’Or ^21), ausersehen und unter deren Mauern abermals ein verschanztes Lager angelegt. Ungeheure Vorraete wurden hier aufgehaeuft und die Armee von Gergovia dorthin beordert, deren Reiterei nach Beschluss der Landesversammlung bis auf 15000 Pferde gebracht ward. Caesar schlug mit seiner gesamten Heeresmacht, nachdem er sie bei Agedincum wiedervereinigt hatte, die Richtung auf Vesontio ein, um sich nun der geaengsteten Provinz zu naehern und sie vor einem Einfall zu beschuetzen, wie denn in der Tat sich Insurgentenscharen schon in dem Gebiet der Helvier am Suedabhang der Cevennen gezeigt hatten. Alesia lag fast auf seinem Wege; die Reiterei der Kelten, die einzige Waffe, mit der Vercingetorix operieren mochte, griff unterwegs ihn an, zog aber zu aller Erstaunen den kuerzeren gegen Caesars neue deutsche Schwadronen und die zu deren Rueckhalt aufgestellte roemische Infanterie. Vercingetorix eilte um so mehr, sich in Alesia einzuschliessen; und wenn Caesar nicht ueberhaupt auf die Offensive verzichten wollte, blieb ihm nichts uebrig, als zum drittenmal in diesem Feldzug gegen eine, unter einer wohlbesetzten und verproviantierten Festung gelagerte und mit ungeheuren Reitermassen versehene Armee mit einer weit schwaecheren Angriffsweise vorzugehen. Allein, wenn den Kelten bisher nur ein Teil der roemischen Legionen gegenuebergestanden, so war in den Linien um Alesia Caesars ganze Streitmacht vereinigt und es gelang Vercingetorix nicht, wie es ihm bei Avaricum und Gergovia gelungen war, sein Fussvolk unter dem Schutz der Festungsmauern aufzustellen und durch seine Reiterei seine Verbindungen nach aussen hin sich offen zu halten, waehrend er die des Feindes unterbrach. Die keltische Reiterei, schon entmutigt durch jene von den geringgeschaetzten Gegnern ihnen beigebrachte Niederlage, wurde von Caesars deutschen Berittenen in jedem Zusammentreffen geschlagen. Die Umwallungslinie der Belagerer erhob sich in der Ausdehnung von zwei deutschen Meilen um die ganze Stadt mit Einschluss des an sie angelehnten Lagers. Auf einen Kampf unter den Mauern war Vercingetorix gefasst gewesen, aber nicht darauf, in Alesia belagert zu werden - dazu genuegten fuer seine angeblich 80000 Mann Infanterie und 15000 Reiter zaehlende Armee und die zahlreiche Stadtbewohnerschaft die aufgespeicherten Vorraete, wie ansehnlich sie waren, doch bei weitem nicht. Vercingetorix musste sich ueberzeugen, dass sein Kriegsplan diesmal zu seinem eigenen Verderben ausgeschlagen und er verloren war, wofern nicht die gesamte Nation herbeieilte und ihren eingeschlossenen Feldherrn befreite. Noch reichten, als die roemische Umwallung sich schloss, die vorhandenen Lebensmittel aus auf einen Monat und vielleicht etwas darueber; im letzten Augenblick, wo der Weg wenigstens fuer Berittene noch frei war, entliess Vercingetorix seine gesamte Reiterei und entsandte zugleich an die Haeupter der Nation die Weisung, alle Mannschaft aufzubieten und sie zum Entsatz von Alesia heranzufuehren. Er selbst, entschlossen, die Verantwortung fuer den von ihm entworfenen und fehlgeschlagenen Kriegsplan auch persoenlich zu tragen, blieb in der Festung, um im Guten und Boesen das Schicksal der Seinigen zu teilen. Caesar aber machte sich gefasst, zugleich zu belagern und belagert zu werden. Er richtete seine Umwallungslinie auch an der Aussenseite zur Verteidigung ein und versah sich auf laengere Zeit mit Lebensmitteln. Die Tage verflossen; schon hatte man in der Festung keinen Malter Getreide mehr, schon die ungluecklichen Stadtbewohner austreiben muessen, um zwischen den Verschanzungen der Kelten und der Roemer, an beiden unbarmherzig zurueckgewiesen, elend umzukommen. Da, in der letzten Stunde, zeigten hinter Caesars Linien sich die unabsehbaren Zuege des keltischbelgischen Entsatzheeres, angeblich 250000 Mann zu Fuss und 8000 Reiter. Vom Kanal bis zu den Cevennen hatten die insurgierten Gaue jeden Nerv angestrengt, um den Kern ihrer Patrioten, den Feldherrn ihrer Wahl zu retten - einzig die Bellovaker hatten geantwortet, dass sie wohl gegen die Roemer, aber nicht ausserhalb der eigenen Grenzen zu fechten gesonnen seien. Der erste Sturm, der die Belagerten von Alesia und die Entsatztruppen draussen auf die roemische Doppellinie unternahmen, ward abgeschlagen; aber als nach eintaegiger Rast derselbe wiederholt ward, gelang es an einer Stelle, wo die Umwallungslinie ueber den Abhang eines Berges hinlief und von dessen Hoehe herab angegriffen werden konnte, die Graeben zuzuschuetten und die Verteidiger von dem Wall herunterzuwerfen. Da nahm Labienus, von Caesar hierher gesandt, die naechsten Kohorten zusammen und warf sich mit vier Legionen auf den Feind. Unter den Augen des Feldherrn, der selbst in dem gefaehrlichsten Augenblick erschien, wurden im verzweifelten Nahgefecht die Stuermenden zurueckgejagt und die mit Caesar gekommenen, die Fluechtenden in den Ruecken fassenden Reiterscharen vollendeten die Niederlage. Es war mehr als ein grosser Sieg; ueber Alesia, ja ueber die keltische Nation war damit unwiderruflich entschieden. Das Keltenheer, voellig entmutigt, verlief unmittelbar vom Schlachtfeld sich nach Hause. Vercingetorix haette vielleicht noch jetzt fliehen, wenigstens durch das letzte Mittel des freien Mannes sich erretten koennen; er tat es nicht, sondern erklaerte im Kriegsrat, dass, da es ihm nicht gelungen sei, die Fremdherrschaft zu brechen, er bereit sei, sich als Opfer hinzugeben und soweit moeglich das Verderben von der Nation auf sein Haupt abzulenken. So geschah es. Die keltischen Offiziere lieferten ihren von der ganzen Nation feierlich erwaehlten Feldherrn dem Landesfeind zu geeigneter Bestrafung aus. Hoch zu Ross und im vollen Waffenschmucke erschien der Koenig der Arverner vor dem roemischen Prokonsul und umritt dessen Tribunal; darauf gab er Ross und Waffen ab und liess schweigend auf den Stufen zu Caesars Fuessen sich nieder (702 52). Fuenf Jahre spaeter ward er im Triumph durch die Gassen der italischen Hauptstadt gefuehrt und als Hochverraeter an der roemischen Nation, waehrend sein Ueberwinder den Goettern derselben den Feierdank auf der Hoehe des Kapitols darbrachte, an dessen Fuss enthauptet. Wie nach truebe verlaufenem Tage wohl die Sonne im Sinken durchbricht, so verleiht das Geschick noch untergehenden Voelkern wohl einen letzten grossartigen Mann. Also steht am Ausgang der phoenikischen Geschichte Hannibal, also an dem der keltischen Vercingetorix. Keiner von beiden vermochte seine Nation von der Fremdherrschaft zu erretten, aber sie haben ihr die letzte noch uebrige Schande, einen ruhmlosen Untergang, erspart. Auch Vercingetorix hat ebenwie der Karthager nicht bloss gegen den Landesfeind kaempfen muessen, sondern vor allem gegen die antinationale Opposition verletzter Egoisten und aufgestoerter Feiglinge, wie sie die entartete Zivilisation regelmaessig begleitet; auch ihm sichern seinen Platz in der Geschichte nicht seine Schlachten und Belagerungen, sondern dass er es vermocht hat, einer zerfahrenen und im Partikularismus verkommenen Nation in seiner Person einen Mittelund Haltpunkt zu geben. Und doch gibt es wieder kaum einen schaerferen Gegensatz als der ist zwischen dem nuechternen Buergersmann der phoenikischen Kaufstadt mit seinen, auf das eine grosse Ziel hin fuenfzig Jahre hindurch mit unwandelbarer Energie gerichteten Plaenen, und dem kuehnen Fuersten des Keltenlandes, dessen gewaltige Taten zugleich mit seiner hochherzigen Aufopferung, ein kurzer Sommer einschliesst. Das ganze Altertum kennt keinen ritterlicheren Mann in seinem innersten Wesen wie in seiner aeusseren Erscheinung. Aber der Mensch soll kein Ritter sein und am wenigsten der Staatsmann. Es war der Ritter, nicht der Held, der es verschmaehte, sich aus Alesia zu retten, waehrend doch an ihm allein der Nation mehr gelegen war als an hunderttausend gewoehnlichen tapferen Maennern. Es war der Ritter, nicht der Held, der sich da zum Opfer hingab, wo durch dieses Opfer nichts weiter erreicht ward, als dass die Nation sich oeffentlich entehrte und ebenso feig wie widersinnig mit ihrem letzten Atemzug ihren weltgeschichtlichen Todeskampf ein Verbrechen gegen ihren Zwingherrn nannte. Wie so ganz anders hat in den gleichen Lagen Hannibal gehandelt! Es ist nicht moeglich, ohne geschichtliche und menschliche Teilnahme von dem edlen Arvernerkoenig zu scheiden; aber es gehoert zur Signatur der keltischen Nation, dass ihr groesster Mann doch nur ein Ritter war. --------------------------------------------- ^21 Die kuerzlich viel eroerterte Frage, ob Alesia nicht vielmehr in Alaise (25 Kilometer suedlich von Besan‡on, Dep. Doubs) zu erkennen sei, ist von allen besonnenen Forschern mit Recht verneint worden. --------------------------------------------- Der Fall von Alesia und die Kapitulation der daselbst eingeschlossenen Armee war fuer die keltische Insurrektion ein furchtbarer Schlag; indes es hatten schon ebensoschwere die Nation betroffen und doch war der Kampf wieder erneuert worden. Aber Vercingetorix’ Verlust war unersetzlich. Mit ihm war die Einheit in die Nation gekommen; mit ihm schien sie auch wieder entwichen. Wir finden nicht, dass die Insurrektion einen Versuch machte, die Gesamtverteidigung fortzusetzen und einen anderen Oberfeldherrn zu bestellen; der Patriotenbund fiel von selbst auseinander und jedem Clan blieb es ueberlassen, wie es ihm beliebte, mit den Roemern zu streiten oder auch sich zu vertragen. Natuerlich ueberwog durchgaengig das Verlangen nach Ruhe. Auch Caesar hatte ein Interesse daran, rasch zu Ende zu kommen. Von den zehn Jahren seiner Statthalterschaft waren sieben verstrichen. Das letzte aber durch seine politischen Gegner in der Hauptstadt ihm in Frage gestellt; nur auf zwei Sommer noch konnte er mit einiger Sicherheit rechnen und wenn sein Interesse wie seine Ehre verlangte, dass er die neu gewonnenen Landschaften seinem Nachfolger in einem leidlichen und einigermassen beruhigten Friedensstand uebergab, so war, um einen solchen herzustellen, die Zeit wahrlich karg zugemessen. Gnade zu ueben war in diesem Falle noch mehr als fuer die Besiegten Beduerfnis fuer den Sieger; und er durfte seinen Stern preisen, dass die innere Zerfahrenheit und das leichte Naturell der Kelten ihm hierin auf halbem Wege entgegenkam. Wo, wie in den beiden angesehensten mittelgallischen Kantons, dem der Haeduer und dem der Arverner, eine starke roemisch gesinnte Partei bestand, wurde den Landschaften sogleich nach dem Fall von Alesia die vollstaendige Wiederherstellung ihres frueheren Verhaeltnisses zu Rom gewaehrt und selbst ihre Gefangenen, 20000 an der Zahl, ohne Loesegeld entlassen, waehrend die der uebrigen Clans in die harte Knechtschaft der siegreichen Legionaere kamen. Wie die Haeduer und die Arverner ergab sich ueberhaupt der groessere Teil der gallischen Distrikte in sein Schicksal und liess ohne weitere Gegenwehr die unvermeidlichen Strafgerichte ueber sich ergehen. Aber nicht wenige harrten auch in toerichtem Leichtsinn oder dumpfer Verzweiflung bei der verlorenen Sache aus, bis die roemischen Exekutionstruppen innerhalb ihrer Grenzen erschienen. Solche Expeditionen wurden noch im Winter 702/03 (52/51) gegen die Biturigen und die Carnuten unternommen. Ernsteren Widerstand leisteten die Bellovaker, die das Jahr zuvor von dem Entsatz Alesias sich ausgeschlossen hatten; sie schienen beweisen zu wollen, dass sie an jenem entscheidenden Tage wenigstens nicht aus Mangel an Mut und an Freiheitsliebe gefehlt hatten. Es beteiligten sich an diesem Kampfe die Atrebaten, Ambianer, Caleten und andere belgische Gaue; der tapfere Koenig der Atrebaten, Commius, dem die Roemer seinen Beitritt zur Insurrektion am wenigsten verziehen und gegen den kuerzlich Labienus sogar einen widerwaertig tueckischen Mordversuch gerichtet hatte, fuehrte den Bellovakern 500 deutsche Reiter zu, deren Wert der vorjaehrige Feldzug hatte kennen lehren. Der entschlossene und talentvolle Bellovaker Correus, dem die oberste Leitung des Krieges zugefallen war, fuehrte den Krieg, wie Vercingetorix ihn gefuehrt hatte, und mit nicht geringem Erfolg; Caesar, obwohl er nach und nach den groessten Teil seines Heeres heranzog, konnte das Fussvolk der Bellovaker weder zum Schlagen bringen noch auch nur dasselbe verhindern, andere, gegen Caesars verstaerkte Streitmacht besseren Schutz gewaehrende Stellungen einzunehmen; die roemischen Reiter aber, namentlich die keltischen Kontingente, erlitten in verschiedenen Gefechten durch die feindliche Reiterei, besonders die deutsche des Commius, die empfindlichsten Verluste. Allein nachdem in einem Scharmuetzel mit den roemischen Fouragierern Correus den Tod gefunden, war der Widerstand auch hier gebrochen; der Sieger stellte ertraegliche Bedingungen, auf die hin die Bellovaker nebst ihren Verbuendeten sich unterwarfen. Die Treuerer wurden durch Labienus zum Gehorsam zurueckgebracht und beilaeufig das Gebiet der verfemten Eburonen noch einmal durchzogen und verwuestet. Also ward der letzte Widerstand der belgischen Eidgenossenschaft gebrochen. Noch einen Versuch, der Roemerherrschaft sich zu erwehren, machten die Seegaue in Verbindung mit ihren Nachbarn an der Loire. Insurgentenscharen aus dem andischen, dem carnutischen und anderen umliegenden Gauen sammelten sich an der unteren Loire und belagerten in Lemonum (Poitiers) den roemisch gesinnten Fuersten der Pictonen. Allein bald trat auch hier eine ansehnliche roemische Macht ihnen entgegen; die Insurgenten gaben die Belagerung auf und zogen ab, um die Loire zwischen sich und den Feind zu bringen, wurden aber auf dem Marsche dahin eingeholt und geschlagen, worauf die Carnuten und die uebrigen aufstaendischen Kantons, selbst die Seegaue ihre Unterwerfung einsandten. Der Widerstand war zu Ende; kaum dass ein einzelner Freischarenfuehrer hie und da noch das nationale Banner aufrecht hielt. Der kuehne Drappes und des Vercingetorix treuer Waffengefaehrte Lucterius sammelten nach der Aufloesung der an der Loire vereinigten Armee die Entschlossensten und warfen sich mit diesen in die feste Bergstadt Uxellodunum am Lot ^22, die ihnen unter schweren und verlustvollen Gefechten ausreichend zu verproviantieren gelang. Trotz des Verlustes ihrer Fuehrer, von denen Drappes gefangen, Lucterius von der Stadt abgesprengt ward, wehrte die Besatzung sich auf das aeusserste; erst als Caesar selbst erschien und auf seine Anordnung die Quelle, aus der die Belagerten ihr Wasser holten, mittels unterirdischer Stollen abgeleitet ward, fiel die Festung, die letzte Burg der keltischen Nation. Um die letzten Verfechter der Sache der Freiheit zu kennzeichnen, befahl Caesar, der gesamten Besatzung die Haende abzuhauen und sie also, einen jeden in seine Heimat, zu entlassen. Dem Koenig Commius, der noch in der Gegend von Arras sich hielt und daselbst bis in den Winter 703/04 (51/50) mit den roemischen Truppen sich herumschlug, gestattete Caesar, dem alles daran lag, in ganz Gallien wenigstens dem offenen Widerstand ein Ziel zu setzen, seinen Frieden zu machen und liess es sogar hingehen, dass der erbitterte und mit Recht misstrauische Mann trotzig sich weigerte, persoenlich im roemischen Lager zu erscheinen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Caesar in aehnlicher Weise bei den schwer zugaenglichen Distrikten im Nordwesten wie im Nordosten Galliens mit einer nur nominellen Unterwerfung, vielleicht sogar schon mit der faktischen Waffenruhe sich genuegen liess ^23. ------------------------------------------- ^22 Man sucht dies gewoehnlich bei Capdenac unweit Figeac; F. W. A. Goeler hat sich neuerlich fuer das auch frueher schon in Vorschlag gebrachte Luzech westlich von Cahors erklaert. ^23 Bei Caesar selbst steht dies freilich begreiflicherweise nicht geschrieben; aber eine verstaendliche Andeutung in dieser Beziehung macht Sallust (hist. 1, 9 Kritz), obwohl auch er als Caesarianer schrieb. Weitere Beweise ergeben die Muenzen. ------------------------------------------------- Also ward Gallien, das heisst das Land westlich vom Rhein und noerdlich von den Pyrenaeen, nach nur achtjaehrigen Kaempfen (696 bis 703 58-51) den Roemern untertaenig. Kaum ein Jahr nach der voelligen Beruhigung des Landes, zu Anfang des Jahres 705 (49), mussten die roemischen Truppen infolge des nun endlich in Italien ausgebrochenen Buergerkrieges ueber die Alpen zurueckgezogen werden und es blieben nichts als hoechstens einige schwache Rekrutenabteilungen im Keltenland zurueck. Dennoch standen die Kelten nicht wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und waehrend in allen alten Provinzen des Reichs gegen Caesar gestritten ward, blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fortwaehrend botmaessig. Auch die Deutschen haben ihre Versuche, auf dem linken Rheinufer sich erobernd festzusetzen, waehrend dieser entscheidenden Jahre nicht wiederholt. Ebensowenig kam es in Gallien waehrend der nachfolgenden Krisen zu einer neuen nationalen Insurrektion oder deutschen Invasion, obgleich sie die guenstigsten Gelegenheiten darboten. Wenn ja irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708 (46) die Bellovaker gegen die Roemer sich erhoben, so waren diese Bewegungen so vereinzelt und so ausser Zusammenhang mit den Verwicklungen in Italien, dass sie ohne wesentliche Schwierigkeit von den roemischen Statthaltern unterdrueckt wurden. Allerdings ward dieser Friedenszustand hoechst wahrscheinlich, aehnlich wie Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, dass man den entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefuehl durchdrungenen Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistrikten, der Pyrenaeengegend, vorlaeufig gestattete, sich in mehr oder minder bestimmter Weise der roemischen Botmaessigkeit tatsaechlich zu entziehen. Aber darum nicht weniger erwies sich Caesars Bau, wie knapp er auch dazu zwischen anderen, zunaechst noch dringenderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur notduerftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, sowohl hinsichtlich der Zurueckweisung der Deutschen als der Unterwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im wesentlichen als haltbar. In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter des Narbonensischen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorlaeufig mit der Provinz Narbo vereinigt; erst als Caesar dieses Amt abgab (710 44), wurden aus dem von ihm eroberten Gebiet zwei neue Statthalterschaften, das eigentliche Gallien und Belgica, gebildet. Dass die einzelnen Gaue ihre politische Selbstaendigkeit verloren, lag im Wesen der Eroberung. Sie wurden durchgaengig der roemischen Gemeinde steuerpflichtig. Ihr Steuersystem indes war natuerlich nicht dasjenige, mittels dessen die adlige und finanzielle Aristokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde, wie in Spanien geschah, einer jeden einzelnen Gemeinde eine ein fuer allemal bestimmte Abgabe auferlegt und deren Erhebung ihr selbst ueberlassen. Auf diesem Wege flossen jaehrlich 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) aus Gallien in die Kassen der roemischen Regierung, die dafuer freilich die Kosten der Verteidigung der Rheingrenze uebernahm. Dass ausserdem die in den Tempeln der Goetter und den Schatzkammern der Grossen aufgehaeuften Goldmassen infolge des Krieges ihren Weg nach Rom fanden, versteht sich von selbst; wenn Caesar im ganzen Roemischen Reich sein gallisches Gold ausbot und davon auf einmal solche Massen auf den Geldmarkt brachte, dass das Gold gegen Silber um 25 Prozent fiel, so laesst dies ahnen, welche Summen Gallien durch den Krieg eingebuesst hat. Die bisherigen Gauverfassungen mit ihren Erbkoenigen oder ihren feudaloligarchischen Vorstandschaften blieben auch nach der Eroberung im wesentlichen bestehen, und selbst das Klientelsystem,
das einzelne Kantons von anderen, maechtigeren abhaengig machte, ward nicht abgeschafft, obwohl freilich mit dem Verlust der staatlichen Selbstaendigkeit ihm die Spitze abgebrochen war; Caesar war nur darauf bedacht, unter Benutzung der bestehenden dynastischen, feudalistischen und hegemonischen Spaltungen die Verhaeltnisse im Interesse Roms zu ordnen und ueberall die der Fremdherrschaft genehmen Maenner an die Spitze zu bringen. Ueberhaupt sparte Caesar keine Muehe, um in Gallien eine roemische Partei zu bilden; seinen Anhaengern wurden ausgedehnte Belohnungen an Geld und besonders an konfiszierten Landguetern bewilligt und ihnen durch seinen Einfluss Plaetze im Gemeinderat und die ersten Gemeindeaemter in ihren Gauen verschafft. Diejenigen Gaue, in denen eine hinreichend starke und zuverlaessige roemische Partei bestand, wie die der Remer, der Lingonen, der Haeduer, wurden durch Erteilung einer freieren Kommunalverfassung - des sogenannten Buendnisrechts - und durch Bevorzugungen bei der Ordnung des Hegemoniewesens gefoerdert. Den Nationalkult und dessen Priester scheint Caesar von Anfang an soweit irgend moeglich geschont zu haben; von Massregeln, wie sie in spaeterer Zeit von den roemischen Machthabern gegen das Druidenwesen ergriffen wurden, findet bei ihm sich keine Spur, und wahrscheinlich damit haengt es zusammen, dass seine gallischen Kriege, soviel wir sehen, den Charakter des Religionskrieges durchaus nicht in der Art tragen, wie er bei den britannischen spaeter so bestimmt hervortritt. Wenn Caesar also der besiegten Nation jede zulaessige Ruecksicht bewies und ihre nationalen, politischen und religioesen Institutionen soweit schonte, als es mit der Unterwerfung unter Rom irgend sich vertrug, so geschah dies nicht, um auf den Grundgedanken seiner Eroberung, die Romanisierung Galliens, zu verzichten, sondern um denselben in moeglichst schonender Weise zu verwirklichen. Auch begnuegte er sich nicht, dieselben Verhaeltnisse, die die Suedprovinz bereits grossenteils romanisiert hatten, im Norden ihre Wirkung ebenfalls tun zu lassen, sondern er foerderte, als echter Staatsmann, von oben herab die naturgemaesse Entwicklung und tat dazu, die immer peinliche Uebergangszeit moeglichst zu verkuerzen. Um zu schweigen von der Aufnahme einer Anzahl vornehmer Kelten in den roemischen Buergerverband, ja einzelner vielleicht schon in den roemischen Senat, so ist wahrscheinlich Caesar es gewesen, der in Gallien auch innerhalb der einzelnen Gaue als offizielle Sprache anstatt der einheimischen die lateinische, wenn auch noch mit gewissen Einschraenkungen, und anstatt des nationalen das roemische Muenzsystem in der Art einfuehrte, dass die Goldund die Denarpraegung den roemischen Behoerden vorbehalten blieb, dagegen die Scheidemuenze von den einzelnen Gauen und nur zur Zirkulation innerhalb der Gaugrenzen, aber doch auch nach roemischem Fuss geschlagen werden sollte. Man mag laecheln ueber das kauderwelsche Latein, dessen die Anwohner der Loire und Seine fortan verordnungsmaessig sich beflissen ^24; es lag doch in diesen Sprachfehlern eine groessere Zukunft als in dem korrekten, hauptstaedtischen Latein. Vielleicht geht es auch auf Caesar zurueck, wenn die Gauverfassung im Keltenland spaeterhin der italischen Stadtverfassung genaehert erscheint und die Hauptorte des Gaues sowie die Gemeinderaete in ihr schaerfer hervortreten, als dies in der urspruenglichen keltischen Ordnung wahrscheinlich der Fall war. Wie wuenschenswert in militaerischer wie in politischer Hinsicht es gewesen waere, als Stuetzpunkte der neuen Herrschaft und Ausgangspunkte der neuen Zivilisation eine Reihe transalpinischer Kolonien zu begruenden, mochte niemand mehr empfinden als der politische Erbe des Gaius Gracchus und des Marius. Wenn er dennoch sich beschraenkte auf die Ansiedlung seiner keltischen oder deutschen Reiter in Noviodunum und auf die der Boier im Haeduergau, welche letztere Niederlassung in dem Krieg gegen Vercingetorix schon voellig die Dienste einer roemischen Kolonie tat, so war die Ursache nur die, dass seine weiteren Plaene ihm noch nicht gestatteten, seinen Legionen statt des Schwertes den Pflug in die Hand zu geben. Was er in spaeteren Jahren fuer die altroemische Provinz in dieser Beziehung getan, wird seines Orts dargelegt werden; es ist wahrscheinlich, dass nur die Zeit ihm gemangelt hat, um das gleiche auch auf die von ihm neu unterworfenen Landschaften zu erstrecken. ------------------------------------------------- ^24 So lesen wir auf einem Semis, den ein Vergobret der Lexovier (Lisieux, Dep. Calvados) schlagen liess, folgende Aufschrift: Cisiambos Cattos vercobreto; simissos (so) publicos Lixovio. Die oft kaum leserliche Schrift und das unglaublich abscheuliche Gepraege dieser Muenzen stehen mit ihrem stammelnden Latein in bester Harmonie. ------------------------------------------------ Mit der keltischen Nation war es zu Ende. Ihre politische Aufloesung war durch Caesar eine vollendete Tatsache geworden, ihre nationale eingeleitet und im regelmaessigen Fortschreiten begriffen. Es war dies kein zufaelliges Verderben, wie das Verhaengnis es auch entwicklungsfaehigen Voelkern wohl zuweilen bereitet, sondern eine selbstverschuldete und gewissermassen geschichtlich notwendige Katastrophe. Schon der Verlauf des letzten Krieges beweist dies, mag man ihn nun im ganzen oder im einzelnen betrachten. Als die Fremdherrschaft gegruendet werden sollte, leisteten ihr nur einzelne, noch dazu meistens deutsche oder halbdeutsche Landschaften energischen Widerstand. Als die Fremdherrschaft gegruendet war, wurden die Versuche, sie abzuschuetteln, entweder ganz kopflos unternommen, oder sie waren mehr als billig das Werk einzelner hervorragender Adliger und darum mit dem Tod oder der Gefangennahme eines Indutiomarus, Camulogenus, Vercingetorix, Correus sogleich und voellig zu Ende. Der Belagerungsund der kleine Krieg, in denen sich sonst die ganze sittliche Tiefe der Volkskriege entfaltet, waren und blieben in diesem keltischen von charakteristischer Erbaermlichkeit. Jedes Blatt der keltischen Geschichte bestaetigt das strenge Wort eines der wenigen Roemer, die es verstanden, die sogenannten Barbaren nicht zu verachten, dass die Kelten dreist die kuenftige Gefahr herausfordern, vor der gegenwaertigen aber der Mut ihnen entsinkt. In dem gewaltigen Wirbel der Weltgeschichte, der alle nicht gleich dem Stahl harten und gleich dem Stahl geschmeidigen Voelker unerbittlich zermalmt, konnte eine solche Nation auf die Laenge sich nicht behaupten; billig erlitten die Kelten des Festlandes dasselbe Schicksal von den Roemern, das ihre Stammgenossen auf der irischen Insel bis in unsere Tage hinein von den Sachsen erleiden: das Schicksal, als Gaerungsstoff kuenftiger Entwicklung aufzugehen in eine staatlich ueberlegene Nationalitaet. Im Begriff, von der merkwuerdigen Nation zu scheiden, mag es gestattet sein, noch daran zu erinnern, dass in den Berichten der Alten ueber die Kelten an der Loire und Seine kaum einer der charakteristischen Zuege vermisst wird, an denen wir gewohnt sind, Paddy zu erkennen. Es findet alles sich wieder: die Laessigkeit in der Bestellung der Felder; die Lust am Zechen und Raufen; die Prahlhansigkeit - wir erinnern an jenes in dem heiligen Hain der Arverner nach dem Sieg von Gergovia aufgehangene Schwert des Caesar, das sein angeblicher ehemaliger Besitzer an der geweihten Staette laechelnd betrachtete und das heilige Gut sorgfaeltig zu schonen befahl; die Rede voll von Vergleichen und Hyperbeln, von Anspielungen und barocken Wendungen; der drollige Humor - ein vorzuegliches Beispiel davon ist die Satzung, dass, wenn jemand einem oeffentlich Redenden ins Wort faellt, dem Stoerenfried von Polizei wegen ein derbes und wohl sichtbares Loch in den Rock geschnitten wird; die innige Freude am Singen und Sagen von den Taten der Vorzeit und die entschiedenste Rednerund Dichtergabe; die Neugier - kein Kaufmann wird durchgelassen, bevor er auf offener Strasse erzaehlt hat, was er an Neuigkeiten weiss oder nicht weiss - und die tolle Leichtglaeubigkeit, die auf solche Nachrichten hin handelt, weshalb in den besser geordneten Kantons den Wandersleuten bei strenger Strafe verboten war, unbeglaubigte Berichte andern als Gemeindebeamten mitzuteilen; die kindliche Froemmigkeit, die in dem Priester den Vater sieht und ihn in allen Dingen um Rat fragt; die unuebertroffene Innigkeit des Nationalgefuehls und das fast familienartige Zusammenhalten der Landsleute gegen den Fremden; die Geneigtheit, unter dem ersten besten Fuehrer sich aufzulehnen und Banden zu bilden, daneben aber die voellige Unfaehigkeit, den sicheren, von Uebermut wie von Kleinmut entfernten Mut sich zu bewahren, die rechte Zeit zum Abwarten und zum Losschlagen wahrzunehmen, zu irgendeiner Organisation, zu irgend fester militaerischer oder politischer Disziplin zu gelangen oder auch nur sie zu ertragen. Es ist und bleibt zu allen Zeiten und aller Orten dieselbe faule und poetische, schwachmuetige und innige, neugierige, leichtglaeubige, liebenswuerdige, gescheite, aber politisch durch und durch unbrauchbare Nation, und darum ist denn auch ihr Schicksal immer und ueberall dasselbe gewesen. Aber dass dieses grosse Volk durch Caesars transalpinische Kriege zugrunde ging, ist noch nicht das bedeutendste Ergebnis dieses grossartigen Unternehmens; weit folgenreicher als das negative war das positive Resultat. Es leidet kaum einen Zweifel, dass, wenn das Senatsregiment sein Scheinleben noch einige Menschenalter laenger gefristet haette, die sogenannte Voelkerwanderung vierhundert Jahre frueher eingetreten sein wuerde, als sie eingetreten ist, und eingetreten sein wuerde zu einer Zeit, wo die italische Zivilisation sich weder in Gallien noch an der Donau noch in Afrika und Spanien haeuslich niedergelassen hatte. Indem der grosse Feldherr und Staatsmann Roms mit sicherem Blick in den deutschen Staemmen den ebenbuertigen Feind der roemisch-griechischen Welt erkannte; indem er das neue System offensiver Verteidigung mit fester Hand selbst bis ins einzelne hinein begruendete und die Reichsgrenzen durch Fluesse oder kuenstliche Waelle verteidigen, laengs der Grenze die naechsten Barbarenstaemme zur Abwehr der entfernteren kolonisieren, das roemische Heer durch geworbene Leute aus den feindlichen Laendern rekrutieren lehrte, gewann er der hellenisch-italischen Kultur die noetige Frist, um den Westen ebenso zu zivilisieren, wie der Osten bereits von ihr zivilisiert war. Gewoehnliche Menschen schauen die Fruechte ihres Tuns; der Same, den geniale Naturen streuen, geht langsam auf. Es dauerte Jahrhunderte, bis man begriff, dass Alexander nicht bloss ein ephemeres Koenigreich im Osten errichtet, sondern den Hellenismus nach Asien getragen habe; wieder Jahrhunderte, bis man begriff, dass Caesar nicht bloss den Roemern eine neue Provinz erobert, sondern die Romanisierung der westlichen Landschaften begruendet habe. Auch von jenen militaerisch leichtsinnigen und zunaechst erfolglosen Zuegen nach England und Deutschland haben erst die spaeten Nachfahren den Sinn erkannt. Ein ungeheurer Voelkerkreis, von dessen Dasein und Zustaenden bis dahin kaum der Schiffer und der Kaufmann einige Wahrheit und viele Dichtung berichtet hatten, ward durch sie der roemisch-griechischen Welt aufgeschlossen. "Taeglich", heisst es in einer roemischen Schrift vom Mai 698 (56), "melden die gallischen Briefe und Botschaften uns bisher unbekannte Namen von Voelkern, Gauen und Landschaften". Diese Erweiterung des geschichtlichen Horizonts durch Caesars Zuege jenseits der Alpen war ein weltgeschichtliches Ereignis, so gut wie die Erkundung Amerikas durch europaeische Scharen. Zu dem engen Kreis der Mittelmeerstaaten traten die mittelund nordeuropaeischen Voelker, die Anwohner der Ostund der Nordsee hinzu, zu der alten Welt eine neue, die fortan durch jene mitbestimmt ward und sie mitbestimmte. Es hat nicht viel gefehlt, dass bereits von Ariovist das durchgefuehrt ward, was spaeter dem gotischen Theoderich gelang. Waere dies geschehen, so wuerde unsere Zivilisation zu der roemisch-griechischen schwerlich in einem innerlicheren Verhaeltnis stehen als zu der indischen und assyrischen Kultur. Dass von Hellas und Italien vergangener Herrlichkeit zu dem stolzeren Bau der neueren Weltgeschichte eine Bruecke hinueberfuehrt, dass Westeuropa romanisch, das germanische Europa klassisch ist, dass die Namen Themistokles und Scipio fuer uns einen anderen Klang haben, als Asoka und Salmanassar, dass Homer und Sophokles nicht wie die Veden und Kalidasa nur den literarischen Botaniker anziehen, sondern in dem eigenen Garten uns bluehen, das ist Caesars Werk; und wenn die Schoepfung seines grossen Vorgaengers im Osten von den Sturmfluten des Mittelalters fast ganz zertruemmert worden ist, so hat Caesars Bau die Jahrtausende ueberdauert, die dem Menschengeschlecht Religion und Staat verwandelt, den Schwerpunkt der Zivilisation selbst ihm verschoben haben, und fuer das, was wir Ewigkeit nennen, steht er aufrecht. Um das Bild der Verhaeltnisse Roms zu den Voelkern des Nordens in dieser Zeit zu vollenden, bleibt es noch uebrig, einen Blick auf die Landschaften zu werfen, die noerdlich der italischen und der griechischen Halbinsel, von den Rheinquellen bis zum Schwarzen Meer sich erstrecken. Zwar in das gewaltige Voelkergetuemmel, das auch dort damals gewogt haben mag, reicht die Fackel der Geschichte nicht und die einzelnen Streiflichter, die in dieses Gebiet fallen, sind, wie der schwache Schimmer in tiefer Finsternis, mehr geeignet zu verwirren als aufzuklaeren. Indes es ist die Pflicht des Geschichtschreibers, auch die Luecken in dem Buche der Voelkergeschichte zu bezeichnen; er darf es nicht verschmaehen, neben Caesars grossartigem Verteidigungssystem der duerftigen Anstalten zu gedenken, durch die die Feldherren des Senats nach dieser Seite hin die Reichsgrenze zu schuetzen vermeinten. Das nordoestliche Italien blieb nach wie vor den Angriffen der alpinischen Voelkerschaften preisgegeben. Das im Jahre 695 (59) bei Aquileia lagernde starke roemische Heer und der Triumph des Statthalters des Cisalpinischen Galliens, Lucius Afranius, lassen schliessen, dass um diese Zeit eine Expedition in die Alpen stattgefunden; wovon es eine Folge sein mag, dass wir bald darauf die Roemer in naeherer Verbindung mit einem Koenig der Noriker finden. Dass aber auch nachher Italien durchaus von dieser Seite nicht gesichert war, bewies der Ueberfall der bluehenden Stadt Tergeste durch die alpinischen Barbaren im Jahre 702 (52), als die transalpinische Insurrektion Caesar genoetigt hatte, Oberitalien ganz von Truppen zu entbloessen. Auch die unruhigen Voelker, die den illyrischen Kuestenstrich innehatten, machten ihren roemischen Herren bestaendig zu schaffen. Die Dalmater, schon frueher das ansehnlichste Volk dieser Gegend, vergroesserten durch Aufnahme der Nachbarn in ihren Verband sich so ansehnlich, dass die Zahl ihrer Ortschaften von zwanzig auf achtzig stieg. Als sie die Stadt Promona (nicht weit vom Kerkafluss), die sie den Liburniern entrissen hatten, diesen wiederherauszugeben sich weigerten, liess Caesar nach der Pharsalischen Schlacht gegen sie marschieren; aber die Roemer zogen hierbei zunaechst den kuerzeren, und infolgedessen ward Dalmatien fuer einige Zeit ein Herd der Caesar feindlichen Partei und wurde hier den Feldherren Caesars von den Einwohnern, in Verbindung mit den Pompeianern und mit den Seeraeubern, zu Lande und zu Wasser energischer Widerstand geleistet. Makedonien endlich nebst Epirus und Hellas war so veroedet und heruntergekommen wie kaum ein anderer Teil des Roemischen Reiches. Dyrrhachion, Thessalonike, Byzantion hatten noch einigen Handel und Verkehr; Athen zog durch seinen Namen und seine Philosophenschule die Reisenden und die Studenten an; im ganzen aber lag ueber Hellas’ einst volkreichen Staedten und menschenwimmelnden Haefen die Ruhe des Grabes. Aber wenn die Griechen sich nicht regten, so setzten dagegen die Bewohner der schwer zugaenglichen makedonischen Gebirge nach alter Weise ihre Raubzuege und Fehden fort, wie denn zum Beispiel um 697/98 (57/56) Agraeer und Doloper die aetolischen Staedte, im Jahre 700 (54) die in den Drintaelern wohnenden Pirusten das suedliche Illyrien ueberrannten. Ebenso hielten es die Anwohner. Die Dardaner an der Nordgrenze wie die Thraker im Osten waren zwar in den achtjaehrigen Kaempfen 676 bis 683 (78-71) von den Roemern gedemuetigt worden; der maechtigste unter den thrakischen Fuersten, der Herr des alten Odrysenreichs Kotys, ward seitdem den roemischen Klientelkoenigen beigezaehlt. Allein nichtsdestoweniger hatte das befriedete Land nach wie vor von Norden und Osten her Einfaelle zu leiden. Der Statthalter Gaius Antonius ward uebel heimgeschickt, sowohl von den Dardanern, als auch von den in der heutigen Dobrudscha ansaessigen Staemmen, welche mit Hilfe der vom linken Donauufer herbeigezogenen, gefuerchteten Bastarner ihm bei Istropolis (Istere unweit Kustendsche) eine bedeutende Niederlage beibrachten (692-693 62-61). Gluecklicher focht Gaius Octavius gegen Besser und Thraker (694 60). Dagegen machte Marcus Piso (697-698 57-56) wiederum als Oberfeldherr sehr schlechte Geschaefte, was auch kein Wunder war, da er um Geld Freunden und Feinden gewaehrte, was sie wuenschten. Die thrakischen Dentheleten (am Strymon) pluenderten unter seiner Statthalterschaft Makedonien weit und breit und stellten auf der grossen, von Dyrrhachion nach Thessalonike fuehrenden roemischen Heerstrasse selbst ihre Posten aus; in Thessalonike machte man sich darauf gefasst, von ihnen eine Belagerung auszuhalten, waehrend die starke roemische Armee in der Provinz nur da zu sein schien, um zuzusehen, wie die Bergbewohner und die Nachbarvoelker die friedlichen Untertanen Roms brandschatzten. Dergleichen Angriffe konnten freilich Roms Macht nicht gefaehrden, und auf eine Schande mehr kam es laengst nicht mehr an. Aber eben um diese Zeit begann jenseits der Donau, in den weiten dakischen Steppen, ein Volk sich staatlich zu konsolidieren, das eine andere Rolle in der Geschichte zu spielen bestimmt schien als die Besser und die Dentheleten. Bei den Geten oder Dakern war in uralter Zeit dem Koenig des Volkes ein heiliger Mann zur Seite getreten, Zalmoxis genannt, der, nachdem er der Goetter Wege und Wunder auf weiten Reisen in der Fremde erkundet und namentlich die Weisheit der aegyptischen Priester und der griechischen Pythagoreer ergruendet hatte, in seine Heimat zurueckgekommen war, um in einer Hoehle des ’Heiligen Berges’ als frommer Einsiedler sein Leben zu beschliessen. Nur dem Koenig und dessen Dienern blieb er zugaenglich und spendete ihm und durch ihn dem Volke seine Orakel fuer jedes wichtige Beginnen. Seinen Landsleuten galt er anfangs als Priester des hoechsten Gottes und zuletzt selber als Gott, aehnlich wie es von Moses und Aaron heisst, dass der Herr den Aaron zum Propheten und zum Gotte des Propheten den Moses gesetzt habe. Es war hieraus eine bleibende Institution geworden: von Rechts wegen stand dem Koenig der Geten ein solcher Gott zur Seite, aus dessen Munde alles kam oder zu kommen schien, was der Koenig befahl. Diese eigentuemliche Verfassung, in der die theokratische Idee der, wie es scheint, absoluten Koenigsgewalt dienstbar geworden war, mag den getischen Koenigen eine Stellung ihren Untertanen gegenueber gegeben haben, wie etwa die Kalifen sie gegenueber den Arabern haben; und eine Folge davon war die wunderbare religioes-politische Reform der Nation, welche um diese Zeit der Koenig der Geten, Burebistas, und der Gott, Dekaeneos, durchsetzten. Das namentlich durch beispiellose Voellerei sittlich und staatlich gaenzlich heruntergekommene Volk ward durch das neue Maessigkeitsund Tapferkeitsevangelium wie umgewandelt; mit seinen sozusagen puritanisch disziplinierten und begeisterten Scharen gruendete Koenig Burebistas binnen wenigen Jahren ein gewaltiges Reich, das auf beiden Ufern der Donau sich ausbreitete und suedwaerts bis tief in Thrakien, Illyrien und das nordische Land hinein reichte. Eine unmittelbare Beruehrung mit den Roemern hatte noch nicht stattgefunden, und es konnte niemand sagen, was aus diesem sonderbaren, an die Anfaenge des Islam erinnernden Staat werden moege; das aber mochte man, auch ohne Prophet zu sein, vorherzusagen, dass Prokonsuln wie Antonius und Piso nicht berufen waren, mit Goettern zu streiten. 8. Kapitel Pompeius’ und Caesars Gesamtherrschaft Unter den Demokratenchefs, die seit Caesars Konsulat sozusagen offiziell als die gemeinschaftlichen Beherrscher des Gemeinwesens, als die regierenden "Dreimaenner" anerkannt waren, nahm der oeffentlichen Meinung zufolge durchaus die erste Stelle Pompeius ein. Er war es, der den Optimaten der "Privatdiktator" hiess; vor ihm tat Cicero seinen vergeblichen Fussfall; ihm galten die schaerfsten Sarkasmen in den Mauerplakaten des Bibulus, die giftigsten Pfeile in den Salonreden der Opposition. Es war dies nur in der Ordnung. Nach den vorliegenden Tatsachen war Pompeius unbestritten der erste Feldherr seiner Zeit, Caesar ein gewandter Parteifuehrer und Parteiredner, von unleugbaren Talenten, aber ebenso notorisch von unkriegerischem, ja weibischem Naturell. Diese Urteile waren seit langem gelaeufig; man konnte es von dem vornehmen Poebel nicht erwarten, dass er um das Wesen der Dinge sich kuemmere und einmal festgestellte Plattheiten wegen obskurer Heldentaten am Tajo aufgebe. Offenbar spielte Caesar in dem Bunde nur die Rolle des Adjutanten, der das fuer seinen Chef ausfuehrte, was Flavius, Afranius und andere, weniger faehige Werkzeuge versucht und nicht geleistet hatten. Selbst seine Statthalterschaft schien dies Verhaeltnis nicht zu aendern. Eine sehr aehnliche Stellung hatte erst kuerzlich Afranius eingenommen, ohne darum etwas Besonderes zu bedeuten; mehrere Provinzen zugleich waren in den letzten Jahren wiederholentlich einem Statthalter untergeben und schon oft weit mehr als vier Legionen in einer Hand vereinigt gewesen; da es jenseits der Alpen wieder ruhig und Fuerst Ariovist von den Roemern als Freund und Nachbar anerkannt war, so war auch keine Aussicht zur Fuehrung eines irgend ins Gewicht fallenden Krieges. Die Vergleichung der Stellungen, wie sie Pompeius durch das Gabinisch-Manilische, Caesar durch das Vatinische Gesetz erhalten hatten, lag nahe; allein sie fiel nicht zu Caesars Vorteil aus. Pompeius gebot fast ueber das gesamte Roemische Reich, Caesar ueber zwei Provinzen. Pompeius standen die Soldaten und die Kassen des Staats beinahe unbeschraenkt zur Verfuegung, Caesar nur die ihm angewiesenen Summen und ein Heer von 24000 Mann. Pompeius war es anheimgegeben, den Zeitpunkt seines Ruecktritts selber zu bestimmen; Caesars Kommando war ihm zwar auf lange hinaus, aber doch nur auf eine begrenzte Frist gesichert. Pompeius endlich war mit den wichtigsten Unternehmungen zur See und zu Lande betraut worden; Caesar ward nach Norden gesandt, um von Oberitalien aus die Hauptstadt zu ueberwachen und dafuer zu sorgen, dass Pompeius ungestoert sie beherrsche. Aber als Pompeius von der Koalition zum Beherrscher der Hauptstadt bestellt ward, uebernahm er, was ueber seine Kraefte weit hinausging. Pompeius verstand vom Herrschen nichts weiter, als was sich zusammenfassen laesst in Parole und Kommando. Die Wellen des hauptstaedtischen Treibens gingen hohl, zugleich von vergangenen und von zukuenftigen Revolutionen; die Aufgabe, diese in jeder Hinsicht dem Paris des neunzehnten Jahrhunderts vergleichbare Stadt ohne bewaffnete Macht zu regieren, war unendlich schwer, fuer jenen eckigen vornehmen Mustersoldaten aber geradezu unloesbar. Sehr bald war er so weit, dass Feinde und Freunde, beide ihm gleich unbequem, seinetwegen machen konnten, was ihnen beliebte; nach Caesars Abgang von Rom beherrschte die Koalition wohl noch die Geschicke der Welt, aber nicht die Strassen der Hauptstadt. Auch der Senat, dem ja immer noch eine Art nominellen Regiments zustand, liess die Dinge in der Hauptstadt gehen, wie sie gehen konnten und mochten; zum Teil, weil der von der Koalition beherrschten Fraktion dieser Koerperschaft die Instruktionen der Machthaber fehlten, zum Teil, weil die grollende Opposition aus Gleichgueltigkeit oder Pessimismus beiseite trat, hauptsaechlich aber, weil die gesamte hochadlige Koerperschaft ihre vollstaendige Ohnmacht wo nicht zu begreifen, doch zu fuehlen begann. Augenblicklich also gab es in Rom nirgends eine Widerstandskraft irgendwelcher Regierung, nirgends eine wirkliche Autoritaet. Man lebte im Interregnum zwischen dem zertruemmerten aristokratischen und dem werdenden militaerischen Regiment; und wenn das roemische Gemeinwesen wie kein anderes alter oder neuer Zeit alle verschiedensten politischen Funktionen und Organisationen rein und normal dargestellt hat, so erscheint in ihm auch die politische Desorganisation, die Anarchie, in einer nicht beneidenswerten Schaerfe. Es ist ein seltsames Zusammentreffen, dass in denselben Jahren, in welchen Caesar jenseits der Alpen ein Werk fuer die Ewigkeit schuf, in Rom eine der tollsten politischen Grotesken aufgefuehrt ward, die jemals ueber die Bretter der Weltgeschichte gegangen ist. Der neue Regent des Gemeinwesens regierte nicht, sondern schloss sich in sein Haus ein und maulte im stillen. Die ehemalige, halb abgesetzte Regierung regierte gleichfalls nicht, sondern seufzte, bald einzeln in den traulichen Zirkeln der Villen, bald in der Kurie im Chor. Der Teil der Buergerschaft, dem Freiheit und Ordnung noch am Herzen lagen, war des wuesten Treibens uebersatt; aber voellig fuehrerund ratlos verharrte er in nichtiger Passivitaet und mied nicht bloss jede politische Taetigkeit, sondern, soweit es anging, das politische Sodom selbst. Dagegen: das Gesindel aller Art hatte nie bessere Tage, nie lustigere Tummelplaetze gehabt. Die Zahl der kleinen grossen Maenner war Legion. Die Demagogie ward voellig zum Handwerk, dem denn auch das Handwerkszeug nicht fehlte: der verschabte Mantel, der verwilderte Bart, das langflatternde Haar, die tiefe Bassstimme; und nicht selten war es ein Handwerk mit goldenem Boden. Fuer die stehenden Bruellaktionen waren die geprueften Gurgeln des Theaterpersonals ein begehrter Artikel ^1; Griechen und Juden, Freigelassene und Sklaven waren in den oeffentlichen Versammlungen die regelmaessigsten Besucher und die lautesten Schreier; selbst wenn es zum Stimmen ging, bestand haeufig nur der kleinere Teil der Stimmenden aus verfassungsmaessig stimmberechtigten Buergern. "Naechstens", heisst es in einem Briefe aus dieser Zeit, "koennen wir erwarten, dass unsere Lakaien die Freilassungssteuer abvotieren." Die eigentlichen Maechte des Tages waren die geschlossenen und bewaffneten Banden, die von vornehmen Abenteurern aus fechtgewohnten Sklaven und Lumpen aufgestellten Bataillone der Anarchie. Ihre Inhaber hatten von Haus aus meistenteils zur Popularpartei gezaehlt; aber seit Caesars Entfernung, der der Demokratie allein zu imponieren und allein sie zu lenken verstanden hatte, war aus derselben alle Disziplin entwichen und jeder Parteigaenger machte Politik auf seine eigene Hand. Am liebsten fochten diese Leute freilich auch jetzt noch unter dem Panier der Freiheit; aber genau genommen waren sie weder demokratisch noch antidemokratisch gesinnt, sondern schrieben auf die einmal unentbehrliche Fahne, wie es fiel, bald den Volksnamen, bald den Namen des Senats oder den eines Parteichefs; wie denn zum Beispiel Clodius nacheinander fuer die herrschende Demokratie, fuer den Senat und fuer Crassus gefochten oder zu fechten vorgegeben hat. Farbe hielten die Bandenfuehrer nur insofern, als sie ihre persoenlichen Feinde, wie Clodius den Cicero, Milo den Clodius, unerbittlich verfolgten, wogegen die Parteistellung ihnen nur als Schachzug in diesen Personenfehden diente. Man koennte ebensogut ein Charivari auf Noten setzen als die Geschichte dieses politischen Hexensabbaths schreiben wollen; es liegt auch nichts daran, all die Mordtaten, Haeuserbelagerungen, Brandstiftungen und sonstigen Raeuberszenen inmitten einer Weltstadt aufzuzaehlen und nachzurechnen, wie oft die Skala vom Zischen und Schreien zum Anspeien und Niedertreten und von da zum Steinewerfen und Schwerterzuecken durchgemacht ward. Der Protagonist auf diesem politischen Lumpentheater war jener Publius Clodius, dessen, wie schon erwaehnt ward, die Machthaber sich gegen Cato und Cicero bedienten. Sich selbst ueberlassen, trieb dieser einflussreiche, talentvolle, energische und in seinem Metier in der Tat musterhafte Parteigaenger waehrend seines Volkstribunats (696 58) ultrademokratische Politik, gab den Staedtern das Getreide umsonst, beschraenkte das Recht der Zensoren, sittenlose Buerger zu bemaekeln, untersagte den Beamten, durch religioese Formalitaeten den Gang der Komitialmaschine zu hemmen, beseitigte die Schranken, die kurz zuvor (690 64), um dem Bandenwesen zu steuern, dem Assoziationsrecht der niederen Klassen gesetzt worden waren, und stellte die damals aufgehobenen "Strassenklubs" (collegia compitalicia) wieder her, welche nichts anderes waren als eine foermliche, nach den Gassen abgeteilte und fast militaerisch gegliederte Organisation des gesamten hauptstaedtischen Freienoder Sklavenproletariats. Wenn dazu noch das weitere Gesetz, das Clodius ebenfalls bereits entworfen hatte und als Praetor 702 (52) einzubringen gedachte, den Freigelassenen und den im tatsaechlichen Besitz der Freiheit lebenden Sklaven die gleichen politischen Rechte mit den Freigeborenen gab, so konnte der Urheber all dieser tapferen Verfassungsbesserungen sein Werk fuer vollendet erklaeren und als neuer Numa der Freiheit und Gleichheit den suessen Poebel der Hauptstadt einladen, in dem auf einer seiner Brandstaetten am Palatin von ihm errichteten Tempel der Freiheit ihn zur Feier des eingetretenen demokratischen Millenniums das Hochamt zelebrieren zu sehen. Natuerlich schlossen diese Freiheitsbestrebungen den Schacher mit Buergerschaftsbeschluessen nicht aus; wie Caesar hielt auch Caesars Affe fuer seine Mitbuerger Statthalterschaften und andere Posten und Poestchen, fuer die untertaenigen Koenige und Staedte die Herrlichkeitsrechte des Staates feil. ------------------------------------------------ ^1 Das heisst cantorum convicio contiones celebrare (Cic. Sest. 55, 118). ------------------------------------------------ All diesen Dingen sah Pompeius zu, ohne sich zu regen. Wenn er es nicht empfand, wie arg er damit sich kompromittierte, so empfand es sein Gegner. Clodius ward so dreist, dass er ueber eine ganz gleichgueltige Frage, die Ruecksendung eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem Regenten von Rom geradezu anband; und bald ward der Zwist zur foermlichen Fehde, in der Pompeius’ voellige Hilflosigkeit zu Tage kam. Das Haupt des Staates wusste dem Parteigaenger nichts anders zu begegnen als mit dessen eigenen, nur weit ungeschickter gefuehrten Waffen. War er von Clodius wegen des armenischen Prinzen schikaniert worden, so aergerte er ihn wieder, indem er den von Clodius ueber alles gehassten Cicero aus dem Exil erloeste, in das ihn Clodius gesandt hatte, und erreichte denn auch so gruendlich seinen Zweck, dass er den Gegner in einen unversoehnlichen Feind verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden die Strassen unsicher machte, so liess der siegreiche Feldherr gleichfalls Sklaven und Fechter marschieren, in welchen Balgereien natuerlich der General gegen den Demagogen den kuerzeren zog, auf der Strasse geschlagen, und von Clodius und dessen Spiessgesellen Gaius Cato in seinem Garten fast bestaendig in Belagerung gehalten ward. Es ist nicht der am wenigsten merkwuerdige Zug in diesem merkwuerdigen Schauspiel, dass in ihrem Hader der Regent und der Schwindler beide wetteifernd um die Gunst der gestuerzten Regierung buhlten, Pompeius, zum Teil auch, um dem Senat gefaellig zu sein, Ciceros Zurueckberufung zuliess, Clodius dagegen die Julischen Gesetze fuer nichtig erklaerte und Marcus Bibulus aufrief, deren verfassungswidrige Durchbringung oeffentlich zu bezeugen! Ein positives Resultat konnte natuerlicherweise aus diesem Brodel trueber Leidenschaften nicht hervorgehen; der eigentlichste Charakter desselben war eben seine bis zum Graesslichen laecherliche Zwecklosigkeit. Selbst ein Mann von Caesars Genialitaet hatte es erfahren muessen, dass das demokratische Treiben vollstaendig abgenutzt war und sogar der Weg zum Thron nicht mehr durch die Demagogie ging. Es war nichts weiter als ein geschichtlicher Lueckenbuesser, wenn jetzt, in dem Interregnum zwischen Republik und Monarchie, irgendein toller Geselle mit des Propheten Mantel und Stab, die Caesar selbst abgelegt hatte, sich noch einmal staffierte und noch einmal Gaius Gracchus’ grosse Ideale parodisch verzerrt ueber die Szene gingen; die sogenannte Partei, von der diese demokratische Agitation ausging, war so wenig eine, dass ihr spaeter in dem Entscheidungskampf nicht einmal eine Rolle zufiel. Selbst das laesst sich nicht behaupten, dass durch diesen anarchistischen Zustand das Verlangen nach einer starken, auf Militaermacht gegruendeten Regierung in den Gemuetern der politisch indifferent Gesinnten lebendig angefacht worden sei. Auch abgesehen davon, dass diese neutrale Buergerschaft hauptsaechlich ausserhalb Roms zu suchen war und also von dem hauptstaedtischen Krawallieren nicht unmittelbar beruehrt ward, so waren diejenigen Gemueter, die ueberhaupt durch solche Motive sich bestimmen liessen, schon durch fruehere Erfahrungen, namentlich die Catilinarische Verschwoerung, gruendlich zum Autoritaetsprinzip bekehrt worden; auf die eigentlichen Aengsterlinge aber wirkte die Furcht vor der von dem Verfassungsumsturz unzertrennlichen, ungeheuren Krise bei weitem nachdruecklicher als die Furcht vor der blossen Fortdauer der im Grunde doch sehr oberflaechlichen hauptstaedtischen Anarchie. Das einzige Ergebnis derselben, das geschichtlich in Anschlag kommt, ist die peinliche Stellung, in die Pompeius durch die Angriffe der Clodianer geriet und durch die seine weiteren Schritte wesentlich mitbedingt wurden. Wie wenig Pompeius auch die Initiative liebte und verstand, so ward er doch diesmal durch die Veraenderung seiner Stellung sowohl Clodius als Caesar gegenueber gezwungen, aus seiner bisherigen Passivitaet herauszutreten. Die verdriessliche und schimpfliche Lage, in die ihn Clodius versetzt hatte, musste auf die Laenge selbst seine traege Natur zu Hass und Zorn entflammen. Aber weit wichtiger war die Verwandlung, die in seinem Verhaeltnis zu Caesar stattgefunden hatte. Wenn von den beiden verbuendeten Machthabern Pompeius in der uebernommenen Taetigkeit vollkommen bankrott geworden war, so hatte Caesar aus seiner Kompetenz etwas zu machen gewusst, was jede Berechnung wie jede Befuerchtung weit hinter sich liess. Ohne wegen der Erlaubnis viel anzufragen, hatte Caesar durch Aushebungen in seiner grossenteils von roemischen Buergern bewohnten suedlichen Provinz sein Heer verdoppelt, hatte mit diesem, statt von Norditalien aus ueber Rom Wache zu halten, die Alpen ueberschritten, eine neue kimbrische Invasion im Beginn erstickt und binnen zwei Jahren (696, 697 58, 57) die roemischen Waffen bis an den Rhein und den Kanal getragen. Solchen Tatsachen gegenueber ging selbst der aristokratischen Taktik des Ignorierens und Verkleinerns der Atem aus. Der oft als Zaertling Verhoehnte war jetzt der Abgott der Armee, der gefeierte sieggekroente Held, dessen junge Lorbeeren die welken des Pompeius ueberglaenzten und dem sogar der Senat die nach gluecklichen Feldzuegen ueblichen Ehrenbezeigungen schon 697 (57) in reicherem Masse zuerkannte, als sie je Pompeius zuteil geworden waren. Pompeius stand zu seinem ehemaligen Adjutanten, genau wie nach den Gabinisch-Manilischen Gesetzen dieser gegen ihn gestanden hatte. Jetzt war Caesar der Held des Tages und der Herr der maechtigsten roemischen Armee, Pompeius ein ehemals beruehmter Exgeneral. Zwar war es zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn noch zu keiner Kollision gekommen und das Verhaeltnis aeusserlich ungetruebt; aber jedes politische Buendnis ist innerlich aufgeloest, wenn das Machtverhaeltnis der Beteiligten sich wesentlich verschiebt. Wenn der Zank mit Clodius nur aergerlich war, so lag in der veraenderten Stellung Caesars fuer Pompeius eine sehr ernste Gefahr: ebenwie einst Caesar und dessen Verbuendete gegen ihn, so sah jetzt er sich genoetigt, gegen Caesar einen militaerischen Rueckhalt zu suchen und, seine stolze Amtlosigkeit beiseitelegend, aufzutreten als Bewerber um irgendein ausserordentliches Amt, das ihn in den Stand setzte, dem Statthalter der beiden Gallien mit gleicher und womoeglich mit ueberlegener Macht zur Seite zu bleiben. Wie seine Lage, war auch seine Taktik genau die Caesars waehrend des Mithradatischen Krieges. Um die Militaermacht des ueberlegenen, aber noch entfernten Gegners durch die Erlangung eines aehnlichen Kommandos aufzuwiegen, bedurfte Pompeius zunaechst der offiziellen Regierungsmaschine. Anderthalb Jahre zuvor hatte diese unbedingt ihm zur Verfuegung gestanden. Die Machthaber beherrschten den Senat damals sowohl durch die Komitien, die ihnen als den Herren der Strasse unbedingt gehorchten, wie durch den von Caesar energisch terrorisierten Senat; als Vertreter der Koalition in Rom und als deren anerkanntes Haupt haette Pompeius vom Senat wie von der Buergerschaft ohne Zweifel jeden Beschluss erlangt, den er wuenschte, selbst wenn er gegen Caesars Interesse war. Allein durch den ungeschickten Handel mit Clodius hatte Pompeius die Strassenherrschaft eingebuesst und konnte nicht daran denken, einen Antrag zu seinen Gunsten bei der Volksgemeinde durchzusetzen. Nicht ganz so unguenstig standen die Dinge fuer ihn im Senat; doch war es auch hier zweifelhaft, ob Pompeius nach dieser langen und verhaengnisvollen Passivitaet die Zuegel der Majoritaet noch fest genug in der Hand habe, um einen Beschluss, wie er ihn brauchte, zu bewirken. Auch die Stellung des Senats, oder vielmehr der Nobilitaet ueberhaupt, war inzwischen eine andere geworden. Eben aus ihrer vollstaendigen Erniedrigung schoepfte sie frische Kraefte. Es war bei der Koalition von 694 (60) verschiedenes an den Tag gekommen, was fuer das Sonnenlicht noch keineswegs reif war. Die Entfernung Catos und Ciceros, welche die oeffentliche Meinung, wie sehr auch die Machthaber dabei sich zurueckhielten und sogar sich die Miene gaben, sie zu beklagen, mit ungeirrtem Takt auf ihre wahren Urheber zurueckfuehrte, und die Verschwaegerung zwischen Caesar und Pompeius erinnerten mit unerfreulicher Deutlichkeit an monarchische Ausweisungsdekrete und Familienallianzen. Auch das groessere Publikum, das den politischen Ereignissen ferner stand, ward aufmerksam auf die immer bestimmter hervortretenden Grundlagen der kuenftigen Monarchie. Von dem Augenblick an, wo dieses begriff, dass es Caesar nicht um eine Modifikation der republikanischen Verfassung zu tun sei, sondern dass es sich handle um Sein oder Nichtsein der Republik, werden unfehlbar eine Menge der besten Maenner, die bisher sich zur Popularpartei gerechnet und in Caesar ihr Haupt verehrt hatten, auf die entgegengesetzte Seite uebergetreten sein. Nicht mehr in den Salons und den Landhaeusern des regierenden Adels allein wurden die Reden von den "drei Dynasten", dem "dreikoepfigen Ungeheuer" vernommen. Caesars konsularischen Reden horchte die Menge dichtgedraengt, ohne dass Zuruf oder Beifall aus ihr erscholl; keine Hand regte sich zum Klatschen, wenn der demokratische Konsul in das Theater trat. Wohl aber pfiff man, wo eines der Werkzeuge der Machthaber oeffentlich sich sehen liess, und selbst gesetzte Maenner klatschten, wenn ein Schauspieler eine antimonarchische Sentenz oder eine Anspielung gegen Pompeius vorbrachte. Ja als Cicero ausgewiesen werden sollte, legten eine grosse Zahl - angeblich zwanzigtausend - Buerger, groesstenteils aus den Mittelklassen, nach dem Beispiel des Senats das Trauergewand an. "Nichts ist jetzt populaerer", heisst es in einem Briefe aus dieser Zeit, "als der Hass der Popularpartei." Die Machthaber liessen Andeutungen fallen, dass durch solche Opposition leicht die Ritter ihre neuen Sonderplaetze im Theater, der gemeine Mann sein Brotkorn einbuessen koenne; man nahm darauf mit den Aeusserungen des Unwillens sich vielleicht etwas mehr in acht, aber die Stimmung blieb die gleiche. Mit besserem Erfolg ward der Hebel der materiellen Interessen angesetzt. Caesars Gold floss in Stroemen. Scheinreiche mit zerruetteten Finanzen, einflussreiche, in Geldverlegenheiten befangene Damen, verschuldete junge Adlige, bedraengte Kaufleute und Bankiers gingen entweder selbst nach Gallien, um an der Quelle zu schoepfen, oder wandten sich an Caesars hauptstaedtische Agenten; und nicht leicht ward ein aeusserlich anstaendiger Mann - mit ganz verlorenem Gesindel mied Caesar sich einzulassen - dort oder hier zurueckgewiesen. Dazu kamen die ungeheuren Bauten, die Caesar fuer seine Rechnung in der Hauptstadt ausfuehren liess und bei denen eine Unzahl von Menschen aller Staende vom Konsular bis zum Lasttraeger hinab Gelegenheit fand zu verdienen, sowie die unermesslichen, fuer oeffentliche Lustbarkeiten aufgewandten Summen. In beschraenkterem Masse tat Pompeius das gleiche; ihm verdankte die Hauptstadt das erste steinerne Theater, und er feierte dessen Einweihung mit einer nie zuvor gesehenen Pracht. Dass solche Spenden eine Menge oppositionell Gesinnter, namentlich in der Hauptstadt, mit der neuen Ordnung der Dinge bis zu einem gewissen Grade aussoehnten, versteht sich ebenso von selbst, wie dass der Kern der Opposition diesem Korruptionssystem nicht erreichbar war. Immer deutlicher kam es zu Tage, wie tief die bestehende Verfassung im Volke Wurzel geschlagen hatte und wie wenig namentlich die dem unmittelbaren Parteitreiben ferner stehenden Kreise, vor allem die Landstaedte, der Monarchie geneigt oder auch nur bereit waren, sie ueber sich ergehen zu lassen. Haette Rom eine Repraesentativverfassung gehabt, so wuerde die Unzufriedenheit der Buergerschaft ihren natuerlichen Ausdruck in den Wahlen gefunden und, indem sie sich aussprach, sich gesteigert haben; unter den bestehenden Verhaeltnissen blieb den Verfassungstreuen nichts uebrig als dem Senat, der, herabgekommen wie er war, doch immer noch als Vertreter und Verfechter der legitimen Republik erschien, sich unterzuordnen. So kam es, dass der Senat, jetzt da er gestuerzt worden war, ploetzlich eine weit ansehnlichere und weit ernstlicher getreue Armee zu seiner Verfuegung fand, als da er in Macht und Glanz die Gracchen stuerzte und, geschirmt durch Sullas Saebel, den Staat restaurierte. Die Aristokratie empfand es; sie fing wieder an sich zu regen. Eben jetzt hatte Marcus Cicero, nachdem er sich verpflichtet hatte, den Gehorsam im Senat sich anzuschliessen und nicht bloss keine Opposition zu machen, sondern nach Kraeften fuer die Machthaber zu wirken, von denselben die Erlaubnis zur Rueckkehr erhalten. Obwohl Pompeius der Oligarchie hiermit nur beilaeufig eine Konzession machte und vor allem dem Clodius einen Possen zu spielen, demnaechst ein durch hinreichende Schlaege geschmeidigtes Werkzeug in dem redefertigen Konsular zu erwerben bedacht war, so nahm man doch die Gelegenheit wahr, wie Ciceros Verbannung eine Demonstration gegen den Senat gewesen war, so seine Rueckkehr zu republikanischen Demonstrationen zu benutzen. In moeglichst feierlicher Weise, uebrigens gegen die Clodianer durch die Bande des Titus Annius Milo geschuetzt, brachten beide Konsuln nach vorgaengigem Senatsbeschluss einen Antrag an die Buergerschaft, dem Konsular Cicero die Rueckkehr zu gestatten, und der Senat rief saemtliche verfassungstreue Buerger auf, bei der Abstimmung nicht zu fehlen. Wirklich versammelte sich am Tage der Abstimmung (4. August 697 57) in Rom namentlich aus den Landstaedten eine ungewoehnliche Anzahl achtbarer Maenner. Die Reise des Konsulars von Brundisium nach der Hauptstadt gab Gelegenheit zu einer Reihe aehnlicher, nicht minder glaenzender Manifestationen der oeffentlichen Meinung. Das neue Buendnis zwischen dem Senat und der verfassungstreuen Buergerschaft ward bei dieser Gelegenheit gleichsam oeffentlich bekannt gemacht und eine Art Revue ueber die letztere gehalten, deren ueberraschend guenstiges Ergebnis nicht wenig dazu beitrug, den gesunkenen Mut der Aristokratie wiederaufzurichten. Pompeius’ Hilflosigkeit gegenueber diesen trotzigen Demonstrationen sowie die unwuerdige und beinahe laecherliche Stellung, in die er Clodius gegenueber geraten war, brachten ihn und die Koalition um ihren Kredit; und die Fraktion des Senats, welche derselben anhing, durch Pompeius’ seltene Ungeschicklichkeit demoralisiert und ratlos sich selber ueberlassen, konnte nicht verhindern, dass in dem Kollegium die republikanischaristokratische Partei wieder voellig die Oberhand gewann. Das Spiel dieser stand in der Tat damals - 697 (57) - fuer einen mutigen und geschickten Spieler noch keineswegs verzweifelt. Sie hatte jetzt, was sie seit einem Jahrhundert nicht gehabt, festen Rueckhalt in dem Volke; vertraute sie diesem und sich selber, so konnte sie auf dem kuerzesten und ehrenvollsten Wege zum Ziel gelangen. Warum nicht die Machthaber mit offenem Visier angreifen? Warum kassierte nicht ein entschlossener und namhafter Mann an der Spitze des Senats die ausserordentlichen Gewalten als verfassungswidrig und rief die saemtlichen Republikaner Italiens gegen die Tyrannen und deren Anhang unter die Waffen? Moeglich war es wohl, auf diesem Wege die Senatsherrschaft noch einmal zu restaurieren. Allerdings spielten die Republikaner damit hohes Spiel; aber vielleicht waere auch hier, wie so oft, der mutigste Entschluss zugleich der kluegste gewesen. Nur freilich war die schlaffe Aristokratie dieser Zeit eines solchen einfachen und mutigen Entschlusses kaum noch faehig. Aber es gab einen anderen, vielleicht sichereren, auf jeden Fall der Art und Natur dieser Verfassungsgetreuen angemesseneren Weg: sie konnten darauf hinarbeiten, die beiden Machthaber zu entzweien und durch diese Entzweiung schliesslich selber ans Ruder zu gelangen. Das Verhaeltnis der den Staat beherrschenden Maenner hatte sich verschoben und gelockert, seit Caesar uebermaechtig neben Pompeius sich gestellt und diesen genoetigt hatte, um eine neue Machtstellung zu werben; es war wahrscheinlich, dass, wenn er dieselbe erlangte, es damit auf die eine oder die andere Weise zwischen ihnen zum Bruch und zum Kampfe kam. Blieb in diesem Pompeius allein, so war seine Niederlage kaum zweifelhaft, und die Verfassungspartei fand in diesem Fall nach beendigtem Kampfe nur statt unter der Zwei-, sich unter der Einherrschaft. Allein, wenn die Nobilitaet gegen Caesar dasselbe Mittel wandte, durch das dieser seine bisherigen Siege erfochten hatte, und mit dem schwaecheren Nebenbuhler in Buendnis trat, so blieb mit einem Feldherrn wie Pompeius, mit einem Heere wie das der Verfassungstreuen war, der Sieg wahrscheinlich diesen; nach dem Siege aber mit Pompeius fertig zu werden, konnte, nach den Beweisen von politischer Unfaehigkeit, die derselbe zeither gegeben, nicht als eine besonders schwierige Aufgabe erscheinen. Die Dinge hatten sich dahin gewandt, eine Verstaendigung zwischen Pompeius und der republikanischen Partei beiden nahezulegen; ob es zu einer solchen Annaeherung kommen und wie ueberhaupt das voellig unklar gewordene Verhaeltnis der beiden Machthaber und der Aristokratie gegeneinander zunaechst sich stellen werde, musste sich entscheiden, als im Herbst 697 (57) Pompeius mit dem Antrag an den Senat ging, ihn mit einer ausserordentlichen Amtsgewalt zu betrauen. Er knuepfte wieder an an das, wodurch er elf Jahre zuvor seine Macht begruendet hatte: an die Brotpreise in der Hauptstadt, die ebendamals wie vor dem Gabinischen Gesetz eine drueckende Hoehe erreicht hatten. Ob sie durch besondere Machinationen hinaufgetrieben worden waren, wie deren Clodius bald dem Pompeius, bald dem Cicero und diese wieder jenem Schuld gaben, laesst sich nicht entscheiden; die fortdauernde Piraterie, die Leere des oeffentlichen Schatzes und die laessige und unordentliche Ueberwachung der Kornzufuhr durch die Regierung reichten uebrigens auch ohne politischen Kornwucher an sich schon vollkommen aus, um in einer fast lediglich auf ueberseeische Zufuhr angewiesenen Grossstadt Brotteuerungen herbeizufuehren. Pompeius’ Plan war, sich vom Senat die Oberaufsicht ueber das Getreidewesen im ganzen Umfang des Roemischen Reiches und zu diesem Endzwecke teils das unbeschraenkte Verfuegungsrecht ueber die roemische Staatskasse, teils Heer und Flotte uebertragen zu lassen, sowie ein Kommando, welches nicht bloss ueber das ganze Roemische Reich sich erstreckte, sondern dem auch in jeder Provinz das des Statthalters wich - kurz, er beabsichtigte, eine verbesserte Auflage des Gabinischen Gesetzes zu veranstalten, woran sich sodann die Fuehrung des eben damals schwebenden Aegyptischen Krieges ebenso von selbst angeschlossen haben wuerde wie die des Mithradatischen an die Razzia gegen die Piraten. Wie sehr auch die Opposition gegen die neuen Dynasten in den letzten Jahren Boden gewonnen hatte, es stand dennoch, als diese Angelegenheit im September 697 (57) im Senat zur Verhandlung kam, die Majoritaet desselben noch unter dem Bann des von Caesar erregten Schreckens. Gehorsam nahm sie den Vorschlag im Prinzip an, und zwar auf Antrag des Marcus Cicero, der hier den ersten Beweis der in der Verbannung gelernten Fuegsamkeit geben sollte und gab. Allein bei der Feststellung der Modalitaeten wurden von dem urspruenglichen Plane, den der Volkstribun Gaius Messius vorlegte, doch sehr wesentliche Stuecke abgedungen. Pompeius erhielt weder freie Verfuegung ueber das Aerar, noch eigene Legionen und Schiffe, noch auch eine der der Statthalter uebergeordnete Gewalt, sondern man begnuegte sich, ihm zum Behuf der Ordnung des hauptstaedtischen Verpflegungswesens ansehnliche Summen, fuenfzehn Adjutanten und in allen Verpflegungsangelegenheiten volle prokonsularische Gewalt im ganzen roemischen Gebiet auf die naechsten fuenf Jahre zu bewilligen und dies Dekret von der Buergerschaft bestaetigen zu lassen. Es waren sehr mannigfaltige Ursachen, welche diese, fast einer Ablehnung gleichkommende Abaenderung des urspruenglichen Planes herbeifuehrten: die Ruecksicht auf Caesar, dem in Gallien selbst seinen Kollegen nicht bloss neben-, sondern ueberzuordnen eben die Furchtsamsten am meisten Bedenken tragen mussten; die versteckte Opposition von Pompeius’ Erbfeind und widerwilligem Bundesgenossen Crassus, dem Pompeius selber zunaechst das Scheitern seines Planes beimass oder beizumessen vorgab; die Antipathien der republikanischen Opposition im Senat gegen jeden die Gewalt der Machthaber der Sache oder auch nur dem Namen nach erweiternden Beschluss; endlich und zunaechst die eigene Unfaehigkeit des Pompeius, der, selbst nachdem er hatte handeln muessen, es nicht ueber sich gewinnen konnte, zum Handeln sich zu bekennen, sondern wie immer seine wahre Absicht gleichsam im Inkognito durch seine Freunde vorfuehren liess, selber aber in bekannter Bescheidenheit erklaerte, auch mit Geringerem sich begnuegen zu wollen. Kein Wunder, dass man ihn beim Worte nahm und ihm das Geringere gab. Pompeius war nichtsdestoweniger froh, wenigstens eine ernstliche Taetigkeit und vor allen Dingen einen schicklichen Vorwand gefunden zu haben, um die Hauptstadt zu verlassen; es gelang ihm auch, freilich nicht ohne dass die Provinzen den Rueckschlag schwer empfanden, dieselbe mit reichlicher und billiger Zufuhr zu versehen. Aber seinen eigentlichen Zweck hatte er verfehlt; der Prokonsulartitel, den er berechtigt war in allen Provinzen zu fuehren, blieb ein leerer Name, solange er nicht ueber eigene Truppen verfuegte. Darum liess er bald darauf den zweiten Antrag an den Senat gelangen, dass derselbe ihm den Auftrag erteilen moege, den vertriebenen Koenig von Aegypten, wenn noetig mit Waffengewalt, in seine Heimat zurueckzufuehren. Allein je mehr es offenbar ward, wie dringend er des Senats bedurfte, desto weniger nachgiebig und weniger ruecksichtsvoll nahmen die Senatoren sein Anliegen auf. Zunaechst ward in den Sibyllinischen Orakeln entdeckt, dass es gottlos sei, ein roemisches Heer nach Aegypten zu senden; worauf der fromme Senat fast einstimmig beschloss, von der bewaffneten Intervention abzustehen. Pompeius war bereits so gedemuetigt, dass er auch ohne Heer die Sendung angenommen haben wuerde; allein in seiner unverbesserlichen Hinterhaeltigkeit liess er auch dies nur durch seine Freunde erklaeren und sprach und stimmte fuer die Absendung eines anderen Senators. Natuerlich wies der Senat jenen Vorschlag zurueck, der ein dem Vaterlande so kostbares Leben freventlich preisgab, und das schliessliche Ergebnis der endlosen Verhandlungen war der Beschluss, ueberhaupt in Aegypten nicht zu intervenieren (Januar 698 56). Diese wiederholten Zurueckweisungen, die Pompeius im Senat erfuhr und, was schlimmer war, hingehen lassen musste, ohne sie wettzumachen, galten natuerlich, mochten sie kommen von welcher Seite sie wollten, dem grossen Publikum als ebensoviele Siege der Republikaner und Niederlagen der Machthaber ueberhaupt; die Flut der republikanischen Opposition war demgemaess im stetigen Steigen. Schon die Wahlen fuer 698 (56) waren nur zum Teil im Sinne der Dynasten ausgefallen: Caesars Kandidaten fuer die Praetur, Publius Vatinius und Gaius Alfius, waren durchgegangen, dagegen zwei entschiedene Anhaenger der gestuerzten Regierung, Gnaeus Lentulus Marcellinus und Gnaeus Domitius Calvinus, jener zum Konsul, dieser zum Praetor gewaehlt worden. Fuer 699 (55) aber war als Bewerber um das Konsulat gar Lucius Domitius Ahenobarbus aufgetreten, dessen Wahl bei seinem Einfluss in der Hauptstadt und seinem kolossalen Vermoegen schwer zu verhindern und von dem es hinreichend bekannt war, dass er sich nicht an verdeckter Opposition werde genuegen lassen. Die Komitien also rebellierten; und der Senat stimmte ein. Es ward feierlich von ihm geratschlagt ueber ein Gutachten, das etruskische Wahrsager von anerkannter Weisheit ueber gewisse Zeichen und Wunder auf Verlangen des Senats abgegeben hatten. Die himmlische Offenbarung verkuendete, dass durch den Zwist der hoeheren Staende die ganze Gewalt ueber Heer und Schatz auf einen Gebieter ueberzugehen und der Staat in Unfreiheit zu geraten drohe - es schien, dass die Goetter zunaechst auf den Antrag des Gaius Messius zielten. Bald stiegen die Republikaner vom Himmel auf die Erde herab. Das Gesetz ueber das Gebiet von Capua und die uebrigen von Caesar als Konsul erlassenen Gesetze waren von ihnen stets als nichtig bezeichnet, und schon im Dezember 697 (57) im Senat geaeussert worden, dass es erforderlich sei, sie wegen ihrer Formfehler zu kassieren. Am 6. April 698 (56) stellte der Konsular Cicero im vollen Senat den Antrag, die Beratung ueber die kampanische Ackerverteilung fuer den 15. Mai auf die Tagesordnung zu setzen. Es war die foermliche Kriegserklaerung; und sie war um so bezeichnender, als sie aus dem Munde eines jener Maenner kam, die nur dann ihre Farbe zeigen, wenn sie meinen, es mit Sicherheit tun zu koennen. Offenbar hielt die Aristokratie den Augenblick gekommen, um den Kampf nicht mit Pompeius gegen Caesar, sondern gegen die Tyrannis ueberhaupt zu beginnen. Was weiter folgen werde, war leicht zu sehen. Domitius hatte es kein Hehl, dass er als Konsul Caesars sofortige Abberufung aus Gallien bei der Buergerschaft zu beantragen beabsichtige. Eine aristokratische Restauration war im Werke; und mit dem Angriff auf die Kolonie Capua warf die Nobilitaet den Machthabern den Handschuh hin. Caesar, obwohl er ueber die hauptstaedtischen Ereignisse von Tag zu Tag detaillierte Berichte empfing und, wenn die militaerischen Ruecksichten es irgend erlaubten, sie von seiner Suedprovinz aus in moeglichster Naehe verfolgte, hatte doch bisher sichtbar wenigstens nicht in dieselben eingegriffen. Aber jetzt hatte man ihm so gut wie seinen Kollegen, ja ihm vornehmlich, den Krieg erklaert, er musste handeln und handelte rasch. Eben befand er sich in der Naehe; die Aristokratie hatte nicht einmal fuer gut befunden, mit dem Bruche zu warten, bis er wieder ueber die Alpen zurueckgegangen sein wuerde. Anfang April 698 (56) verliess Crassus die Hauptstadt, um mit seinem maechtigeren Kollegen das Erforderliche zu verabreden; er fand Caesar in Ravenna. Von da aus begaben beide sich nach Luca und hier traf auch Pompeius mit ihnen zusammen, der bald nach Crassus (11. April), angeblich um die Getreidesendungen aus Sardinien und Afrika zu betreiben, sich von Rom entfernt hatte. Die namhaftesten Anhaenger der Machthaber, wie der Prokonsul des diesseitigen Spaniens, Metellus Nepos, der Propraetor von Sardinien, Appius Claudius, und viele andere, folgten ihnen nach; hundertundzwanzig Liktoren, ueber zweihundert Senatoren zaehlte man auf dieser Konferenz, wo bereits, im Gegensatz zu dem republikanischen, der neue monarchische Senat repraesentiert war. In jeder Hinsicht stand das entscheidende Wort bei Caesar. Er benutzte es, um die bestehende Gesamtherrschaft auf einer neuen Basis gleichmaessigerer Machtverteilung wiederherzustellen und fester zu gruenden. Die militaerisch bedeutendsten Statthalterschaften, die es neben der der beiden Gallien gab, wurden den zwei Kollegen zugestanden: Pompeius die beider Spanien, Crassus die von Syrien, welche Aemter ihnen durch Volksschluss auf fuenf Jahre (700-704 54- 50) gesichert und militaerisch wie finanziell angemessen ausgestattet werden sollten. Dagegen bedang Caesar sich die Verlaengerung seines Kommandos, das mit dem Jahre 700 (54) zu Ende lief, bis zum Schluss des Jahres 705 (49) aus, sowie die Befugnis, seine Legionen auf zehn zu vermehren und die Uebernahme des Soldes fuer die eigenmaechtig von ihm ausgehobenen Truppen auf die Staatskasse. Pompeius und Crassus ward ferner fuer das naechste Jahr (699 55), bevor sie in ihre Statthalterschaften abgingen, das zweite Konsulat zugesagt, waehrend Caesar es sich offen hielt, gleich nach Beendigung seiner Statthalterschaft im Jahre 706 (48), wo das gesetzlich zwischen zwei Konsulaten erforderliche zehnjaehrige Intervall fuer ihn verstrichen war, zum zweitenmal das hoechste Amt zu verwalten. Den militaerischen Rueckhalt, dessen Pompeius und Crassus zur Regulierung der hauptstaedtischen Verhaeltnisse um so mehr bedurften, als die urspruenglich hierzu bestimmten Legionen Caesars jetzt aus dem Transalpinischen Gallien nicht weggezogen werden konnten, fanden sie in den Legionen, die sie fuer die spanischen und syrischen Armeen neu ausheben und erst, wenn es ihnen selber angemessen schiene, von Italien aus an ihre verschiedenen Bestimmungsplaetze abgehen lassen sollten. Die Hauptfragen waren damit erledigt; die untergeordneten Dinge, wie die Festsetzung der gegen die hauptstaedtische Opposition zu befolgenden Taktik, die Regulierung der Kandidaturen fuer die naechsten Jahre und dergleichen mehr, hielten nicht lange auf. Die persoenlichen Zwistigkeiten, die dem Vertraegnis im Wege standen, schlichtete der grosse Meister der Vermittlung mit gewohnter Leichtigkeit und zwang die widerstrebenden Elemente, sich miteinander zu behaben. Zwischen Pompeius und Crassus ward aeusserlich wenigstens ein kollegialisches Einvernehmen wiederhergestellt. Sogar Publius Clodius ward bestimmt, sich und seine Meute ruhig zu halten und Pompeius nicht ferner zu belaestigen - keine der geringsten Wundertaten des maechtigen Zauberers. Dass diese ganze Schlichtung der schwebenden Fragen nicht aus einem Kompromiss selbstaendiger und ebenbuertig rivalisierender Machthaber, sondern lediglich aus dem guten Willen Caesars hervorging, zeigen die Verhaeltnisse. Pompeius befand sich in Luca in der peinlichen Lage eines machtlosen Fluechtlings, welcher kommt, bei seinem Gegner Hilfe zu erbitten. Mochte Caesar ihn zurueckweisen und die Koalition als geloest erklaeren oder auch ihn aufnehmen und den Bund fortbestehen lassen, wie er eben war - Pompeius war sowieso politisch vernichtet. Wenn er in diesem Fall mit Caesar nicht brach, so war er der machtlose Schutzbefohlene seines Verbuendeten. Wenn er dagegen mit Caesar brach und, was nicht gerade wahrscheinlich war, noch jetzt eine Koalition mit der Aristokratie zustande brachte, so war doch auch dieses notgedrungen und im letzten Augenblick abgeschlossene Buendnis der Gegner so wenig furchtbar, dass Caesar schwerlich, um dies abzuwenden, sich zu jenen Konzessionen verstanden hat. Eine ernstliche Rivalitaet des Crassus Caesar gegenueber war vollends unmoeglich. Es ist schwer zu sage., welche Motive Caesar bestimmten, seine ueberlegene Stellung ohne Not aufzugeben und, was er seinem Nebenbuhler selbst bei dem Abschluss des Bundes 694 (60) versagt und dieser seitdem, in der offenbaren Absicht gegen Caesar geruestet zu sein, auf verschiedenen Wegen ohne, ja gegen Caesars Willen vergeblich angestrebt hatte, das zweite Konsulat und die militaerische Macht, jetzt freiwillig ihm einzuraeumen. Allerdings ward nicht Pompeius allein an die Spitze eines Heeres gestellt, sondern auch sein alter Feind und Caesars langjaehriger Verbuendeter Crassus; und unzweifelhaft erhielt Crassus seine ansehnliche militaerische Stellung nur als Gegengewicht gegen Pompeius’ neue Macht. Allein nichtsdestoweniger verlor Caesar unendlich, indem sein Rival fuer seine bisherige Machtlosigkeit ein bedeutendes Kommando eintauschte. Es ist moeglich, dass Caesar sich seiner Soldaten noch nicht hinreichend Herr fuehlte, um sie mit Zuversicht in den Krieg gegen die formellen Autoritaeten des Landes zu fuehren, und darum ihm daran gelegen war, nicht jetzt durch die Abberufung aus Gallien zum Buergerkrieg gedraengt zu werden; allein ob es zum Buergerkriege kam oder nicht, stand augenblicklich weit mehr bei der hauptstaedtischen Aristokratie als bei Pompeius, und es waere dies hoechstens ein Grund fuer Caesar gewesen, nicht offen mit Pompeius zu brechen, um nicht durch diesen Bruch die Opposition zu ermutigen, nicht aber ihm das zuzugestehen, was er ihm zugestand. Rein persoenliche Motive mochten mitwirken; es kann sein, dass Caesar sich erinnerte, einstmals in gleicher Machtlosigkeit Pompeius gegenuebergestanden zu haben und nur durch dessen freilich mehr schwachals grossmuetiges Zuruecktreten vom Untergang gerettet worden zu sein; es ist wahrscheinlich, dass Caesar sich scheute, das Herz seiner geliebten und ihren Gemahl aufrichtig liebenden Tochter zu zerreissen - in seiner Seele war fuer vieles Raum noch neben dem Staatsmann. Allein die entscheidende Ursache war unzweifelhaft die Ruecksicht auf Gallien. Caesar betrachtete - anders als seine Biographen - die Unterwerfung Galliens nicht als eine zur Gewinnung der Krone ihm nuetzliche beilaeufige Unternehmung, sondern es hing ihm die aeusserliche Sicherheit und die innere Reorganisation, mit einem Worte, die Zukunft des Vaterlandes daran. Um diese Eroberung ungestoert vollenden zu koennen und nicht gleich jetzt die Entwirrung der italischen Verhaeltnisse in die Hand nehmen zu muessen, gab er unbedenklich seine Ueberlegenheit ueber seinen Rivalen daran und gewaehrte Pompeius hinreichende Macht, um mit dem Senat und dessen Anhang fertigzuwerden. Es war das ein arger politischer Fehler, wenn Caesar nichts wollte, als moeglichst rasch Koenig von Rom werden; allein der Ehrgeiz des seltenen Mannes beschraenkte sich nicht auf das niedrige Ziel einer Krone. Er traute es sich zu, die beiden ungeheuren Arbeiten: die Ordnung der inneren Verhaeltnisse Italiens und die Gewinnung und Sicherung eines neuen und frischen Bodens fuer die italische Zivilisation, nebeneinander zu betreiben und zu vollenden. Natuerlich kreuzten sich diese Aufgaben; seine gallischen Eroberungen haben ihn auf seinem Wege zum Thron viel mehr noch gehemmt als gefoerdert. Es trug ihm bittere Fruechte, dass er die italische Revolution, statt sie im Jahre 698 (56) zu erledigen, auf das Jahr 706 (48) hinausschob. Allein als Staatsmann wie als Feldherr war Caesar ein ueberverwegener Spieler, der, sich selber vertrauend wie seine Gegner verachtend, ihnen immer viel und mitunter ueber alles Mass hinaus vorgab. Es war nun also an der Aristokratie, ihren hohen Einsatz gutzumachen und den Krieg so kuehn zu fuehren, wie sie kuehn ihn erklaert hatte. Allein es gibt kein klaeglicheres Schauspiel, als wenn feige Menschen das Unglueck haben, einen mutigen Entschluss zu fassen. Man hatte sich eben auf gar nichts vorgesehen. Keinem schien es beigefallen zu sein, dass Caesar moeglicherweise sich zur Wehr setzen, dass nun gar Pompeius und Crassus sich mit ihm aufs neue und enger als je vereinigen wuerden. Das scheint unglaublich; man begreift es, wenn man die Persoenlichkeiten ins Auge fasst, die damals die verfassungstreue Opposition im Senate fuehrten. Cato war noch abwesend ^2; der einflussreichste Mann im Senat war in dieser Zeit Marcus Bibulus, der Held des passiven Widerstandes, der eigensinnigste und stumpfsinnigste aller Konsulare. Man hatte die Waffen lediglich ergriffen, um sie zu strecken, sowie der Gegner nur an die Scheide schlug; die blosse Kunde von den Konferenzen in Luca genuegte, um jeden Gedanken einer ern
stlichen Opposition niederzuschlagen und die Masse der Aengstlichen, das heisst die ungeheure Majoritaet des Senats, wieder zu ihrer in ungluecklicher Stunde verlassenen Untertanenpflicht zurueckzubringen. Von der anberaumten Verhandlung zur Pruefung der Gueltigkeit der Julischen Gesetze war nicht weiter die Rede; die von Caesar auf eigene Hand errichteten Legionen wurden durch Beschluss des Senats auf die Staatskasse uebernommen; die Versuche, bei der Regulierung der naechsten Konsularprovinzen Caesar beide Gallien oder doch das eine derselben hinwegzudekretieren, wurden von der Majoritaet abgewiesen (Ende Mai 698 56). So tat die Koerperschaft oeffentlich Busse. Im geheimen kamen die einzelnen Herren, einer nach dem andern, toedlich erschrocken ueber ihre eigene Verwegenheit, um ihren Frieden zu machen und unbedingten Gehorsam zu geloben - keiner schneller als Marcus Cicero, der seine Wortbruechigkeit zu spaet bereute und hinsichtlich seiner juengsten Vergangenheit sich mit Ehrentiteln belegte, die durchaus mehr treffend als schmeichelhaft waren ^3. Natuerlich liessen die Machthaber sich beschwichtigen; man versagte keinem den Pardon, da keiner die Muehe lohnte, mit ihm eine Ausnahme zu machen. Um zu erkennen, wie ploetzlich nach dem Bekanntwerden der Beschluesse von Luca der Ton in den aristokratischen Kreisen umschlug, ist es der Muehe wert, die kurz zuvor von Cicero ausgegangenen Broschueren mit der Palinodie zu vergleichen, die er ausgehen liess, um seine Reue und seine guten Vorsaetze oeffentlich zu konstatieren ^4. --------------------------------------------- ^2 Cato war noch nicht in Rom, als Cicero am 11. Maerz 698 (56) fuer Sestius sprach (Sest. 28, 60) und als im Senat infolge der Beschluesse von Luca ueber Caesars Legionen verhandelt ward (Plut. Caes. 21); erst bei den Verhandlungen im Anfang 699 (55) finden wir ihn wieder taetig; und da er im Winter reiste (Plus. Cato min 38), kehrte er also Ende 698 (56) nach Rom zurueck. Er kann daher auch nicht, wie man missverstaendlich aus Asconius (p. 35, 53) gefolgert hat, im Februar 698 (56) verteidigt haben. ^3 Me asinum germanum fuisse (Art. 4, 5, 3). ^4 Diese Palinodie ist die noch vorhandene Rede ueber die den Konsuln des Jahres 699 (55) anzuweisenden Provinzen. Sie ist Ausgang Mai 698 (56) gehalten; die Gegenstuecke dazu sind die Reden fuer Sestius und gegen Vatinius und die ueber das Gutachten der etruskischen Wahrsager aus den Monaten Maerz und April, in denen das aristokratische Regime nach Kraeften verherrlicht und namentlich in sehr kavalierem Ton behandelt wird. Man kann es nur billigen, dass Cicero, wie er selbst gesteht (Att. 4, 5, 1), sogar vertrauten Freunden jenes Dokument seines wiedergekehrten Gehorsams zu uebersenden sich schaemte. ------------------------------------------ Wie es ihnen gefiel und gruendlicher als zuvor konnten also die Machthaber die italischen Verhaeltnisse ordnen. Italien und die Hauptstadt erhielten tatsaechlich eine, wenn auch nicht unter den Waffen versammelte Besatzung und einen der Machthaber zum Kommandanten. Von den fuer Syrien und Spanien durch Crassus und Pompeius ausgehobenen Truppen gingen zwar die ersteren nach dem Osten ab; allein Pompeius liess die beiden spanischen Provinzen durch seine Unterbefehlshaber mit der bisher dort stehenden Besatzung verwalten, waehrend er die Offiziere und Soldaten der neu, dem Namen nach zum Abgang nach Spanien ausgehobenen Legionen auf Urlaub entliess und selbst mit ihnen in Italien blieb. Wohl steigerte sich der stille Widerstand der oeffentlichen Meinung, je deutlicher und allgemeineres begriffen ward, dass die Machthaber daran arbeiteten, mit der alten Verfassung ein Ende zu machen und in moeglichst schonender Weise die bestehenden Verhaeltnisse der Regierung und Verwaltung in die Formen der Monarchie zu fuegen; allein man gehorchte, weil man musste. Vor allen Dingen wurden alle wichtigeren Angelegenheiten und namentlich alle das Militaerwesen und die aeusseren Verhaeltnisse betreffenden, ohne den Senat deswegen zu fragen, bald durch Volksbeschluss, bald durch das blosse Gutfinden der Herrscher erledigt. Die in Luca vereinbarten Bestimmungen hinsichtlich des Militaerkommandos von Gallien wurden durch Crassus und Pompeius, die Spanien und Syrien betreffenden durch den Volkstribun Gaius Trebonius unmittelbar an die Buergerschaft gebracht, auch sonst wichtigere Statthalterschaften haeufig durch Volksschluss besetzt. Dass fuer die Machthaber es der Einwilligung der Behoerden nicht beduerfe, um ihre Truppen beliebig zu vermehren, hatte Caesar bereits hinreichend dargetan; ebensowenig trugen sie Bedenken, ihre Truppen sich untereinander zu borgen, wie zum Beispiel Caesar von Pompeius fuer den Gallischen, Crassus von Caesar fuer den Parthischen Krieg solche kollegialische Unterstuetzung empfing. Die Transpadaner, denen nach der bestehenden Verfassung nur das latinische Recht zustand, wurden von Caesar waehrend seiner Verwaltung tatsaechlich als roemische Vollbuerger behandelt ^5. Wenn sonst die Einrichtung neu erworbener Gebiete durch eine Senatskommission beschafft worden war, so organisierte Caesar seine ausgedehnten gallischen Eroberungen durchaus nach eigenem Ermessen und gruendete zum Beispiel ohne jede weitere Vollmacht Buergerkolonien, namentlich Novum Comum (Como) mit fuenftausend Kolonisten. Piso fuehrte den Thrakischen, Gabinius den Aegyptischen, Crassus den Parthischen Krieg, ohne den Senat zu fragen, ja ohne auch nur, wie es herkoemmlich war, an den Senat zu berichten; in aehnlicher Weise wurden Triumphe und andere Ehrenbezeigungen bewilligt und vollzogen, ohne dass der Senat darum begruesst ward. Offenbar liegt hierin nicht eine blosse Vernachlaessigung der Formen, die um so weniger erklaerlich waere, als in den bei weitem meisten Faellen eine Opposition des Senats durchaus nicht zu erwarten war. Vielmehr war es die wohlberechnete Absicht, den Senat von dem militaerischen und dem Gebiet der hoeheren Politik zu verdraengen und seine Teilnahme an der Verwaltung auf die finanziellen Fragen und die inneren Angelegenheiten zu beschraenken; und auch die Gegner erkannten dies wohl und protestierten, soweit sie konnten, gegen dies Verfahren der Machthaber durch Senatsbeschluesse und Kriminalklagen. Waehrend die Machthaber also den Senat in der Hauptsache beiseite schoben, bedienten sie sich der minder gefaehrlichen Volksversammlungen auch ferner noch - es war dafuer gesorgt, dass die Herren der Strasse denen des Staats dabei keine Schwierigkeit mehr in den Weg legten; indes in vielen Faellen entledigte man sich auch dieses leeren Schemens und gebrauchte unverhohlen autokratische Formen. ---------------------------------------------- ^5 Ueberliefert ist dies nicht. Allein dass Caesar auf den latinischen Gemeinden, das heisst aus dem bei weitem groesseren Teil seiner Provinz ueberhaupt keine Soldaten ausgehoben hat, ist an sich schon voellig unglaublich und wird geradezu widerlegt dadurch, dass die Gegenpartei die von Caesar ausgehobene Mannschaft geringschaetzig bezeichnet als "groesstenteils aus den transpadanischen Kolonie* gebuertig" (Caes. civ. 3, 87); denn hier sind offenbar die launischen Kolonien Strabos (Ascon. Pis. p. 3; Suet. Caes. 8) gemeint. Von launischen Kohorten aber findet sich in Caesars gallischer Armee keine Spur; vielmehr sind nach seinen ausdruecklichen Angaben alle von ihm im Cisalpinischen Gallien ausgehobenen Rekruten den Legionen zuoder in Legionen eingeteilt worden. Es ist moeglich, dass Caesar mit der Aushebung die Schenkung des Buergerrechts verband; aber wahrscheinlicher hielt er vielmehr in dieser Angelegenheit den Standpunkt seiner Partei fest, welche den Transpadanern das roemische Buergerrecht nicht so sehr zu verschaffen suchte, als vielmehr es ansah, als ihnen schon gesetzlich zustehend. Nur so konnte sich das Geruecht verbreiten, dass Caesar von sich aus bei den transpadanischen Gemeinden roemische Munizipalverfassung eingefuehrt habe (Cic. Att. 5, 3, 2; ad fam. 8, 1 2). So erklaert es sich auch, warum Hirtius die transpadanischen Staedte als "Kolonien roemischer Buerger" bezeichnet (Gall. 8, 24) und warum Caesar die von ihm gegruendete Kolonie Comum als Buergerkolonie behandelte (Suet. Caes. 28; Strab. 5, 1 p. 213; Plut. Caes. 29), waehrend die gemaessigte Partei der Aristokratie ihr nur dasselbe Recht wie den uebrigen transpadanischen Gemeinden, also das launische, zugestand, die Ultras sogar das den Ansiedlern erteilte Stadtrecht ueberhaupt fuer nichtig erklaerten, also auch die an die Bekleidung eines launischen Munizipalamtes geknuepften Privilegien den Comensern nicht zugestanden (Cic. Att. 5, 11, 2; App. civ. 2, 26). Vgl. Hermes 16, 1880, S. 30. ------------------------------------------------- Der gedemuetigte Senat musste wohl oder uebel in seine Lage sich schicken. Der Fuehrer der gehorsamen Majoritaet blieb Marcus Cicero. Er war brauchbar wegen seines Advokatentalents, fuer alles Gruende oder doch Worte zu finden, und es lag eine echt Caesarische Ironie darin, den Mann, mittels dessen vorzugsweise die Aristokratie ihre Demonstrationen gegen die Machthaber aufgefuehrt hatte, als Mundstueck des Servilismus zu verwenden. Darum erteilte man ihm Verzeihung fuer sein kurzes Geluesten, wider den Stachel zu loecken, jedoch nicht ohne sich vorher seiner Unterwuerfigkeit in jeder Weise versichert zu haben. Gewissermassen um als Geisel fuer ihn zu haften, hatte sein Bruder einen Offizierposten im gallischen Heere uebernehmen muessen; ihn selbst hatte Pompeius genoetigt, eine Unterbefehlshaberstelle unter ihm anzunehmen, welche eine Handhabe hergab, um ihn jeden Augenblick mit Manier zu verbannen. Clodius war zwar angewiesen worden, ihn bis weiter in Ruhe zu lassen, aber Caesar liess ebensowenig um Ciceros willen den Clodius fallen wie den Cicero um des Clodius willen, und der grosse Vaterlandserretter wie der nicht minder grosse Freiheitsmann machten im Hauptquartier von Samarobriva sich eine Antichambrekonkurrenz, die gehoerig zu illustrieren es leider an einem roemischen Aristophanes gebrach. Aber nicht bloss ward dieselbe Rute ueber Ciceros Haupte schwebend erhalten, die ihn bereits einmal so schmerzlich getroffen hatte; auch goldene Fesseln wurden ihm angelegt. Bei seinen bedenklich verwickelten Finanzen waren ihm die zinsfreien Darlehen Caesars und die Mitaufseherschaft ueber die ungeheure Summen in Umlauf setzenden Bauten desselben in hohem Grade willkommen und manche unsterbliche Senatsrede erstickte in dem Gedanken an den Geschaeftstraeger Caesars, der nach dem Schluss der Sitzung ihm den Wechsel praesentieren moechte. Also gelobte er sich, "kuenftig nicht mehr nach Recht und Ehre zu fragen, sondern um die Gunst der Machthaber sich zu bemuehen" und "geschmeidig zu sein wie ein Ohrlaeppchen". Man brauchte ihn denn, wozu er gut war: als Advokaten, wo es vielfach sein Los war, eben seine bittersten Feinde auf hoeheren Befehl verteidigen zu muessen, und vor allem im Senat, wo er fast regelmaessig den Dynasten als Organ diente und die Antraege stellte, "denen andere wohl zustimmten, er aber selbst nicht"; ja als anerkannter Fuehrer der Majoritaet der Gehorsamen erlangte er sogar eine gewisse politische Bedeutung. In aehnlicher Weise wie mit Cicero verfuhr man mit den uebrigen der Furcht, der Schmeichelei oder dem Golde zugaenglichen Mitgliedern des regierenden Kollegiums, und es gelang, dasselbe im ganzen botmaessig zu erhalten. Allerdings blieb eine Fraktion von Gegnern, die wenigstens Farbe hielten und weder zu schrecken noch zu gewinnen waren. Die Machthaber hatten sich ueberzeugt, dass Ausnahmemassregeln, wie die gegen Cato und Cicero, der Sache mehr schadeten als nuetzten und dass es ein minderes Uebel sei, die unbequeme republikanische Opposition zu ertragen, als aus den Opponenten Maertyrer der Republik zu machen. Darum liess man es geschehen, dass Cato zurueckkam (Ende 698 56) und von da an wieder im Senat und auf dem Markte, oft unter Lebensgefahr, den Machthabern eine Opposition machte, die wohl ehrenwert, aber leider doch auch zugleich laecherlich war. Man liess es geschehen, dass er es bei Gelegenheit der Antraege des Trebonius auf dein Marktplatz wieder einmal bis zum Handgemenge trieb und dass er im Senat den Antrag stellte, den Prokonsul Caesar wegen seines treulosen Benehmens gegen die Usipeten und Tencterer diesen Barbaren auszuliefern. Man nahm es hin, dass Marcus Favonius, Catos Sancho, nachdem der Senat den Beschluss gefasst hatte, die Legionen Caesars auf die Staatskasse zu uebernehmen, zur Tuer der Kurie sprang und die Gefahr des Vaterlandes auf die Gasse hinausrief; dass derselbe in seiner skurrilen Art die weisse Binde, die Pompeius um sein krankes Bein trug, ein deplaziertes Diadem hiess; dass der Konsular Lentulus Marcellinus, da man ihm Beifall klatschte, der Versammlung zurief, sich dieses Rechts, ihre Meinung zu aeussern, jetzt ja fleissig zu bedienen, da es ihnen noch gestattet sei; dass der Volkstribun Gaius Ateius Capito den Crassus bei seinem Abzug nach Syrien in allen Formen damaliger Theologie oeffentlich den boesen Geistern ueberantwortete. Im ganzen waren dies eitle Demonstrationen einer verbissenen Minoritaet: doch war die kleine Partei, von der sie ausgingen, insofern von Bedeutung, als sie teils der im stillen gaerenden republikanischen Opposition Nahrung und Losung gab, teils ab und zu doch die Senatsmajoritaet, die ja im Grunde ganz dieselben Gesinnungen gegen die Machthaber hegte, zu einem gegen diese gerichteten Beschluss fortriss. Denn auch die Majoritaet fuehlte das Beduerfnis, wenigstens zuweilen und in untergeordneten Dingen ihrem verhaltenen Groll Luft zu machen und namentlich, nach der Weise der widerwillig Servilen, ihren Groll gegen die grossen Feinde wenigstens an den kleinen auszulassen. Wo es nur anging, ward den Werkzeugen der Machthaber ein leiser Fusstritt versetzt: so wurde Gabinius das erbetene Dankfest verweigert (698 56), so Piso aus der Provinz abberufen, so vom Senat Trauer angelegt, als der Volkstribun Gaius Cato die Wahlen fuer 699 (55) so lange hinderte, bis der der Verfassungspartei angehoerige Konsul Marcellinus vom Amt abgetreten war. Sogar Cicero, wie demuetig er immer vor den Machthabern sich neigte, liess doch auch eine ebenso giftige wie geschmacklose Broschuere gegen Caesars Schwiegervater ausgehen. Aber sowohl diese oppositionellen Velleitaeten der Senatsmajoritaet wie der resultatlose Widerstand der Minoritaet zeigen nur um so deutlicher, dass das Regiment, wie einst von der Buergerschaft auf den Senat, so jetzt von diesem auf die Machthaber uebergegangen und der Senat schon nicht viel mehr war als ein monarchischer, aber auch zur Absorbierung der antimonarchischen Elemente benutzter Staatsrat. "Kein Mensch", klagten die Anhaenger der gestuerzten Regierung, "gilt das mindeste ausser den dreien; die Herrscher sind allmaechtig und sie sorgen dafuer, dass keiner darueber im unklaren bleibe; der ganze Senat ist wie umgewandelt und gehorcht den Gebietern; unsere Generation wird einen Umschwung der Dinge nicht erleben." Man lebte eben nicht in der Republik, sondern in der Monarchie. Aber wenn ueber die Lenkung des Staats von den Machthabern unumschraenkt verfuegt ward, so blieb noch ein von dem eigentlichen Regiment gewissermassen abgesondertes politisches Gebiet, das leichter zu verteidigen und schwerer zu erobern war: das der ordentlichen Beamtenwahlen und das der Geschworenengerichte. Dass die letzteren nicht unmittelbar unter die Politik fallen, aber ueberall und vor allem in Rom von dem das Staatswesen beherrschenden Geiste mitbeherrscht werden, ist von selber klar. Die Wahlen der Beamten gehoerten allerdings von Rechts wegen zu dem eigentlichen Regiment des Staates; allein da in dieser Zeit derselbe wesentlich durch ausserordentliche Beamte oder auch ganz titellose Maenner verwaltet ward und selbst die hoechsten ordentlichen Beamten, wenn sie zu der antimonarchischen Partei gehoerten, auf die Staatsmaschine in irgend fuehlbarer Weise einzuwirken nicht vermochten, so sanken die ordentlichen Beamten mehr und mehr herab zu Figuranten, wie sich denn auch eben die oppositionellsten von ihnen geradezu und mit vollem Recht als machtlose Nullen bezeichneten, ihre Wahlen also zu Demonstrationen. So konnte, nachdem die Opposition von dem eigentlichen Schlachtfeld bereits gaenzlich verdraengt war, dennoch die Fehde noch in den Wahlen und den Prozessen fortgefuehrt werden. Die Machthaber sparten keine Muehe, um auch hier Sieger zu bleiben. Hinsichtlich der Wahlen hatten sie bereits in Luca fuer die naechsten Jahre die Kandidatenlisten untereinander festgestellt und liessen kein Mittel unversucht, um die dort vereinbarten Kandidaten durchzubringen. Zunaechst zum Zweck der Wahlagitation spendeten sie ihr Gold aus. Jaehrlich wurden aus Caesars und Pompeius’ Heeren eine grosse Anzahl Soldaten auf Urlaub entlassen, um an den Abstimmungen in Rom teilzunehmen. Caesar pflegte selbst von Oberitalien aus in moeglichster Naehe die Wahlbewegungen zu leiten und zu ueberwachen. Dennoch ward der Zweck nur sehr unvollkommen erreicht. Fuer 699 (55) wurden zwar, dem Vertrag von Luca entsprechend, Pompeius und Crassus zu Konsuln gewaehlt und der einzige ausharrende Kandidat der Opposition, Lucius Domitius, beseitigt; allein schon dies war nur durch offenbare Gewalt durchgesetzt worden, wobei Cato verwundet ward und andere hoechst aergerliche Auftritte vorfielen. In den naechsten Konsularwahlen fuer 700 (54) ward gar, allen Anstrengungen der Machthaber zum Trotz, Domitius wirklich gewaehlt, und auch Cato siegte jetzt ob in der Bewerbung um die Praetur, in der ihn das Jahr zuvor zum Aergernis der ganzen Buergerschaft Caesars Klient Vatinius aus dem Felde geschlagen hatte. Bei den Wahlen fuer 701 (53) gelang es der Opposition, unter andern Kandidaten auch die der Machthaber so unwidersprechlich der aergerlichsten Wahlumtriebe zu ueberweisen, dass diese, auf die der Skandal zurueckfiel, nicht anders konnten als sie fallen lassen. Diese wiederholten und argen Niederlagen der Dynasten auf dem Wahlschlachtfeld moegen zum Teil zurueckzufuehren sein auf die Unregierlichkeit der eingerosteten Maschinerie, die unberechenbaren Zufaelligkeiten des Wahlgeschaefts, die Gesinnungsopposition der Mittelklassen, die mancherlei hier eingreifenden und die Parteistellung oft seltsam durchkreuzenden Privatruecksichten; die Hauptursache aber liegt anderswo. Die Wahlen waren in dieser Zeit wesentlich in der Gewalt der verschiedenen Klubs, in die die Aristokratie sich gruppierte; das Bestechungswesen war von denselben im umfassendsten Massstab und mit groesster Ordnung organisiert. Dieselbe Aristokratie also, die im Senat vertreten war, beherrschte auch die Wahlen; aber wenn sie im Senat grollend nachgab, wirkte und stimmte sie hier im geheimen und vor jeder Rechenschaft sicher den Machthabern unbedingt entgegen. Dass durch das strenge Strafgesetz gegen die klubbistischen Wahlumtriebe, das Crassus als Konsul 699 (55) durch die Buergerschaft bestaetigen liess, der Einfluss der Nobilitaet auf diesem Felde keineswegs gebrochen ward, versteht sich von selbst und zeigen die Wahlen der naechsten Jahre. Ebensogrosse Schwierigkeiten machten den Machthabern die Geschworenengerichte. Bei ihrer dermaligen Zusammensetzung entschied in denselben, neben dem auch hier einflussreichen Senatsadel, vorwiegend die Mittelklasse. Die Festsetzung eines hochgegriffenen Geschworenenzensus durch ein von Pompeius 699 (55) beantragtes Gesetz ist ein bemerkenswerter Beweis dafuer, dass die Opposition gegen die Machthaber ihren Hauptsitz in dem eigentlichen Mittelstand hatte und die hohe Finanz hier wie ueberall sich gefuegiger erwies als dieser. Nichtsdestoweniger war der republikanischen Partei hier noch nicht aller Boden entzogen und sie ward nicht muede, mit politischen Kriminalanklagen, zwar nicht die Machthaber selbst, aber wohl deren hervorragende Werkzeuge zu verfolgen. Dieser Prozesskrieg ward um so lebhafter gefuehrt, als dem Herkommen gemaess das Anklagegeschaeft der senatorischen Jugend zukam und begreiflicherweise unter diesen Juenglingen mehr als unter den aelteren Standesgenossen noch republikanische Leidenschaft, frisches Talent und kecke Angriffslust zu finden war. Allerdings waren die Gerichte nicht frei; wenn die Machthaber Ernst machten, wagten sie so wenig wie der Senat den Gehorsam zu verweigern. Keiner von den Gegnern wurde von der Opposition mit so grimmigem, fast sprichwoertlich gewordenem Hasse verfolgt wie Vatinius, bei weitem der verwegenste und unbedenklichste unter den engeren Anhaengern Caesars; aber sein Herr befahl, und er ward in allen gegen ihn erhobenen Prozessen freigesprochen. Indes Anklagen von Maennern, die so wie Gaius Licinius Calvus und Gaius Asinius Pollio das Schwert der Dialektik und die Geissel des Spottes zu schwingen verstanden, verfehlten ihr Ziel selbst dann nicht, wenn sie scheiterten; und auch einzelne Erfolge blieben nicht aus. Meistens freilich wurden sie ueber untergeordnete Individuen davongetragen, allein auch einer der hoechstgestellten und verhasstesten Anhaenger der Dynasten, der Konsulat Gabinius, ward auf diesem Wege gestuerzt. Allerdings vereinigte mit dem unversoehnlichen Hass der Aristokratie, die ihm das Gesetz ueber die Fuehrung des Seeraeuberkrieges so wenig vergab wie die wegwerfende Behandlung des Senats waehrend seiner syrischen Statthalterschaft, sich gegen Gabinius die Wut der hohen Finanz, der gegenueber er als Statthalter Syriens es gewagt hatte, die Interessen der Provinzialen zu vertreten, und selbst der Groll des Crassus, dem er bei Uebergabe der Provinz Weitlaeufigkeiten gemacht hatte. Sein einziger Schutz gegen alle diese Feinde war Pompeius, und dieser hatte alle Ursache, seinen faehigsten, kecksten und treuesten Adjutanten um jeden Preis zu verteidigen; aber hier wie ueberall verstand er es nicht, seine Macht zu gebrauchen und seine Klienten so zu vertreten, wie Caesar die seinigen vertrat: Ende 700 (54) fanden die Geschworenen den Gabinius der Erpressungen schuldig und schickten ihn in die Verbannung. Im ganzen waren also auf dem Gebiete der Volkswahlen und der Geschworenengerichte es die Machthaber, welche den kuerzeren zogen. Die Faktoren, die darin herrschten, waren minder greifbar und darum schwerer zu terrorisieren oder zu korrumpieren als die unmittelbaren Organe der Regierung und Verwaltung. Die Gewalthaber stiessen hier, namentlich in den Volkswahlen, auf die zaehe Kraft der geschlossenen und in Koterien gruppierten Oligarchie, mit der man noch durchaus nicht fertig ist, wenn man ihr Regiment gestuerzt hat, und die um so schwerer zu brechen ist, je verdeckter sie auftritt. Sie stiessen hier ferner, namentlich in den Geschworenengerichten, auf den Widerwillen der Mittelklassen gegen das neue, monarchische Regiment, den mit allen daraus entspringenden Verlegenheiten sie ebensowenig zu beseitigen vermochten. Sie erlitten auf beiden Gebieten eine Reihe von Niederlagen, von denen die Wahlsiege der Opposition zwar nur den Wert von Demonstrationen hatten, da die Machthaber die Mittel besassen und gebrauchten, um jeden missliebigen Beamten tatsaechlich zu annullieren, die oppositionellen Kriminalverurteilungen aber in empfindlicher Weise sie brauchbarer Gehilfen beraubten. Wie die Dinge standen, vermochten die Machthaber die Volkswahlen und die Geschworenengerichte weder zu beseitigen noch ausreichend zu beherrschen, und die Opposition, wie sehr sie auch hier sich eingeengt fand, behauptete bis zu einem gewissen Grade doch den Kampfplatz. Noch schwieriger aber erwies es sich, der Opposition auf einem Felde zu begegnen, dem sie immer eifriger sich zuwandte, je mehr sie aus der unmittelbaren politischen Taetigkeit herausgedraengt ward. Es war dies die Literatur. Schon die gerichtliche Opposition war zugleich, ja, vor allem eine literarische, da die Reden regelmaessig veroeffentlicht wurden und als politische Flugschriften dienten. Rascher und schaerfer noch trafen die Pfeile der Poesie. Die lebhafte hocharistokratische Jugend, noch energischer vielleicht der gebildete Mittelstand in den italischen Landstaedten, fuehrten den Pamphletenund Epigrammenkrieg mit Eifer und Erfolg. Nebeneinander fochten auf diesem Felde der vornehme Senatorensohn Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48), der als Redner und Pamphletist ebenso wie als gewandter Dichter gefuerchtet war, und die Munizipalen von Cremona und Verona, Marcus Furius Bibaculus (652-691 102-63) und Quintus Valerius Catullus (667 bis ca. 700 87-54), deren elegante und beissende Epigramme pfeilschnell durch Italien flogen und sicher ihr Ziel trafen. Durchaus herrscht in der Literatur dieser Jahre der oppositionelle Ton. Sie ist voll von grimmigem Hohn gegen den "grossen Caesar", "den einzigen Feldherrn", gegen den liebevollen Schwiegervater und Schwiegersohn, welche den ganzen Erdkreis zugrunde richten, um ihren verlotterten Guenstlingen Gelegenheit zu geben, die Spolien der langhaarigen Kelten durch die Strassen Roms zu paradieren, mit der Beute der fernsten Insel des Westens koenigliche Schmaeuse auszurichten und als goldregnende Konkurrenten die ehrlichen Jungen daheim bei ihren Maedchen auszustechen. Es ist in den Catullischen Gedichten ^6 und den sonstigen Truemmern der Literatur dieser Zeit etwas von jener Genialitaet des persoenlich-politischen Hasses, von jener in rasender Lust oder ernster Verzweiflung ueberschaeumenden republikanischen Agonie, wie sie in maechtigerer Weise hervortreten in Aristophanes und Demosthenes. Wenigstens der einsichtigste der drei Herrscher erkannte es wohl, dass es ebenso unmoeglich war, diese Opposition zu verachten wie durch Machtbefehl sie zu unterdruecken. Soweit er konnte, versuchte Caesar vielmehr die namhaftesten Schriftsteller persoenlich zu gewinnen. Schon Cicero hatte die ruecksichtsvolle Behandlung, die er vorzugsweise von Caesar erfuhr, zum guten Teil seinem literarischen Ruf zu danken; aber der Statthalter Galliens verschmaehte es nicht, selbst mit jenem Catullus durch Vermittlung seines in Verona ihm persoenlich bekannt gewordenen Vaters einen Spezialfrieden zu schliessen; der junge Dichter, der den maechtigen General eben mit den bittersten und persoenlichsten Sarkasmen ueberschuettet hatte, ward von demselben mit der schmeichelhaftesten Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch genug, um seinen literarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen und als indirekte Abwehr vielfaeltiger Angriffe einen ausfuehrlichen Gesamtbericht ueber die gallischen Kriege zu veroeffentlichen, welcher die Notwendigkeit und Verfassungsmaessigkeit seiner Kriegfuehrung mit gluecklich angenommener Naivitaet vor dem Publikum entwickelte. Allein poetisch und schoepferisch ist nun einmal unbedingt und ausschliesslich die Freiheit; sie, und sie allein, vermag es, noch in der elendesten Karikatur, noch mit ihrem letzten Atemzug frische Naturen zu begeistern. Alle tuechtigen Elemente der Literatur waren und blieben antimonarchisch, und wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen durfte ohne zu scheitern, so war der Grund doch nur, dass er selbst sogar jetzt noch den grossartigen Traum eines freien Gemeinwesens im Sinne trug, den er freilich weder auf seine Gegner noch auf seine Anhaenger zu uebertragen vermochte. Die praktische Politik ward nicht unbedingter von den Machthabern beherrscht als die Literatur von den Republikanern ^7. ----------------------------------------- ^6 Die uns aufbehaltene Sammlung ist voll von Beziehungen auf die Ereignisse der Jahre 699 (55) und 700 (54) und ward ohne Zweifel in dem letzteren bekannt gemacht; der juengste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist der Prozess des Vatinius (August 700 54). Hieronymus’ Angabe, dass Catullus 697/98 (57/56) gestorben, braucht also nur um wenige Jahre verschoben zu sein. Daraus, dass Vatinius bei "seinem Konsulat sich verschwoert", hat man mit Unrecht geschlossen, dass die Sammlung erst nach Vatinius’ Konsulat (707 47) erschienen ist; es folgt daraus nur, dass Vatinius, als sie erschien, schon darauf rechnen durfte, in einem bestimmten Jahre Konsul zu werden, wozu er bereits 700 (54) alle Ursache hatte; denn sicher stand sein Name mit auf der in Luca vereinbarten Kandidatenliste (Cic. Art. 4, 8 b, 2). ^7 Das folgende Gedicht Catulls (29) ist im Jahre 699 (53) oder 700 (54), nach Caesars britannischer Expedition und vor dem Tode der Julia, geschrieben. Wer kann es ansehn, wer vermag es auszustehn, Wer nicht ein Bock, ein Spieler oder Schlemmer ist, Dass jetzt Mamurra sein nennt das, was einst besass Der Langhaarkelten und der fernen Briten Land? Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu? Der also soll in Uebermut und salbenschwer , Als suesser Schnabelierer, als Adonis nun Hier ziehn in aller unsrer Maedchen Zimmer ein? Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu? Ein Schlemmer bist du, bist ein Spieler, bist ein Bock! Drum also uebersetztest, einziger General, Zum fernstentlegnen Eiland du des Okzidents, Damit hier euer ausgedienter Zeitvertreib Zwei Millionen koenne oder drei vertun? Was heisst verkehrt freigebig sein, wenn dieses nicht? Hat nicht genug schon er verdorben und verprasst? Zuerst verlottert ward das vaeterliche Gut, Sodann des Pontus Beute, dann Iberiens, Davon des Tajo goldbeschwerte Welle weiss. Den fuerchtet, ihr Britanner; Kelten, fuerchtet den! Was heget ihr den Lumpen, welcher gar nichts als Ein fettes Erbe durch die Gurgel jagen kann? Drum also ruiniertet ihr der Erde Kreis, Ihr liebevollen Schwiegervater-Schwiegersohn? Mamurra aus Formiae, Caesars Guenstling und eine Zeitlang waehrend der gallischen Kriege Offizier in dessen Heer, war, vermutlich kurz vor Abfassung dieses Gedichts, nach der Hauptstadt zurueckgekehrt und wahrscheinlich damals beschaeftigt mit dem Bau seines vielbesprochenen, mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Marmorpalastes auf dem Caelischen Berge. Die iberische Beute wird sich auf Caesars Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien beziehen und Mamurra schon damals, wie sicher spaeter in Gallien, in seinem Hauptquartier sich befunden haben; das pontische geht vermutlich auf Pompeius’ Krieg gegen Mithradates, da zumal. nach der Andeutung des Dichters nicht bloss Caesar den Mamurra bereichert hat. Unschuldiger als diese giftige, von Caesar bitter empfundene Invektive (Suet. Caes. 73) ist ein anderes, ungefaehr gleichzeitiges Gedicht desselben Poeten (11), das hier auch stehen mag, weil es mit seiner pathetischen Einleitung zu einer nichts weniger als pathetischen Kommission den Generalstab der neuen Machthaber, die aus der Spelunke ploetzlich ins Hauptquartier avancierten Gabinius, Antonius und wie sie weiter heissen, sehr artig persifliert. Man erinnere sich, dass es in einer Zeit geschrieben ward, wo Caesar am Rhein und an der Themse kaempfte und wo die Expeditionen des Crassus nach Parthien, des Gabinius nach Aegypten vorbereitet wurden. Der Dichter, gleichsam auch von einem der Machthaber einen der vakanten Posten erhoffend, gibt zweien seiner Klienten die letzten Auftraege vor der Abreise: Furius und Aurelius, Adjutanten Ihr Catulls, mag ziehn er an Indiens Ende, Wo des Ostmeers brandende Welle weithin Hallend den Strand schlaegt, Oder nach Hyrkanien und Arabien, In der pfeilfroh’n Parther Gebiet und Saker Oder wo den Spiegel des Meers der siebenfaeltige Nil faerbt; Oder fuehrt sein Weg ihn die Alpen ueber, Wo den Malstein setzte der grosse Caesar, Wo der Rhein fliesst und an dem Erdrand hausen Wilde Britanner - Ihr, bereit, all das mit Catullus, was ihm Goetterratsschluss davon bestimmt, zu teilen, Meinem Schatz noch bringet zuvor die kurze Leidige Botschaft! Mag sie stehn und gehen mit ihren Maennern, Welche sie dreihundert zugleich umarmt haelt, Keinem treulieb, aber zu jeder Stunde Jedem zu Willen. Nicht wie sonst nachblickte sie meiner Liebe, Die geknickt mutwillig sie, gleich dem Veilchen, Das entlang am Saume des Ackers wandelnd Streifte die Pflugschar. ------------------------------------------- Es ward noetig, gegen diese zwar machtlose, aber immer laestiger und dreister werdende Opposition mit Ernst einzuschreiten. Den Ausschlag gab, wie es scheint, die Verurteilung des Gabinius (Ende 700 54). Die Herrscher kamen ueberein, eine wenn auch nur zeitweilige Diktatur eintreten zu lassen und mittels dieser neue Zwangsmassregeln namentlich hinsichtlich der Wahlen und der Geschworenengerichte durchzusetzen. Als derjenige, dem zunaechst die Regierung Roms und Italiens oblag, uebernahm die Ausfuehrung dieses Beschlusses Pompeius; sie trug denn auch den Stempel der ihm eigenen Schwerfaelligkeit im Entschliessen und im Handeln und seiner wunderlichen Unfaehigkeit, selbst da, wo er befehlen wollte und konnte, mit der Sprache herauszugehen. Bereits Ausgang 700 (54) ward in Andeutungen und nicht durch Pompeius selbst die Forderung der Diktatur im Senat vorgebracht. Als ostensibler Grund diente die fortwaehrende Klubund Bandenwirtschaft in der Hauptstadt, die durch Bestechungen und Gewalttaetigkeiten allerdings auf die Wahlen wie auf die Geschworenengerichte den verderblichsten Druck ausuebte und den Krawall daselbst in Permanenz hielt; man muss es zugeben, dass sie es den Machthabern leichtmachte, ihre Ausnahmemassregeln zu rechtfertigen. Allein begreiflicherweise scheute sogar die servile Majoritaet davor zurueck, das zu bewilligen, was der kuenftige Diktator selbst sich zu scheuen schien offen zu begehren. Als dann die beispiellose Agitation fuer die Wahlen zum Konsulat fuer 701 (53) die aergerlichsten Auftritte herbeifuehrte, die Wahlen ein volles Jahr ueber die festgesetzte Zeit sich verschleppten und erst nach siebenmonatlichem Interregnum im Juli 701 (53) stattfanden, fand Pompeius darin den erwuenschten Anlass als das einzige Mittel, den Knoten wo nicht zu loesen, doch zu zerhauen, dem Senat jetzt bestimmt die Diktatur zu bezeichnen; allein das entscheidende Befehlswort ward immer noch nicht gesprochen. Vielleicht waere es noch lange ungesprochen geblieben, wenn nicht bei den Konsularwahlen fuer 702 (52) gegen die Kandidaten der Machthaber Quintus Metellus Scipio und Publius Plautius Hypsaeus, beide dem Pompeius persoenlich nahestehende und durchaus ergebene Maenner, der verwegenste Parteigaenger der republikanischen Opposition, Titus Annius Milo, als Gegenkandidat in die Schranken getreten waere. Milo, ausgestattet mit physischem Mut, mit einem gewissen Talent zur Intrige und zum Schuldenmachen und vor allem mit reichlich angeborener und sorgfaeltig ausgebildeter Dreistigkeit, hatte unter den politischen Industrierittern jener Tage sich einen Namen gemacht und war in seinem Handwerk naechst Clodius der renommierteste Mann, natuerlich also auch mit diesem in toedlichster Konkurrenzfeindschaft. Da dieser Achill der Strasse von den Machthabern acquiriert worden war und mit ihrer Zulassung wieder den Ultrademokraten spielte, so ward der Hektor der Strasse selbstverstaendlich Aristokrat, und die republikanische Opposition, die jetzt mit Catilina selbst Buendnis geschlossen haben wuerde, wenn er sich ihr angetragen haette, erkannte Milo bereitwillig an als ihren rechtmaessigen Vorfechter in allen Krawallen. In der Tat waren die wenigen Erfolge, die sie auf diesem Schlachtfelde davon trug, das Werk Milos und seiner wohlgeschulten Fechterbande. So unterstuetzten denn hinwiederum Cato und die Seinigen Milos Bewerbung um das Konsulat; selbst Cicero konnte nicht umhin, seines Feindes Feind, seinen langjaehrigen Beschuetzer, zu empfehlen; und da Milo selbst weder Geld noch Gewalt sparte, um seine Wahl durchzusetzen, so schien dieselbe gesichert. Fuer die Machthaber waere sie nicht bloss eine neue empfindliche Niederlage gewesen, sondern auch eine wirkliche Gefahr; denn es war vorauszusehen, dass der verwegene Parteigaenger sich nicht so leicht wie Domitius und andere Maenner der anstaendigen Opposition als Konsul werde annullieren lassen. Da begab es sich, dass zufaellig unweit der Hauptstadt, auf der Appischen Strasse, Achill und Hektor aufeinandertrafen und zwischen den beiderseitigen Banden eine Rauferei entstand, in welcher Clodius selbst einen Saebelhieb in die Schulter erhielt und genoetigt ward, in ein benachbartes Haus sich zu fluechten. Es war dies ohne Auftrag Milos geschehen; da die Sache aber so weit gekommen war und der Sturm nun doch einmal bestanden werden musste, so schien das ganze Verbrechen Milo wuenschenswerter und selbst minder gefaehrlich als das halbe: er befahl seinen Leuten, den Clodius aus seinem Versteck hervorzuziehen und ihn niederzumachen (13. Januar 702 52). Die Strassenfuehrer von der Partei der Machthaber, die Volkstribune Titus Munatius Plancus, Quintus Pompeius Rufus und Gaius Sallustius Crispus, sahen in diesem Vorfall einen passenden Anlass, um im Interesse ihrer Herren Milos Kandidatur zu vereiteln und Pompeius’ Diktatur durchzusetzen. Die Hefe des Poebels, namentlich die Freigelassenen und Sklaven, hatten mit Clodius ihren Patron und kuenftigen Befreier eingebuesst: die erforderliche Aufregung war also leicht bewirkt. Nachdem der blutige Leichnam auf der Rednerbuehne des Marktes in Parade ausgestellt und die dazu gehoerigen Reden gehalten worden waren, ging der Krawall los. Zum Scheiterhaufen fuer den grossen Befreier ward der Sitz der perfiden Aristokratie bestimmt: die Rotte trug den Koerper in das Rathaus und zuendete das Gebaeude an. Hierauf zog der Schwarm vor Milos Haus und hielt dasselbe belagert, bis dessen Bande die Angreifer mit Pfeilschuessen vertrieb. Weiter ging es vor das Haus des Pompeius und seiner Konsularkandidaten, von denen jener als Diktator, diese als Konsuln begruesst wurden, und von da vor das des Zwischenkoenigs Marcus Lepidus, dem die Leitung der Konsulwahlen oblag. Da dieser pflichtmaessig sich weigerte, dieselben, wie die bruellenden Haufen es forderten, sofort zu veranstalten, so ward auch er fuenf Tage lang in seiner Wohnung belagert gehalten. Aber die Unternehmer dieser skandaloesen Auftritte hatten ihre Rolle ueberspielt. Allerdings war auch ihr Herr und Meister entschlossen, diesen guenstigen Zwischenfall zu benutzen, um nicht bloss Milo zu beseitigen, sondern auch die Diktatur zu ergreifen; allein er wollte sie nicht von einem Haufen Knuettelmaenner empfangen, sondern vom Senat. Pompeius zog Truppen heran, um die in der Hauptstadt herrschende und in der Tat aller Welt unertraeglich gewordene Anarchie niederzuschlagen; zugleich befahl er jetzt, was er bisher erbeten, und der Senat gab nach. Es war nur ein nichtiger Winkelzug, dass auf Vorschlag von Cato und Bibulus der Prokonsul Pompeius unter Belassung seiner bisherigen Aemter statt zum Diktator zum "Konsul ohne Kollegen" ernannt ward (25. des Schaltmonats ^8 702 52) - ein Winkelzug, welcher eine mit zwiefachem inneren Widerspruch behaftete ^9 Benennung zuliess, um nur die einfach sachbezeichnende zu vermeiden, und der lebhaft erinnert an den weisen Beschluss des verschollenen Junkertums, den Plebejern nicht das Konsulat, sondern nur die konsularische Gewalt einzuraeumen. ---------------------------------------------------- ^8 In diesem Jahr folgte auf den Januar mit 29 und den Februar mit 23 Tagen der Schaltmonat mit 28 und sodann der Maerz. ^9 Consul heisst Kollege (I, 260) und ein Konsul, der zugleich Prokonsul ist, ist zugleich wirklicher und stellvertretender Konsul. ---------------------------------------------------- Also im legalen Besitz der Vollmacht, ging Pompeius an das Werk und schritt nachdruecklich vor gegen die in den Klubs und den Geschworenengerichten maechtige republikanische Partei. Die bestehenden Wahlvorschriften wurden durch ein besonderes Gesetz wiederholt eingeschaerft und durch ein anderes gegen die Wahlumtriebe, das fuer alle seit 684 (70) begangenen Vergehen dieser Art rueckwirkende Kraft erhielt, die bisher darauf gesetzten Strafen gesteigert. Wichtiger noch war die Verfuegung, dass die Statthalterschaften, also die bei weitem bedeutendere und besonders die weit eintraeglichere Haelfte der Amtstaetigkeit, an die Konsuln und Praetoren nicht sofort bei dem Ruecktritt vom Konsulat oder der Praetur, sondern erst nach Ablauf von weiteren fuenf Jahren vergeben werden sollten, welche Ordnung selbstverstaendlich erst nach vier Jahren ins Leben treten konnte und daher fuer die naechste Zeit die Besetzung der Statthalterschaften wesentlich von den zur Regulierung dieses Interim zu erlassenden Senatsbeschluessen, also tatsaechlich von der augenblicklich den Senat beherrschenden Person oder Fraktion abhaengig machte. Die Geschworenenkommissionen blieben zwar bestehen, aber dem Rekusationsrecht wurden Grenzen gesetzt und, was vielleicht noch wichtiger war, die Redefreiheit in den Gerichten aufgehoben, indem sowohl die Zahl der Advokaten als die jedem zugemessene Sprechzeit durch Maximalsaetze beschraenkt und die eingerissene Unsitte: neben den Tatauch noch Charakterzeugen oder sogenannte "Lobredner" zugunsten des Angeklagten beizubringen, untersagt ward. Der gehorsame Senat dekretierte ferner auf Pompeius’ Wink, dass durch den Raufhandel auf der Appischen Strasse das Vaterland in Gefahr geraten sei; demnach wurde fuer alle mit demselben zusammenhaengenden Verbrechen durch ein Ausnahmegesetz eine Spezialkommission bestellt und deren Mitglieder geradezu von Pompeius ernannt. Es ward auch ein Versuch gemacht, dem zensorischen Amt wieder eine ernstliche Bedeutung zu verschaffen und durch dasselbe die tief zerruettete Buergerschaft von dem schlimmsten Gesindel zu saeubern. Alle diese Massregeln erfolgten unter dem Drucke des Saebels. Infolge der Erklaerung des Senats, dass das Vaterland gefaehrdet sei, rief Pompeius in ganz Italien die dienstpflichtige Mannschaft unter die Waffen und nahm sie fuer alle Faelle in Eid und Pflicht; vorlaeufig ward eine ausreichende und zuverlaessige Truppe auf das Kapitol gelegt; bei jeder oppositionellen Regung drohte Pompeius mit bewaffnetem Einschreiten und stellte waehrend der Prozessverhandlungen ueber die Ermordung des Clodius allem Herkommen zuwider auf der Gerichtsstaette selbst Wache auf. Der Plan zur Wiederbelebung der Zensur scheiterte daran, dass unter der servilen Senatsmajoritaet niemand sittlichen Mut und Autoritaet genug besass, um sich um ein solches Amt auch nur zu bewerben. Dagegen ward Milo von den Geschworenen verurteilt (8. April 702 52), Catos Bewerbung um das Konsulat fuer 703 (51) vereitelt. Die Redenund Pamphletenopposition erhielt durch die neue Prozessordnung einen Schlag, von dem sie sich nicht wieder erholt hat; die gefuerchtete gerichtliche Beredsamkeit ward damit von dem politischen Gebiet verdraengt und trug fortan die Zuegel der Monarchie. Verschwunden war die Opposition natuerlich weder aus den Gemuetern der grossen Majoritaet der Nation noch auch nur voellig aus dem oeffentlichen Leben - dazu haette man die Volkswahlen, die Geschworenengerichte und die Literatur nicht bloss beschraenken, sondern vernichten muessen. Ja eben bei diesen Vorgaengen selbst tat Pompeius durch seine Ungeschicklichkeit und Verkehrtheit wieder dazu, dass den Republikanern selbst unter seiner Diktatur einzelne, fuer ihn empfindliche Triumphe zuteil wurden. Die Tendenzmassregeln, die die Herrscher zur Befestigung ihrer Macht ergriffen, wurden natuerlicherweise offiziell als im Interesse der oeffentlichen Ruhe und Ordnung getroffene Verfuegungen charakterisiert und jeder Buerger, der die Anarchie nicht wollte, als mit denselben wesentlich einverstanden bezeichnet. Mit dieser durchsichtigen Fiktion trieb es Pompeius aber so weit, dass er in die Spezialkommission zur Untersuchung des letzten Auflaufs statt sicherer Werkzeuge die achtbarsten Maenner aller Parteien, sogar Cato einwaehlte und seinen Einfluss auf das Gericht wesentlich dazu anwandte, um die Ordnung zu handhaben und das in den Gerichten dieser Zeit hergebrachte Spektakeln seinen Anhaengern so gut wie den Gegnern unmoeglich zu machen. Diese Neutralitaet des Regenten sah man den Urteilen des Spezialhofes an. Die Geschworenen wagten zwar nicht, Milo selbst freizusprechen; aber die meisten untergeordneten Angeklagten von der Partei der republikanischen Opposition gingen frei aus, waehrend die Verurteilung unnachsichtlich diejenigen traf, die in dem letzten Krawall fuer Clodius, das heisst fuer die Machthaber Partei genommen hatten, unter ihnen nicht wenige von Caesars und selbst von Pompeius’ vertrautesten Freunden, sogar seinen Kandidaten zum Konsulat, Hypsaeus, und die Volkstribune Plancus und Rufus, die in seinem Interesse die Erneute dirigiert hatten. Wenn Pompeius deren Verurteilung nicht hinderte, um unparteiisch zu erscheinen, so war dies eine Albernheit, und eine zweite, dass er denn doch wieder in ganz gleichgueltigen Dingen zu Gunsten seiner Freunde seine eigenen Gesetze verletzte, zum Beispiel im Prozess des Plancus als Charakterzeuge auftrat, und einzelne ihm besonders nahestehende Angeklagte, wie den Metellus Scipio, in der Tat vor der Verurteilung schuetzte. Wie gewoehnlich wollte er auch hier entgegengesetzte Dinge: indem er versuchte, zugleich den Pflichten des unparteiischen Regenten und des Parteihauptes Genuege zu tun, erfuellte er weder diese noch jene und erschien der oeffentlichen Meinung mit Recht als ein despotischer Regent, seinen Anhaengern mit gleichem Recht als ein Fuehrer, der die Seinigen entweder nicht schuetzen konnte oder nicht schuetzen wollte. Indes wenn auch die Republikaner noch sich regten und sogar, hauptsaechlich durch Pompeius’ Fehlgriffe, hie und da ein einzelner Erfolg sie anfrischte, so war doch der Zweck, den die Machthaber bei jener Diktatur sich gesteckt hatten, im ganzen erreicht, der Zuegel straffer angezogen, die republikanische Partei gedemuetigt und die neue Monarchie befestigt. Das Publikum fing an sich in diese zu finden. Als Pompeius nicht lange nachher von einer ernsthaften Krankheit genas, ward seine Wiederherstellung durch ganz Italien mit den obligaten Freudenbezeigungen gefeiert, die bei solchen Gelegenheiten in Monarchien ueblich sind. Die Machthaber zeigten sich befriedigt: schon am 1. August 702 (52) legte Pompeius die Diktatur nieder und teilte das Konsulat mit seinem Klienten Metellus Scipio. 9. Kapitel Crassus’ Tod Der Bruch der Gesamtherrscher Unter den Haeuptern des "dreikoepfigen Ungeheuers" war Marcus Crassus jahrelang mitgerechnet worden, ohne eigentlich mitzuzaehlen. Er diente den wirklichen Machthabern Pompeius und Caesar als Gleichgewichtstein, oder genauer gesagt, er fiel in Caesars Waagschale gegen Pompeius. Diese Rolle ist nicht allzu ehrenvoll; aber Crassus ward nie durch leidenschaftliches Ehrgefuehl gehindert, seinen Vorteil zu verfolgen. Er war Kaufmann und liess mit sich handeln. Was ihm geboten ward, war nicht viel; da indes mehr nicht zu erhalten war, nahm er es an und suchte den nagenden Ehrgeiz und den Verdruss ueber seine der Macht so nahe und doch machtlose Stellung ueber den immer hoeher sich ihm haeufenden Goldbergen zu vergessen. Aber die Konferenz zu Luca wandelte auch fuer ihn die Verhaeltnisse um: um gegen Pompeius nach den so ausgedehnten Zugestaendnissen auch ferner im Uebergewicht zu bleiben, gab Caesar seinem alten Verbuendeten Crassus Gelegenheit, durch den Parthischen Krieg ebendahin in Syrien zu gelangen, wohin Caesar durch den keltischen in Gallien gelangt war. Es war schwer zu sagen, ob diese neuen Aussichten mehr den Heisshunger nach Gold reizten, der dem jetzt sechzigjaehrigen Manne zur anderen Natur geworden war und mit jeder neu erworbenen Million nur um so zehrender ward, oder mehr den in der Brust des Graukopfs lange muehsam niedergekaempften und jetzt mit unheimlichem Feuer in ihr gluehenden Ehrgeiz. Bereits Anfang 700 (54) traf er in Syrien ein: nicht einmal den Ablauf seines Konsulats hatte er abgewartet um aufzubrechen. Voll hastiger Leidenschaft schien er jede Minute auskaufen zu wollen, um das Versaeumte nachzuholen, zu den Schaetzen des Westens noch die des Ostens einzutun, Feldherrnmacht und Feldherrnruhm rasch wie Caesar und muehelos wie Pompeius zu erjagen. Er fand den Parthischen Krieg bereits eingeleitet. Pompeius’ illoyales Verhalten gegen die Parther ist frueher erzaehlt worden; er hatte die vertragsmaessige Euphratgrenze nicht respektiert und zu Gunsten Armeniens, das jetzt roemischer Klientelstaat war, mehrere Landschaften vom Parthischen Reich abgerissen. Koenig Phraates hatte sich das gefallen lassen: nachdem er aber von seinen beiden Soehnen Mithradates und Orodes ermordet worden war, erklaerte der neue Koenig Mithradates dem Koenig von Armenien, des kuerzlich verstorbenen Tigranes Sohn Artavasdes, sofort den Krieg (um 698 ^1 56). Es war dies zugleich eine Kriegserklaerung gegen Rom; sowie daher der Aufstand der Juden unterdrueckt war, fuehrte der tuechtige und mutige Statthalter Syriens, Gabinius, die Legionen ueber den Euphrat. Im Partherreich indes war inzwischen eine Umwaelzung eingetreten; die Grossen des Reiches, an ihrer Spitze der junge, kuehne und talentvolle Grosswesir, hatten den Koenig Mithradates gestuerzt und dessen Bruder Orodes auf den Thron gesetzt. Mithradates machte deshalb gemeinschaftliche Sache mit den Roemern und begab sich in Gabinius’ Lager. Alles versprach dem Unternehmen des roemischen Statthalters den besten Erfolg, als er unvermutet Befehl bekam, den Koenig von Aegypten mit Waffengewalt nach Alexandreia zurueckzufuehren. Er wusste gehorchen; aber in der Erwartung, bald wieder zurueck zu sein, veranlasste er den bei ihm um Hilfe bittenden entthronten Partherfuersten, den Krieg inzwischen auf eigene Faust zu eroeffnen. Mithradates tat es und Seleukeia und Babylon erklaerten sich fuer ihn; aber Seleukeia nahm der Wesir, er persoenlich der erste auf der Zinne, mit stuermender Hand ein, und in Babylon wusste Mithradates selbst, durch Hunger bezwungen, sich ergeben, worauf er auf Befehl des Bruders hingerichtet ward. Sein Tod war ein fuehlbarer Verlust fuer die Roemer; aber die Gaerung im Parthischen Reich war doch keineswegs damit zu Ende und auch der armenische Krieg waehrte noch fort. Eben war Gabinius im Begriff, nach Beendigung des aegyptischen Feldzuges die immer noch guenstige Gelegenheit zu nutzen und den unterbrochenen Parthischen Krieg wiederaufzunehmen, als Crassus in Syrien eintraf und mit dem Kommando zugleich die Plaene seines Vorgaengers uebernahm. Voll hochfliegender Hoffnungen schlug er die Schwierigkeiten des Marsches gering, die Widerstandskraft der feindlichen Heere noch geringer an; zuversichtlich sprach er nicht bloss von der Unterwerfung der Panther, sondern eroberte schon in Gedanken die Reiche von Baktrien und Indien. --------------------------------------------------- ^1 Tigranes lebte noch im Februar 698 (56) (Cic. Sest. 27, 59); dagegen herrschte Artavasdes schon vor 700 (54) (Iust. 42, 2, 4; Plut. Crass. 49). --------------------------------------------------- Eile indes hatte der neue Alexander nicht. Erfand, bevor er so grosse Plaene ins Werk setzte, noch Musse zu sehr weitlaeufigen und sehr eintraeglichen Nebengeschaeften. Der Tempel der Derketo in Hierapolis Bambyke, des Jehova in Jerusalem und andere reiche Heiligtuemer der syrischen Provinz wurden auf Crassus’ Befehl ihrer Schaetze beraubt und von allen Untertanen Zuzug oder lieber noch statt desselben Geldsummen beigetrieben. Die militaerischen Operationen des ersten Sommers beschraenkten sich auf eine umfassende Rekognoszierung in Mesopotamien: der Euphrat ward ueberschritten, bei Ichnae (am Belik, noerdlich von Rakkah) der parthische Satrap geschlagen und die naechstliegenden Staedte, darunter das ansehnliche Nikephorion (Rakkah), besetzt, worauf man mit Zuruecklassung von Besatzungen in denselben wieder nach Syrien zurueckging. Man hatte bisher geschwankt, ob es ratsamer sei, auf dem Umweg ueber Armenien oder auf der geraden Strasse durch die mesopotamische Wueste nach Parthien zu marschieren. Der erste Weg durch gebirgige und von zuverlaessigen Verbuendeten beherrschte Landschaften empfahl sich durch die groessere Sicherheit; Koenig Artavasdes kam selbst in das roemische Hauptquartier, um diesen Feldzugsplan zu befuerworten. Allein jene Rekognoszierung entschied fuer den Marsch durch Mesopotamien. Die zahlreichen und bluehenden griechischen und halbgriechischen Staedte in den Landschaften am Euphrat und Tigris, vor allen die Weltstadt Seleukeia, waren der parthischen Herrschaft durchaus abgeneigt; wie frueher die Buerger von Karrhae, so hatten jetzt alle von den Roemern beruehrten griechischen Ortschaften es mit der Tat bewiesen, wie bereit sie waren, die unertraegliche Fremdherrschaft abzuschuetteln und die Roemer als Befreier, beinahe als Landsleute zu empfangen. Der Araberfuerst Abgaros, der die Wueste von Edessa und Karrhae und damit die gewoehnliche Strasse vom Euphrat an den Tigris beherrschte, hatte im Lager der Roemer sich eingefunden, um dieselben seiner Ergebenheit persoenlich zu versichern. Durchaus hatten die Parther sich unvorbereitet gezeigt. So ward denn der Euphrat (bei Biradjik) ueberschritten (701 53). Um von da an den Tigris zu gelangen, konnte man einen zwiefachen Weg waehlen: entweder rueckte das Heer am Euphrat hinab bis auf die Hoehe von Seleukeia, wo der Euphrat und der Tigris nur noch wenige Meilen voneinander entfernt sind; oder man schlug sogleich nach dem Uebergang auf der kuerzesten Linie, quer durch die grosse mesopotamische Wueste, den Weg zum Tigris ein. Der erste Weg fuehrte unmittelbar auf die parthische Hauptstadt Ktesiphon zu, die Seleukeia gegenueber am andern Ufer des Tigris lag; es erhoben sich fuer diesen im roemischen Kriegsrat mehrere gewichtige Stimmen; namentlich der Quaestor Gaius Cassius wies auf die Schwierigkeiten des Wuestenmarsches und auf die bedenklichen, von den roemischen Besatzungen am linken Euphratufer ueber die parthischen Kriegsvorbereitungen einlaufender. Berichte hin. Allein damit im Widerspruch meldete der arabische Fuerst Abgaros, dass die Parther beschaeftigt seien, ihre westlichen Landschaften zu raeumen. Bereits haetten sie ihre Schaetze eingepackt und sich in Bewegung gesetzt, um zu den Hyrkanern und Skythen zu fluechten; nur durch einen Gewaltmarsch auf dem kuerzesten Wege sei es ueberhaupt noch moeglich, sie zu erreichen; durch einen solchen werde es aber auch wahrscheinlich gelingen, wenigstens den Nachtrab der grossen Armee unter Sillakes und dem Wesir einzuholen und aufzureiben und die ungeheure Beute zu gewinnen. Diese Rapporte der befreundeten Beduinen entschieden ueber die Marschrichtung; das roemische Heer, bestehend aus sieben Legionen, 4000 Reitern und 4000 Schleuderern und Schuetzen, wandte vom Euphrat sich ab und hinein in die unwirtlichen Ebenen des noerdlichen Mesopotamiens. Weit und breit zeigte sich kein Feind; nur Hunger und Durst und die endlose Sandwueste schienen Wache zu halten an den Pforten des Ostens. Endlich, nach vieltaegigem muehseligen Marsch, unweit des ersten Flusses, den das roemische Heer zu ueberschreiten hatte, des Balissos (Belik), zeigten sich die ersten feindlichen Reiter. Abgaros mit seinen Arabern ward ausgesandt, um zu kundschaften; die parthischen Reiterscharen wichen zurueck bis an und ueber den Fluss und verschwanden in der Ferne, verfolgt von Abgaros und den Seinen. Ungeduldig harrte man auf die Rueckkehr desselben und auf genauere Kundschaft. Der Feldherr hoffte, hier endlich an den ewig zurueckweichenden Feind zu kommen; sein junger tapferer Sohn Publius, der mit der groessten Auszeichnung in Gallien unter Caesar gefochten hatte und von diesem an der Spitze einer keltischen Reiterschar zur Teilnahme an dem Parthischen Kriege entsandt worden war, brannte vor stuermischer Kampflust. Da keine Botschaft kam, entschloss man sich, auf gut Glueck vorwaerts zu gehen: das Zeichen zum Aufbruch ward gegeben, der Balissos ueberschritten, das Heer nach kurzer, ungenuegender Mittagsrast ohne Aufenthalt im Sturmschritt weitergefuehrt. Da erschollen ploetzlich rings umher die Kesselpauken der Parther; auf allen Seiten sah man ihre seidenen, goldgestickten Fahnen flattern, ihre Eisenhelme und Panzer im Strahl der heissen Mittagssonne glaenzen; und neben dem Wesir hielt Fuerst Abgaros mit seinen Beduinen. Man begriff zu spaet, in welches Netz man sich hatte verstricken lassen. Mit sicherem Blick hatte der Wesir sowohl die Gefahr durchschaut wie die Mittel, ihr zu begegnen. Mit orientalischem Fussvolk war gegen die roemische Linieninfanterie nichts auszurichten: er hatte sich desselben entledigt und, indem er diese auf dem Hauptschlachtfeld unbrauchbare Masse unter Koenig Orodes’ eigener Fuehrung gegen Armenien sandte, den Koenig Artavasdes gehindert, die versprochenen 10000 schweren Reiter zu Crassus’ Heer stossen zu lassen, die dieser jetzt schmerzlich vermisste. Dagegen trat der roemischen, in ihrer Art unuebertrefflichen Taktik der Wesir mit einer vollkommen verschiedenen gegenueber. Sein Heer bestand ausschliesslich aus Reiterei; die Linie bildeten die schweren Reiter, mit langen Stosslanzen bewaffnet und Mann und Ross durch metallene Schuppenpanzer oder Lederkoller und durch aehnliche Schienen geschirmt; die Masse der Truppen bestand aus berittenen Bogenschuetzen. Diesen gegenueber waren die Roemer in den gleichen Waffen sowohl der Zahl wie der Tuechtigkeit nach durchaus im Nachteil. Ihre Linieninfanterie, wie vorzueglich sie auch im Nahkampf, sowohl auf kurze Distanz mit dem schweren Wurfspeer als im Handgemenge mit dem Schwert, war, konnte doch eine bloss aus Reiterei bestehende Armee nicht zwingen, sich mit ihr einzulassen, und fand, wenn es zum Handgemenge kam, auch hier in den eisenstarrenden Scharen der Lanzenreiter einen ihr gewachsenen, wo nicht ueberlegenen Gegner. Einem Heer gegenueber, wie dies parthische war, stand das roemische strategisch im Nachteil, weil die Reiterei die Kommunikationen beherrschte; taktisch, weil jede Nahwaffe der Fernwaffe unterliegen muss, wenn jene nicht zum Kampfe Mann gegen Mann gelangt. Die konzentrierte Stellung, auf der die ganze roemische Kriegsweise beruhte, steigerte einem solchen Angriff gegenueber die Gefahr; je dichter die roemische Kolonne sich scharte, desto unwiderstehlicher ward allerdings ihr Stoss, aber desto weniger fehlten auch die Fernwaffen ihr Ziel. Unter gewoehnlichen Verhaeltnissen, wo Staedte zu verteidigen und Bodenschwierigkeiten zu beruecksichtigen sind, haette jene bloss mit Reiterei gegen Fussvolk operierende Taktik sich niemals vollstaendig durchfuehren lassen; in der mesopotamischen Wueste aber, wo das Heer, fast wie das Schiff auf der hohen See, viele Tagemaersche hindurch weder auf ein Hindernis noch auf einen strategischen Anhaltspunkt traf, war diese Kriegfuehrung eben darum so unwiderstehlich, weil die Verhaeltnisse hier gestatteten, sie in ihrer ganzen Reinheit und also in ihrer ganzen Gewalt zu entwickeln. Hier vereinigte sich alles, um die fremden Fussgaenger gegen die einheimischen Reiter in Nachteil zu setzen. Wo der schwerbeladene roemische Infanterist muehsam durch den Sand oder die Steppe sich hinschleppte und auf dem pfadlosen, durch weit auseinandergelegene und schwer aufzufindende Quellen bezeichneten Wege vor Hunger und mehr noch vor Durst verkam, flog der parthische Reitersmann, von Kindesbeinen an gewohnt, auf seinem geschwinden Ross oder Kamel zu sitzen, ja fast auf demselben zu leben, leicht durch die Wueste, deren Ungemach er seit langem gelernt hatte sich zu erleichtern und im Notfall zu ertragen. Hier fiel kein Regen, der die unertraegliche Hitze gemildert und die Bogensehnen und Schleuderriemen der feindlichen Schuetzen und Schleuderer erschlafft haette; hier waren in dem tiefen Sande an vielen Stellen kaum ordentliche Graeben und Waelle fuer das Lager zu ziehen. Kaum vermag die Phantasie eine Lage zu erdenken, in der die militaerischen Vorteile alle mehr auf der einen, die Nachteile alle mehr auf der andern Seite waren. Auf die Frage, unter welchen Verhaeltnissen bei den Parthern diese neue Taktik entstand, die erste nationale, die auf ihrem rechten Terrain sich der roemischen ueberlegen erwies, koennen wir leider nur mit Mutmassungen antworten. Die Lanzenreiter und berittenen Bogenschuetzen sind im Orient uralt und bildeten bereits die Kerntruppen in den Heeren des Kyros und Dareios; bisher aber waren diese Waffen nur in zweiter Reihe und wesentlich zur Deckung der durchaus unbrauchbaren orientalischen Infanterie verwendet worden. Auch die parthischen Heere wichen hierin von den uebrigen orientalischen keineswegs ab; es werden dergleichen erwaehnt, die zu fuenf Sechsteln aus Fussvolk bestanden. In dem Feldzug des Crassus dagegen trat die Reiterei zum ersten Male selbstaendig auf, und es erhielt diese Waffe dadurch eine ganz neue Verwendung und einen ganz anderen Wert. Die unwiderstehliche Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks im Nahkampf scheint unabhaengig voneinander die Gegner Roms in den verschiedensten Weltgegenden zu gleicher Zeit und mit aehnlichem Erfolg darauf gefuehrt zu haben, ihm mit der Reiterei und dem Fernkampf entgegenzutreten. Was Cassivellaunus in Britannien vollstaendig, Vercingetorix in Gallien zum Teil gelang, was bis zu einem gewissen Grade schon Mithradates Eupator versuchte, das hat der Wesir des Orodes nur in groesserem Massstab und vollstaendiger durchgefuehrt: wobei es ihm namentlich zustatten kam, dass er in der schweren Kavallerie das Mittel, eine Linie zu bilden, in dem im Orient nationalen und vornehmlich in den persischen Landschaften mit meisterlicher Schuetzenkunst gehandhabten Bogen eine wirksame Fernwaffe, endlich in den Eigentuemlichkeiten des Landes und des Volkes die Moeglichkeit fand, seinen genialen Gedanken rein zu realisieren. Hier, wo die roemische Nahwaffe und das roemische Konzentrierungssystem zum ersten Male der Fernwaffe und dem Deployierungssystem unterlagen, bereitete diejenige militaerische Revolution sich vor, die erst mit der Einfuehrung des Feuergewehrs ihren vollstaendigen Abschluss erhalten hat. Unter diesen Verhaeltnissen ward sechs Meilen suedlich von Karrhae (Harran), wo roemische Besatzung stand, in noerdlicher Richtung etwas naeher an Ichnae, inmitten der Sandwueste die erste Schlacht zwischen Roemern und Parthern geschlagen. Die roemischen Schuetzen wurden vorgesandt, wichen aber augenblicklich zurueck vor der ungeheuren Ueberzahl und der weit groesseren Spannkraft und Tragweite der parthischen Bogen. Die Legionen, die trotz der Mahnung der einsichtigeren Offiziere, sie moeglichst entfaltet gegen den Feind zu fuehren, in ein dichtes Viereck von zwoelf Kohorten an jeder Seite gestellt worden waren, waren bald ueberfluegelt und von den furchtbaren Pfeilen ueberschuettet, die hier auch ungezielt ihren Mann trafen und denen die Soldaten mit nichts auch nur zu erwidern vermochten. Die Hoffnung, dass der Feind sich verschiessen moege, verschwand bei einem Blick auf die endlose Reihe der mit Pfeilen beladenen Kamele. Immer weiter dehnten die Parther sich aus. Damit die Ueberfluegelung nicht zur Umzingelung werde, rueckte Publius Crassus mit einem auserlesenen Korps von Reitern, Schuetzen und Linieninfanterie zum Angriff vor. In der Tat gab der Feind es auf, den Kreis zu schliessen, und wich zurueck, hitzig verfolgt von dem ungestuemen Fuehrer der Roemer. Als aber darueber das Korps des Publius die Hauptarmee ganz aus dem Gesicht verloren hatte, hielten die schweren Reiter ihm gegenueber stand, und wie ein Netz zogen die von allen Seiten herbeieilenden parthischen Haufen sich um dasselbe zusammen. Publius, der die Seinigen unter den Pfeilen der berittenen Schuetzen dicht und nutzlos um sich fallen sah, stuerzte verzweifelt mit seiner unbepanzerten keltischen Reiterei sich auf die eisenstarrenden Lanzenreiter der Feinde; allein die todesverachtende Tapferkeit seiner Kelten, die die Lanzen mit den Haenden packten oder von den Pferden sprangen, um die Feinde niederzustechen, tat ihre Wunder umsonst. Die Truemmer des Korps, unter ihnen der am Schwertarm verwundete Fuehrer, wurden auf eine kleine Anhoehe gedraengt, wo sie den feindlichen Schuetzen erst recht zur bequemen Zielscheibe dienten. Mesopotamische Griechen, die der Gegend genau kundig waren, beschworen den Crassus, mit ihnen abzureiten und einen Versuch zu machen, sich zu retten; aber er weigerte sich, sein Schicksal von dem der tapferen Maenner zu trennen, die sein verwegener Mut in den Tod gefuehrt hatte, und liess von der Hand seines Schildtraegers sich durchbohren. Gleich ihm gaben die meisten noch uebrigen Offiziere sich selbst den Tod. Von der ganzen gegen 6000 Mann starken Abteilung wurden nicht mehr als 500 gefangen; zu retten vermochte sich keiner. Gegen das Hauptheer hatte inzwischen der Angriff nachgelassen und man rastete nur zu gern. Als endlich das Ausbleiben jeder Meldung von dem entsandten Korps es aus der truegerischen Ruhe aufschreckte und es, um dasselbe aufzusuchen, der Walstatt sich naeherte, ward dem Vater das Haupt des Sohnes auf einer Stange entgegengetragen; und abermals begann nun gegen das Hauptheer die schreckliche Schlacht, mit demselben Ungestuem und derselben hoffnungslosen Gleichfoermigkeit. Man vermochte weder die Lanzenreiter zu sprengen noch die Schuetzen zu erreichen; erst die Nacht machte dem Morden ein Ende. Haetten die Par
ther auf dem Schlachtfeld biwakiert, es waere schwerlich vom roemischen Heer ein Mann entkommen. Allein nicht geuebt, anders als beritten zu fechten, und darum besorgt vor einem Ueberfall, hatten sie die Gewohnheit, niemals hart am Feinde zu lagern; hoehnisch riefen sie den Roemern zu, dass sie dem Feldherrn eine Nacht schenkten, um seinen Sohn zu beweinen, und jagten davon, um am anderen Morgen wiederzukehren und das blutend am Boden liegende Wild abzufangen. Natuerlich warteten die Roemer den Morgen nicht ab. Die Unterfeldherren Cassius und Octavius - Crassus selbst hatte gaenzlich den Kopf verloren - liessen sofort und in moeglichster Stille, mit Zuruecklassung der saemtlichen - angeblich 4000 - Verwundeten und Versprengten, die noch marschfaehigen Leute aufbrechen, um in den Mauern von Karrhae Schutz zu suchen. Dass die Parther, als sie den folgenden Tag wiederkamen, zunaechst sich daran machten, die zerstreut Zurueckgelassenen aufzusuchen und niederzumetzeln, und dass die Besatzung und die Einwohnerschaft von Karrhae, durch Ausreisser fruehzeitig von der Katastrophe in Kenntnis gesetzt, schleunigst der geschlagenen Armee entgegengerueckt waren, rettete die Truemmer derselben vor der, wie es schien, unausbleiblichen Vernichtung. An eine Belagerung von Karrhae konnten die parthischen Reiterscharen nicht denken. Allein bald brachen die Roemer freiwillig auf, sei es durch Mangel an Lebensmitteln genoetigt, sei es infolge der mutlosen Uebereilung des Oberfeldherrn, den die Soldaten vergeblich versucht hatten vom Kommando zu entfernen und durch Cassius zu ersetzen. Man schlug die Richtung nach den armenischen Bergen ein; die Nacht marschierend und am Tage rastend, erreichte Octavius mit einem Haufen von 5000 Mann die Festung Sinnaka, die nur noch einen Tagesmarsch von den sicheren Hoehen entfernt war, und befreite sogar mit eigener Lebensgefahr den Oberfeldherrn, den der Fuehrer irregeleitet und dem Feinde preisgegeben hatte. Da ritt der Wesir vor das roemische Lager, um im Namen seines Koenigs den Roemern Frieden und Freundschaft zu bieten und auf eine persoenliche Zusammenkunft der beiden Feldherren anzutragen. Das roemische Heer, demoralisiert wie es war, beschwor, ja zwang seinen Fuehrer, das Anerbieten anzunehmen. Der Wesir empfing den Konsular und dessen Stab mit den ueblichen Ehren und erbot sich aufs neue, einen Freundschaftspakt abzuschliessen; nur forderte er, mit gerechter Bitterkeit an das Schicksal der mit Lucullus und Pompeius hinsichtlich der Euphratgrenze abgeschlossenen Vertraege erinnernd, dass derselbe sogleich schriftlich abgefasst werde. Ein reichgeschmueckter Zelter ward vorgefuehrt: es war ein Geschenk des Koenigs fuer den roemischen Oberfeldherrn; die Diener des Wesirs draengten sich um Crassus, beeifert, ihn aufs Pferd zu heben. Es schien den roemischen Offizieren, als beabsichtige man, sich der Person des Oberfeldherrn zu bemaechtigen; Octavius, unbewaffnet wie er war, riss einem Parther das Schwert aus der Scheide und stiess den Pferdeknecht nieder. In dem Anlauf, der sich hieraus entspann, wurden die roemischen Offiziere alle getoetet; auch der greise Oberfeldherr wollte, wie sein Grossohm, dem Feinde nicht lebend als Trophaee dienen und suchte und fand den Tod. Die im Lager zurueckgebliebene fuehrerlose Menge ward zum Teil gefangen, zum Teil versprengt. Was der Tag von Karrhae begonnen hatte, vollendete der von Sinnaka (9. Juni 701 53); beide nahmen ihren Platz neben den Daten von der Allia, von Cannae und von Arausio. Die Euphratarmee war nicht mehr. Nur der Reiterschar des Gaius Cassius, welche bei dem Abmarsch von Karrhae von dem Hauptheer abgesprengt worden war, und einigen anderen zerstreuten Haufen und vereinzelten Fluechtlingen gelang es, sich den Parthern und den Beduinen zu entziehen und einzeln den Rueckweg nach Syrien zu finden. Von ueber 40000 roemischen Legionaeren, die den Euphrat ueberschritten hatten, kam nicht der vierte Mann zurueck; die Haelfte war umgekommen; gegen 10000 roemische Gefangene wurden von den Siegern im aeussersten Osten ihres Reiches, in der Oase von Merv, nach parthischer Art als heerpflichtige Leibeigene angesiedelt. Zum ersten Male, seit die Adler die Legionen fuehrten, waren dieselben in diesem Jahre zu Siegeszeichen in den Haenden fremder Nationen, fast gleichzeitig eines deutschen Stammes im Westen und im Osten der Parther geworden. Von dem Eindruck, den die Niederlage der Roemer im Osten machte, ist uns leider keine ausreichende Kunde geworden; aber tief und bleibend muss er gewesen sein. Koenig Orodes richtete eben die Hochzeit seines Sohnes Pakoros mit der Schwester seines neuen Verbuendeten, des Koenigs Artavasdes von Armenien, aus, als die Siegesbotschaft seines Wesirs bei ihm einlief und, nach orientalischer Sitte, zugleich mit ihr der abgehauene Kopf des Crassus. Schon war die Tafel aufgehoben; eine der wandernden kleinasiatischen Schauspielertruppen, wie sie in jener Zeit zahlreich bestanden und die hellenische Poesie und die hellenische Buehnenkunst bis tief in den Osten hineintrugen, fuehrten eben vor dem versammelten Hofe Euripides’ ’Bakchen’ auf. Der Schauspieler, der die Rolle der Agaue spielte, welche in wahnsinnig dionysischer Begeisterung ihren Sohn zerrissen hat und nun das Haupt desselben auf dem Thyrsus tragend, vom Kithaeron zurueckkehrt, vertauschte dieses mit dem blutigen Kopfe des Crassus, und zum unendlichen Jubel seines Publikums von halbhellenisierten Barbaren begann er aufs neue das wohlbekannte Lied: Wir bringen vom Berge Nach Hause getragen Die herrliche Beute, Das blutende Wild. Es war seit den Zeiten der Achaemeniden der erste ernsthafte Sieg, den die Orientalen ueber den Okzident erfochten; und wohl lag auch darin ein tiefer Sinn, dass zur Feier dieses Sieges das schoenste Erzeugnis der okzidentalischen Welt, die griechische Tragoedie, durch ihre herabgekommenen Vertreter in jener grausigen Groteske sich selber parodierte. Das roemische Buergertum und der Genius von Hellas fingen gleichzeitig an, sich auf die Ketten des Sultanismus zu schicken. Die Katastrophe, entsetzlich an sich, schien auch in ihren Folgen furchtbar zu werden und die Grundfesten der roemischen Macht im Osten erschuettern zu sollen. Es war das wenigste, dass jetzt die Parther. jenseits des Euphrat unbeschraenkt schalteten, dass Armenien, nachdem es schon vor der Katastrophe des Crassus vom roemischen Buendnis abgefallen war, durch dieselbe ganz in parthische Klientel geriet, dass den treuen Buergern von Karrhae durch den von den Parthern ihnen gesetzten neuen Herrn, einen der verraeterischen Wegweiser der Roemer namens Andromachos, ihre Anhaenglichkeit an die Okzidentalen bitter vergolten ward. Allen Ernstes schickten die Parther sich an, nun ihrerseits die Euphratgrenze zu ueberschreiten und im Verein mit den Armeniern und den Arabern die Roemer aus Syrien zu vertreiben. Die Juden und andere Orientalen mehr harrten hier der Erloesung von der roemischen Herrschaft nicht minder ungeduldig, wie die Hellenen jenseits des Euphrat der Erloesung von der parthischen; in Rom stand der Buergerkrieg vor der Tuer; der Angriff ebenhier und ebenjetzt war eine schwere Gefahr. Allein zum Gluecke Roms hatten auf beiden Seiten die Fuehrer gewechselt. Sultan Orodes verdankte dem heldenmuetigen Fuersten, der ihm erst die Krone aufgesetzt und dann das Land von den Feinden gesaeubert hatte, zu viel, um sich seiner nicht baldmoeglichst durch den Henker zu entledigen. Seinen Platz als Oberfeldherr der nach Syrien bestimmten Invasionsarmee fuellte ein Prinz aus, des Koenigs Sohn Pakoros, dem seiner Jugend und Unerfahrenheit wegen der Fuerst Osakes als militaerischer Ratgeber beigegeben werden musste. Andererseits uebernahm an Crassus’ Stelle das Kommando in Syrien interimistisch der besonnene und entschlossene Quaestor Gaius Cassius. Da die Parther, ebenwie frueher Crassus, den Angriff nicht beeilten, sondern in den Jahren 701 (53) und 702 (52) nur schwache, leicht zurueckgeworfene Streifscharen ueber den Euphrat sandten, so behielt Cassius Zeit, das Heer einigermassen zu reorganisieren und die Juden, die die Erbitterung ueber die von Crassus veruebte Spoliation des Tempels schon jetzt unter die Waffen getrieben hatte, mit Hilfe des treuen Anhaengers der Roemer, Herodos Antipatros, zum Gehorsam zurueckzubringen. Die roemische Regierung haette also volle Zeit gehabt, zur Verteidigung dar bedrohten Grenze frische Truppen zu senden; allein es unterblieb ueber den Konvulsionen der beginnenden Revolution, und als endlich im Jahre 703 (51) die grosse parthische Invasionsarmee am Euphrat erschien, hatte Cassius immer noch nur die zwei schwachen, aus den Truemmern der Armee des Crassus gebildeten Legionen ihr entgegenzustellen. Natuerlich konnte er damit weder den Uebergang wehren noch die Provinz verteidigen. Syrien ward von den Parthern ueberrannt und ganz Vorderasien zitterte. Allein die Parther verstanden es nicht, Staedte zu belagern. Von Antiocheia, in das Cassius mit seinen Truppen sich geworfen hatte, zogen sie nicht bloss unverrichteter Sache ab, sondern wurden auf dem Rueckzug am Orontes noch durch Cassius’ Reiterei in einen Hinterhalt gelockt und hier durch die roemische Infanterie uebel zugerichtet; Fuerst Osakes selbst war unter den Toten. Freund und Feind ward hier inne, dass die parthische Armee unter einem gewoehnlichen Feldherrn und auf einem gewoehnlichen Terrain nicht viel mehr leiste als jede andere orientalische. Indes aufgegeben war der Angriff nicht. Noch im Winter 703/04 (51/50) lagerte Pakoros in Kyrrhestike diesseits des Euphrat; und der neue Statthalter Syriens, Marcus Bibulus, ein ebenso elender Feldherr wie unfaehiger Staatsmann, wusste nichts Besseres zu tun, als sich in seine Festungen einzuschliessen. Allgemein ward erwartet, dass der Krieg im Jahre 704 (50) mit erneuter Heftigkeit ausbrechen werde. Allein statt gegen die Roemer wandte Pakoros die Waffen gegen seinen eigenen Vater und trat deshalb sogar mit dem roemischen Statthalter in Einverstaendnis. Damit war zwar weder der Fleck von dem Schilde der roemischen Ehre gewaschen noch auch Roms Ansehen im Orient wiederhergestellt, allein mit der parthischen Invasion in Vorderasien war es vorbei, und es blieb, vorlaeufig wenigstens, die Euphratgrenze erhalten. In Rom wirbelte inzwischen der kreisende Vulkan der Revolution seine Rauchwolken sinnbetaeubend empor. Man fing an, keinen Soldaten und keinen Denar mehr gegen den Landesfeind, keinen Gedanken mehr uebrig zu haben fuer die Geschichte der Voelker. Es ist eines der entsetzlichsten Zeichen der Zeit, dass das ungeheure Nationalunglueck von Karrhae und Sinnaka den derzeitigen Politikern weit weniger zu denken und zu reden gab als jener elende Krawall auf der Appischen Strasse, in dem ein paar Monate nach Crassus der Bandenfuehrer Clodius umkam; aber es ist begreiflich und beinahe verzeihlich. Der Bruch zwischen den beiden Machthabern, lange als unvermeidlich gefuehlt und oft so nahe verkuendigt, rueckte jetzt unaufhaltsam heran. Wie in der alten griechischen Schiffersage befand sich das Fahrzeug der roemischen Gemeinde gleichsam zwischen zwei aufeinander zuschwimmenden Felsen; von Augenblick zu Augenblick den krachenden Zusammenstoss erwartend, starrten die, welche es trug, von namenloser Angst gebannt, in die hoch und hoeher strudelnde Brandung, und waehrend jedes kleinste Ruecken hier tausend Augen auf sich zog, wagte nicht eines, den Blick nach rechts oder links zu verwenden. Nachdem auf der Zusammenkunft von Luca im April 698 (36) Caesar sich Pompeius gegenueber zu ansehnlichen Konzessionen verstanden und die Machthaber damit sich wesentlich ins Gleichgewicht gesetzt hatten, fehlte es ihrem Verhaeltnis nicht an den aeusseren Bedingungen der Haltbarkeit, insoweit eine Teilung der an sich unteilbaren monarchischen Gewalt ueberhaupt haltbar sein kann. Eine andere Frage war es, ob die Machthaber, wenigstens fuer jetzt, entschlossen waren, zusammenzuhalten und gegenseitig sich ohne Hinterhalt als gleichberechtigt anzuerkennen. Dass dies bei Caesar insofern der Fall war, als er um den Preis der Gleichstellung mit Pompeius sich die zur Unterwerfung Galliens notwendige Frist erkauft hatte, ist frueher dargelegt worden. Aber Pompeius war es schwerlich jemals auch nur vorlaeufig Ernst mit der Kollegialitaet. Er war eine von den kleinlichen und gemeinen Naturen, gegen die es gefaehrlich ist, Grossmut zu ueben: seinem kleinlichen Sinn erschien es sicher als Gebot der Klugheit, dem unwillig anerkannten Nebenbuhler bei erster Gelegenheit ein Bein zu stellen, und seine gemeine Seele duerstete nach der Moeglichkeit, die durch Caesars Nachsicht erlittene Demuetigung ihm umgekehrt zu vergelten. Wenn aber Pompeius wahrscheinlich nach seiner dumpfen und traegen Natur niemals recht sich dazu verstanden hatte, Caesar neben sich gelten zu lassen, so ist doch die Absicht, das Buendnis zu sprengen, ihm wohl erst allmaehlich zum klaren Bewusstsein gelangt. Auf keinen Fall wird das Publikum, das ueberhaupt Pompeius’ Anund Absichten gewoehnlich besser durchschaute als er selbst, darin sich getaeuscht haben, dass wenigstens mit dem Tode der schoenen Julia, welche in der Bluete ihrer Jahre im Herbst 700 (54) starb und der ihr einziges Kind bald in das Grab nachfolgte, das persoenliche Verhaeltnis zwischen ihrem Vater und ihrem Gemahl geloest war. Caesar versuchte, die vom Schicksal getrennten verwandtschaftlichen Bande wiederherzustellen; er warb fuer sich um die Hand der einzigen Tochter des Pompeius und trug diesem seine jetzt naechste Verwandte, seiner Schwester Enkelin Octavia, als Gemahlin an; allein Pompeius liess seine Tochter ihrem bisherigen Gatten Faustus Sulla, dem Sohn des Regenten, und vermaehlte sich selber mit der Tochter des Quintus Metellus Scipio. Der persoenliche Bruch war unverkennbar eingetreten, und Pompeius war es, der die Hand zurueckzog. Man erwartete, dass der politische ihm auf dem Fusse folgen werde; allein hierin hatte man sich getaeuscht: in oeffentlichen Angelegenheiten blieb vorlaeufig noch ein kollegialisches Einvernehmen bestehen. Die Ursache war, dass Caesar nicht geradezu das Verhaeltnis loesen wollte, bevor Galliens Unterwerfung eine vollendete Tatsache war, Pompeius nicht, bevor durch die Uebernahme der Diktatur die Regierungsbehoerden und Italien vollstaendig in seine Gewalt gebracht sein wuerden. Es ist sonderbar, aber wohl erklaerlich, dass die Machthaber hierbei sich gegenseitig unterstuetzten; Pompeius ueberliess nach der Katastrophe von Aduatuca im Winter 700 (54) eine seiner auf Urlaub entlassenen italienischen Legionen leihweise an Caesar; andererseits gewaehrte Caesar Pompeius seine Einwilligung und seine moralische Unterstuetzung bei den Repressivmassregeln, die dieser gegen die stoerrige republikanische Opposition ergriff. Erst nachdem Pompeius auf diesem Wege im Anfang des Jahres 702 (52) sich das ungeteilte Konsulat und einen durchaus den Caesars ueberwiegenden Einfluss in der Hauptstadt verschafft und die saemtliche waffenfaehige Mannschaft in Italien den Soldateneid in seine Haende und auf seinen Namen abgeleistet hatte, fasste er den Entschluss, baldmoeglichst mit Caesar foermlich zu brechen; und die Absicht trat auch klar genug hervor. Dass die nach dem Auflauf auf der Appischen Strasse stattfindende gerichtliche Verfolgung eben Caesars alte demokratische Parteigenossen mit schonungsloser Haerte traf, konnte vielleicht noch als blosse Ungeschicklichkeit hingehen. Dass das neue Gesetz gegen die Wahlumtriebe, indem es bis 684 (70) zurueckgriff, auch die bedenklichen Vorgaenge bei Caesars Bewerbung um das Konsulat miteinschloss, mochte gleichfalls nicht mehr sein, obgleich nicht wenige Caesarianer darin eine bestimmte Absicht zu erkennen meinten. Aber auch bei dem besten Willen konnte man nicht mehr die Augen verschliessen, als Pompeius sich zum Kollegen im Konsulat nicht seinen frueheren Schwiegervater Caesar erkor, wie es der Lage des Sache entsprach und vielfach gefordert ward, sondern in seinem neuen Schwiegervater Scipio sich einen von ihm voellig abhaengigen Figuranten an die Seite setzte; noch weniger, als Pompeius sich gleichzeitig die Statthalterschaft beider Spanien auf weitere fuenf Jahre, also bis 709 (45) verlaengern und fuer die Besoldung seiner Truppen sich aus der Staatskasse eine ansehnliche feste Summe auswerfen liess, nicht nur, ohne fuer Caesar die gleiche Verlaengerung des Kommandos und die gleiche Geldbewilligung zu bedingen, sondern sogar durch die gleichzeitig ergangenen neuen Regulative ueber die Besetzung der Statthalterschaften von weitem hinarbeitend auf eine Abberufung Caesars vor dem frueher verabredeten Termin. Unverkennbar waren diese Uebergriffe darauf berechnet, Caesars Stellung zu untergraben und demnaechst ihn zu stuerzen. Der Augenblick konnte nicht guenstiger sein. Nur darum hatte Caesar in Luca Pompeius so viel eingeraeumt, weil Crassus und dessen syrische Armee bei einem etwaigen Bruch mit Pompeius notwendig in Caesars Waagschale fielen; denn auf Crassus, der seit der sullanischen Zeit mit Pompeius aufs tiefste verfeindet und fast ebensolange mit Caesar politisch und persoenlich verbuendet war, und der nach seiner Eigentuemlichkeit allenfalls, wenn er nicht selbst Koenig von Rom werden konnte, auch damit sich begnuegt haben wuerde, des neuen Koenigs von Rom Bankier zu sein, durfte Caesar ueberhaupt zaehlen und auf keinen Fall besorgen, ihn sich gegenueber als Verbuendeten seiner Feinde zu erblicken. Die Katastrophe von Juni 791 (53), in der Heer und Feldherr in Syrien zu Grunde gingen, war darum auch fuer Caesar ein furchtbar schwerer Schlag. Wenige Monate spaeter loderte in Gallien, ebenda es vollstaendig unterworfen schien, die nationale Insurrektion gewaltiger empor als je und trat zum erstenmal hier gegen Caesar ein ebenbuertiger Gegner in dem Arvernerkoenig Vercingetorix auf. Wieder einmal hatte das Geschick fuer Pompeius gearbeitet: Crassus war tot, ganz Gallien im Aufstand, Pompeius faktisch Diktator von Rom und Herr des Senats - was haette kommen moegen, wenn er jetzt, statt in weite Ferne hinein gegen Caesar zu intrigieren, kurzweg die Buergerschaft oder den Senat zwang, Caesar sofort aus Gallien abzurufen! Aber Pompeius hat es nie verstanden, das Glueck bei der Locke zu fassen. Er kuendigte den Bruch deutlich genug an; bereits 702 (52) liessen seine Handlungen darueber keinen Zweifel und schon im Fruehjahr 703 (51) sprach er seine Absicht, mit Caesar zu brechen, unverhohlen aus; aber er brach nicht und liess ungenutzt die Monate verstreichen. Indes wie auch Pompeius zoegerte, die Krise rueckte doch durch das Schwergewicht der Dinge selbst unaufhaltsam heran. Der bevorstehende Krieg war nicht etwa ein Kampf zwischen Republik und Monarchie - die Entscheidung darueber war bereits vor Jahren gefallen -, sondern ein Kampf um den Besitz der Krone Roms zwischen Pompeius und Caesar. Aber keiner der Praetendenten fand seine Rechnung dabei, die rechte Parole auszusprechen; er haette damit den ganzen sehr ansehnlichen Teil der Buergerschaft, der den Fortbestand der Republik wuenschte und an dessen Moeglichkeit glaubte, dem Gegner geradezu ins Lager getrieben. Die alten Schlachtrufe, wie sie Gracchus und Drusus, Cinna und Sulla angestimmt hatten, wie verbraucht und inhaltlos sie waren, blieben immer noch gut genug zum Feldgeschrei fuer den Kampf der beiden um die Alleinherrschaft ringenden Generale; und wenn auch fuer den Augenblick sowohl Pompeius wie Caesar offiziell sich zu der sogenannten Popularpartei rechneten, so konnte es doch keinen Augenblick zweifelhaft sein, dass Caesar das Volk und den demokratischen Fortschritt, Pompeius die Aristokratie und die legitime Verfassung auf sein Panier schreiben werde. Caesar hatte keine Wahl. Er war von Haus aus und sehr ernstlich Demokrat, die Monarchie, wie er sie verstand, mehr aeusserlich als im Wesen selbst von dem gracchischen Volksregiment verschieden; und er war ein zu hochsinniger und zu tiefer Staatsmann, um seine Farbe zu decken und unter einem anderen als seinem eigenen Wappen zu fechten. Der unmittelbare Nutzen freilich, den dies Feldgeschrei ihm brachte, war gering; er beschraenkte in der Hauptsache sich darauf, dass er dadurch der Unbequemlichkeit ueberhoben ward, das Koenigtum beim Namen zu nennen und mit dem verfemten Worte die Masse der Lauen und die eigenen Anhaenger zu konsternieren. Positiven Gewinn trug die demokratische Fahne kaum noch ein, seit die gracchischen Ideale durch Clodius schaendlich und laecherlich geworden waren; denn wo gab es jetzt, abgesehen etwa von den Transpadanern, einen Kreis von irgendwelcher Bedeutung, der durch die Schlachtrufe der Demokratie zur Teilnahme an dem Kampfe sich haette bestimmen lassen? Damit waere auch Pompeius’ Rolle in dem bevorstehenden Kampf entschieden gewesen, wenn nicht ohnehin schon es sich von selbst verstanden haette, dass er in denselben eintreten wusste als der Feldherr der legitimen Republik. Ihn hatte, wenn je einen, die Natur zum Glied einer Aristokratie bestimmt, und nur sehr zufaellige und sehr egoistische Motive hatten ihn als Ueberlaeufer aus dem aristokratischen in das demokratische Lager gefuehrt. Dass er jetzt wieder auf seine sullanischen Traditionen zurueckkam, war nicht bloss sachgemaess, sondern in jeder Beziehung von wesentlichem Nutzen. So verbraucht das demokratische Feldgeschrei war, von so gewaltiger Wirkung wusste das konservative sein, wenn es von dem rechten Mann ausging. Vielleicht die Majoritaet, auf jeden Fall der Kern der Buergerschaft, gehoerte der verfassungstreuen Partei an, und ihrer numerischen und moralischen Staerke nach war dieselbe wohl berufen, in dem bevorstehenden Praetendentenkampf in maechtiger, vielleicht in entscheidender Weise zu intervenieren. Es fehlte ihr nichts als ein Fuehrer. Marcus Cato, ihr gegenwaertiges Haupt, tat als Vormann seine Schuldigkeit, wie er sie verstand, unter taeglicher Lebensgefahr und vielleicht ohne Hoffnung auf Erfolg; seine Pflichttreue ist achtbar, aber der letzte auf einem verlorenen Posten zu sein, ist Soldaten-, nicht Feldherrnlob. Die gewaltige Reserve, die der Partei der gestuerzten Regierung wie von selber in Italien erwachsen war, wusste er weder zu organisieren noch rechtzeitig in den Kampf zu ziehen; und, worauf am Ende alles ankam, die militaerische Fuehrung hat er aus guten Gruenden niemals in Anspruch genommen. Wenn anstatt dieses Mannes, der weder Parteihaupt noch General zu sein verstand, ein Mann von Pompeius’ politischer und militaerischer Bedeutung das Banner der bestehenden Verfassung erhob, so stroemten notwendig die Munizipalen Italiens haufenweise demselben zu, um darunter, zwar nicht fuer den Koenig Pompeius, aber doch gegen den Koenig Caesar fechten zu helfen. Hierzu kam ein anderes, wenigstens ebenso wichtiges Moment. Es war Pompeius’ Art, selbst wenn er sich entschlossen hatte, nicht den Weg zur Ausfuehrung seines Entschlusses finden zu koennen. Wenn er den Krieg vielleicht zu fuehren, aber gewiss nicht zu erklaeren verstand, so war die catonische Partei sicher unfaehig, ihn zu fuehren, aber sehr faehig und vor allem sehr bereit gegen die in der Gruendung begriffene Monarchie den Krieg zu motivieren. Nach Pompeius’ Absicht sollte, waehrend er selbst sich beiseite hielt und in seiner Art bald davon redete demnaechst in seine spanischen Provinzen abgehen zu wollen, bald zur Uebernahme des Kommandos am Euphrat sich reisefertig machte, die legitime Regierungsbehoerde, das heisst der Senat, mit Caesar brechen, ihm den Krieg erklaeren und mit dessen Fuehrung Pompeius beauftragen, der dann, dem allgemeinen Verlangen nachgebend, als Beschuetzer der Verfassung gegen demagogisch-monarchische Wuehlereien, als rechtlicher Mann und Soldat der bestehenden Ordnung gegen die Wuestlinge und Anarchisten, als wohlbestallter Feldherr der Kurie gegen den Imperator von der Gasse aufzutreten und wieder einmal das Vaterland zu retten gedachte. Also gewann Pompeius durch die Allianz mit den Konservativen, teils zu seinen persoenlichen Anhaengern eine zweite Armee, teils ein angemessenes Kriegsmanifest - Vorteile, die allerdings erkauft wurden um den hohen Preis des Zusammengehens mit prinzipiellen Gegnern. Von den unzaehligen Uebelstaenden, die in dieser Koalition lagen, entwickelte sich vorlaeufig nur erst der eine, aber bereits sehr ernste, dass Pompeius es aus der Hand gab, wann und wie es ihm gefiel, gegen Caesar loszuschlagen, und in diesem entscheidenden Punkte sich abhaengig machte von allen Zufaelligkeiten und Launen einer aristokratischen Korporation. So ward also die republikanische Opposition, nachdem sie sich Jahre lang mit der Zuschauerrolle hatte begnuegen muessen und kaum hatte wagen duerfen zu pfeifen, jetzt durch den bevorstehenden Bruch der Machthaber wieder auf die politische Schaubuehne zurueckgefuehrt. Es war dies zunaechst der Kreis, der in Cato seinen Mittelpunkt fand, diejenigen Republikaner, die den Kampf fuer die Republik und gegen die Monarchie unter allen Umstaenden und je eher desto lieber zu wagen entschlossen waren. Der klaegliche Ausgang des im Jahre 698 (56) gemachten Versuchs hatte sie belehrt, dass sie fuer sich allein den Krieg weder zu fuehren noch auch nur hervorzurufen imstande waren; maenniglich war es bekannt, dass selbst in dem Senat zwar die ganze Koerperschaft mit wenigen vereinzelten Ausnahmen der Monarchie abgeneigt war, allein die Majoritaet doch das oligarchische Regiment nur dann restaurieren wollte, wenn es ohne Gefahr sich restaurieren liess, womit es denn freilich gute Weile hatte. Gegenueber einesteils den Machthabern, andernteils dieser schlaffen Majoritaet, die vor allen Dingen und um jeden Preis Frieden verlangte und jedem entschiedenen Handeln, am meisten einem entschiedenen Bruch mit dem einen oder dem anderen der Machthaber abgeneigt war, lag fuer die Catonische Partei die einzige Moeglichkeit, zu einer Restauration des alten Regiments zu gelangen, in der Koalition mit dem minder gefaehrlichen der Herrscher. Wenn Pompeius sich zu der oligarchischen Verfassung bekannte und fuer sie gegen Caesar zu streiten sich erbot, so konnte und musste die republikanische Opposition ihn als ihren Feldherrn anerkennen und mit ihm im Bunde die furchtsame Majoritaet zur Kriegserklaerung zwingen. Dass es Pompeius mit seiner Verfassungstreue nicht voller Ernst war, konnte zwar niemand entgehen; aber halb, wie er in allem war, war es ihm doch auch keineswegs so wie Caesar zum deutlichen und sicheren Bewusstsein gekommen, dass es das erste Geschaeft des neuen Monarchen sein muesse, mit dem oligarchischen Geruempel gruendlich und abschliessend aufzuraeumen. Auf alle Faelle bildete der Krieg ein wirklich republikanisches Heer und wirklich republikanische Feldherren heran, und es konnte dann, nach dem Siege ueber Caesar, unter guenstigeren Aussichten dazu geschritten werden, nicht bloss einen der Monarchen, sondern die im Werden begriffene Monarchie selbst zu beseitigen. Verzweifelt wie die Sache der Oligarchie stand, war das Anerbieten des Pompeius, mit ihr sich zu verbuenden, fuer sie die moeglichst guenstige Fuegung. Der Abschluss der Allianz zwischen Pompeius und der catonischen Partei erfolgte verhaeltnismaessig rasch. Schon waehrend Pompeius’ Diktatur hatte beiderseits eine bemerkenswerte Annaeherung stattgefunden. Pompeius ganzes Verhalten in der Milonischen Krise, seine schroffe Zurueckweisung des die Diktatur ihm antragenden Poebels, seine bestimmte Erklaerung, nur vom Senat dies Amt annehmen zu wollen, seine unnachsichtige Strenge gegen die Ruhestoerer jeder Art und namentlich gegen die Ultrademokraten, die auffallende Zuvorkommenheit, womit er Cato und dessen Gesinnungsgenossen behandelte, schienen ebenso darauf berechnet, die Maenner der Ordnung zu gewinnen, wie sie fuer den Demokraten Caesar beleidigend waren. Andererseits hatten auch Cato und seine Getreuen den Antrag, Pompeius die Diktatur zu uebertragen, statt ihn mit gewohntem Rigorismus zu bekaempfen, unter unwesentlichen Formaenderungen zu dem ihrigen gemacht; zunaechst aus den Haenden des Bibulus und Cato hatte Pompeius das ungeteilte Konsulat empfangen. Wenn so schon zu Anfang des Jahres 702 (52) die Catonische Partei und Pompeius wenigstens stillschweigend sich verstanden, so durfte das Buendnis als foermlich abgeschlossen gelten, als bei den Konsulwahlen fuer 703 (51) zwar nicht Cato selbst gewaehlt ward, aber doch neben einem unbedeutenden Manne der Senatsmajoritaet einer der entschiedensten Anhaenger Catos, Marcus Claudius Marcellus. Marcellus war kein stuermischer Eiferer und noch weniger ein Genie, aber ein charakterfester und strenger Aristokrat, eben der rechte Mann, um, wenn mit Caesar der Krieg begonnen werden sollte, denselben zu erklaeren. Wie die Verhaeltnisse lagen, kann diese nach den unmittelbar vorher gegen die republikanische Opposition ergriffenen Repressivmassregeln so auffallende Wahl kaum anders erfolgt sein als mit Einwilligung oder wenigstens unter stillschweigender Zulassung des derzeitigen Machthabers von Rom. Langsam und schwerfaellig, wie er pflegte, aber unverwandt schritt Pompeius auf den Bruch zu. In Caesars Absicht lag es dagegen nicht, in diesem Augenblicke mit Pompeius sich zu ueberwerfen. Zwar ernstlich und auf die Dauer konnte er die Herrschergewalt mit keinem Kollegen teilen wollen, am wenigsten mit einem so untergeordneter Art, wie Pompeius war, und ohne Zweifel war er laengst entschlossen, nach Beendigung der gallischen Eroberung die Alleinherrschaft fuer sich zu nehmen und noetigenfalls mit den Waffen zu erzwingen. Allein ein Mann wie Caesar, in dem der Offizier durchaus dem Staatsmann untergeordnet war, konnte nicht verkennen, dass die Regulierung des staatlichen Organismus durch Waffengewalt denselben in ihren Folgen tief und oft fuer immer zerruettet, und musste darum, wenn irgend moeglich, die Verwicklung durch friedliche Mittel oder wenigstens ohne offenbaren Buergerkrieg zu loesen suchen. War aber dennoch der Buergerkrieg nicht zu vermeiden, so konnte er doch nicht wuenschen, jetzt dazu gedraengt zu werden, wo in Gallien der Aufstand des Vercingetorix eben alles Erreichte aufs neue in Frage stellte und ihn vom Winter 701/02 (53/52) bis zum Winter 702/03 (52/51) unausgesetzt beschaeftigte, wo Pompeius und die grundsaetzlich ihm feindliche Verfassungspartei in Italien geboten. Darum suchte er das Verhaeltnis mit Pompeius und damit den Frieden aufrecht zu halten und, wenn irgend moeglich, in friedlicher Weise zu dem bereits in Luca ihm zugesicherten Konsulat fuer 706 (48) zu gelangen. Ward er alsdann nach abschliessender Erledigung der keltischen Angelegenheiten in ordnungsgemaesser Weise an die Spitze des Staates gestellt, so konnte er, der dem Staatsmann Pompeius noch weit entschiedener ueberlegen war als dem Feldherrn, wohl darauf rechnen, ohne besondere Schwierigkeit diesen in der Kurie und auf dem Forum auszumanoevrieren. Vielleicht war es moeglich, fuer seinen schwerfaelligen, unklaren und hoffaertigen Nebenbuhler irgendeine ehrenvolle und einflussreiche Stellung zu ermitteln, in der dieser sich zu annullieren zufrieden war; die wiederholten Versuche Caesars, sich mit Pompeius verschwaegert zu halten, mochten darauf abzielen, eine solche Loesung anzubahnen und in der Sukzession der aus beider Nebenbuhler Blut herstammenden Sproesslinge die letzte Schlichtung des alten Haders herbeizufuehren. Die republikanische Opposition blieb dann fuehrerlos, also wahrscheinlich ebenfalls ruhig und der Friede ward erhalten. Gelang dies nicht und mussten, wie es allerdings wahrscheinlich war, schliesslich die Waffen entscheiden, so verfuegte dann Caesar als Konsul in Rom ueber die gehorsame Senatsmajoritaet und konnte die Koalition der Pompeianer und der Republikaner erschweren, ja vielleicht vereiteln und den Krieg weit schicklicher und vorteilhafter fuehren, als wenn er jetzt als Prokonsul von Gallien gegen den Senat und dessen Feldherrn marschieren liess. Allerdings hing das Gelingen dieses Planes davon ab, dass Pompeius gutmuetig genug war, jetzt noch Caesar zu dem ihm in Luca zugesicherten Konsulat fuer 706 (48) gelangen zu lassen; aber selbst wenn er fehlschlug, war es fuer Caesar immer noch nuetzlich, die groesste Nachgiebigkeit tatsaechlich und wiederholt zu dokumentieren. Teils ward dadurch Zeit gewonnen, um inzwischen im Keltenland zum Ziele zu kommen, teils blieb den Gegnern die gehaessige Initiative des Bruches und also des Buergerkriegs, was sowohl der Senatsmajoritaet und der Partei der materiellen Interessen, also auch namentlich den eigenen Soldaten gegenueber fuer Caesar vom groessten Belang war. Hiernach handelte er. Er ruestete freilich: durch neue Aushebungen im Winter 702/03 (52/51) stieg die Zahl seiner Legionen, einschliesslich der von Pompeius entlehnten, auf elf. Aber zugleich billigte er ausdruecklich und oeffentlich Pompeius’ Verhalten waehrend der Diktatur und die durch ihn bewirkte Wiederherstellung der Ordnung in der Hauptstadt, wies die Warnungen geschaeftiger Freunde als Verleumdungen zurueck, rechnete jeden Tag, um den es gelang, die Katastrophe zu verzoegern, sich zum Gewinn, uebersah, was sich uebersehen liess, und ertrug, was ertragen werden konnte, unerschuetterlich festhaltend nur an der einen und entscheidenden Forderung, dass, wenn mit dem Jahre 705 (49) seine Statthalterschaft zu Ende ging, das nach republikanischem Staatsrecht zulaessige, von seinem Kollegen vertragsmaessig zugestandene zweite Konsulat fuer das Jahr 706 (48) ihm zuteil werde. Ebendies wurde das Schlachtfeld des jetzt beginnenden diplomatischen Krieges. Wenn Caesar genoetigt wurde, entweder sein Statthalteramt vor dem letzten Dezember 705 (49) niederzulegen oder die Uebernahme des hauptstaedtischen Amtes ueber den 1. Januar 706 (48) hinauszuschieben, er also eine Zeitlang zwischen Statthalterschaft und Konsulat ohne Amt, folglich der - nach roemischem Recht nur gegen den amtlosen Mann zulaessigen - Kriminalanklage ausgesetzt blieb, so hatte, da Cato laengst bereit stand, ihn peinlich zu belangen, und da Pompeius ein mehr als zweifelhafter Beschuetzer war, das Publikum guten Grund, ihm in diesem Fall das Schicksal Milos zu prophezeien. Um aber jenes zu erreichen, gab es fuer Caesars Gegner ein sehr einfaches Mittel. Nach der bestehenden Wahlordnung war jeder Bewerber um das Konsulat verpflichtet, vor der Wahl, also ein halbes Jahr vor dem Amtsantritt, sich persoenlich bei dem wahlleitenden Beamten zu melden und die Einzeichnung seines Namens in die offizielle Kandidatenliste zu bewirken. Es mag bei den Vertraegen von Luca als selbstverstaendlich angesehen worden sein, dass Caesar von dieser rein formellen und sehr oft den Kandidaten erlassenen Verpflichtung dispensiert werde; allein das desfaellige Dekret war noch nicht ergangen, und da Pompeius jetzt im Besitz der Dekretiermaschine war, hing Caesar in dieser Hinsicht von dem guten Willen seines Nebenbuhlers ab. Unbegreiflicherweise gab Pompeius diese vollkommen sichere Stellung freiwillig auf; mit seiner Einwilligung und waehrend seiner Diktatur 702 (52) ward durch ein tribunizisches Gesetz Caesar die persoenliche Meldung erlassen. Als indes bald darauf die neue Wahlordnung erging, war darin die Verpflichtung der Kandidaten, persoenlich sich einschreiben zu lassen, allgemein wiederholt und keinerlei Ausnahme zu Gunsten der durch aeltere Volksschluesse davon Entbundenen hinzugefuegt; nach formellem Recht war das zu Gunsten Caesars ergangene Privileg durch das juengere allgemeine Gesetz aufgehoben. Caesar beschwerte sich, und die Klausel wurde auch nachgetragen, aber nicht durch besonderen Volksschluss bestaetigt, so dass diese durch reine Interpolation dem schon promulgierten Gesetz eingefuegte Bestimmung rechtlich nur als eine Nullitaet angesehen werden konnte. Was also Pompeius einfach haette festhalten koennen, hatte er vorgezogen erst zu verschenken, sodann zurueckzunehmen und diese Zuruecknahme schliesslich in illoyalster Weise zu bemaenteln. Wenn hiermit nur mittelbar auf Verkuerzung der Statthalterschaft Caesars hingearbeitet ward, so verfolgte dagegen das gleichzeitig ergangene Regulativ ueber die Statthalterschaften dasselbe Ziel geradezu. Die zehn Jahre, auf welche, zuletzt durch das von Pompeius selbst in Gemeinschaft mit Crassus beantragte Gesetz, Caesar die Statthalterschaft gesichert worden war, liefen nach der hierfuer ueblichen Rechnung vom 1. Maerz 695 (59) bis zum letzten Februar 705 (49). Da ferner nach der frueheren Uebung dem Prokonsul oder Propraetor das Recht zustand, unmittelbar nach Beendigung seines Konsulats oder seiner Praetur in sein Provinzialamt einzutreten, so war Caesars Nachfolger nicht aus den staedtischen Beamten des Jahres 704 (50), sondern aus denen des Jahres 705 (49) zu ernennen und konnte also nicht vor dem 1. Januar 706 (48) eintreten. Insofern hatte Caesar auch noch waehrend der letzten zehn Monate des Jahres 705 (49) ein Anrecht auf das Kommando, nicht auf Grund des Pompeisch- Licinischen Gesetzes, aber auf Grund der alten Regel, dass das befristete Kommando auch nach Ablauf der Frist bis zum Eintreffen des Nachfolgers fortdauert. Seitdem nun aber das neue Regulativ des Jahres 702 (52) nicht die abgehenden, sondern die vor fuenf Jahren oder laenger abgegangenen Konsuln und Praetoren zu den Statthalterschaften berief und also zwischen dem buergerlichen Amt und dem Kommando, statt der bisherigen unmittelbaren Aufeinanderfolge, ein Intervall vorschrieb, war nichts mehr im Wege, jede gesetzlich erledigte Statthalterschaft sofort anderweitig zu besetzen, also in dem gegebenen Falle fuer die gallischen Provinzen den Kommandowechsel statt am 1. Januar 706 (48) vielmehr am 1. Maerz 705 (49) herbeizufuehren. Pompeius’ kuemmerliche Hinterhaeltigkeit und zoegernde Tuecke sind in diesen Veranstaltungen in merkwuerdiger Weise gemischt mit dem knifflichen Formalismus und der konstitutionellen Gelehrsamkeit der Verfassungspartei. Jahre zuvor, ehe diese staatsrechtlichen Waffen gebraucht werden konnten, legte man sie sich zurecht und setzte sich in die Verfassung, teils Caesar vor dem Tage, wo die durch Pompeius’ eigenes Gesetz ihm zugesicherte Frist zu Ende lief, also vom 1. Maerz 705 (49) an, durch Sendung der Nachfolger zur Niederlegung des Kommandos noetigen, teils die bei den Wahlen fuer 706 (48) auf ihn lautenden Stimmtafeln als nichtige behandeln zu koennen. Caesar, nicht in der Lage, diese Schachzuege zu hindern, schwieg dazu und liess die Dinge an sich kommen. Allgemach rueckte denn der verfassungsmaessige Schneckengang weiter. Nach der Observanz hatte der Senat ueber die Statthalterschaften des Jahres 705 (49), insofern sie an gewesene Konsuln kamen, zu Anfang des Jahres 703 (51), insofern sie an gewesene Praetoren kamen, zu Anfang des Jahres 704 (50) zu beraten; jene erstere Beratung gab den ersten Anlass, die Ernennung von neuen Statthaltern fuer beide Gallien im Senat zur Sprache zu bringen und damit den ersten Anlass zu offener Kollision zwischen der von Pompeius vorgeschobenen Verfassungspartei und den Vertretern Caesars im Senat. Der Konsul Marcus Marcellus brachte den Antrag ein, den beiden fuer 705 (49) mit Statthalterschaften auszustattenden Konsularen die beiden bisher von dem Prokonsul Gaius Caesar verwalteten vom 1. Maerz jenes Jahres an zu ueberweisen. Die lange zurueckgehaltene Erbitterung brach im Strom durch die einmal aufgezogene Schleuse; es kam bei diesen Unterhandlungen alles zur Sprache, was die Catonianer gegen Caesar im Sinn trugen. Fuer sie stand es fest, dass das durch Ausnahmegesetz dem Prokonsul Caesar gestattete Recht, sich abwesend zur Konsulwahl zu melden, durch spaeteren Volksschluss wieder aufgehoben, auch in diesem nicht in gueltiger Weise vorbehalten sei. Der Senat sollte ihrer Meinung nach diesen Beamten veranlassen, da die Unterwerfung Galliens beendigt sei, die ausgedienten Soldaten sofort zu verabschieden. Die von Caesar in Oberitalien vorgenommenen Buergerrechtsverleihungen und Koloniegruendungen wurden von ihnen als verfassungswidrig und nichtig bezeichnet; davon zu weiterer Verdeutlichung verhaengte Marcellus ueber einen angesehenen Ratsherrn der Caesarischen Kolonie Comum, der, selbst wenn diesem Ort nicht Buerger-, sondern nur latinisches Recht zukam, befugt war, das roemische Buergerrecht in Anspruch zu nehmen, die nur gegen Nichtbuerger zulaessige Strafe des Auspeitschens. Caesars derzeitige Vertreter, unter denen Gaius Vibius Pansa, der Sohn eines von Sulla geaechteten Mannes, aber dennoch in die politische Laufbahn gelangt, frueher Offizier in Caesars Heer und in diesem Jahre Volkstribun, der namhafteste war, machten im Senat geltend, dass sowohl der Stand der Dinge in Gallien als auch die Billigkeit erfordere, nicht nur Caesar nicht vor der Zeit abzurufen, sondern vielmehr ihm das Kommando neben dem Konsulat zu lassen; sie wiesen ohne Zweifel darauf hin, dass vor wenigen Jahren Pompeius ganz ebenso die spanischen Statthalterschaften mit dem Konsulat vereinigt habe und noch gegenwaertig, ausser dem wichtigen Oberaufsichtsamt ueber das hauptstaedtische Verpflegungswesen, mit dem spanischen Oberkommando das von Italien kumuliere, ja dessen saemtliche waffenfaehige Mannschaft von ihm eingeschworen und ihres Eides noch nicht entbunden sei. Der Prozess fing an sich zu formulieren, aber er kam darum nicht in rascheren Gang. Die Majoritaet des Senats, den Bruch kommen sehend, liess es Monate lang zu keiner beschlussfaehigen Sitzung kommen; und wieder andere Monate gingen ueber Pompeius’ feierlichem Zaudern verloren. Endlich brach dieser das Schweigen und stellte sich zwar wie immer in rueckhaltiger und unsicherer Weise, doch deutlich genug, gegen seinen bisherigen Verbuendeten auf die Seite der Verfassungspartei. Die Forderung der Caesarianer, ihrem Herrn die Kumulierung des Konsulats mit dem Prokonsulat zu gestatten, wies er kurz und schroff von der Hand; dies Verlangen, fuegte er mit plumper Grobheit hinzu, komme ihm nicht besser vor, als wenn der Sohn dem Vater Stockschlaege anbiete. Dem Antrag des Marcellus stimmte er im Prinzip insofern bei, als auch er erklaerte, Caesar den unmittelbaren Anschluss des Konsulats an das Prokonsulat nicht erlauben zu wollen. Indes liess er durchblicken, ohne doch hierueber sich bindend zu erklaeren, dass man die Zulassung zu den Wahlen fuer 706 (48) unter Beseitigung der persoenlichen Meldung sowie die Fortfuehrung der Statthalterschaft bis zum 13. November 705 (49) aeussersten Falls Caesar vielleicht gestatten werde. Zunaechst aber willigte der unverbesserliche Zauderer in die Vertagung der Nachfolgerernennung bis nach dem letzten Februar 704 (50), was von Caesars Wortfuehrern verlangt ward, wahrscheinlich auf Grund einer Klausel des Pompeisch-Licinischen Gesetzes, welche vor dem Anfang von Caesars letztem Statthalterjahr jede Verhandlung des Senats ueber die Nachfolgerernennung untersagte. In diesem Sinne fielen denn die Beschluesse des Senats aus (29. September 703 51). Die Besetzung der gallischen Statthalterschaften ward fuer den 1. Maerz 704 (50) auf die Tagesordnung gebracht, schon jetzt aber die Sprengung der Armee Caesars, aehnlich wie es einst durch Volksschluss mit dem Heere des Lucullus geschehen war, in der Art in die Hand genommen, dass die Veteranen desselben veranlasst wurden, sich wegen ihrer Verabschiedung an den Senat zu wenden. Caesars Vertreter bewirkten zwar, soweit sie verfassungsmaessig es konnten, die Kassation dieser Beschluesse durch ihr tribunizisches Veto; allein Pompeius sprach sehr bestimmt aus, dass die Beamten verpflichtet seien, dem Staat unbedingt zu gehorchen und Interzessionen und aehnliche antiquierte Formalitaeten hierin nichts aendern wuerden. Die oligarchische Partei, zu deren Organ Pompeius jetzt sich machte, verriet nicht undeutlich die Absicht, nach einem allfaelligen Siege die Verfassung in ihrem Sinn zu revidieren und alles zu beseitigen, was wie Volksfreiheit auch nur aussah; wie sie denn auch, ohne Zweifel aus diesem Grunde, es unterliess, bei ihren gegen Caesar gerichteten Angriffen sich irgendwie der Komitien zu bedienen. Die Koalition zwischen Pompeius und der Verfassungspartei war also foermlich erklaert, auch ueber Caesar das Urteil offenbar bereits gefaellt und nur der Termin der Eroeffnung verschoben. Die Wahlen fuer das folgende Jahr fielen durchgaengig gegen ihn aus. Waehrend dieser kriegsvorbereitenden Parteimanoever der Gegner war es Caesar gelungen, mit der gallischen Insurrektion fertigzuwerden und in dem ganzen unterworfenen Gebiet den Friedensstand herzustellen. Schon im Sommer 703 (51) zog er, unter dem schicklichen Vorwand der Grenzverteidigung, aber offenbar zum Zeichen dessen, dass die Legionen in Gallien jetzt anfingen entbehrt werden zu koennen, eine derselben nach Norditalien. Er musste, wenn nicht frueher, jedenfalls wohl jetzt erkennen, dass es ihm nicht erspart bleiben werde, das Schwert gegen seine Mitbuerger zu ziehen; allein nichtsdestoweniger suchte er, da es hoechst wuenschenswert war, die Legionen noch eine Zeitlang in dem kaum beschwichtigten Gallien zu lassen, auch jetzt noch zu zoegern und gab, wohl bekannt mit der extremen Friedensliebe der Senatsmajoritaet, die Hoffnung nicht auf, sie ungeachtet des von Pompeius auf sie ausgeuebten Druckes von der Kriegserklaerung noch zurueckzuhalten. Selbst grosse Opfer scheute er nicht, um nur fuer jetzt nicht mit der obersten Regierungsbehoerde in offenen Widerspruch zu geraten. Als der Senat (Fruehling 704 50) auf Betrieb des Pompeius sowohl an diesen wie an Caesar das Ansuchen stellte, je eine Legion fuer den bevorstehenden Parthischen Krieg abzugeben, und als in Gemaessheit dieses Beschlusses Pompeius die vor mehreren Jahren an Caesar ueberlassene Legion von diesem zurueckverlangte, um sie nach Syrien einzuschiffen, kam Caesar der zwiefachen Aufforderung nach, da an sich weder die Opportunitaet dieses Senatsbeschlusses noch die Berechtigung der Forderung des Pompeius sich bestreiten liess und Caesar an der Einhaltung der Schranken des Gesetzes und der formalen Loyalitaet mehr gelegen war als an einigen tausend Soldaten mehr. Die beiden Legionen kamen ohne Verzug und stellten sich der Regierung zur Verfuegung, aber statt sie an den Euphrat zu senden, hielt diese sie in Capua fuer Pompeius in Bereitschaft, und das Publikum hatte wieder einmal Gelegenheit, Caesars offenkundige Bemuehungen, den Bruch abzuwenden, mit der perfiden Kriegsvorbereitung der Gegner zu vergleichen. Fuer die Verhandlungen mit dem Senat war es Caesar gelungen, nicht nur den einen der beiden Konsuln des Jahres, Lucius Aemilius Paullus, zu erkaufen, sondern vor allem den Volkstribun Gaius Curio, wahrscheinlich das eminenteste unter den vielen liederlichen Genies dieser Epoche ^2: unuebertroffen an vornehmer Eleganz, an fliessender und geistreicher Rede, an Intrigengeschick und an jener Tatkraft, welche bei energisch angelegten, aber verlotterten Charakteren in den Pausen des Muessiggangs nur um so maechtiger sich regt; aber auch unuebertroffen in wuester Wirtschaft, im Borgtalent - man schlug seine Schulden auf 60 Mill. Sesterzen (4« Mill. Taler) an - und in sittlicher wie politischer Grundsatzlosigkeit. Schon frueher hatte er Caesar sich zu Kauf angetragen und war abgewiesen worden: das Talent, das er seitdem in seinen Angriffen auf Caesar entwickelt hatte, bestimmte diesen, ihn nachtraeglich zu erstehen - der Preis war hoch, aber die Ware war es wert. Curio hatte in den ersten Monaten seines Volkstribunats den unabhaengigen Republikaner gespielt und als solcher sowohl gegen Caesar wie gegen Pompeius gedonnert. Die anscheinend unparteiische Stellung, die dies ihm gab, benutzte er mit seltener Gewandtheit, um, als im Maerz 704 (50) der Antrag ueber die Besetzung der gallischen Statthalterschaften fuer das naechste Jahr aufs neue im Senat zur Verhandlung kam, diesem Beschlusse vollstaendig beizupflichten, aber die gleichzeitige Ausdehnung desselben auch auf Pompeius und dessen ausserordentliche Kommandos zu verlangen. Seine Auseinandersetzung, dass ein verfassungsmaessiger Zustand sich nur durch Beseitigung saemtlicher Ausnahmestellungen herbeifuehren lasse, dass Pompeius, als nur vom Senat mit dem Prokonsulat betraut, noch viel weniger als Caesar demselben den Gehorsam verweigern koenne, dass die einseitige Beseitigung des einen der beiden Generaele die Gefahr fuer die Verfassung nur steigere, leuchtete den politischen Halbweisen wie dem grossen Publikum vollkommen ein, und Curios Erklaerung, dass er jedes einseitige Vorschreiten gegen Caesar durch das verfassungsmaessig ihm zustehende Veto zu verhindern gedenke, fand in und ausser dem Senat vielfach Billigung. Caesar erklaerte sich mit Curios Vorschlag sofort einverstanden und erbot sich, Statthalterschaft und Kommando jeden Augenblick auf Anforderndes Senats niederzulegen, wofern Pompeius das gleiche tue; er durfte es, denn ohne sein italisch-spanisches Kommando war Pompeius nicht laenger furchtbar. Dagegen konnte Pompeius eben deswegen nicht umhin sich zu weigern; seine Erwiderung, dass Caesar zuerst niederlegen muesse und er dem gegebenen Beispiel bald zu folgen gedenke, befriedigte um so weniger, als er nicht einmal einen bestimmten Termin fuer seinen Ruecktritt ansetzte. Wieder stockte Monate lang die Entscheidung; Pompeius und die Catonianer, die bedenkliche Stimmung der Senatsmajoritaet erkennend, wagten es nicht, Curios Antrag zur Abstimmung zu bringen. Caesar benutzte den Sommer, um den Friedensstand in den von ihm eroberten Landschaften zu konstatieren, an der Schelde eine grosse Heerschau ueber seine Truppen und durch die ihm voellig ergebene norditalische Statthalterschaft einen Triumphzug zu halten; der Herbst fand ihn in der suedlichen Grenzstadt seiner Provinz, in Ravenna. Die nicht laenger zu verzoegernde Abstimmung ueber Curios Antrag fand endlich statt und konstatierte die Niederlage der Partei des Pompeius und Cato in ihrem ganzen Umfang. Mit 370 gegen 30 Stimmen beschloss der Senat, dass die Prokonsuln von Spanien und Gallien beide aufzufordern seien, ihre Aemter zugleich niederzulegen; und mit grenzenlosem Jubel vernahmen die guten Buerger von Rom die frohe Botschaft von Curios rettender Tat. Pompeius ward also vom Senat nicht minder abberufen als Caesar, und waehrend Caesar bereit stand, dem Befehl nachzukommen, verweigerte Pompeius geradezu den Gehorsam. Der vorsitzende Konsul Gaius Marcellus, des Marcus Marcellus Vetter und gleich diesem zur Catonischen Partei gehoerig, hielt der servilen Majoritaet eine bittere Strafpredigt; und aergerlich war es freilich, so im eigenen Lager geschlagen zu werden und geschlagen mittels der Phalanx der Memmen. Aber wo sollte der Sieg auch herkommen unter einem Fuehrer, der, statt kurz und bestimmt den Senatoren seine Befehle zu diktieren, sich auf seine alten Tage bei einem Professor der Redekunst zum zweitenmal in die Lehre begab, um dem jugendfrischen glaenzenden Talente Curios mit neu aufpolierter Eloquenz zu begegnen? ----------------------------------------------------------- ^2 homo ingeniosissime nequam (Vell, 2, 48). ----------------------------------------------------------- Die im Senat geschlagene Koalition war in der peinlichsten Lage. Die Catonische Fraktion hatte es uebernommen, die Dinge zum Bruche zu treiben und den Senat mit sich fortzureissen und sah nun in der aergerlichsten Weise ihr Fahrzeug auf den Sandbaenken der schlaffen Majoritaet stranden. Von Pompeius mussten ihre Fuehrer in den Konferenzen die bittersten Vorwuerfe hoeren; er wies mit Nachdruck und mit vollem Recht auf die Gefahren des Scheinfriedens hin, und wenn es auch nur an ihm selber lag den Knoten durch eine rasche Tat zu durchhauen, so wussten seine Verbuendeten doch sehr wohl, dass sie diese von ihm nimmermehr erwarten durften und dass es an ihnen war, wie sie es zugesagt, ein Ende zu machen. Nachdem die Vorfechter der Verfassung und des Senatsregiments bereits frueher die verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft und der Volkstribune fuer inhaltlose Formalitaeten erklaert hatten, sahen sie sich jetzt in die Notwendigkeit versetzt, die verfassungsmaessigen Entscheidungen des Senats selbst in aehnlicher Weise zu behandeln und, da die legitime Regierung nicht mit ihrem Willen sich wollte retten lassen, sie wider ihren Willen zu erretten. Es war das weder neu noch zufaellig; in ganz aehnlicher Weise wie jetzt Cato und die Seinen hatten auch Sulla und Lucullus jeden im rechten Interesse der Regierung gefassten energischen Entschluss derselben ueber den Kopf nehmen zu muessen: die Verfassungsmaschine war eben vollstaendig abgenutzt, und wie seit Jahrhunderten die Komitien, so jetzt auch der Senat nichts als ein lahmes, aus dem Geleise weichendes Rad. Es ging die Rede (Oktober 704 50), dass Caesar vier Legionen aus dem Jenseitigen in das Diesseitige Gallien gezogen und bei Placentia aufgestellt habe. Obwohl diese Truppenverlegung an sich in den Befugnissen des Statthalters lag, Curio ueberdies die vollstaendige Grundlosigkeit des Geruechts im Senat handgreiflich dartat und die Kurie den Antrag des Konsuls Gaius Marcellus, daraufhin Pompeius Marschbefehl gegen Caesar zu erteilen, mit Mehrheit verwarf, so begab sich dennoch der genannte Konsul in Verbindung mit den beiden fuer 705 (49) erwaehlten gleichfalls zur Catonischen Partei gehoerigen Konsuln zu Pompeius, und diese drei Maenner ersuchten kraft eigener Machtvollkommenheit den General, sich an die Spitze der beiden bei Capua stehenden Legionen zu stellen und nach Ermessen die italische Wehrmannschaft unter die Waffen zu rufen. Eine formwidrigere Vollmacht zur Eroeffnung des Buergerkrieges liess schwer sich denken; allein man hatte keine Zeit mehr, auf solche Nebensachen Ruecksicht zu nehmen: Pompeius nahm sie an. Die Kriegsvorbereitungen, die Aushebungen begannen; um sie persoenlich zu foerdern, verliess Pompeius im Dezember 704 (50) die Hauptstadt. Caesar hatte es vollstaendig erreicht, den Gegnern die Initiative des Buergerkrieges zuzuschieben. Er hatte, waehrend er selber den Rechtsboden festhielt, Pompeius gezwungen, den Krieg zu erklaeren, und ihn zu erklaeren nicht als Vertreter der legitimen Gewalt, sondern als Feldherr einer offenbar revolutionaeren und die Mehrheit terrorisierenden Senatsminoritaet. Es war dieser Erfolg nicht gering anzuschlagen, wenngleich der Instinkt der Massen sich keinen Augenblick darueber taeuschen konnte und taeuschte, dass es in diesem Krieg sich um andere Dinge handelte als um formale Rechtsfragen. Nun, wo der Krieg erklaert war, lag es in Caesars Interesse, baldmoeglichst zum Schlagen zu kommen. Die Ruestungen der Gegner waren erst im Beginnen und selbst die Hauptstadt unbesetzt. In zehn bis zwoelf Tagen konnte daselbst eine den in Oberitalien stehenden Truppen Caesars dreifach ueberlegene Armee beisammen sein; aber noch war es nicht unmoeglich, Rom unverteidigt zu ueberrumpeln, ja vielleicht durch einen raschen Winterfeldzug ganz Italien einzunehmen und den Gegnern ihre besten Hilfsquellen zu verschliessen, bevor sie noch dieselben nutzbar zu machen vermochten. Der kluge und energische Curio, der nach Niederlegung seines Tribunats (9. Dezember 704 50) sofort zu Caesar nach Ravenna gegangen war, stellte seinem Meister die Lage der Dinge lebhaft vor, und es bedurfte dessen schwerlich, um Caesar zu ueberzeugen, dass jetzt laengeres Zaudern nur schaden koenne. Allein da er, um nicht den Gegnern Veranlassung zu Beschwerden zu geben, nach Ravenna selbst bisher keine Truppen gezogen hatte, konnte er fuer jetzt nichts tun, als seinen saemtlichen Korps den Befehl zum schleunigsten Aufbruch zufertigen und musste warten, bis wenigstens die eine in Oberitalien stehende Legion in Ravenna eintraf. Inzwischen sandte er ein Ultimatum nach Rom, das, wenn zu nichts anderem, doch dazu nuetzlich war, dass es durch Nachgiebigkeit bis aufs aeusserste seine Gegner noch weiter in der oeffentlichen Meinung kompromittierte und vielleicht sogar, indem er selber zu zaudern schien, sie bestimmte, die Ruestungen gegen ihn laessiger zu betreiben. In diesem Ultimatum liess Caesar alle frueheren an Pompeius gestellten Gegenforderungen fallen und erbot sich seinerseits, bis zu der von dem Senate festgesetzten Frist sowohl die Statthalterschaft des Jenseitigen Galliens niederzulegen als auch von den zehn ihm eigenen Legionen acht aufzuloesen; er erklaerte sich befriedigt, wenn der Senat ihm entweder die Statthalterschaft des Diesseitigen Galliens und Illyriens mit einer oder auch die des Diesseitigen Galliens allein mit zwei Legionen, nicht etwa bis zur Uebernahme des Konsulats, sondern bis nach Beendigung der Konsulwahlen fuer 706 (48) belasse. Er ging also auf diejenigen Vergleichsvorschlaege ein, mit denen zu Anfang der Verhandlungen die Senatspartei, ja Pompeius selbst erklaert hatten, sich befriedigen zu wollen, und zeigte sich bereit, von der Wahl zum Konsulat bis zum Antritt desselben im Privatstand zu verharren. Ob es Caesar mit diesen erstaunlichen Zugestaendnissen Ernst war und er sein Spiel gegen Pompeius selbst bei solchem Vorgeben durchfuehren zu koennen sich getraute oder ob er darauf rechnete, dass man auf der andern Seite bereits zu weit gegangen sei, um in diesen Vergleichsvorschlaegen mehr zu finden als den Beweis dafuer, dass Caesar seine Sache selbst als verloren betrachte, laesst sich nicht mehr mit Sicherheit entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit ist dafuer, dass Caesar weit eher den Fehler allzukecken Spielens als den schlimmeren beging, etwas zu versprechen, was er nicht zu halten gesonnen war, und dass, wenn wunderbarerweise seine Vorschlaege angenommen worden waeren, er sein Wort gutgemacht haben wuerde. Curio uebernahm es, seinen Herrn noch einmal in der Hoehle des Loewen zu vertreten. In drei Tagen durchflog er die Strasse von Ravenna nach Rom; als die neuen Konsuln Lucius Lentulus und Gaius Marcellus der juengere ^3 zum erstenmal am 1. Januar 705 (49) den Senat versammelten, uebergab er in voller Sitzung das von dem Feldherrn an den Senat gerichtete Schreiben. Die Volkstribune Marcus Antonius, in der Skandalchronik der Stadt bekannt als Curios vertrauter Freund und aller seiner Torheiten Genosse, aber zugleich auch aus den aegyptischen und gallischen Feldzuegen als glaenzender Reiteroffizier, und Quintus Cassius, Pompeius’ ehemaliger Quaestor, welche beide jetzt an Curios Stelle Caesars Sache in Rom fuehrten, erzwangen die sofortige Verlesung der Depesche. Die ernsten und klaren Warte, in denen Caesar den drohenden Buergerkrieg, den allgemeinen Wunsch nach Frieden, Pompeius’ Uebermut, seine eigene Nachgiebigkeit mit der ganzen unwiderstehlichen Macht der Wahrheit darlegte, die Vergleichsvorschlaege von einer ohne Zweifel seine eigenen Anhaenger ueberraschenden Maessigung, die bestimmte Erklaerung, dass hiermit die Hand zum Frieden zum letztenmal geboten sei, machten den tiefsten Eindruck. Trotz der Furcht vor den zahlreich in die Hauptstadt gestroemten Soldaten des Pompeius war die Gesinnung der Majoritaet nicht zweifelhaft; man durfte nicht wagen, sie sich aussprechen zu lassen. Ueber den von Caesar erneuerten Vorschlag, dass beiden Statthaltern zugleich die Niederlegung ihres Kommandos aufgegeben werden moege, ueber alle durch sein Schreiben nahegelegten Vergleichsvorschlaege und ueber den von Marcus Caelius Rufus und Marcus Calidius gestellten Antrag, Pompeius zur sofortigen Abreise nach Spanien zu veranlassen, weigerten sich die Konsuln, wie sie als Vorsitzende es durften, die Abstimmung zu eroeffnen. Selbst der Antrag eines der entschiedensten Gesinnungsgenossen, der nur nicht gegen die militaerische Lage der Dinge so blind war wie seine Partei, des Marcus Marcellus: die Beschlussfassung auszusetzen, bis der italische Landsturm unter Waffen stehe und den Senat zu schuetzen vermoege, durfte nicht zur Abstimmung gebracht werden. Pompeius liess durch sein gewoehnliches Organ Quintus Scipio erklaeren, dass er jetzt oder nie die Sache des Senats aufzunehmen entschlossen sei und sie fallen lasse, wenn man noch laenger zaudere. Der Konsul Lentulus sprach es unumwunden aus, dass es gar auf den Beschluss des Senats nicht mehr ankomme, sondern, wenn derselbe bei seiner Servilitaet verharren sollte, er von sich aus handeln und mit seinen maechtigen Freunden das weitere veranlassen werde. So terrorisiert, beschloss die Majoritaet, was ihr befohlen ward: dass Caesar bis zu einem bestimmten, nicht fernen Tage das Jenseitige Gallien an Lucius Domitius Ahenobarbus, das Diesseitige an Marcus Servilius Nonianus abzugeben und das Heer zu entlassen habe, widrigenfalls er als Hochverraeter erachtet werde. Als die Tribune von Caesars Partei gegen diesen Beschluss ihres Interzessionsrechts sich bedienten, wurden sie nicht bloss, wie sie wenigstens behaupteten, in der Kurie selbst von Pompeianischen Soldaten mit den Schwertern bedroht und, um ihr Leben zu retten, in Sklavenkleidern aus der Hauptstadt zu fluechten gezwungen, sondern es behandelte auch der nun hinreichend eingeschuechterte Senat ihr formell durchaus verfassungsmaessiges Einschreiten wie einen Revolutionsversuch, erklaerte das Vaterland in Gefahr und rief in den ueblichen Formen die gesamte Buergerschaft unter die Waffen und an die Spitze der Bewaffneten die saemtlichen verfassungstreuen Beamten (7. Januar 705 49). ----------------------------------------------- ^3 Zu unterscheiden von dem gleichnamigen Konsul des Jahres 704 (SO); dieser war ein Vetter, der Konsul des Jahres 705 (49) ein Bruder des Marcus Marcellus, Konsul 703 (51). ---------------------------------------------- Nun war es genug. Wie Caesar durch die schutzflehend zu ihm ins Lager fluechtenden Tribune von der Aufnahme in Kenntnis gesetzt ward, welche seine Vorschlaege in der Hauptstadt gefunden hatten, rief er die Soldaten der dreizehnten Legion, die inzwischen aus ihren Kantonierungen bei Tergeste (Triest) in Ravenna eingetroffen war, zusammen und entwickelte vor ihnen den Stand der Dinge. Es war nicht bloss der geniale Herzenskuendiger und Geisterbeherrscher, dessen glaenzende Rede in diesem erschuetternden Wendepunkt seines und des Weltgeschicks hoch emporleuchtete und flammte; nicht bloss der freigebige Heermeister und der sieghafte Feldherr, welcher zu den Soldaten sprach, die von ihm selbst unter die Waffen gerufen und seit acht Jahren mit immer steigender Begeisterung seinen Fahnen gefolgt waren; es sprach vor allem der energische und konsequente Staatsmann, der nun seit neunundzwanzig Jahren die Sache der Freiheit in guter und boeser Zeit vertreten, fuer sie den Dolchen der Moerder und den Henkern der Aristokratie, den Schwertern der Deutschen und den Fluten des unbekannten Ozeans Trotz geboten hatte, ohne je zu weichen und zu wanken, der die Sullanische Verfassung zerrissen, das Regiment des Senats gestuerzt, die wehrund waffenlose Demokratie in dem Kampfe jenseits der Alpen beschildet und bewehrt hatte; und er sprach nicht zu dem clodianischen Publikum, dessen republikanischer Enthusiasmus laengst zu Asche und Schlacken niedergebrannt war, sondern zu den jungen Mannschaften aus den Staedten und Doerfern Norditaliens, die den maechtigen Gedanken der buergerlichen Freiheit noch frisch und rein empfanden, die noch faehig waren, fuer Ideale zu fechten und zu sterben, die selbst fuer ihre Landschaft das von der Regierung ihnen versagte Buergerrecht in revolutionaerer Weise von Caesar empfangen hatten, die Caesars Sturz den Ruten und Beilen abermals preisgab und die die tatsaechlichen Beweise bereits davon besassen, wie unerbittlichen Gebrauch die Oligarchie davon gegen die Transpadaner zu machen gedachte. Vor solchen Zuhoerern legte ein solcher Redner die Tatsachen dar: den Dank fuer die Eroberung Galliens, den der Adel dem Feldherrn und dem Heer bereitete, die geringschaetzige Beseitigung der Komitien, die Terrorisierung des Senats, die heilige Pflicht, das vor einem halben Jahrtausend von den Vaetern mit den Waffen in der Hand dem Adel abgezwungene Volkstribunat mit gewaffneter Hand zu schirmen, den alten Schwur zu halten, den jene fuer sich wie fuer die Enkel ihrer Enkel geleistet, fuer die Tribune der Gemeinde Mann fuer Mann einzustehen bis in den Tod. Als dann er, der Fuehrer und Feldherr der Popularpartei, die Soldaten des Volkes aufrief, jetzt, nachdem der Gueteversuch erschoepft, die Nachgiebigkeit an den aeussersten Grenzen angelangt war, jetzt ihm zu folgen in den letzten, den unvermeidlichen, den entscheidenden Kampf gegen den ebenso verhassten wie verachteten, ebenso perfiden wie unfaehigen und bis zur Laecherlichkeit unverbesserlichen Adel - da war kein Offizier und kein Soldat, der sich zurueckgehalten haette. Der Aufbruch war befohlen; an der Spitze seines Vortrabs ueberschritt Caesar den schmalen Bach, der seine Provinz von Italien schied und jenseits dessen die Verfassung den Prokonsul von Gallien bannte. Indem er nach neunjaehriger Abwesenheit den Boden des Vaterlandes wieder betrat, betrat er zugleich die Bahn der Revolution. "Die Wuerfel waren geworfen." 10. Kapitel Brundisium, Ilerda, Pharsalos und Thapsus Zwischen den beiden bisherigen Gesamtherrschern von Rom sollten also die Waffen entscheiden, wer von ihnen berufen sei, Roms erster Alleinherrscher zu sein. Sehen wir, wie fuer die bevorstehende Kriegfuehrung zwischen Caesar und Pompeius sich das Machtverhaeltnis gestellt hatte. Caesars Macht ruhte zunaechst auf der voellig unumschraenkten
Gewalt, deren er innerhalb seiner Partei genoss. Wenn die Ideen der Demokratie und der Monarchie in ihr zusammenflossen, so war dies nicht die Folge einer zufaellig eingegangenen und zufaellig loesbaren Koalition, sondern es war im tiefsten Wesen der Demokratie ohne Repraesentativverfassung begruendet, dass Demokratie wie Monarchie zugleich ihren hoechsten und letzten Ausdruck in Caesar fanden. Politisch wie militaerisch entschied Caesar durchaus in erster und letzter Instanz. In wie hohen Ehren er auch jedes brauchbare Werkzeug hielt, so blieb es doch immer Werkzeug: Caesar stand innerhalb seiner Partei ohne Genossen, nur umgeben von militaerisch-politischen Adjutanten, die in der Regel aus der Armee hervorgegangen und als Soldaten geschult waren, nirgends nach Grund und Zweck zu fragen, sondern unbedingt zu gehorchen. Darum vor allem hat in dem entscheidenden Augenblick, als der Buergerkrieg begann, von allen Soldaten und Offizieren Caesars nur ein einziger ihm den Gehorsam verweigert; und es bestaetigt nur diese Auffassung des Verhaeltnisses Caesars zu seinen Anhaengern, dass dieser eine eben von allen der Erste war. Titus Labienus hatte mit Caesar alle Drangsale der duesteren catilinarischen Zeit wie allen Glanz der gallischen Siegeslaufbahn geteilt, hatte regelmaessig selbstaendig befehligt und haeufig die halbe Armee gefuehrt; er war ohne Frage wie der aelteste, tuechtigste und treueste unter Caesars Adjutanten, so auch der hoechstgestellte und am hoechsten geehrte. Noch im Jahre 704 (50) hatte Caesar ihm den Oberbefehl im Diesseitigen Gallien uebertragen, um teils diesen Vertrauensposten in sichere Hand zu geben, teils zugleich Labienus in seiner Bewerbung um das Konsulat damit zu foerdern. Allein ebenhier trat Labienus mit der Gegenpartei in Verbindung, begab sich beim Beginn der Feindseligkeiten im Jahre 705 (49), statt in Caesars in Pompeius’ Hauptquartier und kaempfte waehrend des ganzen Buergerkrieges mit beispielloser Erbitterung gegen seinen alten Freund und Kriegsherrn. Wir sind weder ueber Labienus’ Charakter noch ueber die einzelnen Umstaende seines Parteiwechsels genuegend unterrichtet; im wesentlichen aber liegt hier sicher nichts vor als ein weiterer Beleg dafuer, dass der Kriegsfuerst weit sicherer auf seine Hauptleute als auf seine Marschaelle zaehlen kann. Allem Anschein nach war Labienus eine jener Persoenlichkeiten, die mit militaerischer Brauchbarkeit vollstaendige staatsmaennische Unfaehigkeit vereinigen und die dann, wenn sie ungluecklicherweise Politik machen wollen oder muessen, jenen tollen Schwindelanfaellen ausgesetzt sind, wovon die Geschichte der Napoleonischen Marschaelle so manches tragikomische Beispiel aufzeigt. Er mochte wohl sich berechtigt halten, als das zweite Haupt der Demokratie neben Caesar zu gelten; und dass er mit diesem Anspruch zurueckgewiesen ward, wird ihn in das Lager der Gegner gefuehrt haben. Es zeigte hier zum ersten Male sich die ganze Schwere des Uebelstandes, dass Caesars Behandlung seiner Offiziere als unselbstaendiger Adjutanten keine zur Uebernahme eines abgesonderten Kommandos geeigneten Maenner in seinem Lager emporkommen liess, waehrend er doch bei der leicht vorherzusehenden Zersplitterung der bevorstehenden Kriegfuehrung durch alle Provinzen des weiten Reiches ebensolcher Maenner dringend bedurfte. Allein dieser Nachteil wurde dennoch weit aufgewogen durch die erste und nur um diesen Preis zu bewahrende Bedingung eines jeden Erfolgs, die Einheit der obersten Leitung. Die einheitliche Leitung erhielt ihre volle Gewalt durch die Brauchbarkeit der Werkzeuge. Hier kam in erster Linie in Betracht die Armee. Sie zaehlte noch neun Legionen Infanterie oder hoechstens 50000 Mann, welche aber alle vor dem Feinde gestanden und von denen zwei Drittel saemtliche Feldzuege gegen die Kelten mitgemacht hatten. Die Reiterei bestand aus deutschen und norischen Soeldnern, deren Brauchbarkeit und Zuverlaessigkeit in dem Kriege gegen Vercingetorix erprobt worden war. Der achtjaehrige Krieg voll mannigfacher Wechselfaelle gegen die tapfere, wenn auch militaerisch der italischen entschieden nachstehende keltische Nation hatte Caesar die Gelegenheit gegeben, seine Armee zu organisieren, wie nur er zu organisieren verstand. Alle Brauchbarkeit des Soldaten setzt physische Tuechtigkeit voraus: bei Caesars Aushebungen wurde auf Staerke und Gewandtheit der Rekruten mehr als auf Vermoegen und Moralitaet gesehen. Aber die Leistungsfaehigkeit der Armee beruht, wie die einer jeden Maschine, vor allen Dingen auf der Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bewegung: in der Bereitschaft zum sofortigen Aufbruch zu jeder Zeit und in der Schnelligkeit des Marschierens erlangten Caesars Soldaten eine selten erreichte und wohl nie uebertroffene Vollkommenheit. Mut galt natuerlich ueber alles: die Kunst, den kriegerischen Wetteifer und den Korpsgeist anzufachen, so dass die Bevorzugung einzelner Soldaten und Abteilungen selbst den Zurueckstehenden als die notwendige Hierarchie der Tapferkeit erschien, uebte Caesar mit unerreichter Meisterschaft. Er gewoehnte den Leuten das Fuerchten ab, indem er, wo es ohne ernste Gefahr geschehen konnte, die Soldaten nicht selten von einem bevorstehenden Kampf nicht in Kenntnis setzte, sondern sie unvermutet auf den Feind treffen liess. Aber der Tapferkeit gleich stand der Gehorsam. Der Soldat wurde angehalten, das Befohlene zu tun, ohne nach Ursache und Absicht zu fragen; manche zwecklose Strapaze wurde einzig als Uebung in der schweren Kunst der blinden Folgsamkeit ihm auferlegt. Die Disziplin war streng, aber nicht peinlich: unnachsichtlich ward sie gehandhabt, wenn der Soldat vor dem Feinde stand; zu anderen Zeiten, vor allem nach dem Siege, wurden die Zuegel nachgelassen, und wenn es dem sonst brauchbaren Soldaten dann beliebte, sich zu parfuemieren oder mit eleganten Waffen und andern Dingen sich zu putzen, ja sogar, wenn er Brutalitaeten oder Unrechtfertigkeiten selbst bedenklicher Art sich zu Schulden kommen liess und nur nicht zunaechst die militaerischen Verhaeltnisse dadurch beruehrt wurden, so ging die Narrenteidung wie das Verbrechen ihm hin und die desfaelligen Klagen der Provinzialen fanden bei dem Feldherrn ein taubes Ohr. Meuterei dagegen ward, nicht bloss den Anstiftern, sondern selbst dem Korps, niemals verziehen. Aber der rechte Soldat soll nicht bloss ueberhaupt tuechtig, tapfer und gehorsam, sondern er soll dies alles willig, ja freiwillig sein; und nur genialen Naturen ist es gegeben, durch Beispiel und durch Hoffnung und vor allem durch das Bewusstsein, zweckmaessig gebraucht zu werden, die beseelte Maschine, die sie regieren, zum freudigen Dienen zu bestimmen. Wenn der Offizier, um von seinen Leuten Tapferkeit zu verlangen, selbst mit ihnen der Gefahr ins Auge gesehen haben muss, so hatte Caesar auch als Feldherr Gelegenheit gehabt, den Degen zu ziehen und dann gleich dem Besten ihn gebraucht; an Taetigkeit aber und Strapazen mutete er stets sich selbst weit mehr zu als seinen Soldaten. Caesar sorgte dafuer, dass an den Sieg, der zunaechst freilich dem Feldherrn Gewinn bringt, doch auch fuer den Soldaten sich persoenliche Hoffnungen knuepften. Dass er es verstand, die Soldaten fuer die Sache der Demokratie zu begeistern, soweit die prosaisch gewordene Zeit noch Begeisterung gestattet, und dass die politische Gleichstellung der transpadanischen Landschaft, der Heimat seiner meisten Soldaten, mit dem eigentlichen Italien als eines der Kampfziele hingestellt ward, wurde schon erwaehnt. Es versteht sich, dass daneben auch materielle Praemien nicht fehlten, sowohl besondere fuer hervorragende Waffentaten, wie allgemeine fuer jeden tuechtigen Soldaten; dass die Offiziere dotiert, die Soldaten beschenkt und fuer den Triumph die verschwenderischsten Gaben in Aussicht gestellt wurden. Aber vor allen Dingen verstand es Caesar als wahrer Heermeister, in jedem einzelnen grossen oder kleinen Triebrad des maechtigen Instruments das Gefuehl zweckmaessiger Verwendung zu erwecken. Der gewoehnliche Mensch ist zum Dienen bestimmt und er straeubt sich nicht, Werkzeug zu sein, wenn er fuehlt, dass ein Meister ihn lenkt. Allgegenwaertig und jederzeit ruhte der Adlerblick des Feldherrn auf dem ganzen Heer, mit unparteiischer Gerechtigkeit belohnend und bestrafend und der Taetigkeit eines jeden die zum Besten aller dienenden Wege weisend, so dass auch mit des Geringsten Schweiss und Blut nicht experimentiert oder gespielt, darum aber auch, wo es noetig war, unbedingte Hingebung bis in den Tod gefordert ward. Ohne dem einzelnen in das gesamte Triebwerk den Einblick zu gestatten, liess Caesar ihn doch genug von dem politischen und militaerischen Zusammenhang der Dinge ahnen, um als Staatsmann und Feldherr von dem Soldaten erkannt, auch wohl idealisiert zu werden. Durchaus behandelte er die Soldaten nicht als seinesgleichen, aber als Maenner, welche Wahrheit zu fordern berechtigt und zu ertragen faehig waren, und die den Versprechungen und Versicherungen des Feldherrn Glauben zu schenken hatten, ohne Prellerei zu vermuten oder auf Geruechte zu horchen; als langjaehrige Kameraden in Krieg und Sieg, unter denen kaum einer war, den er nicht mit Namen kannte und bei dem sich nicht in all den Feldzuegen ein mehr oder minder persoenliches Verhaeltnis zu dem Feldherrn gebildet haette; als gute Genossen, mit denen er zutraulich und mit der ihm eigenen heiteren Elastizitaet schwatzte und verkehrte; als Schutzbefohlene, deren Dienste zu vergelten, deren Unbill und Tod zu raechen ihm heilige Pflicht war. Vielleicht nie hat es eine Armee gegeben, die so vollkommen war, was die Armee sein soll: eine fuer ihre Zwecke faehige und fuer ihre Zwecke willige Maschine in der Hand eines Meisters, der auf sie seine eigene Spannkraft uebertraegt. Caesars Soldaten waren und fuehlten sich zehnfacher Uebermacht gewachsen: wobei nicht uebersehen werden darf, dass bei der durchaus auf das Handgemenge und vornehmlich den Schwertkampf berechneten roemischen Taktik der geuebte roemische Soldat dem Neuling in noch weit hoeherem Grade ueberlegen war, als dies unter den heutigen Verhaeltnissen der Fall ist ^1. Aber noch mehr als durch die ueberlegene Tapferkeit fuehlten die Gegner sich gedemuetigt durch die unwandelbare und ruehrende Treue, mit der Caesars Soldaten an ihrem Feldherrn hingen. Es ist wohl ohne Beispiel in der Geschichte, dass, als der Feldherr seine Soldaten aufrief, ihm in den Buergerkrieg zu folgen, mit der einzigen, schon erwaehnten Ausnahme des Labienus kein roemischer Offizier und kein roemischer Soldat ihn im Stich liess. Die Hoffnungen der Gegner auf eine ausgedehnte Desertion scheiterten ebenso schmaehlich wie der fruehere Versuch, sein Heer wie das des Lucullus auseinander zu sprengen; selbst Labienus erschien in Pompeius’ Lager wohl mit einem Haufen keltischer und deutscher Reiter, aber ohne einen einzigen Legionaer. Ja die Soldaten, als wollten sie zeigen, dass der Krieg ganz ebenso ihre Sache sei wie die des Feldherrn, machten unter sich aus, dass sie den Sold, den ihnen Caesar beim Ausbruch des Buergerkrieges zu verdoppeln versprochen hatte, bis zu dessen Beendigung dem Feldherrn kreditieren und inzwischen die aermeren Kameraden aus allgemeinen Mitteln unterstuetzen wollten; ueberdies ruestete und besoldete jeder Unteroffizier einen Reiter aus seiner Tasche. ------------------------------------------------------ ^1 Ein gefangener Centurio von der zehnten Legion Caesars erklaerte dem feindlichen Oberfeldherrn dass er bereit sei, es mit zehn von seinen Leuten gegen die beste feindliche Kohorte (500 Mann) aufzunehmen (Bell. Afr. 45). "In der Fechtweise der Alten", urteilt Napoleon I., "bestand die Schlacht aus lauter Zweikaempfen; in dem Munde des heutigen Soldaten wuerde es Prahlerei sein, was in dem jenes Centurionen nur richtig war." Von dem Soldatengeist, der Caesars Armee durchdrang, legen die seinen Memoiren angehaengten Berichte ueber den Afrikanischen und den Zweiten Spanischen Krieg, von denen jener einen Offizier zweiten Ranges zum Verfasser zu haben scheint, dieser ein in jeder Beziehung subalternes Lagerjournal ist, lebendigen Beweis ab. ------------------------------------------------------ Wenn also Caesar das eine hatte, was not tat: unbeschraenkte politische und militaerische Gewalt und eine schlagfertige zuverlaessige Armee, so dehnte seine Macht verhaeltnismaessig sich nur ueber einen sehr beschraenkten Raum aus. Sie ruhte wesentlich auf der oberitalischen Provinz. Diese Landschaft war nicht bloss die am besten bevoelkerte unter allen italischen, sondern auch der Sache der Demokratie als ihrer eigenen ergeben. Von der daselbst herrschenden Stimmung zeugt das Verhalten einer Abteilung Rekruten von Opitergium (Oderzo in der Delegation Treviso), die nicht lange nach dem Ausbruch des Krieges in den illyrischen Gewaessern, auf einem elenden Floss von den feindlichen Kriegsschiffen umzingelt, den ganzen Tag bis zur sinkenden Sonne sich zusammenschiessen liessen, ohne sich zu ergeben, und, soweit sie den Geschossen entgangen waren, in der folgenden Nacht mit eigener Hand sich den Tod gaben. Man begreift, was einer solchen Bevoelkerung zugemutet werden konnte. Wie sie Caesar bereits die Mittel gewaehrt hatte, seine urspruengliche Armee mehr als zu verdoppeln, so stellten auch nach Ausbruch des Buergerkrieges zu den sofort angeordneten umfassenden Aushebungen die Rekruten zahlreich sich ein. In dem eigentlichen Italien dagegen war Caesars Einfluss dem der Gegner nicht entfernt zu vergleichen. Wenn er auch durch geschickte Manoever die Catonische Partei ins Unrecht zu setzen gewusst und alle, die einen Vorwand wuenschten, um mit gutem Gewissen entweder neutral zu bleiben, wie die Senatsmajoritaet, oder seine Partei zu ergreifen, wie seine Soldaten und die Transpadaner, von seinem guten Recht hinreichend ueberzeugt hatte, so liess sich doch die Masse der Buergerschaft natuerlich dadurch nicht irren und sah, als der Kommandant von Gallien seine Legionen gegen Rom in Bewegung setzte, allen formalen Rechtseroerterungen zum Trotz, in Cato und Pompeius die Verteidiger der legitimen Republik, in Caesar den demokratischen Usurpator. Allgemein erwartete man ferner von dem Neffen des Marius, dem Schwiegersoehne des Cinna, dem Verbuendeten des Catilina die Wiederholung der Marianisch-Cinnanischen Greuel, die Realisierung der von Catilina entworfenen Saturnalien der Anarchie; und wenn auch Caesar hierdurch allerdings Verbuendete gewann, die politischen Fluechtlinge sofort in Masse sich ihm zur Verfuegung stellten, die verlorenen Leute ihren Erloeser in ihm sahen, die niedrigsten Schichten des hauptund landstaedtischen Poebels auf die Kunde von seinem Anmarsch in Gaerung gerieten, so waren dies doch von den Freunden, die gefaehrlicher als die Feinde sind. Noch weniger als in Italien hatte Caesar in den Provinzen und den Klientelstaaten Einfluss. Das Transalpinische Gallien bis zum Rhein und zum Kanal gehorchte ihm zwar, und die Kolonisten von Narbo sowie die sonst daselbst ansaessigen roemischen Buerger waren ihm ergeben; allein selbst in der Narbonensischen Provinz hatte die Verfassungspartei zahlreiche Anhaenger, und nun gar die neueroberten Landschaften waren fuer Caesar in dem bevorstehenden Buergerkrieg weit mehr eine Last als ein Vorteil, wie er denn aus guten Gruenden in demselben von dem keltischen Fussvolk gar keinen, von der Reiterei nur sparsamen Gebrauch machte. In den uebrigen Provinzen und den benachbarten, halb oder ganz unabhaengigen Staaten hatte Caesar wohl auch versucht, sich Rueckhalt zu verschaffen, hatte den Fuersten reiche Geschenke gespendet, in manchen Staedten grosse Bauten ausfuehren lassen und in Notfaellen ihnen finanziellen und militaerischen Beistand gewaehrt; allein im ganzen war natuerlich damit nicht viel erreicht worden, und die Beziehungen zu den deutschen und keltischen Fuersten in den Rheinund Donaulandschaften, namentlich die der Reiterwerbung wegen wichtige zu dem norischen Koenig Voccio waren wohl die einzigen derartigen Verhaeltnisse, die fuer ihn etwas bedeuten mochten. Wenn Caesar also in den Kampf eintrat nur als Kommandant von Gallien, ohne andere wesentliche Hilfsmittel als brauchbare Adjutanten, ein treues Heer und eine ergebene Provinz, so begann ihn Pompeius als tatsaechliches Oberhaupt des roemischen Gemeinwesens und im Vollbesitz aller der legitimen Regierung des grossen roemischen Reiches zur Verfuegung stehenden Hilfsquellen. Allein wenn seine Stellung politisch und militaerisch weit ansehnlicher war, so war sie dagegen auch weit minder klar und fest. Die Einheit der Oberleitung, die aus Caesars Stellung sich von selbst und mit Notwendigkeit ergab, war dem Wesen der Koalition zuwider; und obwohl Pompeius, zu sehr Soldat, um sich ueber die Unentbehrlichkeit derselben zu taeuschen, sie der Koalition aufzuzwingen versuchte und sich vom Senat zum alleinigen und unumschraenkten Oberfeldherrn zu Lande und zur See ernennen liess, so konnte doch der Senat selbst nicht beseitigt und ein ueberwiegender Einfluss auf die politische, ein gelegentliches und darum doppelt schaedliches Eingreifen in die militaerische Oberleitung ihm nicht verwehrt werden. Die Erinnerung an den zwanzigjaehrigen, auf beiden Seiten mit vergifteten Waffen gefuehrten Krieg zwischen Pompeius und der Verfassungspartei, das auf beiden Seiten lebhaft vorhandene und muehsam verhehlte Bewusstsein, dass die naechste Folge des erfochtenen Sieges der Bruch zwischen den Siegern sein werde, die Verachtung, die man gegenseitig und von beiden Seiten mit nur zu gutem Grund sich zollte, die unbequeme Anzahl angesehener und einflussreicher Maenner in den Reihen der Aristokratie und die geistige und sittliche Inferioritaet fast aller Beteiligten erzeugten ueberhaupt bei den Gegnern Caesars ein widerwilliges und widersetzliches Zusammenwirken, das mit dem eintraechtigen und geschlossenen Handeln auf der anderen Seite den uebelsten Kontrast bildet. Wenn also alle Nachteile der Koalition unter sich feindlicher Maechte von Caesars Gegnern in ungewoehnlichem Masse empfunden wurden, so war doch allerdings auch diese Koalition eine sehr ansehnliche Macht. Die See beherrschte sie ausschliesslich: alle Haefen, alle Kriegsschiffe, alles Flottenmaterial standen zu ihrer Verfuegung. Die beiden Spanien, gleichsam Pompeius’ Hausmacht so gut wie die beiden Gallien Caesars, waren ihrem Herrn treu anhaenglich und in den Haenden tuechtiger und zuverlaessiger Verwalter. Auch in den uebrigen Provinzen, natuerlich mit Ausnahme der beiden Gallien, waren die Statthalterund Kommandantenstellen waehrend der letzten Jahre unter dem Einfluss von Pompeius und der Senatsminoritaet mit sicheren Maennern besetzt worden. Durchaus und mit grosser Entschiedenheit ergriffen die Klientelstaaten Partei gegen Caesar und fuer Pompeius. Die bedeutendsten Fuersten und Staedte waren in den verschiedenen Abschnitten seiner mannigfaltigen Wirksamkeit zu Pompeius in die engsten persoenlichen Beziehungen getreten - wie er denn in dem Kriege gegen die Marianer der Waffengenosse der Koenige von Numidien und Mauretanien gewesen war und das Reich des ersteren wiederaufgerichtet hatte; wie er im Mithradatischen Kriege ausser einer Menge anderer kleinerer geistlicher und weltlicher Fuerstentuemer die Koenigreiche Bosporus, Armenien und Kappadokien wiederhergestellt, das galatische des Deiotarus geschaffen hatte; wie zunaechst auf seine Veranlassung der Aegyptische Krieg unternommen und durch seinen Adjutanten die Lagidenherrschaft neu befestigt worden war. Selbst die Stadt Massalia in Caesars eigener Provinz verdankte wohl auch diesem manche Verguenstigungen, aber Pompeius vom Sertorianischen Kriege her eine sehr ansehnliche Gebietserweiterung, und es stand ausserdem die hier regierende Oligarchie mit der roemischen in einem natuerlichen und durch vielfache Zwischenbeziehungen befestigten Bunde. Diese persoenlichen Ruecksichten und Verhaeltnisse sowie die Glorie des Siegers in drei Weltteilen, welche in diesen abgelegeneren Teilen des Reiches die des Eroberers von Gallien noch weit ueberstrahlte, schadeten indes hier Caesar vielleicht weniger noch als die daselbst nicht unbekannt gebliebenen Anund Absichten des Erben des Gaius Gracchus ueber die Notwendigkeit der Reunion der abhaengigen Staaten und die Nuetzlichkeit der Provinzialkolonisationen. Keiner unter den abhaengigen Dynasten sah von dieser Gefahr sich naeher bedroht als Koenig Juba von Numidien. Nicht bloss war er vor Jahren, noch bei Lebzeiten seines Vaters Hiempsal, mit Caesar persoenlich aufs heftigste zusammengeraten, sondern es hatte auch kuerzlich derselbe Curio, der jetzt unter Caesars Adjutanten fast den ersten Platz einnahm, bei der roemischen Buergerschaft den Antrag auf Einziehung des Numidischen Reiches gestellt. Sollte endlich es so weit kommen, dass die unabhaengigen Nachbarstaaten in den roemischen Buergerkrieg eingriffen, so war der einzige wirklich maechtige, der der Parther, durch die zwischen Pakoros und Bibulus angeknuepfte Verbindung tatsaechlich bereits mit der aristokratischen Partei alliiert, waehrend Caesar viel zu sehr Roemer war, um aus Parteiinteressen sich mit den Ueberwindern seines Freundes Crassus zu verkuppeln. Was Italien anlangt, so war, wie schon gesagt, die grosse Majoritaet der Buergerschaft Caesar abgeneigt; vor allem natuerlich die gesamte Aristokratie mit ihrem sehr betraechtlichen Anhang, nicht viel minder aber auch die hohe Finanz, die nicht hoffen durfte, bei einer durchgreifenden Reform des Gemeinwesens ihre parteiischen Geschworenengerichte und ihr Erpressungsmonopol zu konservieren. Ebenso antidemokratisch gesinnt waren die kleinen Kapitalisten, die Landgutsbesitzer und ueberhaupt alle Klassen, die etwas zu verlieren hatten; nur dass freilich in diesen Schichten die Sorge um die naechsten Zinstermine und um Saaten und Ernten in der Regel jede andere Ruecksicht ueberwog. Die Armee, ueber die Pompeius verfuegte, bestand hauptsaechlich in den spanischen Truppen, sieben krieggewohnten und in jeder Hinsicht zuverlaessigen Legionen, wozu die weiter in Syrien, Asia, Makedonien, Afrika, Sizilien und sonst befindlichen, freilich schwachen und sehr zerstreuten Truppenabteilungen kamen. In Italien standen unter den Waffen zunaechst nur die zwei von Caesar kuerzlich abgegebenen Legionen, deren Effektivbestand sich nicht ueber 7000 Mann belief und deren Zuverlaessigkeit mehr als zweifelhaft war, da sie, ausgehoben im Diesseitigen Gallien und alte Waffengefaehrten Caesars, ueber die unfeine Intrige, durch die man sie das Lager hatte wechseln machen, in hohem Grade missvergnuegt waren und ihres Feldherrn, der die fuer den Triumph jedem Soldaten versprochenen Geschenke ihnen vor ihrem Abmarsch grossmuetig vorausgezahlt hatte, sehnsuechtig gedachten. Allein abgesehen davon, dass die spanischen Truppen mit dem Fruehjahr entweder auf dem Landweg durch Gallien oder zur See in Italien eintreffen konnten, konnten in Italien die Mannschaften der von den Aushebungen von 699 (55) noch uebrigen drei Legionen sowie das im Jahre 702 (52) in Pflicht genommene italische Aufgebot aus dem Urlaub einberufen werden. Mit Einrechnung dieser stellte sich die Zahl der Pompeius im ganzen zur Verfuegung stehenden Truppen, ohne die sieben Legionen in Spanien und die in den andern Provinzen zerstreuten zu rechnen, bloss in Italien auf zehn Legionen ^2 oder gegen 60000 Mann, so dass es eben keine Uebertreibung war, wenn Pompeius behauptete, nur mit dem Fusse stampfen zu duerfen, um den Boden mit Bewaffneten zu bedecken. Freilich bedurfte es wenn auch kurzer, doch einiger Frist, um diese Truppen zu mobilisieren; die Anstalten dazu sowie zur Effektuierung der neuen, infolge des Ausbruchs des Buergerkrieges vom Senat angeordneten Aushebungen waren aber auch bereits ueberall im Gange. Unmittelbar nach dem entscheidenden Senatsbeschluss (7. Januar 705 49), mitten im tiefen Winter, waren die angesehensten Maenner der Aristokratie in die verschiedenen Landschaften abgegangen, um die Einberufung der Rekruten und die Anfertigung von Waffen zu beschleunigen. Sehr empfindlich war der Mangel an Reiterei, da man fuer diese gewohnt war, sich gaenzlich auf die Provinzen und namentlich die keltischen Kontingente zu verlassen; um wenigstens einen Anfang zu machen, wurden dreihundert Caesar gehoerende Gladiatoren aus den Fechtschulen von Capua entnommen und beritten gemacht, was indes so allgemeine Missbilligung fand, dass Pompeius diese Truppe wieder aufloeste und dafuer aus den berittenen Hirtensklaven Apuliens 300 Reiter aushob. ------------------------------------------------ ^2 Diese Ziffer gab Pompeius selbst an (Caes. civ. 1, 6) und es stimmt damit, dass er in Italien etwa 60 Kohorten oder 30000 Mann einbuesste und 25000 nach Griechenland ueberfuehrte (Caes, civ. 3, 10). ------------------------------------------------- In der Staatskasse war Ebbe wie gewoehnlich; man war beschaeftigt, aus den Gemeindekassen und selbst den Tempelschaetzen der Munizipien den unzureichenden Barbestand zu ergaenzen. Unter diesen Umstaenden ward zu Anfang Januar 705 (49) der Krieg eroeffnet. Von marschfaehigen Truppen hatte Caesar nicht mehr als eine Legion, 5000 Mann Infanterie und 300 Reiter, bei Ravenna, das auf der Chaussee etwa 50 deutsche Meilen von Rom entfernt war; Pompeius zwei schwache Legionen, 7000 Mann Infanterie und eine geringe Reiterschar, unter Appius Claudius’ Befehlen bei Luceria, von wo man, ebenfalls auf der Chaussee, ungefaehr ebensoweit nach der Hauptstadt hatte. Die anderen Truppen Caesars, abgesehen von den rohen, noch in der Bildung begriffenen Rekrutenabteilungen, standen zur Haelfte an der Saone und Loire, zur Haelfte in Belgien, waehrend Pompeius’ italische Reserven bereits von allen Seiten in den Sammelplaetzen eintrafen; lange bevor auch nur die Spitze der transalpinischen Heerhaufen Caesars in Italien einruecken konnte, wusste hier ein weit ueberlegenes Heer bereit stehen, sie zu empfangen. Es schien eine Torheit, mit einem Haufen von der Staerke des Catilinarischen und augenblicklich ohne wirksame Reserve angreifend vorzugehen gegen eine ueberlegene und stuendlich anwachsende Armee unter einem faehigen Feldherrn; allein es war eine Torheit im Geiste Hannibals. Wenn der Anfang des Kampfes bis zum Fruehjahr sich hinauszog, so ergriffen Pompeius’ spanische Truppen im Transalpinischen, seine italischen im Cisalpinischen Gallien die Offensive, und Pompeius, als Taktiker Caesar gewachsen, an Erfahrung ihm ueberlegen, war in einem solchen regelmaessig verlaufenden Feldzug ein furchtbarer Gegner. Jetzt liess er vielleicht, gewohnt, mit ueberlegenen Massen langsam und sicher zu operieren, durch einen durchaus improvisierten Angriff sich deroutieren; und was Caesars dreizehnte Legion nach der ernsten Probe des gallischen Ueberfalls und der Januarkampagne im Bellovakerland nicht aus der Fassung bringen konnte, die Ploetzlichkeit des Krieges und die Muehsal des Winterfeldzuges, masste die Pompeianischen aus alten Caesarischen Soldaten oder auch schlecht geuebten Rekruten bestehenden und noch in der Bildung begriffenen Heerhaufen desorganisieren. So rueckte denn Caesar in Italien ein ^3. Zwei Chausseen fuehrten damals aus der Romagna nach Sueden: die Aemilisch-Cassische, die von Bononia ueber den Apennin nach Arretium und Rom, und die Popillisch-Flaminische, die von Ravenna an der Kueste des Adriatischen Meeres nach Fanum und, dort sich teilend, in westlicher Richtung durch den Furlopass nach Rom, in suedlicher nach Ancona und weiter nach Apulien lief. Auf der ersteren gelangte Marcus Antonius bis Arretium; auf der zweiten drang Caesar selbst vor. Widerstand ward nirgends geleistet: die vornehmen Werbeoffiziere waren keine Militaers, die Rekrutenmassen keine Soldaten, die Landstaedter nur besorgt, nicht in eine Belagerung verwickelt zu werden. Als Curio mit 1500 Mann auf Iguvium anrueckte, wo ein paar tausend umbrische Rekruten unter dem Praetor Quintus Minucius Thermus sich gesammelt hatten, suchten, auf die blosse Meldung seines Anmarsches, General und Soldaten das Weite; und aehnlich ging es im kleinen ueberall. Caesar hatte die Wahl, entweder gegen Rom, dem seine Reiter in Arretium bereits auf 28 deutsche Meilen sich genaehert hatten, oder gegen die bei Luceria lagernden Legionen zu marschieren. Er waehlte das letztere. Die Konsternation der Gegenpartei war grenzenlos. Pompeius erhielt die Meldung von Caesars Anmarsch in Rom; er schien anfangs die Hauptstadt verteidigen zu wollen, aber als die Nachricht von Caesars Einruecken in das Picenische und von seinen ersten Erfolgen daselbst einlief, gab er sie auf und befahl die Raeumung. Ein panischer Schreck, vermehrt durch das falsche Geruecht, dass vor den Toren sich Caesars Reiter gezeigt haetten, kam ueber die vornehme Welt. Die Senatoren, denen angezeigt worden war, dass man jeden in der Hauptstadt Zurueckbleibenden als Mitschuldigen des Rebellen Caesar behandeln werde, stroemten scharenweise aus den Toren. Die Konsuln selbst hatten so vollstaendig den Kopf verloren, dass sie nicht einmal die Kassen in Sicherheit brachten; als Pompeius sie aufforderte, dies nachzuholen, wozu ausreichend Zeit war, liessen sie ihm zuruecksagen, dass sie es fuer sicherer hielten, wenn er zuvor Picenum besetze! Man war ratlos; also ward grosser Kriegsrat in Teanum Sidicinum gehalten (23. Januar), dem Pompeius, Labienus und beide Konsuln beiwohnten. Zunaechst lagen wieder Vergleichsvorschlaege Caesars vor: selbst jetzt noch erklaerte dieser sich bereit, sein Heer sofort zu entlassen, seine Provinzen den ernannten Nachfolgern zu uebergeben und sich in regelrechter Weise um das Konsulat zu bewerben, wofern Pompeius nach Spanien abgehe und Italien entwaffnet werde. Die Antwort war, dass man, wenn Caesar sogleich in seine Provinz zurueckkehre, sich anheischig mache, die Entwaffnung Italiens und die Abreise des Pompeius durch einen ordnungsmaessig in der Hauptstadt zu fassenden Senatsbeschluss herbeizufuehren; was vielleicht nicht eine plumpe Prellerei, sondern eine Annahme des Vergleichsvorschlags sein sollte, jedenfalls aber der Sache nach das Gegenteil war. Die von Caesar gewuenschte persoenliche Zusammenkunft mit Pompeius lehnte dieser ab und musste sie ablehnen, um nicht durch den Anschein einer neuen Koalition mit Caesar das schon rege Misstrauen der Verfassungspartei noch mehr zu reizen. Die Kriegfuehrung anlangend einigte man in Teanum sich dahin, dass Pompeius das Kommando der bei Luceria stehenden Truppen, auf denen trotz ihrer Unzuverlaessigkeit doch alle Hoffnung beruhte, uebernehmen, mit diesen in seine und Labienus’ Heimat, in Picenum, einruecken, dort wie einst vor fuenfunddreissig Jahren den Landsturm persoenlich zu den Waffen rufen und an der Spitze der treuen picenischen und der kriegsgewohnten, ehemals Caesarischen Kohorten versuchen solle, dem Vordringen des Feindes eine Schranke zu setzen. Es kam nur darauf an, ob die picenische Landschaft sich so lange hielt, bis Pompeius zu ihrer Verteidigung herankam. Bereits war Caesar mit seiner wiedervereinigten Armee auf der Kuestenstrasse ueber Ancona in dieselbe eingedrungen. Auch hier waren die Ruestungen in vollem Gange; gleich in der noerdlichsten picenischen Stadt Auximum stand ein ansehnlicher Haufe von Rekruten unter Publius Attius Varus beisammen; allein auf Ersuchen der Munizipalitaet raeumte Varus die Stadt, noch ehe Caesar erschien, und eine Handvoll von dessen Soldaten, die den Trupp unweit Auximum einholten, zerstreuten ihn vollstaendig nach kurzem Gefecht - es war das erste in diesem Kriege. Ebenso raeumten bald darauf Gaius Lucilius Hirrus mit 3000 Mann Camerinum, Publius Lentulus Spinther mit 5000 Asculum. Die Pompeius ganz ergebenen Mannschaften liessen zum groessten Teil Haus und Hof willig im Stich und folgten den Fuehrern ueber die Grenze: die Landschaft selbst aber war schon verloren, als der zur vorlaeufigen Leitung der Verteidigung von Pompeius gesandte Offizier Lucius Vibullius Rufus, kein vornehmer Senator, aber ein kriegskundiger Militaer, daselbst eintraf; er musste sich begnuegen, die geretteten etwa 6000 bis 7000 Rekruten den unfaehigen Werbeoffizieren abzunehmen und sie vorlaeufig nach dem naechsten Sammelplatz zu fuehren. Dies war Corfinium, der Mittelpunkt der Aushebungen im albensischen, marsischen und paelignischen Gebiet; die hier versammelte Rekrutenmasse von beilaeufig 15000 Mann war das Kontingent der streitbarsten und der zuverlaessigsten Landschaften Italiens und der Kern des in der Bildung begriffenen Heeres der Verfassungspartei. Als Vibullius hier eintraf, war Caesar noch mehrere Tagemaersche zurueck; es war nichts im Wege, Pompeius’ Instruktionen gemaess sofort aufzubrechen und die geretteten picenischen nebst den in Corfinium gesammelten Rekruten dem Hauptheer in Apulien zuzufuehren. Allein in Corfinium kommandierte der designierte Nachfolger Caesars in der Statthalterschaft des Jenseitigen Gallien, Lucius Domitius, einer der borniertesten Starrkoepfe der roemischen Aristokratie; und dieser weigerte sich nicht bloss, Pompeius’ Befehlen Folge zu leisten, sondern verhinderte auch den Vibullius, wenigstens mit der picenischen Mannschaft nach Apulien abzuruecken. So fest hielt er sich ueberzeugt, dass Pompeius nur aus Eigensinn zaudere und notwendig zum Entsatz herbeikommen muesse, dass er kaum sich ernstlich auf die Belagerung gefusst machte und nicht einmal die in die umliegenden Staedte verlegten Rekrutenhaufen in Corfinium zusammenzog. Pompeius aber erschien nicht und aus guten Gruenden; denn seine beiden unzuverlaessigen Legionen konnte er wohl als Rueckhalt fuer den picenischen Landsturm verwenden, aber nicht mit ihnen allein Caesar die Schlacht anbieten. Dafuer kam nach wenigen Tagen Caesar (14. Februar). Zu den Truppen desselben war in Picenum die zwoelfte und vor Corfinium die achte von den transalpinischen Legionen gestossen, und ausserdem wurden teils aus den gefangenen oder freiwillig sich stellenden Pompeianischen Mannschaften, teils aus den ueberall sofort ausgehobenen Rekruten drei neue Legionen gebildet, so dass Caesar vor Corfinium bereits an der Spitze einer Armee von 40000 Mann, zur Haelfte gedienter Leute, stand. Solange Domitius auf Pompeius’ Eintreffen hoffte, liess er die Stadt verteidigen; als dessen Briefe ihn endlich enttaeuscht hatten, beschloss er nicht etwa, auf dem verlorenen Posten auszuharren, womit er seiner Partei den groessten Dienst geleistet haben wuerde, auch nicht einmal zu kapitulieren, sondern, waehrend dem gemeinen Soldaten der Entsatz als nahe bevorstehend angekuendigt ward, selber mit den vornehmen Offizieren in der naechsten Nacht auszureissen. Indes selbst diesen sauberen Plan ins Werk zu setzen verstand er nicht. Sein verwirrtes Benehmen verriet ihn. Ein Teil der Mannschaften fing an zu meutern: die marsischen Rekruten, die eine solche Schaendlichkeit ihres Feldherrn nicht fuer moeglich hielten, wollten gegen die Meuterer kaempfen; aber auch sie mussten sich widerwillig von der Wahrheit der Anschuldigung ueberzeugen, worauf denn die gesamte Besatzung ihren Stab festnahm und ihn, sich und die Stadt an Caesar uebergab (20. Februar). Das 3000 Mann starke Korps in Alba und 1500 in Tarracina gesammelte Rekruten streckten hierauf die Waffen, sowie Caesars Reiterpatrouillen sich zeigten; eine dritte Abteilung in Sulmo von 3500 Mann war bereits frueher genoetigt worden zu kapitulieren. ----------------------------------------------- ^3 Der Senatsbeschluss war vom 7. Januar; am 18. wusste man schon in Rom seit mehreren Tagen, dass Caesar die Grenze ueberschritten habe (Cic. Att. 7, 10; 9, 10, 4); der Bote brauchte von Rom nach Ravenna allermindestens drei Tage. Danach faellt der Aufbruch um den 12. Januar, welcher nach der gangbaren Reduktion dem julianischen 24. November 704 (50) entspricht. ----------------------------------------------- Pompeius hatte Italien verloren gegeben, sowie Caesar Picenum eingenommen hatte; nur wollte er die Einschiffung so lange wie moeglich verzoegern, um von den Mannschaften zu retten, was noch zu retten war. Langsam hatte er demnach sich nach dem naechsten Hafenplatz Brundisium in Bewegung gesetzt. Hier fanden die beiden Legionen von Luceria und was Pompeius in dem menschenleeren Apulien an Rekruten in der Eile hatte zusammenraffen koennen, sowie die von den Konsuln und sonstigen Beauftragten in Kompanien ausgehobenen und eiligst nach Brundisium gefuehrten Leute sich ein; ebendahin begab sich eine Menge politischer Fluechtlinge, unter ihnen die angesehensten Senatoren in Begleitung ihrer Familien. Die Einschiffung begann; allein die vorraetigen Fahrzeuge genuegten nicht, um die ganze Masse, die sich doch noch auf 25000 Koepfe belief, auf einmal zu transportieren. Es blieb nichts uebrig, als das Heer zu teilen. Die groessere Haelfte ging vorauf (4. Maerz), mit der kleineren von etwa 10000 Mann erwartete Pompeius in Brundisium die Rueckkehr der Flotte; denn wie wuenschenswert fuer einen etwaigen Versuch, Italien wieder einzunehmen, auch der Besitz von Brundisium war, so getraute man sich doch nicht, den Platz auf die Dauer gegen Caesar zu halten. Inzwischen traf Caesar vor Brundisium ein; die Belagerung begann. Caesar versuchte vor allem, die Hafenmuendung durch Daemme und schwimmende Bruecken zu schliessen, um die rueckkehrende Flotte auszusperren; allein Pompeius liess die im Hafen liegenden Handelsfahrzeuge armieren und wusste die voellige Schliessung des Hafens so lange zu verhindern, bis die Flotte erschien und die von Pompeius, trotz der Wachsamkeit der Belagerer und der feindlichen Gesinnung der Stadtbewohner, mit grosser Geschicklichkeit bis auf den letzten Mann unbeschaedigt aus der Stadt herausgezogenen Truppen aus Caesars Bereich nach Griechenland entfuehrte (17. Maerz). An dem Mangel einer Flotte scheiterte wie die Belagerung selbst, so auch die weitere Verfolgung. In einem zweimonatlichen Feldzug, ohne ein einziges ernstliches Gefecht, hatte Caesar eine Armee von zehn Legionen so aufgeloest, dass mit genauer Not die kleinere Haelfte derselben in verwirrter Flucht ueber das Meer entkommen, die ganze italische Halbinsel aber mit Einschluss der Hauptstadt nebst der Staatskasse und allen daselbst aufgehaeuften Vorraeten in die Gewalt des Siegers geraten war. Nicht ohne Grund klagte die geschlagene Partei ueber die schauerliche Raschheit, Einsicht und Energie des "Ungeheuers". Indes es liess sich fragen, ob Caesar durch die Eroberung Italiens mehr gewann oder mehr verlor. In militaerischer Hinsicht wurden zwar jetzt sehr ansehnliche Hilfsquellen nicht bloss den Gegnern entzogen, sondern auch fuer Caesar fluessig gemacht; schon im Fruehjahr 705 (49) zaehlte seine Armee infolge der ueberall angeordneten massenhaften Aushebungen ausser den neun alten eine bedeutende Anzahl von Rekrutenlegionen. Andererseits aber wurde es jetzt nicht bloss noetig, in Italien eine ansehnliche Besatzung zurueckzulassen, sondern auch Massregeln zu treffen gegen die von den seemaechtigen Gegnern beabsichtigte Sperrung des ueberseeischen Verkehrs und die infolgedessen namentlich der Hauptstadt drohende Hungersnot, wodurch Caesars bereits hinreichend verwickelte militaerische Aufgabe noch weiter sich komplizierte. Finanziell war es allerdings von Belang, dass es Caesar geglueckt war, der hauptstaedtischen Kassenbestaende sich zu bemaechtigen; aber die hauptsaechlichsten Einnahmequellen, namentlich die Abgaben aus dem Orient, waren doch in den Haenden des Feindes und bei den so sehr vermehrten Beduerfnissen fuer das Heer sowie der neuen Verpflichtung, fuer die darbende hauptstaedtische Bevoelkerung zu sorgen, zerrannen die vorgefundenen ansehnlichen Summen so schnell, dass Caesar sich bald genoetigt sah, den Privatkredit anzusprechen, und, da er unmoeglich damit lange sich fristen zu koennen schien, allgemein als die einzig uebrig bleibende Aushilfe umfassende Konfiskationen erwartet wurden. Ernstere Schwierigkeiten noch bereiteten die politischen Verhaeltnisse, in welche Caesar mit der Eroberung Italiens eintrat. Die Besorgnis der besitzenden Klassen vor einer anarchischen Umwaelzung war allgemein. Feinde und Freunde sahen in Caesar einen zweiten Catilina; Pompeius glaubte oder behauptete zu glauben, dass Caesar nur durch die Unmoeglichkeit, seine Schulden zu bezahlen, zum Buergerkrieg getrieben worden sei. Das war allerdings absurd; aber in der Tat waren Caesars Antezedentien nichts weniger als beruhigend und noch weniger beruhigend der Hinblick auf das Gefolge, das jetzt ihn umgab. Individuen des anbruechigsten Rufes, stadtkundige Gesellen wie Quintus Hortensius, Gaius Curio, Marcus Antonius - dieser der Stiefsohn des auf Ciceros Befehl hingerichteten Catilinariers Lentulus - spielten darin die ersten Rollen; die hoechsten Vertrauensposten wurden an Maenner vergeben, die es laengst aufgegeben hatten, ihre Schulden auch nur zu summieren; man sah Caesarische Beamte Taenzerinnen nicht bloss unterhalten - das taten andere auch -, sondern oeffentlich in Begleitung solcher Dirnen erscheinen. War es ein Wunder, dass auch ernsthafte und politisch parteilose Maenner Amnestie fuer alle landfluechtigen Verbrecher, Vernichtung der Schuldbuecher, umfassende Konfiskations-, Achtund Mordbefehle erwarteten, ja eine Pluenderung Roms durch die gallische Soldateska? Indes hierin taeuschte das "Ungeheuer" die Erwartungen seiner Feinde wie seiner Freunde. Schon wie Caesar die erste italische Stadt Ariminum besetzte, untersagte er allen gemeinen Soldaten, sich bewaffnet innerhalb der Mauern sehen zu lassen; durchaus und ohne Unterschied, ob sie ihn freundlich oder feindlich empfangen hatten, wurden die Landstaedte vor jeder Unbill geschuetzt. Als die meuterische Garnison am spaeten Abend Corfinium uebergab, verschob er, gegen jede militaerische Ruecksicht, die Besetzung der Stadt bis zum anderen Morgen, einzig, um die Buergerschaft nicht einem naechtlichen Einmarsch seiner erbitterten Soldaten preiszugeben. Von den Gefangenen wurden die Gemeinen, als voraussetzlich politisch indifferent, in die eigene Armee eingereiht, die Offiziere aber nicht bloss verschont, sondern auch ohne Unterschied der Person und ohne Annahme irgendwelcher Zusagen frei entlassen, und was sie als Privateigentum in Anspruch nahmen, ohne auch nur die Berechtigung der Reklamationen mit Strenge zu untersuchen, ihnen ohne Weiterungen verabfolgt. So ward selbst Lucius Domitius behandelt, ja sogar dem Labienus das zurueckgelassene Geld und Gepaeck ins feindliche Lager nachgesandt. In der peinlichsten Finanznot wurden dennoch die ungeheuren Gueter der anwesenden wie der abwesenden Gegner nicht angegriffen; ja Caesar borgte lieber bei den Freunden, als dass er auch nur durch Ausschreibung der formell zulaessigen, aber tatsaechlich antiquierten Grundsteuer die Besitzenden gegen sich aufgeregt haette. Nur die Haelfte, und nicht die schwerere, seiner Aufgabe betrachtete der Sieger als mit dem Siege geloest; die Buergschaft der Dauer sah er nach seiner eigenen Aeusserung allein in der unbedingten Begnadigung der Besiegten und hatte darum auch auf dem ganzen Marsche von Ravenna bis Brundisium unablaessig die Versuche erneuert, eine persoenliche Zusammenkunft mit Pompeius und einen ertraeglichen Vergleich einzuleiten. Aber wenn die Aristokratie schon frueher von keiner Aussoehnung hatte wissen wollen, so hatte die unerwartete und so schimpfliche Emigration ihren Zorn bis zum Wahnsinn gesteigert, und das wilde Racheschnauben der Geschlagenen kontrastierte seltsam mit der Versoehnlichkeit des Siegers. Die aus dem Emigrantenlager den in Italien zurueckgebliebenen Freunden regelmaessig zukommenden Mitteilungen flossen ueber von Entwuerfen zu Konfiskationen und Proskriptionen, von Epurationsplaenen des Senats und des Staats, gegen die Sullas Restaurationen Kinderspiel waren und die selbst die gemaessigten Parteigenossen mit Entsetzen vernahmen. Die tolle Leidenschaft der Ohnmacht, die weise Maessigung der Macht taten ihre Wirkung. Die ganze Masse, der die materiellen Interessen ueber die politischen gingen, warf sich Caesar in die Arme. Die Landstaedte vergoetterten "die Rechtschaffenheit, die Maessigung, die Klugheit" des Siegers; und selbst die Gegner raeumten ein, dass es mit diesen Huldigungen Ernst war. Die hohe Finanz, Steuerpaechter und Geschworene verspuerten nach dem argen Schiffbruch, der die Verfassungspartei in Italien betroffen hatte, keine besondere Lust, sich weiter denselben Steuermaennern anzuvertrauen; die Kapitalien kamen wieder zum Vorschein und "die reichen Herren begaben sich wieder an ihr Tagewerk, die Zinsbuecher zu schreiben". Selbst die grosse Majoritaet des Senats, wenigstens der Zahl nach - denn allerdings befanden sich von den vornehmeren und einflussreichen Senatsmitgliedern nur wenige darunter - war, trotz der Befehle des Pompeius und der Konsuln, in Italien, zum Teil sogar in der Hauptstadt selbst zurueckgeblieben und liess Caesars Regiment sich gefallen. Caesars eben in ihrer scheinbaren Ueberschwenglichkeit wohlberechnete Milde erreichte ihren Zweck: die zappelnde Angst der besitzenden Klassen vor der drohenden Anarchie wurde einigermassen beschwichtigt. Wohl war dies fuer die Folgezeit ein unberechenbarer Gewinn; die Abwendung der Anarchie und der fast nicht minder gefaehrlichen Angst vor der Anarchie war die Vorbedingung der kuenftigen Reorganisation des Gemeinwesens. Aber fuer den Augenblick war diese Milde fuer Caesar gefaehrlicher als die Erneuerung der cinnanischen und catilinarischen Raserei gewesen sein wuerde; sie verwandelte Feinde nicht in Freunde und Freunde in Feinde. Caesars catilinarischer Anhang grollte, dass das Morden und Pluendern unterblieb; von diesen verwegenen, verzweifelten und zum Teil talentvollen Gesellen waren die bedenklichsten Querspruenge zu erwarten. Die Republikaner aller Schattierungen dagegen wurden durch die Gnade des Ueberwinders weder bekehrt noch versoehnt. Nach dem Credo der Catonischen Partei entband die Pflicht gegen das, was sie Vaterland nannte, von jeder anderen Ruecksicht; selbst wer Caesar Freiheit und Leben verdankte, blieb befugt und verpflichtet, gegen ihn die Waffen zu ergreifen oder doch mindestens gegen ihn zu komplottieren. Die minder entschiedenen Fraktionen der Verfassungspartei liessen zwar allenfalls sich willig finden, von dem neuen Monarchen Frieden und Schutz anzunehmen; aber sie hoerten doch darum nicht auf, die Monarchie wie den Monarchen von Herzen zu verwuenschen. Je offenbarer die Verfassungsaenderung hervortrat, desto bestimmter kam der grossen Majoritaet der Buergerschaft, sowohl in der politisch lebhaften, aufgeregten Hauptstadt wie in der energischen laendlichen und landstaedtischen Bevoelkerung, ihre republikanische Besinnung zum Bewusstsein; insofern berichteten die Verfassungsfreunde in Rom mit Recht an ihre Gesinnungsgenossen im Exil, dass daheim alle Klassen und alle Individuen pompeianisch gesinnt seien. Die schwierige Stimmung all dieser Kreise wurde noch gesteigert durch den moralischen Druck, den die entschiedeneren und vornehmeren Gesinnungsgenossen eben als Emigranten auf die Menge der Geringeren und Lauen ausuebten. Dem ehrlichen Mann schlug ueber sein Verbleiben in Italien das Gewissen; der Halbaristokrat glaubte sich zu den Plebejern zu stellen, wenn er nicht mit den Domitiern und den Metellern ins Exil ging und gar, wenn er in dem Caesarischen Senat der Nullitaeten mitsass. Die eigene Milde des Siegers gab dieser stillen Opposition erhoehte politische Bedeutung: da Caesar nun einmal des Terrorismus sich enthielt, so schienen die heimlichen Gegner ihre Abneigung gegen sein Regiment ohne viele Gefahr betaetigen zu koennen. Sehr bald machte er in dieser Beziehung merkwuerdige Erfahrungen mit dem Senat. Caesar hatte den Kampf begonnen, um den terrorisierten Senat von seinen Unterdrueckern zu befreien. Dies war geschehen; er wuenschte also von dem Senat die Billigung des Geschehenen, die Vollmacht zu weiterer Fortsetzung des Krieges zu erlangen. Zu diesem Zwecke beriefen, als Caesar vor der Hauptstadt erschien (Ende Maerz), die Volkstribune seiner Partei ihm den Senat (1. April). Die Versammlung war ziemlich zahlreich, aber selbst von den in Italien verbliebenen Senatoren waren doch die namhaftesten ausgeblieben, sogar der ehemalige Fuehrer der servilen Majoritaet, Marcus Cicero, und Caesars eigener Schwiegervater Lucius Piso; und was schlimmer war, auch die Erschienenen waren nicht geneigt, auf Caesars Vorschlaege einzugehen. Als Caesar von einer Vollmacht zur Fortsetzung des Krieges sprach, meinte der eine der zwei einzigen anwesenden Konsulare, Servius Sulpicius Rufus, ein urfurchtsamer Mann, der nichts wuenschte als einen ruhigen Tod in seinem Bette, dass Caesar sich mehr um das Vaterland verdient machen werde, wenn er es aufgebe, den Krieg nach Griechenland und Spanien zu tragen. Als dann Caesar den Senat ersuchte, wenigstens seine Friedensvorschlaege an Pompeius zu uebermitteln, war man dem an sich zwar nicht entgegen, aber die Drohungen der Emigranten gegen die Neutralen hatten diese so in Furcht gesetzt, dass niemand sich fand, um die Friedensbotschaft zu uebernehmen. An der Abneigung der Aristokratie, den Thron des Monarchen errichten zu helfen, und an derselben Schlaffheit des hohen Kollegiums, durch die kurz zuvor Caesar Pompeius’ legale Ernennung zum Oberfeldherrn in dem Buergerkrieg vereitelt hatte, scheiterte jetzt auch er mit dem gleichen Verlangen. Andere Hemmungen kamen hinzu. Caesar wuenschte, um seine Stellung doch irgendwie zu regulieren, zum Diktator ernannt zu werden; es geschah nicht, weil ein solcher verfassungsmaessig nur von einem der Konsuln bestellt werden konnte und der Versuch, den Konsul Lentulus zu kaufen, wozu bei dessen zerruetteten Vermoegensverhaeltnissen wohl Aussicht war, dennoch fehlschlug. Der Volkstribun Lucius Metellus ferner legte gegen saemtliche Schritte des Prokonsuls Protest ein und machte Miene, die Staatskasse, als Caesars Leute kamen, um sie zu leeren, mit seinem Leibe zu decken. Caesar konnte in diesem Falle nicht umhin, den Unverletzlichen so saenftiglich wie moeglich beiseiteschieben zu lassen; uebrigens blieb er dabei, sich aller Gewaltschritte zu enthalten. Dem Senat erklaerte er, ebenwie es kurz zuvor die Verfassungspartei getan, dass er zwar gewuenscht habe, auf gesetzlichem Wege und mit Beihilfe der hoechsten Behoerde die Verhaeltnisse zu ordnen; allein da diese verweigert werde, koenne er ihrer auch entraten. Ohne weiter um den Senat und die staatsrechtlichen Formalien sich zu kuemmern, uebergab er die einstweilige Verwaltung der Hauptstadt dem Praetor Marcus Aemilius Lepidus als Stadtpraefekten und ordnete fuer die Verwaltung der ihm gehorchenden Landschaften und die Fortsetzung des Krieges das Erforderliche an. Selbst unter dem Getoese des Riesenkampfes und neben dem lockenden Klang der verschwenderischen Versprechungen Caesars machte es noch tiefen Eindruck auf die hauptstaedtische Menge, als sie in ihrem freien Rom zum erstenmal den Monarchen als Monarchen schalten und die Tuer der Staatskasse durch seine Soldaten aufsprengen sah. Allein die Zeiten waren nicht mehr, wo Eindruecke und Stimmungen der Masse den Gang der Ereignisse bestimmten; die Legionen entschieden und auf einige schmerzliche Empfindungen mehr oder weniger kam eben nichts weiter an. Caesar eilte, den Krieg wiederaufzunehmen. Seine bisherigen Erfolge verdankte er der Offensive, und er gedachte auch ferner, dieselbe festzuhalten. Die Lage seines Gegners war seltsam. Nachdem der urspruengliche Plan, den Feldzug zugleich von Italien und Spanien aus in den beiden Gallien offensiv zu fuehren, durch Caesars Angriff vereitelt war, hatte Pompeius nach Spanien zu gehen beabsichtigt. Hier hatte er eine sehr starke Stellung. Das Heer zaehlte sieben Legionen; es dienten darin eine grosse Anzahl von Pompeius’ Veteranen, und die mehrjaehrigen Kaempfe in den lusitanischen Bergen hatten Soldaten und Offiziere gestaehlt. Unter den Anfuehrern war Marcus Varro zwar nichts als ein beruehmter Gelehrter und ein getreuer Anhaenger; aber Lucius Afranius hatte mit Auszeichnung im Orient und in den Alpen gefochten, und Marcus Petreius, der Ueberwinder Catilinas, war ein ebenso unerschrockener wie faehiger Offizier. Wenn in der jenseitigen Provinz Caesar noch von seiner Statthalterschaft her mancherlei Anhang hatte, so war dagegen die wichtigere Ebroprovinz mit allen Banden der Verehrung und der Dankbarkeit an den beruehmten General gefesselt, der zwanzig Jahre zuvor im Sertorianischen Kriege in ihr das Kommando gefuehrt und nach dessen Beendigung sie neu eingerichtet hatte. Pompeius konnte nach der italischen Katastrophe offenbar nichts Besseres tun als mit den geretteten Heerestruemmern sich dorthin begeben und an der Spitze seiner gesamten Macht Caesar entgegentreten. Ungluecklicherweise aber hatte er, in der Hoffnung, die in Corfinium stehenden Truppen noch retten zu koennen, so lange in Apulien sich verweilt, dass er statt der kampanischen Haefen das naehere Brundisium zum Einschiffungsort zu waehlen genoetigt war. Warum er, Herr der See und Siziliens, nicht spaeterhin auf den urspruenglichen Plan wieder zurueck kam, laesst sich nicht entscheiden; ob vielleicht die Aristokratie in ihrer kurzsichtigen und misstrauischen Art keine Lust bezeigte, sich den spanischen Truppen und der spanischen Bevoelkerung anzuvertrauen - genug, Pompeius blieb im Osten und Caesar hatte die Wahl, den naechsten Angriff entweder gegen die Armee zu richten, die in Griechenland unter Pompeius’ eigenem Befehl sich organisierte, oder gegen die schlagfertige seiner Unterfeldherren in Spanien. Er hatte fuer das letztere sich entschieden und, sowie der italische Feldzug zu Ende ging, Massregeln getroffen, um neun seiner besten Legionen, ferner 6000 Reiter, teils in den Keltengauen von Caesar einzeln ausgesuchte Leute, teils deutsche Soeldner, und eine Anzahl iberischer und ligurischer Schuetzen an der unteren Rhone zusammenzuziehen. Aber ebenhier waren auch seine Gegner taetig gewesen. Der vom Senat an Caesars Stelle zum Statthalter des Jenseitigen Galliens ernannte Lucius Domitius hatte von Corfinium aus, sowie Caesar ihn freigegeben, sich mit seinem Gesinde und mit Pompeius’ Vertrauensmann Lucius Vibullius Rufus nach Massalia auf den Weg gemacht und in der Tat die Stadt bestimmt, sich fuer Pompeius zu erklaeren, ja Caesars Truppen den Durchmarsch zu weigern. Von den spanischen Truppen blieben die zwei am wenigsten zuverlaessigen Legionen unter Varros Oberbefehl in der jenseitigen Provinz stehen; dagegen hatten die fuenf besten, verstaerkt durch 40000 Mann spanischen Fussvolks, teils keltiberischer Linieninfanterie, teils lusitanischer und anderer Leichten, und durch 5000 spanische Reiter, unter Afranius und Petreius, den durch Vibullius ueberbrachten Befehlen des Pompeius gemaess sich aufgemacht, um die Pyrenaeen dem Feinde zu sperren. Hierueber traf Caesar selbst in Gallien ein und entsandte sogleich, da die Einleitung der Belagerung von Massalia ihn selber noch zurueckhielt, den groessten Teil seiner an der Rhone versammelten Truppen, sechs Legionen und die Reiterei, auf der grossen, ueber Narbo (Narbonne) nach Rhode (Rosas) fuehrenden Chaussee, um an den Pyrenaeen dem Feinde zuvorzukommen. Es gelang; als Afranius und Petreius an den Paessen anlangten, fanden sie dieselben bereits besetzt von den Caesarianern und die Linie der Pyrenaeen verloren. Sie nahmen darauf zwischen diesen und dem Ebro eine Stellung bei Ilerda (Lerida). Diese Stadt liegt vier Meilen noerdlich vom Ebro an dem rechten Ufer eines Nebenflusses desselben, des Sicoris (Segre), ueber den nur eine einzige solide Bruecke unmittelbar bei Ilerda fuehrte. Suedlich von Ilerda treten die das linke Ufer des Ebro begleitenden Gebirge ziemlich nahe an die Stadt hinan; nordwaerts erstreckt sich zu beiden Seiten des Sicoris ebenes Land, das von dem Huegel, auf welchem die Stadt gebaut ist, beherrscht wird. Fuer eine Armee, die sich musste belagern lassen, war es eine vortreffliche Stellung; aber die Verteidigung Spaniens konnte, nachdem die Besetzung der Pyrenaeenlinie versaeumt war, doch nur hinter dem Ebro ernstlich aufgenommen werden, und da weder eine feste Verbindung zwischen Ilerda und dem Ebro hergestellt, noch dieser Fluss ueberbrueckt war, so war der Rueckzug aus der vorlaeufigen in die wahre Verteidigungsstellung nicht hinreichend gesichert. Die Caesarianer setzten sich oberhalb Ilerda in dem Delta fest, das der Fluss Sicoris mit dem unterhalb Ilerda mit ihm sich vereinigenden Cinga (Cinca) bildet; indes ward es mit dem Angriff erst Ernst, nachdem Caesar im Lager eingetroffen war (23. Juni). Unter den Mauern der Stadt ward von beiden Teilen gleich erbittert und gleich tapfer mit vielfach wechselndem Erfolg gekaempft; ihren Zweck aber: zwischen dem Pompeianischen Lager und der Stadt sich festzusetzen und dadurch der Steinbruecke sich zu bemaechtigen., erreichten die Caesarianer nicht und blieben also fuer ihre Kommunikation mit Gallien lediglich angewiesen auf zwei Bruecken, welche sie ueber den Sicoris und zwar, da der Fluss bei Ilerda selbst zu solcher Ueberbrueckung schon zu ansehnlich war, vier bis fuenf deutsche Meilen weiter oberwaerts in der Eile geschlagen hatten. Als dann mit der Schneeschmelze die Hochwasser kamen, wurden diese Notbruecken weggerissen; und da es an Schiffen fehlte, um die hochangeschwollenen Fluesse zu passieren, und unter diesen Umstaenden an Wiederherstellung der Bruecken zunaechst nicht gedacht werden konnte, so war die Caesarische Armee beschraenkt auf den schmalen Raum zwischen der Cinca und dem Sicoris, das linke Ufer des Sicoris aber und damit die Strasse, auf der die Armee mit Gallien und Italien kommunizierte, fast unverteidigt den Pompeianern preisgegeben, die den Fluss teils auf der Stadtbruecke, teils nach lusitanischer Art auf Schlaeuchen schwimmend passierten. Es war die Zeit kurz vor der Ernte; die alte Frucht war fast aufgebraucht, die neue noch nicht eingebracht und der enge Landstreif zwischen den beiden Baechen bald ausgezehrt. Im Lager herrschte foermliche Hungersnot - der preussische Scheffel Weizen kostete 300 Denare (90 Taler) - und brachen bedenkliche Krankheiten aus; dagegen haeufte am linken Ufer Proviant und die mannigfaltigste Zufuhr sich an, dazu Mannschaften aller Art: Nachschub aus Gallien von Reiterei und Schuetzen, beurlaubte Offiziere und Soldaten, heimkehrende Streifscharen, im ganzen eine Masse von 6000 Koepfen, welche von den Pompeianern mit ueberlegener Macht angegriffen und mit grossem Verlust in die Berge gedraengt wurden, waehrend die Caesarianer am rechten Ufer dem ungleichen Gefecht untaetig zusehen mussten. Die Verbindungen der Armee waren in den Haenden der Pompeianer; in Italien blieben die Nachrichten aus Spanien ploetzlich aus, und die bedenklichen Geruechte, die dort umzulaufen begannen, waren von der Wahrheit nicht allzuweit entfernt. Haetten die Pompeianer ihren Vorteil mit einigem Nachdruck verfolgt, so konnte es ihnen nicht fehlen, die auf dem linken Ufer des Sicoris zusammengedraengte, kaum widerstandsfaehige Masse entweder in ihre Gewalt zu bringen oder wenigstens nach Gallien zurueckzuwerfen und dies Ufer so vollstaendig zu besetzen, dass ohne ihr Wissen kein Mann den Fluss ueberschritt. Allein beides war versaeumt worden; jene Haufen waren wohl mit Verlust beiseite gedraengt, aber doch weder vernichtet noch voellig zurueckgeworfen worden, und die Ueberschreitung des Flusses zu wehren, ueberliess man wesentlich dem Flusse selbst. Hierauf baute Caesar seinen Plan. Er liess tragbare Kaehne von leichtem Holzgestell und Korbgeflecht mit lederner Bekleidung, nach dem Muster der im Kanal bei den Briten und spaeter den Sachsen ueblichen, im Lager anfertigen und sie auf Wagen an den Punkt, wo die Bruecken gestanden hatten, transportieren. Auf diesen gebrechlichen Nachen wurde das andere Ufer erreicht und, da man es unbesetzt fand, ohne grosse Schwierigkeit die Bruecke wiederhergestellt; rasch war dann auch die Verbindungsstrasse freigemacht und die sehnlich erwartete Zufuhr in das Lager geschafft. Caesars gluecklicher Einfall riss also das Heer aus der ungeheuren Gefahr, in der es schwebte. Sofort begann dann Caesars an Tuechtigkeit der feindlichen weit ueberlegene Reiterei, die Landschaft am linken Ufer des Sicoris zu durchstreifen; schon traten die ansehnlichsten spanischen Gemeinden zwischen den Pyrenaeen und dem Ebro, Osca, Tarraco, Dertosa und andere, ja selbst einzelne suedlich vom Ebro auf Caesars Seite. Durch die Streiftrupps Caesars und die Uebertritte der benachbarten Gemeinden wurde nun den Pompeianern die Zufuhr knapp; sie entschlossen sich endlich zum Rueckzug hinter die Ebrolinie und gingen eiligst daran, unterhalb der Sicorismuendung eine Schiffbruecke ueber den Ebro zu schlagen. Caesar suchte den Gegnern den Rueckweg ueber den Ebro abzuschneiden und sie in Ilerda festzuhalten; allein solange die Feinde im Besitz der Bruecke bei Ilerda blieben und er dort weder Furt noch Bruecken in seiner Gewalt hatte, durfte er seine Armee nicht auf die beiden Flussufer verteilen und konnte Ilerda nicht einschliessen. Seine Soldaten schanzten also Tag und Nacht, um durch Abzugsgraeben den Fluss so viel tiefer zu legen, dass die Infanterie ihn durchwaten koenne. Aber die Vorbereitungen der Pompeianer, den Ebro zu passieren, kamen frueher zu Ende als die Anstalten der Caesarianer zur Einschliessung von Ilerda; als jene nach Vollendung der Schiffbruecke den Marsch nach dem Ebro zu am linken Ufer des Sicoris antraten, schienen die Ableitungsgraeben der Caesarianer dem Feldherrn doch nicht weit genug vorgerueckt, um die Furt fuer die Infanterie zu benutzen; nur seine Reiter liess er den Strom passieren und, dem Feinde an die Fersen sich heftend, wenigstens ihn aufhalten und schaedigen. Allein als Caesars Legionen am grauenden Morgen die seit Mitternacht abziehenden feindlichen Kolonnen erblickten, begriffen sie mit der instinktmaessigen Sicherheit krieggewohnter Veteranen die strategische Bedeutung dieses Rueckzugs, der sie noetigte, dem Gegner in ferne, unwegsame und von feindlichen Scharen erfuellte Landschaften zu folgen; auf ihre eigene Bitte wagte es der Feldherr, auch das Fussvolk in den Fluss zu fuehren, und obwohl den Leuten das Wasser bis an die Schultern ging, ward er doch ohne Unfall durchschritten. Es war die hoechste Zeit. Wenn die schmale Ebene, welche die Stadt Ilerda von den den Ebro einfassenden Gebirgen trennt, einmal durchschritten und das Heer der Pompeianer in die Berge eingetreten war, so konnte der Rueckzug an den Ebro ihnen nicht mehr verwehrt werden. Schon hatten dieselben, trotz der bestaendigen, den Marsch ungemein verzoegernden Angriffe der feindlichen Reiterei, den Bergen sich bis auf eine Meile genaehert, als sie, seit Mitternacht auf dem Marsche und unsaeglich erschoepft, ihren urspruenglichen Plan, die Ebene noch an diesem Tage ganz zu durchschreiten, aufgaben und Lager schlugen. Hier holte Caesars Infanterie sie ein und lagerte am Abend und in der Nacht ihnen gegenueber, indem der anfaenglich beabsichtigte naechtliche Weitermarsch von den Pompeianern aus Furcht vor den naechtlichen Angriffen der Reiterei wieder aufgegeben ward. Auch am folgenden Tage standen beide Heere unbeweglich, nur beschaeftigt, die Gegend zu rekognoszieren. Am fruehen Morgen des dritten brach Caesars Fussvolk auf, um, durch die pfadlosen Berge zur Seite der Strasse die Stellung der Feinde umgehend, ihnen den Weg zum Ebro zu verlegen. Der Zweck des seltsamen Marsches, der anfangs in das Lager vor Ilerda sich zurueckzuwenden schien, ward von den Pompeianischen Offizieren nicht sogleich erkannt. Als sie ihn fassten, opferten sie Lager und Gepaeck und rueckten im Gewaltmarsch auf der Hauptstrasse vor, um den Uferkamm vor den Caesarianern zu gewinnen. Indes es war bereits zu spaet; schon hielten, als sie herankamen, auf der grossen Strasse selbst die geschlossenen Massen des Feindes. Ein verzweifelter Versuch der Pompeianer, ueber die Bergsteile andere Wege zum Ebro ausfindig zu machen, ward von Caesars Reiterei vereitelt, welche die dazu vorgesandten lusitanischen Truppen umzingelte und zusammenhieb. Waere es zwischen der Pompeianischen Armee, die die feindlichen Reiter im Ruecken, das Fussvolk von vorne sich gegenueber hatte und gaenzlich demoralisiert war, und den Caesarianern zu einer Schlacht gekommen, so war deren Ausgang kaum zweifelhaft, und die Gelegenheit zum Schlagen bot mehrfach sich dar; aber Caesar machte keinen Gebrauch davon und zuegelte nicht ohne Muehe die ungeduldige Kampfeslust seiner siegesgewissen Soldaten. Die Pompeianische Armee war ohnehin strategisch verloren; Caesar vermied es, durch nutzloses Blutvergiessen sein Heer zu schwaechen und die arge Fehde noch weiter zu vergiften. Schon am Tage, nachdem es gelungen war, die Pompeianer vom Ebro abzuschneiden, hatten die Soldaten der beiden Heere miteinander angefangen zu fraternisieren und wegen der Uebergabe zu unterhandeln, ja es waren bereits die von den Pompeianern geforderten Bedingungen, namentlich Schonung der Offiziere, von Caesar zugestanden worden, als Petreius mit seiner aus Sklaven und Spaniern bestehenden Eskorte ueber die Unterhaendler zukam und die Caesarianer, deren er habhaft ward, niedermachen liess. Caesar sandte dennoch die zu ihm in das
Lager gekommenen Pompeianer ungeschaedigt zurueck und beharrte dabei, eine friedliche Loesung zu suchen. Ilerda, wo die Pompeianer noch Besatzung und ansehnliche Magazine hatten, ward jetzt das Ziel ihres Marsches; allein vor sich das feindliche Heer und zwischen sich und der Festung den Sicoris, marschierten sie, ohne ihrem Ziele naeher zu kommen. Ihre Reiterei ward allmaehlich so eingeschuechtert, dass das Fussvolk sie in die Mitte nehmen und Legionen in die Nachhut gestellt werden mussten; die Beschaffung von Wasser und Fourage ward immer schwieriger; schon musste man die Lasttiere niederstossen, da man sie nicht ernaehren konnte. Endlich fand die umherirrende Armee sich foermlich eingeschlossen, den Sicoris im Ruecken, vor sich das feindliche Heer, das Wall und Graben um sie herumzog. Sie versuchte den Fluss zu ueberschreiten, aber Caesars deutsche Reiter und leichte Infanterie kamen in der Besetzung des entgegenstehenden Ufers ihr zuvor. Alle Tapferkeit und alle Treue konnten die unvermeidliche Kapitulation nicht laenger abwenden (2. August 705 49). Caesar gewaehrte nicht bloss Offizieren und Soldaten Leben und Freiheit und sowohl den Besitz der ihnen noch gebliebenen Habe wie auch die Zurueckgabe der bereits ihnen abgenommenen, deren vollen Wert er selber seinen Soldaten zu erstatten uebernahm, sondern waehrend er die in Italien gefangenen Rekruten zwangsweise in seine Armee eingereiht hatte, ehrte er diese alten Legionaere des Pompeius durch die Zusage, dass keiner wider seinen Willen genoetigt werden solle, in sein Heer einzutreten. Er forderte nur, dass ein jeder die Waffen abgebe und sich in seine Heimat verfuege. Demgemaess wurden die aus Spanien gebuertigen Soldaten, etwa der dritte Teil der Armee, sogleich, die italischen an der Grenze des Jenund Diesseitigen Galliens verabschiedet. Das Diesseitige Spanien fiel mit der Aufloesung dieser Armee von selbst in die Gewalt des Siegers. Im Jenseitigen, wo Marcus Varro fuer Pompeius den Oberbefehl fuehrte, schien es diesem, als er die Katastrophe von Ilerda erfuhr, das raetlichste, sich in die Inselstadt Gades zu werfen und die betraechtlichen Summen, die er durch Einziehung der Tempelschaetze und der Vermoegen angesehener Caesarianer zusammengebracht hatte, die nicht unbedeutende von ihm aufgestellte Flotte und die ihm anvertrauten zwei Legionen dorthin in Sicherheit zu bringen. Allein auf das blosse Geruecht von Caesars Ankunft erklaerten die namhaftesten Staedte der Caesar seit langem anhaenglichen Provinz sich fuer diesen und verjagten die Pompeianischen Besatzungen oder bestimmten sie zu gleichem Abfall: so Corduba, Carmo und Gades selbst. Auch eine der Legionen brach auf eigene Hand nach Hispalis auf und trat mit dieser Stadt zugleich auf Caesars Seite. Als endlich selbst Italica dem Varro die Tore sperrte, entschloss dieser sich zu kapitulieren. Ungefaehr gleichzeitig unterwarf sich auch Massalia. Mit seltener Energie hatten die Massalioten nicht bloss die Belagerung ertragen, sondern auch die See gegen Caesar behauptet; es war ihr heimisches Element und sie durften hoffen, auf diesem kraeftige Unterstuetzung von Pompeius zu empfangen, welcher ja das Meer ausschliesslich beherrschte. Indes Caesars Unterfeldherr, der tuechtige Decimus Brutus, derselbe, der ueber die Veneter den ersten Seesieg im Ozean erfochten hatte, wusste rasch eine Flotte herzustellen und, trotz der wackeren Gegenwehr der feindlichen, teils aus albioekischen Soldknechten der Massalioten, teils aus Hirtensklaven des Domitius bestehenden Flottenmannschaft, durch seine tapferen, aus den Legionen auserlesenen Schiffssoldaten die staerkere massaliotische Flotte zu ueberwinden und die groessere Haelfte der Schiffe zu versenken oder zu erobern. Als dann ein kleines Pompeianisches Geschwader unter Lucius Nasidius aus dem Osten ueber Sizilien und Sardinien im Hafen von Massalia eintraf, erneuerten die Massalioten noch einmal ihre Seeruestung und liefen zugleich mit den Schiffendes Nasidius gegen Brutus aus. Haetten in dem Treffen, das auf der Hoehe von Tauroeis (La Ciotat, oestlich von Marseille) geschlagen ward, die Schiffe des Nasidius mit demselben verzweifelten Mut gestritten, den die massaliotischen an diesem Tage bewiesen, so moechte das Ergebnis desselben wohl ein verschiedenes gewesen sein; allein die Flucht der Nasidianer entschied den Sieg fuer Brutus und die Truemmer der Pompeianischen Flotte fluechteten nach Spanien. Die Belagerten waren von der See vollstaendig verdraengt. Auf der Landseite, wo Gaius Trebonius die Belagerung leitete, ward auch nachher noch die entschlossenste Gegenwehr fortgesetzt; allein trotz der haeufigen Ausfaelle der albioekischen Soeldner und der geschickten Verwendung der ungeheuren, in der Stadt aufgehaeuften Geschuetzvorraete rueckten endlich doch die Arbeiten der Belagerer bis an die Mauer vor und einer der Tuerme stuerzte zusammen. Die Massalioten erklaerten, dass sie die Verteidigung aufgaeben, aber mit Caesar selbst die Kapitulation abzuschliessen wuenschten, und ersuchten den roemischen Befehlshaber, bis zu Caesars Ankunft die Belagerungsarbeiten einzustellen. Trebonius hatte von Caesar gemessenen Befehl, die Stadt so weit irgend moeglich zu schonen; er gewaehrte den erbetenen Waffenstillstand. Allein da die Massalioten ihn zu einem tueckischen Ausfall benutzten, in dem sie die eine Haelfte der fast unbewachten roemischen Werke vollstaendig niederbrannten, begann von neuem und mit gesteigerter Erbitterung der Belagerungskampf. Der tuechtige Befehlshaber der Roemer stellte mit ueberraschender Schnelligkeit die vernichteten Tuerme und den Damm wieder her; bald waren die Massalioten abermals vollstaendig eingeschlossen. Als Caesar, von der Unterwerfung Spaniens zurueckkehrend, vor ihrer Stadt ankam, fand er dieselbe teils durch die feindlichen Angriffe, teils durch Hunger und Seuchen aufs Aeusserste gebracht und zum zweitenmal, und diesmal ernstlich, bereit, auf jede Bedingung zu kapitulieren. Nur Domitius, der schmaehlich missbrauchten Nachsicht des Siegers eingedenk, bestieg einen Nachen und schlich sich durch die roemische Flotte, um fuer seinen unversoehnlichen Groll ein drittes Schlachtfeld zu suchen. Caesars Soldaten hatten geschworen, die ganze maennliche Bevoelkerung der treubruechigen Stadt ueber die Klinge springen zu lassen und forderten mit Ungestuem von dem Feldherrn das Zeichen zur Pluenderung. Allein Caesar, seiner grossen Aufgabe, die hellenisch-italische Zivilisation im Westen zu begruenden auch hier eingedenk, liess sich nicht zwingen, zu der Zerstoerung Korinths die Fortsetzung zu liefern. Massalia, von jenen einst so zahlreichen freien und seemaechtigen Staedten der alten ionischen Schiffernation die von der Heimat am weitesten entfernte und fast die letzte, in der das hellenische Seefahrerleben noch rein und frisch sich erhalten hatte, wie denn auch die letzte griechische Stadt, die zur See geschlagen hat - Massalia musste zwar seine Waffenund Flottenvorraete an den Sieger abliefern und verlor einen Teil seines Gebietes und seiner Privilegien, aber behielt seine Freiheit und seine Nationalitaet und blieb, wenn auch materiell in geschmaelerten Verhaeltnissen, doch geistig nach wie vor der Mittelpunkt der hellenischen Kultur in der fernen, eben jetzt zu neuer geschichtlicher Bedeutung gelangenden keltischen Landschaft. Waehrend also in den westlichen Landschaften der Krieg nach manchen bedenklichen Wechselfaellen schliesslich sich durchaus zu Caesars Gunsten entschied und Spanien und Massalia unterworfen, die feindliche Hauptarmee bis auf den letzten Mann gefangengenommen wurde, hatte auch auf dem zweiten Kriegsschauplatze, auf welchem Caesar es notwendig gefunden, sofort nach der Eroberung Italiens die Offensive zu ergreifen, die Waffenentscheidung stattgefunden. Es ward schon gesagt, dass die Pompeianer die Absicht hatten, Italien auszuhungern. Die Mittel dazu hatten sie in Haenden. Sie beherrschten die See durchaus und arbeiteten allerorts, in Gades, Utica, Messana, vor allem im Osten, mit grossem Eifer an der Vermehrung ihrer Flotte; sie hatten ferner die saemtlichen Provinzen inne, aus denen die Hauptstadt ihre Subsistenzmittel zog: Sardinien und Korsika durch Marcus Cotta, Sizilien durch Marcus Cato, Afrika durch den selbst ernannten Oberfeldherrn Titus Attius Varus und ihren Verbuendeten, den Koenig Juba von Numidien. Es war fuer Caesar unumgaenglich noetig, diese Plaene des Feindes zu durchkreuzen und demselben die Getreideprovinzen zu entreissen. Quintus Valerius ward mit einer Legion nach Sardinien gesandt und zwang den Pompeianischen Statthalter, die Insel zu raeumen. Die wichtigere Unternehmung, Sizilien und Afrika dem Feinde abzunehmen, wurde unter Beistand des tuechtigen und kriegserfahrenen Gaius Caninius Rebilus dem jungen Gaius Curio anvertraut. Sizilien ward von ihm ohne Schwertstreich besetzt; Cato, ohne rechte Armee und kein Mann des Degens, raeumte die Insel, nachdem er in seiner rechtschaffenen Art die Sikelioten vorher gewarnt hatte, sich nicht durch unzulaenglichen Widerstand nutzlos zu kompromittieren. Curio liess zur Deckung dieser fuer die Hauptstadt so wichtigen Insel die Haelfte seiner Truppen zurueck und schiffte sich mit der anderen, zwei Legionen und 500 Reitern, nach Afrika ein. Hier durfte er erwarten, ernsteren Widerstand zu finden: ausser der ansehnlichen und in ihrer Art tuechtigen Armee Jubas hatte der Statthalter Varus aus den in Afrika ansaessigen Roemern zwei Legionen gebildet und auch ein kleines Geschwader von zehn Segeln aufgestellt. Mit Hilfe seiner ueberlegenen Flotte bewerkstelligte indes Curio ohne Schwierigkeit die Landung zwischen Hadrumetum, wo die eine Legion der Feinde nebst ihren Kriegsschiffen, und Utica, vor welcher Stadt die zweite Legion unter Varus selbst stand. Curio wandte sich gegen die letztere und schlug sein Lager unweit Utica, ebenda, wo anderthalb Jahrhunderte zuvor der aeltere Scipio sein erstes Winterlager in Afrika genommen hatte. Caesar, genoetigt, seine Kerntruppen fuer den Spanischen Krieg zusammenzuhalten, hatte die sizilisch-afrikanische Armee groesstenteils aus den vom Feind uebernommenen Legionen, namentlich den Kriegsgefangenen von Corfinium, zusammensetzen muessen; die Offiziere der Pompeianischen Armee in Afrika, die zum Teil bei denselben in Corfinium ueberwundenen Legionen gestanden hatten, liessen jetzt kein Mittel unversucht, ihre alten, nun gegen sie fechtenden Soldaten zu ihrem ersten Eidschwur wieder zurueckzubringen. Indes Caesar hatte in seinem Stellvertreter sich nicht vergriffen. Curio verstand es, ebensowohl die Bewegung des Heeres und der Flotte zu lenken, als auch persoenlichen Einfluss auf die Soldaten zu gewinnen; die Verpflegung war reichlich, die Gefechte ohne Ausnahme gluecklich. Als Varus, in der Voraussetzung, dass es den Truppen Curios an Gelegenheit fehlte, auf seine Seite ueberzugehen, hauptsaechlich, um ihnen diese zu verschaffen, sich entschloss, eine Schlacht zu liefern, rechtfertigte der Erfolg seine Erwartungen nicht. Begeistert durch die feurige Ansprache ihres jugendlichen Fuehrers schlugen Curios Reiter die feindlichen in die Flucht und saebelten im Angesichte beider Heere die mit den Reitern ausgerueckte leichte Infanterie der Feinde nieder; und ermutigt durch diesen Erfolg und durch Curios persoenliches Beispiel, gingen auch seine Legionen durch die schwierige, die beiden Linien trennende Talschlucht vor zum Angriff, den die Pompeianer aber nicht erwarteten, sondern schimpflich in ihr Lager zurueckflohen und auch dies die Nacht darauf raeumten. Der Sieg war so vollstaendig, dass Curio sofort dazu schritt, Utica zu belagern. Als indes die Meldung eintraf, dass Koenig Juba mit seiner gesamten Heeresmacht zum Entsatz heranrueckte, entschloss sich Curio, ebenwie bei Syphax’ Eintreffen Scipio getan, die Belagerung aufzuheben und in Scipios ehemaliges Lager zurueckzugehen, bis aus Sizilien Verstaerkung nachkommen werde. Bald darauf lief ein zweiter Bericht ein, dass Koenig Juba durch Angriffe seiner Nachbarfuersten veranlasst worden sei, mit seiner Hauptmacht wieder umzukehren, und den Belagerten nur ein maessiges Korps unter Saburra zur Hilfe sende. Curio, der bei seinem lebhaften Naturell nur sehr ungern sich entschlossen hatte zu rasten, brach nun sofort wieder auf, um mit Saburra zu schlagen, bevor derselbe mit der Besatzung von Utica in Verbindung treten koenne. Seiner Reiterei, die am Abend voraufgegangen war, gelang es in der Tat, das Korps des Saburra am Bagradas bei naechtlicher Weile zu ueberraschen und uebel zuzurichten; und auf diese Siegesbotschaft beschleunigte Curio den Marsch der Infanterie, um durch sie die Niederlage zu vollenden. Bald erblickte man auf den letzten Abhaengen der gegen den Bagradas sich senkenden Anhoehen das Korps des Saburra, das mit den roemischen Reitern sich herumschlug; die heranrueckenden Legionen halfen, dasselbe voellig in die Ebene hinabdraengen. Allein hier wendete sich das Gefecht. Saburra stand nicht, wie man meinte, ohne Rueckhalt, sondern nicht viel mehr als eine deutsche Meile entfernt von der numidischen Hauptmacht. Bereits trafen der Kern des numidischen Fussvolks und 2000 gallische und spanische Reiter auf dem Schlachtfeld ein, um Saburra zu unterstuetzen, und der Koenig selbst mit dem Gros der Armee und sechzehn Elefanten war im Anmarsch. Nach dem Nachtmarsch und dem hitzigen Gefecht waren von den roemischen Reitern augenblicklich nicht viel ueber 200 beisammen, und diese sowie die Infanterie von den Strapazen und dem Fechten aufs aeusserste erschoepft, alle in der weiten Ebene, in die man sich hatte verlocken lassen, rings eingeschlossen von den bestaendig sich mehrenden feindlichen Scharen. Vergeblich suchte Curio, handgemein zu werden; die libyschen Reiter wichen, wie sie pflegten, sowie eine roemische Abteilung vorging, um, wenn sie umkehrte, sie zu verfolgen. Vergeblich versuchte er, die Hoehen wiederzugewinnen; sie wurden von den feindlichen Reitern besetzt und versperrt. Es war alles verloren. Das Fussvolk ward niedergehauen bis auf den letzten Mann. Von der Reiterei gelang es einzelnen sich durchzuschlagen; und Curio haette wohl sich zu retten vermocht, aber er ertrug es nicht, ohne das ihm anvertraute Heer allein vor seinem Herrn zu erscheinen, und starb mit dem Degen in der Hand. Selbst die Mannschaft, die im Lager vor Utica sich zusammenfand, und die Flottenbesatzung, die sich so leicht nach Sizilien haette retten koennen, ergaben sich unter dem Eindruck der fuerchterlich raschen Katastrophe den Tag darauf an Varus (August oder September 705 49). So endigte die von Caesar angeordnete sizilisch-afrikanische Expedition. Sie erreichte insofern ihren Zweck, als durch die Besetzung Siziliens in Verbindung mit der von Sardinien wenigstens dem dringendsten Beduerfnis der Hauptstadt abgeholfen ward; die vereitelte Eroberung Afrikas, aus welcher die siegende Partei keinen weiteren wesentlichen Gewinn zog, und der Verlust zweier unzuverlaessiger Legionen liessen sich verschmerzen. Aber ein unersetzlicher Verlust fuer Caesar, ja fuer Rom, war Curios frueher Tod. Nicht ohne Ursache hatte Caesar dem militaerisch unerfahrenen und wegen seines Lotterlebens berufenen jungen Mann das wichtigste selbstaendige Kommando anvertraut; es war ein Funken von Caesars eigenem Geist in dem feurigen Juengling. Auch er hatte wie Caesar den Becher der Lust bis auf die Hefen geleert; auch er ward nicht darum Staatsmann, weil er Offizier war, sondern es gab seine politische Taetigkeit ihm das Schwert in die Hand; auch seine Beredsamkeit war nicht die der gerundeten Perioden, sondern die Beredsamkeit des tief empfundenen Gedankens; auch seine Kriegfuehrung ruhte auf dem raschen Handeln mit geringen Mitteln; auch sein Wesen war Leichtigkeit und oft Leichtfertigkeit, anmutige Offenherzigkeit und volles Leben im Augenblick. Wenn, wie sein Feldherr von ihm sagt, Jugendfeuer und hoher Mut ihn zu Unvorsichtigkeiten hinrissen und wenn er, um nicht einen verzeihlichen Fehler sich verzeihen zu lassen, allzu stolz den Tod nahm, so fehlen Momente gleicher Unvorsichtigkeit und gleichen Stolzes auch in Caesars Geschichte nicht. Man darf es beklagen, dass es dieser uebersprudelnden Natur nicht vergoennt war, auszuschaeumen und sich aufzubewahren fuer die folgende, an Talenten so bettelarme, dem schrecklichen Regiment der Mittelmaessigkeiten so rasch verfallende Generation. Inwiefern diese Kriegsvorgaenge des Jahres 705 (49) in Pompeius’ allgemeinen Feldzugsplan eingriffen, namentlich welche Rolle in diesem nach dem Verlust Italiens den wichtigen Heereskoerpern im Westen zugeteilt war, laesst sich nur vermutungsweise bestimmen. Dass Pompeius die Absicht gehabt, seinem in Spanien fechtenden Heer zu Lande ueber Afrika und Mauretanien zu Hilfe zu kommen, war nichts als ein im Lager von Ilerda umherlaufendes abenteuerliches und ohne Zweifel durchaus grundloses Geruecht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass er bei seinem frueheren Plan, Caesar im Diesund Jenseitigen Gallien von zwei Seiten anzugreifen, selbst nach dem Verlust von Italien noch beharrte und einen kombinierten Angriff zugleich von Spanien und Makedonien aus beabsichtigte. Vermutlich sollte die spanische Armee so lange an den Pyrenaeen sich defensiv verhalten, bis die in der Organisation begriffene makedonische gleichfalls marschfaehig war; worauf dann beide zugleich aufgebrochen sein und, je nach den Umstaenden, entweder an der Rhone oder am Po sich die Hand gereicht, auch die Flotte vermutlich gleichzeitig versucht haben wuerde, das eigentliche Italien zurueckzuerobern. In dieser Voraussetzung, wie es scheint, hatte Caesar zunaechst sich darauf gefasst gemacht, einem Angriff auf Italien zu begegnen. Einer der tuechtigsten seiner Offiziere, der Volkstribun Marcus Antonius, befehligte hier mit propraetorischer Gewalt. Die suedoestlichen Haefen Sipus, Brundisium, Tarent, wo am ersten ein Landungsversuch zu erwarten war, hatten eine Besatzung von drei Legionen erhalten. Ausserdem zog Quintus Hortensius, des bekannten Redners ungeratener Sohn, eine Flotte im Tyrrhenischen, Publius Dolabella eine zweite im Adriatischen Meere zusammen, welche teils die Verteidigung unterstuetzten, teils fuer die bevorstehende Ueberfahrt nach Griechenland mitverwandt werden sollten. Falls Pompeius versuchen wuerde, zu Lande in Italien einzudringen, hatten Marcus Licinius Crassus, der aelteste Sohn des alten Kollegen Caesars, die Verteidigung des Diesseitigen Galliens, des Marcus Antonius juengerer Bruder Gaius die von Illyricum zu leiten. Indes der vermutete Angriff liess lange auf sich warten. Erst im Hochsommer des Jahres ward man in Illyrien handgemein. Hier stand Caesars Statthalter Gaius Antonius mit seinen zwei Legionen auf der Insel Curicta (Veglia, im Golf von Quarnero), Caesars Admiral Publius Dolabella mit 40 Schiffen in dem schmalen Meerarm zwischen dieser Insel und dem Festland. Das letztere Geschwader griffen Pompeius’ Flottenfuehrer im Adriatischen Meer, Marcus Octavius mit der griechischen, Lucius Scribonius Libo mit der illyrischen Flottenabteilung an, vernichteten saemtliche Schiffe Dolabellas und schnitten Antonius auf seiner Insel ab. Ihn zu retten, kamen aus Italien ein Korps unter Basilus und Sallustius und das Geschwader des Hortensius aus dem Tyrrhenischen Meer; allein weder jenes noch dieses vermochten der weit ueberlegenen feindlichen Flotte etwas anzuhaben. Die Legionen des Antonius mussten ihrem Schicksal ueberlassen werden. Die Vorraete gingen zu Ende, die Truppen wurden schwierig und meuterisch; mit Ausnahme weniger Abteilungen, denen es gelang, auf Floessen das Festland zu erreichen, streckte das Korps, immer noch fuenfzehn Kohorten stark, die Waffen und ward auf den Schiffen Libos nach Makedonien gefuehrt, um dort in die Pompeianische Armee eingereiht zu werden, waehrend Octavius zurueckblieb, um die Unterwerfung der von Truppen entbloessten illyrischen Kueste zu vollenden. Die Delmater, jetzt in diesen Gegenden die bei weitem maechtigste Voelkerschaft, die wichtige Inselstadt Issa (Lissa) und andere Ortschaften ergriffen die Partei des Pompeius; allein die Anhaenger Caesars behaupteten sich in Salome (Spalato) und Lissos (Alessio) und hielten in der ersteren Stadt nicht bloss die Belagerung mutig aus, sondern machten, als sie aufs Aeusserste gebracht waren, einen Ausfall mit solchem Erfolg, dass Octavius die Belagerung aufhob und nach Dyrrhachion abfuhr, um dort zu ueberwintern. Dieser in Illyricum von der Pompeianischen Flotte erfochtene Erfolg, obwohl an sich nicht unbedeutend, wirkte doch auf den Gesamtgang des Feldzuges wenig ein; und zwerghaft gering erscheint er, wenn man erwaegt, dass die Verrichtungen der unter Pompeius’ Oberbefehl stehenden Landund Seemacht waehrend des ganzen ereignisreichen Jahres 705 (49) sich auf diese einzige Waffentat beschraenkten und dass vom Osten her, wo der Feldherr, der Senat, die zweite grosse Armee, die Hauptflotte, ungeheure militaerische und noch ausgedehntere finanzielle Hilfsmittel der Gegner Caesars vereinigt waren, da, wo es not tat, in jenen allentscheidenden Kampf im Westen gar nicht eingegriffen ward. Der aufgeloeste Zustand der in der oestlichen Haelfte des Reiches befindlichen Streitkraefte, die Methode des Feldherrn, nie anders als mit ueberlegenen Massen zu operieren, seine Schwerfaelligkeit und Weitschichtigkeit und die Zerfahrenheit der Koalition mag vielleicht die Untaetigkeit der Landmacht zwar nicht entschuldigen, aber doch einigermassen erklaeren; aber dass die Flotte, die doch ohne Nebenbuhler das Mittelmeer beherrschte, so gar nichts tat, um den Gang der Dinge bestimmen zu helfen, nichts fuer Spanien, so gut wie nichts fuer die treuen Massalioten, nichts, um Sardinien, Sizilien, Afrika zu verteidigen und Italien wo nicht wieder zu besetzen, doch wenigstens ihm die Zufuhr abzusperren - das macht an unsere Vorstellungen von der im Pompeianischen Lager herrschenden Verwirrung und Verkehrtheit Ansprueche, denen wir nur mit Muehe zu genuegen vermoegen. Das Gesamtresultat dieses Feldzugs war entsprechend. Caesars doppelte Offensive gegen Spanien und gegen Sizilien und Afrika war dort vollstaendig, hier wenigstens teilweise gelungen; dagegen ward Pompeius’ Plan, Italien auszuhungern, durch die Wegnahme Siziliens in der Hauptsache, sein allgemeiner Feldzugsplan durch die Vernichtung der spanischen Armee vollstaendig vereitelt; und in Italien waren Caesars Verteidigungsanstalten nur zum kleinsten Teil zur Verwendung gekommen. Trotz der empfindlichen Verluste in Afrika und Illyrien ging doch Caesar in der entschiedensten und entscheidendsten Weise aus diesem ersten Kriegsjahr als Sieger hervor. Wenn indes vom Osten aus nichts Wesentliches geschah, um Caesar an der Unterwerfung des Westens zu hindern, so arbeitete man doch wenigstens dort in der so schmaehlich gewonnenen Frist daran, sich politisch und militaerisch zu konsolidieren. Der grosse Sammelplatz der Gegner Caesars ward Makedonien. Dorthin begab sich Pompeius selbst und die Masse der brundisinischen Emigranten; dorthin die uebrigen Fluechtlinge aus dem Westen: Marcus Cato aus Sizilien, Lucius Domitius von Massalia; namentlich aber aus Spanien eine Menge der besten Offiziere und Soldaten der aufgeloesten Armee, an der Spitze ihre Feldherrn Afranius und Varro. In Italien ward die Emigration unter den Aristokraten allmaehlich nicht bloss Ehren-, sondern fast Modesache, und neuen Schwung erhielt sie durch die unguenstigen Nachrichten, die ueber Caesars Lage vor Ilerda eintrafen; auch von den laueren Parteigenossen und den politischen Achseltraegern kamen nach und nach nicht wenige an, und selbst Marcus Cicero ueberzeugte sich endlich, dass er seiner Buergerpflicht nicht ausreichend damit genuege, wenn er eine Abhandlung ueber die Eintracht schreibe. Der Emigrantensenat in Thessalonike, wo das offizielle Rom seinen interimistischen Sitz aufschlug, zaehlte gegen 200 Mitglieder, darunter manche hochbejahrte Greise und fast saemtliche Konsulare. Aber freilich waren es Emigranten. Auch dieses roemische Koblenz stellte die hohen Ansprueche und duerftigen Leistungen der vornehmen Welt Roms, ihre unzeitigen Reminiszenzen und unzeitigeren Rekriminationen, ihre politischen Verkehrtheiten und finanziellen Verlegenheiten in klaeglicher Weise zur Schau. Es war das wenigste, dass man, waehrend der alte Bau zusammensank, mit der peinlichsten Wichtigkeit jeden alten Schnoerkel und Rostfleck der Verfassung in Obacht nahm: am Ende war es bloss laecherlich, wenn es den vornehmen Herren Gewissensskrupel machte, ausserhalb des geheiligten staedtischen Bodens ihre Ratversammlung Senat zu heissen und sie vorsichtig sich die "Dreihundert" titulierten ^4; oder wenn man weitlaeufige staatsrechtliche Untersuchungen anstellte, ob und wie ein Kuriatgesetz von Rechts wegen sich anderswo zustande bringen lasse als im roemischen Mauerring. Weit schlimmer war die Gleichgueltigkeit der Lauen und die bornierte Verbissenheit der Ultras. Jene waren weder zum Handeln zu bringen noch auch nur zum Schweigen. Wurden sie aufgefordert, in einer bestimmten Weise fuer das gemeine Beste taetig zu sein, so betrachteten sie, mit der schwachen Leuten eigenen Inkonsequenz, jedes solche Ansinnen als einen boeswilligen Versuch, sie noch weiter zu kompromittieren und taten das Befohlene gar nicht oder mit halbem Herzen. Dabei aber fielen sie natuerlich mit ihrem verspaeteten Besserwissen und ihren superklugen Unausfuehrbarkeiten den Handelnden bestaendig zur Last; ihr Tagewerk bestand darin, jeden kleinen und grossen Vorgang zu bekritteln, zu bespoetteln und zu beseufzen und durch ihre eigene Laessigkeit und Hoffnungslosigkeit die Menge abzuspannen und zu entmutigen. Wenn hier die Atome der Schwaeche zu schauen war, so stand dagegen deren Hypertonie bei den Ultras in voller Bluete. Hier hatte man es kein Hehl, dass die Vorbedingung fuer jede Friedensverhandlung die Ueberbringung von Caesars Kopf sei: jeder der Friedensversuche, die Caesar auch jetzt noch wiederholentlich machte, ward unbesehen von der Hand gewiesen oder nur benutzt, um auf heimtueckische Weise den Beauftragten des Gegners nach dem Leben zu stellen. Dass die erklaerten Caesarianer samt und sonders Leben und Gut verwirkt hatten, verstand sich von selbst; aber auch den mehr oder minder Neutralen ging es wenig besser. Lucius Domitius, der Held von Corfinium, machte im Kriegsrat alles Ernstes den Vorschlag, diejenigen Senatoren, die im Heer des Pompeius gefochten haetten, ueber alle, die entweder neutral geblieben oder zwar emigriert, aber nicht in das Heer eingetreten seien, abstimmen zu lassen und diese einzeln je nach Befinden freizusprechen oder mit Geldbusse oder auch mit dem Verlust des Lebens und des Vermoegens zu bestrafen. Ein anderer dieser Ultras erhob bei Pompeius gegen Lucius Afranius wegen seiner mangelhaften Verteidigung Spaniens eine foermliche Anklage auf Bestechung und Verrat. Diesen in der Wolle gefaerbten Republikanern nahm ihre politische Theorie fast den Charakter eines religioesen Glaubensbekenntnisses an; sie hassten denn auch die laueren Parteigenossen und den Pompeius mit seinem persoenlichen Anhang womoeglich noch mehr als die offenbaren Gegner, und durchaus mit jener Stupiditaet des Hasses, wie sie orthodoxen Theologen eigen zu sein pflegt; sie wesentlich verschuldeten die zahllosen und erbitterten Sonderfehden, welche die Emigrantenarmee und den Emigrantensenat zerrissen. Aber sie liessen es nicht bei Worten. Marcus Bibulus, Titus Labienus und andere dieser Koterie fuehrten ihre Theorie praktisch durch und liessen, was ihnen von Caesars Armee an Offizieren oder Soldaten in die Haende fiel, in Masse hinrichten; was begreiflicherweise Caesars Truppen nicht gerade bewog, mit minderer Energie zu fechten. Wenn waehrend Caesars Abwesenheit von Italien die Konterrevolution zu Gunsten der Verfassungsfreunde, zu der alle Elemente vorhanden waren, dennoch daselbst nicht ausbrach, so lag, nach der Versicherung einsichtiger Gegner Caesars, die Ursache hauptsaechlich in der allgemeinen Besorgnis vor dem unbezaehmbaren Wueten der republikanischen Ultras nach erfolgter Restauration. Die Besseren im Pompeianischen Lager waren in Verzweiflung ueber dies rasende Treiben. Pompeius, selbst ein tapferer Soldat, schonte, soweit er durfte und konnte, der Gefangenen; aber er war zu schwachmuetig und in einer zu schiefen Stellung, um, wie es ihm als Oberfeldherrn zukam, alle Greuel dieser Art zu hemmen oder gar zu ahnden. Energischer versuchte der einzige Mann, der wenigstens mit sittlicher Haltung in den Kampf eintrat, Marcus Cato, diesem Treiben zu steuern, er erwirkte, dass der Emigrantensenat durch ein eigenes Dekret es untersagte, untertaenige Staedte zu pluendern und einen Buerger anders als in der Schlacht zu toeten. Ebenso dachte der tuechtige Marcus Marcellus. Freilich wusste es niemand besser als Cato und Marcellus, dass die extreme Partei ihre rettenden Taten wenn noetig allen Senatsbeschluessen zum Trotze vollzog. Wenn aber bereits jetzt, wo man noch Klugheitsruecksichten zu beobachten hatte, die Wut der Ultras sich nicht baendigen liess, so mochte man nach dem Siege auf eine Schreckensherrschaft sich gefasst machen, von der Marius und Sulla selbst sich schaudernd abgewandt haben wuerden; und man begreift es, dass Cato, seinem eigenen Gestaendnis zufolge, mehr noch als vor der Niederlage, graute vor dem Siege seiner eigenen Partei. ----------------------------------------- ^4 Da nach formellem Recht die "gesetzliche Ratversammlung" unzweifelhaft ebenso wie das "gesetzliche Gericht" nur in der Stadt selbst oder innerhalb der Bannmeile stattfinden konnte, so nannte die bei dem afrikanischen Heer den Senat vertretende Versammlung sich die "Dreihundert" (Bell. Afr. 88, 90; App. hist. 2, 95), nicht weil er aus 300 Mitgliedern bestand, sondern weil dies die uralte Normzahl der Senatoren war. Es ist sehr glaublich, dass diese Versammlung sich durch angesehene Ritter verstaerkte; aber wenn Plutarch (Cato min. 59, 61) die Dreihundert zu italischen Grosshaendlern macht, so hat er seine Quelle (Bell. Afr. 90) missverstanden. Aehnlich wird der Quasisenat schon in Thessalonike geordnet gewesen sein. --------------------------------------- Die Leitung der militaerischen Vorbereitungen im makedonischen Lager lag in der Hand des Oberfeldherrn Pompeius. Die stets schwierige und gedrueckte Stellung desselben hatte durch die ungluecklichen Ereignisse des Jahres 705 (49) sich noch verschlimmert. In den Augen seiner Parteigenossen trug wesentlich er davon die Schuld. Es war das in vieler Hinsicht nicht gerecht. Ein guter Teil der erlittenen Unfaelle kam auf Rechnung der Verkehrtheit und Unbotmaessigkeit der Unterfeldherren, namentlich des Konsuls Lentulus und des Lucius Domitius; von dem Augenblick an, wo Pompeius an die Spitze der Armee getreten war, hatte er sie geschickt und mutig gefuehrt und wenigstens sehr ansehnliche Streitkraefte aus dem Schiffbruch gerettet; dass er Caesars jetzt von allen anerkanntem, durchaus ueberlegenem Genie nicht gewachsen war, konnte billigerweise ihm nicht vorgeworfen werden. Indes es entschied allein der Erfolg. Im Vertrauen auf den Feldherrn Pompeius hatte die Verfassungspartei mit Caesar gebrochen; die verderblichen Folgen dieses Bruches fielen auf den Feldherrn Pompeius zurueck, und wenn auch bei der notorischen militaerischen Unfaehigkeit aller uebrigen Chefs kein Versuch gemacht ward, das Oberkommando zu wechseln, so war doch wenigstens das Vertrauen zu dem Oberfeldherrn paralysiert. Zu diesen Nachwehen der erlittenen Niederlagen kamen die nachteiligen Einfluesse der Emigration. Unter den eintreffenden Fluechtlingen war allerdings eine Anzahl tuechtiger Soldaten und faehiger Offiziere namentlich der ehemaligen spanischen Armee; allein die Zahl derer, die kamen, um zu dienen und zu fechten, war ebenso gering, wie zum Erschrecken gross die der vornehmen Generale, die mit ebenso gutem Fug wie Pompeius sich Prokonsuln und Imperatoren nannten, und der vornehmen Herren, die mehr oder weniger unfreiwillig am aktiven Kriegsdienst sich beteiligten. Durch diese ward die hauptstaedtische Lebensweise in das Feldlager eingebuergert, keineswegs zum Vorteil des Heeres: die Zelte solcher Herren waren anmutige Lauben, der Boden mit frischem Rasen zierlich bedeckt, die Waende mit Efeu bekleidet; auf dem Tisch stand silbernes Tafelgeschirr und oft kreiste dort schon am hellen Tage der Becher. Diese eleganten Krieger machten einen seltsamen Kontrast mit Caesars Grasteufeln, vor deren grobem Brot jene erschraken und die in Ermangelung dessen auch Wurzeln assen und schwuren, eher Baumrinde zu kauen als vom Feinde abzulassen. Wenn ferner die unvermeidliche Ruecksicht auf eine kollegialische und ihm persoenlich abgeneigte Behoerde Pompeius schon an sich in seiner Taetigkeit hemmte, so steigerte diese Verlegenheit sich ungemein, als der Emigrantensenat beinahe im Hauptquartier selbst seinen Sitz aufschlug und nun alles Gift der Emigration in diesen Senatssitzungen sich entleerte. Eine bedeutende Persoenlichkeit endlich, die gegen all diese Verkehrtheiten ihr eigenes Gewicht haette einsetzen koennen, war nirgends vorhanden. Pompeius selbst war dazu geistig viel zu untergeordnet und viel zu zoegernd, schwerfaellig und versteckt. Marcus Cato wuerde wenigstens die erforderliche moralische Autoritaet gehabt und auch des guten Willens, Pompeius damit zu unterstuetzen, nicht ermangelt haben; allein Pompeius, statt ihn zum Beistand aufzufordern, setzte ihn mit misstrauischer Eifersucht zurueck und uebertrug zum Beispiel das so wichtige Oberkommando der Flotte lieber an den in jeder Beziehung unfaehigen Bibulus als an Cato. Wenn somit Pompeius die politische Seite seiner Stellung mit der ihm eigenen Verkehrtheit behandelte und was an sich schon verdorben war, nach Kraeften weiter verdarb, so widmete er dagegen mit anerkennenswertem Eifer sich seiner Pflicht, die bedeutenden, aber aufgeloesten Streitkraefte der Partei militaerisch zu organisieren. Den Kern derselben bildeten die aus Italien mitgebrachten Truppen, aus denen mit den Ergaenzungen aus den illyrischen Kriegsgefangenen und den in Griechenland domizilierten Roemern zusammen fuenf Legionen gebildet wurden. Drei andere kamen aus dem Osten: die beiden aus den Truemmern der Armee des Crassus gebildeten syrischen und eine aus den zwei schwachen, bisher in Kilikien stehenden kombinierte. Der Wegziehung dieser Besatzungstruppen stellte sich nichts in den Weg, da teils die Pompeianer mit den Parthern im Einvernehmen standen und selbst ein Buendnis mit ihnen haetten haben koennen, wenn Pompeius nicht unwillig sich geweigert haette, den geforderten Preis: die Abtretung der von ihm selbst zum Reiche gebrachten syrischen Landschaft, dafuer zu zahlen; teils Caesars Plan, zwei Legionen nach Syrien zu entsenden und durch den in Rom gefangengehaltenen Prinzen Aristobulos die Juden abermals unter die Waffen zu bringen, zum Teil durch andere Ursachen, zum Teil durch Aristobulos’ Tod vereitelt ward. Weiter wurden aus den in Kreta und Makedonien angesiedelten gedienten Soldaten eine, aus den kleinasiatischen Roemern zwei neue Legionen ausgehoben. Zu allem dem kamen 2000 Freiwillige, die aus den Truemmern der spanischen Kernscharen und anderen aehnlichen Zuzuegen hervorgingen, und endlich die Kontingente der Untertanen. Wie Caesar hatte Pompeius es verschmaeht, von denselben Infanterie zu requirieren; nur zur Kuestenbesatzung waren die epirotischen, aetolischen und thrakischen Milizen aufgeboten und ausserdem an leichten Truppen 3000 griechische und kleinasiatische Schuetzen und 1200 Schleuderer angenommen worden. Die Reiterei dagegen bestand, ausser einer aus dem jungen Adel Roms gebildeten, mehr ansehnlichen als militaerisch bedeutenden Nobelgarde und den von Pompeius beritten gemachten apulischen Hirtensklaven, ausschliesslich aus den Zuzuegen der Untertanen und Klienten Roms. Den Kern bildeten die Kelten, teils von der Besatzung von Alexandreia, teils die Kontingente des Koenigs Deiotarus, der trotz seines hohen Alters an der Spitze seiner Reiterei in Person erschienen war, und der uebrigen galatischen Dynasten. Mit ihnen wurden vereinigt die vortrefflichen thrakischen Reiter, die teils von ihren Fuersten Sadala und Rhaskuporis herangefuehrt, teils von Pompeius in der makedonischen Provinz angeworben waren; die kappadokische Reiterei; die von Koenig Antiochos von Kommagene gesendeten, berittenen Schuetzen; die Zuzuege der Armenier von diesseits des Euphrat unter Taxiles, von jenseits desselben unter Megabares und die von Koenig Juba gesandten numidischen Scharen - die gesamte Masse stieg auf 7000 Pferde. Sehr ansehnlich endlich war die Pompeianische Flotte. Sie ward gebildet teils aus den von Brundisium mitgefuehrten oder spaeter erbauten roemischen Fahrzeugen, teils aus den Kriegsschiffen des Koenigs von Aegypten, der kolchischen Fuersten, des kilikischen Dynasten Tarkondimotos, der Staedte Tyros, Rhodos, Athen, Kerkyra und ueberhaupt der saemtlichen asiatischen und griechischen Seestaaten und zaehlte gegen 500 Segel, wovon die roemischen den fuenften Teil ausmachten. An Getreide und Kriegsmaterial waren in Dyrrhachion ungeheure Vorraete aufgehaeuft. Die Kriegskasse war wohlgefuellt, da die Pompeianer sich im Besitz der hauptsaechlichen Einnahmequellen des Staats befanden und die Geldmittel der Klientelfuersten, der angesehenen Senatoren, der Steuerpaechter und ueberhaupt der gesamten roemischen und nichtroemischen Bevoelkerung in ihrem Bereich fuer sich nutzbar machten. Was in Afrika, Aegypten, Makedonien, Griechenland, Vorderasien und Syrien das Ansehen der legitimen Regierung und Pompeius’ oftgefeierte Koenigsund Voelkerklientel vermochte, war zum Schutz der roemischen Republik in Bewegung gesetzt worden; wenn in Italien die Rede ging, dass Pompeius die Geten, Kolcher und Armenier gegen Rom bewaffne, wenn im Lager er der "Koenig der Koenige" hiess, so waren dies kaum Uebertreibungen zu nennen. Im ganzen gebot derselbe ueber eine Armee von 7000 Reitern und elf Legionen, von denen freilich hoechstens fuenf als kriegsgewohnt bezeichnet werden durften, und ueber eine Flotte von 500 Segeln. Die Stimmung der Soldaten, fuer deren Verpflegung und Sold Pompeius genuegend sorgte und denen fuer den Fall des Sieges die ueberschwenglichsten Belohnungen zugesichert waren, war durchgaengig gut, in manchen und eben den tuechtigsten Abteilungen sogar vortrefflich; indes bestand doch ein grosser Teil der Armee aus neu ausgehobenen Truppen, deren Formierung und Exerzierung, wie eifrig sie auch betrieben ward, notwendigerweise Zeit erforderte. Die Kriegsmacht ueberhaupt war imposant, aber zugleich einigermassen buntscheckig. Nach der Absicht des Oberfeldherrn sollten bis zum Winter 705/06 (49/48) Heer und Flotte wesentlich vollstaendig an der Kueste und in den Gewaessern von Epirus vereinigt sein. Der Admiral Bibulus war auch bereits mit 110 Schiffen in seinem neuen Hauptquartier Kerkyra eingetroffen. Dagegen war das Landheer, dessen Hauptquartier waehrend des Sommers zu Berrhoea am Haliakmon gewesen war, noch zurueck; die Masse bewegte sich langsam auf der grossen Kunststrasse von Thessalonike nach der Westkueste auf das kuenftige Hauptquartier Dyrrhachion zu; die beiden Legionen, die Metellus Scipio aus Syrien heranfuehrte, standen gar noch bei Pergamon in Kleinasien im Winterquartier und wurden erst zum Fruehjahr in Europa erwartet. Man nahm sich eben Zeit. Vorlaeufig waren die epirotischen Haefen ausser durch die Flotte nur noch durch die Buergerwehren und die Aufgebote der Umgegend verteidigt. So war es Caesar moeglich geblieben, trotz des dazwischenfallenden Spanischen Krieges auch in Makedonien die Offensive fuer sich zu nehmen, und er wenigstens saeumte nicht. Laengst hatte er die Zusammenziehung von Kriegsund Transportschiffen in Brundisium angeordnet und nach der Kapitulation der spanischen Armee und dem Fall von Massalia die dort verwendeten Kerntruppen zum groessten Teil ebendahin dirigiert. Die unerhoerten Anstrengungen zwar, die also von Caesar den Soldaten zugemutet wurden, lichteten mehr als die Gefechte die Reihen, und die Meuterei einer der vier aeltesten Legionen, der neunten, auf ihrem Durchmarsch durch Placentia war ein gefaehrliches Zeichen der bei der Armee einreissenden Stimmung; doch wurden Caesars Geistesgegenwart und persoenliche Autoritaet derselben Herr, und von dieser Seite stand der Einschiffung nichts im Wege. Allein woran schon im Maerz 705 (49) die Verfolgung des Pompeius gescheitert war, der Mangel an Schiffen, drohte auch diese Expedition zu vereiteln. Die Kriegsschiffe, die Caesar in den gallischen, sizilischen und italischen Haefen zu erbauen befohlen hatte, waren noch nicht fertig oder doch nicht zur Stelle; sein Geschwader im Adriatischen Meer war das Jahr zuvor bei Curicta vernichtet worden; er fand bei Brundisium nicht mehr als zwoelf Kriegsschiffe und kaum Transportfahrzeuge genug, um den dritten Teil seiner nach Griechenland bestimmten Armee von zwoelf Legionen und 10000 Reitern auf einmal ueberzufuehren. Die ansehnliche feindliche Flotte beherrschte ausschliesslich das Adriatische Meer und namentlich die saemtlichen festlaendischen und Inselhaefen der Ostkueste. Unter solchen Umstaenden draengt die Frage sich auf, warum Caesar nicht statt des Seeweges den zu Lande durch Illyrien einschlug, welcher aller von der Flotte drohenden Gefahren ihn ueberhob und ueberdies fuer seine groesstenteils aus Gallien kommenden Truppen kuerzer war als der ueber Brundisium. Zwar waren die illyrischen Landschaften unbeschreiblich rauh und arm; aber sie sind doch von anderen Armeen nicht lange nachher durchschritten worden, und dieses Hindernis ist dem Eroberer Galliens schwerlich unuebersteiglich erschienen. Vielleicht besorgte er, dass waehrend des schwierigen illyrischen Marsches Pompeius seine gesamte Streitmacht ueber das Adriatische Meer fuehren moechte, wodurch die Rollen auf einmal sich umkehren, Caesar in Makedonien, Pompeius in Italien zu stehen kommen konnte; obwohl ein solcher rascher Wechsel dem schwerfaelligen Gegner doch kaum zuzutrauen war. Vielleicht hatte Caesar auch in der Voraussetzung, dass seine Flotte inzwischen auf einen achtunggebietenden Stand gebracht sein wuerde, sich fuer den Seeweg entschieden, und als er nach seiner Rueckkehr aus Spanien des wahren Standes der Dinge im Adriatischen Meere inne ward, mochte es zu spaet sein, den Feldzugsplan zu aendern. Vielleicht, ja nach Caesars raschem, stets zur Entscheidung draengenden Naturell darf man sagen wahrscheinlich, fand er durch die augenblicklich noch unbesetzte, aber sicher in wenigen Tagen mit Feinden sich bedeckende epirotische Kueste sich unwiderstehlich gelockt, den ganzen Plan des Gegners wieder einmal durch einen verwegenen Zug zu durchkreuzen. Wie dem auch sei, am 4. Januar 706 ^5 (48) ging Caesar mit sechs, durch die Strapazen und Krankheiten sehr gelichteten Legionen und 600 Reitern von Brundisium nach der epirotischen Kueste unter Segel. Es war ein Seitenstueck zu der tollkuehnen britannischen Expedition; indes wenigstens der erste Wurf war gluecklich. Inmitten der akrokeraunischen (Chimara-) Klippen, auf der wenig besuchten Reede von Paleassa (Paljassa) ward die Kueste erreicht. Man sah die Transportschiffe sowohl aus dem Hafen von Orikon (Bucht von Avlona), wo ein Pompeianisches Geschwader von achtzehn Schiffen lag, als auch aus dem Hauptquartier der feindlichen Flotte bei Kerkyra; aber dort hielt man sich zu schwach, hier war man nicht segelfertig, und ungehindert ward der erste Transport ans Land gesetzt. Waehrend die Schiffe sogleich zurueckgingen, um den zweiten nachzuholen, ueberstieg Caesar noch denselben Abend die akrokeraunischen Berge. Seine ersten Erfolge waren so gross wie die Ueberraschung der Feinde. Der epirotische Landsturm setzte nirgends sich zur Wehr; die wichtigen Hafenstaedte Orikon und Apollonia nebst einer Menge kleinerer Ortschaften wurden weggenommen; Dyrrhachion, von den Pompeianern zum Hauptwaffenplatz ausersehen und mit Vorraeten aller Art angefuellt, aber nur schwach besetzt, schwebte in der groessten Gefahr. -------------------------------------------------------- ^5 Nach dem berichtigten Kalender am 5. November 705 (49). -------------------------------------------------------- Indes der weitere Verlauf des Feldzuges entsprach diesem glaenzenden Anfange nicht. Bibulus machte die Nachlaessigkeit, die er sich hatte zu Schulden kommen lassen, nachtraeglich durch verdoppelte Anstrengungen zum Teil wieder gut. Nicht bloss brachte er von den heimkehrenden Transportschiffen gegen dreissig auf, die er saemtlich mit Mann und Maus verbrennen liess, sondern er richtete auch laengs des ganzen von Caesar besetzten Kuestenstrichs, von der Insel Sason (Saseno) bis zu den Haefen von Kerkyra, den sorgfaeltigsten Wachtdienst ein, so beschwerlich auch die rauhe Jahreszeit und die Notwendigkeit, den Wachtschiffen alle Beduerfnisse, selbst Holz und Wasser, von Kerkyra zuzufuehren, denselben machten; ja sein Nachfolger Libo - er selbst unterlag bald den ungewohnten Strapazen - sperrte sogar eine Zeitlang den Hafen von Brundisium, bis ihn von der kleinen Insel vor demselben, auf der er sich festgesetzt hatte, der Wassermangel wieder vertrieb. Es war Caesars Offizieren nicht moeglich, ihrem Feldherrn den zweiten Transport der Armee nachzufuehren. Ebensowenig gelang ihm selbst die Wegnahme von Dyrrhachion. Pompeius erfuhr durch einen der Friedensboten Caesars von dessen Vorbereitungen zur Fahrt nach der epirotischen Kueste und darauf den Marsch beschleunigend warf er sich noch eben zu rechter Zeit in diesen wichtigen Waffenplatz. Caesars Lage war kritisch. Obwohl er in Epirus so weit sich ausbreitete, als es bei seiner geringen Staerke nur irgend moeglich war, so blieb die Subsistenz seiner Armee doch schwierig und unsicher, waehrend die Feinde, im Besitz der Magazine von Dyrrhachion und Herren der See, Ueberfluss an allem hatten. Mit seinem vermutlich wenig ueber 20000 Mann starken Heer konnte er dem wenigstens doppelt so zahlreichen Pompeianischen keine Schlacht anbieten, sondern musste sich gluecklich schaetzen, dass Pompeius methodisch zu Werke ging und, statt sofort die Schlacht zu erzwingen, zwischen Dyrrhachion und Apollonia am rechten Ufer des Apsos, Caesar auf dem linken gegenueber, das Winterlager bezog, um mit dem Fruehjahr, nach dem Eintreffen der Legionen von Pergamon, mit unwiderstehlicher Uebermacht den Feind zu vernichten. So verflossen Monate. Wenn der Eintritt der besseren Jahreszeit, die dem Feinde starken Zuzug und den freien Gebrauch seiner Flotte brachte, Caesar noch in derselben Lage fand, so war er, mit seiner schwachen Schar zwischen der ungeheuren Flotte und dem dreifach ueberlegenen Landheer der Feinde in den epirotischen Felsen eingekeilt, allem Anscheine nach verloren; und schon neigte der Winter sich zu Ende. Alle Hoffnung beruhte immer noch auf der Transportflotte: dass diese durch die Blockade sich durchschlich oder durchschlug, war kaum zu hoffen; aber nach der ersten freiwilligen Tollkuehnheit war diese zweite durch die Notwendigkeit geboten. Wie verzweifelt Caesar selbst seine Lage erschien, beweist sein Entschluss, da die Flotte immer nicht kam, allein auf einer Fischerbarke durch das Adriatische Meer nach Brundisium zu fahren, um sie zu holen; was in der Tat nur darum unterblieb, weil sich kein Schiffer fand, die verwegene Fahrt zu unternehmen. Indes es bedurfte seines persoenlichen Erscheinens nicht, um den treuen Offizier, der in Italien kommandierte, Marcus Antonius, zu bestimmen, diesen letzten Versuch zur Rettung seines Herrn zu machen. Abermals lief die Transportflotte, mit vier Legionen und 800 Reitern an Bord, aus dem Hafen von Brundisium aus und gluecklich fuehrte ein starker Suedwind sie an Libos Galeeren vorueber. Allein derselbe Wind, der hier die Flotte rettete, machte es ihr unmoeglich, wie ihr befohlen war, an der apolloniatischen Kueste zu landen, und zwang sie, an Caesars und Pompeius’ Lager vorbeizufahren und noerdlich von Dyrrhachion nach Lissos zu steuern, welche Stadt zu gutem Glueck noch zu Caesar hielt. Als sie an dem Hafen von Dyrrhachion vorueberfuhr, brachen die rhodischen Galeeren auf, um sie zu verfolgen, und kaum waren Antonius’ Schiffe in den Hafen von Lissos eingefahren, als auch das feindliche Geschwader vor demselben erschien. Aber eben in diesem Augenblick schlug ploetzlich der Wind um und warf die verfolgenden Galeeren wieder zurueck in die offene See und zum Teil an die felsige Kueste. Durch die wunderbarsten Glueckszufaelle war die Landung auch des zweiten Transportes gelungen. Noch standen zwar Antonius und Caesar etwa vier Tagemaersche voneinander, getrennt durch Dyrrhachion und die gesamte feindliche Armee; indes Antonius bewerkstelligte gluecklich den gefaehrlichen Marsch um Dyrrhachion herum durch die Paesse des Graba Balkan und ward von Caesar, der ihm entgegengegangen war, am rechten Ufer des Apsos aufgenommen. Pompeius, nachdem er vergeblich versucht hatte, die Vereinigung der beiden feindlichen Armeen zu verhindern und das Korps des Antonius einzeln zum Schlagen zu zwingen, nahm eine neue Stellung bei Asparagion an dem Flusse Genusas (Uschkomobin), der dem Apsos parallel zwischen diesem und der Stadt Dyrrhachion fliesst, und hielt hier sich wieder unbeweglich. Caesar fuehlte jetzt sich stark genug, eine Schlacht zu liefern; aber Pompeius ging nicht darauf ein. Dagegen gelang es Caesar, den Gegner zu taeuschen und unversehens mit seinen besser marschierenden Truppen sich, aehnlich wie bei Ilerda, zwischen das feindliche Lager und die Festung Dyrrhachion zu werfen, auf die dieses sich stuetzte. Die Kette des Graba Balkan, die in der Richtung von Osten nach Westen streichend am Adriatischen Meere in der schmalen dyrrhachinischen Landzunge endigt, entsendet drei Meilen oestlich von Dyrrhachion in suedwestlicher Richtung einen Seitenarm, der in bogenfoermiger Richtung ebenfalls zum Meere sich wendet, und der Hauptund der Seitenarm des Gebirges schliessen zwischen sich eine kleine, um eine Klippe am Meeresstrand sich ausbreitende Ebene ein. Hier nahm Pompeius jetzt sein Lager, und obwohl die Caesarische Armee ihm den Landweg nach Dyrrhachion verlegt hielt, blieb er doch mit Hilfe seiner Flotte fortwaehrend mit dieser Stadt in Verbindung und ward von dort mit allem Noetigen reichlich und bequem versehen, waehrend bei den Caesarianern, trotz starker Detachierungen in das Hinterland und trotz aller Anstrengungen des Feldherrn, ein geordnetes Fahrwesen und damit eine regelmaessige Verpflegung in Gang zu bringen, es doch mehr als knapp herging und Fleisch, Gerste, ja Wurzeln sehr haeufig die Stelle des gewohnten Weizens vertreten massten. Da der phlegmatische Gegner beharrlich bei seiner Passivitaet blieb, unternahm Caesar, den Hoehenkreis zu besetzen, der die von Pompeius eingenommene Strandebene umschloss, um wenigstens die ueberlegene feindliche Reiterei festzustellen und ungestoerter gegen Dyrrhachion operieren zu koennen, womoeglich aber den Gegner entweder zur Schlacht oder zur Einschiffung zu noetigen. Von Caesars Truppen war beinahe die Haelfte ins Binnenland detachiert; es schien fast abenteuerlich, mit dem Rest eine vielleicht doppelt so zahlreiche, konzentriert aufgestellte, auf die See und die Flotte gestuetzte Armee gewissermassen belagern zu wollen. Dennoch schlossen Caesars Veteranen unter unsaeglichen Anstrengungen das Pompeianische Lager mit einer drei und eine halbe deutsche Meile langen Postenkette ein und fuegten spaeter, ebenwie vor Alesia, zu dieser inneren Linie noch eine zweite aeussere hinzu, um sich vor Angriffen von Dyrrhachion aus und vor den mit Hilfe der Flotte so leicht ausfuehrbaren Umgehungen zu schuetzen. Pompeius griff mehrmals einzelne dieser Verschanzungen an, um womoeglich die feindliche Linie zu sprengen, allein durch eine Schlacht die Einschliessung zu hindern versuchte er nicht, sondern zog es vor, auch seinerseits um sein Lager herum eine Anzahl Schanzen anzulegen und dieselben durch Linien miteinander zu verbinden. Beiderseits war man bemueht, die Schanzen moeglichst weit vorzuschieben und die Erdarbeiten rueckten unter bestaendigen Gefechten nur langsam vor. Zugleich schlug man auf der entgegengesetzten Seite des Caesarischen Lagers sich herum mit der Besatzung vor Dyrrhachion; durch Einverstaendnisse innerhalb der Festung hoffte Caesar sie in seine Gewalt zu bringen, ward aber durch die feindliche Flotte daran verhindert. Unaufhoerlich ward an den verschiedensten Punkten - an einem der heissesten Tage an sechs Stellen zugleich - gefochten und in der Regel behielt in diesen Scharmuetzeln die erprobte Tapferkeit der Caesarianer die Oberhand; wie denn zum Beispiel einmal eine einzige Kohorte sich gegen vier Legionen mehrere Stunden lang in ihrer Schanze hielt, bis Unterstuetzung herbeikam. Ein Haupterfolg ward auf keiner Seite erreicht; doch machten sich die Folgen der Einschliessung den Pompeianern allmaehlich in drueckender Weise fuehlbar. Die Stauung der von den Hoehen in die Ebene sich ergiessenden Baeche noetigte sie, sich mit sparsamem und schlechtem Brunnenwasser zu begnuegen. Noch empfindlicher war der Mangel an Futter fuer die Lasttiere und die Pferde, dem auch die Flotte nicht genuegend abzuhelfen vermochte; sie fielen zahlreich und es half nur wenig, dass die Pferde durch die Flotte nach Dyrrhachion geschafft wurden, da sie auch hier nicht ausreichend Futter fanden. Lange konnte Pompeius nicht mehr zoegern, sich durch einen gegen den Feind gefuehrten Schlag aus seiner unbequemen Lage zu befreien. Da ward er durch keltische Ueberlaeufer davon in Kenntnis gesetzt, dass der Feind es versaeumt habe, den Strand zwischen seinen beiden 600 Fuss voneinander entfernten Schanzenketten durch einen Querwall zu sichern, und baute hierauf seinen Plan. Waehrend er die innere Linie der Verschanzungen Caesars vom Lager aus durch die Legionen, die aeussere durch die auf Schiffe gesetzten und jenseits der feindlichen Verschanzungen gelandeten leichten Truppen angreifen liess, landete eine dritte Abteilung in dem Zwischenraum zwischen beiden Linien und griff die schon hinreichend beschaeftigten Verteidiger derselben im Ruecken an. Die zunaechst am Meer befindliche Schanze wurde genommen und die Besatzung floh in wilder Verwirrung; mit Muehe gelang es dem Befehlshaber der naechsten Schanze, Marcus Antonius, diese zu behaupten und fuer den Augenblick dem Vordringen der Pompeianer ein Ziel zu setzen; aber, abgesehen von dem ansehnlichen Verlust, blieb die aeusserste Schanze am Meer in den Haenden der Pompeianer und die Linie durchbrochen. Um so eifriger ergriff Caesar die Gelegenheit, die bald darauf sich ihm darbot, eine unvorsichtig sich vereinzelnde Pompeianische Legion mit dem Gros seiner Infanterie anzugreifen. Allein die Angegriffenen leisteten tapferen Widerstand, und in dem mehrmals zum Lager groesserer und kleinerer Abteilungen benutzten und kreuz und quer von Waellen und Graeben durchzogenen Terrain, auf dem gefochten ward, kam Caesars rechter Fluegel nebst der Reiterei ganz vom Wege ab statt den linken im Angriff auf die Pompeianische Legion zu unterstuetzen, geriet er in einen engen, aus einem der alten Lager zum Fluss hingefuehrten Laufgraben. So fand Pompeius, der den Seinigen zu Hilfe mit fuenf Legionen eiligst herbeikam, die beiden Fluegel der Feinde voneinander getrennt und den einen in einer gaenzlich preisgegebenen Stellung. Wie die Caesarianer ihn anruecken sahen, ergriff sie ein panischer Schreck; alles stuerzte in wilder Flucht zurueck, und wenn es bei dem Verlust von 1000 der besten Soldaten blieb und Caesars Armee nicht eine vollstaendige Niederlage erlitt, so hatte sie dies nur dem Umstand zu danken, dass auch Pompeius sich auf dem durchschnittenen Boden nicht frei entwickeln konnte und ueberdies, eine Kriegslist besorgend, seine Truppen anfangs zurueckhielt. Aber auch so waren es unheilvolle Tage. Nicht bloss hatte Caesar die empfindlichsten Verluste erlitten und seine Verschanzungen, das Resultat einer viermonatlichen Riesenarbeit, auf einen Schlag eingebuesst: er war durch die letzten Gefechte wieder genau auf den Punkt zurueckgeworfen, von welchem er ausgegangen war. Von der See war er vollstaendiger verdraengt als je, seit des Pompeius aeltester Sohn Gnaeus Caesars wenige, im Hafen von Orikon lagernde Kriegsschiffe durch einen kuehnen Angriff teils verbrannt, teils weggefuehrt und bald nachher die in Lissos zurueckgebliebene Truppenflotte gleichfalls in Brand gesteckt hatte; jede Moeglichkeit, von Brundisium noch weitere Verstaerkungen zur See heranzuziehen, war damit fuer Caesar verloren. Die zahlreiche Pompeianische Reiterei, jetzt ihrer Fesseln entledigt, ergoss sich in die Umgegend und drohte Caesar die stets schwierige Verpflegung der Armee voellig unmoeglich zu machen. Caesars verwegenes Unternehmen, gegen einen seemaechtigen, auf die Flotte gestuetzten Feind ohne Schiffe offensiv zu operieren, war vollstaendig gescheitert. Auf dem bisherigen Kriegsschauplatz fand er sich einer unbezwinglichen Verteidigungsstellung gegenueber und weder gegen Dyrrhachion noch gegen das feindliche Heer einen ernstlichen Schlag auszufuehren imstande; dagegen hing es jetzt nur von Pompeius ab, gegen den bereits in seinen Subsistenzmitteln sehr gefaehrdeten Gegner unter den guenstigsten Verhaeltnissen zum Angriff ueberzugehen. Der Krieg war an einem Wendepunkt angelangt. Bisher hatte Pompeius, allem Anscheine nach, das Kriegsspiel ohne eigenen Plan gespielt und nur nach dem jedesmaligen Angriff seine Verteidigung bemessen; und es war dies nicht zu tadeln, da das Hinziehen des Krieges ihm Gelegenheit gab, seine Rekruten schlagfaehig zu machen, seine Reserven heranzuziehen und das Uebergewicht seiner Flotte im Adriatischen Meer immer vollstaendiger zu entwickeln. Caesar war nicht bloss taktisch, sondern auch strategisch geschlagen. Diese Niederlage hatte zwar nicht diejenige Folge, die Pompeius nicht ohne Ursache erhoffte: zu einer sofortigen voelligen Aufloesung der Armee durch Hunger und Meuterei liess die eminente soldatische Energie der Veteranen Caesars es nicht kommen. Allein es schien doch nur von dem Gegner abzuhaengen, durch zweckmaessige Verfolgung seines Sieges die volle Frucht desselben zu ernten. An Pompeius war es, die Offensive zu ergreifen, und er war dazu entschlossen. Es boten sich ihm drei verschiedene Wege dar, um seinen Sieg fruchtbar zu machen. Der erste und einfachste war, von der ueberwundenen Armee nicht abzulassen und, wenn sie aufbrach, sie zu verfolgen. Ferner konnte Pompeius Caesar selbst und dessen Kerntruppen in Griechenland stehen lassen und selber, wie er laengst vorbereitet hatte, mit der Hauptarmee nach Italien ueberfahren, wo die Stimmung entschieden antimonarchisch war und die Streitmacht Caesars, nach Entsendung der besten Truppen und des tapfern und zuverlaessigen Kommandanten zu der griechischen Armee, nicht gar viel bedeuten wollte. Endlich konnte der Sieger sich auch in das Binnenland wenden, die Legionen des Metellus Scipio an sich liehen und versuchen, die im Binnenlande stehenden Truppen Caesars aufzuheben. Es hatte naemlich dieser, unmittelbar nachdem der zweite Transport bei ihm eingetroffen war, teils, um die Subsistenzmittel fuer seine Armee herbeizuschaffen, starke Detachements nach Aetolien und Thessalien entsandt, teils ein Korps von zwei Legionen unter Gnaeus Domitius Calvinus auf der Egnatischen Chaussee gegen Makedonien vorgehen lassen, das dem auf derselben Strasse von Thessalonike her anrueckenden Korps des Scipio den Weg verlegen und womoeglich es einzeln schlagen sollte. Schon hatten Calvinus und Scipio sich bis auf wenige Meilen einander genaehert, als Scipio sich ploetzlich rueckwaerts wandte und, rasch den Haliakmon (Jadsche Karasu) ueberschreitend und dort sein Gepaeck unter Marcus Favonius zuruecklassend, in Thessalien eindrang, um die mit der Unterwerfung des Landes beschaeftigte Rekrutenlegion Caesars unter Lucius Cassius Longinus mit Uebermacht anzugreifen. Longinus aber zog sich ueber die Berge nach Ambrakia auf das von Caesar nach Aetolien gesandte Detachement unter Gnaeus Calvisius Sabinus zurueck, und Scipio konnte ihn nur durch seine thrakischen Reiter verfolgen lassen, da Calvinus seine unter Favonius am Haliakmon zurueckgelassene Reserve mit dem gleichen Schicksale bedrohte, welches er selbst dem Longinus zu bereiten gedachte. So trafen Calvinus und Scipio am Haliakmon wieder zusammen und lagerten hier laengere Zeit einander gegenueber. Pompeius konnte zwischen diesen Plaenen waehlen; Caesar blieb keine Wahl. Er trat nach jenem ungluecklichen Gefechte den Rueckzug auf Apollonia an. Pompeius folgte. Der Marsch von Dyrrhachion nach Apollonia auf einer schwierigen, von mehreren Fluessen durchschnittenen Strasse war keine leichte Aufgabe fuer eine geschlagene und vom Feinde verfolgte Armee; indes die geschickte Leitung ihres Feldherrn und die unverwuestliche Marschfaehigkeit der Soldaten noetigten Pompeius nach viertaegiger Verfolgung, dieselbe als nutzlos einzustellen. Er hatte jetzt sich zu entscheiden zwischen der italischen Expedition und dem Marsch in das Binnenland; und so raetlich und lockend auch jene schien, so manche Stimmen auch dafuer sich erhoben, er zog es doch vor, das Korps des Scipio nicht preiszugeben, um so mehr, als er durch diesen Marsch das des Calvinus in die Haende zu bekommen hoffte. Calvinus stand augenblicklich auf der Egnatischen Strasse bei Herakleia Lynkestis, zwischen Pompeius und Scipio und, nachdem Caesar sich auf Apollonia zurueckgezogen, von diesem weiter entfernt als von der grossen Armee des Pompeius, zu allem dem ohne Kenntnis von den Vorgaengen bei Dyrrhachion und von seiner bedenklichen Lage, da nach den bei Dyrrhachion erlangten Erfolgen die ganze Landschaft sich zu Pompeius neigte und die Boten Caesars ueberall aufgegriffen wurden. Erst als die feindliche Hauptmacht bis auf wenige Stunden sich ihm genaehert hatte, erfuhr Calvinus aus den Erzaehlungen der feindlichen Vorposten selbst den Stand der Dinge. Ein rascher Aufbruch in suedlicher Richtung gegen Thessalien zu entzog ihn im letzten Augenblick der drohenden Vernichtung; Pompeius musste sich damit begnuegen, Scipio aus seiner gefaehrdeten Stellung befreit zu haben. Caesar war inzwischen unangefochten nach Apollonia gelangt. Sogleich nach der Katastrophe von Dyrrhachion hatte er sich entschlossen, wenn moeglich den Kampf von der Kueste weg in das Binnenland zu verlegen, um die letzte Ursache des Fehlschlagens seiner bisherigen Anstrengungen, die feindliche Flotte, aus dem Spiel zu bringen. Der Marsch nach Apollonia hatte nur den Zweck gehabt, dort, wo seine Depots sich befanden, seine Verwundeten in Sicherheit zu bringen und seinen Soldaten die Loehnung zu zahlen; sowie dies geschehen war, brach er, mit Hinterlassung von Besatzungen in Apollonia, Orikon und Lissos, nach Thessalien auf. Nach Thessalien hatte auch das Korps des Calvinus sich in Bewegung gesetzt; und die aus Italien, jetzt auf dem Landwege durch Illyrien, anrueckenden Verstaerkungen, zwei Legionen unter Quintus Cornificius, konnte er gleichfalls hier leichter noch als in Epirus an sich ziehen. Auf schwierigen Pfaden im Tale des Aoos aufwaertssteigend und die Bergkette ueberschreitend, die Epirus von Thessalien scheidet, gelangte er an den Peneios; ebendorthin ward Calvinus dirigiert und die Vereinigung der beiden Armeen also auf dem kuerzesten und dem Feinde am wenigsten ausgesetzten Wege bewerkstelligt. Sie erfolgte bei Aeginion unweit der Quelle des Peneios. Die erste thessalische Stadt, vor der die jetzt vereinigte Armee erschien, Gomphoi, schloss ihr die Tore; sie ward rasch erstuermt und der Pluenderung preisgegeben, und dadurch geschreckt unterwarfen sich die uebrigen Staedte Thessaliens, sowie nur Caesars Legionen vor den Mauern sich zeigten. Ueber diesen Maerschen und Gefechten und mit Hilfe der, wenn auch nicht allzureichlichen, Vorraete, die die Landschaft am Peneios darbot, schwanden allmaehlich die Spuren und die Erinnerungen der ueberstandenen unheilvollen Tage. Unmittelbare Fruechte also hatten die Siege von Dyrrhachion fuer die Sieger nicht viele getragen. Pompeius, mit seiner schwerfaelligen Armee und seiner zahlreichen Reiterei, hatte dem beweglichen Feind in die Gebirge zu folgen nicht vermocht; Caesar wie Calvinus hatten der Verfolgung sich entzogen und beide standen vereinigt und in voller Sicherheit in Thessalien. Vielleicht waere es das richtigste gewesen, wenn Pompeius jetzt ohne weiteres mit seiner Hauptmacht zu Schiff nach Italien gegangen waere, wo der Erfolg kaum zweifelhaft war. Indes vorlaeufig ging nur eine Abteilung der Flotte nach Sizilien und Italien ab. Man betrachtete im Lager der Koalition durch die Schlachten von Dyrrhachion die Sache mit Caesar als so vollstaendig entschieden, dass es nur galt, die Fruechte der Siege zu ernten, das heisst, die geschlagene Armee aufzusuchen und abzufangen. An die Stelle der bisherigen uebervorsichtigen Zurueckhaltung trat ein durch die Umstaende noch weniger gerechtfertigter Uebermut; man achtete es nicht, dass man in der Verfolgung doch eigentlich gescheitert war, dass man sich gefasst halten musste, in Thessalien auf eine voellig erfrischte und reorganisierte Armee zu treffen und dass es nicht geringe Bedenken hatte, vom Meere sich entfernend
und auf die Unterstuetzung der Flotte verzichtend, dem Gegner auf das von ihm gewaehlte Schlachtfeld zu folgen. Man war eben entschlossen, um jeden Preis mit Caesar zu schlagen und darum baldmoeglichst und auf dem moeglichst bequemen Wege an ihn zu kommen. Cato uebernahm das Kommando in Dyrrhachion, wo eine Besatzung von achtzehn Kohorten, und in Kerkyra, wo 300 Kriegsschiffe zurueckblieben: Pompeius und Scipio begaben sich, jener wie es scheint die Egnatische Chaussee bis Pella verfolgend und dann die grosse Strasse nach Sueden einschlagend, dieser vom Haliakmon aus durch die Paesse des Olymp, an den unteren Peneios und trafen bei Larisa zusammen. Caesar stand suedlich davon in der Ebene, die zwischen dem Huegelland von Kynoskephalae und dem Othrysgebirge sich ausbreitet und von dem Nebenfluss des Peneios, dem Enipeus, durchschnitten wird, am linken Ufer desselben bei der Stadt Pharsalos; ihm gegenueber, am rechten Ufer des Enipeus am Abhang der Hoehen von Kynoskephalae, schlug Pompeius sein Lager ^6. Pompeius’ Armee war vollstaendig beisammen; Caesar dagegen erwartete noch das frueher nach Aetolien und Thessalien detachierte, jetzt unter Quintus Fufius Calenus in Griechenland stehende Korps von fast zwei Legionen und die auf dem Landweg von Italien ihm nachgesandten und bereits in Illyrien angelangten zwei Legionen des Cornificius. Pompeius’ Heer, elf Legionen oder 47000 Mann und 7000 Pferde stark, war dem Caesar an Fussvolk um mehr als das Doppelte, an Reiterei um das Siebenfache ueberlegen; Strapazen und Gefechte hatten Caesars Truppen so dezimiert, dass seine acht Legionen nicht ueber 22000 Mann unter den Waffen, also bei weitem nicht die Haelfte des Normalbestandes zaehlten. Pompeius’ siegreiche, mit einer zahllosen Reiterei und guten Magazinen versehene Armee hatte Lebensmittel in Fuelle, waehrend Caesars Truppen notduerftig sich hinhielten und erst von der nicht fernen Getreideernte bessere Verpflegung erhofften. Die Stimmung der Pompeianischen Soldaten, die in der letzten Kampagne den Krieg kennen und ihrem Fuehrer vertrauen gelernt hatten, war die beste. Alle militaerischen Gruende sprachen auf Pompeius’ Seite dafuer, da man nun einmal in Thessalien Caesar gegenueberstand, mit der Entscheidungsschlacht nicht lange zu zoegern; und mehr wohl noch als diese wog im Kriegsrat die Emigrantenungeduld der vielen vornehmen Offiziere und Heerbegleiter. Seit den Ereignissen von Dyrrhachion betrachteten diese Herren den Triumph ihrer Partei als eine ausgemachte Tatsache; bereits wurde eifrig gehadert ueber die Besetzung von Caesars Oberpontifikat und Auftraege nach Rom gesandt, um fuer die naechsten Wahlen Haeuser am Markt zu mieten. Als Pompeius Bedenken zeigte, den Bach, der beide Heere schied und den Caesar mit seinem viel schwaecheren Heer zu passieren sich nicht getraute, seinerseits zu ueberschreiten, erregte dies grossen Unwillen; Pompeius, hiess es, zaudere nur mit der Schlacht, um noch etwas laenger ueber so viele Konsulare und Praetorier zu gebieten und seine Agamemnonrolle zu verewigen. Pompeius gab nach; und Caesar, der in der Meinung, dass es nicht zum Kampf kommen werde, eben eine Umgehung der feindlichen Armee entworfen hatte und dazu gegen Skotussa aufzubrechen im Begriff war, ordnete ebenfalls seine Legionen zur Schlacht, als er die Pompeianer sich anschicken sah, sie auf seinem Ufer ihm anzubieten. Also ward, fast auf derselben Walstatt, wo hundertfuenfzig Jahre zuvor die Roemer ihre Herrschaft im Osten begruendet hatten, am 9. August 706 (48) die Schlacht von Pharsalos geschlagen. Pompeius lehnte den rechten Fluegel an den Enipeus, Caesar ihm gegenueber den linken an das vor dem Enipeus sich ausbreitende durchschnittene Terrain; die beiden anderen Fluegel standen in die Ebene hinaus, beiderseits gedeckt durch die Reiterei und die leichten Truppen. Pompeius’ Absicht war, sein Fussvolk in der Verteidigung zu halten, dagegen mit seiner Reiterei die schwache Reiterschar, die, nach deutscher Art mit leichter Infanterie gemischt, ihr gegenueberstand, zu zersprengen und sodann Caesars rechten Fluegel in den Ruecken zu nehmen. Sein Fussvolk hielt den ersten Stoss der feindlichen Infanterie mutig aus und es kam das Gefecht hier zum Stehen. Labienus sprengte ebenfalls die feindliche Reiterei nach tapferem, aber kurzem Widerstand auseinander und entwickelte sich linkshin, um das Fussvolk zu umgehen. Aber Caesar, die Niederlage seiner Reiterei voraussehend, hatte hinter ihr auf der bedrohten Flanke seines rechten Fluegels etwa 2000 seiner besten Legionaere aufgestellt. Wie die feindlichen Reiter, die Caesarischen vor sich hertreibend, heran und um die Linie herum jagten, prallten sie ploetzlich auf diese unerschrocken gegen sie anrueckende Kernschar und, durch den unerwarteten und ungewohnten Infanterieangriff ^7 rasch in Verwirrung gebracht, sprengten sie mit verhaengten Zuegeln vom Schlachtfeld. Die siegreichen Legionaere hieben die preisgegebenen feindlichen Schuetzen zusammen, rueckten dann auf den linken Fluegel des Feindes los und begannen nun ihrerseits dessen Umgehung. Zugleich ging Caesars bisher zurueckgehaltenes drittes Treffen auf der ganzen Linie zum Angriff vor. Die unverhoffte Niederlage der besten Waffe des Pompeianischen Heeres, wie sie den Mut der Gegner hob, brach den der Armee und vor allem den des Feldherrn. Als Pompeius, der seinem Fussvolk von Haus aus nicht traute, die Reiter zurueckjagen sah, ritt er sofort von dem Schlachtfeld zurueck in das Lager, ohne auch nur den Ausgang des von Caesar befohlenen Gesamtangriffs abzuwarten. Seine Legionen fingen an zu schwanken und bald ueber den Bach in das Lager zurueckzuweichen, was nicht ohne schweren Verlust bewerkstelligt ward. Der Tag war also verloren und mancher tuechtige Soldat gefallen, die Armee indes noch im wesentlichen intakt und Pompeius’ Lage weit minder bedenklich als die Caesars nach der Niederlage von Dyrrhachion. Aber wenn Caesar in den Wechselfaellen seiner Geschicke es gelernt hatte, dass das Glueck auch seinen Guenstlingen wohl auf Augenblicke sich zu entziehen liebt, um durch Beharrlichkeit von ihnen abermals bezwungen zu werden, so kannte Pompeius das Glueck bis dahin nur als die bestaendige Goettin und verzweifelte an sich und an ihr, als sie ihm entwich; und wenn in Caesars grossartiger Natur die Verzweiflung nur immer maechtigere Kraefte entwickelte, so versank Pompeius’ duerftige Seele unter dem gleichen Druck in den bodenlosen Abgrund der Kuemmerlichkeit. Wie er einst im Kriege mit Sertorius im Begriff gewesen war, das anvertraute Amt im Stiche lassend vor dem ueberlegenen Gegner auf und davon zu gehen, so warf er jetzt, da er die Legionen ueber den Bach zurueckweichen sah, die verhaengnisvolle Feldherrnschaerpe von sich und ritt auf dem naechsten Weg dem Meere zu, um dort ein Schiff sich zu suchen. Seine Armee, entmutigt und fuehrerlos - denn Scipio, obwohl von Pompeius als Kollege im Oberkommando anerkannt, war doch nur dem Namen nach Oberfeldherr -, hoffte hinter den Lagerwaellen Schutz zu finden; aber Caesar gestattete ihr keine Rast: rasch wurde die hartnaeckige Gegenwehr der roemischen und thrakischen Lagerwachen ueberwaeltigt und die Masse genoetigt, sich in Unordnung die Anhoehen von Krannon und Skotussa hinaufzuziehen, an deren Fusse das Lager geschlagen war. Sie versuchte, auf diesen Huegeln sich fortbewegend Larisa wiederzuerreichen; allein Caesars Truppen, weder der Beute noch der Muedigkeit achtend und auf besseren Wegen in die Ebene vorrueckend, verlegten den Fluechtigen den Weg; ja, als am spaeten Abend die Pompeianer ihren Marsch einstellten, vermochten ihre Verfolger es noch, eine Schanzlinie zu ziehen, die den Fluechtigen den Zugang zu dem einzigen in der Naehe befindlichen Bach verschloss. So endigte der Tag von Pharsalos. Die feindliche Armee war nicht bloss geschlagen, sondern vernichtet. 15000 der Feinde lagen tot oder verwundet auf dem Schlachtfeld, waehrend die Caesarianer nur 200 Mann vermissten; die noch zusammengebliebene Masse, immer noch gegen 20000 Mann, streckte am Morgen nach der Schlacht die Waffen; nur einzelne Trupps, darunter freilich die namhaftesten Offiziere, suchten eine Zuflucht in den Bergen; von den elf feindlichen Adlern wurden neun Caesar ueberbracht. Caesar, der schon am Tage der Schlacht die Soldaten erinnert hatte, im Feinde nicht den Mitbuerger zu vergessen, behandelte die Gefangenen nicht wie Bibulus und Labienus es taten; indes auch er fand doch noetig, jetzt die Strenge walten zu lassen. Die gemeinen Soldaten wurden in das Heer eingereiht, gegen die Leute besseren Standes Geldbussen oder Vermoegenskonfiskationen erkannt; die gefangenen Senatoren und namhaften Ritter erlitten, mit wenigen Ausnahmen, den Tod. Die Zeiten der Gnade waren vorbei; je laenger er waehrte, desto ruecksichtsloser und unversoehnlicher waltete der Buergerkrieg. ------------------------------------------ ^6 Die genaue Bestimmung des Schlachtfeldes ist schwierig. Appian (bist. 2, 75) setzt dasselbe ausdruecklich zwischen (Neu-) Pharsalos (jetzt Fersala) und den Enipeus. Von den beiden Gewaessern, die hier allein von einiger Bedeutung und unzweifelhaft der Apidanos und Enipeus der Alten sind, dem Sofadhitiko und dem Fersaliti, hat jener seine Quellen auf den Bergen von Thaumakoi (Dhomoko) und den Dolopischen Hoehen, dieser auf dem Othrys, und fliesst nur der Fersaliti bei Pharsalos vorbei; da nun aber der Enipeus nach Strabon (9 p. 432) auf dem Othrys entspringt und bei Pharsalos vorbeifliesst, so ist der Fersaliti mit vollem Recht von W. M. Leake (Travels in Northern Greece. Bd. 4. London 1835, S. 320) fuer den Enipeus erklaert worden und die von Goeler befolgte Annahme, dass der Fersaliti der Apidanos sei, unhaltbar. Damit stimmen auch alle sonstigen Angaben der Alten ueber beide Fluesse. Nur muss freilich mit Leake angenommen werden, dass der durch die Vereinigung des Fersaliti und des Sofadhitiko gebildete, zum Peneios gehende Fluss von Vlokho bei den Alten, wie der Sofadhitiko, Apidanos hiess: was aber auch um so natuerlicher ist als wohl der Sofadhitiko, nicht aber der Fersaliti bestaendig Wasser hat (Leake, Bd. 4, S. 321). Zwischen Fersala also und dem Fersaliti muss Altpharsalos gelegen haben, wovon die Schlacht den Namen traegt. Demnach ward die Schlacht am linken Ufer des Fersaliti gefochten, und zwar so, dass die Pompeianer, mit dem Gesicht nach Pharsalos stehend, ihren rechten Fluegel an den Fluss lehnten (Caes. civ. 3, 83. Frontin. strat. 2, 3, 22). Aber das Lager der Pompeianer kann hier nicht gestanden haben, sondern nur am Abhang der Hoehen von Kynoskephalae am rechten Ufer des Enipeus, teils weil sie Caesar den Weg nach Skotussa verlegten, teils weil ihre Rueckzugslinie offenbar ueber die oberhalb des Lagers befindlichen Berge nach Larisa ging; haetten sie, nach Leakes (Bd. 4, S. 482) Annahme, oestlich von Pharsalos am linken Ufer des Enipeus gelagert, so konnten sie nimmermehr durch diesen gerade hier tief eingeschnittenen Bach (Leake, Bd. 4, S. 469) nordwaerts gelangen und Pompeius haette statt nach Larisa, nach Lamia fluechten muessen. Wahrscheinlich schlugen also die Pompeianer am rechten Ufer des Fersaliti ihr Lager und passierten den Fluss, sowohl um zu schlagen, als um nach der Schlacht wieder in ihr Lager zu gelangen von wo sie sodann sich die Abhaenge von Krannon und Skotussa hinaufzogen, die ueber dem letzteren Orte zu den Hoehen von Kynoskephalae sich gipfeln. Unmoeglich war dies nicht. Der Enipeus ist ein schmaler, langsam fliessender Bach, den Leake im November zwei Fuss tief fand und der in der heissen Jahreszeit oft ganz trocken liegt (Leake, Bd. 1, S. 448 und Bd. 4, S. 472; vgl. Lucan. 6, 373), und die Schlacht ward im Hochsommer geschlagen. Ferner standen die Heere vor der Schlacht drei Viertelmeilen auseinander (App. civ. 2, 65), so dass die Pompeianer alle Vorbereitungen treffen und auch die Verbindung mit ihrem Lager durch Bruecken gehoerig sichern konnten. Waere die Schlacht in eine voellige Deroute ausgegangen, so haette freilich der Rueckzug an und ueber den Fluss nicht ausgefuehrt werden koennen, und ohne Zweifel aus diesem Grunde verstand Pompeius nur ungern sich dazu, hier zu schlagen. Der am weitesten von der Rueckzugsbasis entfernte linke Fluegel der Pompeianer hat dies auch empfunden; aber der Rueckzug wenigstens ihres Zentrums und ihres rechten Fluegels ward nicht in solcher Hast bewerkstelligt, dass er unter den gegebenen Bedingungen unausfuehrbar waere. Caesar und seine Ausschreiber verschweigen die Ueberschreitung des Flusses, weil dieselbe die uebrigens aus der ganzen Erzaehlung hervorgehende Kampfbegierde der Pompeianer zu deutlich ins Licht stellen wuerde, und ebenso die fuer diese guenstigen Momente des Rueckzugs. ^7 In diesen Zusammenhang gehoert die bekannte Anweisung Caesars an seine Soldaten, nach den Gesichtern der feindlichen Reiter zu stossen. Die Infanterie, welche hier in ganz irregulaerer Weise offensiv gegen die Kavallerie auftrat, der mit den Saebeln nicht beizukommen war, sollte ihre Pila nicht abwerfen, sondern sie als Handspeere gegen die Reiter brauchen und, um dieser sich besser zu erwehren, damit nach oben zu stossen (Plut. Pomp. 69. 71; Plut. Caes. 45; App, civ. 2, 76, 78; Flor. epit. 2, 13; Oros. hist. 6, 15; irrig Frontin strat. 4, 7, 32). Die anekdotenhafte Umwandlung dieser Instruktion, dass die Pompeianischen Reiter durch die Furcht vor Schmarren im Gesicht zum Weglaufen sollten gebracht werden und auch wirklich "die Haende vor die Augen haltend" (Plutarch) davongaloppiert seien, faellt in sich selbst zusammen: denn sie hat nur dann eine Pointe, wenn die Pompeianische Reiterei hauptsaechlich aus dem jungen Adel Roms, den "artigen Taenzern", bestand; und dies ist falsch. Hoechstens kann es sein, dass der Lagerwitz jener einfachen und zweckmaessigen militaerischen Ordre diese sehr unsinnige, aber allerdings lustige Wendung gab. -------------------------------------------------------- Es dauerte einige Zeit, bevor die Folgen des 9. August 706 (48) vollstaendig sich uebersehen liessen. Was am wenigsten Zweifel litt, war der Uebertritt aller derer, die zu der bei Pharsalos ueberwundenen Partei nur als zu der maechtigeren sich geschlagen hatten, auf die Seite Caesars; die Niederlage war eine so voellig entscheidende, dass dem Sieger alles zufiel, was nicht fuer eine verlorene Sache streiten wollte oder musste. Alle die Koenige, Voelker und Staedte, die bisher Pompeius’ Klientel gebildet hatten, riefen jetzt ihre Flottenund Heereskontingente zurueck und verweigerten den Fluechtlingen der geschlagenen Partei die Aufnahme - so Aegypten, Kyrene, die Gemeinden Syriens, Phoenikiens, Kilikiens und Kleinasiens, Rhodos, Athen und ueberhaupt der ganze Osten. Ja, Koenig Pharnakes vom Bosporus trieb den Diensteifer so weit, dass er auf die Nachricht von der Pharsalischen Schlacht nicht bloss die manches Jahr zuvor vom Pompeius frei erklaerte Stadt Phanagoria und die Gebiete der von ihm bestaetigten kolchischen Fuersten, sondern selbst das von demselben dem Koenig Deiotarus verliehene Koenigreich Klein-Armenien in Besitz nahm. Fast die einzigen Ausnahmen von dieser allgemeinen Unterwerfung waren die kleine Stadt Megara, die von den Caesarianern sich belagern und erstuermen liess, und Koenig Juba von Numidien, der von Caesar die Einziehung seines Reiches schon laengst und nach dem Siege ueber Curio nur um so sicherer zu gewaertigen hatte und also freilich, wohl oder uebel, bei der geschlagenen Partei ausharren musste. Ebenso wie die Klientelgemeinden sich dem Sieger von Pharsalos unterwarfen, kam auch der Schweif der Verfassungspartei, alle, die mit halbem Herzen mitgemacht hatten oder gar, wie Marcus Cicero und seinesgleichen, nur um die Aristokratie herumtrippelten wie die Halbhexen um den Blocksberg, herbei, um mit dem neuen Alleinherrscher ihren Frieden zu machen, den denn auch dessen geringschaetzige Nachsicht den Bittstellern bereitwillig und hoeflich gewaehrte. Aber der Kern der geschlagenen Partei transigierte nicht. Mit der Aristokratie war es vorbei; aber die Aristokraten konnten doch sich nimmermehr zur Monarchie bekehren. Auch die hoechsten Offenbarungen der Menschheit sind vergaenglich; die einmal wahre Religion kann zur Luege, die einst segenhafte Staatsordnung zum Fluche werden; aber selbst das vergangene Evangelium noch findet Bekenner, und wenn solcher Glaube nicht Berge versetzen kann wie der Glaube an die lebendige Wahrheit, so bleibt er doch sich selber bis zu seinem Untergange treu und weicht aus dem Reiche der Lebendigen nicht, bevor er seine letzten Priester und seine letzten Buerger sich nachgezogen hat und ein neues Geschlecht, von jenen Schemen des Gewesenen und Verwesenden befreit, ueber die verjuengte Welt regiert. So war es in Rom. In welchen Abgrund der Entartung auch jetzt das aristokratische Regiment versunken war, es war einst ein grossartiges politisches System gewesen; das heilige Feuer, durch das Italien erobert und Hannibal besiegt worden war, gluehte, wie getruebt und verdumpft, dennoch fort in dem roemischen Adel, solange es einen solchen gab, und machte eine innerliche Verstaendigung zwischen den Maennern des alten Regiments und dem neuen Monarchen unmoeglich. Ein grosser Teil der Verfassungspartei fuegte sich wenigstens aeusserlich und erkannte die Monarchie insofern an, als sie von Caesar Gnade annahmen und soweit moeglich, sich ins Privatleben zurueckzogen; was freilich regelmaessig nicht ohne den Hintergedanken geschah, sich damit auf einen kuenftigen Umschwung der Dinge aufzusparen. Vorzugsweise taten dies die minder namhaften Parteigenossen; doch zaehlte auch der tuechtige Marcus Marcellus, derselbe, der den Bruch mit Caesar herbeigefuehrt hatte, zu diesen Verstaendigen und verbannte sich freiwillig nach Lesbos. Aber in der Majoritaet der echten Aristokratie war die Leidenschaft maechtiger als die kuehle Ueberlegung; wobei freilich auch Selbsttaeuschungen ueber den noch moeglichen Erfolg und Besorgnisse vor der unvermeidlichen Rache des Siegers mannigfaltig mitwirkten. Keiner wohl beurteilte mit so schmerzlicher Klarheit und so frei von Furcht wie von Hoffnung fuer sich die Lage der Dinge wie Marcus Cato. Vollkommen ueberzeugt, dass nach den Tagen von Ilerda und Pharsalos die Monarchie unvermeidlich sei, und sittlich fest genug, um auch diese bittere Wahrheit sich einzugestehen und danach zu handeln, schwankte er einen Augenblick, ob die Verfassungspartei den Krieg ueberhaupt noch fortsetzen duerfe, der notwendig fuer eine verlorene Sache vielen Opfer zumutete, die nicht wussten, wofuer sie sie brachten. Aber wenn er sich entschloss, weiter gegen die Monarchie zu kaempfen, nicht um den Sieg, sondern um rascheren und ehrenvolleren Untergang, so suchte er doch soweit moeglich in diesen Krieg keinen hineinzuziehen, der den Untergang der Republik ueberleben und mit der Monarchie sich abfinden mochte. Solange die Republik nur bedroht gewesen, meinte er, habe man das Recht und die Pflicht gehabt, auch den lauen und schlechten Buerger zur Teilnahme an dem Kampfe zu zwingen; aber jetzt sei es sinnlos und grausam, den einzelnen zu noetigen, dass er mit der verlorenen Republik sich zugrunde richte. Nicht bloss entliess er selbst jeden, der nach Italien heimzukehren begehrte; als der wildeste unter den wilden Parteimaennern, Gnaeus Pompeius der Sohn, auf die Hinrichtung dieser Leute, namentlich des Cicero drang, war es einzig Cato, der sie durch seine sittliche Autoritaet verhinderte. Auch Pompeius begehrte keinen Frieden. Waere er ein Mann gewesen, der es verdiente, an dem Platze zu stehen, wo er stand, so moechte man meinen, er habe es begriffen, dass, wer nach der Krone greift, nicht wieder zurueck kann in das Geleise der gewoehnlichen Existenz und darum fuer den, der fehlgegriffen, kein Platz mehr auf der Erde ist. Allein schwerlich dachte Pompeius zu gross, um eine Gnade zu erbitten, die der Sieger vielleicht hochherzig genug gewesen waere, ihm nicht zu versagen, sondern vielmehr wahrscheinlich dazu zu gering. Sei es, dass er es nicht ueber sich gewann, Caesar sich anzuvertrauen, sei es, dass er in seiner gewoehnlichen unklaren und unentschiedenen Weise, nachdem der erste unmittelbare Eindruck der Katastrophe von Pharsalos geschwunden war, wieder anfing, Hoffnung zu schoepfen, Pompeius war entschlossen, den Kampf gegen Caesar fortzusetzen und nach dem Pharsalischen noch ein anderes Schlachtfeld sich zu suchen. So ging also, wie Caesar immer durch Klugheit und Maessigung den Groll seiner Gegner zu beschwichtigen und ihre Zahl zu mindern bemueht war, der Kampf nichtsdestoweniger unabaenderlich weiter. Allein die fuehrenden Maenner hatten fast alle bei Pharsalos mitgefochten, und obwohl sie, mit Ausnahme von Lucius Domitius Ahenobarbus, der auf der Flucht niedergemacht ward, saemtlich sich retteten, wurden sie doch nach allen Seiten hin versprengt, weshalb sie nicht dazu kamen, einen gemeinschaftlichen Plan fuer die Fortsetzung des Feldzuges zu verabreden. Die meisten von ihnen gelangten, teils durch die oeden makedonischen und illyrischen Gebirge, teils mit Hilfe der Flotte, nach Kerkyra, wo Marcus Cato die zurueckgelassene Reserve kommandierte. Hier fand unter Catos Vorsitz eine Art Kriegsrat statt, dem Metellus Scipio, Titus Labienus, Lucius Afranius, Gnaeus Pompeius der Sohn und andere beiwohnten; allein teils die Abwesenheit des Oberfeldherrn und die peinliche Ungewissheit ueber sein Schicksal, teils die innere Zerfahrenheit der Partei verhinderte eine gemeinsame Beschlussfassung, und es schlug schliesslich jeder den Weg ein, der ihm fuer sich oder fuer die gemeine Sache der zweckmaessigste zu sein schien. Es war in der Tat in hohem Grade schwierig, unter den vielen Strohhalmen, an die man etwa sich anklammern konnte, denjenigen zu bezeichnen, der am laengsten ueber Wasser halten wuerde. Makedonien und Griechenland waren durch die Schlacht von Pharsalos verloren. Zwar hielt Cato, nachdem er auf die Nachricht von der Niederlage Dyrrhachion sogleich geraeumt hatte, nach Kerkyra, Rutilius Lupus noch den Peloponnes eine Zeitlang fuer die Verfassungspartei. Einen Augenblick schien es auch, als wollten die Pompeianer sich in Patrae auf dem Peloponnes verteidigen; allein die Nachricht von Calenus’ Anruecken genuegte, um sie von hier zu verscheuchen. Kerkyra zu behaupten wurde ebensowenig versucht. An der italischen und sizilischen Kueste hatten die nach den Siegen von Dyrrhachion dorthin entsandten Pompeianischen Geschwader gegen die Haefen von Brundisium, Messana und Vibo nicht unbedeutende Erfolge errungen und in Messana namentlich die ganze in der Ausruestung begriffene Flotte Caesars niedergebrannt; allein die hier taetigen Schiffe, groesstenteils kleinasiatische und syrische, wurden infolge der Pharsalischen Schlacht von ihren Gemeinden abberufen, so dass die Expedition damit von selber ein Ende nahm. In Kleinasien und Syrien standen augenblicklich gar keine Truppen, weder der einen noch der anderen Partei, mit Ausnahme der bosporanischen Armee des Pharnakes, die, angeblich fuer Rechnung Caesars, verschiedene Landschaften der Gegner desselben eingenommen hatte. In Aegypten stand zwar noch ein ansehnliches roemisches Heer, gebildet aus den dort von Gabinius zurueckgelassenen und seitdem aus italischen Landstreichern und syrischem oder kilikischem Raeubergesindel rekrutierten Truppen; allein es verstand sich von selbst und ward durch die Rueckberufung der aegyptischen Schiffe bald offiziell bestaetigt, dass der Hof von Alexandreia keineswegs die Absicht hatte, bei der geschlagenen Partei auszuhalten oder gar ihr seine Truppenmacht zur Verfuegung zu stellen. Etwas guenstigere Aussichten boten sich den Besiegten im Westen dar. In Spanien waren unter der Bevoelkerung die Pompeianischen Sympathien so maechtig, dass die Caesarianer den von dort aus gegen Afrika beabsichtigten Angriff deswegen unterlassen mussten und eine Insurrektion unausbleiblich schien, sowie ein namhafter Fuehrer auf der Halbinsel sich zeigen wuerde. In Afrika aber hatte die Koalition oder vielmehr der eigentliche Machthaber daselbst, Koenig Juba von Numidien, seit dem Herbst 705 (49) ungestoert geruestet. Wenn also der ganze Osten durch die Schlacht von Pharsalos der Koalition verloren war, so konnte sie dagegen in Spanien wahrscheinlich und sicher in Afrika den Krieg in ehrenhafter Weise weiterfuehren; denn die Hilfe des laengst der roemischen Gemeinde untertaenigen Koenigs von Numidien gegen revolutionaere Mitbuerger in Anspruch zu nehmen, war fuer den Roemer wohl eine peinliche Demuetigung, aber keineswegs ein Landesverrat. Wem freilich in diesem Kampfe der Verzweiflung weder Recht noch Ehre etwas weiter galt, der mochte auch, sich selber ausserhalb des Gesetzes erklaerend, die Raeuberfehde eroeffnen oder, mit unabhaengigen Nachbarstaaten in Buendnis tretend, den Landesfeind in den inneren Streit hineinziehen oder endlich, die Monarchie mit den Lippen bekennend, die Restauration der legitimen Republik mit dem Dolch des Meuchelmoerders betreiben. Dass die Ueberwundenen austraten und der neuen Monarchie absagten, war wenigstens der natuerliche und insofern richtigste Ausdruck ihrer verzweifelten Lage. Das Gebirge und vor allem das Meer waren in jener Zeit seit Menschengedenken wie die Freistatt allen Frevels, so auch die des unertraeglichen Elends und des unterdrueckten Rechtes; Pompeianern und Republikanern lag es nahe, der Monarchie Caesars, die sie ausstiess, in den Bergen und auf den Meeren trotzig den Krieg zu machen, und namentlich nahe, die Piraterie in groesserem Massstab, in festerer Geschlossenheit, mit bestimmteren Zielen aufzunehmen. Selbst nach der Abberufung der aus dem Osten gekommenen Geschwader besassen sie noch eine sehr ansehnliche eigene Flotte, waehrend Caesar immer noch so gut wie ohne Kriegsschiffe war; und ihre Verbindung mit den Delmatern, die im eigenen Interesse gegen Caesar aufgestanden waren, ihre Herrschaft ueber die wichtigsten Meere und Hafenplaetze, gaben fuer den Seekrieg, namentlich im kleinen, die vorteilhaftesten Aussichten. Wie einst Sullas Demokratenhetze geendigt hatte mit dem Sertorianischen Aufstand, der anfangs Piraten-, dann Raeuberfehde war und schliesslich doch ein sehr ernstlicher Krieg ward, so konnte, wenn in der catonischen Aristokratie oder unter den Anhaengern des Pompeius so viel Geist und Feuer war wie in der marianischen Demokratie, und wenn in ihr der rechte Seekoenig sich fand, auf dem noch unbezwungenen Meere wohl ein von Caesars Monarchie unabhaengiges und vielleicht dieser gewachsenes Gemeinwesen entstehen. In jeder Hinsicht weit schaerfere Missbilligung verdient der Gedanke, einen unabhaengigen Nachbarstaat in den roemischen Buergerkrieg hineinzuziehen und durch ihn eine Konterrevolution herbeizufuehren: Gesetz und Gewissen verurteilen den Ueberlaeufer strenger als den Raeuber, und leichter findet die siegreiche Raeuberschar den Rueckweg zu einem freien und geordneten Gemeinwesen, als die vom Landesfeind zurueckgefuehrte Emigration. Uebrigens war es auch kaum wahrscheinlich, dass die geschlagene Partei auf diesem Wege eine Restauration wuerde bewirken koennen. Der einzige Staat, auf den sie versuchen konnte sich zu stuetzen, war der der Parther; und von diesem war es wenigstens zweifelhaft, ob er ihre Sache zu der seinigen machen, und sehr unwahrscheinlich, dass er gegen Caesar sie durchfechten werde. Die Zeit der republikanischen Verschwoerungen aber war noch nicht gekommen. Waehrend also die Truemmer der geschlagenen Partei ratlos vom Schicksal sich treiben liessen und auch die den Kampf fortzusetzen entschieden waren nicht wussten, wie noch wo, hatte Caesar, wie immer rasch entschlossen und rasch handelnd, alles beiseite gelassen, um Pompeius zu verfolgen, den einzigen seiner Gegner, den er als Offizier achtete, und denjenigen, dessen persoenliche Gefangennahme die eine und vielleicht die gefaehrlichere Haelfte seiner Gegner wahrscheinlich paralysiert haben wuerde. Mit weniger Mannschaft fuhr er ueber den Hellespont - seine einzelne Barke traf in demselben auf eine feindliche, nach dem Schwarzen Meere bestimmte Flotte und nahm die ganze, durch die Kunde von der Pharsalischen Schlacht wie mit Betaeubung geschlagene Mannschaft derselben gefangen - und eilte, sowie die notwendigsten Anordnungen getroffen waren, Pompeius in den Osten nach. Dieser war vom Pharsalischen Schlachtfeld nach Lesbos gegangen, wo er seine Gemahlin und seinen zweiten Sohn Sextus abholte, und weiter um Kleinasien herum nach Kilikien und von da nach Kypros gesegelt. Er haette zu seinen Parteigenossen nach Kerkyra oder Afrika gelangen koennen; allein der Widerwille gegen seine aristokratischen Verbuendeten und der Gedanke an die Aufnahme, die nach dem Tage von Pharsalos und vor allem nach seiner schimpflichen Flucht ihn dort erwartete, scheinen ihn bewogen zu haben, seinen Weg fuer sich zu gehen und lieber in den Schutz des Partherkoenigs als in den Catos sich zu begeben. Waehrend er beschaeftigt war, von den roemischen Steuerpaechtern und Kaufleuten auf Kypros Geld und Sklaven beizutreiben und einen Haufen von 2000 Sklaven zu bewaffnen, erhielt er die Nachricht, dass Antiocheia sich fuer Caesar erklaert habe und der Weg zu den Parthern nicht mehr offen sei. So aenderte er seinen Plan und ging unter Segel nach Aegypten, wo in dem Heere eine Menge seiner alten Soldaten dienten und die Lage und die reichen Hilfsmittel des Landes Zeit und Gelegenheit gewaehrten, den Krieg zu reorganisieren. In Aegypten hatten nach Ptolemaeos Auletes’ Tode (Mai 703 51) dessen Kinder, die etwa sechzehnjaehrige Kleopatra und der zehnjaehrige Ptolemaeos Dionysos, nach dem Willen ihres Vaters gemeinschaftlich und als Gatten, den Thron bestiegen; allein bald hatte der Bruder oder vielmehr dessen Vormund Potheinos die Schwester aus dem Reiche getrieben und sie genoetigt, eine Zuflucht in Syrien zu suchen, von wo aus sie Anstalten traf, um in ihr vaeterliches Reich zurueckzugelangen. Ptolemaeos und Potheinos standen eben, um gegen sie die Ostgrenze zu decken, mit der ganzen aegyptischen Armee bei Pelusion, als Pompeius bei dem Kasischen Vorgebirge vor Anker ging und den Koenig ersuchen liess, ihm die Landung zu gestatten. Der aegyptische Hof, laengst von der Katastrophe bei Pharsalos unterrichtet, war im Begriffe, Pompeius zurueckzuweisen; allein der Hofmeister des Koenigs, Theodotos, wies darauf hin, dass in diesem Falle Pompeius wahrscheinlich seine Verbindungen in der aegyptischen Armee benutzen werde, um dieselbe aufzuwiegeln; es sei sicherer und auch mit Ruecksicht auf Caesar vorzuziehen, wenn man die Gelegenheit wahrnehme, um Pompeius aus der Welt zu schaffen. Dergleichen politische Raesonnements verfehlten bei den Staatsmaennern der hellenischen Welt nicht leicht ihre Wirkung. Der General der koeniglichen Truppen, Achillas, und einige von Pompeius’ ehemaligen Soldaten fuhren mit einem Kahn an Pompeius’ Schiff heran und luden ihn ein, zum Koenig zu kommen und, da das Fahrwasser seicht sei, ihre Barke zu besteigen. Im Aussteigen stach der Kriegstribun Lucius Septimius ihn hinterruecks nieder, unter den Augen seiner Gattin und seines Sohnes, welche von dem Verdeck ihres Schiffes aus dem Morde zusehen mussten, ohne retten oder raechen zu koennen (28. September 706 48). An demselben Tage, an dem er dreizehn Jahre zuvor, ueber Mithradates triumphierend, in die Hauptstadt eingezogen war, endigte auf einer oeden Duene des unwirtlichen kasischen Strandes durch die Hand eines seiner alten Soldaten der Mann, der ein Menschenalter hindurch der Grosse geheissen und Jahre lang Rom beherrscht hatte. Ein guter Offizier, uebrigens aber von mittelmaessigen Gaben des Geistes und des Herzens, hatte das Schicksal mit dreissigjaehriger daemonischer Bestaendigkeit alle glaenzenden muehelosen Aufgaben nur darum ihm zu loesen gewaehrt, alle von anderen gepflanzten und gepflegten Lorbeeren nur darum ihm zu brechen gestattet, nur darum alle Bedingungen zur Erlangung der hoechsten Gewalt ihm entgegengetragen, um an ihm ein Beispiel falscher Groesse aufzustellen, wie die Geschichte kein zweites kennt. Unter allen klaeglichen Rollen gibt es keine klaeglichere als die, mehr zu gelten als zu sein; und es ist das Verhaengnis der Monarchie, da doch kaum alle tausend Jahre in dem Volke ein Mann aufsteht, welcher Koenig nicht bloss heisst, sondern auch ist, dass diese Klaeglichkeit unvermeidlich an ihr haftet. Wenn dies Missverhaeltnis zwischen Scheinen und Sein vielleicht nie so schroff hervorgetreten ist wie in Pompeius, so mag der ernste Gedanke wohl dabei verweilen, dass er eben in gewissem Sinn die Reihe der roemischen Monarchen eroeffnet. Als Caesar, Pompeius’ Spuren folgend, auf der Reede von Alexandreia eintraf, war bereits alles vorueber. Mit tiefer Erschuetterung wandte er sich ab, als ihm der Moerder das Haupt des Mannes auf das Schiff entgegentrug, der sein Schwiegersohn und lange Jahre sein Genosse in der Herrschaft gewesen und den lebend in seine Gewalt zu bringen er nach Aegypten gekommen war. Die Antwort auf die Frage, wie Caesar mit dem gefangenen Pompeius verfahren sein wuerde, hat der Dolch des voreiligen Moerders abgeschnitten; aber wenn die menschliche Teilnahme, die in Caesars grosser Seele noch neben dem Ehrgeiz Raum fand, ihm die Schonung des ehemaligen Freundes gebot, so forderte auch sein Interesse, denselben auf andere Art zu annullieren als durch den Henker. Pompeius war zwanzig Jahre lang der anerkannte Gebieter von Rom gewesen; eine so tief gewurzelte Herrschaft geht nicht unter mit dem Tode des Herrn. Pompeius’ Tod loeste die Pompeianer nicht auf, sondern gab ihnen statt eines bejahrten, unfaehigen und vernutzten Hauptes an dessen beiden Soehnen Gnaeus und Sextus zwei Fuehrer, welche beide jung und ruehrig und von denen der zweite eine entschiedene Kapazitaet war. Der neugegruendeten Erbmonarchie heftete sogleich parasitisch sich das erbliche Praetendententum an, und es war sehr zweifelhaft, ob bei diesem Wechsel der Personen Caesar nicht mehr verlor, als er gewann. Indes in Aegypten hatte Caesar jetzt nichts weiter zu tun, und Roemer und Aegypter erwarteten, dass er sofort wieder unter Segel gehen und sich an die Unterwerfung Afrikas und an das unermessliche Organisationswerk machen werde, das ihm nach dem Siege bevorstand. Allein Caesar, seiner Gewohnheit getreu, wo er einmal in dem weiten Reiche sich befand, die Verhaeltnisse sogleich und persoenlich endgueltig zu regeln, und fest ueberzeugt, dass weder von der roemischen Besatzung noch von dem Hofe irgendein Widerstand zu erwarten sei, ueberdies in dringender Geldverlegenheit, landete in Alexandreia mit den zwei ihn begleitenden, auf 3200 Mann zusammengeschmolzenen Legionen und 800 keltischen und deutschen Reitern, nahm Quartier in der koeniglichen Burg und ging daran, die noetigen Summen beizutreiben und die aegyptische Erbfolge zu ordnen, ohne sich stoeren zu lassen durch Potheinos’ naseweise Bemerkung, dass Caesar doch ueber diese Kleinigkeiten nicht seine so wichtigen eigenen Angelegenheiten versaeumen moege. Gegen die Aegypter verfuhr er dabei gerecht und selbst nachsichtig. Obwohl der Beistand, den sie Pompeius geleistet hatten, zur Auflegung einer Kriegskontribution berechtigte, ward doch das erschoepfte Land damit verschont und unter Erlass dessen, was auf die im Jahre 695 (59) stipulierte und seitdem erst etwa zur Haelfte abbezahlte Summe weiter rueckstaendig war, lediglich eine Schlusszahlung von 10 Mill. Denaren (3 Mill. Taler) gefordert. Den beiden kriegfuehrenden Geschwistern ward die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten anbefohlen und beide zur Untersuchung und Entscheidung des Streites vor den Schiedsherrn geladen. Man fuegte sich; der koenigliche Knabe befand sich bereits in der Burg und auch Kleopatra stellte dort sich ein. Caesar sprach das Reich Aegypten, dem Testament des Auletes gemaess, den beiden geschwisterlichen Gatten Kleopatra und Ptolemaeos Dionysos zu und gab ferner unaufgefordert, unter Kassierung der frueher verfuegten Einziehung des Kyprischen Reiches, dieses als aegyptische Sekundogenitur an die juengeren Kinder des Auletes Arsinoe und Ptolemaeos den Juengeren. Allein im stillen bereitete ein Ungewitter sich vor. Alexandreia war eine Weltstadt so gut wie Rom, an Einwohnerzahl der italischen Hauptstadt schwerlich nachstehend, an ruehrigem Handelsgeist, an Handwerkergeschick, an Sinn fuer Wissenschaft und Kunst ihr weit ueberlegen; in der Buergerschaft war ein reges nationales Selbstgefuehl und wenn kein politischer Sinn, doch ein unruhiger Geist, der sie ihre Strassenkrawalle so regelmaessig und so herzhaft abhalten liess wie heutzutage die Pariser; man kann sich ihre Empfindungen denken, als sie in der Residenz der Lagiden den roemischen Feldherrn schalten und ihre Koenige vor seinem Tribunal Recht nehmen sah. Potheinos und der koenigliche Knabe, beide begreiflicherweise sehr unzufrieden sowohl mit der peremtorischen Einmahnung alter Schulden wie mit der Intervention in dem Thronstreit, welche nur zu Gunsten der Kleopatra ausfallen konnte und ausfiel, schickten zur Befriedigung der roemischen Forderungen die Schaetze der Tempel und das goldene Tischgeraet des Koenigs mit absichtlicher Ostentation zum Einschmelzen in die Muenze; mit tiefer Erbitterung schauten die aberglaeubisch frommen und der weltberuehmten Pracht ihres Hofes wie eines eigenen Besitzes sich erfreuenden Aegypter die nackten Waende ihrer Tempel und die hoelzernen Becher auf der Tafel ihres Koenigs. Auch die roemische Okkupationsarmee, welche durch den langen Aufenthalt in Aegypten und die vielen Zwischenheiraten zwischen den Soldaten und aegyptischen Maedchen wesentlich denationalisiert war und ueberdies eine Menge alter Soldaten des Pompeius und verlaufener italischer Verbrecher und Sklaven in ihren Reihen zaehlte, grollte Caesar, auf dessen Befehl sie ihre Aktion an der syrischen Grenze hatte einstellen muessen, und seiner Handvoll hochmuetiger Legionaere. Schon der Auflauf bei der Landung, als die Menge die roemischen Beile in die alte Koenigsburg tragen sah, und die zahlreichen Meuchelmorde, welche gegen seine Soldaten in der Stadt veruebt wurden, hatten Caesar darueber belehrt, in welcher ungeheuren Gefahr er mit seinen wenigen Leuten dieser erbitterten Menge gegenueber schwebte. Allein die Umkehr war wegen der in dieser Jahreszeit herrschenden Nordwestwinde schwierig, und der Versuch der Einschiffung konnte leicht das Signal zum Ausbruch der Insurrektion werden; ueberhaupt lag es nicht in Caesars Art, unverrichteter Sache sich davonzumachen. Er beorderte also zwar sogleich Verstaerkungen aus Asien herbei, trug aber, bis diese eintrafen, zunaechst die groesste Sicherheit zur Schau. Nie war es lustiger in seinem Lager hergegangen als waehrend dieser alexandrinischen Rast; und wenn die schoene und geistreiche Kleopatra mit ihren Reizen ueberhaupt nicht, und am wenigsten gegen ihren Richter, sparsam war, so schien auch Caesar unter all seinen Siegen die ueber schoene Frauen am hoechsten zu schaetzen. Es war ein lustiges Vorspiel zu sehr ernsten Auftritten. Unter Fuehrung des Achillas und, wie spaeter sich auswies, auf geheimen Befehl des Koenigs und seines Vormundes, erschien die in Aegypten stehende roemische Okkupationsarmee unvermutet in Alexandreia; und sowie die Buergerschaft sah, dass sie kam, um Caesar anzugreifen, machte sie mit den Soldaten gemeinschaftliche Sache. Mit einer Geistesgegenwart, die seine fruehere Tolldreistigkeit gewissermassen rechtfertigt, raffte Caesar schleunigst seine zerstreuten Mannschaften zusammen, bemaechtigte sich der Person des Koenigs und seiner Minister, verschanzte sich in der koeniglichen Burg und dem benachbarten Theater, liess, da es an Zeit gebrach, die in dem Haupthafen unmittelbar vor dem Theater stationierte Kriegsflotte in Sicherheit zu bringen, dieselbe anzuenden und die den Hafen beherrschende Leuchtturminsel Pharos durch Boote besetzen. So war wenigstens eine beschraenkte Verteidigungsstellung gewonnen und der Weg offen gehalten, um Zufuhr und Verstaerkungen herbeizuschaffen. Zugleich ging dem Kornmandanten von Kleinasien sowie den naechsten untertaenigen Landschaften, den Syrern und Nabataeern, den Kretensern und den Rhodiern, der Befehl zu, schleunigst Truppen und Schiffe nach Aegypten zu senden. Die Insurrektion, an deren Spitze die Prinzessin Arsinoe und deren Vertreter, der Eunuch Ganymedes, sich gestellt hatten, schaltete indes frei in ganz Aegypten und in dem groessten Teil der Hauptstadt, in deren Strassen taeglich gefochten ward, ohne dass es weder Caesar gelang, sich freier zu entwickeln und bis zu dem hinter der Stadt befindlichen Suesswassersee von Marea durchzubrechen, wo er sich mit Wasser und mit Fourage haette versorgen koennen, noch den Alexandrinern, der Belagerten Herr zu werden und sie alles Trinkwassers zu berauben; denn als die Nilkanaele in Caesars Stadtteil durch hineingeleitetes Seewasser verdorben waren, fand sich unerwartet trinkbares Wasser in den am Strande gegrabenen Brunnen. Da Caesar von der Landseite nicht zu ueberwaeltigen war, richteten sich die Anstrengungen der Belagerer darauf, seine Flotte zu vernichten und ihn von der See abzuschneiden, auf der die Zufuhr ihm zukam. Die Leuchtturminsel und der Damm, durch den diese mit dem Festland zusammenhing, teilte den Hafen in eine westliche und eine oestliche Haelfte, die durch zwei Bogenoeffnungen des Dammes miteinander in Verbindung standen. Caesar beherrschte die Insel und den Osthafen, waehrend der Damm und der Westhafen im Besitz der Buergerschaft war, und seine Schiffe fuhren, da die alexandrinische Flotte verbrannt war, ungehindert ab und zu. Die Alexandriner, nachdem sie vergeblich versucht hatten, aus dem Westhafen in den oestlichen Brander einzufuehren, stellten darauf mit den Resten ihres Arsenals ein kleines Geschwader her und verlegten damit Caesars Schiffen den Weg, als dieselben eine Transportflotte mit einer aus Kleinasien nachgekommenen Legion hereinbugsierten; indes wurden Caesars vortreffliche rhodische Seeleute des Feindes Herr. Nicht lange darauf nahmen indes die Buerger die Leuchtturminsel weg ^8 und sperrten von da aus die schmale und klippige Muendung des Osthafens fuer groessere Schiffe gaenzlich; so dass Caesars Flotte genoetigt war, auf der offenen Reede vor dem Osthafen zu stationieren und seine Verbindung mit der See nur noch an einem schwachen Faden hing. Caesars Flotte, auf jener Reede zu wiederholten Malen von der ueberlegenen feindlichen Seemacht angegriffen, konnte weder dem ungleichen Kampf ausweichen, da der Verlust der Leuchtturminsel ihr den inneren Hafen verschloss, noch auch das Weite suchen, da der Verlust der Reede Caesar ganz von der See abgesperrt haben wuerde. Wenn auch die tapfern Legionaere, unterstuetzt durch die Gewandtheit der rhodischen Matrosen, bisher noch immer diese Gefechte zu Gunsten der Roemer entschieden hatten, so erneuerten und steigerten doch die Alexandriner mit unermuedeter Beharrlichkeit ihre Flottenruestungen; die Belagerten mussten schlagen, so oft es den Belagerern beliebte, und wurden jene ein einziges Mal ueberwunden, so war Caesar vollstaendig eingeschlossen und wahrscheinlich verloren. Es ward schlechterdings noetig, einen Versuch zur Wiedergewinnung der Leuchtturminsel zu machen. Der zwiefache Angriff, der durch Boote von der Hafen-, durch die Kriegsschiffe von der Seeseite her gemacht ward, brachte in der Tat nicht bloss die Insel, sondern auch den unteren Teil des Dammes in Caesars Gewalt; erst bei der zweiten Bogenoeffnung des Dammes befahl Caesar anzuhalten und den Damm hier gegen die Stadt zu durch einen Querwall zu sperren. Allein waehrend hier um die Schanzenden ein hitziges Gefecht sich entspann, entbloessten die roemischen Truppen den unteren, an die Insel anstossenden Teil des Dammes; unversehens landete hier eine Abteilung Aegypter, griff die auf dem Damm am Querwall zusammengedraengten roemischen Soldaten und Matrosen von hinten an und sprengte die ganze Masse in wilder Verwirrung in das Meer. Ein Teil ward von den roemischen Schiffen aufgenommen; die meisten ertranken. Etwa 400 Soldaten und eine noch groessere Zahl von der Flottenmannschaft wurden das Opfer dieses Tages; der Feldherr selbst, der das Schicksal der Seinigen geteilt, hatte sich auf sein Schiff und, als dieses von Menschen ueberschwert sank, schwimmend auf ein anderes retten muessen. Indes so empfindlich auch der erlittene Verlust war, er ward durch den Wiedergewinn der Leuchtturminsel, die samt dem Damm bis zur ersten Bogenoeffnung in Caesars Haenden blieb, reichlich aufgewogen. Endlich kam der ersehnte Entsatz. Mithradates von Pergamon, ein tuechtiger Kriegsmann aus der Schule des Mithradates Eupator, dessen natuerlicher Sohn er zu sein behauptete, fuehrte zu Lande von Syrien her eine buntscheckige Armee heran: die Ityraeer des Fuersten von Libanos, die Beduinen des Jamblichos, Sampsikeramos’ Sohn, die Juden unter dem Minister Antipatros, ueberhaupt die Kontingente der kleinen Haeuptlinge und Gemeinden Kilikiens und Syriens. Von Pelusion, das Mithradates am Tage seiner Ankunft zu besetzen geglueckt war, schlug er, um das durchschnittene Terrain des Delta zu vermeiden und den Nil vor seiner Teilung zu ueberschreiten, die grosse Strasse nach Memphis ein, wobei seine Truppen von den besonders in diesem Teil Aegyptens zahlreich ansaessigen Juden vielfache landsmannschaftliche Unterstuetzung empfingen. Die Aegypter, jetzt den jungen Koenig Ptolemaeos an der Spitze, welchen Caesar in der vergeblichen Hoffnung, die Insurrektion durch ihn zu beschwichtigen, zu den Seinigen entlassen hatte, entsandten ein Heer auf dem Nil, um Mithradates auf dessen jenseitigem Ufer festzuhalten. Dasselbe traf auch, noch jenseits Memphis bei dem sogenannten Judenlager, zwischen Omion und Heliopolis, auf den Feind; allein Mithradates, geuebt, in roemischer Weise zu manoevrieren und zu lagern, gewann dennoch unter gluecklichen Gefechten das andere Ufer bei Memphis. Caesar andererseits, sowie er von dem Eintreffen der Entsatzarmee Kunde erhielt, fuehrte einen Teil seiner Truppen auf Schiffen an die Spitze des Sees von Marea westlich von Alexandreia und marschierte um diesen herum und den Nil hinab dem flussaufwaerts herankommenden Mithradates entgegen. Die Vereinigung erfolgte, ohne dass der Feind sie zu hindern versucht haette. Caesar rueckte dann in das Delta, wohin der Koenig sich zurueckgezogen hatte, warf, trotz des tiefeingeschnittenen Kanals vor ihrer Front, die aegyptische Vorhut im ersten Anlauf und stuermte sofort das aegyptische Lager selbst. Es befand sich am Fuss einer Anhoehe zwischen dem Nil, von dem nur ein schmaler Weg es trennte, und schwer zugaenglichen Suempfen. Caesar liess zugleich von vorn und seitwaerts auf dem Weg am Nil das Lager berennen und waehrend dieses Sturmes ein drittes Detachement die Anhoehen hinter dem Lager ungesehen ersteigen. Der Sieg war vollstaendig; das Lager ward genommen und was von den Aegyptern nicht unter den feindlichen Schwertern fiel, ertrank bei dem Versuch, zu der Nilflotte zu entkommen. Mit einem der Boote, die mit Menschen ueberladen sanken, verschwand auch der junge Koenig in den Wellen seines heimischen Stromes. Unmittelbar vom Schlachtfeld rueckte Caesar von der Landseite her geradeswegs an der Spitze seiner Reiterei in den von den Aegyptern besetzten Teil der Hauptstadt. Im Trauergewande, ihre Goetterbilder in den Haenden, empfingen ihn um Friede bittend die Feinde, die Seinigen aber, da sie ihn von der anderen Seite, als von der er ausgezogen als Sieger wiederkehren sahen, mit grenzenlosem Jubel. Das Schicksal der Stadt, die den Herrn der Welt in seinen Plaenen zu kreuzen gewagt und um ein Haar seinen Untergang herbeigefuehrt hatte, lag in Caesars Hand; allein er war zu sehr Regent, um empfindlich zu sein, und verfuhr mit den Alexandrinern wie mit den Massalioten. Caesar, hinweisend auf die arg verwuestete und bei Gelegenheit des Flottenbrandes ihrer Kornmagazine, ihrer weltberuehmten Bibliothek und anderer bedeutender oeffentlicher Gebaeude beraubte Stadt, ermahnte die Einwohnerschaft, sich kuenftig allein der Kuenste des Friedens ernstlich zu befleissigen und die Wunden zu heilen, die sie sich selber geschlagen; uebrigens begnuegte er sich, den in Alexandreia angesessenen Juden dieselben Rechte zu gewaehren, deren die griechische Stadtbevoelkerung genoss, und anstatt der bisherigen, wenigstens dem Namen nach den Koenigen von Aegypten gehorchenden roemischen Okkupationsarmee eine foermliche roemische Besatzung, zwei der daselbst belagerten und eine dritte spaeter aus Syrien nachgekommene Legion, unter einem von ihm selbst ernannten Befehlshaber nach Alexandreia zu legen. Zu diesem Vertrauensposten ward absichtlich ein Mann ausersehen, dessen Geburt es ihm unmoeglich machte, denselben zu missbrauchen, Rufio, ein tuechtiger Soldat, aber eines Freigelassenen Sohn. Das Regiment Aegyptens unter Roms Oberhoheit erhielten Kleopatra und deren juengerer Bruder Ptolemaeos; die Prinzessin Arsinoe ward, um nicht den nach orientalischer Art der Dynastie ebenso ergebenen wie gegen den einzelnen Dynasten gleichgueltigen Aegyptern abermals als Vorwand fuer Insurrektionen zu dienen, nach Italien abgefuehrt; Kypros wurde wieder ein Teil der roemischen Provinz Kilikien. --------------------------------------- ^8 Der Verlust der Leuchtturminsel muss in der Luecke Bell. Alex. 12 ausgefallen sein, da die Insel anfaenglich ja in Caesars Gewalt war (civ. 3,112; Bell. Alex. 8). Der Damm muss bestaendig in der Gewalt der Feinde gewesen sein, da Caesar mit der Insel nur durch Schiffe verkehrte. ----------------------------------------- Dieser alexandrinische Aufstand, so geringfuegig er an sich war und so wenig er innerlich zusammenhing mit den weltgeschichtlichen Ereignissen, die zugleich im roemischen Staate sich vollzogen, griff dennoch insofern in dieselben folgenreich ein, als er den Mann, der alles in allem war und ohne den nichts gefoerdert und nichts geloest werden konnte, vom Oktober 706 (48) bis zum Maerz 707 (47) noetigte, seine eigentlichen Aufgaben liegen zu lassen, um mit Juden und Beduinen gegen einen Stadtpoebel zu kaempfen. Die Folgen des persoenlichen Regiments fingen an, sich fuehlbar zu machen. Man hatte die Monarchie; aber ueberall herrschte die entsetzlichste Verwirrung und der Monarch war nicht da. Ebenwie die Pompeianer waren augenblicklich auch die Caesarianer ohne obere Leitung; es entschied ueberall die Faehigkeit der einzelnen Offiziere und vor allen Dingen der Zufall. In Kleinasien stand bei Caesars Abreise nach Aegypten kein Feind. Indes hatte Caesars Statthalter daselbst, der tuechtige Gnaeus Domitius Calvinus, Befehl erhalten, dem Koenig Pharnakes wiederabzunehmen, was derselbe den Verbuendeten des Pompeius ohne Auftrag entrissen hatte; und da dieser, ein starrkoepfiger und uebermuetiger Despot wie sein Vater, die Raeumung Klein- Armeniens beharrlich verweigerte, so blieb nichts uebrig, als gegen ihn marschieren zu lassen. Calvinus hatte von den drei ihm zurueckgelassenen, aus pharsalischen Kriegsgefangenen gebildeten Legionen zwei nach Aegypten absenden muessen; er ergaenzte die Luecke durch eine eiligst aus den im Pontus domizilierten Roemern zusammengeraffte und zwei nach roemischer Art exerzierte Legionen des Deiotarus und rueckte in Klein-Armenien ein. Allein das bosporanische, in zahlreichen Kaempfen mit den Anwohnern des Schwarzen Meeres erprobte Heer erwies sich tuechtiger als das seinige. In dem Treffen bei Nikopolis ward Calvinus’ pontisches Aufgebot zusammengehauen und liefen die galatischen Legionen davon; nur die eine alte Legion der Roemer schlug mit maessigem Verlust sich durch. Statt Klein-Armenien zu erobern, konnte Calvinus nicht einmal verhindern, dass Pharnakes sich seiner pontischen "Erbstaaten" wieder bemaechtigte und ueber deren Bewohner, namentlich die ungluecklichen Amisener, die ganze Schale seiner scheusslichen Sultanslaunen ausgoss (Winter 706/07 48/47). Als dann Caesar selbst in Kleinasien eintraf und ihm sagen liess, dass der Dienst, den Pharnakes ihm persoenlich geleistet, indem er Pompeius keine Hilfe gewaehrt habe, nicht in Betracht kommen duerfe gegen den dem Reiche zugefuegten Schaden und dass vor jeder Unterhandlung er die Provinz Pontus raeumen und das geraubte Gut zurueckstellen muesse, erklaerte er sich zwar bereit zu gehorchen; aber wohl wissend, wie guten Grund Caesar hatte, nach dem Westen zu eilen, machte er dennoch keine ernstlichen Anstalten zur Raeumung. Er wusste nicht, dass Caesar abtat, was er angriff. Ohne weiter zu verhandeln, nahm Caesar die eine von Alexandreia mitgebrachte Legion und die Truppen des Calvinus und Deiotarus zusammen und rueckte gegen Pharnakes’ Lager bei Ziela. Wie die Bosporaner ihn kommen sahen, durchschritten sie keck den tiefen Bergspalt, der ihre Front deckte, und griffen den Huegel hinauf die Roemer an. Caesars Soldaten waren noch mit dem Lagerschlagen beschaeftigt und einen Augenblick schwankten die Reihen; allein die kriegsgewohnten Veteranen sammelten sich rasch und gaben das Beispiel zum allgemeinen Angriff und zum vollkommenen Siege (2. August 707 47). In fuenf Tagen war der Feldzug beendigt - zu dieser Zeit, wo jede Stunde kostbar war, ein unschaetzbarer Gluecksfall. Mit der Verfolgung des Koenigs, der ueber Sinope heimgegangen war, beauftragte Caesar des Pharnakes illegitimen Bruder, den tapferen Mithradates von Pergamon, welcher zum Lohn fuer die in Aegypten geleisteten Dienste an Pharnakes’ Stelle die bosporanische Koenigskrone empfing. Im uebrigen wurden die syrischen und kleinasiatischen Angelegenheiten friedlich geschlichtet, die eigenen Bundesgenossen reich belohnt, die des Pompeius im ganzen mit Geldbussen oder Verweisen entlassen. Nur der maechtigste unter den Klienten des Pompeius, Deiotarus, wurde wieder auf sein angestammtes enges Gebiet, den tolistobogischen Gau, beschraenkt. An seiner Stelle ward mit Klein-Armenien Koenig Ariobarzanes von Kappadokien belehnt, mit dem von Deiotarus usurpierten Vierfuerstentum der Trokmer aber der neue Koenig des Bosporus, welcher wie von vaeterlicher Seite dem pontischen, so von muetterlicher einem der galatischen Fuerstengeschlechter entstammte. Auch in Illyrien hatten, waehrend Caesar in Aegypten war, sehr ernsthafte Auftritte sich zugetragen. Die delmatische Kueste war seit Jahrhunderten ein wunder Fleck der roemischen Herrschaft und die Bewohner mit Caesar seit den Kaempfen um Dyrrhachion in offener Fehde; im Binnenland aber wimmelte es noch von dem thessalischen Kriege her von versprengten Pompeianern. Indes hatte Quintus Cornificius mit den aus Italien nachrueckenden Legionen sowohl die Eingeborenen wie die Fluechtlinge im Zaum gehalten und zugleich der in diesen rauben Gegenden so schwierigen Verpflegung der Truppen genuegt. Selbst als der tuechtige Marcus Octavius, der Sieger von Curicta, mit einem Teil der Pompeianischen Flotte in diesen Gewaessern erschien, um hier zur See und zu Lande den Krieg gegen Caesar zu leiten, wusste Cornificius, gestuetzt auf die Schiffe und den Hafen der Iadestiner (Zara), nicht bloss sich zu behaupten, sondern bestand auch selbst zur See gegen die Flotte des Gegners manches glueckliche Gefecht. Aber als der neue Statthalter von Illyrien, der von Caesar aus dem Exil zurueckberufene Aulus Gabinius, mit fuenfzehn Kohorten und 3000 Reitern im Winter 706/07 (48/47) auf dem Landweg in Illyrien eintraf, wechselte das System der Kriegfuehrung. Statt wie sein Vorgaenger sich auf den kleinen Krieg zu beschraenken, unternahm der kuehne taetige Mann sogleich, trotz der rauben Jahreszeit, mit seiner gesamten Streitmacht eine Expedition in die Gebirge. Aber die unguenstige Witterung, die Schwierigkeit der Verpflegung und der tapfere Widerstand der Delmater rieben das Heer auf; Gabinius musste den Rueckzug antreten, ward auf diesem von den Delmatern angegriffen und schmaehlich geschlagen, und erreichte mit den schwachen Ueberresten seiner stattlichen Armee muehsam Salome, wo er bald darauf starb. Die meisten illyrischen Kuestenstaedte ergaben sich hierauf der Flotte des Octavius; die an Caesar festhielten, wie Salome und Epidauros (Ragusa vecchia), wurden von der Flotte zur See, zu Lande von den Barbaren so heftig bedraengt, dass die Uebergabe und die Kapitulation der in Salome eingeschlossenen Heerestruemmer nicht mehr fern schien. Da liess der Kommandant des brundisischen Depots, der energische Publius Vatinius, in Ermangelung von Kriegsschiffen gewoehnliche Boote mit Schnaebeln versehen und sie mit den aus den Hospitaelern entlassenen Soldaten bemannen und lieferte mit dieser improvisierten Kriegsflotte der weit ueberlegenen Octavianischen bei der Insel Tauris (Torcola zwischen Lelina und Curzola) ein Treffen, in dem die Tapferkeit des Anfuehrers und der Schiffssoldaten wie so oft ersetzte, was den Schiffen abging, und die Caesarianer einen glaenzenden Sieg erfochten. Marcus Octavius verliess diese Gewaesser und begab sich nach Afrika (Fruehjahr 707 47); die Delmater setzten zwar noch Jahre lang mit grosser Hartnaeckigkeit sich zur Wehr, allein es war dies nichts als ein oertlicher Gebirgskrieg. Als Caesar aus Aegypten zurueckkam, hatte sein entschlossener Adjutant die in Illyrien drohende Gefahr bereits beseitigt. Um so ernster stand es in Afrika, wo die Verfassungspartei vom Anfang des Buergerkrieges an unumschraenkt geherrscht und ihre Macht fortwaehrend gesteigert hatte. Bis zur Pharsalischen Schlacht hatte hier eigentlich Koenig Juba das Regiment gefuehrt; er hatte Curio ueberwunden, und die Kraft des Heeres waren seine fluechtigen Reiter und seine zahllosen Schuetzen; der Pompeianische Statthalter Varus spielte neben ihm eine so subalterne Rolle, dass er sogar diejenigen Soldaten Curios, die sich ihm ergeben hatten, dem Koenig hatte ausliefern und deren Hinrichtung oder Abfuehrung in das innere Numidien hatte mitansehen muessen. Dies aenderte sich nach der Pharsalischen Schlacht. An eine Flucht zu den Parthern dachte, mit Ausnahme des Pompeius selbst, kein namhafter Mann der geschlagenen Partei. Ebensowenig versuchte man, die See mit vereinten Kraeften zu behaupten; Marcus Octavius’ Kriegfuehrung in den illyrischen Gewaessern stand vereinzelt und war ohne dauernden Erfolg. Die grosse Majoritaet der Republikaner wie der Pompeianer wandte sich nach Afrika, wo allein noch ein ehrenhafter und verfassungsmaessiger Kampf gegen den Usurpator moeglich schien. Dort fanden die Truemmer der bei Pharsalos zersprengten Armee, die Besatzungstruppen von Dyrrhachion, Kerkyra und dem Peloponnes, die Reste der illyrischen Flotte sich allmaehlich zusammen; es trafen dort ein der zweite Oberfeldherr Metellus Scipio, die beiden Soehne des Pompeius, Gnaeus und Sextus, der politische Fuehrer der Republikaner Marcus Cato, die tuechtigen Offiziere Labienus, Afranius, Petreius, Octavius und andere. Wenn die Kraefte der Emigration verringert waren, so hatte dagegen ihr Fanatismus sich womoeglich noch gesteigert. Man fuhr nicht bloss fort, die Gefangenen und selbst die Parlamentaere Caesars zu ermorden, sondern Koenig Juba, in dem die Erbitterung des Parteimannes mit der Wut des halbbarbarischen Afrikaners zusammenfloss, stellte die Maxime auf, dass in jeder der Sympathien mit dem Feinde verdaechtigen Gemeinde die Buergerschaft ausgerottet und die Stadt niedergebrannt werden muesse, und fuehrte auch gegen einige Ortschaften, zum Beispiel das unglueckliche Vaga bei Hadrumetum, diese Theorie in der Tat praktisch durch. Ja dass nicht die Hauptstadt der Provinz selber, das bluehende, ebenwie einst Karthago von den numidischen Koenigen laengst mit scheelem Auge angesehene Utica, von Koenig Juba dieselbe Behandlung erfuhr und dass man gegen die, allerdings nicht mit Unrecht, der Hinneigung zu Caesar beschuldigte Buergerschaft mit Vorsichtsmassregeln sich begnuegte, hatte sie nur Catos energischem Auftreten zu danken. Da weder Caesar selbst noch einer seiner Statthalter das geringste gegen Afrika unternahm, so hatte die Koalition vollkommen Zeit, sich dort politisch und militaerisch zu reorganisieren. Vor allem war es notwendig, die durch Pompeius’ Tod erledigte Oberfeldherrnstelle aufs neue zu besetzen. Koenig Juba hatte nicht uebel Lust, die Stellung, die er bis auf die Pharsalische Schlacht in Afrika gehabt, auch ferner zu behaupten; wie er denn ueberhaupt nicht mehr als Klient der Roemer, sondern als gleichberechtigter Verbuendeter oder gar als Schutzherr auftrat und zum Beispiel es sich herausnahm, roemisches Silbergeld mit seinem Namen und Wappen zu schlagen, ja sogar den Anspruch erhob, allein im Lager den Purpur zu fuehren und den roemischen Heerfuehrern ansann, den purpurnen Feldherrnmantel abzulegen. Metellus Scipio ferner forderte den Oberbefehl fuer sich, weil Pompeius ihn, mehr aus schwiegersoehnlichen als aus militaerischen Ruecksichten, im thessalischen Feldzug als sich gleichberechtigt anerkannt hatte. Die gleiche Forderung erhob Varus als - freilich selbsternannter - Statthalter von Afrika, da der Krieg in seiner Provinz gefuehrt werden sollte. Endlich die Armee begehrte zum Fuehrer den Propraetor Marcus Cato. Offenbar hatte sie recht. Cato war der einzige Mann, der fuer das schwere Amt die erforderliche Hingebung, Energie und Autoritaet besass; wenn er kein Militaer war, so war es doch unendlich besser, einen Nichtmilitaer, der sich zu bescheiden und seine Unterfeldherrn handeln zu lassen verstand, als einen Offizier von unerprobter Faehigkeit, wie Varus, oder gar einen von erprobter Unfaehigkeit, wie Metellus Scipio, zum Oberfeldherrn zu bestellen. Indes die Entscheidung fiel schliesslich auf ebendiesen Scipio, und Cato selbst war es, der sie im wesentlichen bestimmte. Es geschah dies nicht, weil er jener Aufgabe sich nicht gewachsen fuehlte oder weil seine Eitelkeit bei dem Ausschlagen mehr ihre Rechnung fand als bei dem Annehmen; noch weniger, weil er Scipio liebte oder achtete, mit dem er vielmehr persoenlich verfeindet war und der ueberall bei seiner notorischen Untuechtigkeit einzig durch seine Schwiegervaterschaft zu einer gewissen Bedeutung gelangt war; sondern einzig und allein, weil sein verbissener Rechtsformalismus lieber die Republik von Rechts wegen zugrunde gehen liess, als sie auf irregulaere Weise rettete. Als er nach der Pharsalischen Schlacht auf Kerkyra mit Marcus Cicero zusammentraf, hatte er sich erboten, diesem, der noch von seiner kilikischen Statthalterschaft her mit der Generalschaft behaftet war, als dem hoeherstehenden Offizier, wie es Rechtens war, das Kommando in Kerkyra zu uebertragen und den ungluecklichen Advokaten, der seine Lorbeeren vom Amanos jetzt tausendmal verwuenschte, durch diese Bereitwilligkeit fast zur Verzweiflung, aber auch alle halbwegs einsichtigen Maenner zum Erstaunen gebracht. Die gleichen Prinzipien wurden hier geritten, wo etwas mehr darauf ankam; Cato erwog die Frage, wem die Oberfeldherrnstelle gebuehre, als handelte es sich um ein Ackerfeld bei Tusculum, und sprach sie dem Scipio zu. Durch diesen Ausspruch wurde seine eigene und die Kandidatur des Varus beseitigt. Er war es aber auch, und er allein, der mit Energie den Anspruechen des Koenigs Juba entgegentrat und es ihn fuehlen liess, dass der roemische Adel zu ihm nicht bittend komme wie zu dem Grossfuersten der Parther, um bei dem Schutzherrn Beistand zu suchen, sondern befehlend und von dem Untertan Beistand fordernd. Bei dem gegenwaertigen Stande der roemischen Streitkraefte in Afrika konnte Juba nicht umhin, etwas gelindere Saiten aufzuziehen, obgleich er freilich bei dem schwachen Scipio es dennoch durchsetzte, dass die Besoldung seiner Truppen der roemischen Kasse aufgebuerdet und fuer den Fall des Sieges ihm die Abtretung der Provinz Afrika zugesichert ward. Dem neuen Oberfeldherrn zur Seite trat wiederum der Senat der "Dreihundert", der in Utica seinen Sitz aufschlug und seine gelichteten Reihen durch Aufnahme der angesehensten und vermoegendsten Maenner des Ritterstandes ergaenzte. Die Ruestungen wurden, hauptsaechlich durch Catos Eifer, mit der groessten Energie gefoerdert und jeder waffenfaehige Mann, selbst Freigelassene und Libyer, in die Legionen eingestellt; wodurch dem Ackerbau die Haende so sehr entzogen wurden, dass ein grosser Teil der Felder unbestellt blieb, aber allerdings auch ein imposantes Resultat erzielt ward. Das schwere Fussvolk zaehlte vierzehn Legionen, wovon zwei bereits durch Varus aufgestellt, acht andere teils aus den Fluechtigen, teils aus den in der Provinz Konskribierten gebildet und vier roemisch bewaffnete Legionen des Koenigs Juba waren. Die schwere Reiterei, bestehend aus den mit Labienus eingetroffenen Kelten und Deutschen und allerlei darunter eingereihten Leuten, war ohne Jubas roemisch geruestete Reiterschar 1600 Mann stark. Die leichten Truppen bestanden aus zahllosen Massen ohne Zaum und Zuegel reitender und bloss mit Wurfspeeren bewaffneter Numidier, aus einer Anzahl berittener Bogenschuetzen und grossen Schwaermen von Schuetzen zu Fuss. Dazu kamen endlich Jubas 120 Elefanten und die von Publius Varus und Marcus Octavius befehligte 55 Segel starke Flotte. Dem drueckenden Geldmangel wurde einigermassen durch eine Selbstbesteuerung des Senats abgeholfen, die um so ergiebiger war, als die reichsten afrikanischen Kapitalisten in d
enselben einzutreten veranlasst worden waren. Getreide und andere Vorraete hatte man in den verteidigungsfaehigen Festungen in ungeheuren Massen aufgehaeuft, zugleich aus den offenen Ortschaften die Vorraete moeglichst entfernt. Die Abwesenheit Caesars, die schwierige Stimmung seiner Legionen, die Gaerung in Spanien und Italien hoben allmaehlich die Stimmung, und die Erinnerung an die Pharsalische Schlacht fing an, neuen Siegeshoffnungen zu weichen. Die von Caesar in Aegypten verlorene Zeit raechte nirgend sich schwerer als hier. Haette er unmittelbar nach Pompeius’ Tode sich nach Afrika gewendet, so wuerde er daselbst ein schwaches, desorganisiertes und konsterniertes Heer und vollstaendige Anarchie unter den Fuehrern vorgefunden haben; wogegen jetzt, namentlich durch Catos Energie, eine der bei Pharsalos geschlagenen an Zahl gleiche Armee unter namhaften Fuehrern und unter einer geregelten Oberleitung in Afrika stand. Es schien ueberhaupt ueber dieser afrikanischen Expedition Caesars ein eigener Unstern zu walten. Noch vor seiner Einschiffung nach Aegypten hatte Caesar in Spanien und Italien verschiedene Massregeln zur Einleitung und Vorbereitung des afrikanischen Krieges angeordnet; aus allen war aber nichts als Unheil entsprungen. Von Spanien aus sollte, Caesars Anordnung zufolge, der Statthalter der suedlichen Provinz, Quintus Cassius Longinus, mit vier Legionen nach Afrika uebersetzen, dort den Koenig Bogud von Westmauretanien ^9 an sich ziehen und mit ihm gegen Numidien und Afrika vorgehen. Aber jenes nach Afrika bestimmte Heer schloss eine Menge geborener Spanier und zwei ganze ehemals Pompeianische Legionen in sich; Pompeianische Sympathien herrschten in der Armee wie in der Provinz, und das ungeschickte und tyrannische Auftreten des Caesarischen Statthalters war nicht geeignet, sie zu beschwichtigen. Es kam foermlich zum Aufstande; Truppen und Staedte ergriffen Partei fuer oder gegen den Statthalter; schon war es darauf oder daran, dass die, welche gegen den Statthalter Caesars sich erhoben hatten, offen die Fahne des Pompeius aufsteckten; schon hatte Pompeius’ aeltester Sohn Gnaeus, um diese guenstige Wendung zu benutzen, sich von Afrika nach Spanien eingeschifft, als die Desavouierung des Statthalters durch die angesehensten Caesarianer selbst und das Einschreiten des Befehlshabers der noerdlichen Provinz den Aufstand eben noch rechtzeitig unterdrueckten. Gnaeus Pompeius, der unterwegs mit einem vergeblichen Versuch, sich in Mauretanien festzusetzen, Zeit verloren hatte, kam zu spaet; Gaius Trebonius, den Caesar nach seiner Heimkehr aus dem Osten zur Abloesung des Cassius nach Spanien sandte (Herbst 707 47), fand ueberall unweigerlichen Gehorsam. Aber natuerlich war ueber diesen Irrungen von Spanien aus nichts geschehen, um die Organisation der Republikaner in Afrika zu stoeren; ja es war sogar, infolge der Verwicklungen mit Longinus, Koenig Bogud von Westmauretanien, der auf Caesars Seite stand und wenigstens Koenig Juba einige Hindernisse haette in den Weg legen koennen, mit seinen Truppen nach Spanien abgerufen worden. ---------------------------------------------------------------------- ^9 Die Staatengestaltung im nordwestlichen Afrika waehrend dieser Zeit liegt sehr im Dunkel. Nach dem Jugurthinischen Kriege herrschte Koenig Bocchus von Mauretanien wahrscheinlich vom westlichen Meere bis zum Hafen von Saldae, in dem heutigen Marokko und Algier; die von den mauretanischen Oberkoenigen wohl von Haus aus verschiedenen Fuersten von Tingis (Tanger), die schon frueher vorkommen (Plut. Sert. 9) und zu denen vermutlich Sallusts (hist. 3, 31 Kritz) Leptasta und Ciceros (Vat. 5, 12) Mastanesosus gehoeren, moegen in beschraenkten Grenzen selbstaendig gewesen oder auch bei ihm zu Lehen gegangen sein; aehnlich wie schon Syphax ueber viele Stammfuersten gebot (App. Pun. 10) und um diese Zeit in dem benachbarten Numidien Cirta, wahrscheinlich doch unter Jubas Oberherrlichkeit, von dem Fuersten Massinissa besessen ward (App. civ. 4, 54). Um 672 (82) finden wir an Bocchus’ Stelle einen Koenig Bocud oder Bogud (Oros. hist. 5, 21, 14), des Bocchus Sohn. Von 705 (49) an erscheint das Reich geteilt zwischen dem Koenig Bogud, der die westliche, und dem Koenig Bocchus, der die oestliche Haelfte besitzt und auf welche die spaetere Scheidung Mauretaniens in Boguds Reich oder den Staat von Tingis und Bocchus’ Reich oder den Staat von Jol (Caesarea) zurueckgeht (Plin. nat. 5, 2, 19, vergl. Bell. Afr. 23). ----------------------------------------------------------------- Bedenklicher noch waren die Vorgaenge unter den Truppen, die Caesar im suedlichen Italien hatte zusammenziehen lassen, um mit ihnen nach Afrika ueberzuschiffen. Es waren groesstenteils die alten Legionen, die in Gallien, Spanien, Thessalien Caesars Thron begruendet hatten. Den Geist dieser Truppen hatten die Siege nicht gebessert, die lange Rast in Unteritalien vollstaendig zerruettet. Die fast uebermenschlichen Zumutungen, die der Feldherr an sie machte und deren Folgen in den schrecklich gelichteten Reihen nur zu grell hervortraten, liessen selbst in diesen Eisenmaennern einen Sauerteig des Grolls zurueck, der nur der Zeit und Ruhe bedurfte, um die Gemueter in Gaerung zu bringen. Der einzige Mann, der ihnen imponierte, war seit einem Jahre fern und fast verschollen, ihre vorgesetzten Offiziere aber scheuten weit mehr sich vor den Soldaten als diese vor ihnen und sahen den Weltbesiegern jede Brutalitaet gegen ihre Quartiergeber und jede Indisziplin nach. Als nun der Befehl, sich nach Sizilien einzuschiffen, kam und der Soldat das ueppige Wohlleben in Kampanien wieder mit einer dritten, der spanischen und thessalischen an Drangsalen sicher nicht nachstehenden Kampagne vertauschen sollte, rissen die allzulange gelockerten und allzuploetzlich wiederangezogenen Zuegel. Die Legionen weigerten sich zu gehorchen, bevor die versprochenen Geschenke ihnen gezahlt seien, und wiesen die von Caesar gesandten Offiziere mit Hohnreden, ja mit Steinwuerfen zurueck. Ein Versuch, den beginnenden Aufstand durch Steigerung der versprochenen Summen zu daempfen, hatte nicht bloss keinen Erfolg, sondern die Soldaten brachen massenweise auf, um die Erfuellung der Versprechungen in der Hauptstadt von dem Feldherrn zu erpressen. Einzelne Offiziere, die die meuterischen Rotten unterwegs zurueckzuhalten versuchten, wurden erschlagen. Es war eine furchtbare Gefahr. Caesar liess die wenigen in der Stadt befindlichen Soldaten die Tore besetzen, um die mit Recht befuerchtete Pluenderung wenigstens fuer den ersten Anlauf abzuwehren, und erschien ploetzlich unter dem tobenden Haufen mit der Frage, was sie begehrten. Man rief: den Abschied. Augenblicklich ward er, wie gebeten, erteilt. Wegen der Geschenke, fuegte Caesar hinzu, welche er fuer den Triumph seinen Soldaten zugesagt habe, sowie wegen der Aecker, die er ihnen nicht versprochen, aber bestimmt gehabt, moechten sie an dem Tage, wo er mit den anderen Soldaten triumphieren werde, sich bei ihm melden; an dem Triumphe selbst freilich koennten sie, als vorher entlassen, natuerlich nicht teilnehmen. Auf diese Wendung waren die Massen nicht gefasst; ueberzeugt, dass Caesar ihrer fuer den afrikanischen Feldzug nicht entraten koenne, hatten sie den Abschied nur gefordert, um, wenn er ihnen verweigert werde, daran ihre Bedingungen zu knuepfen. Halb irre geworden in dem Glauben an ihre eigene Unentbehrlichkeit; zu unbehilflich um wieder einzulenken und die verfahrene Unterhandlung in das rechte Geleise zurueckzubringen; als Menschen beschaemt durch die Treue, mit der der Imperator auch seinen treuvergessenen Soldaten Wort hielt, und durch die Hochherzigkeit desselben, welche ebenjetzt weit mehr gewaehrte, als er je zugesagt hatte; als Soldaten tief ergriffen, da der Feldherr ihnen in Aussicht stellte, dem Triumph ihrer Kameraden als Buergersleute zuschauen zu muessen und da er sie nicht mehr "Kameraden" hiess, sondern "Buerger" und mit dieser aus seinem Munde so fremdartig klingenden Anrede gleichsam mit einem Schlage ihre ganze stolze Soldatenvergangenheit zerstoerte, und zu alledem unter dem Zauber des unwiderstehlich gewaltigen Menschen - standen die Soldaten eine Weile stumm und zaudernd, bis von allen Seiten der Ruf erscholl, dass der Feldherr sie wieder zu Gnaden annehmen und es ihnen wieder gestatten moege, Caesars Soldaten zu heissen. Caesar gestattete es, nachdem er hinreichend sich hatte bitten lassen; den Raedelsfuehrern bei dieser Meuterei aber wurde an ihren Triumphalgeschenken ein Dritteil gekuerzt. Ein groesseres psychologisches Meisterstueck kennt die Geschichte nicht, und keines, das vollstaendiger gelungen waere. Auf den afrikanischen Feldzug wirkte diese Meuterei immerhin wenigstens insofern nachteilig ein, als sie die Eroeffnung desselben betraechtlich verzoegerte. Als Caesar in dem zur Einschiffung bestimmten Hafen von Lilybaeon eintraf, waren die zehn nach Afrika bestimmten Legionen dort bei weitem noch nicht vollstaendig versammelt und eben die erprobten Truppen noch am weitesten zurueck. Indes kaum waren sechs Legionen, darunter fuenf neu gebildete, daselbst angelangt und die noetigen Kriegsund Transportschiffe angekommen, als Caesar mit denselben in See stach (25. Dezember 707 47 des unberichtigten, etwa 8. Oktober des Julianischen Kalenders). Die feindliche Flotte, die der herrschenden Aequinoktialstuerme wegen bei der Insel Aegimuros vor der Karthagischen Bucht auf den Strand gezogen war, hinderte die Ueberfahrt nicht; allein dieselben Stuerme zerstreuten die Flotte Caesars nach allen Richtungen, und als Caesar unweit Hadrumetum (Susa) die Gelegenheit zu landen ersah, konnte er nicht mehr als etwa 3000 Mann, groesstenteils Rekruten, und 150 Reiter ausschiffen. Der Versuch, das vom Feinde stark besetzte Hadrumetum wegzunehmen, misslang; dagegen bemaechtigte Caesar sich der beiden nicht weit voneinander entfernten Hafenplaetze Ruspina (Monastir bei Susa) und Klein-Leptis. Hier verschanzte er sich; aber seine Stellung war so unsicher, dass er seine Reiter auf den Schiffen und diese segelfertig und mit Wasservorrat versehen hielt, um jeden Augenblick, wenn er mit Uebermacht sollte angegriffen werden, wieder sich einschiffen zu koennen. Indes war dies nicht noetig, da eben noch zu rechter Zeit die verschlagenen Schiffe anlangten (3. Januar 708 46). Gleich am folgenden Tage unternahm Caesar, dessen Heer infolge der von den Pompeianern getroffenen Anstalten Mangel an Getreide litt, mit drei Legionen einen Zug in das innere Land, ward aber nicht weit von Ruspina auf dem Marsche von den Heerhaufen angegriffen, die Labienus heranfuehrte, um Caesar von der Kueste zu vertreiben. Da Labienus ausschliesslich Reiterei und Schuetzen, Caesar fast nichts als Linieninfanterie hatte, so wurden die Legionen rasch umzingelt und den Geschossen der Feinde preisgegeben, ohne sie erwidern oder mit Erfolg angreifen zu koennen. Zwar machte die Deployierung der ganzen Linie die Fluegel wieder frei und mutige Angriffe retteten die Ehre der Waffen; allein der Rueckzug war unvermeidlich, und waere Ruspina nicht so nahe gewesen, so haette der maurische Wurfspeer vielleicht hier dasselbe ausgerichtet, was bei Karrhae der parthische Bogen. Caesar, den dieser Tag von der ganzen Schwierigkeit des bevorstehenden Krieges ueberzeugt hatte, wollte seine unerprobten und durch die neue Gefechtsweise entmutigten Soldaten keinem solchen Angriff wieder aussetzen, sondern wartete das Eintreffen seiner Veteranenlegionen ab. Die Zwischenzeit wurde benutzt, um die drueckende Ueberlegenheit des Feindes in den Fernwaffen einigermassen auszugleichen. Dass die geeigneten Leute von der Flotte als leichte Reiter oder Schuetzen in die Landarmee eingereiht wurden, konnte nicht viel helfen. Etwas mehr wirkten die von Caesar veranlassten Diversionen. Es gelang, die am suedlichen Abhang des Grossen Atlas gegen die Sahara zu schweifenden gaetulischen Hirtenstaemme gegen Juba in Waffen zu bringen; denn selbst bis zu ihnen hatten die Schlaege der marianisch-sullanischen Zeit sich erstreckt, und ihr Groll gegen den Pompeius, der sie damals den numidischen Koenigen untergeordnet hatte, machte sie den Erben des maechtigen, bei ihnen noch vom Jugurthinischen Feldzug her in gutem Andenken lebenden Marius von vorn herein geneigt. Die mauretanischen Koenige, Bogud in Tingis, Bocchus in Jol, waren Jubas natuerliche Rivalen und zum Teil laengst mit Caesar in Buendnis. Endlich streifte in dem Grenzgebiet zwischen den Reichen des Juba und des Bocchus noch der letzte der Catilinarier, jener Publius Sittius aus Nuceria, der achtzehn Jahre zuvor aus einem bankrotten italischen Kaufmann sich in einen mauretanischen Freischarenfuehrer verwandelt und seitdem in den libyschen Haendeln sich einen Namen und ein Heergefolge geschaffen hatte. Bocchus und Sittius fielen vereinigt in das numidische Land, besetzten die wichtige Stadt Cirta, und ihr Angriff sowie der der Gaetuler noetigte den Koenig Juba, einen Teil seiner Truppen an seine Suedund Westgrenze zu senden. Indes blieb Caesars Lage unbequem genug. Seine Armee war auf den Raum einer Quadratmeile zusammengedraengt; wenn auch die Flotte Getreide herbeischaffte, so ward doch der Mangel an Fourage von Caesars Reitern ebenso gefuehlt wie vor Dyrrhachion von denen des Pompeius. Die leichten Truppen des Feindes blieben, aller Anstrengungen Caesars ungeachtet, den seinigen so unermesslich ueberlegen, dass es fast unmoeglich schien, die Offensive in das Binnenland hinein auch mit Veteranen durchzufuehren. Wenn Scipio zurueckwich und die Kuestenstaedte preisgab, so konnte er vielleicht einen Sieg erfechten wie die, welche des Orodes Wesir ueber Crassus, Juba ueber Curio davongetragen hatten, wenigstens aber den Krieg ins unendliche hinausziehen. Diesen Feldzugsplan ergab die einfachste Ueberlegung: selbst Cato, obwohl nichts weniger als ein Strateg, riet dazu und erbot sich, zugleich mit einem Korps nach Italien ueberzufahren und dort die Republikaner unter die Waffen zu rufen, was bei der gruendlichen Verwirrung daselbst gar wohl Erfolg haben konnte. Allein Cato konnte nur raten, nicht befehlen; der Oberbefehlshaber Scipio entschied, dass der Krieg in der Kuestenlandschaft gefuehrt werden solle. Es war dies nicht bloss insofern verkehrt, als man damit einen sicheren Erfolg verheissenden Kriegsplan fahren liess, sondern auch insofern, als die Landschaft, in die man den Krieg verlegte, in bedenklicher Gaerung, und das Heer, das man Caesar gegenueberstellte, zum guten Teil ebenfalls schwierig war. Die fuerchterlich strenge Aushebung, die Wegschleppung der Vorraete, die Verwuestung der kleineren Ortschaften, ueberhaupt das Gefuehl einer von Haus aus fremden und bereits verlorenen Sache aufgeopfert zu werden, hatten die einheimische Bevoelkerung erbittert gegen die auf afrikanischem Boden ihren letzten Verzweiflungskampf kaempfenden roemischen Republikaner; und das terroristische Verfahren der letzteren gegen alle auch nur der Gleichgueltigkeit verdaechtigen Gemeinden hatte diese Erbitterung zum furchtbarsten Hass gesteigert. Die afrikanischen Staedte erklaerten, wo sie irgend es wagen konnten, sich fuer Caesar; unter den Gaetulern und den Libyern, die unter den leichten Truppen und selbst in den Legionen in Menge dienten, riss die Desertion ein. Indes Scipio beharrte mit aller dem Unverstand eigenen Hartnaeckigkeit auf seinem Plan, zog mit gesamter Heeresmacht von Utica her vor die von Caesar besetzten Staedte Ruspina und Klein-Leptis, belegte noerdlich davon Hadrumetum, suedlich Thapsus (am Vorgebirge Ras Dimas) mit starken Besatzungen und bot in Gemeinschaft mit Juba, der mit all seinen nicht durch die Grenzverteidigung in Anspruch genommenen Truppen gleichfalls vor Ruspina erschien, zu wiederholten Malen dem Feinde die Schlacht an. Aber Caesar war entschlossen, seine Veteranenlegionen zu erwarten. Als diese dann nach und nach eintrafen und auf dem Kampfplatz erschienen, verloren Scipio und Juba die Lust, eine Feldschlacht zu wagen, und Caesar hatte kein Mittel, sie bei ihrer ausserordentlichen Ueberlegenheit an leichter Reiterei zu einer solchen zu zwingen. Ueber Maersche und Scharmuetzel in der Umgegend von Ruspina und Thapsus, die hauptsaechlich um die Auffindung der landueblichen Kellerverstecke (Silos) und um Ausbreitung der Posten sich bewegten, verflossen fast zwei Monate. Caesar, durch die feindlichen Reiter genoetigt, sich moeglichst auf den Anhoehen zu halten oder auch seine Flanken durch verschanzte Linien zu decken, gewoehnte doch waehrend dieser muehseligen und aussichtslosen Kriegfuehrung allmaehlich seine Soldaten an die fremdartige Kampfweise. Freund und Feind erkannten in dem vorsichtigen Fechtmeister, der seine Leute sorgfaeltig und nicht selten persoenlich einschulte, den raschen Feldherrn nicht wieder und wurden fast irre an dieser im Zoegern wie im Zuschlagen sich gleichbleibenden Meisterschaft. Endlich wandte Caesar, nachdem er seine letzten Verstaerkungen an sich gezogen hatte, sich seitwaerts gegen Thapsus. Scipio hatte diese Stadt, wie gesagt, stark besetzt und damit den Fehler begangen, seinem Gegner ein leicht zu fassendes Angriffsobjekt darzubieten; zu dem ersten fuegte er bald den zweiten, noch minder verzeihlichen hinzu, die von Caesar gewuenschte und von Scipio mit Recht bisher verweigerte Feldschlacht jetzt zur Rettung von Thapsus auf einem Terrain zu liefern, das die Entscheidung in die Haende der Linieninfanterie gab. Unmittelbar am Strande, Caesars Lager gegenueber, traten Scipios und Jubas Legionen an, die vorderen Reihen kampffertig, die hinteren beschaeftigt, ein verschanztes Lager zu schlagen; zugleich bereitete die Besatzung von Thapsus einen Ausfall vor. Den letzteren zurueckzuweisen, genuegten Caesars Lagerwachen. Seine kriegsgewohnten Legionen, schon nach der unsicheren Aufstellung und den schlecht geschlossenen Gliedern den Feind richtig wuerdigend, zwangen, waehrend drueben noch geschanzt ward und ehe noch der Feldherr das Zeichen gab, einen Trompeter, zum Angriff zu blasen, und gingen auf der ganzen Linie vor, allen voran Caesar selbst, der, da er die Seinigen ohne seinen Befehl abzuwarten vorruecken sah, an ihrer Spitze auf den Feind eingaloppierte. Der rechte Fluegel, den uebrigen Abteilungen voran, scheuchte die ihm gegenueberstehende Linie der Elefanten - es war dies die letzte grosse Schlacht, in der die Bestien verwendet worden sind - durch Schleuderkugeln und Pfeile zurueck auf ihre eigenen Leute. Die Deckungsmannschaft ward niedergehauen, der linke Fluegel der Feinde gesprengt und die ganze Linie aufgerollt. Die Niederlage war um so vernichtender, als das neue Lager der geschlagenen Armee noch nicht fertig und das alte betraechtlich entfernt war; beide wurden nacheinander fast ohne Gegenwehr erobert. Die Masse der geschlagenen Armee warf die Waffen weg und bat um Quartier; aber Caesars Soldaten waren nicht mehr dieselben, die vor Ilerda willig der Schlacht sich enthalten, bei Pharsalos der Wehrlosen ehrenvoll geschont hatten. Die Gewohnheit des Buergerkrieges und der von der Meuterei zurueckgebliebene Groll machten auf dem Schlachtfelde von Thapsus in schrecklicher Weise sich geltend. Wenn der Hydra, mit der man kaempfte, stets neue Koepfe nachwuchsen, wenn die Armee von Italien nach Spanien, von Spanien nach Makedonien, von Makedonien nach Afrika geschleudert ward, die immer heisser ersehnte Ruhe immer nicht kam, so suchte, und nicht ganz ohne Ursache, der Soldat davon den Grund in Caesars unzeitiger Milde. Er hatte es sich geschworen nachzuholen, was der Feldherr versaeumt, und blieb taub fuer das Flehen der entwaffneten Mitbuerger wie fuer die Befehle Caesars und der hoeheren Offiziere. Die fuenfzigtausend Leichen, die das Schlachtfeld von Thapsus bedeckten, darunter auch mehrere als heimliche Gegner der neuen Monarchie bekannte und deshalb bei dieser Gelegenheit von ihren eigenen Leuten niedergemachte Caesarische Offiziere, zeigten, wie der Soldat sich Ruhe schafft. Die siegende Armee dagegen zaehlte nicht mehr als fuenfzig Tote (6. April 708 46). Eine Fortsetzung des Kampfes fand nach der Schlacht von Thapsus so wenig in Afrika statt, wie anderthalb Jahre zuvor im Osten nach der Pharsalischen Niederlage. Cato als Kommandant von Utica berief den Senat, legte den Stand der Verteidigungsmittel dar und stellte es zur Entscheidung der Versammelten, ob man sich unterwerfen oder bis auf den letzten Mann sich verteidigen wolle, einzig sie beschwoerend, nicht jeder fuer sich, sondern alle fuer einen zu beschliessen und zu handeln. Die mutigere Meinung fand manchen Vertreter; es wurde beantragt, die waffenfaehigen Sklaven von Staats wegen freizusprechen, was aber Cato als einen ungesetzlichen Eingriff in das Privateigentum zurueckwies und statt dessen einen patriotischen Aufruf an die Sklaveneigentuemer vorschlug. Allein bald verging der groesstenteils aus afrikanischen Grosshaendlern bestehenden Versammlung diese Anwandlung von Entschlossenheit, und man ward sich einig zu kapitulieren. Als dann Faustus Sulla, des Regenten Sohn, und Lucius Afranius mit einer starken Abteilung Reiterei vom Schlachtfelde her in Utica eintrafen, machte Cato noch einen Versuch, durch sie die Stadt zu halten; allein ihre Forderung, sie zuvoerderst die unzuverlaessige Buergerschaft von Utica insgesamt niedermachen zu lassen, wies er unwillig zurueck und liess lieber die letzte Burg der Republikaner dem Monarchen ohne Gegenwehr in die Haende fallen als die letzten Atemzuege der Republik durch eine solche Metzelei entweihen. Nachdem er, teils durch seine Autoritaet, teils durch freigebige Spenden, dem Wueten der Soldateska gegen die ungluecklichen Uticenser nach Vermoegen gesteuert und, soweit es in seiner Macht stand, denen, die Caesars Gnade sich nicht anvertrauen mochten, die Mittel zur Flucht, denen, die bleiben wollten, die Gelegenheit, unter moeglichst leidlichen Bedingungen zu kapitulieren mit ruehrender Sorgfalt gewaehrt und durchaus sich ueberzeugt hatte, dass er niemand weiter Hilfe zu leisten vermoege, hielt er seines Kommandos sich entbunden, zog sich in sein Schlafgemach zurueck und stiess sich das Schwert in die Brust. Auch von den uebrigen gefluechteten Reitern retteten sich nur wenige. Die von Thapsus gefluechteten Reiter stiessen auf die Scharen des Sittius und wurden von ihnen niedergehauen oder gefangen; ihre Fuehrer Afranius und Faustus wurden an Caesar ausgeliefert und, da dieser sie nicht sogleich hinrichten liess, von dessen Veteranen in einem Auflauf erschlagen. Der Oberfeldherr Metellus Scipio geriet mit der Flotte der geschlagenen Partei in die Gewalt der Kreuzer des Sittius und durchbohrte sich selbst, da man Hand an ihn legen wollte. Koenig Juba, nicht unvorbereitet auf einen solchen Ausgang, hatte fuer diesen Fall beschlossen, zu enden, wie es ihm koeniglich duenkte, und auf dem Markte seiner Stadt Zama einen ungeheuren Scheiterhaufen ruesten lassen, der mit seinem Koerper auch all seine Schaetze und die Leichen der gesamten Buergerschaft von Zama verzehren sollte. Allein die Stadtbewohner verspuerten kein Verlangen, bei der Leichenfeier des afrikanischen Sardanapal sich als Dekoration verwenden zu lassen und schlossen dem Koenig, da er, vom Schlachtfeld fluechtend, in Begleitung von Marcus Petreius vor der Stadt erschien, die Tore. Der Koenig, eine jener im grellen und uebermuetigen Lebensgenuss verwilderten Naturen, die auch aus dem Tode sich ein Taumelfest bereiten, begab sich mit seinem Begleiter nach einem seiner Landhaeuser, liess einen reichlichen Schmaus auftragen und forderte nach geendeter Mahlzeit den Petreius auf, mit ihm im Zweikampf um den Tod zu fechten. Es war der Besieger Catilinas, der ihn von der Hand des Koenigs empfing; der Koenig liess darauf von einem seiner Sklaven sich durchbohren. Die wenigen angesehenen Maenner, welche entkamen, wie Labienus und Sextus Pompeius, folgten dem aelteren Bruder des letzteren nach Spanien und suchten, wie einst Sertorius, in den Gebirgen und Gewaessern dieser immer noch halb unabhaengigen Landschaften ein letztes Raeuberund Piratenasyl. Ohne Widerstand ordnete Caesar die afrikanischen Verhaeltnisse. Wie schon Curio beantragt hatte, ward das Reich des Massinissa aufgeloest. Der oestlichste Teil oder die Landschaft von Sitifis ward mit dem Reich des Koenigs Bocchus von Ostmauretanien vereinigt, auch der treue Koenig Bogud von Tingis mit ansehnlichen Gaben bedacht. Cirta (Constantine) und den umliegenden Landstrich, die bisher, unter Jubas Oberhoheit, der Fuerst Massinissa und dessen Sohn Arabion besessen hatten, erhielt der Condottiere Publius Sittius, um seine halbroemischen Scharen daselbst anzusiedeln ^10; zugleich aber wurde dieser Distrikt sowie ueberhaupt der bei weitem groesste und fruchtbarste Teil des bisherigen Numidischen Reiches als "Neuafrika" mit der aelteren Provinz Afrika vereinigt und die Verteidigung der Kuestenlandschaft gegen die schweifenden Staemme der Wueste, welche die Republik einem Klientelkoenig ueberlassen hatte, von dem neuen Herrscher auf das Reich selbst uebernommen. ---------------------------------------------- ^10 Die Inschriften der bezeichneten Gegend bewahren zahlreiche Spuren dieser Kolonisierung. Der Name der Sittier ist dort ungemein haeufig; die afrikanische Ortschaft Milev fuehrt als roemische den Namen colonia Sarnensis (CIL VIII, p. 1094), offenbar von dem nucerinischen Flussgott Sarnus (Suet. rhet. 4). ---------------------------------------------- Der Kampf, den Pompeius und die Republikaner gegen Caesars Monarchie unternommen hatten, endigte also nach vierjaehriger Dauer mit dem vollstaendigen Sieg des neuen Monarchen. Zwar die Monarchie ward nicht erst auf den Schlachtfeldern von Pharsalos und Thapsus festgestellt; sie durfte bereits sich datieren von dem Augenblick, wo Pompeius und Caesar im Bunde die Gesamtherrschaft begruendet und die bisherige aristokratische Verfassung ueber den Haufen geworfen hatten. Doch waren es erst jene Bluttaufen des 9. August 706 (48) und des 6. April 708 (46), die das dem Wesen der Alleinherrschaft widerstreitende Gesamtregiment beseitigten und der neuen Monarchie festen Bestand und foermliche Anerkennung verliehen. Praetendenteninsurrektionen und republikanische Verschwoerungen mochten nachfolgen und neue Erschuetterungen, vielleicht sogar neue Revolutionen und Restaurationen hervorrufen; aber die waehrend eines halben Jahrtausend ununterbrochene Kontinuitaet der freien Republik war durchrissen und im ganzen Umfang des weiten Roemischen Reiches durch die Legitimitaet der vollendeten Tatsache die Monarchie begruendet. Der verfassungsmaessige Kampf war zu Ende; und dass er zu Ende war, das sprach Marcus Cato aus, als er zu Utica sich in sein Schwert stuerzte. Seit vielen Jahren war er in dem Kampfe der legitimen Republik gegen ihre Bedraenger der Vormann gewesen; er hatte ihn fortgesetzt, lange nachdem jede Hoffnung zu siegen in ihm erloschen war. Jetzt aber war der Kampf selbst unmoeglich geworden; die Republik, die Marcus Brutus begruendet hatte, war tot und niemals wieder zum Leben zu erwecken; was sollten die Republikaner noch auf der Erde? Der Schatz war geraubt, die Schildwache damit abgeloest; wer konnte sie schelten, wenn sie heimging? Es ist mehr Adel und vor allem mehr Verstand in Catos Tode, als in seinem Leben gewesen war. Cato war nichts weniger als ein grosser Mann; aber bei all jener Kurzsichtigkeit, jener Verkehrtheit, jener duerren Langweiligkeit und jenen falschen Phrasen, die ihn, fuer seine wie fuer alle Zeit, zum Ideal des gedankenlosen Republikanertums und zum Liebling aller damit spielenden Individuen gestempelt haben, war er dennoch der einzige, der das grosse, dem Untergang verfallene System in dessen Agonie ehrlich und mutig vertrat. Darum, weil vor der einfaeltigen Wahrheit die kluegste Luege innerlich sich zernichtet fuehlt und weil alle Hoheit und Herrlichkeit der Menschennatur schliesslich nicht auf der Klugheit beruht, sondern auf der Ehrlichkeit, darum hat Cato eine groessere geschichtliche Rolle gespielt als viele an Geist ihm weit ueberlegene Maenner. Es erhoeht nur die tiefe und tragische Bedeutung seines Todes, dass er selber ein Tor war: eben weil Don Quichotte ein Tor ist, ist er ja eine tragische Gestalt. Es ist erschuetternd, dass auf jener Weltbuehne, darauf so viele grosse und weise Maenner gewandelt und gehandelt hatten, der Narr bestimmt war zu epilogieren. Auch ist er nicht umsonst gestorben. Es war ein furchtbar schlagender Protest der Republik gegen die Monarchie, dass der letzte Republikaner ging, als der erste Monarch kam; ein Protest, der all jene sogenannte Verfassungsmaessigkeit, mit welcher Caesar seine Monarchie umkleidete, wie Spinneweben zerriss und das Schibboleth der Versoehnung aller Parteien, unter dessen Aegide das Herrentum erwuchs, in seiner ganzen gleisnerischen Luegenhaftigkeit prostituierte. Der unerbittliche Krieg, den das Gespenst der legitimen Republik Jahrhunderte lang, von Cassius und Brutus an bis auf Thrasea und Tacitus, ja noch viel weiter hinab, gegen die Caesarische Monarchie gefuehrt hat - dieser Krieg der Komplotte und der Literatur ist die Erbschaft, die Cato sterbend seinem Feinde vermachte. Ihre ganze vornehme, rhetorisch transzendentale, anspruchsvoll strenge, hoffnungslose und bis zum Tode getreue Haltung hat diese republikanische Opposition von Cato uebernommen und dann auch den Mann, der im Leben nicht selten ihr Spott und ihr Aergernis gewesen war, schon unmittelbar nach seinem Tode als Heiligen zu verehren begonnen. Die groesste aber unter diesen Huldigungen war die unfreiwillige, die Caesar ihm erwies, indem er von der geringschaetzigen Milde, mit welcher er seine Gegner, Pompeianer wie Republikaner, zu behandeln gewohnt war, allein gegen Cato eine Ausnahme machte und noch ueber das Grab hinaus ihn mit demjenigen energischen Hasse verfolgte; welchen praktische Staatsmaenner zu empfinden pflegen gegen die auf dem idealen Gebiet, ihnen ebenso gefaehrlich wie unerreichbar, opponierenden Gegner. 11. Kapitel Die alte Republik und die neue Monarchie Der neue Monarch von Rom, der erste Herrscher ueber das ganze Gebiet roemisch-hellenischer Zivilisation, Gaius Iulius Caesar, stand im sechsundfuenfzigsten Lebensjahr (geb. 12. Juli 652 ? 102), als die Schlacht bei Thapsus, das letzte Glied einer langen Kette folgenschwerer Siege, die Entscheidung ueber die Zukunft der Welt in seine Haende legte. Weniger Menschen Spannkraft ist also auf die Probe gestellt worden wie die dieses einzigen schoepferischen Genies, das Rom, und des letzten, das die alte Welt hervorgebracht und in dessen Bahnen sie denn auch bis zu ihrem eigenen Untergange sich bewegt hat. Der Sproessling einer der aeltesten Adelsfamilien Latiums, welche ihren Stammbaum auf die Helden der Ilias und die Koenige Roms, ja auf die beiden Nationen gemeinsame Venus-Aphrodite zurueckfuehrte, waren seine Knabenund ersten Juenglingsjahre vergangen, wie sie der vornehmen Jugend jener Epoche zu vergehen pflegten. Auch er hatte von dem Becher des Modelebens den Schaum wie die Hefen gekostet, hatte rezitiert und deklamiert, auf dem Faulbett Literatur getrieben und Verse gemacht, Liebeshaendel jeder Gattung abgespielt und sich einweihen lassen in alle Rasier-, Frisierund Manschettenmysterien der damaligen Toilettenweisheit, sowie in die noch weit geheimnisvollere Kunst, immer zu borgen und nie zu bezahlen. Aber der biegsame Stahl dieser Natur widerstand selbst diesem zerfahrenen und windigen Treiben; Caesar blieb sowohl die koerperliche Frische ungeschwaecht wie die Spannkraft des Geistes und des Herzens. Im Fechten und im Reiten nahm er es mit jedem seiner Soldaten auf, und sein Schwimmen rettete ihm bei Alexandreia das Leben; die unglaubliche Schnelligkeit seiner gewoehnlich des Zeitgewinns halber naechtlichen Reisen - das rechte Gegenstueck zu der prozessionsartigen Langsamkeit, mit der Pompeius sich von einem Ort zum andern bewegte - war das Erstaunen seiner Zeitgenossen und nicht die letzte Ursache seiner Erfolge. Wie der Koerper war der Geist. Sein bewunderungswuerdiges Anschauungsvermoegen offenbarte sich in der Sicherheit und Ausfuehrbarkeit all seiner Anordungen, selbst wo er befahl, ohne mit eigenen Augen zu sehen. Sein Gedaechtnis war unvergleichlich und es war ihm gelaeufig, mehrere Geschaefte mit gleicher Sicherheit nebeneinander zu betreiben.: Obgleich Gentleman, Genie und Monarch hatte er dennoch ein Herz. Solange er lebte, bewahrte er fuer seine wuerdige Mutter Aurelia - der Vater starb ihm frueh - die reinste Verehrung; seinen Frauen und vor allem seiner Tochter Iulia widmete er eine ehrliche Zuneigung, die selbst auf die politischen Verhaeltnisse nicht ohne Rueckwirkung blieb. Mit den tuechtigsten und kernigsten Maennern seiner Zeit, hohen und niederen Ranges, stand er in einem schoenen Verhaeltnis gegenseitiger Treue, mit jedem nach seiner Art. Wie er selbst niemals einen der Seinen in Pompeius’ kleinmuetiger und gefuehlloser Art fallen liess und, nicht bloss aus Berechnung, in guter und boeser Zeit ungeirrt an den Freunden festhielt, so haben auch von diesen manche, wie Aulus Hirtius und Gaius Matius, noch nach seinem Tode ihm in schoenen Zeugnissen ihre Anhaenglichkeit bewahrt. Wenn in einer so harmonisch organisierten Natur ueberhaupt eine einzelne Seite als charakteristisch hervorgehoben werden kann, so ist es die, dass alle Ideologie und alles Phantastische ihm fern lag. Es versteht sich von selbst, dass Caesar ein leidenschaftlicher Mann war, denn ohne Leidenschaft gibt es keine Genialitaet; aber seine Leidenschaft war niemals maechtiger als er. Er hatte eine Jugend gehabt, und Lieder, Liebe und Wein waren auch in sein Gemuet in lebendigem Leben eingezogen; aber sie drangen ihm doch nicht bis in den innerlichsten Kern seines Wesens. :Die Literatur beschaeftigte ihn lange und ernstlich; aber wenn Alexandern der homerische Achill nicht schlafen liess, so stellte Caesar in seinen schlaflosen Stunden Betrachtungen ueber die Beugungen der lateinischen Hauptund Zeitwoerter an. Er machte Verse wie damals jeder, aber sie waren schwach; dagegen interessierten ihn astronomische und naturwissenschaftliche Gegenstaende. Wenn der Wein fuer Alexander der Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwaermter Jugendzeit der nuechterne Roemer denselben durchaus. Wie allen denen, die in der Jugend der volle Glanz der Frauenliebe umstrahlt hat, blieb ein Schimmer davon unvergaenglich auf ihm ruhen: noch in spaeteren Jahren begegneten ihm Liebesabenteuer und Erfolge bei Frauen und blieb ihm eine gewisse Stutzerhaftigkeit im aeusseren Auftreten oder richtiger das erfreuliche Bewusstsein der eigenen maennlich schoenen Erscheinung. Sorgfaeltig deckte er mit dem Lorbeerkranz, mit dem er in spaeteren Jahren oeffentlich erschien, die schmerzlich empfundene Glatze und haette ohne Zweifel manchen seiner Siege darum gegeben, wenn er damit die jugendlichen Locken haette zurueckkaufen koennen. Aber wie gern er auch noch als Monarch mit den Frauen verkehrte, so hat er doch nur mit ihnen gespielt und ihnen keinerlei Einfluss ueber sich eingeraeumt; selbst sein vielbesprochenes Verhaeltnis zu der Koenigin Kleopatra ward nur angesponnen, um einen schwacher Punkt in seiner politischen Stellung zu maskieren. Caesar war durchaus Realist und Verstandesmensch; und was er angriff und tat, war von der genialen Nuechternheit durchdrungen und getragen, die seine innerste Eigentuemlichkeit bezeichnet. Ihr verdankte er das Vermoegen, unbeirrt durch Erinnern und Erwarten energisch im Augenblick zu leben; ihr die Faehigkeit, in jedem Augenblick mit gesammelter Kraft zu handeln und auch dem kleinsten und beilaeufigsten Beginnen seine volle Genialitaet zuzuwenden; ihr die Vielseitigkeit, mit der er erfasste und beherrschte, was der Verstand begreifen und der Wille zwingen kann; ihr die sichere Leichtigkeit, mit der er seine Perioden fuegte, wie seine Feldzuege entwarf; ihr die "wunderbare Heiterkeit", die in guten und boesen Tagen ihm treu blieb; ihr die vollendete Selbstaendigkeit, die keinem Liebling und keiner Maetresse, ja nicht einmal dem Freunde Gewalt ueber sich gestattete. Aus dieser Verstandesklarheit ruehrt es aber auch her, dass Caesar sich ueber die Macht des Schicksals und das Koennen des Menschen niemals Illusionen machte; fuer ihn war der holde Schleier gehoben, der dem Menschen die Unzulaenglichkeit seines Wirkens verdeckt. Wie klug er auch plante und alle Moeglichkeiten bedachte, das Gefuehl wich doch nie aus seiner Brust, dass in allen Dingen das Glueck, das heisst der Zufall das gute Beste tun muesse; und damit mag es denn auch zusammenhaengen, dass er so oft dem Schicksal Paroli geboten und namentlich mit verwegener Gleichgueltigkeit seine Person wieder und wieder auf das Spiel gesetzt hat. Wie ja wohl ueberwiegend verstaendige Menschen in das reine Hasardspiel sich fluechten, so war auch in Caesars Rationalismus ein Punkt, wo er mit dem Mystizismus gewissermassen sich beruehrte. Aus einer solchen Anlage konnte nur ein Staatsmann hervorgehen. Von frueher Jugend an war denn auch Caesar ein Staatsmann im tiefsten Sinne des Wortes und sein Ziel das hoechste, das dem Menschen gestattet ist sich zu stecken: die politische, militaerische, geistige und sittliche Wiedergeburt der tiefgesunkenen eigenen und der noch tiefer gesunkenen, mit der seinigen innig verschwisterten hellenischen Nation. Die harte Schule dreissigjaehriger Erfahrungen aenderte seine Aerasichten ueber die Mittel, wie dies Ziel zu erreichen sei; das Ziel blieb ihm dasselbe in den Zeiten hoffnungsvoller Erniedrigung wie unbegrenzter Machtvollkommenheit, in den Zeiten, wo er als Demagog und Verschworener auf dunklen Wegen zu ihm hinschlich, wie da er als Mitinhaber der hoechsten Gewalt und sodann als Monarch vor den Augen einer Welt im vollen Sonnenschein an seinem Werke schuf. Alle zu den verschiedensten Zeiten von ihm ausgegangenen Massregeln bleibender Art ordnen in den grossen Bauplan zweckmaessig sich ein. Von einzelnen Leistungen Caesars sollte darum eigentlich nicht geredet werden; er hat nichts Einzelnes geschaffen. Mit Recht ruehmt man den Redner Caesar wegen seiner aller Advokatenkunst spottenden maennlichen Beredsamkeit, die wie die klare Flamme zugleich erleuchtete und erwaermte. Mit Recht bewundert man an dem Schriftsteller Caesar die unnachahmliche Einfachheit der Komposition, die einzige Reinheit und Schoenheit der Sprache. Mit Recht haben die groessten Kriegsmeister aller Zeiten den Feldherrn Caesar gepriesen, der wie kein anderer ungeirrt von Routine und Tradition immer diejenige Kriegfuehrung zu finden wusste, durch welche in dem gegebenen Falle der Feind besiegt wird und welche also in dem gegebenen Falle die rechte ist; der mit divinatorischer Sicherheit fuer jeden Zweck das rechte Mittel fand; der nach der Niederlage schlagfertig dastand, wie Wilhelm von Oranien, und mit dem Siege ohne Ausnahme den Feldzug beendigte; der das Element der Kriegfuehrung, dessen Behandlung das militaerische Genie von der gewoehnlichen Offiziertuechtigkeit unterscheidet, die rasche Bewegung der Massen mit unuebertroffener Vollkommenheit handhabte und nicht in der Massenhaftigkeit der Streitkraefte, sondern in der Geschwindigkeit ihrer Bewegung, nicht im langen Vorbereiten, sondern im raschen, ja verwegenen Handeln, selbst mit unzulaenglichen Mitteln, die Buergschaft des Sieges fand. Allein alles dieses ist bei Caesar nur Nebensache; er war zwar ein grosser Redner, Schriftsteller und Feldherr, aber jedes davon ist er nur geworden, weil er ein vollendeter Staumann war. Namentlich spielt der Soldat in ihm eine durchaus beilaeufige Rolle, und es ist eine der hauptsaechlichsten Eigentuemlichkeiten, die ihn von Alexander, Hannibal und Napoleon unterscheidet, dass in ihm nicht der Offizier, sondern der Demagog der Ausgangspunkt der politischen Taetigkeit war. Seinem urspruenglichsten Plan zufolge hatte er sein Ziel wie Perikles und Gaius Gracchus ohne Waffengewalt zu erreichen gedacht, und achtzehn Jahre hindurch hatte er als Fuehrer der Popularpartei ausschliesslich in politischen Plaenen und Intrigen sich bewegt, bevor er, ungern sich ueberzeugend von der Notwendigkeit eines militaerischen Rueckhalts, schon ein Vierziger, an die Spitze einer Armee trat. Es war erklaerlich, dass er auch spaeterhin immer noch mehr Staatsmann blieb als General - aehnlich wie Cromwell, der auch aus dem Oppositionsfuehrer zum Militaerchef und Demokratenkoenig sich umschuf und der ueberhaupt, wie wenig der Puritanerfuerst dem lockeren Roemer zu gleichen scheint, doch in seiner Entwicklung wie in seinen Zielen und Erfolgen vielleicht unter allen Staatsmaennern Caesar am naechsten verwandt ist. Selbst in seiner Kriegfuehrung ist diese improvisierte Feldherrnschaft noch wohl zu erkennen; in Napoleons Unternehmungen gegen Aegypten und gegen England ist der zum Feldherrn aufgediente Artillerieleutnant nicht deutlicher sichtbar wie in den gleichartigen Caesars der zum Feldherrn metamorphosierte Demagog. Ein geschulter Offizier wuerde es schwerlich fertig gebracht haben, aus politischen Ruecksichten nicht durchaus zwingender Natur die gegruendetsten militaerischen Bedenken in der Art beiseite zu schieben, wie dies Caesar mehrmals, am auffallendsten bei seiner Landung in Epirus getan hat. Einzelne seiner Handlungen sind darum militaerisch tadelhaft; aber der Feldherr verliert nur, was der Staatsmann gewinnt. Die Aufgabe des Staatsmanns ist universeller Natur wie Caesars Genie: wenn er die vielfaeltigsten und voneinander entlegensten Dinge angriff, so gingen sie doch alle ohne Ausnahme zurueck auf das eine grosse Ziel, dem er mit unbedingter Treue und Folgerichtigkeit diente; und nie hat er von den vielfaeltigen Seiten und Richtgen seiner grossen Taetigkeit eine vor der andern bevorzugt. Obwohl ein Meister der Kriegskunst, hat er doch aus staatsmaennischen Ruecksichten das Aeusserste getan, um den Buergerkrieg abzuwenden und um, da er dennoch begann, wenigstens so unblutige Lorbeeren wie moeglich zu ernten. Obwohl der Begruender der Militaermonarchie, hat er doch mit einer in der Geschichte beispiellosen Energie weder Marschallshierarchie noch Praetorianerregiment aufkommen lassen. Wenn ueberhaupt eine Seite der buergerlichen Verdienste, so wurden von ihm vielmehr die Wissenschafter, und die Kuenste des Friedens vor den militaerischen bevorzugt. Die bemerkenswerteste Eigentuemlichkeit seines staatsmaennischen Schaffens ist dessen vollkommene Harmonie. In der Tat waren alle Bedingungen zu dieser schwersten aller menschlichen Leistungen in Caesar vereinigt. Durch und durch Realist, liess er die Bilder der Vergangenheit und die ehrwuerdige Tradition nirgends sich anfechten: ihm galt nichts in der Politik als die lebendige Gegenwart und das verstaendige Gesetz, ebenwie er, auch als Grammatiker die historischantiquarische Forschung beiseite schob und nichts anerkannte als einerseits den lebendigen Sprachgebrauch, andererseits die Regel der Gleichmaessigkeit Ein geborener Herrscher, regierte er die Gemueter der Menschen, wie der Wind die Wolken zwingt, und noetigte die verschiedenartigsten Naturen, ihm sich zu eigen zu geben, den schlichten Buerger und den derben Unteroffizier, die vornehmen Damen Roms und die schoenen Fuerstinnen Aegyptens und Mauretaniens, den glaenzenden Kavalleriegeneral und den kalkulierenden Bankier. Sein Organisationstalent ist wunderbar; nie hat ein Staatsmann seine Buendnisse, nie ein Feldherr seine Armee aus ungefuegen und widerstrebenden Elementen so entschieden zusammengezwungen und so fest zusammengehalten wie Caesar seine Koalitionen und seine Legionen; nie ein Regent mit so scharfem Blick seine Werkzeuge beurteilt und ein jedes an den ihm angemessenen Platz gestellt. Er war Monarch; aber nie hat er den Koenig gespielt. Auch als unumschraenkter Herr von Rom blieb er in seinem Auftreten der Parteifuehrer; vollkommen biegsam und geschmeidig, bequem und anmutig in der Unterhaltung, zuvorkommend gegen jeden, schien er nichts sein zu wollen als der Erste unter seinesgleichen. Den Fehler so vieler ihm sonst ebenbuertiger Maenner, den militaerischen Kommandoton auf die Politik zu uebertragen, hat Caesar durchaus vermieden; wie vielen Anlass das verdriessliche Verhaeltnis zum Senat ihm auch dazu gab, er hat nie zu Brutalitaeten gegriffen, wie die des achtzehnten Brumaire eine war. Caesar war Monarch; aber nie hat ihn der Tyrannenschwindel erfasst. Er ist vielleicht der einzige unter den Gewaltigen des Herrn, welcher im grossen wie im kleinen nie nach Neigung oder Laune, sondern ohne Ausnahme nach seiner Regentenpflicht gehandelt hat, und der, wenn er auf sein Leben zuruecksah, wohl falsche Rechnungen zu bedauern, aber keinen Fehltritt der Leidenschaft zu bereuen fand. Es ist nichts in Caesars Lebensgeschichte, das auch nur im kleinen ^1 sich vergleichen liesse mit jenen poetisch-sinnlichen Aufwallungen, mit der Ermordung des Kleitos oder dem Brand von Persepolis, welche die Geschichte von seinem grossen Vorgaenger im Osten berichtet. Er ist endlich vielleicht der einzige unter jenen Gewaltigen, der den staatsmaennischen Takt fuer das Moegliche und Unmoegliche bis an das Ende seiner Laufbahn sich bewahrt hat und nicht gescheitert ist an derjenigen Aufgabe, die fuer grossartig angelegte Naturen von allen die schwerste ist, an der Aufgabe, auf der Zinne des Erfolgs dessen natuerliche Schranken zu erkennen. Was moeglich war, hat er geleistet und nie um des unmoeglichen Besseren willen das moegliche Gute unterlassen, nie es verschmaeht, unheilbare Uebel durch Palliative wenigstens zu lindern. Aber wo er erkannte, dass das Schicksal gesprochen, hat er immer gehorcht. Alexander am Hypanis, Napoleon in Moskau kehrten um, weil sie mussten, und zuernten dem Geschick, dass es auch seinen Lieblingen nur begrenzte Erfolge goennt; Caesar ist an der Themse und am Rhein freiwillig zurueckgegangen und gedachte auch an der Donau und am Euphrat nicht ungemessene Plaene der Weltueberwindung, sondern bloss wohlerwogene Grenzregulierungen ins Werk zu setzen. ---------------------------------------------- ^1 Wenn der Handel mit Laberius, den der bekannte Prolog erzaehlt, als ein Beispiel von Caesars Tyrannenlaunen angefuehrt worden ist, so hat man die Ironie der Situation wie des Dichters gruendlich verkannt; ganz abgesehen von der Naivitaet, den sein Honorar bereitwillig einstreichenden Poeten als Maertyrer zu behandeln. ---------------------------------------------- So war dieser einzige Mann, den zu schildern so leicht scheint und doch so unendlich schwer ist. Seine ganze Natur ist durchsichtige Klarheit; und die Ueberlieferung bewahrt ueber ihn ausgiebigere und lebendigere Kunde als ueber irgendeinen seiner Pairs in der antiken Welt. Eine solche Persoenlichkeit konnte wohl flacher oder tiefer, aber nicht eigentlich verschieden aufgefasst werden; jedem nicht ganz verkehrten Forscher ist das hohe Bild mit denselben wesentlichen Zuegen erschienen, und doch ist dasselbe anschaulich wiederzugeben noch keinem gelungen. Das Geheimnis liegt in dessen Vollendung. Menschlich wie geschichtlich steht Caesar in dem Gleichungspunkt, in welchem die grossen Gegensaetze des Daseins sich ineinander aufheben. Von gewaltiger Schoepferkraft und doch zugleich vom durchdringendsten Verstande; nicht mehr Juengling und noch nicht Greis; vom hoechsten Wollen und vom hoechsten Vollbringen; erfuellt von republikanischen Idealen und zugleich geboren zum Koenig; ein Roemer im tiefsten Kern seines Wesens und wieder berufen, die roemische und die hellenische Entwicklung in sich wie nach aussen hin zu versoehnen und zu vermaehlen, ist Caesar der ganze und vollstaendige Mann. Darum fehlt es denn auch bei ihm mehr als bei irgendeiner anderen geschichtlichen Persoenlichkeit an den sogenannten charakteristischen Zuegen, welche ja doch nichts anderes sind als Abweichungen von der naturgemaessen menschlichen Entwicklung. Was dem ersten oberflaechlichen Blick dafuer gilt, zeigt sich bei naeherer Betrachtung nicht als Individualitaet, sondern als Eigentuemlichkeit der Kulturepoche oder der Nation; wie denn seine Jugendabenteuer ihm mit allen gleichgestellten begabteren Zeitgenossen gemein sind, sein unpoetisches, aber energisch logisches Naturell das Naturell der Roemer ueberhaupt ist. Es gehoert dies mit zu Caesars voller Menschlichkeit, dass er im hoechsten Grade durch Zeit und Ort bedingt ward; denn eine Menschlichkeit an sich gibt es nicht, sondern der lebendige Mensch kann eben nicht anders als in einer gegebenen Volkseigentuemlichkeit und in einem bestimmten Kulturzug stehen. Nur dadurch war Caesar ein voller Mann, weil er wie kein anderer mitten in die Stroemungen seiner Zeit sich gestellt hatte und weil er die kernige Eigentuemlichkeit der roemischen Nation, die reale buergerliche Tuechtigkeit vollendet wie kein anderer in sich trug; wie denn auch sein Hellenismus nur der mit der italischen Nationalitaet laengst innig verwachsene war. Aber eben hierin liegt auch die Schwierigkeit, man darf vielleicht sagen die Unmoeglichkeit, Caesar anschaulich zu schildern. Wie der Kuenstler alles machen kann, nur nicht die vollendete Schoenheit, so kann auch der Geschichtschreiber, wo ihm alle tausend Jahre einmal das Vollkommene begegnet, nur darueber schweigen. Denn es laesst die Regel wohl sich aussprechen, aber sie gibt uns nur die negative Vorstellung von der Abwesenheit des Mangels; das Geheimnis der Natur, in ihren vollendetsten Offenbarungen Normalitaet und Individualitaet miteinander zu verbinden, ist unaussprechlich. Uns bleibt nichts, als diejenigen gluecklich zu preisen, die dieses Vollkommene schauten, und eine Ahnung desselben aus dem Abglanz zu gewinnen, der auf den von dieser grossen Natur geschaffenen Werken unvergaenglich ruht. Zwar tragen auch diese den Stempel der Zeit. Der roemische Mann selbst stellte seinem jugendlichen griechischen Vorgaenger nicht bloss ebenbuertig, sondern ueberlegen sich an die Seite; aber die Welt war inzwischen alt geworden und ihr Jugendschimmer verblasst. Caesars Taetigkeit ist nicht mehr wie die Alexanders ein freudiges Vorwaertsstreben in die ungemessene Weite; er baute auf und aus Ruinen und war zufrieden, in den einmal angewiesenen weiten, aber begrenzten Raeumen moeglichst ertraeglich und moeglichst sicher sich einzurichten. Mit Recht hat denn auch der feine Dichtertakt der Voelker um den unpoetischen Roemer sich nicht bekuemmert und dagegen den Sohn des Philippos mit allem Goldglanz der Poesie, mit allen Regenbogenfarben der Sage bekleidet. Aber mit gleichem Recht hat das staatliche Leben der Nationen seit Jahrtausenden wieder und wieder auf die Linien zurueckgelenkt, die Caesar gezogen hat, und wenn die Voelker, denen die Welt gehoert, noch heute mit seinem Namen die hoechsten ihrer Monarchen nennen, so liegt darin eine tiefsinnige, leider auch eine beschaemende Mahnung. Wenn es gelingen sollte, aus den alten in jeder Hinsicht heillosen Zustaenden herauszukommen und das Gemeinwesen zu verjuengen, so musste vor allen Dingen das Land tatsaechlich beruhigt und der Boden von den Truemmern, die von der letzten Katastrophe her ueberall ihn bedeckten, gesaeubert werden. Caesar ging dabei aus von dem Grundsatz der Versoehnung der bisherigen Parteien oder, richtiger gesagt - denn von wirklicher Ausgleichung kann bei unversoehnlichen Gegensaetzen nicht gesprochen werden -, von dem Grundsatz, dass der Kampfplatz, auf dem die Nobilitaet und die Popularen bisher miteinander gestritten hatten, von beiden Teilen aufzugeben sei und beide auf dem Boden der neuen monarchischen Verfassung sich zusammenzufinden haetten. Vor allen Dingen also galt aller aeltere Hader der republikanischen Vergangenheit als abgetan fuer immer und ewig. Waehrend Caesar die auf die Nachricht von der Pharsalischen Schlacht von dem hauptstaedtischen Poebel umgestuerzten Bildsaeulen Sullas wiederaufzurichten befahl und also es anerkannte, dass ueber diesen grossen Mann einzig der Geschichte Gericht zu halten gebuehre, hob er zugleich die letzten noch nachwirkenden Folgen seiner Ausnahmegesetze auf, rief die noch von den cinnanischen und sertorianischen Wirren her Verbannten aus dem Exil zurueck und gab den Kindern der von Sulla Geaechteten die verlorene passive Wahlfaehigkeit wieder. Ebenso wurden alle diejenigen restituiert, die in dem vorbereitenden Stadium der letzten Katastrophe durch Zensorenspruch oder politischen Prozess, namentlich durch die auf Grund der Exzeptionalgesetze von 702 (52) erhobenen Anklagen, ihren Sitz im Senat oder ihre buergerliche Existenz eingebuesst hatten. Nur blieben, wie billig, diejenigen, die Geaechtete fuer Geld getoetet hatten, auch ferner bescholten und ward der verwegenste Condottiere der Senatspartei, Milo, von der allgemeinen Begnadigung ausgeschlossen. Weit schwieriger als die Ordnung dieser im wesentlichen bereits der Vergangenheit anheimgefallenen Fragen war die Behandlung der im Augenblick sich gegenueberstehenden Parteien: teils des eigenen demokratischen Anhangs Caesars, teils der gestuerzten Aristokratie. Dass jener mit Caesars Verfahren nach dem Sieg und mit seiner Aufforderung, den alten Parteistandpunkt aufzugeben, womoeglich noch minder einverstanden war als diese, versteht sich von selbst. Caesar selbst wollte wohl im ganzen dasselbe, was Gaius Gracchus im Sinne getragen hatte; allein die Absichten der Caesarianer waren nicht mehr die der Gracchaner. Die roemische Popularpartei war in immer steigender Progression aus der Reform in die Revolution, aus der Revolution in die Anarchie, aus der Anarchie in den Krieg gegen das Eigentum gedraengt worden; sie feierte unter sich das Andenken der Schreckensherrschaft und schmueckte, wie einst der Gracchen, so jetzt des Catilina Grab mit Blumen und Kraenzen; sie hatte unter Caesars Fahne sich gestellt, weil sie von ihm das erwartete, was Catilina ihr nicht hatte verschaffen koennen. Als nun aber sehr bald sich herausstellte, dass Caesar nichts weniger sein wollte als der Testamentsvollstrecker Catilinas, dass die Verschuldeten von ihm hoechstens Zahlungserleichterungen und Prozessmilderungen zu hoffen hatten, da ward die erbitterte Frage laut, fuer wen denn die Volkspartei gesiegt habe, wenn nicht fuer das Volk? und fing das vornehme und niedere Gesindel dieser Art vor lauter Aerger ueber die fehlgeschlagenen politisch-oekonomischen Saturnalien erst an, mit den Pompeianern zu liebaeugeln, dann sogar waehrend Caesars fast zweijaehriger Abwesenheit von Italien (Januar 706 48 bis Herbst 707 47) daselbst einen Buergerkrieg im Buergerkriege anzuzetteln. Der Praetor Marcus Caelius Rufus, ein guter Adliger und schlechter Schuldenbezahler, von einigem Talent und vieler Bildung, als ein heftiger und redefertiger Mann bisher im Senat und auf dem Markte einer der eifrigsten Vorkaempfer fuer Caesar, brachte, ohne hoeheren Auftrag, bei dem Volke ein Gesetz ein, das den Schuldnern ein sechsjaehriges zinsfreies Moratorium gewaehrte, sodann, da man ihm hierbei in den Weg trat, ein zweites, das gar alle Forderungen aus Darlehen und laufenden Hausmieten kassiert; worauf der Caesarische Senat ihn seines Amtes entsetzte. Es war eben die Zeit vor der Pharsalischen Schlacht, und die Waagschale in dem grossen Kampfe schien sich auf die Seite der Pompeianer zu neigen; Rufus trat mit dem alten senatorischen Bandenfuehrer Milo in Verbindung und beide stifteten eine Konterrevolution an, die teils die republikanische Verfassung, teils Kassation der Forderungen und Freierklaerung der Sklaven auf ihr Panier schrieb. Milo verliess seinen Verbannungsort Massalia und rief in der Gegend von Thurii die Pompeianer und die Hirtensklaven unter die Waffen; Rufus machte Anstalt, sich durch bewaffnete Sklaven der Stadt Capua zu bemaechtigen. Allein der letztere Plan ward vor der Ausfuehrung entdeckt und durch die capuanische Buergerwehr vereitelt; Quintus Pedius, der mit einer Legion in das thurinische Gebiet einrueckte, zerstreute die daselbst hausende Bande; und der Fall der beiden Fuehrer machte dem Skandal ein Ende (706 48). Dennoch fand sich das Jahr darauf (707 47) ein zweiter Tor, der Volkstribun Publius Dolabella, der, gleich verschuldet, aber ungleich weniger begabt als sein Vorgaenger, dessen Gesetz ueber die Forderungen und Hausmieten abermals einbrachte und mit seinem Kollegen Lucius Trebellius darueber noch einmal - es war das letzte Mal - den Demagogenkrieg begann; es gab arge Haendel zwischen den, beiderseitigen bewaffneten Banden und vielfachen Strassenlaerm, bis der Kommandant von Italien, Marcus Antonius, das Militaer einschreiten liess und bald darauf Caesars Rueckkehr aus dem Osten dem tollen Treiben vollstaendig ein Ziel setzte. Caesar legte diesen hirnlosen Versuchen, die Catilinarischen Projekte wieder aufzuwaermen, so wenig Gewicht bei, dass er selbst den Dolabella in Italien duldete, ja nach einiger Zeit ihn sogar wieder zu Gnaden annahm. Gegen solches Gesindel, dem es nicht um irgend welche politische Frage, sondern einzig um den Krieg gegen das Eigentum zu, tun ist, genuegt, wie gegen die Raeuberbanden, das blosse Dasein einer starken Regierung; und Caesar war zu gross und zu besonnen, um mit der Angst, die die italischen Trembleurs vor diesen damaligen Kommunisten empfanden, Geschaefte zu machen und damit seiner Monarchie eine falsche Popularitaet zu erschwindeln. Wenn Caesar also die gewesene demokratische Partei ihrem schon bis an die aeusserste Grenze vorgeschrittenen Zersetzungsprozess ueberlassen konnte und ueberliess, so hatte er dagegen gegenueber der bei weitem lebenskraeftigeren ehemaligen aristokratischen Partei durch die gehoerige Verbindung des Niederdrueckens und des Entgegenkommens die Aufloesung nicht herbeizufuehren - dies vermochte nur die Zeit - sondern sie vorzubereiten und einzuleiten. Es war das wenigste, dass Caesar, schon aus natuerlichem Anstandsgefuehl, es vermied, die gestuerzte Partei durch leeren Hohn zu erbittern, ueber die besiegten Mitbuerger nicht triumphierte ^2, des Pompeius oft und immer mit Achtung gedachte und sein vom Volke umgestuerztes Standbild am Rathaus bei der Herstellung des Gebaeudes an dem frueheren ausgezeichneten Platze wiederum errichten liess. Der politischen Verfolgung nach dem Siege steckte Caesar die moeglichst engen Grenzen. Es fand keine Untersuchung statt ueber die vielfachen Verbindungen, die die Verfassungspartei auch mit nominellen Caesarianern gehabt hatte; Caesar warf die in den feindlichen Hauptquartieren von Pharsalos und Thapsus vorgefundenen Papierstoesse ungelesen ins Feuer und verschonte sich und das Land mit politischen Prozessen gegen des Hochverrats verdaechtige Individuen. Ferner gingen straffrei aus alle gemeinen Soldaten, die ihren roemischen oder provinzialen Offizieren in den Kampf gegen Caesar gefolgt waren. Eine Ausnahme ward nur gemacht mit denjenigen roemischen Buergern, die in dem Heere des numidischen Koenigs Juba Dienste genommen hatten; ihnen wurde zur Strafe des Landesverrates das Vermoegen eingezogen. Auch den Offizieren der besiegten Partei hatte Caesar bis zum Ausgang des spanischen Feldzugs 705 (49) uneingeschraenkte Begnadigung gewaehrt; allein er ueberzeugte sich, dass er hiermit zu weit gegangen und dass die Beseitigung wenigstens der Haeupter unvermeidlich sei. Die Regel, die er von jetzt an zur Richtschnur nahm, war, dass wer nach der Kapitulation von Ilerda im feindlichen Heere als Offizier gedient oder im Gegensenat gesessen hatte, wenn er das Ende des Kampfes erlebte, sein Vermoegen und seine politischen Rechte verlor und fuer Lebenszeit aus Italien verbannt ward, wenn er das Ende des Kampfes nicht erlebte, wenigstens sein Vermoegen an den Staat fiel, wer aber von diesen frueher von Caesar Gnade angenommen hatte und abermals in den feindlichen Reihen betroffen ward, damit das Leben verwirkt hatte. In der Ausfuehrung indes wurden diese Saetze wesentlich gemildert. Todesurteile wurden nur gegen die wenigsten unter den zahlreichen Rueckfaelligen wirklich vollstreckt. Bei der Konfiskation des Vermoegens der Gefallenen wurden nicht nur die auf den einzelnen Massen haftenden Schulden sowie die Mitgiftforderungen der Witwen wie billig ausgezahlt, sondern auch den Kindern der Toten ein Teil des vaeterlichen Vermoegens gelassen. Von denjenigen endlich, die jenen Regeln zufolge Verbannung und Vermoegenskonfiskation traf, wurden nicht wenige sogleich ganz begnadigt oder kamen, wie die zu Mitgliedern des Senats von Utica gepressten afrikanischen Grosshaendler, mit Geldbussen davon. Aber auch den uebrigen ward fast ohne Ausnahme Freiheit und Vermoegen zurueckgegeben, wenn sie nur es ueber sich gewannen, deshalb bittend bei Caesar einzukommen; manchem, der dessen sich weigerte, wie zum Beispiel dem Konsular Marcus Marcellus, ward die Begnadigung auch ungebeten oktroyiert und endlich im Jahre 710 (44) fuer alle noch nicht Zurueckberufenen eine allgemeine Amnestie erlassen. ------------------------------------------------------- ^2 Auch der Triumph nach der spaeter zu erzaehlenden Schlacht bei Munda galt wohl nur den zahlreich in dem besiegten Heer dienenden Lusitanern. -------------------------------------------------------- Die republikanische Opposition liess sich denn begnadigen; aber sie war nicht versoehnt. Unzufriedenheit mit der neuen Ordnung der Dinge und Erbitterung gegen den ungewohnten Herrscher waren allgemein. Zu offenem politischen Widerstand gab es freilich keine Gelegenheit mehr - es kam kaum in Betracht, dass einige oppositionelle Tribune bei Gelegenheit der Titelfrage durch demonstratives Einschreiten gegen die, welche Caesar Koenig genannt hatten, sich die republikanische Maertyrerkrone erwarben; aber um so entschiedener aeusserte der Republikanismus sich als Gesinnungsopposition und im geheimen Treiben und Wuehlen. Keine Hand regte sich, wenn der Imperator oeffentlich erschien. Es regnete Maueranschlaege und Spottverse voll bitterer und treffender Volkssatire gegen die neue Monarchie. Wo ein Schauspieler eine republikanische Anspielung wagte, begruesste ihn der lauteste Beifall. Catos Lob und Preis war das Modethema der oppositionellen Broschuerenschreiber, und die Schriften derselben fanden nur ein um so dankbareres Publikum, weil auch die Literatur nicht mehr frei war. Caesar bekaempfte zwar auch jetzt noch die Republikaner auf dem eigenen Gebiet; er selbst und seine faehigeren Vertrauten antworteten auf die Catoliteratur mit Anticatonen, und es ward zwischen den republikanischen und den Caesarischen Skribenten um den toten Mann von Utica gestritten wie zwischen Troern und Hellenen um die Leiche des Patroklos; allein es verstand sich von selbst, dass in diesem Kampfe, in dem das durchaus republikanisch gestimmte Publikum Richter war, die Caesarianer den kuerzeren zogen. Es blieb nichts uebrig, als die Schriftsteller zu terrorisieren; weshalb denn unter den Verbannten die literarisch bekannten und gefaehrlichen Maenner, wie Publius Nigidius Figulus und Aulus Caecina, schwerer als andere die Erlaubnis zur Rueckkehr nach Italien erhielten, die in Italien geduldeten oppositionellen Schriftsteller aber einer tatsaechlichen Zensur unterworfen wurden, die um so peinlicher fesselte, weil das Mass der zu befuerchtenden Strafe durchaus arbitraer war ^3. Das Wuehlen und Treiben der gestuerzten Parteien gegen die neue Monarchie wird zweckmaessiger in einem andern Zusammenhang dargestellt werden; hier genuegt es zu sagen, dass Praetendentenwie republikanische Aufstaende unaufhoerlich im ganzen Umfange des Roemischen Reiches gaerten, dass die Flamme des Buergerkrieges, bald von den Pompeianern, bald von den Republikanern angefacht, an verschiedenen Orten hell wieder emporschlug und in der Hauptstadt die Verschwoerung gegen das Leben des Herrschers in Permanenz blieb, Caesar aber durch die Anschlaege sich nicht einmal bewegen liess, auf die Dauer sich mit einer Leibwache zu umgeben und in der Regel sich begnuegte, die entdeckten Konspirationen durch oeffentliche Anschlaege bekannt zu machen. Wie sehr Caesar alle seine persoenliche Sicherheit angehenden Dinge mit gleichgueltiger Verwegenheit zu behandeln pflegte, die ernste Gefahr konnte er doch sich unmoeglich verhehlen, mit der diese Masse Missvergnuegter nicht bloss ihn, sondern auch seine Schoepfungen bedrohte. Wenn er dennoch, alles Warnens und Hetzens seiner Freunde nicht achtend, ohne ueber die Unversoehnlichkeit auch der begnadigten Gegner sich zu taeuschen, mit einer wunderbar kaltbluetigen Energie dabei beharrte, der bei weitem groesseren Anzahl derselben zu verzeihen, so war dies weder ritterliche Hochherzigkeit einer stolzen, noch Gefuehlsmilde einer weichen Natur, sondern es war die richtige staatsmaennische Erwaegung, dass ueberwundene Parteien rascher und mit minderem Schaden fuer den Staat innerhalb des Staats sich absorbieren, als wenn man sie durch Aechtung auszurotten oder durch Verbannung aus dem Gemeinwesen auszuscheiden versucht. Caesar konnte fuer seine hohen Zwecke die Verfassungspartei selbst nicht entbehren, die ja nicht etwa bloss die Aristokratie, sondern alle Elemente des Freiheitsund des Nationalsinns innerhalb der italischen Buergerschaft in sich schloss; fuer seine Plaene zur Verjuengung des alternden Staats bedurfte er der ganzen Masse von Talenten, Bildung, ererbtem und selbsterworbenem Ansehen, die diese Partei in sich schloss; und wohl in diesem Sinne mag er die Begnadigung der Gegner den schoensten Lohn des Siegs genannt haben. So wurden denn z
war die hervorragendsten Spitzen der geschlagenen Parteien beseitigt; aber den Maennern zweiten und dritten Ranges und namentlich der juengeren Generation ward die volle Begnadigung nicht vorenthalten, jedoch ihnen auch nicht gestattet, in passiver Opposition zu schmollen, sondern dieselben durch mehr oder minder gelinden Zwang veranlasst, sich an der neuen Verwaltung taetig zu beteiligen und Ehren und Aemter von ihr anzunehmen. Wie fuer Heinrich IV. und Wilhelm von Oranien so begannen auch fuer Caesar die groessten Schwierigkeiten erst nach dem Siege. Jeder revolutionaere Sieger macht die Erfahrung, dass, wenn er nach Ueberwaeltigung der Gegner nicht, wie Cinna und Sulla, Parteihaupt bleibt, sondern wie Caesar, wie Heinrich IV. und Wilhelm von Oranien, an die Stelle des notwendig einseitigen Parteiprogramms die Wohlfahrt des Gemeinwesens setzen will, augenblicklich alle Parteien, die eigene wie die besiegt, sich gegen das neue Oberhaupt vereinigen; und um so mehr, je groesser und reiner dasselbe seinen neuen Beruf auffasst. Die Verfassungsfreunde und die Pompeianer, wenn sie auch mit den Lippen Caesar huldigten, grollten doch im Herzen entweder der Monarchie oder wenigstens der Dynastie; die gesunkene Demokratie war, seit sie begriffen, dass Caesars Zwecke keineswegs die ihrigen waren, gegen denselben in offenem Aufruhr; selbst die persoenlichen Anhaenger Caesars murrten, als sie ihr Haupt statt eines Condottierstaats eine allen gliche und gerechte Monarchie gruenden und die auf sie treffenden Gewinnportionen durch das Hinzutreten der Besiegten sich verringern sahen. Diese Ordnung des Gemeinwesens war keiner Partei genehm und musste den Genossen nicht minder als den Gegnern oktroyiert werden. Caesars eigene Stellung war jetzt in gewissem Sinne gefaehrdeter als vor dem Siege; aber was er verlor, gewann der Staat. Indem er die Parteien vernichtete und die Parteimaenner nicht bloss schonte, sondern jeden Mann von Talent oder auch nur von guter Herkunft, ohne Ruecksicht auf seine politische Vergangenheit, zu Aemtern gelangen liess, gewann er nicht bloss fuer seinen grossen Bau alle im Staate vorhandene Arbeitskraft, sondern das freiwillige oder gezwungene Schaffen der Maenner aller Parteien an demselben Werke fuehrte auch unmerklich die Nation hinueber auf den neubereiteten Boden. Wenn diese Ausgleichung der Parteien fuer den Augenklick nur aeusserlicher Art war und dieselben sich fuer jetzt viel weniger in der Anhaenglichkeit an die neuen Zustaende begegneten als in dem Hasse gegen Caesar, so irrte dies ihn nicht; er wusste es wohl, dass die Gegensaetze doch in solcher aeusserlichen Vereinigung sich abstumpfen und dass nur auf diesem Wege der Staatsmann der Zeit vorarbeitet, welche freilich allein vermag, solchen Hader schliesslich zu suehnen, indem sie das alte Geschlecht ins Grab legt. Noch weniger fragte er, wer ihn hasste oder auf Mord gegen ihn sann. Wie jeder echte Staatsmann diente er dem Volke nicht um Lohn, auch nicht um den Lohn seiner Liebe, sondern gab die Gunst der Zeitgenossen hin fuer den Segen der Zukunft und vor allem fuer die Erlaubnis, seien Nation retten und verjuengen zu duerfen. --------------------------------------------------- ^3 Wer alte und neue Schriftstellerbedraengnisse zu vergleichen wuenscht, wird in dem Briefe des Caecina (Cic. ad fam. 6, 7) Gelegenheit dazu finden. ---------------------------------------------------- Versuchen wir im einzelnen Rechenschaft zu geben von der Ueberfuehrung der alten Zustaende in die neue Bahn, so ist zunaechst daran zu erinnern, dass Caesar nicht kam um anzufangen, sondern um zu vollenden. Der Plan zu einer zeitgemaessen Politik, laengst von Gaius Gracchus entworfen, war von seinen Anhaengern und Nachfolgern wohl mit mehr oder minder Geist und Glueck, aber ohne Schwanken festgehalten worden. Caesar, von Haus aus und gleichsam schon nach Erbrecht das Haupt der Popularpartei, hatte seit dreissig Jahren deren Schild hoch emporgehalten, ohne je die Farbe zu wechseln oder auch nur zu decken; er blieb Demokrat auch als Monarch. Wie er die Erbschaft seiner Partei, abgesehen natuerlich von den catilinarischen und clodischen Verkehrtheiten, unbeschraenkt antrat, der Aristokratie und den echten Aristokraten den bittersten, selbst persoenlichen Hass zollte und die wesentlichen Gedanken der roemischen Demokratie: die Milderung der Lage der Schuldner, die ueberseeische Kolonisation, die allmaehliche Nivellierung der unter den Klassen der Staatsangehoerigen bestehenden Rechtsverschiedenheiten, die Emanzipierung der exekutiven Gewalt vom Senat, unveraendert festhielt, so war auch seine Monarchie so wenig mit der Demokratie im Widerspruch, dass vielmehr diese erst durch jene zur Vollendung und Erfuellung gelangte. Denn diese Monarchie war nicht die orientalische Despotie von Gottes Gnaden, sondern die Monarchie, wie Gaius Gracchus sie gruenden wollte, wie Perikles und Cromwell sie gruendeten: die Vertretung der Nation durch ihren hoechsten und unumschraenkten Vertrauensmann. Es waren insofern die Gedanken, die dem Werke Caesars zu Grunde lagen, nicht eigentlich neue; aber ihm gehoert ihre Verwirklichung, die zuletzt ueberall die Hauptsache bleibt, und ihm die Grossheit der Ausfuehrung, die selbst den genialen Entwerfer, wenn er sie haette schauen koennen, ueberrascht haben moechte und die jeden, dem sie in lebendiger Wirklichkeit oder im Spiegel der Geschichte entgegengetreten ist, welcher geschichtlichen Epoche und welcher politischen Farbe immer er angehoere, je nach dem Mass seiner Fassungskraft fuer menschliche und geschichtliche Groesse mit tiefer und tieferer Bewegung und Bewunderung ergriffen hat und ewig ergreifen wird. Wohl aber wird es gerade hier am Orte sein, das, was der Geschichtschreiber stillschweigend ueberall voraussetzt, einmal ausdruecklich zu fordern und Einspruch zu tun gegen die der Einfalt und der Perfidie gemeinschaftliche Sitte, geschichtliches Lob und geschichtlichen Tadel, von den gegebenen Verhaeltnissen abgeloest, als allgemein gueltige Phrase zu verbrauchen, in diesem Falle das Urteil ueber Caesar in ein Urteil ueber den sogenannten Caesarismus umzudeuten. Freilich soll die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte die Lehrmeisterin des laufenden sein; aber nicht in dem gemeinen Sinne, als koenne man die Konjunkturen der Gegenwart in den Berichten ueber die Vergangenheit nur einfach wiederaufblaettern und aus denselben der politischen Diagnose und Rezeptierkunst die Symptome und Spezifika zusammenlesen; sondern sie ist lehrhaft einzig insofern, als die Beobachtung der aelteren Kulturen die organischen Bedingungen der Zivilisation ueberhaupt, die ueberall gleichen Grundkraefte und die ueberall verschiedene Zusammensetzung derselben offenbart und statt zum gedankenlosen Nachahmen vielmehr zum selbstaendigen Nachschoepfen anleitet und begeistert. In diesem Sinne ist die Geschichte Caesars und des roemischen Caesarentums, bei aller unuebertroffenen Grossheit des Werkmeisters, bei aller geschichtlichen Notwendigkeit des Werkes, wahrlich eine schaerfere Kritik der modernen Autokratie, als eines Menschen Hand sie zu schreiben vermag. Nach dem gleichen Naturgesetz, weshalb der geringste Organismus unendlich mehr ist als die kunstvollste Maschine, ist auch jede noch so mangelhafte Verfassung, die der freien Selbstbestimmung einer Mehrzahl von Buergern Spielraum laesst, unendlich mehr als der genialste und humanste Absolutismus; denn jene ist der Entwicklung faehig, also lebendig, dieser ist was er ist, also tot. Dieses Naturgesetz hat auch an der roemischen absoluten Militaermonarchie sich bewaehrt und nur um so vollstaendiger sich bewaehrt, als sie, unter dem genialen Impuls ihres Schoepfers und bei der Abwesenheit aller wesentlichen Verwicklungen mit dem Ausland, sich reiner und freier als irgendein aehnlicher Staat gestaltet hat. Von Caesar an hielt, wie die spaeteren Buecher dies darlegen werden und Gibbon laengst es dargelegt hat, das roemische Wesen nur noch aeusserlich zusammen und ward nur mechanisch erweitert, waehrend es innerlich eben mit ihm voellig vertrocknete und abstarb. Wenn in den Anfaengen der Autokratie und vor allem in Caesars eigener Seele noch der hoffnungsreiche Traum einer Vereinigung freier Volksentwicklung und absoluter Herrschaft waltet, so hat schon das Regiment der hochbegabten Kaiser des Julianischen Geschlechts in schrecklicher Weise gelehrt, inwiefern es moeglich ist, Feuer und Wasser in dasselbe Gefaess zu fassen. Caesars Werk war notwendig und heilsam, nicht weil es an sich Segen brachte oder auch nur bringen konnte, sondern weil, bei der antiken, auf Sklavenrum gebauten, von der republikanisch-konstitutionellen Vertretung voellig abgewandten Volksorganisation und gegenueber der legitimen, in der Entwicklung eines halben Jahrtausends zum oligarchischen Absolutismus herangereiften Stadtverfassung, die absolute Militaermonarchie der logisch notwendige Schlussstein und das geringste Uebel war. Wenn einmal in Virginien und den Carolinas die Sklavenhalteraristokratie es so weit gebracht haben wird wie ihre Wahlverwandten in dem sullanischen Rom, so wird dort auch der Caesarismus vor dem Geist der Geschichte legitimiert sein ^4; wo er unter andern Entwicklungsverhaeltnissen auftritt, ist er zugleich eine Fratze und eine Usurpation. Die Geschichte aber wird sich nicht bescheiden, dem rechten Caesar deshalb die Ehre zu verkuerzen, weil ein solcher Wahlspruch den schlechten Caesaren gegenueber die Einfalt irren und der Bosheit zu Lug und Trug Gelegenheit geben kann. Sie ist auch eine Bibel, und wenn sie so wenig wie diese, weder dem Toren es wehren kann sie misszuverstehen, noch dem Teufel sie zu zitieren, so wird auch sie imstande sein, beides zu ertragen wie zu vergiften. ----------------------------------------------------- ^4 Als dies geschrieben wurde, im Jahre 1857, konnte man noch nicht wissen, wie bald durch den gewaltigsten Kampf und den herrlichsten Sieg, den die Geschichte des Menschengeschlechts bisher verzeichnet hat, demselben diese furchtbare Probe erspart und dessen Zukunft der unbedingten, durch keinen fokalen Caesarismus auf dir Dauer zu hemmenden sich selbst beherrschenden Freiheit gesichert werden sollte. ------------------------------------------------------ Die Stellung des neuen Staatsoberhaupts erscheint formell, zunaechst wenigstens, als Diktatur. Caesar uebernahm dieselbe zuerst nach der Rueckkehr aus Spanien im Jahre 705 (49), legte sie aber nach wenigen Tagen wieder nieder und fuehrte den entscheidenden Feldzug des Jahres 706 (48) lediglich als Konsul - es war dies das Amt, ueber dessen Bekleidung zunaechst der Buergerkrieg ausgebrochen war. Aber im Herbst dieses Jahres, nach der Pharsalischen Schlacht, kam er wieder auf die Diktatur zurueck und liess sich dieselbe abermals uebertragen, zuerst auf unbestimmte Zeit, jedoch vom 1. Januar 709 (45) an als Jahresamt, alsdann im Januar oder Februar 710 ^5 (44) auf die Dauer seines Lebens, so dass er die frueher vorbehaltene Niederlegung des Amtes schliesslich ausdruecklich fallen liess und der Lebenslaenglichkeit des Amtes in dem neuen Titel dictator perpetuus formellen Ausdruck gab. Diese Diktatur, sowohl jene erste ephemere wie die zweite dauernde, ist nicht die der alten Verfassung, sondern das nur in dem Namen mit dieser zusammentreffende hoechste Ausnahmeamt nach der Ordnung Sullas; ein Amt, dessen Kompetenz nicht durch die verfassungsmaessigen Ordnungen ueber das hoechste Einzelamt, sondern durch besonderen Volksschluss festgestellt ward und zwar dahin, dass der Inhaber in dem Auftrag, Gesetze zu entwerfen und das Gemeinwesen zu ordnen, eine rechtlich unumschraenkte, die republikanische Teilung der Gewalten aufhebende Amtsbefugnis empfing. Es sind nur Anwendungen von dieser allgemeinen Befugnis auf den einzelnen Fall, wenn dem Machthaber das Recht ohne Befragen des Senats und des Volkes ueber Krieg und Frieden zu entscheiden, die selbstaendige Verfuegung ueber Heere und Kassen, die Ernennung der Provinzialstatthalter nach durch besondere Akte uebertragen wurden. Selbst solche Befugnisse, welche ausserhalb der magistratischen, ja ausserhalb der Kompetenz der Staatsgewalten ueberhaupt lagen, konnte Caesar hiernach von Rechts wegen sich beilegen; und es erscheint fast als eine Konzession seinerseits, dass er darauf verzichtete, die Magistrate anstatt der Komitien zu ernennen, und sich darauf beschraenkte, fuer einen Teil der Praetoren und der niederen Magistrate ein bindendes Vorschlagsrecht in Anspruch zu nehmen; dass er sich ferner zu der nach dem Herkommen ueberhaupt nicht statthaften Kreierung von Patriziern noch durch besonderen Volksschluss ermaechtigen liess. ------------------------------------------------------- ^5 Am 26. Januar 710 ;44) heisst Caesar noch dictator IIII (Triumphaltafel); am 25. Februar des Jahres war er bereits dictator perpetuus (Cic. Phil. 2, 34, 87). Vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl.. S. 726. ------------------------------------------------------- Fuer andere Aemter im eigentlichen Sinn bleibt neben dieser Diktatur kein Raum. Die Zensur als solche hat Caesar nicht uebernommen ^6, wohl aber die zensorischen Rechte, namentlich das wichtige der Senatorenernennung in umfassender Weise geuebt. ----------------------------------------------- ^6 Die Formulierung jener Diktatur scheint die "Sittenbesserung" ausdruecklich mithervorgehoben zu haben; aber ein eigenes Amt derart hat Caesar nicht bekleidet (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 705). ----------------------------------------------- Das Konsulat hat er haeufig neben der Diktatur, einmal auch ohne Kollegen bekleidet, aber keineswegs dauernd an seine Person geknuepft und den Aufforderungen, dasselbe auf fuenf oder gar auf zehn Jahre nacheinander zu uebernehmen, keine Folge gegeben. Die Oberaufsicht ueber den Kult brauchte Caesar nicht erst sich uebertragen zu lassen, da er bereits Oberpontifex war. Es versteht sich, dass auch die Mitgliedschaft des Augurnkollegiums ihm zuteil ward und ueberhaupt alte und neue Ehrenrechte in Fuelle, wie der Titel eines Vaters des Vaterlandes, die Benennung seines Geburtsmonats mit dem Namen, den er nach heute fuehrt, des Julius, und andere, zuletzt in platte Vergoetterung sich verlaufende Manifestationen des beginnenden Hoftons. Hervorgehoben zu werden verdienen nur zwei Einrichtungen: dass Caesar den Tribunen des Volkes namentlich in ihrer besonderen persoenlichen Unverletzlichkeit gleichgestellt und dass die Imperatorenbenennung dauernd an seine Person geknuepft und neben den sonstigen Amtsbezeichnungen von ihm als Titel gefuehrt ward ^7. ------------------------------------------------------------------ ^7 Caesar fuehrt die Bezeichnung Imperator immer ohne Iterationsziffer und immer hinter dem Namen an erster Stelle (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 767, A. 1). ------------------------------------------------------------------ Fuer den Verstaendigen wird es weder dafuer eines Beweises beduerfen, dass Caesar beabsichtigte, die hoechste Gewalt dem Gemeinwesen einzufuegen, und zwar nicht nur auf einige Jahre oder auch als persoenliches Amt auf unbestimmte Zeit, etwa wie Sullas Regentschaft, sondern als wesentliches und bleibendes Organ, noch auch dafuer, dass er fuer die neue Institution eine entsprechende und einfache Bezeichnung ausersah; denn wenn es ein politischer Fehler ist, inhaltlose Namen zu schaffen, so ist es kaum ein geringerer, den Inhalt der Machtfuelle ohne Namen hinzustellen. Nur ist es freilich, teils weil in dieser Uebergangszeit die ephemeren und die bleibenden Bauten sich noch nicht klar voneinander sondern, teils weil die dem Winke bereits zuvorkommende Devotion der Klienten den Herrn mit einer ohne Zweifel ihm selbst widerwaertigen Fuelle von Vertrauensdekreten und Ehrengesetzen ueberschuettete, nicht leicht festzustellen, welche definitive Formulierung Caesar im Sinne gehabt hat. Am wenigsten konnte die neue Monarchie an das Konsulat anknuepfen, schon wegen der von diesem Amt nicht wohl zu trennenden Kollegialitaet, es hat auch Caesar offenbar darauf hingearbeitet, dieses bisher hoechste Amt zum leeren Titel herabzusetzen und spaeterhin, wenn er es uebernahm, dasselbe nicht das ganze Jahr hindurch gefuehrt, sondern vor dem Ablauf an Personen zweiten Ranges abgegeben. Die Diktatur tritt praktisch am haeufigsten und bestimmtesten hervor, aber wahrscheinlich nur, weil Caesar sie als das benutzen wollte, was sie von alters her im Verfassungsorganismus bedeutet hatte, als ausserordentliche Vorstandschaft zur Ueberwindung ausserordentlicher Krisen. Als Traegerin der neuen Monarchie dagegen empfahl sie sich wenig, da Exzeptionalitaet und Unpopularitaet diesem Amte einmal anhafteten und es dem Vertreter der Demokratie kaum zugetraut werden kann, diejenige Form, die der genialste Vorfechter der Gegenpartei fuer seine Zwecke geschaffen hatte, fuer die dauernde Organisation zu waehlen. Bei weitem geeigneter fuer die Formulierung der Monarchie erscheint der neue Imperatorenname, schon darum, weil er in dieser Verwendung ^8 neu ist und kein bestimmter aeusserer Anlass zur Einfuehrung desselben erhellt. Der neue Wein durfte nicht in alte Schlaeuche gefuellt werden: hier ist zu der neuen Sache der neue Name und in demselben in praegnantester Weise zusammengefasst, was schon in dem Gabinischen Gesetz, nur mit minderer Schaerfe, die demokratische Partei als Kompetenz ihres Oberhauptes formuliert hatte: die Konzentrierung und Perpetuierung der Amtsgewalt (imperium) in der Hand eines vom Senat unabhaengigen Volkshauptes. Auch begegnet auf Caesars Muenzen, namentlich auf denen der letzten Zeit, neben der Diktatur vorwiegend der Imperatorentitel und scheint in Caesars Gesetz ueber politische Verbrechen der Monarch mit diesem Ausdruck bezeichnet worden zu sein. Es hat denn auch die Folgezeit, wenngleich nicht unmittelbar, die Monarchie an den Imperatornamen geknuepft. Um diesem neuen Amt zugleich die demokratische und die religioese Weihe zu verleihen, beabsichtigte Caesar wahrscheinlich, mit demselben teils die tribunizische Gewalt, teils das Oberpontifikat ein fuer allemal zu verknuepfen. ---------------------------------------------------- ^8 In republikanischer Zeit wird der Imperatorname, der den siegreichen Feldherrn bezeichnet, abgelegt mit dem Ende des Feldzugs; als dauernde Titulatur erscheint er bei Caesar zuerst. ---------------------------------------------------- Dass die neue Organisation nicht bloss auf die Lebenszeit ihres Stifters beschraenkt bleiben sollte, ist unzweifelhaft; aber derselbe ist nicht dazu gelangt, die vor allem schwierige Frage der Nachfolge zu erledigen, und es muss dahingestellt bleiben, ob er die Aufstellung irgendeiner Form fuer die Nachfolgerwahl im Sinn gehabt hat, wie sie bei dem urspruenglichen Koenigtum bestanden hatte, oder ob er fuer das hoechste Amt wie die Lebenslaenglichkeit, so auch die Erblichkeit hat einfuehren wollen, wie dies sein Adoptivsohn spaeterhin behauptet hat ^9. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er die Absicht gehabt hat, beide Systeme gewissermassen miteinander zu verbinden und die Nachfolge, aehnlich wie Cromwell und wie Napoleon, in der Weise zu ordnen, dass dem Herrscher der Sohn in der Herrschaft nachfolgt, wenn er aber keinen Sohn hat oder der Sohn ihm nicht zur Nachfolge geeignet scheint, der Herrscher in der Form der Adoption den Nachfolger nach freier Wahl ernennt. ----------------------------------------------------- ^9 Dass bei Caesars Lebzeiten das Imperium sowohl wie das Oberpontifikat fuer seine agnatische - leibliche oder durch Adoption vermittelte - Deszendenz durch einen foermlichen legislatorischen Akt erblich gemacht worden ist, hat Caesar der Sohn als seinen Rechtstitel zur Herrschaft geltend gemacht. Nach der Beschaffenheit unserer Ueberlieferung muss die Existenz eines derartigen Gesetzes oder Senatsbeschlusses entschieden in Abrede gestellt werden; es bleibt aber wohl moeglich, dass Caesar die Erlassung eines solchen beabsichtigt hat. Vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 767, 1106. ----------------------------------------------------- Staatsrechtlich lehnte das neue Imperatorenamt sich an an die Stellung, welche die Konsuln oder Prokonsuln ausserhalb der Bannmeile einnahmen, so dass zunaechst das militaerische Kommando, daneben aber auch die hoechste richterliche und folgeweise auch die administrative Gewalt darin enthalten war ^10. Insofern aber war die Gewalt des Imperators qualitativ der konsularischprokonsularischen ueberlegen, als jene nicht nach Zeit und Raum begrenzt, sondern lebenslaenglich und auch in der Hauptstadt wirksam war ^11, als der Imperator nicht, wohl aber der Konsul, durch gleich maechtige Kollegen gehemmt werden konnte und als alle im Laufe der Zeit der urspruenglicher. hoechsten Amtsgewalt gesetzten Beschraenkungen, namentlich die Verpflichtung der Provokation stattzugeben und die Ratschlaege des Senats zu beachten, fuer den Imperator wegfielen. Um es mit einem Worte zu sagen: dies neue Imperatorenamt war nichts anderes als das wiederhergestellte uralte Koenigtum; denn ebenjene Beschraenkungen in der zeitlichen und oertlichen Begrenzung der Gewalt, in der Kollegialitaet und der fuer gewisse Faelle notwendigen Mitwirkung des Rats oder der Gemeinde waren es ja, die den Konsul vom Koenig unterschieden. Es ist kaum ein Zug der neuen Monarchie, der nicht in der alten sich wiederfaende: die Vereinigung der hoechsten militaerischen, richterlichen und administrativen Gewalt in der Hand des Fuersten; eine religioese Vorstandschaft ueber das Gemeinwesen; das Recht, Verordnungen mit bindender Kraft zu erlassen; die Herabdrueckung des Senats zum Staatsrat; die Wiedererweckung des Patriziats und der Stadtpraefektur. Aber schlagender noch als diese Analogien ist die innere Gleichartigkeit der Monarchie des Servius Tullius und der Monarchie Caesars: wenn jene alten Koenige vor. Rom bei all ihrer Vollgewalt doch Herrn einer freien Gemeinde und eben sie die Schutzmaenner des gemeinen Mannes gegen den Adel gewesen waren, so war auch Caesar nicht gekommen, um die Freiheit aufzuloesen, sondern um sie zu erfuellen, und zunaechst, um das unertraegliche Joch der Aristokratie zu brechen. Es darf auch nicht befremden, dass Caesar, nichts weniger als ein politischer Antiquarius, ein halbes Jahrtausend zurueckgriff, um zu seinem neuen Staat das Muster zu finden; denn da das hoechste Amt des roemischen Gemeinwesens zu allen Zeiten ein durch eine Anzahl Spezialgesetze eingeschraenktes Koenigtum geblieben war, war auch der Begriff des Koenigtums selbst keineswegs verschollen. Zu den verschiedensten Zeiten und von sehr verschiedenen Seiten her, in der Dezemviralgewalt, in der Sullanischen und in seiner eigenen Diktatur, war man waehrend der Republik praktisch auf denselben zurueckgekommen; ja mit einer gewissen logischen Notwendigkeit trat ueberall, wo das Beduerfnis einer Ausnahmegewalt .sich zeigte, im Gegensatz gegen das gewoehnliche beschraenkte das unbeschraenkte Imperium hervor, welches eben nichts anderes war als die koenigliche Gewalt. Endlich empfahlen auch aeussere Ruecksichten dies Zurueckgehen auf das ehemalige Koenigtum. Die Menschheit gelangt zu Neuschoepfungen unsaeglich schwer und hegt darum die einmal entwickelten Formen als ein heiliges Erbstueck. Darum knuepfte Caesar mit gutem Bedacht an Servius Tullius in aehnlicher Weise an, wie spaeter Karl der Grosse an ihn angeknuepft hat und Napoleon an Karl den Grossen wenigstens anzuknuepfen versuchte. Er tat dies auch nicht etwa auf Umwegen und heimlich, sondern so gut wie seine Nachfahren in moeglichst offenkundiger Weise; es war ja eben der Zweck dieser Anknuepfung, eine klare, nationale und populaere Formulierung fuer den neuen Staat zu finden. Seit alter Zeit standen auf dem Kapitol die Standbilder derjenigen sieben Koenige, welche die konventionelle Geschichte Roms aufzufuehren pflegte; Caesar befahl, daneben das seinige als das achte zu errichten. Er erschien oeffentlich in der Tracht der alten Koenige von Alba. In seinem neuen Gesetz ueber politische Verbrechen war die hauptsaechlichste Abweichung von dem Sullanischen die, dass neben die Volksgemeinde und auf eine Linie mit ihr der Imperator als der lebendige und persoenliche Ausdruck des Volkes gestellt ward. In der fuer die politischen Eide ueblichen Formel ward zu dem Jovis und den Penaten des roemischen Volkes der Genius des Imperator hinzugefuegt. Das aeussere Kennzeichen der Monarchie war nach der im ganzen Altertum verbreiteten Ansicht das Bild des Monarchen auf den Muenzen: seit dem Jahre 710 (44) erscheint auf denen des roemischen Staats der Kopf Caesars. Man konnte hiernach wenigstens darueber sich nicht beschweren, dass Caesar das Publikum ueber die Auffassung seiner Stellung im dunkeln liess; so bestimmt und so foermlich wie moeglich trat er auf, nicht bloss als Monarch, sondern eben als Koenig von Rom. Moeglich ist es sogar, obwohl nicht gerade wahrscheinlich und auf jeden Fall von untergeordneter Bedeutung, dass er im Sinne gehabt hat, seine Amtsgewalt nicht mit dem neuen Imperatoren-, sondern geradezu mit dem alten Koenigsnamen zu bezeichnen ^12. Schon bei seinen Lebzeiten waren viele seiner Feinde wie seine Freunde der Ansicht, dass er beabsichtige, sich ausdruecklich zum Koenig von Rom ernennen zu lassen; ja einzelne seiner leidenschaftlichsten Anhaenger legten ihm die Aufsetzung der Krone auf verschiedenen Wegen und zu verschiedenen Zeiten nahe; am auffallendsten Marcus Antonius, indem er als Konsul vor allem Volke Caesar das Diadem darbot (15. Februar 710 44). Caesar aber wies diese Antraege ohne Ausnahme von der Hand. Wenn er zugleich gegen diejenigen einschritt, die diese Vorfaelle benutzten, um republikanische Opposition zu machen, so folgt daraus noch keineswegs, dass es ihm mit der Zurueckweisung nicht Ernst war. Die Annahme nun gar, dass diese Aufforderungen auf sein Geheiss erfolgt seien, um die Menge auf das ungewohnte Schauspiel des roemischen Diadems vorzubereiten, verkennt voellig die gewaltige Macht der Gesinnungsopposition, mit welcher Caesar zu rechnen hatte und die durch eine solche oeffentliche Anerkennung ihrer Berechtigung von Seiten Caesars selbst nicht nachgiebiger werden konnte, vielmehr notwendig dadurch weiteren Boden gewann. Es kann der unberufene Eifer leidenschaftlicher Anhaenger allein diese Auftritte veranlasst haben; es kann auch sein, dass Caesar die Szene mit Antonius nur zuliess oder auch veranstaltete, um durch die vor den Augen der Buergerschaft erfolgte und auf seinen Befehl selbst in die Kalender des Staats eingetragene, in der Tat nicht wohl wieder zurueckzunehmende Ablehnung des Koenigstitels dem unbequemen Klatsch auf moeglichst eklatante Weise ein Ende zu machen. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass Caesar, der den Wert einer gelaeufigen Formulierung ebenso wuerdigte wie die mehr an die Namen als an das Wesen der Dinge sich heftenden Antipathien der Menge, entschlossen war, den mit uraltem Bannfluch behafteten und den Roemern seiner Zeit mehr noch fuer die Despoten des Orients als fuer ihren Numa und Servius gelaeufigen Koenigsnamen zu vermeiden und das Wesen des Koenigtums unter dem Imperatorentitel sich anzueignen. --------------------------------------------- ^10 Die verbreitete Meinung, die in dem kaiserlichen Imperatorenamt nichts als die lebenslaengliche Reichsfeldherrnwuerde sieht, wird weder durch die Bedeutung des Wortes noch durch die Auffassung der alten Berichterstatter gerechtfertigt. Imperium ist die Befehlsgewalt, imperator der Inhaber derselben; in diesen Worten wie in den entsprechenden griechischen Ausdrucken krat/o/r, aytokrat/o/r liegt so wenig eine spezifisch militaerische Beziehung, dass es vielmehr eben das Charakteristische der roemischen Amtsgewalt ist, wo sie rein und vollstaendig auftritt, Krieg und Prozess, das ist die militaerische und die buergerliche Befehlsgewalt, als ein untrennbares Ganze in sich zu enthalten. Ganz richtig sagt Dio Cassius (53, 17, vgl. 43, 44; 52, 41), dass der Name Imperator von den Kaisern angenommen ward "zur Anzeige ihrer Vollgewalt anstatt des Koenigsund Diktaturtitels (pros d/e/l/o/sin t/e/s aytotelo?s sph/o/n exoysias, anti t/e/s to? basile/o/s to? te diktat/o/ros epikl/e/se/o/s); denn diese aelteren Titel sind dem Namen nach verschwunden, der Sache nach aber gibt der Imperatorname dieselben Befugnisse (to de d/e/ ergon ayt/o/n t/e/ to? aytokrat/o/ros pros/e/goria bebais?ntai), zum Beispiel das Recht, Soldaten auszuheben, Steuern; auszuschreiben, Krieg zu erklaeren und Frieden zu schliessen, ueber Buerger und Nichtbuerger in und ausser der Stadt die hoechste Gewalt zu ueben und jeden an jedem Orte am Leben oder sonst zu strafen., ueberhaupt der mit dem hoechsten Imperium in aeltester Zeit verbundenen Befugnisse sich anzumassen". Deutlicher kann es wohl nicht gesagt werden, dass imperator eben gar nichts ist als ein Synonym fuer rex, so gut wie imperare mit regere zusammenfaellt. ^11 Als Augustus bei Konstituierung des Prinzipats das Caesarische Imperium wiederaufnahm, geschah dies mit der Beschraenkung, dass es raeumlich und in gewissem Sinn auch zeitlich begrenzt sein solle; die prokonsularische Gewalt der Kaiser, welche nichts ist als ebendies Imperium, sollte fuer Rom und Italien nicht zur Anwendung kommen (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3, Aufl., S. 854j. Auf diesem Moment ruht der wesentliche Unterschied des Caesarischen Imperiums und des Augustfischen Prinzipats, sowie andererseits auf der schon prinzipiell und mehr noch praktisch unvollstaendigen Verwirklichung jener Schranke die reale Gleichheit beider Institutionen. ^12 Ueber diese Frage laesst sich streiten; dagegen muss die Annahme, dass es Caesars Absicht gewesen, die Roemer als Imperator, die Nichtroemer als Rex zu beherrschen, einfach verworfen werden. Sie stuetzt sich einzig auf die Erzaehlung, dass in der Senatssitzung, in welcher Caesar ermordet ward, von einem der Orakelpriester Lucius Cotta ein Sibyllenspruch, wonach die Parther nur von einem "Koenig" koennten ueberwunden werden, habe vorgelegt und infolgedessen der Beschluss gefasst werden sollen, Caesar das Koenigtum ueber die roemischen Provinzen zu uebertragen. Diese Erzaehlung war allerdings schon unmittelbar nach Caesars Tod in Umlauf. Allein nicht bloss findet sie nirgends irgendwelche auch nur mittelbare Bestaetigung, sondern sie wird von dem Zeitgenossen Cicero (div. 2, 54, 119) sogar ausdruecklich fuer falsch erklaert und von den spaeteren Geschichtschreibern, namentlich von Sueton (79) und Dio (44, 15) nur als ein Geruecht berichtet, das sie weit entfernt sind, verbuergen zu wollen; und sie wird denn auch dadurch nicht besser beglaubigt, dass Plutarch (Caes. 60, 64; Brut. 10) und Appian (civ. 2, 110) ihrer Gewohnheit gemaess jener anekdotenhaft, dieser pragmatisierend, sie wiederholen. Es ist diese Erzaehlung aber nicht bloss unbezeugt, sondern auch innerlich unmoeglich. Wenn man auch davon absehen will, dass Caesar zu viel Geist und zu viel politischen Takt hatte, um nach Oligarchenart wichtige Staatsfragen durch einen Schlag mit der Orakelmaschine zu entscheiden, so konnte er doch nimmermehr daran denken, den Staat, den er nivellieren wollte, also foermlich und rechtlich zu spalten. --------------------------------------------- Indes wie auch die definitive Titulatur gedacht gewesen sein mag, der Herr war da, und sogleich richtete denn auch der Hof in obligatem Pomp und obligater Geschmacklosigkeit und Leerheft sich ein. Caesar erschien oeffentlich statt in dem mit Purpurstreifen verbraemten Gewande der Konsuln in dem ganzpurpurnen, das im Altertum als das Koenigskleid galt, und empfing, auf seinem Goldsessel sitzend, ohne sich von demselben zu erheben, den feierlichen Zug des Senats. Die Geburtstags-, Siegesund Geluebdefeste zu seinen Ehren fuellten den Kalender. Wenn Caesar nach der Hauptstadt kam, zogen die vornehmsten seiner Diener scharenweise auf weite Strecken ihm entgegen ihn einzuholen. Ihm nahe zu sein fing an so viel zu bedeuten, dass die Mietpreise in dem von ihm bewohnten Stadtviertel in die Hoehe gingen. Durch die Menge der zur Audienz sich draengenden Personen ward die persoenliche Verhandlung mit ihm so erschwert, dass Caesar sogar mit seinen Vertrauten vielfach schriftlich zu verkehren sich genoetigt sah und dass auch die Vornehmsten stundenlang im Vorzimmer zu warten hatten. Man empfand es, deutlicher als es Caesar selber lieb war, dass man nicht mehr zu einem Mitbuerger kam. Es entstand ein monarchischer Adel, welcher in merkwuerdiger Weise zugleich neu und alt war und aus dem Gedanken entsprang, den Adel der Oligarchie durch den des Koenigtums, die Nobilitaet durch das Patriziat in Schatten zu stellen. Noch immer bestand die Patrizierschaft, wenngleich ohne wesentliche staendische Vorrechte, doch als geschlossene Junkergilde fort; aber da sie keine neuen Geschlechter aufnehmen konnte, war sie im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zusammengestorben: nicht mehr als fuenfzehn bis sechzehn Patriziergeschlechter waren zu Caesars Zeit noch vorhanden. Indem Caesar, selber einem derselben entsprossen, das Recht, neue patrizische Geschlechter zu kreieren, durch Volksbeschluss dem Imperator erteilen liess, gruendete er, im Gegensatz zu der republikanischen Nobilitaet, den neuen Adel des Patriziats, der alle Erfordernisse eines monarchischen Adels: altersgrauen Zauber, vollstaendige Abhaengigkeit von der Regierung und gaenzliche Bedeutungslosigkeit auf das gluecklichste vereinigte. Nach allen Seiten hin offenbarte sich das neue Herrenrum. Unter einem also tatsaechlich unumschraenkten Monarchen konnte kaum von einer Verfassung die Rede sein, geschweige denn von denn Fortbestand des bisherigen, auf dem gesetzlichen Zusammenwirken der Buergerschaft, des Senats und der einzelner. Beamten beruhenden Gemeinwesens. Mit voller Bestimmtheit ging Caesar zurueck auf die Ueberlieferung der Koenigszeit: die Buergerschaftsversammlung blieb, was sie schon in der Koenigszeit gewesen war, neben und mit dem Koenig der hoechste und letzte Ausdruck des souveraenen Volkswillens; der Senat ward wieder auf seine urspruengliche Bestimmung zurueckgefuehrt, dem Herrn auf dessen Verlangen Rat zu erteilen; der Herrscher endlich konzentrierte in seiner Person aufs neue die gesamte Beamtengewalt, so dass es einen anderen selbstaendigen Staatsbeamten neben ihm so wenig gab wie neben den Koenigen der aeltesten Zeit. Fuer die Gesetzgebung hielt der demokratische Monarch fest an dem uralten Satz des roemischen Staatsrechts, dass nur die Volksgemeinde in Gemeinschaft mit dem sie berufenden Koenig vermoegend sei, das Gemeinwesen organisch zu regulieren, und sanktionierte seine konstitutiven Verfuegungen regelmaessig durch Volksschluss. Die freie Kraft und die sittlich-staatliche Autoritaet, die das Ja oder Nein jener alten Wehrmannschaften in sich getragen hatte, liess sich freilich den sogenannten Komitien dieser Zeit nicht wiedereinfloessen; die Mitwirkung der Buergerschaft bei der Gesetzgebung, die in der alten Verfassung hoechst beschraenkt, aber wirklich und lebendig gewesen war, war in der neuen in praktischer Hinsicht ein wesenloser Schatten. Besonderer beschraenkender Massregeln gegen die Komitien bedurfte es darum auch nicht; eine vieljaehrige Erfahrung hatte gezeigt, dass mit diesem formellen Souveraen jede Regierung, die Oligarchie wie der Monarch, bequem auskam. Nur insofern, als diese Caesarischen Komitien dazu dienten, die Volkssouveraenitaet prinzipiell festzuhalten und energisch gegen den Sultanismus zu protestieren, waren sie ein wichtiges Moment in dem Caesarischen System und mittelbar von praktischer Bedeutung. Daneben aber wurde, wie nicht bloss an sich klar, sondern auch bestimmt bezeugt ist, schon von Caesar selbst und nicht erst von seinen Nachfolgern auch der andere Satz des aeltesten Staatsrechts wieder aufgenommen, dass, was der hoechste oder vielmehr einzige Beamte befiehlt, unbedingt Gueltigkeit hat, solange er im Amte bleibt, und die Gesetzgebung zwar nur dem Koenig und der Buergerschaft gemeinschaftlich zukommt, die koenigliche Verordnung aber, wenigstens bis zum Abgang ihres Urhebers, dem Gesetz gleichsteht. Wenn der Demokratenkoenig also der Volksgemeinde wenigstens einen formellen Anteil an der Souveraenitaet zugestand, so war es dagegen keineswegs seine Absicht, mit der bisherigen Regierung, dem Senatorenkollegium, die Gewalt zu teilen. Caesars Senat sollte - ganz anders als der spaetere Augusteische - nichts sein als ein hoechster Reichsrat, den er benutzte, um die Gesetze mit ihm vorzuberaten und die wichtigeren administrativer. Verfuegungen durch ihn oder wenigstens unter seinem Namen zu erlassen, denn es kam freilich auch vor, dass Senatsbeschluesse ergingen, von denen selbst von den als bei der Redaktion gegenwaertig aufgefuehrten Senatoren keiner eine Ahnung hatte. Es hatte keine wesentlichen Formschwierigkeiten, den Senat wieder auf seine urspruengliche beratende Stellung zurueckzufuehren, aus der er mehr tatsaechlich als rechtlich herausgetreten war; dagegen war es hier notwendig, sich vor praktischem Widerstand zu schuetzen, da der roemische Senat ebenso der Herd der Opposition gegen Caesar war wie der attische Areopag derjenige gegen Perikles. Hauptsaechlich aus diesem Grunde wurde die Zahl der Senatoren, die bisher hoechstens sechshundert im Normalbestand betragen hatte und durch die letzten Krisen stark zusammengeschwunden war, durch ausserordentliche Ergaenzung bis auf neunhundert gebracht und zugleich, um sie mindestens auf dieser Hoehe zu halten, die Zahl der jaehrlich zu ernennenden Quaestoren, das heisst der jaehrlich in den Senat eintretenden Mitglieder, von zwanzig auf vierzig erhoeht ^13. Die ausserordentliche Ergaenzung des Senats nahm der Monarch allein vor. Bei der ordentlichen sicherte er einen dauernden Einfluss sich dadurch, dass die Wahlkollegien durch Gesetz ^14 verpflichtet wurden, den ersten zwanzig vom Monarchen mit Empfehlungsschreiben versehenen Bewerbern um die Quaestur ihre Stimmen zu geben; ueberdies stand es der Krone frei, die an die Quaestur oder ein derselben uebergeordnetes Amt geknuepften Ehrenrechte, also namentlich den Sitz im Senat, ausnahmsweise auch an nichtqualifizierte Individuen zu vergeben. Die ausserordentlichen Ergaenzungswahlen fielen natuerlich wesentlich auf Anhaenger der neuen Ordnung der Dinge und brachten neben angesehenen Rittern auch manche zweifelhafte und plebejische Individuen in die hohe Korporation: ehemalige, durch den Zensor oder infolge eines Richterspruchs von der Liste gestrichene Senatoren, Auslaender aus Spanien und Gallien, welche zum Teil erst im Senat ihr Lateinisch zu lernen hatten, gewesene Unteroffiziere, die bisher nicht einmal den Ritterring gehabt, Soehne von freigelassenen Leuten oder von solchen, die unehrenhafte Gewerbe betrieben, und dergleichen Elemente mehr. Die exklusiven Kreise der Nobilitaet, denen diese Umgestaltung des senatorischen Personals natuerlich zum bittersten Aerger gereichte, sahen darin eine absichtliche Herabwuerdigung der Institution des Senats selbst. Einer solchen sich selber vernichtenden Staatskunst war Caesar nicht faehig; er war ebenso entschlossen, sich nicht von seinem Rat regieren zu lassen, als ueberzeugt von der Notwendigkeit des Instituts an sich. Richtiger haetten sie in diesem Verfahren die Absicht des Monarchen erkannt, dem Senat seinen bisherigen Charakter der ausschliesslichen Repraesentation des oligarchischen Adels zu nehmen und ihn wieder zu dem zu machen, was er in der Koenigszeit gewesen war: zu einem alle Klassen der Staatsangehoerigen durch ihre intelligentesten Elemente vertretenden und auch den niedrig geborenen und selbst den fremden Mann nicht mit Notwendigkeit ausschliessenden Reichsrat - gerade wie jene aeltesten Koenige Nichtbuerger, zog Caesar Nichtitaliker in seinen Senat. -------------------------------------------------------- ^13 Nach der frueher angenommenen Wahrscheinlichkeitsrechnung wuerde dies eine durchschnittliche Gesamtzahl von 1000-1200 Senatoren ergeben. ^14 Dasselbe bezog sich allerdings nur auf die Wahlen fuer das Jahr 711 (43) und 712 (42) (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 730); aber gewiss sollte die Einrichtung bleibend werden. -------------------------------------------------------- Wenn hiermit das Regiment der Nobilitaet beseitigt und ihre Existenz untergraben, der Senat in seiner neuen Gestalt aber nichts als ein Werkzeug des Monarchen war, so wurde zugleich in der Verwaltung und Regierung des Staats die Autokratie in der schaerfsten Weise durchgefuehrt und die gesamte Exekutive in der Hand des Monarchen vereinigt. Vor allen Dingen entschied natuerlich in jeder irgend wesentlichen Frage der Imperator in eigener Person. Caesar hat es vermocht, das persoenliche Regiment in einer Ausdehnung durchzufuehren, die fuer uns geringe Menschen kaum fasslich ist und die doch nicht allein aus der beispiellosen Raschheit und Sicherheit seines Arbeitens sich erklaert, sondern ausserdem noch begruendet ist in einer allgemeineren Ursache. Wenn wir Caesar, Sulla, Gaius Gracchus, ueberhaupt die roemischen Staatsmaenner durchweg eine unsere Vorstellungen von menschlicher Arbeitskraft uebersteigende Taetigkeit entwickeln sehen, so liegt die Ursache nicht in der seit jener Zeit veraenderten Menschennatur, sondern in der seit jener Zeit veraenderten Organisation des Hauswesens. Das roemische Haus war eine Maschine, in der dem Herrn auch die geistigen Kraefte seiner Sklaven und Freigelassenen zuwuchsen; ein Herr, der diese zu regieren verstand, arbeitete gleichsam mit unzaehligen Geistern. Es war das Ideal buerokratischer Zentralisation, dem unser Kontorwesen zwar mit Eifer nachstrebt, aber doch hinter dem Urbild ebenso weit zurueckbleibt wie die heutige Kapitalherrschaft hinter dem antiken Sklavensystem. Caesar verstand diesen Vorteil zu nutzen: wo ein Posten besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt, sehen wir grundsaetzlich, soweit irgend andere Ruecksichten es gestatten, ihn denselben mit seinen Sklaven, Freigelassenen, niedrig geborenen Klienten besetzen. Seine Werke im ganzen zeigen, was ein organisierendes Genie wie das seinige mit einem solchen Werkzeug auszurichten vermochte; auf die Frage, wie im einzelnen diese wunderbaren Leistungen durchgefuehrt wurden, haben wir keine hinreichende Antwort - die Buerokratie gleicht der Fabrik auch darin, dass das geschaffene Werk nicht als das des einzelnen erscheint, der es gearbeitet hat, sondern als das der Fabrik, die es stempelt. Nur das ist vollkommen klar, dass Caesar durchaus keinen Gehilfen bei seinem Werke gehabt hat, der von persoenlichem Einfluss auf dasselbe oder auch nur in den ganzen Plan eingeweiht gewesen waere; er war nicht nur allein Meister, sondern er arbeitete auch ohne Gesellen, nur mit Handlangern. Im einzelnen versteht sich von selbst, dass in den eigentlich politischen Angelegenheiten Caesar soweit irgend moeglich jede Stellvertretung vermied. Wo sie unumgaenglich war, wie denn Caesar namentlich waehrend seiner haeufigen Abwesenheit von Rom eines hoeheren Organs daselbst durchaus bedurfte, wurde in bezeichnender Weise hierzu nicht der legale Stellvertreter des Monarchen, der Stadtpraefekt, bestimmt, sondern ein Vertrauensmann ohne offiziell anerkannte Kompetenz, gewoehnlich Caesars Bankier, der kluge und geschmeidige phoenikische Kaufmann Lucius Cornelius Balbus aus Gades. In der Verwaltung war Caesar vor allem darauf bedacht, die Schluessel der Staatskasse, die der Senat nach dem Sturze des Koenigtums sich zugeeignet und mittels deren er sich des Regiments bemaechtigt hatte, wiederum an sich zu nehmen und sie nur solchen Dienern anzuvertrauen, die mit ihrem Kopfe unbedingt und ausschliesslich ihm hafteten. Zwar dem Eigentum nach blieb das Privatvermoegen des Monarchen von dem Staatsgut natuerlich streng geschieden; aber die Verwaltung des ganzen Finanzund Geldwesens des Staates nahm Caesar in die Hand und fuehrte sie durchaus in der Art, wie er, und ueberhaupt die roemischen Grossen, die Verwaltung ihres eigenen Vermoegens zu fuehren pflegten. Fuer die Zukunft wurden die Erhebung der Provinzialgefaelle und in der Hauptsache auch die Leitung des Muenzwesens den Sklaven und Freigelassenen des Imperators uebertragen und die Maenner senatorischen Standes davon ausgeschlossen - ein folgenreicher Schritt, aus dem im Laufe der Zeit der so wichtige Prokuratorenstand und das "kaiserliche Haus" sich entwickelt haben. Dagegen von den Statthalterschaften, die, nachdem sie ihre finanziellen Geschaefte an die neuen kaiserlichen Steuereinnehmer abgegeben, mehr noch als bisher wesentlich Militaerkommandos waren, ging nur das aegyptische Kommando an die eigenen Leute des Monarchen ueber. Die in eigentuemlicher Art geographisch isolierte und politisch zentralisierte Landschaft am Nil war, wie schon die waehrend der letzten Krise mehrfach vorgekommenen Versuche bedraengter italischer Parteichefs, daselbst sich festzusetzen, hinreichend bewiesen, wie kein anderer Distrikt geeignet, unter einem faehigen Fuehrer auf die Dauer sich von der Zentralgewalt loszumachen. Wahrscheinlich war es eben diese Ruecksicht, die Caesar bestimmte, das Land nicht foermlich zur Provinz zu erklaeren, sondern die ungefaehrlichen Lagiden daselbst zu belassen; und sicher wurden aus diesem Grunde die in Aegypten stationierenden Legionen nicht einem dem Senat, das heisst der ehemaligen Regierung angehoerigen Manne anvertraut, sondern dieses Kommando, aehnlich wie die Steuereinnehmerstellen, als ein Gesindeposten behandelt. Im allgemeinen aber ueberwog bei Caesar die Ruecksicht, die Soldaten Roms nicht, wie die der Koenige des Ostens, durch Lakaien kommandieren zu lassen. Es blieb Regel, die bedeutenderen Statthalterschaften mit gewesenen Konsuln, die geringeren mit gewesenen Praetoren zu besetzen; anstatt des fuenfjaehrigen Zwischenraums, den das Gesetz von 702 (52) vorgeschrieben, knuepfte wahrscheinlich wieder in alter Weise der Anfang der Statthalterschaft unmittelbar an das Ende der staedtischen Amtstaetigkeit an. Dagegen die Verteilung der Provinzen unter die qualifizierten Kandidaten, die bisher bald durch Volksoder Senatsbeschluss, bald durch Vereinbarung der Beamten oder durch das Los erfolgt war, ging ueber an den Monarchen; und indem die Konsuln haeufig veranlasst wurden, vor Ende des Jahres abzudanken und nachgewaehlten Konsuln (consules suffecti) Platz zu machen, ferner die Zahl der jaehrlich ernannten Praetoren von acht auf sechzehn erhoeht und dem Imperator die Ernennung der Haelfte derselben in aehnlicher Art wie die der Haelfte der Quaestoren uebertragen ward, endlich demselben das Recht reserviert blieb, zwar nicht Titularkonsuln, aber doch Titularpraetoren wie Titularquaestoren zu ernennen, sicherte Caesar sich fuer die Besetzung der Statthalterschaften eine hinreichende Zahl ihm genehmer Kandidaten. Die Abberufung blieb natuerlich dem Ermessen des Regenten anheimgestellt, ebenso wie die Ernennung; als Regel wurde angenommen, dass der konsularische Statthalter nicht ueber zwei, der praetorische nicht ueber ein Jahr in der Provinz bleiben solle. Was endlich die Verwaltung der Hauptund Residenzstadt anlangt, so beabsichtigte der Imperator eine Zeitlang offenbar, auch diese in aehnlicher Weise von ihm ernannten Beamten anzuvertrauen. Er rief die alte Stadtverweserschaft der Koenigszeit wieder ins Leben; zu verschiedenen Malen uebertrug er waehrend seiner Abwesenheit die Verwaltung der Hauptstadt einem oder mehreren solchen von ihm ohne Befragen des Volkes und auf unbestimmte Zeit ernannten Stellvertretern, welche die Geschaefte der saemtlichen Verwaltungsbeamten in sich vereinigten und sogar das Recht besassen, mit eigenem Namen, obwohl natuerlich nicht mit eigenem Bilde, Muenze zu schlagen. In dem Jahre 707 (47) und in den ersten neun Monaten des Jahres 709 (45) gab es ferner weder Praetoren noch kurulische Aedilen noch Quaestoren; auch die Konsuln wurden in jenem Jahre erst gegen das Ende ernannt, und in diesem war gar Caesar Konsul ohne Kollegen. Es sieht dies ganz aus wie ein Versuch, die alte koenigliche Gewalt auch innerhalb der Stadt Rom, bis auf die durch die demokratische Vergangenheit des neuen Monarchen gebotenen Beschraenkungen, vollstaendig zu erneuern, also von Beamten, ausser dem Koenig selbst, nur den Stadtpraefekten waehrend des Koenigs Abwesenheit und die zum Schutz der Volksfreiheit bestellten Tribunen und Volksaedilen bestehen zu lassen, aber das Konsulat, die Zensur, die Praetur, die kurulische Aedilitaet und die Quaestur wiederabzuschaffen ^15. Indes ging Caesar hiervon spaeter wieder ab: weder nahm er selbst den Koenigstitel an, noch tilgte er jene ehrwuerdigen, mit der glorreichen Geschichte der Republik verwachsenen Namen. Den Konsuln, Praetoren, Aedilen, Tribunen und Quaestoren blieb im wesentlichen ihre bisherige formelle Kompetenz, allein ihre Stellung ward dennoch gaenzlich umgewandelt. Es war der politische Grundgedanke der Republik, dass das Roemische Reich in der Stadt Rom aufgehe, und deshalb waren konsequent die hauptstaedtischen Munizipaldurchaus als Reichsbeamte behandelt worden. In Caesars Monarchie fiel mit jener Auffassung auch diese Folge weg; die Beamten Roms bildeten fortan nur die erste unter den vielen Reichsmunizipalitaeten, und namentlich das Konsulat ward ein reiner Titularposten, der nur durch die daran geknuepfte Expektanz einer hoeheren Statthalterschaft eine gewisse praktische Bedeutung bewahrte. Das Schicksal, das die roemische Gemeinde den unterworfenen zu bereiten gewohnt gewesen, widerfuhr durch Caesar ihr selber: ihre Souveraenitaet ueber das Roemische Reich verwandelte sich in eine beschraenkte Kommunalfreiheit innerhalb des roemischen Staates. Dass zugleich die Zahl der Praetoren und Quaestoren verdoppelt ward, wurde schon erwaehnt; das gleiche geschah hinsichtlich der Volksaedilen, zu denen zwei neue "Getreideaedilen" (aediles Ceriales) zur Ueberwachung der hauptstaedtischen Zufuhr hinzukamen. Die Besetzung dieser Aemter blieb der Gemeinde und ward hinsichtlich der Konsuln, vielleicht auch der Volkstribune und der Volksaedilen, nicht beschraenkt; dass fuer die Haelfte der jaehrlich zu ernennenden Praetoren, kurulischen Aedilen und Quaestoren der Imperator ein die Waehler bindendes Vorschlagsrecht erhielt, ward in der Hauptsache schon erwaehnt. Ueberhaupt wurden die altheiligen Palladien der Volksfreiheit nicht angetastet; was natuerlich nicht hinderte, gegen den einzelnen aufsaetzigen Volkstribun ernstlich einzuschreiten, ja ihn abzusetzen und von der Liste der Senatoren zu streichen. Indem also der Imperator fuer die allgemeineren und wichtigeren Fragen sein eigener Minister war; indem er die Finanzen durch seine Bedienten, das Heer durch seine Adjutanten beherrschte; indem die alten republikanischen Staatsaemter wieder in Gemeindeaemter der Stadt Rom umgewandelt waren, war die Autokratie hinreichend begruendet. ----------------------------------------- ^15 Daher denn auch die vorsichtigen Wendungen bei Erwaehnung dieser Aemter in Caesars Gesetzen: cum censor aliusve quis magistratus Romae populi censum aget (Lex Iul. munic., Z. 144); praetor isve quei Romae iure deicundo praerit (Lex Rubr. oft); quaestor urbanes queive aerario praerit (Lex Iul. munic., Z. 37 u. oe.). ----------------------------------------- In der geistlichen Hierarchie dagegen hat Caesar, obwohl er auch ueber diesen Teil des Staatshaushalts ein ausfuehrliches Gesetz erliess, nichts Wesentliches geneuert, ausser dass er das Oberpontifikat und vielleicht die Mitgliedschaft der hoeheren Priesterkollegien ueberhaupt mit der Person des Regenten verknuepfte; womit es teilweise zusammenhaengt, dass in den drei hoechsten Kollegien je eine, in dem vierten der Schmausherren drei neue Stellen geschaffen wurden. Hatte die roemische Staatskirche bisher der herrschenden Oligarchie zur Stuetze gedient, so konnte sie ebendenselben Dienst auch der neuen Monarchie leisten. Die konservative Religionspolitik des Senats ging ueber auf die neuen Koenige von Rom; als der streng konservative Varro um diese Zeit seine ’Altertuemer der goettlichen Dinge’, das Hauptund Grundbuch der roemischen Staatstheologie, bekannt machte, durfte er dieselben dem Oberpontifex Caesar zueignen. Der matte Glanz, den der Joviskult noch zu geben vermochte, umfloss den neugegruendeten Thron, und der alte Landesglaube ward in seinen letzten Stadien das Werkzeug eines freilich von Haus aus hohlen und schwaechlichen Caesaropapismus. Im Gerichtswesen ward zunaechst die alte koenigliche Gerichtsbarkeit wiederhergestellt. Wie der Koenig urspruenglich in Kriminalund Zivilsachen Richter gewesen war, ohne in jenen an die Gnadeninstanz des Volkes, in diesen an die Ueberweisung der Entscheidung der streitigen Frage an Geschworene rechtlich gebunden zu sein: so nahm auch Caesar das Recht in Anspruch, Blutgerichte wie Privatprozesse zu alleiniger und endgueltiger Entscheidung an sich zu ziehen und sie im Falle seiner Anwesenheit selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den Stadtverweser zu erledigen. In der Tat finden wir ihn, ganz nach der Weise der alten Koenige, teils oeffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht sitzen ueber des Hochverrats angeklagte roemische Buerger, teils in seinem Hause Gericht halten ueber die des gleichen Vergehens beschuldigten Klientelfuersten; so dass das Vorrecht, das die roemischen Buerger vor den uebrigen Untertanen des Koenigs voraus hatten, allein in der Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlung bestanden zu haben scheint. Indes dieses wiedererweckte koenigliche Oberrichtertum konnte, wenngleich Caesar mit Unparteilichkeit und Sorgfalt sich demselben unterzog, doch der Natur der Sache nach tatsaechlich nur in Ausnahmefaellen zur Anwendung kommen. Fuer den gewoehnlichen Rechtsgang in Kriminalund Zivilsachen blieb daneben die bisherige republikanische Rechtspflege im wesentlichen bestehen. Die Kriminalsachen fanden nach wie vor ihre Erledigung vor den verschiedener, fuer die einzelnen Verbrechen kompetenten Geschworenenkommissionen, die Zivilsachen teils vor dem Erbschaftsoder dem sogenannten "Hundertmaennergericht", teils vor den Einzelgeschworenen; die Leitung der Gerichte ward, wie bisher, in der Hauptstadt hauptsaechlich von den Praetoren, in den Provinzen von den Statthaltern beschafft. Auch die politischen Verbrechen blieben selbst unter der Monarchie einer Geschworenenkommission ueberwiesen; die neue Ordnung, die Caesar fuer dieselbe erliess, spezifizierte die gesetzlich strafbaren Handlungen genau und in liberaler, jede Gesinnungsverfolgung ausschliessender Weise und setzte als Strafe nicht den Tod fest, sondern die Verbannung. Hinsichtlich der Auswahl der Geschworenen, die die Senatorenpartei ausschliesslich aus dem Senat, die strengen Gracchaner ausschliesslich aus dem Ritterstand erkoren wissen wollten, liess Caesar, getreu dem Grundsatz der Versoehnung der Parteien, es bei dem Transaktionsgesetze Cottas, jedoch mit der wahrscheinlich schon durch das Gesetz des Pompeius vom Jahre 699 (55) vorbereiteten Modifikation, dass die aus den unteren Schichten des Volkes hervorgegangenen Aerartribunen beseitigt, damit also ein Geschworenenzensus von mindestens 400000 Sesterzen (30000 Taler) festgesetzt ward, und Senatoren und Ritter in die Geschworenenfunktionen, die so lange der Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetzt sich teilten. Das Verhaeltnis der koeniglichen und der republikanischen Gerichtsbarkeit war im ganzen konkurrierender Art, so dass jede Sache sowohl vor dem Koenigsgericht als vor dem beikommenden republikanischen Gerichtshof anhaengig gemacht werden konnte, wobei im Kollisionsfall natuerlich der letztere zurueckstand; wenn dagegen das eine oder das andere Gericht den Spruch gefaellt hatte, die Sache damit endgueltig erledigt war. Zur Umstossung eines in einer Ziviloder in einer Kriminalsache von den berufenen Geschworenen gefaellten Verdikts war auch der neue Herrscher nicht befugt, ausgenommen wo besondere Momente, zum Beispiel Bestechung oder Gewalt, schon nach dem Recht der Republik die Kassation des Geschworenenspruchs herbeifuehrten. Dagegen erhielt der Satz, dass wegen eines jeden bloss magistratischen Dekrets der dadurch Beschwerte an den Vorgesetzten des Dezernenten zu appellieren befugt sei, wahrscheinlich schon jetzt die grosse Ausdehnung, aus der die spaetere kaiserliche Appellationsinstanz hervorgegangen ist: es wurden vielleicht saemtliche rechtsprechende Magistrate, mindestens aber die Statthalter der saemtlichen Provinzen insofern als Unterbeamte des Herrschers angesehen, dass von jedem ihrer Dekrete Berufung an denselben eingelegt werden konnte. Allerdings haben diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die Generalisierung der Appellation, nicht einmal unbedingt zu den Besserungen gezaehlt werden kann, die Schaeden, an denen die roemische Rechtspflege daniederlag, keineswegs ausgeheilt. Der Kriminalprozess kann in keinem Sklavenstaat gesund sein, da das Verfahren gegen Sklaven wenn nicht rechtlich, doch tatsaechlich in der Hand des Herrn liegt. Der roemische Herr ahndete begreiflicherweise das Verbrechen seines Knechts durchgaengig nicht als solches, sondern nur insofern es den Sklaven ihm unbrauchbar oder unangenehm machte; die Verbrechersklaven wurden eben nur ausrangiert, etwa wie die stoessigen Ochsen, und, wie diese an den Schlaechter, so jene in die Fechtbude verkauft. Aber auch der Kriminalprozess gegen Freie, der von Haus aus politischer Prozess gewesen und zum guten Teil immer geblieben war, hatte in dem wuesten Treiben der letzten Generationen aus einem ernstlichen Rechtshandel sich umgewandelt in eine mit Gunst, Geld und Gewalt zu schlagende Cliquenschlacht. Die Schuld lag an allen Beteiligten zugleich, an den Beamten, der Jury, den Parteien, sogar dem Zuschauerpublikum; aber die unheilbarsten Wunden schlug dem Rechte das Treiben der Advokaten. Indem die Schmarotzerpflanze der roemischen Advokatenberedsamkeit gedieh, wurden alle positiven Rechtsbegriffe zersetzt und der dem Publikum so schwer einleuchtende Unterschied zwischen Meinung und Beweis aus der roemischen Kriminalpraxis recht eigentlich ausgetrieben. "Ein recht schlechter Angeklagter", sagt ein vielerfahrener roemischer Advokat dieser Zeit, "kann auf jedes beliebige Verbrechen, das er begangen oder nicht begangen hat, angeklagt werden und wird sicher verurteilt." Es sind aus dieser Epoche zahlreiche Plaedoyers in Kriminalsachen erhalten; kaum eines ist darunter, das auch nur ernstlich versuchte, das fragliche Verbrechen zu fixieren und den Beweis oder Gegenbeweis zu formulieren ^16. Dass der gleichzeitige Zivilprozess ebenfalls vielfach ungesund war, bedarf kaum der Erwaehnung; auch er litt unter den Folgen der in alles sich mengenden Parteipolitik, wie denn zum Beispiel in dem Prozess des Publius Quinctius (671-673 83-81) die widersprechendsten Entscheidungen fielen, je nachdem Cinna oder Sulla in Rom die Oberhand hatte; und die Anwaelte, haeufig Nichtjuristen, stifteten auch hier absichtlich und unabsichtlich Verwirrung genug. Aber es lag doch in der Natur der Sache, dass teils die Partei hier nur ausnahmsweise sich einmengte, teils die Advokatenrabulistik nicht so rasch und nicht so tief die Rechtsbegriffe aufzuloesen vermochte; wie denn auch die Zivilplaedoyers, die wir aus dieser Epoche besitzen, zwar nicht nach unseren strengeren Begriffen gute Advokatenschriften, aber doch weit weniger libellistischen und weit mehr juristischen Inhalts sind als die gleichzeitigen Kriminalreden. Wenn Caesar der Advokatenberedsamkeit den von Pompeius ihr angelegten Maulkorb liess oder gar ihn noch verschaerfte, war damit wenigstens nichts verloren; und viel war gewonnen, wenn besser gewaehlte und besser beaufsichtigte Beamte und Geschworene ernannt wurden und die handgreifliche Bestechung und Einschuechterung der Gerichte ein Ende nahm. Aber das heilige Rechtsgefuehl und die Ehrfurcht vor dem Gesetz, schwer in den Gemuetern der Menge zu zerruetten, sind schwerer noch wiederzuerzeugen. Wie auch der Gesetzgeber mannigfaltigen Missbrauch abstellte, den Grundschaden vermochte er nicht zu heilen; und man durfte zweifeln, ob die Zeit, die alles Heilbare heilt, hier Hilfe bringen werde. ------------------------------------------------- ^16 "Weit oefter", sagt Cicero in seiner Anweisung zur Redekunst (De orat. 2, 42, 178), zunaechst in Beziehung auf den Kriminalprozess, "bestimmen Abneigung oder Zuneigung oder Parteilichkeit oder Erbitterung oder Schmerz oder Freude oder Hoffnung oder Furcht oder Taeuschung oder ueberhaupt eine Leidenschaft den Wahrspruch der Leute als der Beweis oder die Vorschrift oder eine Rechtsregel oder die Prozessinstruktion oder die Gesetze." Darauf wird denn die weitere Unterweisung fuer den angehenden Sachwalter begruendet. ------------------------------------------------- Das roemische Heerwesen dieser Zeit war ungefaehr in derselben Verfassung wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die regierenden Klassen sendeten nur noch die Offiziere; die Untertanenschaft, Plebejer und Provinzialen, bildeten das Heer. Der Feldherr war von der Zentralregierung finanziell und militaerisch fast unabhaengig und im Glueck wie im Unglueck wesentlich auf sich selbst und auf die Hilfsquellen seines Sprengels angewiesen. Buergerund sogar Nationalsinn waren aus dem Heere verschwunden und als innerliches Band einzig der Korpsgeist uebriggeblieben. Die Armee hatte aufgehoert ein Werkzeug des Gemeinwesens zu sein; politisch hatte sie einen eigenen Willen nicht, wohl aber vermochte sie den des Werkmeisters sich anzueignen; militaerisch sank sie unter den gewoehnlichen elenden Fuehrern zu einer aufgeloesten, unbrauchbaren Rotte herab, entwickelte aber auch unter dem rechten Feldherrn sich zu einer dem Buergerheer unerreichbaren militaerischen Vollkommenheit. Der Offiziersstand vor allem war im tiefsten Verfall. Die hoeheren Staende, Senatoren und Ritter entwoehnten immer mehr sich der Waffen. Wenn man sonst um die Stabsoffizierstellen eifrig geworben hatte, so war jetzt jeder Mann von Ritterrang, welcher dienen mochte, einer Kriegstribunenstelle sicher und schon mussten manche dieser Posten mit Maennern niedrigeren Standes besetzt werden; wer aber ueberhaupt von den Vornehmen noch diente, suchte wenigstens seine Dienstzeit in Sizilien oder einer anderen Provinz abzutun, wo man sicher war, nicht vor den Feind zu kommen. Offiziere von gewoehnlicher Bravour und Brauchbarkeit wurden wie Meerwunder angestaunt; wie denn namentlich mit Pompeius seine Zeitgenossen eine sie in jeder Hinsicht kompromittierende militaerische Vergoetterung trieben. Zum Ausreissen wie zur Meuterei gab in der Regel der Stab das Signal; trotz der straeflichen Nachsicht der Kommandierenden waren Antraege auf Kassation vornehmer Offiziere alltaegliche Vorfaelle. Noch besitzen wir das von Caesars eigener Hand nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie in seinem eigenen Hauptquartier, als es gegen Ariovist gehen sollte, geflucht und geweint und an Testamenten und sogar an Urlaubsgesuchen gearbeitet ward. In der Soldatenschaft war von den besseren Staenden keine Spur mehr zu entdecken. Gesetzlich bestand die allgemeine Wehrpflicht noch, allein die Aushebung erfolgte, wenn es neben der Anwerbung dazu kam, in regelloser Weise; zahlreiche Pflichtige wurden uebergangen und die einmal Eingetretenen dreissig Jahre und laenger bei den Adlern festgehalten. Die roemische Buergerreiterei vegetierte nur noch als eine Art berittener Nobelgarde, deren salbenduftende Kavaliere und ausgesuchte Luxuspferde einzig bei den hauptstaedtischen Festen eine Rolle spielten; das sogenannte Buergerfussvolk war eine aus den niedrigsten Schichten der Buergerbevoelkerung zusammengeraffte Lanzknechttruppe; die Untertanen stellten die Reiterei und die leichten Truppen ausschliesslich und fingen an, auch im Fussvolk immer staerker mitverwendet zu werden. Die Rottenfuehrerstellen in den Legionen, auf denen bei der damaligen Kriegfuehrung die Tuechtigkeit der Abteilungen wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen Kriegsverfassung der Soldat mit der Pike sich empordiente, wurden jetzt nicht bloss regelmaessig nach Gunst vergeben, sondern sogar nicht selten an den Meistbietenden verkauft. Die Zahlung des Soldes erfolgte bei der schlechten Finanzwirtschaft der Regierung und der Feilheit und Betruegerei der grossen Majoritaet der Beamten hoechst mangelhaft und unregelmaessig. Die notwendige Folge hiervon war, dass im gewoehnlichen Laufe der Dinge die roemischen Armeen die Provinzen ausraubten, gegen die Offiziere meuterten und vor dem Feinde davonliefen; es kam vor, dass betraechtliche Heere, wie das makedonische des Piso im Jahre 697 (57), ohne eigentliche Niederlage, bloss durch diese Misswirtschaft vollstaendig ruiniert wurden. Faehige Fuehrer dagegen, wie Pompeius, Caesar, Gabinius, bildeten wohl aus dem vorhandenen Material tuechtige und schlagfertige, zum Teil musterhafte Armeen; allein es gehoerten diese Armeen viel mehr ihrem Heerfuehrer als dem Gemeinwesen. Der noch weit vollstaendigere Verfall der roemischen Marine, die zu allem andern den Roemern antipathisch geblieben und nie voellig nationalisiert worden war, bedarf kaum der Erwaehnung. Es war eben auch hier nach allen Seiten hin unter dem oligarchischen Regiment ruiniert worden, was ueberhaupt ruiniert w
erden konnte. Caesars Reorganisation des roemischen Militaerwesens beschraenkte sich im wesentlichen darauf, die unter der bisherigen schlaffen und unfaehigen Oberleitung gelockerten Zuegel der Disziplin wieder straff und fest anzuziehen. Einer radikalen Reform schien ihm das roemische Heerwesen entweder nicht beduerftig oder auch nicht faehig; die Elemente der Armee akzeptierte er, ebenwie Hannibal sie akzeptiert hatte. Die Bestimmung seiner Gemeindeordnung, dass, um vor dem dreissigsten Jahre ein Gemeindeamt zu bekleiden oder im Gemeinderat zu sitzen, ein dreijaehriger Dienst zu Pferde - das heisst als Offizier - oder ein sechsjaehriger zu Fuss erforderlich sei, beweist wohl, dass er die besseren Staende in das Heer zu ziehen wuenschte, aber ebenso deutlich auch, dass bei dem immer mehr einreissenden unkriegerischen Geist der Nation er selbst es nicht mehr fuer moeglich hielt, die Bekleidung eines Ehrenamtes an die Ueberstehung der Dienstzeit unbedingt wie ehedem zu knuepfen. Ebendaraus wird es sich erklaeren, dass Caesar keinen Versuch gemacht hat, die roemische Buergerreiterei wiederherzustellen. Die Aushebung ward besser geordnet, die Dienstzeit geregelt und abgekuerzt; uebrigens blieb es dabei, dass die Linieninfanterie vorwiegend aus den niederen Staenden der roemischen Buergerschaft, die Reiterei und die leichte Infanterie aus der Untertanenschaft ausgehoben ward - dass fuer die Reorganisation der Kriegsflotte nichts geschah, ist auffallend. Eine ohne Zweifel ihrem Urheber selbst bedenkliche Neuerung, zu der die Unzuverlaessigkeit der Untertanenreiterei zwang, war es, dass Caesar zuerst von dem altroemischen System abwich, niemals mit Soeldnern zu fechten, und in die Reiterei gemietete Auslaender, namentlich Deutsche, einstellte. Eine andere Neuerung war die Einsetzung der Legionsadjutanten (legati legionis). Bis dahin hatten die teils von der Buergerschaft, teils von dem betreffenden Statthalter ernannten Kriegstribune in der Art die Legionen gefuehrt, dass jeder derselben je sechs vorgesetzt waren und unter diesen das Kommando wechselte; einen Einzelkommandanten der Legion bestellte nur voruebergehend und ausserordentlicherweise der Feldherr. In spaeterer Zeit dagegen erscheinen jene Legionsobersten oder Legionsadjutanten teils als eine bleibende und organische Institution, teils als ernannt nicht mehr von dem Statthalter, dem sie gehorchen, sondern von dem Oberkommando in Rom; beides scheint auf Caesars an das Gabinische Gesetz anknuepfende Einrichtungen zurueckzugehen. Der Grund der Einfuehrung dieser wichtigen Zwischenstufe in die militaerische Hierarchie wird teils in dem Beduerfnis einer energischen Zentralisierung des Kommandos, teils in dem fuehlbaren Mangel an faehigen Oberoffizieren, teils und vor allem in der Absicht zu suchen sein, durch Zuordnung eines oder mehrerer vom Imperator ernannten Obersten dem Statthalter ein Gegengewicht zu geben. Die wesentlichste Veraenderung im Heerwesen bestand in der Aufstellung eines bleibenden Kriegshauptes in dem Imperator, welcher anstatt des bisherigen unmilitaerischen und in jeder Beziehung unfaehigen Regierungskollegiums das gesamte Armeeregiment in seinen Haenden vereinigte und dasselbe also aus einer meist bloss nominellen Direktion in ein wirkliches und energisches Oberkommando umschuf. Wir sind nicht gehoerig darueber unterrichtet, in welcher Weise dies Oberkommando sich zu den bis dahin in ihren Sprengeln allmaechtigen Spezialkommandos stellte. Wahrscheinlich lag dabei im allgemeinen die Analogie des zwischen dem Praetor und dem Konsul oder auch dem Konsul und dem Diktator obwaltenden Verhaeltnisses zu Grunde, so dass der Statthalter zwar an sich die hoechste militaerische Gewalt in seinem Sprengel behielt, aber der Imperator in jedem Augenblick dieselbe ihm ab und sie fuer sich oder seine Beauftragten zu nehmen befugt war und dass, waehrend die Gewalt des Statthalters auf den Sprengel beschraenkt war, die des Imperators wieder, wie die koenigliche und die aeltere konsularische, sich ueber das gesamte Reich erstreckte. Ferner ist hoechst wahrscheinlich schon jetzt die Ernennung der Offiziere, sowohl der Kriegstribune als der Centurionen, soweit sie bisher dem Statthalter zugestanden ^17, ebenso wie die Ernennung der neuen Legionsadjutanten unmittelbar an den Imperator gekommen und ebenso moegen schon jetzt die Anordnung der Aushebungen, die Abschiedserteilung, die wichtigeren Kriminalfaelle an das Oberkommando gezogen worden sein. Bei dieser Beschraenkung der Kompetenz der Statthalter und bei der regulierten Kontrolle des Imperators war fernerhin nicht leicht, weder eine voellige Verwahrlosung der Armeen noch eine Umwandlung derselben in persoenliche Gefolgschaften der einzelnen Offiziere zu befuerchten. Indes, so entschieden auch die Verhaeltnisse zur Militaermonarchie hindraengten und so bestimmt Caesar das Oberkommando ausschliesslich fuer sich nahm, war er dennoch keineswegs gesonnen, seine Gewalt durch und auf das Heer zu begruenden. Er hielt zwar eine stehende Armee notwendig fuer seinen Staat, aber nur, weil derselbe seiner geographischen Lage nach einer umfassenden Grenzregulierung und stehender Grenzbesatzungen bedurfte. Teils in frueheren Epochen, teils waehrend des letzten Buergerkrieges hatte er an Spaniens Befriedigung gearbeitet und in Afrika laengs der grossen Wueste, im Nordwesten des Reiches an der Rheinlinie feste Stellungen fuer die Grenzverteidigung eingerichtet. Mit aehnlichen Plaenen beschaeftigte er sich fuer die Landschaften am Euphrat und an der Donau. Vor allen Dingen gedachte er gegen die Parther zu ziehen und den Tag von Karrhae zu raechen; er hatte drei Jahre fuer diesen Krieg bestimmt und war entschlossen, mit diesen gefaehrlichen Feinden ein fuer allemal und ebenso vorsichtig wie gruendlich abzurechnen. Ebenso hatte er den Plan entworfen, den zu beiden Seiten der Donau gewaltig um sich greifenden Getenkoenig Burebistas anzugreifen und auch im Nordosten Italien durch aehnliche Marken zu schuetzen, wie er sie ihm im Keltenland geschaffen. Dagegen liegen durchaus keine Beweise dafuer vor, dass Caesar gleich Alexander einen Siegeslauf in die unendliche Ferne im Sinn hatte; es wird wohl erzaehlt, dass er von Parthien aus an das Kaspische und von diesem an das Schwarze Meer, sodann an dem Nordufer desselben bis zur Donau zu ziehen, ganz Skythien und Germanien bis an den - nach damaliger Vorstellung vom Mittelmeer nicht allzu fernen - noerdlichen Ozean zum Reiche zu bringen und durch Gallien heimzukehren beabsichtigt habe; allein keine irgend glaubwuerdige Autoritaet verbuergt die Existenz dieser fabulosen Projekte. Bei einem Staat, der, wie der roemische Caesars, bereits eine schwer zu bewaeltigende Masse barbarischer Elemente in sich schloss und mit deren Assimilierung noch auf Jahrhunderte hinaus mehr als genug zu tun hatte, waeren solche Eroberungen, auch ihre militaerische Ausfuehrbarkeit angenommen, doch nichts gewesen als noch weit glaenzendere und noch weit schlimmere Fehler als die indische Heerfahrt Alexanders. Sowohl nach Caesars Verfahren in Britannien und Deutschland wie nach dem Verhalten derjenigen, die die Erben seiner politischen Gedanken wurden, ist es in hohem Grade wahrscheinlich, dass Caesar, mit Scipio Aemilianus, die Goetter nicht anrief, das Reich zu mehren, sondern es zu erhalten, und dass seine Eroberungsplaene sich beschraenkten auf eine, freilich nach seinem grossartigen Massstab bemessene, Grenzregulierung, welche die Euphratlinie sichern und anstatt der voellig schwankenden und militaerisch nichtigen nordoestlichen Reichsgrenze die Donaulinie feststellen und verteidigungsfaehig machen sollte. Indes wenn es nur wahrscheinlich bleibt, dass Caesar nicht in dem Sinne als Welteroberer bezeichnet werden darf wie Alexander und Napoleon, so ist das vollkommen gewiss, dass er seine neue Monarchie nicht zunaechst auf die Armee zu stuetzen, ueberhaupt nicht die militaerische Gewalt ueber die buergerliche zu setzen, sondern sie dem buergerlichen Gemeinwesen einund soweit moeglich unterzuordnen gedachte. Die unschaetzbaren Stuetzen eines Soldatenstaates, jene alten vielgefeierten gallischen Legionen, wurden eben wegen ihres mit einem buergerlichen Gemeinwesen unvertraeglichen Korpsgeistes in ehrenvoller Weise annulliert und ihre ruhmvollen Namen pflanzten nur sich fort in neugegruendeten staedtischen Gemeinden. Die von Caesar bei der Entlassung mit Landlosen beschenkten Soldaten wurden nicht wie die Sullas in eigenen Kolonien gleichsam militaerisch zusammengesiedelt, sondern, namentlich soweit sie in Italien ansaessig wurden, moeglichst vereinzelt und durch die ganze Halbinsel zerstreut; nur war es freilich nicht zu vermeiden, dass auf den zur Verfuegung gebliebenen Teilen des kampanischen Ackers die alten Soldaten Caesars dennoch in Masse sich zusammenfanden. Der schwierigen Aufgabe, die Soldaten einer stehenden Armee innerhalb der Kreise des buergerlichen Lebens zu halten, suchte Caesar zu genuegen teils durch Festhaltung der bisherigen nur gewisse Dienstjahre, nicht aber einen eigentlich stehenden, das heisst durch keine Entlassung unterbrochenen Dienst vorschreibenden Ordnung, teils durch die schon erwaehnte Verkuerzung der Dienstzeit, welche einen rascheren Wechsel des Soldatenpersonals herbeifuehrte, teils durch regelmaessige Ansiedlung der ausgedienten Soldaten als Ackerkolonisten, teils und vornehmlich dadurch, dass die Armee von Italien und ueberhaupt von den eigentlichen Sitzen des buergerlichen und politischen Lebens der Nation ferngehalten und der Soldat dahin gewiesen ward, wo er nach der Meinung des grossen Koenigs allein an seinem Platze war: in die Grenzstationen zur Abwehr des auswaertigen Feindes. Das rechte Kriterium des Militaerstaates, die Entwicklung und Bevorzugung der Gardetruppe, findet ebenfalls bei Caesar sich nicht. Obwohl in der aktiven Armee das Institut einer besonderen Leibwache des Feldherrn bereits seit langem bestand, so tritt diese doch in Caesars Heerfuehrung vollstaendig in den Hintergrund; seine praetorische Kohorte scheint wesentlich nur aus Ordonnanzoffizieren oder nichtmilitaerischen Begleitern bestanden zu haben und niemals ein eigentliches Elitenkorps, also auch niemals Gegenstand der Eifersucht der Linientruppen gewesen zu sein. Wenn Caesar schon als Feldherr die Leibwache tatsaechlich fallen liess, so duldete er um so weniger als Koenig eine Garde um sich. Obwohl bestaendig, und ihm wohl bewusst, von Moerdern umschlichen, wies er dennoch den Antrag des Senats auf Errichtung einer Nobelgarde zurueck, entliess, sowie die Dinge einigermassen sich beruhigten, die spanische Eskorte, deren er in der ersten Zeit in der Hauptstadt sich bedient hatte, und begnuegte sich mit dem Gefolge von Gerichtsdienern, wie es fuer die roemischen Oberbeamten hergebracht war. Wie viel auch Caesar von dem Gedanken seiner Partei und seiner Jugend, ein perikleisches Regiment in Rom nicht kraft des Saebels, sondern kraft des Vertrauens der Nation zu begruenden, im Kampfe mit den Realitaeten hatte muessen fallen lassen - den Grundgedanken, keine Militaermonarchie zu stiften, hielt er auch jetzt noch mit einer Energie fest, zu der die Geschichte kaum eine Parallele darbietet. Allerdings war auch dies ein unausfuehrbares Ideal - es war die einzige Illusion, in der das sehnsuechtige Verlangen in diesem starken Geiste maechtiger war als der klare Verstand. Ein Regiment, wie es Caesar im Sinne trug, war nicht bloss notwendig hoechst persoenlicher Natur und musste mit dem Tode des Urhebers ebenso zugrunde gehen wie die verwandten Schoepfungen Perikles’ und Cromwells mit dem Tode ihrer Stifter; sondern bei dem tief zerruetteten Zustand der Nation war es nicht einmal glaublich, dass es dem achten Koenig von Rom auch nur fuer seine Lebenszeit gelingen werde, so wie seine sieben Vorgaenger seine Mitbuerger bloss kraft Gesetz und Recht zu beherrschen, und ebensowenig wahrscheinlich, dass es ihm gelingen werde, das stehende Heer, nachdem es im letzten Buergerkrieg seine Macht kennengelernt und die Scheu verlernt hatte, wieder als dienendes Glied in die buergerliche Ordnung einzufuegen. Wer kaltbluetig erwog, bis zu welchem Grade die Furcht vor dem Gesetz aus den untersten wie aus den obersten Schichten der Gesellschaft entwichen war, dem musste die erstere Hoffnung vielmehr ein Traum duenken; und wenn mit der Marianischen Reform des Heerwesens der Soldat ueberhaupt aufgehoert hat, Buerger zu sein, so zeigten die kampanische Meuterei und das Schlachtfeld von Thapsus mit leidiger Deutlichkeit, in welcher Art jetzt die Armee dem Gesetze ihren Arm lieh. Selbst der grosse Demokrat vermochte die Gewalten, die er entfesselt hatte, nur muehsam und mangelhaft wieder zu baendigen; Tausende von Schwertern flogen noch auf seinen Wink aus der Scheide, aber zurueck in die Scheide kehrten sie schon nicht mehr auf seinen Wink. Das Verhaengnis ist maechtiger als das Genie. Caesar wollte der Wiederhersteller des buergerlichen Gemeinwesens werden und ward der Gruender der von ihm verabscheuten Militaermonarchie; er stuerzte den Aristokratenund Bankierstaat im Staate nur, um an deren Platz den Soldatenstaat im Staate zu setzen, und das Gemeinwesen blieb wie bisher tyrannisiert und exploitiert von einer privilegierten Minoritaet. Aber dennoch ist es ein Privilegium der hoechsten Naturen, also schoepferisch zu irren. Die genialen Versuche grosser Maenner, das Ideal zu realisieren, wenn sie auch ihr Ziel nicht erreichen, bilden den besten Schatz der Nationen. Es ist Caesars Werk, dass der roemische Militaerstaat erst nach mehreren Jahrhunderten zum Polizeistaat ward und dass die roemischen Imperatoren, wie wenig sie sonst auch dem grossen Begruender ihrer Herrschaft glichen, doch den Soldaten wesentlich nicht gegen den Buerger verwandten, sondern gegen den Feind, und Nation und Armee beide zu hoch achteten, um diese zum Konstabler ueber jene zu setzen. -------------------------------------------------------- ^17 An die Ernennung eines Teiles der Kriegstribune durch die Buergerschaft hat Caesar, auch hierin Demokrat, nicht geruehrt. -------------------------------------------------------- Die Ordnung des Finanzwesens machte bei den soliden Grundlagen, die die ungeheure Groesse des Reiches und der Ausschluss des Kreditsystems gewaehrten, verhaeltnismaessig geringe Schwierigkeit. Wenn der Staat bisher in bestaendiger Finanzverlegenheit sich befunden hatte, so war daran die Unzulaenglichkeit der Staatseinnahmen am wenigsten schuld; vielmehr hatten diese eben in den letzten Jahren sich ungemein vermehrt. Zu der aelteren Gesamteinnahme, die auf 200 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) angeschlagen wird, waren durch die Einrichtung der Provinzen Bithynien-Pontus und Syrien 85 Mill. Sesterzen (6500000 Taler) gekommen; welcher Zuwachs, nebst den sonstigen neueroeffneten oder gesteigerten Einnahmequellen, namentlich durch den bestaendig steigenden Ertrag der Luxusabgaben, den Verlust der kampanischen Pachtgelder weit ueberwog. Ausserdem waren durch Lucullus, Metellus, Pompeius, Cato und andere ausserordentlicherweise dem Staatsschatz ungeheure Summen zugeflossen. Die Ursache der finanziellen Verlegenheiten lag vielmehr teils in den gesteigerten ordentlichen und ausserordentlichen Ausgaben, teils in der geschaeftlichen Verwirrung. Unter jenen nahm die Getreideverteilung an die hauptstaedtische Menge fast unerschwingliche Summen in Anspruch: durch die von Cato 691 (63) ihr gegebene Ausdehnung stieg die jaehrliche Ausgabe dafuer auf 30 Mill. Sesterzen (2300000 Taler), und seit Abschaffung der bisher gezahlten Verguetung im Jahre 696 (58) verschlang dieselbe gar den fuenften Teil der Staatseinkuenfte. Auch das Militaerbudget war gestiegen, seit zu den Besatzungen von Spanien, Makedonien und den uebrigen Provinzen noch die von Kilikien, Syrien und Gallien hinzukamen. Unter den ausserordentlichen Ausgaben sind in erster Linie die grossen Kosten der Flottenruestungen zu nennen, wofuer zum Beispiel fuenf Jahre nach der grossen Razzia von 687 (67) auf einmal 34 Mill. Sesterzen (2600000 Taler) verausgabt wurden. Dazu kamen die sehr ansehnlichen Summen, welche die Kriegszuege und Kriegsvorbereitungen wegnahmen, wie denn bloss fuer Ausruestung des makedonischen Heeres an Piso auf einmal 18 Mill. Sesterzen (1370000 Taler), an Pompeius fuer die Unterhaltung und Besoldung der spanischen Armee gar jaehrlich 24 Mill. Sesterzen (1826000 Taler) und aehnliche Summen an Caesar fuer die gallischen Legionen gezahlt wurden. So betraechtlich aber auch diese Ansprueche waren, die an die roemische Staatskasse gemacht wurden, so haette dennoch dieselbe ihnen zu genuegen vermocht, wenn nicht ihre einst so musterhafte Verwaltung von der allgemeinen Schlaffheit und Unehrlichkeit dieser Zeit mitergriffen worden waere; oft stockten die Zahlungen des Aerars bloss deshalb, weil man dessen ausstehende Forderungen einzumahnen versaeumte. Die vorgesetzten Beamten, zwei von den Quaestoren, junge, jaehrlich gewechselte Menschen, verhielten im besten Fall sich passiv; unter dem frueherhin seiner Ehrenhaftigkeit wegen mit Recht hoch angesehenen Schreiberund sonstigen Bueropersonal waren jetzt, namentlich seit diese Posten kaeuflich geworden waren, die aergsten Missbraeuche im Schwange. Sowie indes die Faeden des roemischen Staatsfinanzwesens nicht mehr wie bisher im Senat, sondern in Caesars Kabinett zusammenliefen, kam von selbst neues Leben, strengere Ordnung und festerer Zusammenhang in alle Raeder und Triebfedern dieser grossen Maschine. Die beiden von Gaius Gracchus herruehrenden und Krebsschaeden gleich das roemische Finanzwesen zerfressenden Institutionen: die Verpachtung der direkten Abgaben und die Getreideverteilungen, wurden teils abgeschafft, teils umgestaltet. Caesar wollte nicht wie sein Vorlaeufer die Nobilitaet durch die Bankieraristokratie und den hauptstaedtischen Poebel in Schach halten, sondern sie beseitigen und das Gemeinwesen von saemtlichen Parasiten hohen und niederen Ranges befreien; und darum ging er in diesen beiden wichtigen Fragen nicht mit Gaius Gracchus, sondern mit dem Oligarchen Sulla. Das Verpachtungssystem blieb fuer die indirekten Abgaben bestehen, bei denen es uralt war und, bei der auch von Caesar unverbruechlich festgehaltenen Maxime der roemischen Finanzverwaltung, die Abgabenerhebung um jeden Preis einfach und uebersichtlich zu erhalten, schlechterdings nicht entbehrt werden konnte. Die direkten Abgaben aber wurden fortan durchgaengig entweder, wie die afrikanischen und sardinischen Kornund Oellieferungen, behandelt als unmittelbar an den Staat abzufuehrende Naturalleistungen, oder, wie die kleinasiatischen Gefaelle, in feste Geldabgaben verwandelt und die Einziehung der Einzelbetraege den Steuerdistrikten selbst ueberlassen. Die Kornverteilungen in der Hauptstadt waren bisher als nutzbares Recht der herrschenden und, weil sie herrschte, von den Untertanen zu speisenden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose Grundsatz ward von Caesar beseitigt; aber es konnte nicht uebersehen werden, dass eine Menge gaenzlich unvermoegender Buerger lediglich durch diese Speisungen vor dem Verhungern geschuetzt worden war. In diesem Sinne hielt Caesar dieselben fest. Hatte nach der Sempronischen, von Cato wiedererneuerten Ordnung jeder in Rom angesessene roemische Buerger rechtlich Anspruch gehabt auf unentgeltliches Brotkorn, so wurde diese Empfaengerliste, welche zuletzt bis auf 320000 Nummern gestiegen war, durch Ausscheidung aller wohlhabenden oder anderweit versorgten Individuen auf 150000 herabgebracht und diese Zahl als Maximalzahl der Freikornstellen ein fuer allemal fixiert, zugleich eine jaehrliche Revision der Liste angeordnet, um die durch Austritt oder Tod leergewordenen Plaetze mit den beduerftigsten unter den Bewerbern wieder zu besetzen. Indem also das politische Privilegium in eine Armenversorgung umgewandelt ward, trat ein in sittlicher wie in geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerter Satz zum erstenmal in lebendige Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe zu Stufe ringt die buergerliche Gesellschaft sich durch zu der Solidaritaet der Interessen; im frueheren Altertum schuetzte der Staat die Seinigen wohl vor dem Landesfeind und dem Moerder, aber er war nicht verpflichtet, durch Verabreichung der notwendigen Subsistenzmittel den gaenzlich hilflosen Mitbuerger vor dem schlimmeren Feinde des Mangels zu bewahren. Die attische Zivilisation ist es gewesen, die in der Solonischen und nachsolonischen Gesetzgebung zuerst den Grundsatz entwickelt hat, dass es Pflicht der Gemeinde ist, fuer ihre Invaliden, ja fuer ihre Armen ueberhaupt zu sorgen; und zuerst Caesar hat, was in der beschraenkten Enge des attischen Lebens Gemeindesache geblieben war, zu einer organischen Staatsinstitution entwickelt und eine Einrichtung, die fuer den Staat eine Last und eine Schmach war, umgeschaffen in die erste jener heute so unzaehlbaren wie segensreichen Anstalten, in denen das unendliche menschliche Erbarmen mit dem unendlichen menschlichen Elend ringt. Ausser diesen prinzipiellen Reformen fand eine durchgaengige Revision des Einnahmeund Ausgabewesens statt. Die ordentlichen Einnahmen wurden ueberall reguliert und fixiert. Nicht wenigen Gemeinden, ja ganzen Landschaften ward, sei es mittelbar durch Verleihung des roemischen oder latinischen Buergerrechts, sei es unmittelbar durch Privilegium, die Steuerfreiheit bewilligt; so erhielten sie zum Beispiel alle sizilischen ^18 Gemeinden auf jenem, die Stadt Ilion auf diesem Wege. Noch groesser war die Zahl derjenigen, deren Steuerquantum herabgesetzt ward; wie denn den Gemeinden im Jenseitigen Spanien schon nach Caesars Statthalterschaft auf dessen Betrieb eine Steuerherabsetzung vom Senat bewilligt worden war, und jetzt der am meisten gedrueckten Provinz Asia nicht bloss die Hebung ihrer direkten Steuern erleichtert, sondern auch der dritte Teil derselben ganz erlassen ward. Die neu hinzukommenden Abgaben, wie die der in Illyrien unterworfenen und vor allem der gallischen Gemeinden, welche letztere zusammen 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) jaehrlich entrichteten, waren durchgaengig niedrig gegriffen. Freilich ward dagegen auch einzelnen Staedten, wie Klein-Leptis in Afrika, Sulci auf Sardinien und mehreren spanischen Gemeinden, zur Strafe ihres Verhaltens waehrend des letzten Krieges die Steuer erhoeht. Die sehr eintraeglichen, in den letzten Zeiten der Anarchie abgeschafften italischen Hafenzoelle wurden um so mehr wiederhergestellt, als diese Abgabe wesentlich die aus dem Osten eingehenden Luxuswaren traf. Zu diesen neuoder wiedereroeffneten ordentlichen Einnahmequellen kamen die Summen hinzu, die ausserordentlicherweise, namentlich infolge des Buergerkrieges, an den Sieger gelangten: die in Gallien gesammelte Beute; der hauptstaedtische Kassenbestand; die aus den italischen und spanischen Tempeln entnommenen Schaetze, die in Formen der Zwangsanleihe, des Zwangsgeschenkes oder der Busse von den abhaengigen Gemeinden und Dynasten erhobenen Summen und die in aehnlicher Weise durch Rechtsspruch oder auch bloss durch Zusendung des Zahlungsbefehls einzelnen reichen Roemern auferlegten Strafgelder; vor allen Dingen aber der Erloes aus dem Vermoegen der geschlagenen Gegner. Wie ergiebig diese Einnahmequellen waren, mag man daraus abnehmen, dass allein die Busse der afrikanischen Grosshaendler, die in dem Gegensenat gesessen, sich auf 100 Mill. Sesterzen (7« Mill. Taler) und der von den Kaeufern des Vermoegens des Pompeius gezahlte Preis auf 70 Mill. Sesterzen (5300000 Taler) belief. Dieses Verfahren war notwendig, weil die Macht der geschlagenen Nobilitaet zum guten Teil auf ihrem kolossalen Reichtum ruhte und nur dadurch wirksam gebrochen werden konnte, dass ihr die Tragung der Kriegskosten auferlegt ward. Die Gehaessigkeit der Konfiskationen aber ward einigermassen dadurch gemildert, dass Caesar ihren Ertrag allein dem Staate zugute kommen liess und, statt in Sullas Weise seinen Guenstlingen jeden Unterschleif nachzusehen, selbst von seinen treuesten Anhaengern, zum Beispiel von Marcus Antonius, die Kaufgelder mit Strenge beitrieb. ------------------------------------------------------------------- ^18 Den Wegfall der sizilischen Zehnten bezeugt Varro in einer nach Ciceros Tode publizierten Schrift (rust. 2 praef.), indem er als die Kornprovinzen, aus denen Rom seine Subsistenz entnimmt, nur Afrika und Sardinien, nicht mehr Sizilien nennt. Die Latinitaet, wie sie Sizilien erhielt, muss also wohl die Immunitaet eingeschlossen haben (vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 684). ------------------------------------------------------------------- In den Ausgaben wurde zunaechst durch die ansehnliche Beschraenkung der Getreidespenden eine Verminderung erzielt. Die beibehaltene Kornverteilung an die hauptstaedtischen Armen sowie die verwandte, von Caesar neu eingefuehrte Oellieferung fuer die hauptstaedtischen Baeder ward wenigstens zum grossen Teil einfuer allemal fundiert auf die Naturalabgaben von Sardinien und namentlich von Afrika und schied dadurch aus dem Kassenwesen ganz oder groesstenteils aus. Andererseits stiegen die regelmaessigen Ausgaben fuer das Militaerwesen, teils durch die Vermehrung des stehenden Heeres, teils durch die Erhoehung der bisherigen Loehnung des Legionaers, von jaehrlich 480 (36 Taler) auf jaehrlich 900 Sesterzen (68« Taler). Beides war in der Tat unerlaesslich. Eine ernstliche Grenzverteidigung mangelte ganz und die unerlaessliche Voraussetzung derselben war eine ansehnliche Vermehrung der Armee. Die Verdoppelung des Soldes hat Caesar wohl benutzt, um seine Soldaten fest an sich zu ketten, aber nicht aus diesem Grunde als bleibende Neuerung eingefuehrt. Der bisherige Sold von 1 1/3 Sesterz (2 Groschen) den Tag war festgesetzt worden in uralten Zeiten, wo das Geld einen ganz anderen Wert hatte als in dem damaligen Rom; nur deshalb hatte er bis in eine Zeit hinein, wo der gemeine Tageloehner in der Hauptstadt mit seiner Haende Arbeit taeglich durchschnittlich 3 Sesterzen (5 Groschen) verdiente, beibehalten werden koennen, weil in diesen Zeiten der Soldat nicht des Soldes halber, sondern hauptsaechlich wegen der groesstenteils unerlaubten Akzidentien des Militaerdienstes in das Heer eintrat. Zu einer ernstlichen Reform des Militaerwesens und zur Beseitigung des meist den Provinzialen aufgebuerdeten unregelmaessigen Soldatenverdienstes war die erste Bedingung eine zeitgemaesse Erhoehung der regulaeren Loehnung; und die Fixierung derselben auf 2« Sesterzen (4 Groschen) darf als eine billige, die dem Aerar dadurch aufgebuerdete grosse Last als eine notwendige und in ihren Folgen segensreiche betrachtet werden. Von dem Belauf der ausserordentlichen Ausgaben, die Caesar uebernehmen musste oder freiwillig uebernahm, ist es schwer, sich eine Vorstellung zu machen. Die Kriege selbst frassen ungeheure Summen; und vielleicht nicht geringere wurden erfordert, um die Zusicherungen zu erfuellen, die Caesar waehrend des Buergerkrieges zu machen genoetigt worden war. Es war ein schlimmes und fuer die Folgezeit leider nicht verlorenes Beispiel, dass jeder gemeine Soldat fuer seine Teilnahme am Buergerkrieg 20000 Sesterzen (1500 Taler), jeder Buerger der hauptstaedtischen Menge fuer seine Nichtbeteiligung an demselben als Zulage zum Brotkorn 300 Sesterzen (22 Taler) empfing; Caesar indes, nachdem er einmal in dem Drange der Umstaende sein Wort verpfaendet, war zu sehr Koenig, um davon abzudingen. Ausserdem genuegte Caesar unzaehligen Anforderungen ehrenhafter Freigebigkeit und machte namentlich fuer das Bauwesen, das waehrend der Finanznot der letzten Zeit der Republik schmaehlich vernachlaessigt worden war, ungeheure Summen fluessig - man berechnete den Kostenbetrag seiner teils waehrend der gallischen Feldzuege, teils nachher in der Hauptstadt ausgefuehrten Bauten auf 160 Mill. Sesterzen (12 Mill. Taler). Das Gesamtresultat der finanziellen Verwaltung Caesars ist darin ausgesprochen, dass er durch einsichtige und energische Reformen und durch die rechte Vereinigung von Sparsamkeit und Liberalitaet allen billigen Anspruechen reichlich und voellig genuegte und dennoch bereits im Maerz 710 (44) in der Kasse des Staats 700, in seiner eigenen 100 Mill. Sesterzen (zusammen 61 Mill. Taler) bar lagen - eine Summe, die den Kassenbestand der Republik in ihrer bluehendsten Zeit um das Zehnfache ueberstieg. Aber die Aufgabe, die alten Parteien aufzuloesen und das neue Gemeinwesen mit einer angemessenen Verfassung, einer schlagfertigen Armee und geordneten Finanzen auszustatten, so schwierig sie war, war nicht der schwierigste Teil von Caesars Werk. Sollte in Wahrheit die italische Nation wiedergeboren werden, so bedurfte es einer Reorganisation, die alle Teile des grossen Reiches, Rom, Italien und die Provinzen, umwandelte. Versuchen wir auch hier sowohl die alten Zustaende als auch die Anfaenge einer neuen und leidlicheren Zeit zu schildern. Aus Rom war der gute Stamm latinischer Nation laengst voellig verschwunden. Es liegt in den Verhaeltnissen, dass die Hauptstadt ihr munizipales und selbst ihr nationales Gepraege schneller verschleift als jedes untergeordnete Gemeinwesen. Hier scheiden die hoeheren Klassen rasch aus dem staedtischen Gemeinleben aus, um mehr in dem ganzen Staate als in einer einzelnen Stadt ihre Heimat zu finden; hier konzentriert sich unvermeidlich die auslaendische Ansiedlung, die fluktuierende Bevoelkerung von Vergnuegensund Geschaeftsreisenden, die Masse des muessigen, faulen, verbrecherischen, oekonomisch und moralisch bankrotten und eben darum kosmopolitischen Gesindels. Auf Rom fand dies alles in hervorragender Weise Anwendung. Der wohlhabende Roemer betrachtete sein Stadthaus haeufig nur als ein Absteigequartier. Indem aus der staedtischen Munizipalitaet die Reichsaemter hervorgingen, das staedtische Vogtding die Versammlung der Reichsbuerger ward, kleinere, sich selber regierende Bezirksoder sonstige Gemeinschaften innerhalb der Hauptstadt nicht geduldet wurden, hoerte jedes eigentliche Kommunalleben fuer Rom auf. Aus dem ganzen Umfange des weitumfassenden Reiches stroemte man nach Rom, um zu spekulieren, zu debauchieren, zu intrigieren, zum Verbrecher sich auszubilden oder auch daselbst vor dem Auge des Gesetzes sich zu verbergen. Diese Uebel gingen aus dem hauptstaedtischen Wesen gewissermassen mit Notwendigkeit hervor; andere, mehr zufaellige und vielleicht noch ernstere gesellten sich dazu. Es hat vielleicht nie eine Grossstadt gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom; teils die Einfuhr, teils die haeusliche Fabrikation durch Sklaven machten hier jede freie Industrie von vornherein unmoeglich. Die nachteiligen Folgen des Grunduebels der Staatenbildung im Altertum ueberhaupt, des Sklavensystems, traten in der Hauptstadt schaerfer als irgendwo sonst hervor. Nirgends haeuften solche Sklavenmassen sich an wie in den hauptstaedtischen Palaesten der grossen Familien oder der reichen Emporkoemmlinge. Nirgends mischten sich so wie in der hauptstaedtischen Sklavenschaft die Nationen dreier Weltteile, Syrer, Phryger und andere Halbhellenen mit Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer zahlreicher einstroemenden Kelten und Deutschen. Die von der Unfreiheit unzertrennliche Demoralisation und der scheussliche Widerspruch des formellen und des sittlichen Rechts kamen weit greller zum Vorschein bei dem halb oder ganz gebildeten, gleichsam vornehmen Stadtsklaven als bei dem Ackerknecht, der das Feld gleich dem gefesselten Stier in Ketten bestellte. Schlimmer noch als die Sklavenmassen waren die der rechtlich oder auch bloss tatsaechlich freigegebenen Leute, ein Gemisch bettelhaften Gesindels und schwerreicher Parvenus, nicht mehr Sklaven und doch nicht voellig Buerger, oekonomisch und selbst rechtlich von ihrem Herrn abhaengig und doch mit den Anspruechen freier Maenner; und eben die Freigelassenen zogen sich vor allem nach der Hauptstadt, wo es Verdienst mancherlei Art gab und der Kleinhandel wie das kleine Handwerk fast ganz in ihren Haenden waren. Ihr Einfluss auf die Wahlen wird ausdruecklich bezeugt; und dass sie auch bei den Strassenkrawallen voran waren, zeigt schon das gewoehnliche Signal, wodurch diese von den Demagogen gleichsam angesagt wurden, die Schliessung der Buden und Verkaufslokale. Zu allem dem kam, dass die Regierung nicht bloss nichts tat, um dieser Korrumpierung der hauptstaedtischen Bevoelkerung entgegenzuwirken, sondern sogar ihrer egoistischen Politik zuliebe ihr Vorschub leistete. Die verstaendige Gesetzvorschrift, welche dem wegen Kapitalverbrechens verurteilten Individuum den Aufenthalt in der Hauptstadt untersagte, ward von der schlaffen Polizei nicht zur Ausfuehrung gebracht. Die dringend nahegelegte polizeiliche Ueberwachung der Assoziation des Gesindels ward anfangs vernachlaessigt, spaeterhin als freiheitswidrige Volksbeschraenkung sogar fuer strafbar erklaert. Die Volksfeste hatte man so anwachsen lassen, dass die sieben ordentlichen allein, die roemischen, die plebejischen, die der Goettermutter, der Ceres, des Apoll, der Flora und der Victoria, zusammen zweiundsechzig Tage waehrten, wozu dann noch die Fechterspiele und unzaehlige andere ausserordentliche Lustbarkeiten kamen. Die bei einem solchen, durchaus von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unumgaengliche Fuersorge fuer niedrige Getreidepreise ward mit dem gewissenlosesten Leichtsinn gehandhabt, und die Preisschwankungen des Brotkorns waren fabelhafter und unberechenbarer Art ^19. Endlich, die Getreideverteilungen luden das gesamte nahrungslose und arbeitsscheue Buergerproletariat offiziell ein, seinen Sitz in der Hauptstadt aufzuschlagen. Es war eine arge Saat und die Ernte entsprach ihr. Das Klubund Bandenwesen auf dem politischen Gebiet, auf dem religioesen der Isisdienst und der gleichartige fromme Schwindel hatten hier ihre Wurzeln. Man war bestaendig im Angesicht einer Teuerung und nicht selten in voller Hungersnot. Nirgends war man seines Lebens weniger sicher als in der Hauptstadt: der gewerbsmaessig betriebene Banditenmord war das einzige derselben eigene Handwerk; es war die Einleitung zur Ermordung, dass das Schlachtopfer nach Rom gelockt ward; niemand wagte sich ohne bewaffnetes Gefolge in die Umgegend der Hauptstadt. Auch die aeussere Beschaffenheit derselben entsprach dieser inneren Zerruettung und schien eine lebendige Satire auf das aristokratische Regiment. Fuer die Regulierung des Tiberstromes ward nichts getan; kaum dass man die einzige Bruecke, mit der man immer noch sich behalf, wenigstens bis zur Tiberinsel von Stein auffuehren liess. Fuer die Planierung der Siebenhuegelstadt war ebensowenig etwas geschehen, ausser wo etwa die Schutthaufen ausgeglichen hatten. Die Strassen gingen eng und winkelig Huegel auf und ab und waren elend gehalten, die Trottoirs schmal und schlecht gepflastert. Die gewoehnlichen Haeuser waren von Ziegeln ebenso liederlich wie schwindelnd hoch gebaut, meistens von spekulierenden Baumeistern fuer Rechnung der kleinen Besitzer, wobei jene steinreich, diese zu Bettlern wurden. Wie einzelne Inseln in diesem Meer von elenden Gebaeuden erschienen die glaenzenden Palaeste der Reichen, die den kleinen Haeusern ebenso den Raum verengten wie ihre Besitzer den kleinen Leuten ihr Buergerrecht im Staat und neben deren Marmorsaeulen und griechischen Statuen die verfallenden Tempel mit ihren grossenteils noch holzgeschnitzten Goetterbildern eine traurige Figur machten. Von einer Strassen-, einer Ufer-, Feuerund Baupolizei war kaum die Rede; wenn die Regierung um die alljaehrlich eintretenden Ueberschwemmungen, Feuersbruenste und Haeusereinstuerze ueberhaupt sich bekuemmerte, so geschah es, um von den Staatstheologen Bericht und Bedenken ueber den wahren Sinn solcher Zeichen und Wunder zu begehren. Man versuche sich ein London zu denken mit der Sklavenbevoelkerung von New Orleans, mit der Polizei von Konstantinopel, mit der Industrielosigkeit des heutigen Rom und bewegt von einer Politik nach dem Muster der Pariser von 1848, und man wird eine ungefaehre Vorstellung von der republikanischen Herrlichkeit gewinnen, deren Untergang Cicero und seine Genossen in ihren Schmollbriefen betrauern. --------------------------------------------------- ^19 In dem Produktionsland Sizilien ward der roemische Scheffel innerhalb weniger Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne danach, wie die Preisschwankungen in Rom sich stellen mussten, das von ueberseeischem Korn lebte und der Sitz der Spekulanten war. --------------------------------------------------- Caesar trauerte nicht, aber er suchte zu helfen, soweit zu helfen war. Rom blieb natuerlich, was es war, eine Weltstadt. Der Versuch ihm wiederum einen spezifisch italischen Charakter zu geben, waere nicht bloss unausfuehrbar gewesen, sondern haette auch in Caesars Plan nicht gepasst. Aehnlich wie Alexander fuer sein griechisch-orientalisches Reich eine angemessene Hauptstadt in dem hellenisch-juedisch-aegyptischen und vor allem kosmopolitischen Alexandreia fand, so sollte auch die im Mittelpunkt des Orients und Okzidents gelegene Hauptstadt des neuen roemisch-hellenischen Weltreichs nicht eine italische Gemeinde sein, sondern die denationalisierte Kapitale vieler Nationen. Darum duldete es Caesar, dass neben dem Vater Jovis die neu angesiedelten aegyptischen Goetter verehrt wurden, und gestattete sogar den Juden die freie Uebung ihres seltsam fremdartigen Rituals auch in der Hauptstadt des Reiches. Wie widerlich bunt immer die parasitische, namentlich hellenisch-orientalische Bevoelkerung in Rom sich mischte, er trat ihrer Ausbreitung nirgends in den Weg; es ist bezeichnend, dass er bei seinen hauptstaedtischen Volksfesten Schauspiele nicht bloss in lateinischer und griechischer, sondern auch in anderen Zungen, vermutlich in phoenikischer, hebraeischer, syrischer, spanischer auffuehren liess. Aber wenn Caesar den Grundcharakter der Hauptstadt so, wie er ihn fand, mit vollem Bewusstsein akzeptierte, so wirkte er doch energisch hin auf die Besserung der daselbst obwaltenden klaeglichen und schimpflichen Zustaende. Leider waren eben die Grunduebel am wenigsten austilgbar. Die Sklaverei mit ihrem Gefolge von Landplagen konnte Caesar nicht abstellen; es muss dahingestellt bleiben, ob er mit der Zeit versucht haben wuerde, die Sklavenbevoelkerung in der Hauptstadt wenigstens zu beschraenken, wie er dies auf einem anderen Gebiete unternahm. Ebensowenig vermochte Caesar eine freie hauptstaedtische Industrie aus dem Boden zu zaubern; doch halfen die ungeheuren Bauten der Nahrungslosigkeit daselbst einigermassen ab und eroeffneten dem Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehrlichen Erwerbes. Dagegen wirkte Caesar energisch darauf hin, die Masse des freien Proletariats zu vermindern. Der stehende Zufluss von solchen, die die Getreidespenden nach Rom fuehrten, ward durch Verwandlung derselben in eine auf eine feste Kopfzahl beschraenkte Armenversorgung wenn nicht ganz verstopfte ^20, doch sehr wesentlich beschraenkt. Unter dem vorhandenen Proletariat raeumten einerseits die Gerichte auf, die angewiesen wurden, mit unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel einzuschreiten, andererseits die umfassende ueberseeische Kolonisation; von den 80000 Kolonisten, die Caesar in den wenigen Jahren seiner Regierung ueber das Meer fuehrte, wird ein sehr grosser Teil den unteren Schichten der hauptstaedtischen Bevoelkerung entnommen sein, wie denn die meisten korinthischen Ansiedler Freigelassene waren. Dass in Abweichung von der bisherigen Ordnung, die dem Freigelassenen jedes staedtische Ehrenamt verschloss, Caesar ihnen in seinen Kolonien die Tuere des Rathauses eroeffnete, geschah ohne Zweifel, um die besser gestellten von ihnen fuer die Auswanderung zu gewinnen. Diese Auswanderung muss aber auch mehr gewesen sein als eine bloss voruebergehende Veranstaltung; Caesar, ueberzeugt wie jeder andere verstaendige Mann, dass die einzige wahrhafte Hilfe gegen das Elend des Proletariats in einem wohlregulierten Kolonisierungssystem besteht, und durch die Beschaffenheit des Reiches in den Stand gesetzt, dasselbe in fast ungemessener Ausdehnung zu verwirklichen, wird die Absicht gehabt haben, hiermit dauernd fortzufahren und dem stets wieder sich erzeugenden Uebel einen bleibenden Abzug zu eroeffnen. Massregeln wurden ferner ergriffen, um den argen Preisschwankungen der wichtigsten Nahrungsmittel auf den hauptstaedtischen Maerkten Grenzen zu setzen. Die neu geordneten und liberal verwalteten Staatsfinanzen lieferten hierzu die Mittel und zwei neu ernannte Beamte, die Getreideaedilen, uebernahmen die spezielle Beaufsichtigung der Lieferanten und des Marktes der Hauptstadt. Dem Klubwesen wurde wirksamer, als es durch Prohibitivgesetze moeglich war, gesteuert durch die veraenderte Verfassung, indem mit der Republik und den republikanischen Wahlen und Gerichten die Bestechung und Vergewaltigung der Wahlund Richterkollegien, ueberhaupt die politischen Saturnalien der Kanaille von selbst ein Ende hatten. Ausserdem wurden die durch das Clodische Gesetz ins Leben getretenen Verbindungen aufgeloest und das ganze Assoziationswesen unter die Oberaufsicht der Regierungsbehoerden gestellt. Mit Ausnahme der althergebrachten Zuenfte und Vergesellschaftungen, der religioesen Vereinigungen der Juden und anderer besonders ausgenommener Kategorien, wofuer die einfache Anzeige an den Senat genuegt zu haben scheint, wurde die Erlaubnis, eine bleibende Gesellschaft mit festen Versammlungsfristen und stehenden Einschuessen zu konstituieren, an eine vom Senat und regelmaessig wohl erst nach eingeholter Willensmeinung des Monarchen zu erteilende Konzession geknuepft. Dazu kam eine strengere Kriminalrechtspflege und eine energische Polizei. Die Gesetze, namentlich hinsichtlich des Verbrechens der Vergewaltigung, wurden verschaerft und die unvernuenftige Bestimmung des republikanischen Rechts, dass der ueberwiesene Verbrecher befugt sei, durch Selbstverbannung einem Teil der verwirkten Strafe sich zu entziehen, wie billig beseitigt. Das detaillierte Regulativ, das Caesar ueber die hauptstaedtische Polizei erliess, ist grossenteils noch erhalten und es kann, wer da will, sich ueberzeugen, dass der Imperator es nicht verschmaehte, die Hausbesitzer zur Instandsetzung der Strassen und zur Pflasterung der Trottoirs in ihrer ganzen Breite mit behauenen Steinen anzuhalten und geeignete Bestimmungen ueber das Tragen der Saenften und das Fahren der Wagen zu erlassen, die bei der Beschaffenheit der Strassen nur zur Abendund Nachtzeit in der Hauptstadt frei zirkulieren durften. Die Oberaufsicht ueber die Lokalpolizei blieb wie bisher hauptsaechlich den vier Aedilen, welche, wenn nicht schon frueher, wenigstens jetzt angewiesen wurden, jeder einen bestimmt abgegrenzten Polizeidistrikt innerhalb der Hauptstadt zu ueberwachen. Endlich das hauptstaedtische Bauwesen und die damit zusammenhaengende Fuersorge fuer die gemeinnuetzigen Anstalten ueberhaupt nahm durch Caesar, der die Baulust des Roemers und des Organisators in sich vereinigte, ploetzlich einen Aufschwung, der nicht bloss die Misswirtschaft der letzten anarchischen Zeiten beschaemte, sondern auch alles, was die roemische Aristokratie in ihrer besten Zeit geleistet hatte, so weit hinter sich liess wie Caesars Genie das redliche Bemuehen der Marcier und der Aemilier. Es war nicht bloss die Ausdehnung der Bauten an sich und die Groesse der darauf verwandten Summen, durch die Caesar seine Vorgaenger uebertraf, sondern der echt staatsmaennische und gemeinnuetzige Sinn, der das, was Caesar fuer die oeffentlichen Anstalten Roms tat, vor allen aehnlichen Leistungen auszeichnet. Er baute nicht, wie seine Nachfolger, Tempel und sonstige Prachtgebaeude, sondern er entlastete den Markt von Rom, auf dem sich immer noch die Buergerversammlungen, die Hauptgerichtsstaetten, die Boerse und der taegliche Geschaeftsverkehr wie der taegliche Muessiggang zusammendraengten, wenigstens von den Versammlungen und den Gerichten, indem er fuer jene eine neue Dingstaette, die Saepta Iulia auf dem Marsfeld, fuer diese einen besonderen Gerichtsmarkt, das Forum Iulium zwischen Kapitol und Palatin, anlegen liess. Verwandten Geistes ist die von ihm herruehrende Einrichtung, dass den hauptstaedtischen Baedern jaehrlich 3 Millionen Pfund Oel, groesstenteils aus Afrika, geliefert und diese dadurch in den Stand gesetzt wurden, den Badenden das zum Salben des Koerpers erforderliche Oel unentgeltlich zu verabfolgen - eine nach der alten wesentlich auf Baden und Salben gegruendeten Diaetetik hoechst zweckmaessige Massregel der Reinlichkeitsund Gesundheitspolizei. Indes diese grossartigen Einrichtungen waren nur die ersten Anfaenge einer vollstaendigen Umwandlung Roms. Bereits waren die Entwuerfe gemacht zu einem neuen Rathaus, einem neuen prachtvollen Basar, einem mit dem Pompeischen wetteifernden Theater, einer oeffentlichen lateinischen und griechischen Bibliothek nach dem Muster der kuerzlich zugrunde gegangenen von Alexandreia - die erste Anstalt derart in Rom -, endlich zu einem Tempel des Mars, der an Reichtum und Herrlichkeit alles bisher Dagewesene ueberboten haben wuerde. Genialer noch war der Gedanke, einmal durch die Pomptinischen Suempfe einen Kanal zu legen und deren Wasser nach Tarracina abzuleiten, sodann den unteren Lauf des Tiberstroms zu aendern und ihn von dem heutigen Ponte Molle an, statt zwischen dem Vaticanischen und dem Marsfelde hindurch, vielmehr um das Vaticanische Feld und das Ianiculum herum nach Ostia zu fuehren, wo die schlechte Reede einem vollgenuegenden Kunsthafen Platz machen sollte. Durch diesen Riesenplan wurde einerseits der gefaehrlichste Feind der Hauptstadt, die boese Luft der Nachbarschaft, gebannt, andrerseits auf einen Schlag die aeusserst beschraenkte Baugelegenheit in der Hauptstadt in der Art erweitert, dass das damit auf das linke Tiberufer verlegte Vaticanische Feld an die Stelle des Marsfeldes treten und das geraeumige Marsfeld fuer oeffentliche und Privatbauten verwendet werden konnte, waehrend sie zugleich den so schmerzlich vermissten sicheren Seehafen erhielt. Es schien, als wolle der Imperator Berge und Fluesse versetzen und mit der Natur selber den Wettlauf wagen. Indessen so sehr auch durch die neue Ordnung die Stadt Rom an Bequemlichkeit und Herrlichkeit gewann, ihre politische Suprematie ging ihr, wie schon gesagt ward, durch ebendieselbe unwiderbringlich verloren. Dass der roemische Staat mit der Stadt Rom zusammenfalle, war zwar im Laufe der Zeit immer unnatuerlicher und verkehrter geworden; aber der Satz war doch so innig mit dem Wesen der roemischen Republik verwachsen, dass er nicht vor dieser selbst zugrunde gehen konnte. Erst in dem neuen Staate Caesars ward er, etwa mit Ausnahme einiger legaler Fiktionen, vollstaendig beseitigt und das hauptstaedtische Gemeinwesen rechtlich auf eine Linie mit allen uebrigen Munizipalitaeten gestellt; wie denn Caesar, hier wie ueberall bemueht, nicht bloss die Sache zu ordnen, sondern auch sie offiziell bei dem rechten Namen zu nennen, seine italische Gemeindeordnung, ohne Zweifel absichtlich, zugleich fuer die Hauptstadt und fuer die uebrigen Stadtgemeinden erliess. Man kann hinzufuegen, dass Rom, eben weil es eines lebendigen Kommunalwesens als Hauptstadt nicht faehig war, hinter den uebrigen Munizipalitaeten der Kaiserzeit sogar wesentlich zurueckstand. Das republikanische Rom war eine Raeuberhoehle, aber zugleich der Staat; das Rom der Monarchie, obwohl es mit allen Herrlichkeiten dreier Weltteile sich zu schmuecken und in Gold und Marmor zu schimmern begann, war doch nichts im Staate als das Koenigsschloss in Verbindung mit dem Armenhaus, das heisst ein notwendiges uebel. ------------------------------------------- ^20 Es ist nicht ohne Interesse, dass ein spaeterer, aber einsichtiger politischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius’ Namen an Caesar gerichteten Briefe, diesem den Rat erteilt, die hauptstaedtische Getreideverteilung in die einzelnen Munizipien zu verlegen. Die Kritik hat ihren guten Sinn; wie denn bei der grossartigen munizipalen Waisenversorgung unter Traian offenbar aehnliche Gedanken gewaltet haben. ------------------------------------------- Wenn es in der Hauptstadt sich nur darum handelte, durch polizeiliche Ordnungen im groessten Massstab handgreifliche Uebelstaende hinwegzuraeumen, so war es dagegen eine bei weitem schwierigere Aufgabe, der tief zerruetteten italischen Volkswirtschaft aufzuhelfen. Die Grundleiden waren die bereits frueher ausfuehrlich hervorgehobenen, das Zusammenschwinden der ackerbauenden und die unnatuerliche Vermehrung der kaufmaennischen Bevoelkerung, woran ein unabsehbares Gefolge anderer Uebelstaende sich anschloss. Wie es mit der italischen Bodenwirtschaft stand, wird dem Leser unvergessen sein. Trotz der ernstlichsten Versuche, der Vernichtung des kleinen Grundbesitzes zu steuern, war doch in dieser Epoche kaum mehr in einer Landschaft des eigentlichen Italien, etwa mit Ausnahme der Apenninenund Abruzzentaeler, die Bauernwirtschaft die vorwiegende Wirtschaftsweise. Was die Gutswirtschaft anlangt, so ist zwischen der frueher dargestellten Catonischen und derjenigen, die uns Varro schildert, kein wesentlicher Unterschied wahrzunehmen, nur dass die letztere im Guten wie im Schlimmen von dem gesteigerten grossstaedtischen Leben in Rom die Spuren zeigt. "Sonst", sagt Varro, "war die Scheune auf dem Gut groesser als das Herrenhaus; jetzt pflegt es umgekehrt zu sein." In der tusculanischen und tiburtinischen Feldmark, an den Gestaden von Tarracina und Baiae erhoben sich da, wo die alten latinischen und italischen Bauernschaften gesaet und geerntet hatten, jetzt in unfruchtbarem Glanz die Landhaeuser der roemischen Grossen, von denen manches mit den dazu gehoerigen Gartenanlagen und Wasserleitungen, den Suessund Salzwasserreservoirs zur Aufbewahrung und Zuechtung von Flussund Seefischen, den Schneckenund Siebenschlaeferzuechtungen, den Wildschonungen zur Hegung von Hasen, Kaninchen, Hirschen, Rehen und Wildschweinen und den Vogelhaeusern, in denen selbst Kraniche und Pfauen gehalten wurden, den Raum einer maessigen Stadt bedeckte. Aber der grossstaedtische Luxus macht auch manche fleissige Hand reich und ernaehrt mehr Arme als die almosenspendende Menschenliebe. Jene Vogelhaeuser und Fischteiche der vornehmen Herren waren natuerlich in der Regel eine sehr kostspielige Liebhaberei. Allein extensiv und intensiv hatte diese Wirtschaft sich so hoch entwickelt, dass zum Beispiel der Bestand eines Taubenhauses bis auf 100000 Sesterzen (7600 Taler) geschaetzt ward; dass eine rationelle Maestungswirtschaft entstanden war und der in den Vogelhaeusern gewonnene Duenger landwirtschaftlich in Betracht kam; dass ein einziger Vogelhaendler auf einmal 5000 Krammetsvoegel - denn auch diese wusste man zu hegen - das Stueck zu 3 Denaren (21 Groschen), ein einziger Fischteichbesitzer 2000 Muraenen zu liefern imstande war und aus den von Lucius Lucullus hinterlassenen Fischen 40000 Sesterzen (3050 Taler) geloest wurden. Begreiflicherweise konnte unter solchen Umstaenden, wer diese Wirtschaft geschaeftlich und intelligent betrieb, mit verhaeltnismaessig geringem Anlagekapital sehr hohen Gewinn erzielen. Ein kleiner Bienenzuechter dieser Zeit verkaufte von seinem nicht mehr als einen Morgen grossen, in der Naehe von Falerii gelegenen Thymiangaertchen Jahr aus Jahr ein an Honig fuer mindestens 10000 Sesterzen (760 Taler). Der Wetteifer der Obstzuechter ging so weit, dass in eleganten Landhaeusern die marmorgetaefelte Obstkammer nicht selten zugleich als Tafelzimmer eingerichtet, auch wohl gekauftes Prachtobst dort zur Schau als eigenes Gewaechs gestellt ward. In dieser Zeit wurden auch zuerst die kleinasiatische Kirsche und andere auslaendische Fruchtbaeume in den italischen Gaerten angepflanzt. Die Gemuesegaerten, die Rosenund Veilchenbeete in Latium und Kampanien warfen reichen Ertrag ab und der "Naschmarkt" (forum cupedinis) neben der Heiligen Strasse, wo Fruechte, Honig und Kraenze feilgeboten zu werden pflegten, spielte eine wichtige Rolle im hauptstaedtischen Leben. Ueberhaupt stand die Gutswirtschaft, Plantagenwirtschaft wie sie war, oekonomisch auf einer schwer zu uebertreffenden Hoehe der Entwicklung. Das Tal von Rieti, die Umgegend des Fuciner Sees, die Landschaften am Liris und Volturnus, ja Mittelitalien ueberhaupt, waren landwirtschaftlich in dem bluehendsten Zustand; selbst gewisse Industrien, die geeignet waren, sich an den Betrieb des Guts mittels Sklaven anzuschliessen, wurden von den intelligenten Landwirten mit aufgenommen und, wo die Verhaeltnisse guenstig waren, Wirtshaeuser, Webereien und besonders Ziegeleien auf dem Gute angelegt. Die italischen Produzenten, namentlich von Wein und Oel, versorgten nicht bloss die italischen Maerkte, sondern machten auch in beiden Artikeln ansehnliche ueberseeische Ausfuhrgeschaefte. Eine schlichte fachwissenschaftliche Schrift dieser Zeit vergleicht Italien einem grossen Fruchtgarten; und die Schilderungen, die ein gleichzeitiger Dichter von seinem schoenen Heimatland entwirft, wo die wohlbewaesserte Wiese, das ueppige Kornfeld, der lustige Rebenhuegel von der dunklen Zeile der Oelbaeume umsaeumt wird, wo der Schmuck des Landes, lachend in mannigfaltiger Anmut, die holdesten Gaerten in seinem Schosse hegt und selber von nahrunggebenden Baeumen umkraenzt wird diese Schilderungen, offenbar treue Gemaelde der dem Dichter taeglich vor Augen stehenden Landschaft, versetzen uns in die bluehendsten Striche von Toscana und Terra di lavoro. Die Weidewirtschaft freilich, die aus den frueher entwickelten Ursachen besonders im Sueden und Suedosten Italiens immer weiter vordrang, war in jeder Beziehung ein Rueckschritt; allein auch sie nahm doch bis zu einem gewissen Grade teil an der allgemeinen Steigerung des Betriebes, wie denn fuer die Verbesserung der Rassen vieles geschah und zum Beispiel Zuchtesel mit 60000 (4600 Taler), 100000 (7570 Taler), ja 400000 Sesterzen (30000 Taler) bezahlt wurden. Die gediegene italische Bodenwirtschaft erzielte in dieser Zeit, wo die allgemeine Entwicklung der Intelligenz und die Fuelle der Kapitalien sie befruchtete, bei weitem glaenzendere Resultate als jemals die alte Bauernwirtschaft hatte geben koennen, und ging sogar schon hinaus ueber die Grenzen Italiens, indem der italische Oekonom auch in den Provinzen grosse Strecken viehzuechtend und selbst kornbauend exploitierte. Welche Dimensionen aber neben dieser auf dem Ruin der kleinen Bauernschaft unnatuerlich gedeihenden Gutswirtschaft die Geldwirtschaft angenommen, wie die italische Kaufmannschaft mit den Juden um die Wette in alle Provinzen und Klientelstaaten des Reiches sich ergossen hatte, alles Kapital endlich in Rom zusammenfloss, dafuer wird es, nach dem frueher darueber Gesagten, hier genuegen, auf die einzige Tatsache hinzuweisen, dass auf dem hauptstaedtischen Geldmarkt der regelmaessige Zinsfuss in dieser Zeit sechs vom Hundert, das Geld daselbst also um die Haelfte billiger war als sonst durchschnittlich im Altertume. Infolge dieser agrarisch wie merkantil auf Kapitalmassen und Spekulation begruendeten Volkswirtschaft ergab sich das fuerchterlichste Missverhaeltnis in der Verteilung des Vermoegens. Die oft gebrauchte und oft gemissbrauchte Rede von einem aus Millionaeren und Bettlern zusammengesetzten Gemeinwesen trifft vielleicht nirgends so vollstaendig zu wie bei dem Rom der letzten Zeit der Republik; und nirgends wohl auch ist der Kernsatz des Sklavenstaats, dass der reiche Mann, der von der Taetigkeit seiner Sklaven lebt, notwendig respektabel, der arme Mann, der von seiner Haende Arbeit lebt, notwendig gemein ist, mit so grauenvoller Sicherheit als der unwidersprechliche Grundgedanke des ganzen oeffentlichen und privaten Verkehrs anerkannt worden ^21. Einen wirklichen Mittelstand in unserm Sinne gibt es nicht, wie es denn in keinem vollkommen entwickelten Sklavenstaat einen solchen geben kann; was gleichsam als guter Mittelstand erscheint und gewissermassen auch es ist, sind diejenigen reichen Geschaeftsmaenner und Grundbesitzer, die so ungebildet oder auch so gebildet sind, um sich innerhalb der Sphaere ihrer Taetigkeit zu bescheiden und vom oeffentlichen Leben sich fernzuhalten. Unter den Geschaeftsmaennern, wo die zahlreichen Freigelassenen und sonstigen emporgekommenen Leute in der Regel von dem Schwindel erfasst wurden, den vornehmen Mann zu spielen, gab es solcher Verstaendigen nicht allzuviel: ein Musterbild dieser Gattung ist der in den Berichten aus dieser Zeit haeufig erwaehnte Titus Pomponius Atticus, der teils mit der grossen Gutswirtschaft, welche er in Italien und in Epirus betrieb, teils mit seinen durch ganz Italien, Griechenland, Makedonien, Kleinasien sich verzweigenden Geldgeschaeften ein ungeheures Vermoegen gewann, dabei aber durchaus der einfache Geschaeftsmann blieb, sich nicht verleiten liess, um ein Amt zu werben oder auch nur Staatsgeldgeschaefte zu machen, und, dem geizigen Knausern ebenso fern wie dem wuesten und laestigen Luxus dieser Zeit - seine Tafel zum Beispiel ward mit 100 Sesterzen (7« Talern) taeglich bestritten -, sich genuegen liess an einer bequemen, die Anmut des Landund des Stadtlebens, die Freuden des Verkehrs mit der besten Gesellschaft Roms und Griechenlands und jeden Genuss der Literatur und der Kunst sich aneignenden Existenz. Zahlreicher und tuechtiger waren die italischen Gutsbesitzer alten Schlages. Die gleichzeitige Literatur bewahrt in der Schilderung des Sextus Roscius, der bei den Proskriptionen 673 (81) mitermordet ward, das Bild eines solchen Landedelmanns (pater familias rusticanus); sein Vermoegen, angeschlagen auf 6 Mill. Sesterzen (457000 Taler), ist wesentlich angelegt in seinen dreizehn Landguetern; die Wirtschaft betreibt er selbst rationell und mit Leidenschaft; nach der Hauptstadt kommt er selten oder nie, und wenn er dort erscheint, so sticht er mit seinen ungehobelten Manieren nicht minder von dem feinen Senator ab wie die zahllosen Scharen seiner rauben Ackerknechte von dem zierlichen hauptstaedtischen Bedientenschwarm. Mehr als die kosmopolitisch gebildeten Adelskreise und der ueberall und nirgends heimische Kaufmannsstand bewahrten diese Gutsbesitzer und die wesentlich durch dieselben gehaltenen "Ackerstaedte" (municipia rusticana) sowohl die Zucht und Sitte der Vaeter als auch deren reine und edle Sprache. Der Gutsbesitzerstand gilt als der Kern der Nation; der Spekulant, der sein Vermoegen gemacht hat und unter die Notabeln des Landes einzutreten wuenscht, kauft sich an und sucht wenn nicht selbst Squire zu werden, doch wenigstens einen Sohn dazu zu erziehen. Den Spuren dieser Gutsbesitzerschaft begegnen wir, wo in der Politik eine volkstuemliche Regung sich zeigt und wo die Literatur einen gruenen Spross treibt: aus ihr sog die patriotische Opposition gegen die neue Monarchie ihre beste Kraft; ihr gehoeren Varro, Lucretius, Catullus an; und vielleicht nirgends tritt die relative Frische dieser Gutsbesitzerexistenz charakteristischer hervor als in der anmutigen arpinatischen Einleitung zu dem zweiten Buche der Schrift Ciceros von den Gesetzen, einer gruenen Oase in der fuerchterlichen Oede dieses ebenso leeren wie voluminoesen Skribenten. ------------------------------------------------------- ^21 Charakteristisch ist die folgende Auseinandersetzung in Ciceros ’Pflichtenlehre’ (off. 1, 42): "Darueber, welche Geschaefte und Erwerbszweige als anstaendig gelten koennen und welche als gemein, herrschen im allgemeinen folgende Vorstellungen. Bescholten sind zunaechst die Erwerbszweige, wobei man den Hass des Publikums sich zuzieht, wie der der Zolleinnehmer, der der Geldverleiher. Unanstaendig und gemein ist auch das Geschaeft der Lohnarbeiter, denen ihre koerperliche, nicht ihre Geistesarbeit bezahlt wird; denn fuer diesen selben Lohn verkaufen sie gleichsam sich in die Sklaverei. Gemeine Leute sind auch die von dem Kaufmann zu sofortigem Verschleiss einkaufenden Troedler; denn sie kommen nicht fort, wenn sie nicht ueber alle Massen luegen, und nichts ist minder ehrenhaft als der Schwindel. Auch die Handwerker treiben saemtlich gemeine Geschaefte; denn man kann nicht Gentleman sein in der Werkstatt. Am wenigsten ehrbar sind die Handwerker, die der Schlemmerei an die Hand gehen, zum Beispiel: ’Wurstmacher, Salzfischhaendler, Koch, Gefluegelverkaeufer, Fischer’ mit Terenz (Eun. 2, 2, 26) zu reden; dazu noch etwa die Parfuemerienhaendler, die Tanzmeister und die ganze Sippschaft der Spielbuden. Diejenigen Erwerbszweige aber, welche entweder eine hoehere Bildung voraussetzen oder einen nicht geringen Ertrag abwerfen, wie die Heilkunst, die Baukunst, der Unterricht in anstaendigen Gegenstaenden, sind anstaendig fuer diejenigen, deren Stande sie angemessen sind. Der Handel aber, wenn er Kleinhandel ist, ist gemein; der grosse Kaufmann freilich, der aus den verschiedensten Laendern eine Menge von Waren einfuehrt und sie an eine Menge von Leuten ohne Schwindel absetzt, ist nicht gerade sehr zu schelten; ja wenn er, des Gewinstes satt oder vielmehr mit dem Gewinste zufrieden, wie oft zuvor vom Meere in den Hafen, so schliesslich aus dem Hafen selbst zu Grundbesitz gelangt, so darf man wohl mit gutem Recht ihn loben. Aber unter allen Erwerbszweigen ist keiner besser, keiner ergiebiger, keiner erfreulicher, keiner dem freien Manne anstaendiger als der Grundbesitz." Also der anstaendige Mann muss streng genommen Gutsbesitzer sein; das Kaufmannsgewerbe passiert ihm nur, insofern es Mittel zu diesem letzten Zweck ist, die Wissenschaft als Profession nur den Griechen und den nicht den herrschenden Staenden angehoerigen Roemern, welche damit sich in den vornehmen Kreisen allenfalls fuer ihre Person eine gewisse Duldung erkaufen duerfen. Es ist die vollkommen ausgebildete Plantagenbesitzeraristokratie, mit einer starken Schattierung von kaufmaennischer Spekulation und einer leisen Nuance von allgemeiner Bildung. ------------------------------------------------------- Aber die gebildete Kaufmannschaft und der tuechtige Gutsbesitzerstand wird weit ueberwuchert von den beiden tonangebenden Klassen der Gesellschaft: dem Bettelvolk und der eigentlichen vornehmen Welt. Wir haben keine statistischen Ziffern, um das relative Mass der Armut und des Reichtums fuer diese Epoche scharf zu bezeichnen; doch darf hier wohl wieder an die Aeusserung erinnert werden, die etwa fuenfzig Jahre frueher ein roemischer Staatsmann tat: dass die Zahl der Familien von festgegruendetem Reichtum innerhalb der roemischen Buergerschaft nicht auf 2000 sich belaufe. Die Buergerschaft war seitdem eine andere geworden; aber dass das Missverhaeltnis zwischen arm und reich sich wenigstens gleichgeblieben war, dafuer sprechen deutliche Spuren. Die fortschreitende Verarmung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem Zudrang zu den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer; die entsprechende Steigerung des Reichtums bezeugt ausdruecklich ein Schriftsteller dieser Generation, indem er, von den Verhaeltnissen der marianischen Zeit sprechend, ein Vermoegen von 2 Mill. Sesterzen (152 000 Taler) "nach damaligen Verhaeltnissen Reichtum" nennt; und ebendahin fuehren die Angaben, die wir ueber das Vermoegen einzelner Individuen finden. Der schwerreiche Lucius Domitius Ahenobarbus verhiess zwanzigtausend Soldaten jedem vier Jugera Land aus eigenem Besitz; das Vermoegen des Pompeius belief sich auf 70 Mill. Sesterzen (5300000 Taler), das des Schauspielers Aesopus auf 20 (1520000 Taler); Marcus Crassus, der reichste der Reichen, besass am Anfang seiner Laufbahn 7 (530000 Taler), am Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen an das Volk 170 Millionen Sesterzen (13 Mill. Taler). Die Folgen solcher Armut und solchen Reichtums waren nach beiden Seiten eine aeusserlich verschiedene, aber wesentlich gleichartige oekonomische und sittliche Zerruettung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die Unterstuetzung aus Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so war es die notwendige Folge dieses Bettlerelends, die freilich wechselwirkend auch wieder als Ursache auftrat, dass er der Bettlerfaulheit und dem bettlerhaften Wohlleben sich ergab. Statt zu arbeiten, gaffte der roemische Plebejer lieber im Theater; die Schenken und Bordelle hatten solchen Zuspruch, dass die Demagogen ihre Rechnung dabei fanden, vorwiegend die Besitzer derartiger Etablissements in ihr Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele, die Offenbarung wie die Nahrung der aergsten Demoralisation in der alten Welt, waren zu solcher Bluete gelangt, dass mit dem Verkauf der Programme derselben ein eintraegliches Geschaeft gemacht ward, und nahmen in dieser Zeit die entsetzliche Neuerung auf, dass ueber Leben und Tod des Besiegten nicht das Duellgesetz oder die Willkuer des Siegers, sondern die Laune des zuschauenden Publikums entschied und nach dessen Wink der Sieger den daniederliegenden Besiegten entweder verschonte oder durchbohrte. Das Handwerk des Fechters war so im Preise gestiegen oder auch die Freiheit so im Preise gesunken, dass die Unerschrockenheit und der Wetteifer, die auf den Schlachtfeldern dieser Zeit vermisst wurden, in den Heeren der Arena allgemein waren und, wo das Duellgesetz es mit sich brachte, jeder Gladiator lautlos und ohne zu zucken sich durchbohren liess, ja dass freie Maenner nicht selten sich den Unternehmern fuer Kost und Lohn
als Fechtknechte verkauften. Auch die Plebejer des fuenften Jahrhunderts hatten gedarbt und gehungert, aber ihre Freiheit hatten sie nicht verkauft; und noch weniger wuerden die Rechtweiser jener Zeit sich dazu hergegeben haben, den ebenso sittenwie rechtswidrigen Kontrakt eines solchen Fechtknechts, "sich unweigerlich fesseln, peitschen, brennen oder toeten zu lassen, wenn die Gesetze der Anstalt dies mit sich bringen wuerden", auf unfeinen juristischen Schleichwegen als statthaft und klagbar hinzustellen. In der vornehmen Welt kam nun dergleichen nicht vor; aber im Grunde war sie kaum anders, am wenigsten besser. Im Nichtstun nahm es der Aristokrat dreist mit dem Proletarier auf; wenn dieser auf dem Pflaster lungerte, dehnte jener sich bis in den hellen Tag hinein in den Feldern. Die Verschwendung regierte hier ebenso masswie geschmacklos. Sie warf sich auf die Politik wie auf das Theater, natuerlich zu beider Verderben: man kaufte das Konsulamt um unglaublichen Preis - im Sommer 700 (54) ward allein die erste Stimmabteilung mit 10 Mill. Sesterzen (760000 Talern) bezahlt - und verdarb durch den tollen Dekorationsluxus dem Gebildeten alle Freude am Buehnenspiel. Die Mietpreise scheinen in Rom durchschnittlich vierfach hoeher als in den Landstaedten sich gestellt zu haben; ein Haus daselbst ward einmal fuer 15 Mill. Sesterzen (1150000 Taler) verkauft. Das Haus des Marcus Lepidus (Konsul 676 78), als Sulla starb, das schoenste in Rom, war ein Menschenalter spaeter noch nicht der hundertste in der Rangfolge der roemischen Palaeste. Des mit den Landhaeusern getriebenen Schwindels ward bereits gedacht; wir finden, dass fuer ein solches, das hauptsaechlich seines Fischteiches wegen geschaetzt war, 4 Mill. Sesterzen (300000 Taler) bezahlt wurden; und der ganz vornehme Mann bedurfte jetzt schon wenigstens zweier Landhaeuser, eines in den Sabineroder Albaner Bergen bei der Hauptstadt und eines zweiten in der Naehe der kampanischen Baeder, dazu noch womoeglich eines Gartens unmittelbar vor den Toren Roms. Noch unsinniger als diese Villenwaren die Grabpalaeste, von denen einzelne noch bis auf den heutigen Tag es bezeugen, welches himmelhohen Quaderhaufens der reiche Roemer bedurfte, um standesmaessig gestorben zu sein. Die Pferdeund Hundeliebhaber fehlten auch nicht; fuer ein Luxuspferd waren 24000 Sesterzen (1830 Taler) ein nicht ungewoehnlicher Preis. Man raffinierte auf Moebel von feinem Holz - ein Tisch von afrikanischem Zypressenholz ward mit 1 Mill. Sesterzen (67000 Taler) bezahlt; auf Gewaender von Purpurstoffen oder durchsichtiger Gaze und daneben auch auf die zierlich vor dem Spiegel zurechtgelegten Falten - der Redner Hortensius soll einen Kollegen wegen Injurien belangt haben, weil er ihm im Gedraenge den Rock zerknittert; auf Edelsteine und Perlen, die zuerst in dieser Zeit an die Stelle des alten, unendlich schoeneren und kunstvolleren Goldschmucks traten: es war schon vollkommenes Barbarentum, wenn bei Pompeius’ Triumph ueber Mithradates das Bild des Siegers ganz von Perlen gearbeitet erschien und wenn man im Speisesaal die Sofas und die Etageren mit Silber beschlagen, ja das Kuechengeschirr von Silber fertigen liess. Gleicher Art ist es, wenn die Sammler dieser Zeit aus den alten Silberbechern die kunstvollen Medaillons herausbrachen um sie in goldene Gefaesse wiedereinzusetzen. Auch der Reiseluxus ward nicht vermisst. "Wenn der Statthalter reiste", erzaehlt Cicero von einem der sizilischen, "was natuerlich im Winter nicht geschah, sondern erst mit Fruehlingsanfang, nicht dem des Kalenders, sondern dem Anfang der Rosenzeit, so liess er, wie es bei den Koenigen von Bithynien Brauch war, sich auf einer Achttraegersaenfte befoerdern, sitzend auf Kissen von maltesischer Gaze und mit Rosenblaettern gestopft, einen Kranz auf dem Kopf, einen zweiten um den Hals geschlungen, ein feines, leinenes, kleingetuepfeltes, mit Rosen angefuelltes Riechsaeckchen an die Nase haltend; und so liess er bis vor sein Schlafzimmer sich tragen." Aber keine Gattung des Luxus bluehte so wie die roheste von allen, der Luxus der Tafel. Die ganze Villeneinrichtung und das ganze Villenleben lief schliesslich hinaus auf das Dinieren; man hatte nicht bloss verschiedene Tafelzimmer fuer Winter und Sommer, sondern auch in der Bildergalerie, in der Obstkammer, im Vogelhaus wurde serviert oder auf einer im Wildpark aufgeschlagenen Estrade, um welche dann, wenn der bestellte "Orpheus" im Theaterkostuem erschien und Tusch blies, die dazu abgerichteten Rehe und Wildschweine sich draengten. So ward fuer Dekoration gesorgt, aber die Realitaet darueber durchaus nicht vergessen. Nicht bloss der Koch war ein graduierter Gastronom, sondern oft machte der Herr selbst den Lehrmeister seiner Koeche. Laengst war der Braten durch Seefische und Austern in den Schatten gestellt; jetzt waren die italischen Flussfische voellig von der guten Tafel verbannt und galten die italischen Delikatessen und die italischen Weine fast fuer gemein. Es wurden jetzt schon bei Volksfesten ausser dem italischen Falerner drei Sorten auslaendischen Weines - Sizilianer, Lesbier, Chier - verteilt, waehrend ein Menschenalter zuvor es auch bei grossen Schmaeusen genuegt hatte, einmal griechischen Wein herumzugeben; in dem Keller des Redners Hortensius fand sich ein Lager von 10000 Kruegen (zu 33 Berliner Quart) fremden Weines. Es war kein Wunder, dass die italischen Weinbauer anfingen, ueber die Konkurrenz der griechischen Inselweine zu klagen. Kein Naturforscher kann eifriger die Laender und Meere nach neuen Tieren und Pflanzen durchsuchen, als es von den Esskuenstlern jener Zeit wegen neuer Kuechenelegantien geschah ^22. Wenn dann der Gast, um den Folgen der ihm vorgesetzten Mannigfaltigkeiten zu entgehen, nach der Mahlzeit ein Vomitiv nahm, so fiel dies niemand mehr auf. Die Debauche aller Art ward so systematisch und so schwerfaellig, dass sie ihre Professoren fand, die davon lebten, vornehmen Juenglingen theoretisch und praktisch als Lastermeister zu dienen. Es wird nicht noetig sein, bei diesem wuesten Gemaelde eintoenigster Mannigfaltigkeit noch laenger zu verweilen; um so weniger, als ja auch auf diesem Gebiet die Roemer nichts weniger als originell waren und sich darauf beschraenkten, von dem hellenisch-orientalischen Luxus eine noch massund noch geistlosere Kopie zu liefern. Natuerlich verschlingt Plutos seine Kinder so gut wie Kronos; die Konkurrenz um alle jene meist nichtigen Gegenstaende vornehmer Begehrlichkeit trieb die Preise so in die Hoehe, dass den mit dem Strome Schwimmenden in kurzer Zeit das kolossalste Vermoegen zerrann und auch diejenigen, die nur Ehren halber das Notwendigste mitmachten, den ererbten und festgegruendeten Wohlstand rasch sich unterhoehlen sahen. Die Bewerbung um das Konsulat zum Beispiel war die gewoehnliche Landstrasse zum Ruin angesehener Haeuser; und fast dasselbe gilt von den Spielen, den grossen Bauten und all jenen andern, zwar lustigen, aber teuren Metiers. Der fuerstliche Reichtum jener Zeit wird nur von der noch fuerstlicheren Verschuldung ueberboten: Caesar schuldete um 692 (62) nach Abzug seiner Aktiva 25 Mill. Sesterzen (1900000 Taler), Marcus Antonius als Vierundzwanzigjaehriger 6 Mill. Sesterzen (460000 Taler), vierzehn Jahre spaeter 40 (3 Mill. Taler), Curio 60 (4« Mill. Taler), Milo 70 Mill. (5« Mill. Taler). Wie durchgaengig jenes verschwenderische Leben und Treiben der vornehmen roemischen Welt auf Kredit beruhte, davon zeugt die Tatsache, dass durch die Anleihen der verschiedenen Konkurrenten um das Konsulat einmal in Rom der Monatzins ploetzlich von vier auf acht vom Hundert aufschlug. Die Insolvenz, statt rechtzeitig den Konkurs oder doch die Liquidation herbeizufuehren und damit wenigstens wieder ein klares Verhaeltnis herzustellen, ward in der Regel von dem Schuldner, solange es irgend ging, verschleppt; statt seine Habe, namentlich seine Grundstuecke zu verkaufen, fuhr er fort, zu borgen und den Scheinreichen weiter zu spielen, bis denn der Krach nur um so aerger kam und Konkurse ausbrachen wie zum Beispiel der des Milo, bei dem die Glaeubiger etwas ueber vier vom Hundert der liquidierten Summen erhielten. Es gewann bei diesem rasend schnellen Umschlagen vom Reichtum zum Bankrott und diesem systematischen Schwindel natuerlich niemand als der kuehle Bankier, der es verstand, Kredit zu geben und zu verweigern. So kamen denn die Kreditverhaeltnisse fast auf demselben Punkte wieder an, wo sie in den schlimmsten Zeiten der sozialen Krise des fuenften Jahrhunderts gestanden hatten: die nominellen Grundeigentuemer waren gleichsam die Bittbesitzer ihrer Glaeubiger, die Schuldner entweder ihren Glaeubigern knechtisch untertan, so dass die geringeren von ihnen, gleich den Freigelassenen, in dem Gefolge derselben erschienen, die vornehmeren selbst im Senat nach dem Wink ihres Schuldherrn sprachen und stimmten, oder auch im Begriff, dem Eigentum selbst den Krieg zu erklaeren und ihre Glaeubiger entweder durch Drohungen zu terrorisieren oder gar sich ihrer durch Komplott und Buergerkrieg zu entledigen. Auf diesen Verhaeltnissen ruhte die Macht des Crassus; aus ihnen entsprangen die Auflaeufe, deren Signal das "freie Folium" war, des Cinna und bestimmter noch des Catilina, des Caelius, des Dolabella, vollkommen gleichartig jenen Schlachten der Besitzenden und Nichtbesitzenden, die ein Jahrhundert zuvor die hellenische Welt bewegten. Dass bei so unterhoehlten oekonomischen Zustaenden jede finanzielle oder politische Krise die entsetzlichste Verwirrung hervorrief, lag in der Natur der Dinge: es bedarf kaum gesagt zu werden, dass die gewoehnlichen Erscheinungen: das Verschwinden des Kapitals, die ploetzliche Entwertung der Grundstuecke, zahllose Bankrotte und eine fast allgemeine Insolvenz, ebenwie waehrend des Bundesgenoessischen und Mithradatischen, so auch jetzt waehrend des Buergerkrieges sich einstellten. --------------------------------------------------- ^22 Wir haben noch (Macr. Sat. 3, 13) den Speisezettel derjenigen Mahlzeit, welche Lucius Lentulus Niger vor 691 (63) bei Antritt seines Pontifikats gab und an der die Pontifices - darunter Caesar -, die Vestalischen Jungfrauen und einige andere Priester und nah verwandte Damen Anteil nahmen. Vor der Mahlzeit kamen Meerigel; frische Austern soviel die Gaeste wollten; Gienmuscheln; Lazarusklappen; Krammetsvoegel mit Spargeln; gemaestetes Huhn; Austerund Muschelpastete; schwarze und weisse Meereicheln; noch einmal Lazarusklappen; Glykymarismuscheln; Nesselmuscheln; Feigenschnepfen; Rehrippen; Schweinsrippen; Gefluegel in Mehl gebacken; Feigenschnepfen; Purpurmuscheln, zwei Sorten. Die Mahlzeit selbst bestand aus Schweinsbrust, Schweinskopf; Fischpastete; Schweinspastete; Enten; Kriechenten gekocht; Hasen; gebratenem Gefluegel; Kraftmehlbackwerk; pontischem Backwerk. Das sind die Kollegienschmaeuse, von denen Varro (rust. 3, 2, 16) sagt, dass sie die Preise aller Delikatessen in die Hoehe trieben. Derselbe zaehlt in einer seiner Satiren als die namhaftesten auslaendischen Delikatessen folgende auf: Pfauen von Samos; Haselhuehner aus Phrygien; Kraniche von Melos; Zicklein von Ambrakia; Thunfische von Kalchedon; Muraenen aus der Gaditanischen Meerenge; Edelfische (?) von Pessinus. Austern und Muscheln von Tarent; Stoere (?) von Rhodos; Scarusfische (?) von Kilikien; Nuesse von Thasos; Datteln aus Aegypten; spanische Eicheln. --------------------------------------------------- Dass Sittlichkeit und Familienleben unter solchen Verhaeltnissen in allen Schichten der Gesellschaft zur Antiquitaet wurden, versteht sich von selbst. Es war nicht mehr der aergste Schimpf und das schlimmste Verbrechen, arm zu sein, sondern das einzige: um Geld verkaufte der Staatsmann den Staat, der Buerger seine Freiheit; um Geld war die Offizierstelle wie die Kugel des Geschworenen feil; um Geld gab die vornehme Dame so gut sich preis wie die gemeine Dirne; Urkundenfaelschung und Meineide waren so gemein geworden, dass bei einem Volkspoeten dieser Zeit der Eid "das Schuldenpflaster" heisst. Man hatte vergessen, was Ehrlichkeit war; wer eine Bestechung zurueckwies, galt nicht fuer einen rechtschaffenen Mann, sondern fuer einen persoenlichen Feind. Die Kriminalstatistik aller Zeiten und Laender wird schwerlich ein Seitenstueck bieten zu einem Schaudergemaelde so mannigfaltiger, so entsetzlicher und so widernatuerlicher Verbrechen, wie es der Prozess des Aulus Cluentius in dem Schoss einer der angesehensten Familien einer italischen Ackerstadt vor uns aufrollt. Wie aber im tiefen Grunde des Volkslebens der Schlamm immer giftiger und immer bodenloser sich sammelte, so legte sich um so viel glatter und gleissender ueber die Oberflaeche der Firnis feiner Sitten und allgemeiner Freundschaft. Alle Welt besuchte sich einander, so dass in den vornehmen Haeusern es schon noetig wird, die jeden Morgen zum Lever sich einstellenden Personen in einer gewissen, von dem Herrn oder gelegentlich auch dem Kammerdiener festgesetzten Reihenfolge vorzulassen, auch nur den namhafteren einzeln Audienz zu geben, die uebrigen aber teils in Gruppen, teils schliesslich in Masse abzufertigen, mit welcher Scheidung Gaius Gracchus, auch hierin der Pfadfinder der neuen Monarchie, vorangegangen sein soll. Eine ebenso grosse Ausdehnung wie die Hoeflichkeitsbesuche hat auch der Hoeflichkeitsbriefwechsel gewonnen; zwischen Personen, die weder ein persoenliches Verhaeltnis noch Geschaefte miteinander haben, fliegen dennoch die "freundschaftlichen" Briefe ueber Land und Meer, und umgekehrt kommen eigentliche und foermliche Geschaeftsbriefe fast nur da noch vor, wo das Schreiben an eine Korporation gerichtet ist. In der gleichen Weise werden die Einladungen zur Tafel, die ueblichen Neujahrsgeschenke, die haeuslichen Feste ihrem Wesen entfremdet und fast in oeffentliche Festlichkeiten verwandelt; ja, der Tod selbst befreit nicht von diesen Ruecksichten auf die unzaehligen "Naechsten", sondern, um anstaendig gestorben zu sein, muss der Roemer jeden derselben wenigstens mit einem Andenken bedacht haben. Ebenwie in gewissen Kreisen unserer Boersenwelt war der eigentliche innige haeusliche und hausfreundliche Zusammenhang dem damaligen Rom so vollstaendig abhanden gekommen, dass mit den inhaltlos gewordenen Formen und Floskeln desselben der gesamte Geschaeftsund Bekanntenverkehr sich staffieren und dann allmaehlich an die Stelle der wirklichen jenes Gespenst der "Freundschaft" treten konnte, welches unter den mancherlei ueber den Aechtungen und Buergerkriegen dieser Zeit schwebenden Hoellengeistern nicht den letzten Platz einnimmt. Ein ebenso charakteristischer Zug in dem schimmernden Verfall dieser Zeit ist die Emanzipation der Frauenwelt. oekonomisch hatten die Frauen laengst sich selbstaendig gemacht; in der gegenwaertigen Epoche begegnen schon eigene Frauenanwaelte, die einzelnstehenden reichen Damen bei ihrer Vermoegensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflissen zur Hand gehen, durch Geschaeftsund Rechtskenntnis ihnen imponieren und damit reichlichere Trinkgelder und Erbschaftsquoten herausschlagen als andere Pflastertreter der Boerse. Aber nicht bloss der oekonomischen Vormundschaft des Vaters oder des Mannes fuehlten die Frauen sich entbunden. Liebeshaendel aller Art waren bestaendig auf dem Tapet. Ballettaenzerinnen (mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit und Virtuositaet ihrer Industrien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre Primadonnen, die Cytheris und wie sie weiter heissen, beschmutzen selbst die Blaetter der Geschichte. Indes ihrem gleichsam konzessionierten Gewerbe tat sehr wesentlichen Abbruch die freie Kunst der Damen der aristokratischen Kreise. Liaisons in den ersten Haeusern waren so haeufig geworden, dass nur ein ganz ausnehmendes Aergernis sie zum Gegenstand besonderen Klatsches machen konnte; ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien beinahe laecherlich. Ein Skandal ohnegleichen, wie ihn Publius Clodius 693 (61) bei dem Weiberfest im Hause des Oberpontifex auffuehrte, obwohl tausendmal aerger als die Vorfaelle, die noch fuenfzig Jahre zuvor zu einer Reihe von Todesurteilen gefuehrt hatten, ging fast ohne Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Badesaison - im April, wo die Staatsgeschaefte ruhten und die vornehme Welt in Baiae und Puteoli zusammenstroemte - zog ihren Hauptreiz mit aus den erlaubten und unerlaubten Verhaeltnissen, die neben Musik und Gesang und eleganten Fruehstuecken im Nachen oder am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier herrschten die Damen unumschraenkt; indes begnuegten sie sich keineswegs mit dieser ihnen von Rechts wegen zustehenden Domaene, sondern sie machten auch Politik, erschienen in Parteizusammenkuenften und beteiligten sich mit ihrem Geld und ihren Intrigen an dem wuesten Koterietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmaenninnen auf der Buehne Scipios und Catos agieren sah und daneben den jungen Elegant, wie er mit glattem Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit Kopfund Busentuechern, Manschettenhemden und Frauensandalen das lockere Dirnchen kopierte, dem mochte wohl grauen vor der unnatuerlichen Welt, in der die Geschlechter die Rollen schienen wechseln zu wollen. Wie man in den Kreisen dieser Aristokratie ueber Ehescheidung dachte, laesst das Verfahren ihres besten und sittlichsten Mannes Marcus Cato erkennen, der auf Bitten eines heiratslustigen Freundes von seiner Frau sich zu scheiden, keinen Anstand nahm und ebensowenig daran, nach dem Tode dieses Freundes dieselbe Frau zum zweitenmal zu heiraten. Eheund Kinderlosigkeit griffen vornehmlich in den hoeheren Staenden immer weiter um sich. Wenn unter diesen die Ehe laengst als eine Last galt, die man hoechstens im oeffentlichen Interesse ueber sich nahm, so begegnen wir jetzt schon auch bei Cato und Catos Gesinnungsgenossen der Maxime, aus der ein Jahrhundert zuvor Polybios den Verfall von Hellas ableitete: dass es Buergerpflicht sei, die grossen Vermoegen zusammenzuhalten und darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. Wo waren die Zeiten, als die Benennung "Kinderzeuger" (proletarius) fuer den Roemer ein Ehrenname gewesen war! Infolge dieser sozialen Zustaende schwand der latinische Stamm in Italien in erschreckender Weise zusammen und legte sich ueber die schoenen Landschaften teils die parasitische Einwanderung, teils die reine Oede. Ein ansehnlicher Teil der Bevoelkerung Italiens stroemte in das Ausland. Schon die Summe von Kapazitaeten und Arbeitskraeften, welche die Lieferung von italischen Beamten und italischen Besatzungen fuer das gesamte Mittelmeergebiet in Anspruch nahm, ueberstieg die Kraefte der Halbinsel, zumal da die also in die Fremde gesandten Elemente zum grossen Teil der Nation fuer immer verloren gingen. Denn je mehr die roemische Gemeinde zu einem viele Nationen umfassenden Reiche erwuchs, desto mehr entwoehnte sich die regierende Aristokratie, Italien als ihre ausschliessliche Heimat zu betrachten; von der zum Dienst ausgehobenen oder angeworbenen Mannschaft aber ging ein ansehnlicher Teil in den vielen Kriegen, namentlich in dem blutigen Buergerkriege zugrunde, und ein anderer ward durch die lange, zuweilen auf ein Menschenalter sich erstreckende Dienstzeit der Heimat voellig entfremdet. In gleicher Weise wie der oeffentliche Dienst hielt die Spekulation einen Teil der Grundbesitzerund fast die ganze Kaufmannschaft wenn nicht auf zeitlebens, doch auf lange Zeit ausser Landes fest und entwoehnte namentlich die letztere in dem demoralisierenden Handelsreiseleben ueberhaupt der buergerlichen Existenz im Mutterlande und der vielfach bedingten innerhalb der Familie. Als Ersatz dafuer erhielt Italien teils das Sklavenund Freigelassenenproletariat, teils die aus Kleinasien, Syrien und Aegypten einstroemenden Handwerker und Haendler, die vornehmlich in der Hauptstadt und mehr noch in den Hafenstaedten Ostia, Puteoli, Brundisium wucherten. Aber in dem groessten und wichtigsten Teil Italiens trat nicht einmal ein solcher Ersatz der reinen Elemente durch unreine ein, sondern schwand die Bevoelkerung sichtlich hin. Vor allem galt dies von den Weidelandschaften, wie denn das gelobte Land der Viehzucht, Apulien, von Gleichzeitigen der menschenleerste Teil Italiens genannt wird, und von der Umgegend Roms, wo die Campagna unter der steten Wechselwirkung des zurueckgehenden Ackerbaues und der zunehmenden boesen Luft jaehrlich mehr veroedete. Labici, Gabii, Bovillae, einst freundliche Landstaedtchen, waren so verfallen, dass es schwer hielt, Vertreter derselben fuer die Zeremonie des Latinerfestes aufzutreiben. Tusculum, obwohl immer noch eine der angesehensten Gemeinden Latiums, bestand fast nur noch aus einigen vornehmen Familien, die in der Hauptstadt lebten, aber ihr tusculanisches Heimatrecht festhielten, und stand an Zahl der stimmfaehigen Buerger weit zurueck selbst hinter kleinen Gemeinden des inneren Italiens. Der Stamm der waffenfaehigen Mannschaft war in diesem Landstrich, auf dem einst Roms Wehrhaftigkeit wesentlich beruht hatte, so vollstaendig ausgegangen, dass man die im Vergleich mit den gegenwaertigen Verhaeltnissen fabelhaft klingenden Berichte der Chronik von den Aequerund Volskerkriegen mit Staunen und vielleicht mit Grauen las. Nicht ueberall war es so arg, namentlich nicht in den uebrigen Teilen Mittelitaliens und in Kampanien: aber dennoch "standen", wie Varro klagt, durchgaengig einst menschenreiche Staedte veroedet. Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter dem Regiment der Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler und der Welt der Reichen ist der verhaengnisvolle Gegensatz durch nichts vermittelt oder gemildert. Je deutlicher und peinlicher er auf beiden Seiten empfunden ward, je schwindelnd hoeher der Reichtum stieg, je tiefer der Abgrund der Armut gaehnte, desto haeufiger ward in dieser wechselvollen Welt der Spekulation und des Gluecksspiels der einzelne aus der Tiefe in die Hoehe und wieder aus der Hoehe in die Tiefe geschleudert. Je weiter aeusserlich die beiden Welten auseinanderklafften, desto vollstaendiger begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Familienlebens, das doch aller Nationalitaet Keim und Kern ist, in der gleichen Faulheit und Ueppigkeit, der gleichen bodenlosen Oekonomie, der gleichen unmaennlichen Abhaengigkeit, der gleichen, nur im Tarif unterschiedenen Korruption, der gleichen Verbrecherentsittlichung, dem gleichen Geluesten, mit dem Eigentum den Krieg zu beginnen. Reichtum und Elend im innigen Bunde treiben die Italiker aus Italien aus und fuellen die Halbinsel halb mit Sklavengewimmel, halb mit schauerlicher Stille. Es ist ein grauenvolles Bild, aber kein eigentuemliches; ueberall, wo das Kapitalistenregiment im Sklavenstaat sich vollstaendig entwickelt, hat es Gottes schoene Welt in gleicher Weise verwuestet. Wie die Stroeme in verschiedenen Farben spiegeln, die Kloake aber ueberall sich gleich sieht, so gleicht auch das Italien der ciceronischen Epoche wesentlich dem Hellas des Polybios und bestimmter noch dem Karthago der hannibalischen Zeit, wo in ganz aehnlicher Weise das allmaechtig regierende Kapital den Mittelstand zugrunde gerichtet, den Handel und die Gutswirtschaft zur hoechsten Bluete gesteigert und schliesslich eine gleissend uebertuenchte sittliche und politische Verwesung der Nation herbeigefuehrt hatte. Alles, was in der heutigen Welt das Kapital an argen Suenden gegen Nation und Zivilisation begangen hat, bleibt so tief unter den Greueln der alten Kapitalistenstaaten, wie der freie Mann, sei er auch noch so arm, ueber dem Sklaven bleibt; und erst wenn Nordamerikas Drachensaat reift, wird die Welt wieder aehnliche Fruechte zu ernten haben. Diese Leiden, an denen die italische Volkswirtschaft daniederlag, waren ihrem tiefsten Kerne nach unheilbar, und was daran noch geheilt werden konnte, musste wesentlich das Volk und die Zeit bessern; denn auch die weiseste Regierung vermag so wenig wie der geschickteste Arzt, die verdorbenen Saefte des Organismus in frische zu verwandeln oder bei tieferliegenden Uebeln mehr zu tun, als die Zufaelligkeiten abzuwehren, die die Heilkraft der Natur in ihrem Wirken hindern. Eine solche Abwehr gewaehrte an sich schon die friedliche Energie des neuen Regiments, durch welche einige der aergsten Auswuechse von selber wegfielen, wie zum Beispiel die kuenstliche Grossziehung des Proletariats, die Straflosigkeit der Verbrechen, der Aemterkauf und anderes mehr. Allein etwas mehr konnte die Regierung doch tun als bloss nicht schaden. Caesar gehoerte nicht zu den ueberklugen Leuten, die das Meer darum nicht eindaemmen, weil der Springflut doch kein Deich zu trotzen vermag. Es ist besser, wenn die Nation und ihre Oekonomie von selbst die naturgemaesse Bahn geht; aber da sie aus dieser ausgewichen war, so setzte Caesar alle seine Energie ein, um von oben herab die Nation in das heimatliche und Familienleben zurueckzubringen und die Volksoekonomie durch Gesetz und Dekret zu reformieren. Um der dauernden Abwesenheit der Italiker aus Italien zu steuern und die vornehme Welt und die Kaufmannschaft zur Gruendung eigener Herde in der Heimat zu veranlassen, wurde nicht bloss die Dienstzeit der Soldaten verkuerzt, sondern auch den Maennern senatorischen Standes ueberhaupt untersagt, anders als in oeffentlichen Geschaeften ihren Aufenthalt ausserhalb Italiens zunehmen, den uebrigen Italikern in heiratsfaehigem Alter (vom zwanzigsten bis zum vierzigsten Jahr) vorgeschrieben, nicht ueber drei Jahre hintereinander von Italien abwesend zu sein. In demselben Sinn hatte Caesar schon in seinem ersten Konsulat bei Gruendung der Kolonie Capua die Vaeter mehrerer Kinder vorzugsweise bedacht und setzte nun als Imperator den Vaetern zahlreicher Familien ausserordentliche Belohnungen aus, waehrend er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung und Ehebruch mit einem nach roemischen Begriffen unerhoerten Rigorismus behandelte. Er verschmaehte es sogar nicht, ein detailliertes Luxusgesetz zu erlassen, das unter anderm die Bauverschwendung wenigstens in einem ihrer unsinnigsten Auswuechse, den Grabmonumenten, beschnitt, den Gebrauch von Purpurgewaendern und Perlen auf gewisse Zeiten, Altersund Rangklassen beschraenkte und ihn erwachsenen Maennern ganz untersagte, dem Tafelaufwand ein Maximum setzte und eine Anzahl Luxusgerichte geradezu verbot. Dergleichen Verordnungen waren freilich nicht neu; neu aber war es, dass der "Sittenmeister" ernstlich ueber deren Befolgung hielt, die Esswarenmaerkte durch bezahlte Aufpasser ueberwachte, ja, den vornehmen Herren durch seine Gerichtsdiener die Tafel revidieren und die verbotenen Schuesseln auf dieser selbst konfiszieren liess. Durch solche theoretische und praktische Unterweisung in der Maessigkeit, welche die neue monarchische Polizei der vornehmen Welt erteilte, konnte freilich kaum mehr erreicht werden, als dass der Luxus sich etwas mehr in die Verborgenheit zurueckzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist, die das Laster der Tugend darbringt, so war unter den damaligen Verhaeltnissen selbst eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit ein nicht zu verachtender Fortschritt zum Bessern. Ernsterer Art waren und mehr Erfolg versprachen die Massregeln Caesars zur besseren Regulierung der italischen Geldund Bodenwirtschaft. Zunaechst handelte es sich hier um transitorische Bestimmungen hinsichtlich des Geldmangels und der Schuldenkrise ueberhaupt. Das durch den Laerm ueber die zurueckgehaltenen Kapitalien hervorgerufene Gesetz, dass niemand ueber 60000 Sesterzen (4600 Taler) an barem Gold und Silber vorraetig haben duerfe, mag wohl nur erlassen sein, um den Zorn des blinden Publikums gegen die Wucherer zu beschwichtigen; die Form der Publikation, wobei fingiert ward, dass hiermit nur ein aelteres, in Vergessenheit geratenes Gesetz wieder eingeschaerft werde, zeigt es, dass Caesar dieser Verfuegung sich schaemte, und schwerlich wird von ihr wirklich Anwendung gemacht sein. Eine weit ernstere Frage war die Behandlung der schwebenden Forderungen, deren vollstaendigen Erlass die Partei, die sich die seine nannte, von Caesar mit Ungestuem begehrte. Dass derselbe auf dieses Begehren so nicht einging, ward schon gesagt; indes wurden doch, und zwar schon im Jahre 705 (49), den Schuldnern zwei wichtige Zugestaendnisse gemacht. Einmal wurden die rueckstaendigen Zinsen niedergeschlagen ^23 und die gezahlten vom Kapital abgezogen. Zweitens ward der Glaeubiger genoetigt, die bewegliche und unbewegliche Habe des Schuldners an Zahlungs Statt nach demjenigen Taxwert anzunehmen, welchen die Sachen vor dem Buergerkrieg und der durch denselben herbeigefuehrten allgemeinen Entwertung gehabt hatten. Die letztere Festsetzung war nicht unbillig; wenn der Glaeubiger tatsaechlich als der Eigentuemer der Habe seines Schuldners bis zum Belauf der ihm geschuldeten Summe anzusehen war, so war es wohl gerechtfertigt, dass er an der allgemeinen Entwertung des Besitzes seinen Anteil mittrug. Dagegen die Annullierung der geleisteten oder ausstehenden Zinszahlungen, durch welche der Sache nach die Glaeubiger ausser den Zinsen selbst von dem, was sie zur Zeit der Erlassung des Gesetzes an Kapital zu fordern hatten, durchschnittlich 25 Prozent einbuessten, war in der Tat nichts anderes als eine teilweise Gewaehrung der von den Demokraten so ungestuem begehrten Kassation der aus Darlehen herruehrenden Forderungen; und wie arg auch die Zinswucherer gewirtschaftet haben mochten, so ist es doch nicht moeglich, damit die rueckwirkende Vernichtung aller Zinsforderungen ohne Unterschied zu rechtfertigen. Um diese Agitation wenigstens zu begreifen, muss man sich erinnern, wie die demokratische Partei zu der Zinsfrage stand. Das gesetzliche Verbot, Zinsen zu nehmen, das die alte Plebejeropposition im Jahre 412 (342) erzwungen hatte, war zwar durch die mittels der Praetur den Zivilprozess beherrschende Nobilitaet tatsaechlich ausser Anwendung gesetzt, aber doch formell seit jener Zeit in Gueltigkeit geblieben; und die Demokraten des siebenten Jahrhunderts, die sich durchaus als die Fortsetzer jener alten staendisch-sozialen Bewegung betrachteten, hatten die Nichtigkeit der Zinszahlungen zu jeder Zeit behauptet, auch schon in den Wirren der marianischen Zeit dieselbe wenigstens voruebergehend praktisch geltend gemacht. Es ist nicht glaublich, dass Caesar die kruden Ansichten seiner Partei ueber die Zinsfrage teilte; wenn er in seinem Bericht ueber die Liquidationsangelegenheit der Verfuegung ueber die Hingabe der Habe der Schuldner an Zahlungs Statt gedenkt, aber von der Kassation der Zinsen schweigt, so ist dies vielleicht ein stummer Selbstvorwurf. Allein wie jeder Parteifuehrer hing doch auch er von seiner Partei ab und konnte die traditionellen Saetze der Demokratie in der Zinsfrage nicht geradezu verleugnen; um so mehr, als er ueber diese Frage nicht als der allmaechtige Sieger von Pharsalos, sondern schon vor seinem Abgang nach Epirus zu entscheiden hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die Rechtsordnung und das Eigentum vielleicht mehr zuliess als bewirkte, so ist es sicher sein Verdienst, dass jenes ungeheuerliche Begehren der Kassation saemtlicher Darlehnsforderungen zurueckgewiesen ward: und es darf wohl als eine Ehrenrettung fuer ihn angesehen werden, dass die Schuldner ueber das ihnen gemachte, nach ihrer Ansicht hoechst ungenuegende Zugestaendnis noch weit ungehaltener waren als die verkuerzten Glaeubiger und unter Caelius und Dolabella jene toerichten und, wie bereits frueher erzaehlt, rasch vereitelten Versuche machten, das, was Caesar ihnen verweigert hatte, durch Krawall und Buergerkrieg zu erzwingen. ------------------------------------------ ^23 Dieses ist zwar nicht ueberliefert, folgt aber notwendig aus der Gestattung, die durch Barzahlung oder Anweisung gezahlten Zinsen (si quid usurae nomine numeratum auf perscriptum fuisset: Suet. Caes. 42) als gesetzwidrig gezahlt an dem Kapital zu kuerzen. ------------------------------------------ Aber Caesar beschraenkte sich nicht darauf, dem Schuldner fuer den Augenblick zu helfen, sondern er tat, was er als Gesetzgeber tun konnte, um die fuerchterliche Allmacht des Kapitals auf die Dauer zu beugen. Vor allen Dingen ward der grosse Rechtssatz proklamiert, dass die Freiheit nicht ein dem Eigentum kommensurables Gut ist, sondern ein ewiges Menschenrecht, das der Staat nur dem Schuldigen, nicht dem Schuldner abzuerkennen das Recht hat. Es ist Caesar, der, vielleicht auch hier angeregt durch die humanere aegyptische und griechische, besonders die Solonische Gesetzgebung ^24, dieses den Satzungen der aelteren Konkursordnung schnurstracks widersprechende Prinzip eingefuehrt hat in das gemeine Recht, wo es seit ihm unangefochten sich behauptet. Nach roemischem Landrecht ward der zahlungsunfaehige Schuldner Knecht seines Glaeubigers. Das Poetelische Gesetz hatte zwar dem nur durch Verlegenheiten, nicht durch wahre Ueberschuldung augenblicklich zahlungsunfaehig Gewordenen verstattet, durch Abtretung seiner Habe die persoenliche Freiheit zu retten; fuer den wirklich Ueberschuldeten jedoch war jener Rechtssatz wohl in Nebenpunkten gemildert, aber in der Hauptsache durch ein halbes Jahrtausend unveraendert festgehalten worden; ein zunaechst auf das Vermoegen gerichteter Konkurs kam nur ausnahmsweise vor dann, wenn der Schuldner tot oder seines Buergerrechts verlustig gegangen oder nicht aufzufinden war. Erst Caesar gab dem ueberschuldeten Manne das Recht, worauf noch unsere heutigen Konkursordnungen beruhen: durch foermliche Abtretung der Habe an die Glaeubiger, mochte sie zu ihrer Befriedigung ausreichen oder nicht, allemal seine persoenliche Freiheit, wenn auch mit geschmaelerten Ehrenund politischen Rechten, zu erretten und eine neue Vermoegensexistenz zu beginnen, in der er wegen der aus der aelteren Zeit herruehrenden und im Konkurs nicht gedeckten Forderungen nur dann eingeklagt werden durfte, wenn er sie bezahlen konnte, ohne wiederum sich oekonomisch zu ruinieren. Wenn also dem grossen Demokraten die unvergaengliche Ehre zuteil ward, die persoenliche Freiheit prinzipiell vom Kapital zu emanzipieren, so versuchte er ferner, die Uebermacht des Kapitals durch Wuchergesetze auch polizeilich einzudaemmen. Die demokratische Antipathie gegen die Zinsvertraege verleugnete auch er nicht. Fuer den italischen Geldverkehr wurde eine Maximalsumme der dem einzelnen Kapitalisten zu gestattenden Zinsdarlehen festgestellt, welche sich nach dem einem jeden zustaendigen italischen Grundbesitz gerichtet zu haben scheint und vielleicht die Haelfte des Wertes desselben betrug. Uebertretungen dieser Bestimmung wurden, nach Art des in den republikanischen Wuchergesetzen vorgeschriebenen Verfahrens, als Kriminalvergehen behandelt und vor eine eigene Geschworenenkommission gewiesen. Wenn es gelang, diese Vorschriften praktisch durchzufuehren, so wurde jeder italische Geschaeftsmann dadurch genoetigt, vor allem zugleich auch italischer Grundbesitzer zu werden, und die Klasse der bloss von ihren Zinsen zehrenden Kapitalisten verschwand in Italien gaenzlich. Mittelbar wurde damit auch die nicht minder schaedliche Kategorie der ueberschuldeten und der Sache nach nur fuer ihre Glaeubiger das Gut verwaltenden Grundeigentuemer wesentlich beschraenkt, indem die Glaeubiger, wenn sie ihr Zinsgeschaeft fortfuehren wollten, gezwungen wurden, selber sich anzukaufen. Schon hierin uebrigens liegt es, dass Caesar keineswegs jenes naive Zinsverbot der alten Popularpartei einfach erneuern, sondern vielmehr das Zinsnehmen innerhalb gewisser Grenzen gestatten wollte. Sehr wahrscheinlich aber hat er dabei sich nicht auf jene bloss fuer Italien gueltige Anordnung eines Maximalsatzes der auszuleihenden Summen beschraenkt, sondern auch, namentlich mit Ruecksicht auf die Provinzen, fuer die Zinsen selbst Maximalsaetze vorgeschrieben. Die Verfuegungen, dass es unstatthaft sei, hoehere Zinsen als eins vom Hundert monatlich oder von rueckstaendigen Zinsen wieder Zinsen zu nehmen oder endlich an rueckstaendigen Zinsen mehr als eine dem Kapital gleichkommende Summe gerichtlich geltend zu machen, wurden, wahrscheinlich ebenfalls nach griechisch-aegyptischem Muster ^25, im Roemischen Reiche zuerst von Lucius Lucullus fuer Kleinasien aufgestellt und daselbst von seinen besseren Nachfolgern beibehalten, sodann bald auch auf andere Provinzen durch Statthalterverordnungen uebertragen und endlich wenigstens ein Teil derselben durch einen Beschluss des roemischen Senats vom Jahre 704 (50) mit Gesetzeskraft in allen Provinzen versehen. Wenn diese Lucullischen Verfuegungen spaeterhin in ihrem vollen Umfang als Reichsgesetz erscheinen und durchaus die Grundlage der roemischen, ja der heutigen Zinsgesetzgebung geworden sind, so darf auch dies vielleicht auf eine Bestimmung Caesars zurueckgefuehrt werden. ------------------------------------------------- ^24 Die aegyptischen Koenigsgesetze (Diod. 1, 79) und ebenso das Solonische Recht (Plut. Sol. 13, 15) untersagten die Schuldbriefe, worin auf die Nichtzahlung der Verlust der persoenlichen Freiheit des Schuldners gesetzt war; und wenigstens das letztere legte auch im Falle des Konkurses dem Schuldner nicht mehr auf als die Abtretung seiner saemtlichen Aktiva. ^25 Wenigstens der letztere Satz kehrt wieder in den alten aegyptischen Koenigsgesetzen (Diod. 1, 79). Dagegen kennt das Solonische Recht keine Zinsbeschraenkungen, erlaubt vielmehr ausdruecklich, Zinsen von jeder beliebigen Hoehe auszumachen. ------------------------------------------------- Hand in Hand mit diesen Bestrebungen, der Kapitaluebermacht zu wehren, gingen die Bemuehungen, die Bodenwirtschaft in diejenige Bahn zurueckzuleiten, die dem Gemeinwesen die foerderlichste war. Sehr wesentlich war hierfuer schon die Verbesserung der Rechtspflege und der Polizei. Wenn bisher niemand in Italien seines Lebens und seines beweglichen oder unbeweglichen Eigentums sicher gewesen war, wenn zum Beispiel die roemischen Bandenfuehrer in den Zwischenzeiten, wo ihre Leute nicht in der Hauptstadt Politik machen halfen, in den Waeldern Etruriens dem Raube obgelegen oder auch die Landgueter ihrer Soldherren durch Eroberungen arrondiert hatten, so hatte dergleichen Faustrecht nunmehr ein Ende; und vor allem die ackerbauende Bevoelkerung aller Klassen musste davon die wohltaetigen Folgen empfinden. Auch Caesars Bauplaene, die sich durchaus nicht auf die Hauptstadt beschraenkten, waren bestimmt, hier einzugreifen; so sollte zum Beispiel die Anlegung einer bequemen Fahrstrasse von Rom durch die Apenninenpaesse zum Adriatischen Meer den italischen Binnenverkehr beleben, die Niedrigerlegung des Fuciner Sees der marsischen Bauernschaft zugute kommen. Allein auch unmittelbar griff Caesar in die wirtschaftlichen Zustaende Italiens ein. Den italischen Viehzuechtern wurde auferlegt, wenigstens den dritten Teil ihrer Hirten aus freigeborenen, erwachsenen Leuten zu nehmen, wodurch zugleich dem Banditenwesen gesteuert und dem freien Proletariat eine Erwerbsquelle geoeffnet ward. In der agrarischen Frage ging Caesar, der bereits in seinem ersten Konsulat in die Lage gekommen war, sie zu regulieren, verstaendiger als Tiberius Gracchus, nicht darauf aus, die Bauernwirtschaft wiederherzustellen um jeden Preis, selbst um den einer unter juristischen Klauseln versteckten Revolution gegen das Eigentum; ihm wie jedem andern echten Staatsmann galt vielmehr als die erste und unverbruechlichste aller politischen Maximen die Sicherheit dessen, was Eigentum ist oder doch im Publikum als Eigentum gilt, und nur innerhalb der hierdurch gezogenen Schranken suchte er die Hebung des italischen Kleinbesitzes, die auch ihm als eine Lebensfrage der Nation erschien, zu bewerkstelligen. Es liess auch so noch viel in dieser Beziehung sich tun. Jedes Privatrecht, mochte es Eigentum oder titulierter Erbbesitz heissen, auf Gracchus oder auf Sulla zurueckgehen, ward unbedingt von ihm respektiert. Dagegen das saemtliche wirkliche Domanialland in Italien, mit Einschluss eines ansehnlichen Teils der in den Haenden geistlicher Innungen befindlichen, rechtlich dem Staate zustaendigen Liegenschaften, wurde von Caesar, nachdem er in seiner streng sparsamen, auch im kleinen keine Verschleuderung und Vernachlaessigung duldenden Weise durch die wiedererweckte Zwanzigerkommission eine allgemeine Revision der italischen Besitztitel veranstaltet hatte, zur Verteilung in gracchanischer Weise bestimmt, natuerlich soweit es sich zum Ackerbau eignete - die dem Staate gehoerigen apulischen Sommerund samnitischen Winterweiden blieben auch ferner Domaene; und es war wenigstens die Absicht des Imperators, wenn diese Domaenen nicht ausreichen wuerden, das weiter erforderliche Land durch Ankauf italischer Grundstuecke aus der Staatskasse zu beschaffen. Bei der Auswahl der neuen Bauern wurden natuerlich vor allen die gedienten Soldaten beruecksichtigt und soweit moeglich die Last, welche die Aushebung fuer das Mutterland war, dadurch in eine Wohltat umgewandelt, dass Caesar den als Rekruten ausgehobenen Proletarier ihm als Bauer zurueckgab; bemerkenswert ist es auch, dass die veroedeten latinischen Gemeinden, wie zum Beispiel Veii und Capena, vorzugsweise mit neuen Kolonisten bedacht worden zu sein scheinen. Die Vorschrift Caesars, dass die neuen Eigentuemer erst nach zwanzig Jahren befugt sein sollten, die empfangenen Laendereien zu veraeussern, war ein gluecklicher Mittelweg zwischen der voelligen Freigebung des Veraeusserungsrechts, die den groessten Teil des verteilten Landes rasch wieder in die Haende der grossen Kapitalisten zurueckgefuehrt haben wuerde, und den bleibenden Beschraenkungen der Verkehrsfreiheit, wie sie Tiberius Gracchus und Sulla, beide gleich vergeblich, verfuegt hatten. Wenn also die Regierung energisch dazu tat, die kranken Elemente des italischen Volkslebens zu entfernen und die gesunden zu staerken, so sollte endlich das neu regulierte Munizipalwesen, nachdem sich dasselbe erst juengst aus der Krise des Bundesgenossenkriegs in und neben dem Staatswesen entwickelt hatte, der neuen absoluten Monarchie das mit ihr vertraegliche Gemeindeleben mitteilen und die stockende Zirkulation der edelsten Elemente des oeffentlichen Lebens wieder zu rascheren Pulsschlaegen erwecken. Als leitender Grundsatz in den beiden im Jahre 705 (49) fuer das Cisalpinische Gallien, im Jahre 709 (45) fuer Italien erlassenen Gemeindeordnungen ^26, von denen namentlich die letztere fuer die ganze Folgezeit Grundgesetz blieb, erscheint teils die strenge Reinigung der staedtischen Kollegien von allen unsittlichen Elementen, waehrend von politischer Polizei darin keine Spur vorkommt, teils die moeglichste Beschraenkung des Zentralisierens und die moeglichst freie Bewegung der Gemeinden, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten und eine wenngleich beschraenkte Zivilund Kriminalgerichtsbarkeit verblieb. Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel die Beschraenkungen des Assoziationsrechts, griffen freilich auch hier Platz. ---------------------------------------------- ^26 Von beiden Gesetzen sind betraechtliche Bruchstuecke noch vorhanden. ---------------------------------------------- Dies sind die Ordnungen, durch die Caesar versuchte, die italische Volkswirtschaft zu reformieren. Es ist leicht, sowohl ihre Unzulaenglichkeit darzutun, indem auch sie noch eine Menge von Uebelstaenden bestehen liessen, als auch nachzuweisen, dass sie vielfach schaedlich wirkten, indem sie die Verkehrsfreiheit zum Teil sehr empfindlich beschraenkten. Es ist noch leichter nachzuweisen, dass die Schaeden der italischen Volkswirtschaft ueberhaupt unheilbarer Art waren. Aber trotzdem wird der praktische Staatsmann das Werk wie den Meister bewundern. Es war schon etwas, dass da, wo ein Mann wie Sulla, an Abhilfe verzweifelnd, mit einer bloss formalen Reorganisation sich begnuegt hatte, das Uebel an seinem eigentlichen Sitze angefasst und hier mit ihm gerungen ward; und wir duerfen wohl urteilen, dass Caesar mit seinen Reformen dem Masse des Moeglichen so nahe kam, als zu kommen dem Staatsmann und dem Roemer gegeben war. Die Verjuengung Italiens hat auch er von ihnen nicht erwarten koennen noch erwartet, sondern diese vielmehr auf einem sehr verschiedenen Wege zu erreichen gesucht, den darzulegen es noetig wird, zunaechst die Lage der Provinzen, wie Caesar sie vorfand, ins Auge zu fassen. Die Provinzen, welche Caesar vorfand, waren vierzehn an der Zahl; sieben europaeische: das Jenseitige und das Diesseitige Spanien; das Transalpinische Gallien; das Italische Gallien mit Illyricum; Makedonien mit Griechenland; Sizilien; Sardinien mit Korsika; fuenf asiatische: Asia; Bithynien und Pontus; Kilikien mit Kypros; Syrien; Kreta; und zwei afrikanische: Kyrene und Afrika; wozu Caesar durch die Einrichtung der beiden neuen Statthalterschaften des Lugdunensischen Galliens und Belgiens und durch Konstituierung Illyricums als einer eigenen Provinz noch drei neue Sprengel hinzufuegte ^27. ------------------------------------------ ^27 Da nach Caesars Ordnung jaehrlich sechzehn Propraetoren und zwei Prokonsuln in die Statthalterschaften sich teilten und die letzteren zwei Jahre im Amt blieben, so moechte man schliessen dass er die Zahl der Provinzen insgesamt auf zwanzig zu bringen beabsichtigte. Zu einer Gewissheit ist indes hier um so weniger zu gelangen, als Caesar vielleicht absichtlich weniger Aemter einrichtete als Kandidaturen. ------------------------------------------ In dem Regiment ueber diese Provinzen war die oligarchische Misswirtschaft auf einem Punkte angekommen, wie ihn wenigstens im Okzident, trotz mancher achtbarer Leistungen in diesem Fach, keine zweite Regierung jemals erreicht hat und wo nach unserer Fassungskraft eine Steigerung nicht mehr moeglich scheint. Allerdings traf die Verantwortung hierfuer die Roemer nicht allein. Fast ueberall hatte bereits vor ihnen das griechische, phoenikische oder asiatische Regiment den Voelkern den hoeheren Sinn und das Rechtsund Freiheitsgefuehl besserer Zeiten ausgetrieben. Es war wohl arg, dass jeder angeschuldigte Provinziale auf Verlangen in Rom persoenlich zur Verantwortung sich zu stellen verpflichtet war; dass der roemische Statthalter beliebig in die Rechtspflege und in die Verwaltung der abhaengigen Gemeinden eingriff, Bluturteile faellte und Verhandlungen des Gemeinderats kassierte; dass er im Kriegsfall mit den Milizen nach Gutduenken und oft in schandbarer Weise schaltete, wie zum Beispiel Cotta bei der Belagerung des pontischen Herakleia der Miliz alle gefaehrlichen Posten anwies, um seine Italiker zu schonen, und, da die Belagerung nicht nach Wunsch ging, seinen Werkmeistern den Kopf vor die Fuesse zu legen befahl. Es war wohl arg, dass keine Vorschrift der Sittlichkeit oder des Strafrechts weder die roemischen Voegte noch ihr Gefolge band und dass Vergewaltigungen, Schaendungen und Ermordungen mit oder ohne Form Rechtens in den Provinzen alltaegliche Auftritte waren. Allein es war dies wenigstens nichts Neues: fast ueberall war man sklavischer Behandlung laengst gewohnt und es kam am Ende wenig darauf an, ob ein karthagischer Vogt, ein syrischer Satrap oder ein roemischer Prokonsul den Lokaltyrannen spielte. Das materielle Wohlbefinden, ziemlich das einzige, wofuer man in den Provinzen noch Sinn hatte, ward durch jene Vorgaenge, die zwar bei den vielen Tyrannen viele, aber doch nur einzelne Individuen trafen, weit minder gestoert als durch die auf allen zugleich lastende finanzielle Exploitierung, welche mit solcher Energie doch niemals noch aufgetreten war. Die Roemer bewaehrten ihre alte Meisterschaft im Geldwesen jetzt auf diesem Gebiet in einer entsetzlichen Weise. Es ist frueher versucht worden, das roemische System der Provinzialbelastung in seinen bescheidenen und verstaendigen Grundlagen wie in seiner Steigerung und Verderbung darzustellen. Dass die letztere progressiv zunahm, versteht sich von selbst. Die ordentlichen Abgaben wurden weit drueckender durch die Ungleichheit der Steuerverteilung und durch das verkehrte Hebesystem als durch ihre Hoehe. Ueber die Einquartierungslast aeusserten roemische Staatsmaenner selbst, dass eine Stadt ungefaehr gleich viel leide, wenn der Feind sie erstuerme und wenn ein roemisches Heer Winterquartier in ihr nehme. Waehrend die Besteuerung nach ihrem urspruenglichen Charakter die Verguetung fuer die von Rom uebernommene Kriegslast gewesen war und die steuernde Gemeinde also ein Recht darauf hatte, vom ordentlichen Dienst verschont zu bleiben, wurde jetzt, wie zum Beispiel fuer Sardinien bezeugt ist, der Besatzungsdienst groesstenteils den Provinzialen aufgebuerdet und sogar in den ordentlichen Heeren ausser anderen Leistungen die ganze schwere Last des Reiterdienstes auf sie abgewaelzt. Die ausserordentlichen Leistungen, wie zum Beispiel die Kornlieferungen gegen geringe oder gar keine Verguetung zum Besten des hauptstaedtischen Proletariats, die haeufigen und kostspieligen Flottenruestungen und Strandverteidigungen, um der Piraterie zu steuern, die Aufgaben, Kunstwerke, wilde Bestien oder andere Beduerfnisse des wahnwitzigen roemischen Theaterund Tierhetzenluxus herbeizuschaffen, die militaerischen Requisitionen im Kriegsfall, waren ebenso haeufig wie erdrueckend und unberechenbar. Ein einzelnes Beispiel mag zeigen, wie weit die Dinge gingen. Waehrend der dreijaehrigen Verwaltung Siziliens durch Gaius Verres sank die Zahl der Ackerwirte in Leontinoi von 84 auf 32, in Motuka von 187 auf 86, in Herbita von 252 auf 120, in Agyrion von 250 auf 80; so dass in vier der fruchtbarsten Distrikte Siziliens von hundert Grundbesitzern 59 ihre Aecker lieber brach liegen liessen, als sie unter diesem Regiment bestellten. Und diese Ackerwirte waren, wie schon ihre geringe Zahl zeigt und auch ausdruecklich gesagt wird, keineswegs kleine Bauern, sondern ansehnliche Plantagenbesitzer und zum grossen Teil roemische Buerger! In den Klientelstaaten waren die Formen der Besteuerung etwas verschieden, aber die Lasten selbst womoeglich noch aerger, da ausser den Roemern hier auch noch die einheimischen Hoefe erpressten. In Kappadokien und Aegypten war der Bauer wie der Koenig bankrott und jener den Steuereinnehmer, dieser den roemischen Glaeubiger zu befriedigen ausserstande. Dazu kamen denn die eigentlichen Erpressungen nicht bloss des Statthalters selbst, sondern auch seiner "Freunde", von denen jeder gleichsam eine Anweisung auf den Statthalter zu haben meinte und ein Anrecht, durch ihn aus der Provinz als ein gemachter Mann zurueckzukommen. Die roemische Oligarchie glich in dieser Beziehung vollstaendig einer Raeuberbande und betrieb das Pluendern der Provinzialen berufsund handwerksmaessig: ein tuechtiges Mitglied griff nicht allzu saeuberlich zu, da man ja mit den Sachwaltern und den Geschworenen zu teilen hatte und je mehr, um desto sicherer stahl. Auch die Diebesehre war bereits entwickelt: der grosse Raeuber sah auf den kleinen, dieser auf den blossen Dieb geringschaetzig herab; wer einmal wunderbarerweise verurteilt worden war, tat gross mit der hohen Ziffer der als erpresst ihm nachgewiesenen Summen. So wirtschafteten in den Aemtern die Nachfolger jener Maenner, die von ihrer Verwaltung nichts nach Hause zu bringen gewohnt gewesen als den Dank der Untertanen und den Beifall der Mitbuerger. Aber womoeglich noch aerger und noch weniger einer Kontrolle unterworfen hausten die italischen Geschaeftsmaenner unter den ungluecklichen Provinzialen. Die eintraeglichsten Stuecke des Grundbesitzes und das gesamte Handelsund Geldwesen in den Aemtern konzentrierten sich in ihren Haenden. Die Gueter in den ueberseeischen Gebieten, welche italischen Vornehmen gehoerten, waren allem Elend der Verwalterwirtschaft ausgesetzt und sahen niemals ihren Herrn, ausgenommen etwa die Jagdparke, welche schon in dieser Zeit im Transalpinischen Gallien mit einem Flaecheninhalt bis fast zu einer deutschen Quadratmeile vorkommen. Die Wucherei florierte wie nie zuvor. Die kleinen Landeigentuemer in Illyricum, Asia, Aegypten wirtschafteten schon zu Varros Zeit groesstenteils tatsaechlich als Schuldknechte ihrer roemischen oder nichtroemischen Glaeubiger, ebenwie einst die Plebejer fuer ihre patrizischen Zinsherren. Es kam vor, dass Kapitalien selbst an Stadtgemeinden zu vier Prozent monatlich verborgt wurden. Es war etwas Gewoehnliches, dass ein energischer und einflussreicher Geschaeftsmann zu besserer Betreibung seiner Geschaefte entweder vom Senat sich den Gesandten- ^28 oder auch vom Statthalter den Offizierstitel geben liess und womoeglich auch Mannschaft dazu; in beglaubigter Weise wird ein Fall erzaehlt, wo einer dieser ehrenwerten kriegerischen Bankiers wegen einer Forderung an die Stadt Salamis auf Kypros den Gemeinderat derselben im Rathaus so lange blockiert hielt, bis fuenf der Ratsmitglieder Hungers gestorben waren. ----------------------------------------------------- ^28 Dies ist die sogenannte "freie Gesandtschaft" (libera legatio), naemlich eine Gesandtschaft ohne eigentliche oeffentliche Auftraege. ----------------------------------------------------- Zu dieser gedoppelten Pressung, von denen jede allein unertraeglich war und deren Ineinandergreifen immer besser sich regulierte, kamen dann die allgemeinen Drangsale hinzu, von denen doch auch die roemische Regierung die Schuld, zum grossen Teil wenigstens mittelbar trug. In den vielfachen Kriegen wurden bald von den Barbaren, bald von den roemischen Heeren grosse Kapitalien aus dem Lande weggeschleppt und groessere verdorben. Bei der Nichtigkeit der roemischen Landund Seepolizei wimmelte es ueberall von Landund Seeraeubern. In Sardinien und im inneren Kleinasien war die Bandenwirtschaft endemisch; in Afrika und im Jenseitigen Spanien machte sie es noetig, alle ausserhalb der staedtischen Ringmauern angelegten Gebaeude mit Mauern und Tuermen zu befestigen. Das furchtbare Uebel der Piraterie ward bereits in einem anderen Zusammenhang geschildert. Die Panazeen des Prohibitivsystems, mit denen der roemische Statthalter dazwischenzufahren pflegte, wenn, wie das unter solchen Verhaeltnissen nicht fehlen konnte, Geldklemme oder Brotteuerung eintrat, die Verbote der Goldund Getreideausfuhr aus der Provinz, machten denn auch die Sache nicht besser. Die Kommunalverhaeltnisse waren fast ueberall, ausser durch den allgemeinen Notstand, auch noch durch lokale Wirren und Unterschleife der Gemeindebeamten zerruettet. Wo solche Bedraengnisse nicht etwa voruebergehend, sondern Menschenalter hindurch auf den Gemeinden und den einzelnen mit unabwendbar stetigem, jaehrlich steigendem Drucke lasteten, musste wohl der bestgeordnete oeffentliche oder Privathaushalt ihnen erliegen und das unsaeglichste Elend ueber alle Nationen vom Tajo bis zum Euphrat sich ausbreiten. "Alle Gemeinden", heisst es in einer schon 684 (70) veroeffentlichten Schrift "sind zugrunde gerichtet"; ebendasselbe wird fuer Spanien und das Narbonensische Gallien, also die verhaeltnismaessig oekonomisch noch am leidlichsten gestellten Provinzen, insbesondere bezeugt. In Kleinasien gar standen Staedte wie Samos und Halikarnassos fast leer; der rechtliche Sklavenstand schien hier, verglichen mit den Peinigungen, denen der freie Provinziale unterlag, ein Hafen der Ruhe, und sogar der geduldige Asiate war, nach den Schilderungen roemischer Staatsmaenner selbst, des Lebens ueberdruessig geworden. Wen zu ergruenden geluestet, wie tief der Mensch sinken kann, sowohl in dem frevelhaften Zufuegen wie in dem nicht minder frevelhaften Ertragen alles denkbaren Unrechts, der mag aus den Kriminalakten dieser Zeit zusammenlesen, was roemische Grosse zu tun, was Griechen, Syrer und Phoeniker zu leiden vermochten. Selbst die eigenen Staatsmaenner raeumten oeffentlich und ohne Umschweife ein, dass der roemische Name durch ganz Griechenland und Asien unaussprechlich verhasst sei; und wenn die Buerger des pontischen Herakleia einmal die roemischen Zoellner saemtlich erschlugen, so war dabei nur zu bedauern, dass dergleichen nicht oefter geschah. Die Optimaten spotteten ueber den neuen Herrn, der seine "Meierhoefe" einen nach dem andern selbst zu besichtigen kam; in der Tat forderte der Zustand aller Provinzen den ganzen Ernst und die ganze Weisheit eines jener seltenen Maenner, denen der Koenigsname es verdankt, dass er den Voelkern nicht bloss gilt als leuchtendes Exempel menschlicher Unzulaenglichkeit. Die geschlagenen Wunden musste die Zeit heilen; dass sie es konnte und dass nicht ferner neue geschlagen wurden, dafuer sorgte Caesar. Das Verwaltungswesen ward durchgreifend umgestaltet. Die Sullanischen Prokonsuln und Propraetoren waren in ihrem Sprengel wesentlich souveraen und tatsaechlich keiner Kontrolle unterworfen gewesen; die Caesarischen waren die wohl in Zucht gehaltenen Diener eines strengen Herrn, der schon durch die Einheit und die lebenslaengliche Dauer seiner Macht zu den Untertanen ein natuerlicheres und leidlicheres Verhaeltnis hatte als jene vielen, jaehrlich wechselnden kleinen Tyrannen. Die Statthalterschaften wurden zwar auch ferner unter die jaehrlich abtretenden zwei Konsuln und sechzehn Praetoren verteilt, aber dennoch, indem der Imperator acht von den letzteren geradezu ernannte und die Verteilung der Provinzen unter die Konkurrenten lediglich von ihm abhing, der Sache nach von dem Imperator vergeben. Auch die Kompetenz der Statthalter ward tatsaechlich beschraenkt. Es blieb ihnen die Leitung der Rechtspflege und die administrative Kontrolle der Gemeinden, aber ihr Kommando ward paralysiert durch das neue Oberkommando in Rom und dessen, dem Statthalter zur Seite gestellte Adjutanten, das Hebewesen wahrscheinlich schon jetzt, auch in den Provinzen wesentlich an kaiserliche Bediente uebertragen, so dass der Statthalter fortan mit einem Hilfspersonal umringt war, welches entweder durch die Gesetze der militaerischen Hierarchie oder durch die noch strengeren der haeuslichen Zucht unbedingt von dem Imperator abhing. Wenn bisher der Prokonsul und sein Quaestor erschienen waren gleichsam als die zur Einziehung der Brandschatzung abgesandten Mitglieder einer Raeuberbande, so waren Caesars Beamte dazu da, um den Schwachen gegen den Starken zu beschuetzen; und an die Stelle der bisherigen, schlimmer als nichtigen Kontrolle der Ritteroder senatorischen Gerichte trat fuer sie die Verantwortung vor einem gerechten und unnachsichtigen Monarchen. Das Gesetz ueber Erpressungen, dessen Bestimmungen Caesar schon in seinem ersten Konsulat verschaerft hatte, wurde gegen die Oberkommandanten in den Aemtern von ihm mit unerbittlicher, selbst ueber den Buchstaben desselben hinausgehender Schaerfe zur Anwendung gebracht; und die Steuerbeamten gar, wenn sie ja es wagten, sich eine Unrechtfertigkeit zu erlauben, buessten ihrem Herrn, wie Knechte und Freigelassene nach dem grausamen Hausrecht jener Zeit zu buessen pflegten. Die ausserordentlichen oeffentlichen Lasten wurden auf das richtige Mass und den wirklichen Notfall zurueckgefuehrt, die ordentlichen wesentlich vermindert. Der durchgreifenden Regulierung des Steuerwesens ward bereits frueher gedacht: die Ausdehnung der Steuerfreiheiten, die durchgaengige Herabsetzung der direkten Abgaben, die Beschraenkung des Zehntsystems auf Afrika und Sardinien, die vollstaendige Beseitigung der Mittelsmaenner bei der Einziehung der direkten Abgaben waren fuer die Provinzialen segensreiche Reformen. Dass Caesar nach dem Beispiel eines seiner groessten demokratischen Vorgaenger, des Sertorius, die Untertanen von der Einquartierungslast hat befreien und die Soldaten anhalten wollen, sich selber bleibende stadtartige Standlager zu errichten, ist zwar nicht nachzuweisen; aber er war, wenigstens nachdem er die Praetendentenmit der Koenigsrolle vertauscht hatte, nicht der Mann, den Untertan dem Soldaten preiszugeben; und es war in seinem Geiste gedacht, als die Erben seiner Politik solche Kriegslager und aus diesen Kriegslagern wieder Staedte erschufen, in denen die italische Zivilisation Brennpunkte inmitten der barbarischen Grenzlandschaften fand. Bei weitem schwieriger als dem Beamtenunwesen zu steuern war es, die Provinzialen von der erdrueckenden Uebermacht des roemischen Kapitals zu befreien. Geradezu brechen liess dieselbe sich nicht, ohne Mittel anzuwenden, die noch gefaehrlicher waren als das Uebel; die Regierung konnte vorlaeufig nur einzelne Missbraeuche abstellen, wie zum Beispiel Caesar die Benutzung des Staatsgesandtentitels zu wucherlichen Zwecken untersagte, und der offenbaren Vergewaltigung und dem handgreiflichen Wucher durch scharfe Handhabung der allgemeinen Strafund der auch auf die Provinzen sich erstreckenden Wuchergesetze entgegentreten, eine gruendlichere Heilung des Uebels aber von dem unter der besseren Verwaltung wiederaufbluehenden Wohlstand der Provinzialen erwarten. Transitorische Verfuegungen, um der Ueberschuldung einzelner Provinzen abzuhelfen, waren in den letzten Zeiten mehrfach ergangen. Caesar selbst hatte 694 (60) als Statthalter des Jenseitigen Spaniens den Glaeubigern zwei Drittel der Einnahmen ihrer Schuldner zugewiesen, um daraus sich bezahlt zu machen. Aehnlich hatte schon Lucius Lucullus als Statthalter von Kleinasien einen Teil der masslos angeschwollenen Zinsreste geradezu kassiert, fuer den uebrigen Teil die Glaeubiger angewiesen auf den vierten Teil des Ertrages der Laendereien ihrer Schuldner sowie auf eine angemessene Quote der aus Hausmiete oder Sklavenarbeit denselben zufliessenden Nutzungen. Es ist nicht ueberliefert, dass Caesar nach dem Buergerkrieg aehnliche allgemeine Schuldenliquidationen in den Provinzen veranlasst haette; doch kann es, nach dem eben Bemerkten und nach dem, was fuer Italien geschah, kaum bezweifelt werden, dass Caesar darauf ebenfalls hingearbeitet hat oder dies wenigstens in seinem Plan lag. Wenn also der Imperator, soweit Menschenkraft es vermochte, die Provinzialen der Bedrueckungen durch die Beamten und Kapitalisten Roms entlastete, so durfte man zugleich von der durch ihn neu erstarkenden Regierung mit Sicherheit erwarten, dass sie die wilden Grenzvoelker verscheuchen und die Landund Seepiraten zerstreuen werde, wie die aufsteigende Sonne die Nebel verjagt. Wie auch noch die alten Wunden schmerzten, mit Caesar erschien den vielgeplagten Untertanen die Morgenroete einer ertraeglicheren Zeit, seit Jahrhunderten wieder die erste intelligente und humane Regierung und eine Friedenspolitik, die nicht auf der Feigheit, sondern auf der Kraft beruhte. Wohl mochten mit den besten Roemern vor allem die Untertanen an der Leiche des grossen Befreiers trauern. Allein diese Abstellung der bestehenden Missbraeuche war nicht die Hauptsache in Caesars Provinzialreform. In der roemischen Republik waren, nach der Ansicht der Aristokratie wie der Demokratie, die Aemter nichts gewesen als wie sie haeufig genannt werden: Landgueter des roemischen Volkes, und als solche waren sie benutzt und ausgenutzt worden. Damit war es jetzt vorbei. Die Provinzen als solche sollten allmaehlich untergehen, um der verjuengten hellenisch-italischen Nation eine neue und geraeumigere Heimat zu bereiten, von deren einzelnen Bezirken keiner nur um eines andern willen da war, sondern alle fuer einen und einer fuer alle; die Leiden und Schaeden der Nation, fuer die in dem alten Italien keine Hilfe war, sollte das neue Dasein in der verjuengten Heimat, das frischere, breitere, grossartigere Volksleben von selber ueberwinden. Bekanntlich waren diese Gedanken nicht neu. Die seit Jahrhunderten stehend gewordene Emigration aus Italien in die Provinzen hatte laengst, freilich den Emigranten selber unbewusst, eine solche Ausdehnung Italiens vorbereitet. In planmaessiger Weise hatte zuerst Gaius Gracchus, der Schoepfer der roemischen demokratischen Monarchie, der Urheber der transalpinischen Eroberungen, der Gruender der Kolonien Karthago und Narbo, die Italiker ueber Italiens Grenzen hinausgelenkt, sodann der zweite geniale Staatsmann, den die roemische Demokratie hervorgebracht, Quintus Sertorius, damit begonnen, die barbarischen Okzidentalen zur latinischen Zivilisation anzuleiten; er gab der vornehmen spanischen Jugend roemische Tracht und hielt sie an, lateinisch zu sprechen und auf der von ihm gegruendeten Bildungsanstalt in Osca sich die hoehere italische Bildung anzueignen. Bei Caesars Regierungsantritt war bereits eine massenhafte, freilich der Stetigkeit wie der Konzentration grossenteils ermangelnde italische Bevoelkerung in allen Provinzen und Klientelstaaten vorhanden - um von den foermlich italischen Staedten in Spanien und dem suedlichen Gallien zu schweigen, erinnern wir nur an die zahlreichen Buergertruppen, die Sertorius und Pompeius in Spanien, Caesar in Gallien, Juba in Numidien, die Verfassungspartei in Afrika, Makedonien, Griechenland, Kleinasien und Kreta aushoben; an die freilich uebelgestimmte lateinische Leier, auf der die Stadtpoeten von Corduba schon im Sertorianischen Kriege der roemischen Feldherren Lob und Preis sangen; an die eben ihrer sprachlichen Eleganz wegen geschaetzten Uebersetzungen griechischer Poesien, die der aelteste namhafte ausseritalische Poet, der Transalpiner Publius Terentius Varro von der Aude, kurz nach Caesars Tode veroeffentlichte. Andererseits war die Durchdringung des latinischen und des hellenischen Wesens, man moechte sagen, so alt wie Rom. Schon bei der Einigung Italiens hatte die obsiegende l
atinische Nation alle anderen besiegten Nationalitaeten sich assimiliert, nur die einzige griechische, so wie sie war, sich eingefuegt, ohne sie aeusserlich mit sich zu verschmelzen. Wohin der roemische Legionaer kam, dahin folgte der griechische Schulmeister, in seiner Art nicht minder ein Eroberer, ihm nach; schon frueh finden wir namhafte griechische Sprachlehrer ansaessig am Guadalquivir, und in der Anstalt von Osca ward so gut griechisch gelehrt wie lateinisch. Die hoehere roemische Bildung selbst war ja durchaus nichts anderes als die Verkuendung des grossen Evangeliums hellenischer Art und Kunst im italischen Idiom; gegen die bescheidene Anmassung der zivilisierenden Eroberer, dasselbe zunaechst in ihrer Sprache den Barbaren des Westens zu verkuendigen, konnte der Hellene wenigstens nicht laut protestieren. Schon laengst erblickte der Grieche ueberall, und am entschiedensten eben da, wo das Nationalgefuehl am reinsten und am staerksten war, an den von barbarischer Denationalisierung bedrohten Grenzen, wie zum Beispiel in Massalia, am Nordgestade des Schwarzen Meeres und am Euphrat und Tigris, den Schild und das Schwert des Hellenismus in Rom; und in der Tat nahmen Pompeius’ Staedtegruendungen im fernen Osten nach jahrhundertelanger Unterbrechung Alexanders segensreiches Werk wieder auf. Der Gedanke eines italisch-hellenischen Reiches mit zweien Sprachen und einer einheitlichen Nationalitaet war nicht neu - er waere sonst auch nichts gewesen als ein Fehler; aber dass er aus schwankenden Entwuerfen zu sicherer Fassung, aus zerstreuten Anfaengen zu konzentrierter Grundlegung fortschritt, ist das Werk des dritten und groessten der demokratischen Staatsmaenner Roms. Die erste und wesentlichste Bedingung zu der politischen und nationalen Nivellierung des Reichs war die Erhaltung und Ausdehnung der beiden zu gemeinschaftlichem Herrschen bestimmten Nationen, unter moeglichst rascher Beseitigung der neben ihr stehenden barbarischen oder barbarisch genannten Staemme. In gewissem Sinne koennte man allerdings neben Roemern und Griechen noch eine dritte Nationalitaet nennen, die mit denselben in der damaligen Welt an Ubiquitaet wetteiferte und auch in dem neuen Staate Caesars eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen bestimmt war. Es sind dies die Juden. Das merkwuerdige, nachgiebig zaehe Volk war in der alten wie in der heutigen Welt ueberall und nirgends heimisch und ueberall und nirgends maechtig. Die Diadochen Davids und Salomos bedeuteten fuer die Juden jener Zeit kaum mehr, als heutzutage Jerusalem fuer sie bedeutet; die Nation fand wohl fuer ihre religioese und geistige Einheit einen sichtbaren Anhalt in dem kleinen Koenigreich von Jerusalem, aber sie selbst bestand keineswegs in der Untertanenschaft der Hasmonaeer, sondern in den zahllos durch das ganze Parthische und das ganze Roemische Reich zerstreuten Judenschaften. In Alexandreia namentlich und aehnlich in Kyrene bildeten die Juden innerhalb dieser Staedte eigene, administrativ und selbst lokal abgegrenzte Gemeinwesen, den Judenvierteln unserer Staedte nicht ungleich, aber freier gestellt und von einem "Volksherrn" als oberstem Richter und Verwalter geleitet. Wie zahlreich selbst in Rom die juedische Bevoelkerung bereits vor Caesar war, und zugleich, wie landsmannschaftlich eng die Juden auch damals zusammenhielten, beweist die Bemerkung eines Schriftstellers dieser Zeit, dass es fuer den Statthalter bedenklich sei, den Juden in seiner Provinz zu nahe zu treten, weil er dann sicher darauf zaehlen duerfe, nach seiner Heimkehr von dem hauptstaedtischen Poebel ausgepfiffen zu werden. Auch zu jener Zeit war das vorwiegende Geschaeft der Juden der Handel: mit dem erobernden roemischen Kaufmann zog damals der juedische Haendler ebenso ueberall hin wie spaeter mit dem genuesischen und venezianischen, und neben der roemischen stroemte das Kapital allerorts bei der juedischen Kaufmannschaft zusammen. Auch zu jener Zeit endlich begegnen wir der eigentuemlichen Antipathie der Okzidentalen gegen diese so gruendlich orientalische Rasse und ihre fremdartigen Meinungen und Sitten. Dies Judentum, obwohl nicht der erfreulichste Zug in dem nirgends erfreulichen Bilde der damaligen Voelkermengung, war nichtsdestoweniger ein im natuerlichen Verlauf der Dinge sich entwickelndes geschichtliches Moment, das der Staatsmann weder sich ableugnen noch bekaempfen durfte und dem Caesar vielmehr, ebenwie sein Vorgaenger Alexander, in richtiger Erkenntnis der Verhaeltnisse moeglichst Vorschub tat. Wenn Alexander, der Stifter des alexandrinischen Judentums, damit nicht viel weniger fuer die Nation tat wie ihr eigener David durch den Tempelbau von Jerusalem, so foerderte auch Caesar die Juden in Alexandreia wie in Rom durch besondere Beguenstigungen und Vorrechte und schuetzte namentlich ihren eigentuemlichen Kult gegen die roemischen wie gegen die griechischen Lokalpfaffen. Die beiden grossen Maenner dachten natuerlich nicht daran, der hellenischen oder italisch-hellenischen Nationalitaet die juedische ebenbuertig zur Seite zu stellen. Aber der Jude, der nicht wie der Okzidentale die Pandoragabe politischer Organisation empfangen hat und gegen den Staat sich wesentlich gleichgueltig verhaelt; der ferner ebenso schwer den Kern seiner nationalen Eigentuemlichkeit aufgibt als bereitwillig denselben mit jeder beliebigen Nationalitaet umhuellt und bis zu einem gewissen Grad der fremden Volkstuemlichkeit sich anschmiegt - der Jude war ebendarum wie geschaffen fuer einen Staat, welcher auf den Truemmern von hundert lebendigen Politien erbaut und mit einer gewissermassen abstrakten und von vornherein verschliffenen Nationalitaet ausgestattet werden sollte. Auch in der alten Welt war das Judentum ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition und insofern ein vorzugsweise berechtigtes Mitglied in dem Caesarischen Staate, dessen Politie doch eigentlich nichts als Weltbuergertum, dessen Volkstuemlichkeit im Grunde nichts als Humanitaet war. Indes die positiven Elemente des neuen Buergertums blieben ausschliesslich die latinische und die hellenische Nationalitaet. Mit dem spezifisch italischen Staat der Republik war es also zu Ende; jedoch war es nichts als ein sehr erklaerliches, aber auch sehr albernes Gerede des grollenden Adels, dass Caesar Italien und Rom absichtlich zugrunde richte, um den Schwerpunkt des Reiches in den griechischen Osten zu verlegen und zur Hauptstadt desselben Ilion oder Alexandreia zu machen. Vielmehr behielt in Caesars Organisation die latinische Nationalitaet immer das Uebergewicht; wie sich dies schon darin ausspricht, dass er jede Verfuegung in lateinischer, aber die fuer die griechisch redenden Landschaften bestimmten daneben in griechischer Sprache erliess. Im allgemeinen ordnete er die Verhaeltnisse der beiden grossen Nationen in seiner Monarchie ebenwie sie in dem geeinigten Italien seine republikanischen Vorgaenger geordnet hatten: die hellenische Nationalitaet wurde geschuetzt, wo sie bestand, die italische nach Vermoegen erweitert und ihr die Erbschaft der aufzuloesenden Rassen bestimmt. Es war dies schon deshalb notwendig, weil eine voellige Gleichstellung des griechischen und lateinischen Elements im Staate aller Wahrscheinlichkeit nach in sehr kurzer Zeit diejenige Katastrophe herbeigefuehrt haben wuerde, die manche Jahrhunderte spaeter der Byzantinismus vollzog; denn das Griechentum war nicht bloss geistig nach allen Richtungen hin dem roemischen Wesen ueberlegen, sondern auch an Masse, und hatte in Italien selbst an den Schwaermen der gezwungen oder freiwillig nach Italien wandernden Hellenen und Halbhellenen eine Unzahl unscheinbarer, aber in ihrem Einfluss nicht hoch genug anzuschlagender Apostel. Um nur der eminentesten Erscheinung auf diesem Gebiete zu gedenken, so ist das Regiment der griechischen Lakaien ueber die roemischen Monarchen so alt wie die Monarchie: der erste in der ebenso langen wie widerwaertigen Liste dieser Individuen ist Pompeius’ vertrauter Bedienter Theophanes von Mytilene, welcher durch seine Gewalt ueber den schwachen Herrn wahrscheinlich mehr als irgendein anderer Mann zu dem Ausbruch des Krieges zwischen Pompeius und Caesar beigetragen hat. Nicht ganz mit Unrecht ward er nach seinem Tode von seinen Landsleuten goettlich verehrt: eroeffnete er doch die Kammerdienerregierung der Kaiserzeit, die gewissermassen eben auch eine Herrschaft der Hellenen ueber die Roemer war. Die Regierung hatte demnach allen Grund, die Ausbreitung des Hellenismus wenigstens im Westen nicht noch von oben herab zu foerdern. Wenn Sizilien nicht bloss des Zehntendrucks entlastet, sondern auch seinen Gemeinden das latinische Recht bestimmt ward, dem seiner Zeit vermutlich die volle Gleichstellung mit Italien nachfolgen sollte, so kann Caesars Absicht nur gewesen sein, die herrliche, aber damals veroedete und wirtschaftlich zum groessten Teil in italische Haende gelangte Insel, welche die Natur nicht so sehr zum Nachbarland Italiens bestimmt hat als zu der schoensten seiner Landschaften, voellig in Italien aufgehen zu lassen. Im uebrigen aber ward das Griechentum, wo es bestand, erhalten und geschuetzt. Wie nahe auch die politischen Krisen es dem Imperator legten, die festen Pfeiler des Hellenismus im Okzident und in Aegypten umzustuerzen, Massalia und Alexandreia wurden weder vernichtet noch denationalisiert. Dagegen das roemische Wesen ward durch Kolonisierung wie durch Latinisierung mit allen Kraeften und an den verschiedensten Punkten des Reiches von der Regierung gehoben. Der zwar aus einer argen Vereinigung formeller Rechtsund brutaler Machtentwicklung hervorgegangene, aber, um freie Hand gegen die zur Vernichtung bestimmten Nationen zu haben, unumgaenglich notwendige Satz, dass an allem, nicht durch besonderen Akt der Regierung an Gemeinden oder Private abgetretenen Grund und Boden in den Provinzen der Staat das Eigentum, der zeitige Inhaber nur einen geduldeten und jederzeit widerruflichen Erbbesitz habe, wurde auch von Caesar festgehalten und durch ihn aus einer demokratischen Parteitheorie zu einem Fundamentalprinzip des monarchischen Rechts erhoben. In erster Linie kam fuer die Ausbreitung der roemischen Nationalitaet natuerlich Gallien in Frage. Gallien diesseits der Alpen erhielt durch die laengst von der Demokratie als vollzogen angenommene und nun (705 49) durch Caesar schliesslich vollzogene Aufnahme der transpadanischen Gemeinden in den roemischen Buergerverband durchgaengig, was ein grosser Teil der Bewohner laengst gehabt: politische Gleichberechtigung mit dem Hauptland. Tatsaechlich hatte sich diese Provinz in den vierzig Jahren, die seit Erteilung des Latinerrechts verflossen waren, bereits vollstaendig latinisiert. Die Exklusiven mochten spotten ueber den breiten und gurgelnden Akzent des Kettenlateins und ein "ich weiss nicht was von hauptstaedtischer Anmut" bei dem Insubrer und Veneter vermissen, der sich als Caesars Legionaer mit dem Schwert einen Platz auf dem roemischen Markt und sogar in der roemischen Kurie erobert hatte. Nichtsdestoweniger war das Cisalpinische Gallien mit seiner dichten, vorwiegend bauernschaftlichen Bevoelkerung schon vor Caesar der Sache nach eine italische Landschaft und blieb Jahrhunderte lang der rechte Zufluchtsort italischer Sitte und italischer Bildung; wie denn die Lehrer der latinischen Literatur nirgends sonst ausserhalb der Hauptstadt so vielen Zuspruch und Anklang fanden. Wenn also das Cisalpinische Gallien wesentlich in Italien aufging, so trat zugleich an die Stelle, die es bisher eingenommen hatte, die transalpinische Provinz, die ja durch Caesars Eroberungen aus einer Grenzin eine Binnenprovinz umgewandelt worden war und die durch ihre Naehe wie durch ihr Klima vor allen anderen Gebieten sich dazu eignete, mit der Zeit gleichfalls eine italische Landschaft zu werden. Dorthin hauptsaechlich, nach dem alten Zielpunkt der ueberseeischen Ansiedlungen der roemischen Demokratie, ward der Strom der italischen Emigration gelenkt. Es wurden daselbst teils die alte Kolonie Narbo durch neue Ansiedler verstaerkt, teils in Baeterrae (Beziers) unweit Narbo, in Arelate (Arles) und Arausio (Orange) an der Rhone und in der neuen Hafenstadt Forum Iulii (Frejus) vier neue Buergerkolonien angelegt, deren Namen zugleich das Andenken der tapferen Legionen bewahrten, die das noerdliche Gallien zum Reiche gebracht hatten ^29. Die nicht mit Kolonisten belegten Ortschaften scheinen zugleich, wenigstens groesstenteils, in derselben Art wie einst das transpadanische Kettenland, der Romanisierung entgegengefuehrt worden zu sein durch Verleihung latinischen Stadtrechts; namentlich wurde Nemausus (Nimes) als der Hauptort des den Massalioten infolge ihrer Auflehnung gegen Caesar aberkannten Gebiets aus einem massaliotischen Flecken in eine latinische Stadtgemeinde umgewandelt und mit ansehnlichem Gebiet und selbst mit Muenzrecht ausgestattet ^30. Indem also das Cisalpinische Gallien von der vorbereitenden Stufe zur vollen Gleichstellung mit Italien fortschritt, rueckte gleichzeitig die narbonensische Provinz in jenes vorbereitende Stadium nach; ganz wie bisher im Cisalpinischen Gallien hatten die ansehnlichsten Gemeinden daselbst das volle Buerger-, die uebrigen latinisches Recht. --------------------------------- ^29 Narbo heisst Kolonie der Decimaner, Baeterrae der Septimaner, Forum Iulii der Octavaner, Arelate der Sextaner, Arausio der Secundaner. Die neunte Legion fehlt, weil sie ihre Nummer durch die Meuterei von Placentia entehrt hatte. Dass uebrigens die Kolonisten dieser Kolonien den eponymen Legionen angehoerten, wird nicht gesagt und ist nicht glaublich; die Veteranen selbst wurden wenigstens der grossen Mehrzahl nach in Italien angesiedelt. Ciceros Klage, dass Caesar "ganze Provinzen und Landschaften auf einen Schlag konfisziert habe" (off. 2, 7, 27, vgl. Phil. 13,15; 31, 32), geht ohne Zweifel, wie schon die enge Verknuepfung derselben mit dem Tadel des Triumphs ueber die Massalioten beweist, auf die dieser Kolonien wegen in der narbonensischen Provinz vorgenommenen Landeinziehungen und zunaechst auf die Massalia auferlegten Gebietsverluste. ^30 Ausdruecklich ueberliefert ist es nicht, von wem das latinische Recht der nichtkolonisierten Ortschaften dieser Gegend und namentlich von Nemausus herruehrt. Aber da Caesar selbst (civ. 1, 35) so gut wie geradezu sagt, dass Nemausus bis 705 (49) ein massaliotisches Dorf war; da nach dem Livianischen Bericht (Dio 41, 25; Flor. epit. 2, 13; Oros. hist. 6, 15) eben dieser Teil des Gebietes den Massalioten von Caesar entzogen ward da endlich schon auf voraugustischen Muenzen und sodann bei Strabon die Stadt als Gemeinde latinischen Rechts vorkommt, so kann nur Caesar der Urheber dieser Latinitaetsverleihung sein. Von Ruscino (Roussillon bei Perpignan) und anderen, im Narbonensischen Gallien frueh zu latinischer Stadtverfassung gelangten Gemeinden laesst sich nur vermuten, dass sie dieselbe gleichzeitig mit Nemausus empfingen. --------------------------------- In den anderen nichtgriechischen und nichtlatinischen Landschaften des Reiches, welche der Einwirkung Italiens und dem Assimilationsprozess noch ferner standen, beschraenkte Caesar sich darauf, einzelne Brennpunkte fuer die italische Zivilisation zu gruenden, wie dies bisher in Gallien Narbo gewesen war, um durch sie die kuenftige vollstaendige Ausgleichung vorzubereiten. Solche Anfaenge lassen, mit Ausnahme der aermsten und geringsten von allen, der sardinischen, in saemtlichen Provinzen des Reiches sich nachweisen. Wie Caesar im noerdlichen Gallien verfuhr, ward schon dargelegt; die lateinische Sprache erhielt hier, wenn auch noch nicht fuer alle Zweige des oeffentlichen Verkehrs, durchgaengig offizielle Geltung und es entstand am Lemansee als die noerdlichste Stadt italischer Verfassung die Kolonie Noviodunum (Nyon). In Spanien, vermutlich damals der am dichtesten bevoelkerten Landschaft des Roemischen Reiches, wurden nicht bloss in der wichtigen hellenisch-iberischen Hafenstadt Emporiae neben der alten Bevoelkerung Caesarische Kolonisten angesiedelt, sondern, wie neuerdings aufgefundene Urkunden gezeigt haben, auch eine Anzahl wahrscheinlich ueberwiegend dem hauptstaedtischen Proletariat entnommener Kolonisten in der Stadt Urso (Osuna), unweit Sevilla im Herzen von Andalusien, und vielleicht noch in mehreren anderen Ortschaften dieser Provinz versorgt. Die alte und reiche Kaufstadt Gades, deren Munizipalwesen Caesar schon als Praetor zeitgemaess umgestaltet hatte, erhielt jetzt von dem Imperator das volle Recht der italischen Munizipien (705 49) und wurde, was in Italien Tusculum gewesen war, die erste ausseritalische, nicht von Rom gegruendete Gemeinde, die in den roemischen Buergerverband eintrat. Einige Jahre nachher (709 45) wurde das gleiche Recht auch einigen anderen spanischen Gemeinden und vermutlich noch mehreren das latinische zuteil. In Afrika wurde, was Gaius Gracchus nicht hatte zu Ende fuehren sollen, jetzt ins Werk gesetzt und an derjenigen Staette, wo die Stadt der Erbfeinde Roms gestanden, 3000 italische Kolonisten und eine grosse Anzahl der im karthagischen Gebiet ansaessigen Pachtund Bittbesitzer angesiedelt; und zum Erstaunen rasch wuchs unter den unvergleichlich guenstigen Lokalverhaeltnissen die neue "Venuskolonie", das roemische Karthago, wieder empor. Utica, bis dahin die Hauptund erste Handelsstadt der Provinz, war schon im vorweg, es scheint durch Erteilung des latinischen Rechts, fuer die Wiedererweckung des ueberlegenen Konkurrenten einigermassen entschaedigt worden. In dem neu zum Reiche gefuegten numidischen Gebiet erhielten das wichtige Cirta und die uebrigen, dem roemischen Condottiere Publius Sittius fuer sich und die Seinigen ueberwiesenen Gemeinden das Recht roemischer Militaerkolonien. Die stattlichen Provinzstaedte freilich, die das wahnsinnige Wueten Jubas und der verzweifelten Reste der Verfassungspartei in Schutthaufen verwandelt hatte, erhoben sich nicht so rasch wieder, wie sie eingeaeschert worden waren, und manche Truemmerstaette erinnerte noch lange nachher an diese verhaengnisvolle Zeit; allein die beiden neuen Julischen Kolonien, Karthago und Cirta, wurden und blieben die Mittelpunkte der afrikanisch-roemischen Zivilisation. In dem veroedeten griechischen Land beschaeftigte Caesar ausser mit anderen Plaenen, zum Beispiel der Anlage einer roemischen Kolonie in Buthroton (Korfu gegenueber), vor allem sich mit der Wiederherstellung von Korinth; nicht bloss wurde eine ansehnliche Buergerkolonie dorthin gefuehrt, sondern auch der Plan entworfen, durch den Durchstich des Isthmus die gefaehrliche Umschiffung des Peloponnes abzuschneiden und den ganzen italisch-asiatischen Verkehr durch den Korinthisch-Saronischen Meerbusen zu leiten. Endlich rief selbst in dem entlegenen hellenischen Osten der Monarch italische Ansiedlungen ins Leben: so am Schwarzen Meer in Herakleia und in Sinope, welche Staedte die italischen Kolonisten aehnlich wie Emporiae mit den alten Bewohnern teilten; so an der syrischen Kueste in dem wichtigen Hafen von Berytos, das wie Sinope italische Verfassung erhielt; ja sogar in Aegypten wurde auf der den Hafen von Alexandreia beherrschenden Leuchtturminsel eine roemische Station gegruendet. Durch diese Anordnungen ward die italische Gemeindefreiheit in weit umfassenderer Weise, als es bisher geschehen war, in die Provinzen getragen. Die Vollbuergergemeinden, also saemtliche Staedte der cisalpinischen Provinz und die in dem Transalpinischen Gallien und sonst zerstreuten Buergerkolonien und Buergermunizipien, standen den italischen insofern gleich, als sie sich selber verwalteten und selbst eine, allerdings beschraenkte, Gerichtsbarkeit ausuebten: wogegen freilich die wichtigeren Prozesse vor die hier kompetenten roemischen Behoerden, in der Regel den Statthalter des Sprengels gehoerten ^31. Die formell autonomen latinischen und die sonstigen befreiten Gemeinden, also jetzt die sizilischen und die des Narbonensischen Galliens, soweit sie nicht Buergergemeinden waren, alle und auch in anderen Provinzen eine betraechtliche Zahl, hatten nicht bloss die freie Verwaltung, sondern wahrscheinlich unbeschraenkte Gerichtsbarkeit, so dass der Statthalter hier nur kraft seiner allerdings sehr arbitraeren Verwaltungskontrolle einzugreifen befugt war. Wohl hatte es auch frueher schon Vollbuergergemeinden innerhalb der Statthaltersprengel gegeben, wie zum Beispiel Aquileia und Narbo, und hatten ganze Statthaltersprengel, wie das Diesseitige Gallien, aus Gemeinden mit italischer Verfassung bestanden; aber wenn nicht rechtlich, war es doch politisch eine ungemein wichtige Neuerung, dass es jetzt eine Provinz gab, die so gut wie Italien lediglich von roemischen Buergern bevoelkert war ^32, und dass andere es zu werden versprachen. Es fiel damit der eine grosse tatsaechliche Gegensatz, in dem Italien zu den Provinzen gestanden hatte; und auch der zweite, dass in Italien regelmaessig keine Truppen standen, wohl aber in den Provinzen, war gleichermassen im Verschwinden: die Truppen standen jetzt nur da, wo es eine Grenze zu verteidigen gab, und die Kommandanten der Provinzen, bei denen dies nicht zutraf, wie zum Beispiel bei Narbo und Sizilien, waren nur dem Namen nach noch Offiziere. Der formelle Gegensatz zwischen Italien und den Provinzen, der zu allen Zeiten auf anderen Unterschieden beruht hatte, blieb allerdings auch jetzt bestehen, Italien der Sprengel der buergerlichen Rechtspflege und der Konsuln-Praetoren, die Provinzen kriegsrechtliche Jurisdiktionsbezirke und den Prokonsuln und Propraetoren unterworfen; allein der Prozess nach Buergerund nach Kriegsrecht fiel laengst praktisch zusammen, und die verschiedene Titulatur der Beamten hatte wenig zu bedeuten, seit ueber allen der eine Imperator stand. ----------------------------------------------- ^31 Dass keiner Vollbuergergemeinde mehr als beschraenkte Gerichtsbarkeit zustand, ist ausgemacht. Auffallend ist es aber, was aus der Caesarischen Gemeindeordnung fuer das Cisalpinische Gallien bestimmt hervorgeht, dass die jenseits der munizipalen Kompetenz liegenden Prozesse aus dieser Provinz nicht vor den Statthalter derselben, sondern vor den roemischen Praetor gehen; denn im uebrigen ist der Statthalter ja in seinem Sprengel ebensowohl anstatt des Praetors, der zwischen Buergern, wie anstatt dessen, der zwischen Buergern und Nichtbuergern Recht spricht, und durchaus fuer alle Prozesse kompetent. Ohne Zweifel ist dies ein Ueberrest der vorsullanischen Ordnung, wo in dem ganzen festlaendischen Gebiet bis zu den Alpen lediglich die Stadtbeamten kompetent waren und also hier saemtliche Prozesse, wo sie die munizipale Kompetenz ueberschritten, notwendig vor die Praetoren in Rom kamen. Dagegen in Narbo, Gades, Karthago, Korinth gingen die Prozesse in diesem Fall sicher an den betreffenden Statthalter; wie denn auch schon aus praktischen Ruecksichten nicht wohl an einen Rechtszug nach Rom gedacht werden kann. ^32 Warum die Erteilung des roemischen Buergerrechts an eine Landschaft insgesamt und der Fortbestand der Provinzialverwaltung fuer dieselbe als sich einander ausschliessende Gegensaetze gedacht zu werden pflegen, ist nicht abzusehen. Ueberdies erhielt notorisch das Cisalpinische Gallien durch den Roscischen Volksschluss vom 11. Maerz 705 (49) die Civitaet, waehrend es Provinz blieb, solange Caesar lebte, und erst nach seinem Tode mit Italien vereinigt ward (Dio 48, 12), auch die Statthalter bis 711 (43) nachweisbar sind. Schon dass die Caesarische Gemeindeordnung die Landschaft nie als Italien, sondern als Cisalpinisches Gallien bezeichnet, musste auf das Richtige fuehren. ----------------------------------------------- Offenbar ist in all diesen einzelnen munizipalen Gruendungen und Ordnungen, die wenigstens dem Plan, wenn auch vielleicht nicht alle der Ausfuehrung nach, auf Caesar zurueckgehen, ein bestimmtes System. Italien ward aus der Herrin der unterworfenen Voelkerschaften umgewandelt in die Mutter der verjuengten italisch-hellenischen Nation. Die dem Mutterlande vollstaendig gleichgestellte cisalpinische Provinz verhiess und verbuergte es, dass in der Monarchie Caesars, ebenwie in der frischeren Epoche der Republik, jede latinisierte Landschaft erwarten durfte, den aelteren Schwestern und der Mutter selbst ebenbuertig an die Seite zu treten. Auf der Vorstufe zur vollen nationalen und politischen Ausgleichung mit Italien standen dessen Nebenlaender, das griechische Sizilien und das rasch sich latinisierende suedliche Gallien. Auf einer entfernteren Stufe zu dieser Ausgleichung standen die uebrigen Landschaften des Reiches, in denen, wie bisher in Suedgallien Narbo roemische Kolonie gewesen war, jetzt die grossen Seestaedte: Emporiae, Gades, Karthago, Korinth, Herakleia im Pontos, Sinope, Berytos, Alexandreia, italische oder hellenisch-italische Gemeinden wurden, die Stuetzpunkte einer italischen Zivilisation selbst im griechischen Osten, die Grundpfeiler der kuenftigen nationalen und politischen Nivellierung des Reiches. Die Herrschaft der Stadtgemeinde Rom ueber das Litoral des Mittelmeeres war zu Ende; an ihre Stelle trat der neue Mittelmeerstaat und sein erster Akt war die Suehnung der beiden groessten Untaten, die jene Stadtgemeinde an der Zivilisation begangen hatte. Wenn die Zerstoerung der beiden groessten Handelsplaetze im roemischen Gebiet den Wendepunkt bezeichnete, wo die Schutzherrschaft der roemischen Gemeinde in politische Tyrannisierung und finanzielle Ausnutzung der untertaenigen Landschaften ueberging, so bezeichnete jetzt die sofortige und glaenzende Wiederherstellung von Karthago und Korinth die Begruendung des neuen, alle Landschaften am Mittelmeer zu nationaler und politischer Gleichheit, zu wahrhaft staatlicher Einigung heranbildenden grossen Gemeinwesens. Wohl durfte Caesar der Stadt Korinth zu ihrem vielberuehmten alten den neuen Namen der "Julischen Ehre" verleihen. Wenn also das neue einheitliche Reich mit einer Nationalitaet ausgestattet ward, die freilich notwendigerweise der volkstuemlichen Individualitaet entbehrte und mehr ein unlebendiges Kunstprodukt als ein frischer Trieb der Natur war, so bedurfte dasselbe ferner der Einheit in denjenigen Institutionen, in denen das allgemeine Leben der Nationen sich bewegt: in Verfassung und Verwaltung, in Religion und Rechtspflege, in Muenze, Mass und Gewicht; wobei natuerlich lokale Besonderheiten mannigfaltigster Art mit wesentlicher Einigung sich vollkommen vertrugen. Ueberall kann auf diesen Gebieten nur von Anfaengen die Rede sein, da die einheitliche Durchbildung der Monarchie Caesars in der Zukunft lag und er nichts tat, als fuer den Bau von Jahrhunderten den Grund legen. Aber von den Linien, die der grosse Mann auf diesen Gebieten gezogen hat, lassen noch manche sich erkennen; und es ist erfreulicher, hier ihm nachzugehen, als in dem Truemmerbau der Nationalitaeten. Hinsichtlich der Verfassung und Verwaltung wurden bereits in einem anderen Zusammenhang die wichtigsten Momente der neuen Einheit hervorgehoben: der Uebergang der Souveraenitaet von dem roemischen Gemeinderat auf den Alleinherrscher der Mittelmeermonarchie; die Umwandlung jenes Gemeinderats in einen hoechsten, Italien wie die Provinzen repraesentierenden Reichsrat: vor allem die begonnene Uebertragung der roemischen und ueberhaupt der italischen Gemeindeordnung auf die Provinzialgemeinden. Es fuehrte dieser letztere Weg, die Verleihung latinischen und demnach roemischen Rechts an die zum vollstaendigen Eintritt in den Einheitsstaat reifen Gemeinden, gleichmaessige kommunale Ordnungen allmaehlich von selbst herbei. Nur in einer Hinsicht konnte man hierauf nicht warten. Das neue Reich bedurfte sofort einer Institution, die der Regierung die hauptsaechlichen Grundlagen der Verwaltung, die Bevoelkerungsund Vermoegensverhaeltnisse der einzelnen Gemeinden, uebersichtlich vor Augen legte, das heisst eines verbesserten Zensus. Zunaechst ward der italische reformiert. Nach Caesars Verordnung ^33, die freilich wohl nur die infolge des Bundesgenossenkrieges wenigstens im Prinzip getroffenen Anordnungen zur Ausfuehrung brachte, sollten kuenftig, wenn in der roemischen Gemeinde die Schatzung stattfand, gleichzeitig in jeder italischen der Name eines jeden Gemeindebuergers und der seines Vaters oder Freilassers, sein Bezirk, sein Alter und sein Vermoegen von der hoechsten Behoerde der Gemeinde aufgezeichnet und diese Listen an den roemischen Schatzmeister so frueh abgeliefert werden, dass dieser das allgemeine Verzeichnis der roemischen Buerger und der roemischen Habe rechtzeitig vollenden konnte. Dass es Caesars Absicht war, aehnliche Institutionen auch in den Provinzen einzufuehren, dafuer buergt teils die von Caesar angeordnete Vermessung und Katastrierung des gesamten Reiches, teils die Einrichtung selbst; denn es war ja damit die allgemeine Formel gefunden, um so gut in den italischen wie in den nichtitalischen Gemeinden des Staats die fuer die Zentralverwaltung erforderlichen Aufnahmen zu bewirken. Offenbar war es auch hier Caesars Absicht, auf die Traditionen der aelteren republikanischen Zeit zurueckzugehen und die Reichsschatzung wiedereinzufuehren, welche die aeltere Republik, wesentlich in derselben Weise wie Caesar die italische, durch analoge Ausdehnung des Instituts der staedtischen Zensur mit seinen Fristen und sonstigen wesentlichen Normen auf die saemtlichen Untertanengemeinden Italiens und Siziliens bewirkt hatte. Es war dies eines der ersten Institute gewesen, das die erstarrende Aristokratie verfallen und damit der obersten Verwaltungsbehoerde jede Uebersicht ueber die disponiblen Mannschaften und Steuerkraefte und also jede Moeglichkeit einer wirksamen Kontrolle verloren gehen liess. Die vorhandenen Spuren und der Zusammenhang der Dinge selbst zeigen unwidersprechlich, dass Caesar die Erneuerung der seit Jahrhunderten verschollenen Reichsschatzung vorbereitete. --------------------------------------------------- ^33 Das Fortbestehen der munizipalen Schatzungsbehoerden spricht dafuer, dass die oertliche Abhaltung des Zensus bereits infolge des Bundesgenossenkriegs fuer Italien fortgesetzt worden war (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 368); wahrscheinlich aber ist die Durchfuehrung dieses Systems Caesars Werk. --------------------------------------------------- Dass in der Religion und in der Rechtspflege an eine durchgreifende Nivellierung nicht gedacht werden konnte, ist kaum noetig zu sagen; doch bedurfte der neue Staat bei aller Toleranz gegen Lokalglauben und Munizipalstatute eines gemeinsamen, der italisch-hellenischen Nationalitaet entsprechenden Kultus und einer allgemeinen, den Munizipalstatuten uebergeordneten Rechtssatzung. Er bedurfte ihrer: denn beides war tatsaechlich schon da. Auf dem religioesen Gebiet war man seit Jahrhunderten taetig gewesen, den italischen und den hellenischen Kult teils durch aeusserliche Aufnahme, teils durch innerliche Ausgleichung der Gottheitsbegriffe ineinanderzuarbeiten und bei der nachgiebigen Formlosigkeit der italischen Goetter hatte es nicht einmal grosse Schwierigkeit gemacht, den Jupiter in dem Zeus, die Venus in der Aphrodite und so jede wesentliche Idee des latinischen Glaubens in ihrem hellenischen Gegenbild aufzuheben. Die italisch-hellenische Religion stand bereits in den Grundzuegen fertig da; wie sehr man eben auf diesem Gebiete sich dessen bewusst war, ueber die spezifisch roemische hinaus und zu einer italischhellenischen Quasinationalitaet fortgeschritten zu sein, beweist zum Beispiel die in Varros schon erwaehnter Theologie aufgestellte Unterscheidung der "gemeinen", d. h. der von den Roemern wie den Griechen anerkannten Goetter, von den besonderen der roemischen Gemeinde. Im Rechtswesen hatte es auf dem Gebiete des Kriminalund Polizeirechts, wo die Regierung unmittelbar eingreift und dem rechtlichen Beduerfnis wesentlich durch eine verstaendige Legislation genuegt wird, keine Schwierigkeit, auf dem Wege der gesetzgeberischen Taetigkeit denjenigen Grad materieller Gleichfoermigkeit zu erreichen, der allerdings auch hier fuer die Reichseinheit notwendig war. Im Zivilrecht dagegen, wo die Initiative dem Verkehr, dem Gesetzgeber nur die Formulierung zusteht, war das einheitliche Reichszivilrecht, das der Gesetzgeber zu schaffen freilich nicht vermocht haette, laengst auch bereits auf naturgemaessem Wege durch den Verkehr selber entwickelt worden. Das roemische Stadtrecht zwar beruhte rechtlich immer noch auf der in den Zwoelf Tafeln enthaltenen Formulierung des latinischen Landrechts. Die spaeteren Gesetze hatten wohl im einzelnen mancherlei zeitgemaesse Verbesserungen eingefuehrt, unter denen leicht die wichtigste sein mochte die Abschaffung der alten ungeschickten Prozesseroeffnung durch stehende Spruchformeln der Parteien und ihre Ersetzung durch eine von dem prozessleitenden Beamten schriftlich abgefasste Instruktion fuer den Einzelgeschworenen (formula); allein in der Hauptsache hatte die Volkslegislation nur ueber jene altersgraue Grundlage einen den englischen Statutargesetzen vergleichbaren unuebersehlichen Wust grossenteils laengst veralteter und vergessener Spezialgesetze aufgeschichtet. Die Versuche wissenschaftlicher Formulierung und Systematisierung hatten die verschlungenen Gaenge des alten Zivilrechts allerdings zugaenglich gemacht und erhellt; allein dem Grundmangel, dass ein vor vierhundert Jahren abgefasstes staedtisches Weistum mit seinen ebenso diffusen wie konfusen Nachtraegen jetzt als das Recht eines grossen Staates dienen sollte, konnte kein roemischer Blackstone abhelfen. Gruendlicher half der Verkehr sich selbst. Laengst hatte in Rom der rege Verkehr zwischen Roemern und Nichtroemern ein internationales Privatrecht (ius gentium; 1, 167) entwickelt, das heisst einen Komplex von Satzungen namentlich ueber Verkehrsverhaeltnisse, nach welchen roemische Richter dann sprachen, wenn eine Sache weder nach ihrem eigenen noch nach irgendeinem anderen Landrecht entschieden werden konnte, sondern sie genoetigt waren, von den roemischen, hellenischen, phoenikischen und sonstigen Rechtseigentuemlichkeiten absehend, auf die allem Verkehr zu Grunde liegenden gemeinsamen Rechtsanschauungen zurueckzugehen. Hier knuepfte die neuere Rechtsbildung an. Zunaechst als Richtschnur fuer den rechtlichen Verkehr der roemischen Buerger unter sich setzte sie an die Stelle des alten, praktisch unbrauchbar gewordenen tatsaechlich ein neues Stadtrecht, das materiell beruhte auf einem Kompromiss zwischen dem nationalen Zwoelftafelrecht und dem internationalen oder dem sogenannten Rechte der Voelker. An jenem wurde wesentlich, wenn auch natuerlich mit zeitgemaessen Modifikationen, festgehalten im Ehe-, Familienund Erbfolgerecht; dagegen ward in allen Bestimmungen, die den Vermoegensverkehr betrafen, also fuer Eigentum und Kontrakte, das Internationalrecht massgebend; ja hier wurde sogar dem lokalen Provinzialrecht manche wichtige Einrichtung entlehnt, zum Beispiel die Wuchergesetzgebung und das Hypothekarinstitut. Ob auf einmal oder allmaehlich, ob durch einen oder mehrere Urheber, durch wen, wann und wie diese tiefgreifende Neuerung ins Leben trat, sind Fragen, auf die wir eine genuegende Antwort schuldig bleiben muessen; wir wissen nur, dass diese Reform, wie natuerlich, zunaechst ausging von dem Stadtgericht, dass sie zuerst sich formulierte in den jaehrlich von dem neu antretenden Stadtrichter zur Nachachtung fuer die Parteien ergehenden Belehrungen ueber die wichtigsten, in dem beginnenden Gerichtsjahr einzuhaltenden Rechtsmaximen (edictum annuum oder perpetuum praetoris urbani de iuris dictione) und dass sie, wenn auch manche vorbereitende Schritte in frueheren Zeiten getan sein moegen, sicher erst in dieser Epoche ihre Vollendung fand. Die neue Rechtssatzung war theoretisch abstrakt, insofern die roemische Rechtsanschauung darin ihrer nationalen Besonderheit insoweit sich entaeussert hatte, als sie derselben sich bewusst worden war; sie war aber zugleich praktisch positiv, indem sie keineswegs in die truebe Daemmerung allgemeiner Billigkeit oder gar in das reine Nichts des sogenannten Naturrechts verschwamm, sondern von bestimmten Behoerden fuer bestimmte konkrete Faelle nach festen Normen angewandt ward und einer gesetzlichen Formulierung nicht bloss faehig, sondern in dem Stadtedikt wesentlich schon teilhaft geworden war. Diese Satzung entsprach ferner materiell den Beduerfnissen der Zeit, insofern sie fuer Prozess, Eigentumserwerb, Kontraktabschluss die durch den gesteigerten Verkehr geforderten bequemeren Formen darbot. Sie war endlich bereits im wesentlichen im ganzen Umfang des roemischen Reiches allgemein subsidiaeres Recht geworden, indem man die mannigfaltigen Lokalstatuten fuer diejenigen Rechtsverhaeltnisse, die nicht zunaechst Verkehrsverhaeltnisse sind, sowie fuer den Lokalverkehr zwischen Gliedern desselben Rechtssprengels beibehielt, dagegen den Vermoegensverkehr zwischen Reichsangehoerigen verschiedener Rechtskreise durchgaengig nach dem Muster des, rechtlich auf diese Faelle freilich nicht anwendbaren, Stadtediktes sowohl in Italien wie in den Provinzen regulierte. Das Recht des Stadtedikts hatte also wesentlich dieselbe Stellung in jener Zeit, die in unserer staatlichen Entwicklung das roemische Recht eingenommen hat: auch dies ist, soweit solche Gegensaetze sich vereinigen lassen, zugleich abstrakt und positiv; auch dies empfahl sich durch seine, verglichen mit dem aelteren Satzungsrecht, geschmeidigen Verkehrsformen und trat neben den Lokalstatuten als allgemeines Hilfsrecht ein. Nur darin hatte die roemische Rechtsentwicklung vor der unsrigen einen wesentlichen Vorzug, dass die denationalisierte Gesetzgebung nicht, wie bei uns, vorzeitig und durch Kunstgeburt, sondern rechtzeitig und naturgemaess sich einfand. Diesen Rechtszustand fand Caesar vor. Wenn er den Plan entwarf zu einem neuen Gesetzbuch, so ist es nicht schwer zu sagen, was er damit beabsichtigt hat. Es konnte dies Gesetzbuch einzig das Recht der roemischen Buerger zusammenfassen und allgemeines Reichsgesetzbuch nur insofern sein, als ein zeitgemaesses Gesetzbuch der herrschenden Nation von selbst im ganzen Umfange des Reiches allgemeines Subsidiarrecht werden musste. Im Kriminalrecht, wenn ueberhaupt der Plan sich auf dies miterstreckte, bedurfte es nur einer Revision und Redaktion der Sullanischen Ordnungen. Im Zivilrecht war fuer einen Staat, dessen Nationalitaet eigentlich die Humanitaet war, die notwendige und einzig moegliche Formulierung jenes schon aus dem rechtlichen Verkehr freiwillig hervorgewachsene Stadtedikt in gesetzlicher Sicherung und Praezisierung. Den ersten Schritt zu dieser hatte das Cornelische Gesetz von 687 (67) getan, indem es den Richter an die zu Anfang seines Amtes aufgestellten Maximen band und ihm vorschrieb, nicht willkuerlich anderes Recht zu sprechen - eine Bestimmung, die wohl mit dem Zwoelftafelgesetz verglichen werden darf und fuer die Fixierung des neueren Stadtrechts fast ebenso bedeutsam geworden ist wie jenes fuer die Fixierung des aelteren. Aber wenn auch seit dem Cornelischen Volksschluss das Edikt nicht mehr unter dem Richter stand, sondern gesetzlich der Richter unter dem Edikt; wenn auch das neue Gesetzbuch im Gerichtsgebrauch wie im Rechtsunterricht das alte Stadtrecht tatsaechlich verdraengt hatte, so stand es doch noch jedem Stadtrichter frei, bei Antritt seines Amtes das Edikt unbeschraenkt und willkuerlich zu veraendern, und ueberwog das Zwoelftafelrecht mit seinen Zusaetzen formell immer noch das Stadtedikt, so dass in jedem einzelnen Kollisionsfall die veraltete Satzung durch arbitraeres Eingreifen der Beamten, also genau genommen durch Verletzung des formellen Rechts, beseitigt werden musste. Die subsidiaere Anwendung des Stadtedikts in dem Fremdengericht in Rom und in den verschiedenen Provinzialgerichtshoefen war nun gar gaenzlich in die Willkuer der einzelnen Oberbeamten gestellt. Offenbar war es notwendig, das alte Stadtrecht, soweit es nicht in das neuere uebergegangen war, definitiv zu beseitigen und in dem letzteren der willkuerlichen Aenderung durch jeden einzelnen Stadtrichter angemessene Grenzen zu setzen, etwa auch die subsidiaere Anwendung desselben neben den Lokalstatuten zu regulieren. Dies war Caesars Absicht, als er den Plan zu einem Gesetzbuch entwarf; denn dies musste sie sein. Der Plan ward nicht ausgefuehrt und damit jener laestige Uebergangszustand in dem roemischen Rechtswesen verewigt, bis nach sechshundert Jahren, und auch dann nur unvollkommen, diese notwendige Reform von einem der Nachfolger Caesars, dem Kaiser Justinianus, vollzogen ward. Endlich in Muenze, Mass und Gewicht war die wesentliche Ausgleichung des latinischen und des hellenischen Systems laengst im Zuge. Sie war uralt in den fuer Handel und Verkehr unentbehrlichen Bestimmungen des Gewichts, der Koerperund Laengenmasse und in dem Muenzwesen wenig juenger als die Einfuehrung der Silberpraegung. Indes reichten diese aelteren Gleichungen nicht aus, da in der hellenischen Welt selbst die verschiedenartigsten metrischen und Muenzsysteme nebeneinander bestanden; es war notwendig und lag auch ohne Zweifel in Caesars Plan, in dem neuen einheitlichen Reich, soweit es nicht bereits frueher schon geschehen war, roemische Muenze, roemisches Mass und roemisches Gewicht jetzt ueberall in der Art einzufuehren, dass im offiziellen Verkehr allein danach gerechnet, und die nichtroemischen Systeme teils auf lokale Geltung beschraenkt, teils zu den roemischen in ein ein fuer allemal reguliertes Verhaeltnis gesetzt wurden ^34. Nachweisen indes laesst Caesars Taetigkeit sich nur auf zweien der wichtigsten dieser Gebiete, in dem Geldund im Kalenderwesen. ------------------------------------------------ ^34 Kuerzlich zum Vorschein gekommene pompeianische Gewichte legen die Annahme nahe, dass im Anfang der Kaiserzeit neben dem roemischen Pfund die attische Mine (vermutlich im Verhaeltnis von 3 : 4) als zweites Reichsgewicht Geltung gehabt hat (Heymes 16, 1880, S. 311). ------------------------------------------------ Das roemische Geldwesen beruhte auf den beiden neben und in einem festen Verhaeltnis zueinander umlaufenden edlen Metallen, von denen das Gold nach dem Gewicht ^35, das Silber nach dem Gepraege gegeben und genommen ward, tatsaechlich aber infolge des ausgedehnten ueberseeischen Verkehrs das Gold bei weitem das Silber ueberwog. Ob nicht schon frueher im ganzen Umfange des Reiches die Annahme des roemischen Silbergeldes obligatorisch war, ist ungewiss; auf jeden Fall vertrat die Stelle des Reichsgeldes im ganzen roemischen Gebiet wesentlich das ungemuenzte Gold, um so mehr als die Roemer in allen Provinzen und Klientelstaaten die Goldpraegung untersagt hatten, und hatte der Denar ausser in Italien auch im Cisalpinischen Gallien, in Sizilien, in Spanien und sonst vielfach, namentlich im Westen, gesetzlich oder faktisch sich eingebuergert. Mit Caesar aber beginnt die Reichsmuenze. Ebenwie Alexander bezeichnete auch er die Gruendung der neuen, die zivilisierte Welt umfassenden Monarchie dadurch, dass das einzig weltenvermittelnde Metall auch in der Muenze den ersten Platz erhielt. In wie grossartigem Umfang sogleich das neue Caesarische Goldstueck (zu 7 Taler, 18 Groschen nach heutigem Metallwert) gepraegt ward, beweist die Tatsache, dass in einem einzelnen, sieben Jahre nach Caesars Tode vergrabenen Schatz sich 80000 dieser Stuecke beisammen gefunden haben. Freilich moegen hier nebenbei auch finanzielle Spekulationen von Einfluss gewesen sein ^36. Was das Silbergeld anlangt, so ward durch Caesar die Alleinherrschaft des roemischen Denars im gesamten Westen, zu der der Grund schon frueher gelegt worden war, schliesslich festgestellt, indem er die einzige okzidentalische Muenzstaette, die im Silbercourant noch mit der roemischen konkurrierte, die massaliotische, definitiv schloss. Die Praegung von silberner oder kupferner Scheidemuenze blieb einer Anzahl okzidentalischer Gemeinden erlaubt, wie denn Dreivierteldenare von einigen latinischen Gemeinden des suedlichen Galliens, halbe Denare von mehreren nordgallischen Gauen, kupferne Kleinmuenzen vielfach auch noch nach Caesar von Kommunen des Westens geschlagen worden sind; allein auch diese Scheidemuenze war durchgaengig auf roemischen Fuss gepraegt und ihre Annahme ueberdies wahrscheinlich nur im Lokalverkehr obligatorisch. An eine einheitliche Regulierung des Muenzwesens im Osten, wo grosse Massen groben, grossenteils zu leicht ausgebrachten oder vernutzten Silbergeldes, zum Teil sogar, wie in Aegypten, eine unserem Papiergeld verwandte Kupfermuenze umlief, auch die syrischen Handelsstaedte den Mangel ihrer bisherigen, dem mesopotamischen Courant entsprechenden Landesmuenze sehr schwer empfunden haben wuerden, scheint Caesar so wenig gedacht zu haben wie die fruehere Regierung. Wir finden hier spaeter die Einrichtung, dass der Denar ueberall gesetzlichen Kurs hat und offiziell nur nach ihm gerechnet wird ^37, die Lokalmuenzen aber innerhalb ihres beschraenkten Rayons zwar auch Legalkurs, aber nach einem fuer sie unguenstigen Tarif gegen den Denar haben ^38; dieselbe ist wahrscheinlich nicht auf einmal und zum Teil auch wohl schon von Caesar eingefuehrt worden, auf jeden Fall aber die wesentliche Ergaenzung der Caesarischen Reichsmuenzordnung, deren neues Goldstueck in dem ungefaehr gleich schweren Alexanders sein unmittelbares Muster fand und wohl ganz besonders auf die Zirkulation im Orient berechnet war. ------------------------------------------------------ ^35 Die Goldstuecke, die Sulla und gleichzeitig Pompeius, beide in geringer Zahl, schlagen liessen, heben diesen Satz nicht auf: denn sie wurden wahrscheinlich lediglich nach dem Gewicht genommen aehnlich wie die goldenen Philippeer, die auch bis nach Caesars Zeit im Umlauf gewesen sind. Merkwuerdig sind sie allerdings, insofern sie das Caesarische Reichsgold aehnlich einleiten wie Sullas Regentschaft die neue Monarchie. ^36 Es scheint naemlich, dass man in aelterer Zeit die auf Silber lautenden Forderungen der Staatsglaeubiger nicht wider deren Willen in Gold, nach dem legalen Kurs desselben zum Silber, bezahlen konnte; wogegen es keinen Zweifel leidet, dass seit Caesar das Goldstueck unweigerlich fuer 100 Silbersesterzen angenommen werden musste. Es war dies ebendamals um so wichtiger, als infolge der durch Caesar in Umlauf gebrachten grossen Quantitaeten Goldes dasselbe eine Zeitlang im Handelskurs 25 Prozent unter dem Legalkurs stand. ^37 Es gibt wohl keine Inschrift der Kaiserzeit, die Geldsummen anders als in roemischer Muenze angaebe. ^38 So gilt die attische Drachme, obwohl merklich schwerer als der Denar, doch diesem gleich; das antiochische Tetradrachmon, durchschnittlich 15 Gramm Silber schwer, gleich 3 roemischen Denaren, die nur gegen 12 Gramm wiegen; so der kleinasiatische Cistophorus nach Silberwert ueber 3, nach dem Legaltarif 2 Denare; so die rhodische halbe Drachme nach Silberwert _, nach dem Legaltarif 5/8 Denare und so weiter. ------------------------------------------------------ Verwandter Art war die Kalenderreform. Der republikanische Kalender, unglaublicherweise immer noch der alte, aus der vormetonischen Oktaeteris verunstaltete Dezemviralkalender, war durch die Verbindung elendester Mathematik und elendester Administration dahin gelangt, um volle 67 Tage der wahren Zeit voranzugehen und zum Beispiel das Bluetenfest statt am 28. April am 11. Juli zu feiern. Caesar beseitigte endlich diesen Missstand und fuehrte mit Hilfe des griechischen Mathematikers Sosigenes das nach dem aegyptischen Eudoxischen Kalender geordnete italische Bauernjahr sowie ein verstaendiges Einschaltungssystem in den religioesen und offiziellen Gebrauch ein, indem zugleich das alte Kalenderneujahr des 1. Maerz abgeschafft, dagegen der zunaechst fuer den Amtswechsel der hoechsten Magistrate festgestellte und infolgedessen laengst im buergerlichen Leben ueberwiegende Termin des 1. Januar auch als Kalenderepoche fuer den Jahreswechsel angenommen ward. Beide Aenderungen traten mit dem 1. Januar 709 der Stadt, 45 vor Chr., ins Leben und mit ihnen der Gebrauch des von seinem Urheber benannten Julianischen Kalenders, der lange nach dem Untergang der Monarchie Caesars in der gebildeten Welt massgebend geblieben und in der Hauptsache es noch ist. Zur Erlaeuterung ward in einem ausfuehrlichen Edikt ein den aegyptischen Himmelsbeobachtungen entnommener und, freilich nicht geschickt, auf Italien uebertragener Sternkalender hinzugefuegt, welcher den Aufund Untergang der namhaften Gestirne nach Kalendertagen bestimmte ^39. Auch auf diesem Gebiet also setzten die roemische und die griechische Welt sich ins gleiche. ---------------------------------------------------------- ^39 Die Identitaet dieses vielleicht von Marcus Flavius redigierten Edikts (Macr. Sat. I, 14, 2) und der angeblichen Schrift Caesars von den Gestirnen beweist der Scherz Ciceros (Plut. Caes. 59), dass jetzt die Leier nach Verordnung aufgehe. Uebrigens wusste man schon vor Caesar, dass das Sonnenjahr von 365 Tagen sechs Stunden, das dem aegyptischen Kalender zugrunde lag und das er seinem Kalender zugrunde legte, etwas zu lang angesetzt sei. Die genaueste Berechnung des tropischen Jahres, die die alte Welt kannte, die des Hipparchos, setzte dasselbe auf 365 Tage 5 Stunden 52’ 12"; die wahre Laenge ist 365 Tage 5 Stunden 48’ 48". ---------------------------------------------------------- Dies waren die Grundlagen der Mittelmeermonarchie Caesars. Zum zweitenmal war in Rom die soziale Frage zu einer Krise gelangt, wo die Gegensaetze, so wie sie aufgestellt waren, unaufloeslich, so wie sie ausgesprochen waren, unversoehnlich nicht bloss schienen, sondern waren. Damals war Rom dadurch gerettet worden, dass Italien in Rom und Rom in Italien aufging und in der neuen erweiterten und verwandelten Heimat jene alten Gegensaetze nicht ausgeglichen wurden, sondern wegfielen. Wieder ward jetzt Rom dadurch gerettet, dass die Landschaften des Mittelmeeres in ihm aufgingen oder zum Aufgehen vorbereitet wurden; der Krieg der italischen Armen und Reichen, der in dem alten Italien nur mit der Vernichtung der Nation endigen konnte, hatte in dem Italien dreier Weltteile kein Schlachtfeld und keinen Sinn mehr. Die latinischen Kolonien schlossen die Kluft, die im fuenften Jahrhundert die roemische Gemeinde zu verschlingen drohte; den tieferen Riss des siebenten Jahrhunderts fuellten Gaius Gracchus’ und Caesars transalpinische und ueberseeische Kolonisationen. Fuer das einzige Rom hat die Geschichte nicht bloss Wunder getan, sondern auch seine Wunder wiederholt und zweimal die im Staate selbst unheilbare innere Krise dadurch geheilt, dass sie den Staat verjuengte. Wohl ist viel Verwesung in dieser Verjuengung; wie die Einigung Italiens auf den Truemmern der samnitischen und etruskischen Nation sich vollzog, so erbaute auch die Mittelmeermonarchie sich auf den Ruinen unzaehliger, einst lebendiger und tuechtiger Staaten und Staemme; aber es ist eine Verwesung, der frische und zum Teil noch heute gruenende Saaten entkeimten. Was zugrunde ging um des neuen Gebaeudes willen, waren nur die laengst schon von der nivellierenden Zivilisation zum Untergang bezeichneten sekundaeren Nationalitaeten. Caesar hat, wo er zerstoerend auftrat, nur den ausgefaellten Spruch der geschichtlichen Entwicklung vollzogen, die Keime der Kultur aber geschuetzt, wo und wie er sie fand, in seinem eigenen Lande so gut wie bei der verschwisterten Nation der Hellenen. Er hat das Roemertum gerettet und erneuert, aber auch das Griechentum hat er nicht bloss geschont, sondern mit derselben sicheren Genialitaet, womit er die Neugruendung Roms vollbrachte, auch der Regeneration der Hellenen sich unterzogen und das unterbrochene Werk des grossen Alexander wiederaufgenommen, dessen Bild, wohl mag man es glauben, niemals aus Caesars Seele wich. Er hat diese beiden grossen Aufgaben nicht bloss nebeneinander, sondern eine durch die andere geloest. Die beiden grossen Wesenheiten des Menschentums, die allgemeine und die individuelle Entwicklung oder Staat und Kultur, einst im Keime vereinigt in jenen alten, fern von den Kuesten und Inseln des Mittelmeers in urvaeterlicher Einfachheit ihre Herden weidenden Graecoitalikern, hatten sich geschieden, als dieselben sich sonderten in Italiker und Hellenen, und waren seitdem durch Jahrtausende geschieden geblieben. Jetzt erschuf der Enkel des troischen Fuersten und der latinischen Koenigstochter aus einem Staat ohne eigene Kultur und einer kosmopolitischen Zivilisation ein neues Ganzes, in welchem auf dem Gipfel menschlichen Daseins, in der reichen Fuelle des glueckseligen Alters Staat und Kultur wiederum sich zusammenfanden und den einem solchen Inhalt angemessenen Umkreis wuerdig erfuellten. Die Linien sind dargelegt, welche Caesar fuer dieses Werk gezogen hat, nach denen er selbst arbeitete und nach denen die Spaeteren, viele Jahrhunderte hindurch gebannt in die von diesem Manne vorgezeichneten Bahnen, wo nicht mit dem Geiste und der Energie, doch im ganzen nach den Intentionen des grossen Meisters weiter zu arbeiten versuchten. Vollendet ist wenig, gar manches nur angelegt. Ob der Plan vollstaendig ist, mag entscheiden, wer mit einem solchen Mann in die Wette zu denken wagt; wir bemerken keine wesentlichen Luecken in dem, was vorliegt, jeder einzelne Baustein genug, um einen Mann unsterblich zu machen, und doch wieder alle zusammen ein harmonisches Ganzes. Fuenf und ein halbes Jahr, nicht halb so lange wie Alexander, schaltete Caesar als Koenig von Rom; zwischen sieben grossen Feldzuegen, die ihm nicht mehr als zusammen fuenfzehn Monate ^40 in der Hauptstadt seines Reiches zu verweilen erlaubten, ordnete er die Geschicke der Welt fuer die Gegenwart und die Zukunft; von der Feststellung der Grenzlinie zwischen Zivilisation und Barbarei an bis hinab zu der Beseitigung der Regenpfuetzen auf den Gassen der Hauptstadt, und behielt dabei noch Zeit und Heiterkeit genug, um den Preisstuecken im Theater aufmerksam zu folgen und dem Sieger den Kranz mit improvisierten Versen zu erteilen. Die Schnelligkeit und Sicherheit der Ausfuehrung des Planes beweist, dass er lange durchdacht und in allen Teilen im einzelnen festgestellt war; allein auch so bleibt sie nicht viel weniger wunderbar als der Plan selbst. Die Grundzuege waren gegeben und damit der neue Staat fuer alle Zukunft bestimmt; vollenden konnte den Bau nur die grenzenlose Zukunft. Insofern durfte Caesar sich sagen, dass sein Ziel erreicht sei, und das wohl mochten die Worte bedeuten, die man zuweilen aus seinem Munde vernahm, dass er genug gelebt habe. Aber eben weil der Bau ein unendlicher war, fuegte der Meister, solange er lebte, rastlos Stein auf Stein, mit immer gleicher Geschmeidigkeit und immer gleicher Spannkraft taetig an seinem Werk, ohne je zu ueberstuerzen oder zu verschieben, eben als gebe es fuer ihn nur ein Heute und kein Morgen. So wirkte und schaffte er wie nie ein Sterblicher vor und nach ihm, und als ein Wirkender und Schaffender lebt er noch nach Jahrtausenden im Gedaechtnis der Nationen, der erste und doch auch der einzige Imperator Caesar. ------------------------------------------------------- ^40 Caesar verweilte in Rom im April und Dezember 705 (49), beide Male auf wenige Tage; vom September bis Dezember 707 (47); etwa vier Herbstmonate des fuenfzehnmonatlichen Jahres 708 (46) und vom Oktober 709 (45) bis zum Maerz 710 (44). ------------------------------------------------------- 12. Kapitel Religion, Bildung, Literatur und Kunst In der religioes-philosophischen Entwicklung tritt in dieser Epoche kein neues Moment hervor. Die roemisch-hellenische Staatsreligion und die damit untrennbar verbundene stoische Staatsphilosophie waren fuer jede Regierung, Oligarchie, Demokratie oder Monarchie, nicht bloss ein bequemes Instrument, sondern deshalb geradezu unentbehrlich, weil es ebenso unmoeglich war, den Staat ganz ohne religioese Elemente zu konstruieren als irgendeine neue zur Ersetzung der alten geeignete Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revolutionaere Besen gelegentlich sehr unsanft in die Spinnweben der auguralen Vogelweisheit hinein; aber die morsche, in allen Fugen krachende Maschine ueberdauerte dennoch das Erdbeben, das die Republik selber verschlang, und rettete ihre Geistlosigkeit und ihre Hoffart ungeschmaelert hinueber in die neue Monarchie. Es versteht sich, dass sie zunahm an Ungnade bei allen denen, die ein freies Urteil sich bewahrten. Zwar gegen die Staatsreligion verhielt die oeffentliche Meinung sich wesentlich gleichgueltig; sie war allerseits als eine Institution politischer Konvenienz anerkannt und es bekuemmerte sich niemand sonderlich um sie, mit Ausnahme der politischen und antiquarischen Gelehrten. Aber gegen ihre philosophische Schwester entwickelte sich in dem unbefangenen Publikum jene Feindseligkeit, die die leere und doch auch perfide Phrasenheuchelei auf die Laenge nie verfehlt zu erwecken. Dass der Stoa selbst von ihrer eigenen Nichtigkeit eine Ahnung aufzugehen begann, beweist ihr Versuch, auf dem Wege des Synkretismus sich wieder einigen Geist kuenstlich einzufloessen: Antiochos von Askalon (blueht 675 79), der mit dem stoischen System das platonisch-aristotelische zu einer organischen Einheit zusammengeklittert zu haben behauptete, brachte es in der Tat dahin, dass seine missgeschaffene Doktrin die Modephilosophie der Konservativen seiner Zeit und von den vornehmen Dilettanten und Literaten Roms gewissenhaft studiert ward. Wer irgend in geistiger Frische sich regte, opponierte der Stoa oder ignorierte sie. Es war hauptsaechlich der Widerwille gegen die grossmauligen und langweiligen roemischen Pharisaeer, daneben freilich auch der zunehmende Hang, sich aus dem praktischen Leben in schlaffe Apathie oder nichtige Ironie zu fluechten, dem waehrend dieser Epoche das System Epikurs seine Ausbreitung in weiteren Kreisen und die Diogenische Hundephilosophie ihre Einbuergerung in Rom verdankte. Wie matt und gedankenarm auch jenes sein mochte, eine Philosophie, die nicht in der Veraenderung der hergebrachten Bezeichnungen den Weg zur Freiheit suchte, sondern mit den vorhandenen sich begnuegte und durchaus nur die sinnliche Wahrnehmung als wahr gelten liess, war immer noch besser als das terminologische Geklapper und die hohlen Begriffe der stoischen Weisheit; und die Hundephilosophie gar war von allen damaligen philosophischen Systemen insofern bei weitem das vorzueglichste, als ihr System sich darauf beschraenkte, gar kein System zu haben, sondern alle Systeme und alle Systematiker zu verhoehnen. Auf beiden Gebieten wurde gegen die Stoa mit Eifer und Glueck Krieg gefuehrt; fuer ernste Maenner predigte der Epikureer Lucretius mit dem vollen Akzent der innigen Ueberzeugung und des heiligen Eifers gegen den stoischen Goetterund Vorsehungsglauben und die stoische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele; fuer das grosse lachbereite Publikum traf der Kyniker Varro mit den fluechtigen Pfeilen seiner vielgelesenen Satiren noch schaerfer zum Ziel. Wenn also die tuechtigsten Maenner der aelteren Generation die Stoa befehdeten, so stand dagegen die juengere, wie zum Beispiel Catullus, zu ihr in gar keinem innerlichen Verhaeltnis mehr und kritisierte sie noch bei weitem schaerfer durch vollstaendiges Ignorieren. Indes wenn hier ein glaubenloser Glaube aus politischer Konvenienz aufrecht erhalten ward, so brachte man dies anderswo reichlich wieder ein. Unglaube und Aberglaube, verschiedene Farbenbrechungen desselben geschichtlichen Phaenomens, gingen auch in der damaligen roemischen Welt Hand in Hand und es fehlte nicht an Individuen, welche sie beide in sich vereinigten, mit Epikuros die Goetter leugneten und doch vor jeder Kapelle beteten und opferten. Natuerlich galten nur noch die aus dem Orient gekommenen Goetter, und wie die Menschen fortfuhren, aus den griechischen Landschaften nach Italien zu stroemen, so wanderten auch die Goetter des Ostens in immer steigender Zahl nach dem Westen hinueber. Was der phrygische Kult damals in Rom bedeutete, beweist sowohl die Polemik bei den aelteren Maennern, wie bei Varro und Lucretius, als auch die poetische Verherrlichung desselben bei dem modernen Catullus, die mit der charakteristischen Bitte schliesst, dass die Goettin geneigen moege, nur andere, nicht den Dichter selbst verrueckt zu machen. Neu trat hinzu der persische Goetterdienst, der zuerst durch Vermittlung der von Osten und von Westen her auf dem Mittelmeere sich begegnenden Piraten zu den Okzidentalen gelangt sein soll und als dessen aelteste Kultstaette im Westen der Berg Olympos in Lykien bezeichnet wird. Dafuer, dass man bei der Aufnahme der orientalischen Kulte im Okzident das, was sie von hoeheren spekulativen und sittlichen Elementen enthielten, durchgaengig fallen liess, ist es ein merkwuerdiger Beleg, dass der hoechste Gott der reinen Lehre Zarathustras, Ahuramazda, im Westen so gut wie unbekannt blieb und hier die Verehrung sich vorzugsweise wieder demjenigen Gott zuwandte, der in der alten persischen Volksreligion den ersten Platz eingenommen hatte und durch Zarathustra an den zweiten gerueckt worden war, dem Sonnengott Mithra. Rascher noch als die lichteren und milderen persischen Himmelsgestalten traf der langweilig geheimnisvolle Schwarm der aegyptischen Goetterkarikaturen in Rom ein, die Naturmutter Isis mit ihrem ganzen Gefolge, dem ewig sterbenden und ewig wiederauflebenden Osiris, dem finsteren Sarapis, dem schweigsam ernsten Harpokrates, dem hundskoepfigen Anubis. In dem Jahre, wo Clodius die Klubs und Konventikel freigab (696 58), und ohne Zweifel eben infolge dieser Emanzipation des Poebels, machte jener Schwarm sogar Anstalt, in die alte Burg des roemischen Jupiter auf dem Kapitol seinen Einzug zu halten, und kaum gelang es, von hier ihn noch abzuwehren und die unvermeidlichen Tempel wenigstens in die Vorstaedte Roms zu bannen. Kein Kult war in den unteren Schichten der hauptstaedtischen Bevoelkerung gleich populaer: als der Senat die innerhalb der Ringmauer angelegten Isistempel einzureissen befahl, wagte kein Arbeiter, die erste Hand daran zu legen, und der Konsul Lucius Paullus musste selber den ersten Axtschlag tun (704 50); man konnte darauf wetten, dass je lockerer ein Dirnchen war, es desto frommer die Isis verehrte. Dass Loswerfen, Traumdeuten und dergleichen freie Kuenste ihren Mann ernaehrten, versteht sich von selbst. Das Horoskopstellen ward schon wissenschaftlich betrieben: Lucius Tarutius aus Firmum, ein angesehener und in seiner Art gelehrter, mit Varro und Cicero befreundeter Mann, stellte ganz ernsthaft den Koenigen Romulus und Numa und der Stadt Rom selbst die Nativitaet und erhaertete zur Erbauung der beiderseitigen Glaeubigen mittels seiner chaldaeischen und aegyptischen Weisheit die Berichte der roemischen Chronik. Aber bei weitem die merkwuerdigste Erscheinung auf diesem Gebiet ist der erste Versuch, das rohe Glauben mit dem spekulativen Denken zu verquicken, das erste Hervortreten derjenigen Tendenzen, die wir als neuplatonische zu bezeichnen gewohnt sind, in der roemischen Welt. Ihr aeltester Apostel daselbst war Publius Nigidius Figulus, ein vornehmer Roemer von der strengsten Fraktion der Aristokratie, der 696 (58) die Praetur bekleidete und im Jahre 709 (45) als politischer Verbannter ausserhalb Italiens starb. Mit staunenswerter Vielgelehrtheit und noch staunenswerterer Glaubensstaerke schuf er aus den disparatesten Elementen einen philosophisch-religioesen Bau, dessen wunderlichen Grundriss er mehr wohl noch in muendlichen Verkuendigungen entwickelte als in seinen theologischen und naturwissenschaftlichen Schriften. In der Philosophie griff er, Erloesung suchend von den Totengerippen der umgehenden Systeme und Abstraktionen, zurueck auf den verschuetteten Born der vorsokratischen Philosophie, deren alten Weisen der Gedanke selber noch mit sinnlicher Lebendigkeit erschienen war. Die naturwissenschaftliche Forschung, die, zweckmaessig behandelt, dem mystischen Schwindel und der frommen Taschenspielerei auch jetzt noch so vortreffliche Handhaben darbietet und im Altertum, bei der mangelhafteren Einsicht in die physikalischen Gesetze, sie noch bequemer darbot, spielte begreiflicherweise auch hier eine ansehnliche Rolle. Seine Theologie beruhte wesentlich auf dem wunderlichen Gebraeu, in dem den geistesverwandten Griechen orphische und andere uralte oder sehr neue einheimische Weisheit mit persischen, chaldaeischen und aegyptischen Geheimlehren zusammengeflossen war und in welches Figulus noch die Quasiresultate der tuskischen Forschung in das Nichts und die einheimische Vogelfluglehre zu weiterer harmonischer Konfusion einarbeitete. Dem ganzen System gab die politisch-religioes-nationale Weihe der Name des Pythagoras, des ultrakonservativen Staatsmannes, dessen oberster Grundsatz war, "die Ordnung zu foerdern und der Unordnung zu wehren", des Wundermannes und Geisterbeschwoerers, des in Italien heimischen, selbst in Roms Sagengeschichte verflochtenen und auf dem roemischen Markte im Standbilde zu schauenden uralten Weisen. Wie Geburt und Tod miteinander verwandt sind, so, schien es, sollte Pythagoras nicht bloss an der Wiege der Republik stehen als des weisen Numa Freund und der klugen Mutter Egeria Kollege, sondern auch als der letzte Hort der heiligen Vo
gelweisheit an ihrem Grabe. Das neue System war aber nicht bloss wunderhaft, es wirkte auch Wunder: Nigidius verkuendigte dem Vater des nachmaligen Kaisers Augustus an dem Tage selbst, wo dieser geboren ward, die kuenftige Groesse des Sohnes; ja die Propheten bannten den Glaeubigen Geister und, was mehr sagen will, sie wiesen ihnen die Plaetze nach, wo ihre verlorenen Muenzen lagen. Die neu-alte Weisheit, wie sie nun eben war, machte doch auf die Zeitgenossen einen tiefen Eindruck; die vornehmsten, gelehrtesten, tuechtigsten Maenner der verschiedensten Parteien, der Konsul des Jahres 705 (49), Appius Claudius, der gelehrte Marcus Varro, der tapfere Offizier Publius Vatinius, machten das Geisterzitieren mit, und es scheint sogar, dass gegen das Treiben dieser Gesellschaften polizeilich eingeschritten werden musste. Diese letzten Versuche, die roemische Theologie zu retten, machen, aehnlich wie Catos verwandte Bestrebungen auf dem politischen Gebiet, zugleich einen komischen und einen wehmuetigen Eindruck; man darf ueber das Evangelium wie ueber die Apostel laecheln, aber immer ist es eine ernsthafte Sache, wenn auch die tuechtigen Maenner anfangen, sich dem Absurden zu ergeben. Die Jugendbildung bewegte sich, wie sich von selbst versteht, in dem in der vorigen Epoche vorgezeichneten Kreise zwiesprachiger Humanitaet, und mehr und mehr ging die allgemeine Bildung auch der roemischen Welt ein auf die von den Griechen dafuer festgestellten Formeln. Selbst die koerperlichen Uebungen schritten von dem Ballspiel, dem Laufen und Fechten fort zu den kunstmaessiger entwickelten griechischen Turnkaempfen; wenn es auch fuer diese noch keine oeffentlichen Anstalten gab, pflegte doch in den vornehmen Landhaeusern schon neben den Badezimmern die Palaestra nicht zu fehlen. In welcher Art der Kreis der allgemeinen Bildung sich in der roemischen Welt im Laufe eines Jahrhunderts umgewandelt hatte, zeigt die Vergleichung der Catonischen ’Encyklopaedie’ mit der gleichartigen Schrift Varros ’Von den Schulwissenschaften’. Als Bestandteile der nichtfachwissenschaftlichen Bildung erscheinen bei Cato die Redekunst, die Ackerbau-, Rechts-, Kriegsund Arzneikunde, bei Varro - nach wahrscheinlicher Vermutung - Grammatik, Logik oder Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik, Medizin und Architektur. Es sind also im Verlaufe des siebenten Jahrhunderts Kriegs-, Rechtsund Ackerbaukunde aus allgemeinen zu Fachwissenschaften geworden. Dagegen tritt bei Varro die hellenische Jugendbildung bereits in ihrer ganzen Vollstaendigkeit auf: neben dem grammatisch-rhetorisch-philosophischen Kursus, der schon frueher in Italien eingefuehrt war, findet jetzt auch der laenger spezifisch hellenisch gebliebene geometrisch-arithmetisch-astronomisch-musikalische ^1 sich ein. Dass namentlich die Astronomie, die in der Nomenklatur der Gestirne dem gedankenlosen gelehrten Dilettantismus der Zeit, in ihren Beziehungen zur Astrologie dem herrschenden religioesen Schwindel entgegenkam, in Italien von der Jugend regelmaessig und eifrig studiert ward, laesst sich auch anderweitig belegen: Aratos’ astronomische Lehrgedichte fanden unter allen Werken der alexandrinischen Literatur am fruehesten Eingang in den roemischen Jugendunterricht. Zu diesem hellenischen Kursus trat dann noch die aus dem aelteren roemischen Jugendunterricht stehengebliebene Medizin und endlich die dem damaligen statt des Ackers Haeuser und Villen bauenden vornehmen Roemer unentbehrliche Architektur. --------------------------------------------- ^1 Es sind dies, wie bekannt, die sogenannten sieben freien Kuenste, die mit dieser Unterscheidung der frueher in Italien eingebuergerten drei und der nachtraeglich rezipierten vier Disziplinen sich durch das ganze Mittelalter behauptet haben. --------------------------------------------- Im Vergleich mit der vorigen Epoche nimmt die griechische wie die lateinische Bildung an Umfang und an Schulstrenge ebenso zu wie ab an Reinheit und an Feinheit. Der steigende Drang nach griechischem Wissen gab dem Unterricht von selbst einen gelehrten Charakter. Horneros oder Euripides zu exponieren war am Ende keine Kunst; Lehrer und Schueler fanden besser ihre Rechnung bei den alexandrinischen Poesien, welche ueberdies auch ihrem Geiste nach der damaligen roemischen Welt weit naeher standen als die echte griechische Nationalpoesie und die, wenn sie nicht ganz so ehrwuerdig wie die Ilias waren, doch bereits ein hinreichend achtbares Alter besassen, um Schulmeistern als Klassiker zu gelten. Euphorions Liebesgedichte, Kalkmachos’ ’Ursachen’ und seine ’Ibis’, Lykophrons komisch dunkle ’Alexandra’ enthielten in reicher Fuelle seltene Vokabeln (glossae), die zum Exzerpieren und Interpretieren sich eigneten, muehsam verschlungene und muehsam aufzuloesende Saetze, weitlaeufige Exkurse voll Zusammengeheimnissung verlegener Mythen, ueberhaupt Vorrat zu beschwerlicher Gelehrsamkeit aller Art. Der Unterricht bedurfte immer schwierigerer Uebungsstuecke; jene Produkte, grossenteils Musterarbeiten von Schulmeistern, eigneten sich vortrefflich zu Lehrstuecken fuer Musterschueler. So nahmen die alexandrinischen Poesien in dem italischen Schulunterricht, namentlich als Probeaufgaben, bleibenden Platz und foerderten allerdings das Wissen, aber auf Kosten des Geschmacks und der Gescheitheit. Derselbe ungesunde Bildungshunger draengte ferner die roemische Jugend, den Hellenismus so viel wie moeglich an der Quelle zu schoepfen. Die Kurse bei den griechischen Meistern in Rom genuegten nur noch fuer den ersten Anlauf; wer irgend wollte mitsprechen koennen, hoerte griechische Philosophie in Athen, griechische Rhetorik in Rhodos und machte eine literarische und Kunstreise durch Kleinasien, wo noch am meisten von den alten Kunstschaetzen der Hellenen an Ort und Stelle anzutreffen war und, wenn auch handwerksmaessig, die musische Bildung derselben sich fortgepflanzt hatte; wogegen das fernere und mehr als Sitz der strengen Wissenschaften gefeierte Alexandreia weit seltener das Reiseziel der bildungslustigen jungen Leute war. Aehnlich wie der griechische steigert sich auch der lateinische Unterricht. Zum Teil geschah dies schon durch die blosse Rueckwirkung des griechischen, dem er ja seine Methode und seine Anregungen wesentlich entlehnte. Ferner trugen die politischen Verhaeltnisse, der durch das demokratische Treiben in immer weitere Kreise getragene Zudrang zu der Rednerbuehne auf dem Markte, zur Verbreitung und Steigerung der Redeuebungen nicht wenig bei; "wo man hinblickt", sagt Cicero, "ist alles von Rhetoren voll". Es kam hinzu, dass die Schriften des sechsten Jahrhunderts, je weiter sie in die Vergangenheit zuruecktraten, desto entschiedener als klassische Texte der goldenen Zeit der lateinischen Literatur zu gelten anfingen und damit dem wesentlich auf sie sich konzentrierenden Unterricht ein groesseres Schwergewicht gaben. Endlich gab die von vielen Seiten her einreissende und einwandernde Barbarei und die beginnende Latinisierung ausgedehnter keltischer und spanischer Landschaften der lateinischen Sprachlehre und dem lateinischen Unterricht von selbst eine hoehere Bedeutung, als er sie hatte haben koennen, solange nur Latium lateinisch sprach: der Lehrer der lateinischen Literatur hatte in Comum und Narbo von Haus aus eine andere Stellung als in Praeneste und Ardea. Im ganzen genommen war die Bildung mehr im Sinken als im Steigen. Der Ruin der italischen Landstaedte, das massenhafte Eindringen fremder Elemente, die politische, oekonomische und sittliche Verwilderung der Nation, vor allem die zerruettenden Buergerkriege verdarben auch in der Sprache mehr, als alle Schulmeister der Welt wieder gutmachen konnten. Die engere Beruehrung mit der hellenischen Bildung der Gegenwart, der bestimmtere Einfluss der geschwaetzigeren athenischen Weisheit und der rhodischen und kleinasiatischen Rhetorik fuehrten vorwiegend eben die schaedlichsten Elemente des Hellenismus der roemischen Jugend zu. Die propagandistische Mission, die Latium unter den Kelten, Iberern und Libyern uebernahm, wie stolz die Aufgabe auch war, musste doch fuer die lateinische Sprache aehnliche Folgen haben, wie die Hellenisierung des Ostens sie fuer die hellenische gehabt hatte. Wenn das roemische Publikum dieser Zeit die wohlgefuegte und rhythmisch kadenzierte Periode des Redners beklatschte und dem Schauspieler ein sprachlicher oder metrischer Verstoss teuer zu stehen kam, so zeigt dies wohl, dass die schulmaessig reflektierte Einsicht in die Muttersprache in immer weiteren Kreisen Gemeingut ward: aber daneben klagen urteilsfaehige Zeitgenossen, dass die hellenische Bildung in Italien um 690 (64) weit tiefer gestanden als ein Menschenalter zuvor; dass man das reine gute Latein nur selten mehr, am ersten noch aus dem Munde aelterer gebildeter Frauen zu hoeren bekomme; dass die Ueberlieferung echter Bildung, der alte, gute lateinische Mutterwitz, die Lucilische Feinheit, der gebildete Leserkreis der scipionischen Zeit allmaehlich ausgingen. Dass Wort und Begriff der "Urbanitaet", das heisst der feinen nationalen Gesittung, in dieser Zeit aufkamen, beweist nicht, dass sie herrschte, sondern dass sie im Verschwinden war und dass man in der Sprache und dem Wesen der latinisierten Barbaren oder barbarisierten Lateiner die Abwesenheit dieser Urbanitaet schneidend empfand. Wo noch der urbane Konversationston begegnet, wie in Varros Satiren und Ciceros Briefen, da ist es ein Nachklang der alten in Reate und Arpinum noch nicht so wie in Rom verschollenen Weise. So blieb die bisherige Jugendbildung ihrem Wesen nach unveraendert, nur dass sie, nicht so sehr durch ihren eigenen als durch den allgemeinen Verfall der Nation, weniger Gutes und mehr Uebles stiftete als in der vorhergegangenen Epoche. Eine Revolution auch auf diesem Gebiet leitete Caesar ein. Wenn der roemische Senat die Bildung erst bekaempft und sodann hoechstens geduldet hatte, so musste die Regierung des neuen italisch-hellenischen Reiches, dessen Wesen ja die Humanitaet war, dieselbe notwendig in hellenischer Weise von oben herab foerdern. Wenn Caesar saemtlichen Lehrern der freien Wissenschaften und saemtlichen Aerzten der Hauptstadt das roemische Buergerrecht verlieh, so darf darin wohl eine gewisse Einleitung gefunden werden zu jenen Anstalten, in denen spaeterhin fuer die hoehere zwiesprachige Bildung der Jugend des Reiches von Staats wegen gesorgt ward und die der praegnanteste Ausdruck des neuen Staates der Humanitaet sind; und wenn Caesar ferner die Gruendung einer oeffentlichen griechischen und lateinischen Bibliothek in der Hauptstadt beschlossen und bereits den gelehrtesten Roemer der Zeit, Marcus Varro, zum Oberbibliothekar ernannt hatte, so liegt darin unverkennbar die Absicht, mit der Weltmonarchie die Weltliteratur zu verknuepfen. Die sprachliche Entwicklung dieser Zeit knuepfte an den Gegensatz an zwischen dem klassischen Latein der gebildeten Gesellschaft und der Vulgaersprache des gemeinen Lebens. Jenes selbst war ein Erzeugnis der spezifischen italischen Bildung; schon in dem Scipionischen Kreise war das "reine Latein" Stichwort gewesen und wurde die Muttersprache nicht mehr voellig naiv gesprochen, sondern in bewusstem Unterschied von der Sprache des grossen Haufens. Diese Epoche eroeffnet mit einer merkwuerdigen Reaktion gegen den bisher in der hoeheren Umgangssprache und demnach auch in der Literatur alleinherrschenden Klassizismus, einer Reaktion, die innerlich und aeusserlich mit der gleichartigen Sprachreaktion in Griechenland eng zusammenhing. Eben um diese Zeit begannen der Rhetor und Romanschreiber Hegesias von Magnesia und die zahlreichen, an ihn sich anschliessenden kleinasiatischen Rhetoren und Literaten sich aufzulehnen gegen den orthodoxen Attizismus. Sie forderten das Buergerrecht fuer die Sprache des Lebens, ohne Unterschied, ob das Wort und die Wendung in Attika entstanden sei oder in Karien und Phrygien; sie selber sprachen und schrieben nicht fuer den Geschmack der gelehrten Cliquen, sondern fuer den des grossen Publikums. Gegen den Grundsatz liess sich nicht viel einwenden; nur freilich konnte das Resultat nicht besser sein als das damalige kleinasiatische Publikum war, das den Sinn fuer Strenge und Reinheit der Produktion gaenzlich verloren hatte und nur nach dem Zierlichen und Brillanten verlangte. Um von den aus dieser Richtung entsprungenen Afterkunstgattungen, namentlich dem Roman und der romanhaften Geschichte, hier zu schweigen, so war schon der Stil dieser Asiaten begreiflicherweise zerhackt und ohne Kadenz und Periode, verzwickt und weichlich, voll Flitter und Bombast, durchaus gemein und manieriert; "wer Hegesias kennt", sagt Cicero, "der weiss, was albern ist". Dennoch fand dieser neue Stil seinen Weg auch in die latinische Welt. Als die hellenische Moderhetorik, nachdem sie am Ende der vorigen Epoche in den latinischen Jugendunterricht sich eingedraengt hatte, zu Anfang der gegenwaertigen den letzten Schritt tat und mit Quintus Hortensius (640-704 114- 50), dem gefeiertsten Sachwalter der sullanischen Zeit, die roemische Rednerbuehne selbst betrat, da schmiegte sie auch in dem lateinischen Idiom dem schlechten griechischen Zeitgeschmack eng sich an; und das roemische Publikum, nicht mehr das rein und streng gebildete der scipionischen Zeit, beklatschte natuerlich eifrig den Neuerer, der es verstand, dem Vulgarismus den Schein kunstgerechter Leistung zu geben. Es war dies von grosser Bedeutung. Wie in Griechenland der Sprachstreit immer zunaechst in den Rhetorenschulden gefuehrt ward, so war auch in Rom die gerichtliche Rede gewissermassen mehr noch als die Literatur massgebend fuer den Stil, und es war deshalb mit dem Sachwalterprinzipat gleichsam von Rechts wegen die Befugnis verbunden, den Ton der modischen Sprechund Schreibweise anzugeben. Hortensius’ asiatischer Vulgarismus verdraengte also den Klassizismus von der roemischen Rednerbuehne und zum Teil auch aus der Literatur. Aber bald schlug in Griechenland wie in Rom die Mode wieder um. Dort war es die Rhodische Rhetorenschule, die ohne auf die ganze keusche Strenge des attischen Stils zurueckzugehen, doch versuchte, zwischen ihm und der modernen Weise einen Mittelweg einzuschlagen; wenn die rhodischen Meister es mit der innerlichen Korrektheit des Denkens und Sprechens nicht allzu genau nahmen, so drangen sie doch wenigstens auf sprachliche und stilistische Reinheit, auf sorgfaeltige Auswahl der Woerter und Wendungen und durchgefuehrte Kadenzierung der Saetze. In Italien war es Marcus Tullius Cicero (648-711 106-43), der, nachdem er in seiner ersten Jugend die Hortensische Manier mitgemacht hatte, durch das Hoeren der rhodischen Meister und durch eigenen gereifteren Geschmack auf bessere Wege zurueckgefuehrt ward und fortan sich strenger Reinheit der Sprache und durchgaengiger Periodisierung und Kadenzierung der Rede befliss. Die Sprachmuster, an die er hierbei sich anschloss, fand er vor allen Dingen in denjenigen Kreisen der hoeheren roemischen Gesellschaft, welche von dem Vulgarismus noch wenig oder gar nicht gelitten hatten; und wie schon gesagt ward, es gab deren noch, obwohl sie anfingen zu schwinden. Die aeltere lateinische und die gute griechische Literatur, so bedeutend auch namentlich auf den Numerus der Rede die letztere eingewirkt hat, standen daneben doch nur in zweiter Linie; es war diese Sprachreinigung also keineswegs eine Reaktion der Buchgegen die Umgangssprache, sondern eine Reaktion der Sprache der wirklich Gebildeten gegen den Jargon der falschen und halben Bildung. Caesar, auch auf dem Gebiet der Sprache der groesste Meister seiner Zeit, sprach den Grundgedanken des roemischen Klassizismus aus, indem er in Rede und Schrift jedes fremdartige Wort so zu vermeiden gebot, wie der Schiffer die Klippe meidet: man verwarf das poetische und das verschollene Wort der aelteren Literatur ebenso, wie die baeurische oder der Sprache des gemeinen Lebens entlehnte Wendung und namentlich die, wie die Briefe dieser Zeit es beweisen, in sehr weitem Umfang in die Umgangssprache eingedrungenen griechischen Woerter und Phrasen. Aber nichtsdestoweniger verhielt dieser schulmaessige und kuenstliche Klassizismus der ciceronischen Zeit sich zu dem scipionischen, wie zu der Unschuld die bekehrte Suende oder wie zu dem mustergueltigen Franzoesisch Molieres und Boileaus das der napoleonischen Klassizisten; wenn jener aus dem vollen Leben geschoepft hatte, so fing dieser gleichsam die letzten Atemzuege eines unwiderbringlich untergehenden Geschlechts noch eben rechtzeitig auf. Wie er nun war, er breitete rasch sich aus. Mit dem Sachwalterprinzipat ging auch die Sprachund Geschmacksdiktatur von Hortensius auf Cicero ueber, und die mannigfaltige und weitlaeufige Schriftstellerei des letzteren gab diesem Klassizismus, was ihm noch gefehlt hatte, ausgedehnte prosaische Texte. So wurde Cicero der Schoepfer der modernen klassischen lateinischen Prosa und knuepfte der roemische Klassizismus durchaus und ueberall an Cicero als Stilisten an; dem Stilisten Cicero, nicht dem Schriftsteller, geschweige denn dem Staatsmanne, galten die ueberschwenglichen und doch nicht ganz phrasenhaften Lobsprueche, mit denen die begabtesten Vertreter des Klassizismus, namentlich Caesar und Catullus, ihn ueberhaeufen. Bald ging man weiter. Was Cicero in der Prosa, das fuehrte in der Poesie gegen das Ende der Epoche die neuroemische an die griechische Modepoesie sich anlehnende Dichterschule durch, deren bedeutendstes Talent Catullus war. Auch hier verdraengte die hoehere Umgangssprache die bisher auf diesem Gebiet noch vielfach waltenden archaistischen Reminiszenzen und fuegte wie die lateinische Prosa sich dem attischen Numerus, so die lateinische Poesie sich allmaehlich den strengen oder vielmehr peinlichen metrischen Gesetzen der Alexandriner; so zum Beispiel wird von Catullus an es nicht mehr verstattet, mit einem einsilbigen oder einem nicht besonders schwerwichtigen zweisilbigen Wort zugleich einen Vers zu beginnen und einen im vorigen begonnenen Satz zu schliessen. Endlich trat denn die Wissenschaft hinzu, fixierte das Sprachgesetz und entwickelte die Regel, die nicht mehr aus der Empirie bestimmt ward, sondern den Anspruch machte, die Empirie zu bestimmen. Die Deklinationsendungen, die bisher noch zum Teil geschwankt hatten, sollten jetzt ein fuer allemal fixiert werden, wie zum Beispiel von den bisher nebeneinander gangbaren Genetivund Dativformen der sogenannten vierten Deklination (senatuis und senatus, senatui und senatu) Caesar ausschliesslich die zusammengezogenen (us und u) gelten liess. In der Orthographie wurde mancherlei geaendert, um die Schrift mit der Sprache wieder vollstaendiger ins gleiche zu setzen - so ward das inlautende u in Woertern wie maxumus nach Caesars Vorgang durch i ersetzt und von den beiden ueberfluessig gewordenen Buchstaben k und q die Beseitigung des ersten durchgesetzt, die des zweiten wenigstens vorgeschlagen. Die Sprache war, wenn noch nicht erstarrt, doch im Erstarren begriffen, von der Regel zwar noch nicht gedankenlos beherrscht, aber doch bereits ihrer sich bewusst geworden. Dass fuer diese Taetigkeit auf dem Gebiete der lateinischen Grammatik die griechische nicht bloss im allgemeinen den Geist und die Methode hergab, sondern die lateinische Sprache auch wohl geradezu nach jener rektifiziert ward, beweist zum Beispiel die Behandlung des schliessenden s, das bis gegen den Ausgang dieser Epoche nach Gefallen bald als Konsonant, bald nicht als solcher gegolten hatte, von den neumodischen Poeten aber durchgaengig wie im Griechischen als konsonantischer Auslaut behandelt ward. Diese Sprachregulierung ist die eigentliche Domaene des roemischen Klassizismus; in der verschiedensten Weise und ebendarum nur um so bedeutsamer wird bei den Koryphaeen desselben, bei Cicero, Caesar, sogar in den Gedichten Catulls, die Regel eingeschaerft und der Verstoss dagegen abgetrumpft; wogegen die aeltere Generation sich ueber die auf dem sprachlichen Gebiet ebenso ruecksichtslos wie auf dem politischen durchgreifende Revolution mit begreiflicher Empfindlichkeit aeussert ^2. Indem aber der neue Klassizismus, das heisst das regulierte und mit dem mustergueltigen Griechisch soweit moeglich ins gleiche gesetzte mustergueltige Latein, hervorgehend aus der bewussten Reaktion gegen den in die hoehere Gesellschaft und selbst in die Literatur eingedrungenen Vulgarismus, sich literarisch fixierte und schematisch formulierte, raeumte dieser doch keineswegs das Feld. Wir finden ihn nicht bloss naiv in den Werken untergeordneter, nur zufaellig unter die Schriftsteller verschlagener Individuen, wie in dem Bericht ueber Caesars zweiten spanischen Krieg, sondern wir werden ihm auch in der eigentlichen Literatur, im Mimus, im Halbroman, in den aesthetischen Schriften Varros mehr oder weniger ausgepraegt begegnen; und charakteristisch ist es, dass er eben in den am meisten volkstuemlichen Gebieten der Literatur sich behauptet und dass wahrhaft konservative Maenner, wie Varro, ihn in Schutz nehmen. Der Klassizismus ruht auf dem Tode der italischen Sprache wie die Monarchie auf dem Untergang der italischen Nation; es war vollkommen konsequent, dass die Maenner, in denen die Republik noch lebendig war, auch der lebenden Sprache fortfuhren, ihr Recht zu geben und ihrer relativen Lebendigkeit und Volkstuemlichkeit zuliebe ihre aesthetischen Maengel ertrugen. So gehen denn die sprachlichen Meinungen und Richtungen dieser Epoche ueberall hin auseinander: neben der altfraenkischen Poesie des Lucretius erscheint die durchaus moderne des Catullus, neben Ciceros kadenzierter Periode Varros absichtlich jede Gliederung verschmaehender Satz. Auch hierin spiegelt sich die Zerrissenheit der Zeit. ---------------------------------------- ^2 So sagt Varro (rust. 1, 2): ab aeditimo, ut dicere didicimus a patribus nostris; ut corrigimur ab recentibus urbanis, ab aedituo. ---------------------------------------- In der Literatur dieser Periode faellt zunaechst, im Vergleich mit der frueheren, die aeussere Steigerung des literarischen Treibens in Rom auf. Die literarische Taetigkeit der Griechen gedieh laengst nicht mehr in der freien Luft der buergerlichen Unabhaengigkeit, sondern nur noch in den wissenschaftlichen Anstalten der groesseren Staedte und besonders der Hoefe. Angewiesen auf Gunst und Schutz der Grossen und durch das Erloeschen der Dynastien von Pergamon (621 133), Kyrene (658 96), Bithynien (679 75) und Syrien (690 64), durch den sinkenden Glanz der Hofhaltung der Lagiden aus den bisherigen Musensitzen verdraengt ^3, ueberdies seit Alexanders des Grossen Tod notwendig kosmopolitisch und unter den Aegyptern und Syrern wenigstens ebenso fremd wie unter den Lateinern, fingen die hellenischen Literaten mehr und mehr an, ihre Blicke nach Rom zu wenden. Neben dem Koch, dem Buhlknaben und dem Spassmacher spielten unter dem Schwarm griechischer Bedienten, mit denen der vornehme Roemer dieser Zeit sich umgab, auch der Philosoph, der Poet und der Memoirenschreiber hervorragende Rollen. Schon begegnen in diesen Stellungen namhafte Literaten; wie zum Beispiel der Epikureer Philodemos als Hauptphilosoph bei Lucius Piso, Konsul 696 (58), angestellt war und nebenbei mit seinen artigen Epigrammen auf den grobdraehtigen Epikureismus seines Patrons die Eingeweihten erbaute. Von allen Seiten zogen immer zahlreicher die angesehensten Vertreter der griechischen Kunst und Wissenschaft sich nach Rom, wo der literarische Verdienst jetzt reichlicher floss als irgendwo sonst; so werden als in Rom ansaessig genannt der Arzt Asklepiades, den Koenig Mithradates vergeblich von dort weg in seinen Dienst zu ziehen versuchte, der Gelehrte fuer alles, Alexandros von Milet, genannt der Polyhistor; der Poet Parthenios aus Nikaea in Bithymen; der als Reisender, Lehrer und Schriftsteller gleich gefeierte Poseidonios von Apameia in Syrien, der hochbejahrt im Jahre 703 (51) von Rhodos nach Rom uebersiedelte, und andere mehr. Ein Haus wie das des Lucius Lucullus war, fast wie das alexandrinische Museion, ein Sitz hellenischer Bildung und ein Sammelplatz hellenischer Literaten; roemische Mittel und hellenische Kennerschaft hatten in diesen Hallen des Reichtums und der Wissenschaft einen unvergleichlichen Schatz von Bildwerken und Gemaelden aelterer und gleichzeitiger Meister sowie eine ebenso sorgfaeltig ausgewaehlte wie prachtvoll ausgestattete Bibliothek vereinigt und jeder Gebildete und namentlich jeder Grieche war hier willkommen - oft sah man den Hausherrn selbst mit einem seiner gelehrten Gaeste in philologischem oder philosophischem Gespraech den schoenen Saeulengang aufund niederwandeln. Freilich trugen diese Griechen mit ihren reichen Bildungsschaetzen auch zugleich ihre Verkehrtheit und Bedientenhaftigkeit nach Italien; wie sich denn zum Beispiel einer dieser gelehrten Landlaeufer, der Verfasser der ’Schmeichelredekunst’, Aristodemos von Nysa, um 700 (54) seinen Herren durch den Nachweis empfahl, dass Horneros ein geborener Roemer gewesen sei. In demselben Masse wie das Treiben der griechischen Literaten in Rom stieg auch bei den Roemern selbst die literarische Taetigkeit und das literarische Interesse. Selbst die griechische Schriftstellerei, die der strengere Geschmack des scipionischen Zeitalters gaenzlich beseitigt hatte, tauchte jetzt wieder auf. Die griechische Sprache war nun einmal Weltsprache, und eine griechische Schrift fand ein ganz anderes Publikum als eine lateinische; darum liessen, wie die Koenige von Armenien und Mauretanien, so auch roemische Vornehme, wie zum Beispiel Lucius Lucullus, Marcus Cicero, Titus Atticus, Quintus Scaevola (Volkstribun 700 54), gelegentlich griechische Prosa und sogar griechische Verse ausgehen. Indes dergleichen griechische Schriftstellerei geborener Roemer blieb Nebensache und beinahe Spielerei; die literarischen wie die politischen Parteien Italiens trafen doch alle zusammen in dem Festhalten an der italischen, nur mehr oder minder vom Hellenismus durchdrungenen Nationalitaet. Auch konnte man in dem Gebiet lateinischer Schriftstellerei wenigstens ueber Mangel an Ruehrigkeit sich nicht beklagen. Es regnete in Rom Buecher und Flugschriften aller Art und vor allen Dingen Poesien. Die Dichter wimmelten daselbst wie nur in Tarsos oder Alexandreia; poetische Publikationen waren zur stehenden Jugendsuende regerer Naturen geworden, und auch damals pries man denjenigen gluecklich, dessen Jugendgedichte die mitleidige Vergessenheit der Kritik entzog. Wer das Handwerk einmal verstand, schrieb ohne Muehe auf einen Ansatz seine fuenfhundert Hexameter, an denen kein Schulmeister etwas zu tadeln, freilich auch kein Leser etwas zu loben fand. Auch die Frauenwelt beteiligte sich lebhaft an diesem literarischen Treiben; die Damen beschraenkten sich nicht darauf, Tanz und Musik zu machen, sondern beherrschten durch Geist und Witz die Konversation und sprachen vortrefflich ueber griechische und lateinische Literatur; und wenn die Poesie auf die Maedchenherzen Sturm lief, so kapitulierte die belagerte Festung nicht selten gleichfalls in artigen Versen. Die Rhythmen wurden immer mehr das elegante Spielzeug der grossen Kinder beiderlei Geschlechts; poetische Billets, gemeinschaftliche poetische Uebungen und Wettdichtungen unter guten Freunden waren etwas Gewoehnliches, und gegen das Ende dieser Epoche wurden auch bereits in der Hauptstadt Anstalten eroeffnet, in denen unfluegge lateinische Poeten das Versemachen fuer Geld erlernen konnten. Infolge des starken Buecherkonsums wurde die Technik des fabrikmaessigen Abschreibens wesentlich vervollkommnet und die Publikation verhaeltnismaessig rasch und wohlfeil bewirkt; der Buchhandel ward ein angesehenes und eintraegliches Gewerbe und der Laden des Buchhaendlers ein gewoehnlicher Versammlungsort gebildeter Maenner. Das Lesen war zur Mode, ja zur Manie geworden; bei Tafel ward, wo nicht bereits roherer Zeitvertreib sich eingedraengt hatte, regelmaessig vorgelesen, und wer eine Reise vorhatte, vergass nicht leicht, eine Reisebibliothek einzupacken. Den Oberoffizier sah man im Lagerzelt den schluepfrigen griechischen Roman, den Staatsmann im Senat den philosophischem Traktat in der Hand. Es stand denn auch im roemischen Staate, wie es in jedem Staate gestanden hat und stehen wird, wo die Buerger lesen "von der Tuerschwell an bis zum Privet". Der parthische Wesir hatte nicht unrecht, wenn er den Buergern von Seleukeia die im Lager des Crassus gefundenen Romane wies und sie fragte, ob sie die Leser solcher Buecher noch fuer furchtbare Gegner hielten. ------------------------------------------------- ^3 Merkwuerdig ist fuer diese Verhaeltnisse die Dedikation der auf den Namen des Skymnos gehenden poetischen Erdbeschreibung. Nachdem der Dichter seine Absicht erklaert hat, in dem beliebten menandrischen Mass einen fuer Schueler fasslichen und leicht auswendig zu lernenden Abriss der Geographie zu bearbeiten, widmet er, wie Apollodoros sein aehnliches historisches Kompendium dem Koenig Attalos Philadelphos von Pergamon widmete, dem es ewigen Ruhm Gebracht, dass seinen Namen dies Geschichtswerk traegt, sein Handbuch dem Koenig Nikomedes III. (663? - 679 91 - 75) von Bithynien: Dass, wie die Leute sagen, koenigliche Huld Von allen jetzigen Koenigen nur du erzeigst, Dies zu erproben an mir selbst, entschloss ich mich, Zu kommen und zu sehen, was ein Koenig sei. Bestaerkt in diesem durch Apolls Orakelwort, Nah’ ich mich billig deinem fast, auf deinen Wink, Zu der Gelehrten insgemein gewordnen Herd. ------------------------------------------------- Die literarische Tendenz dieser Zeit war keine einfache und konnte es nicht sein, da die Zeit selbst zwischen der alten und der neuen Weise geteilt war. Dieselben Richtungen, die auf dem politischen Gebiet sich bekaempften, die national-italische der Konservativen, die hellenisch-italische oder, wenn man will, kosmopolitische der neuen Monarchie, haben auch auf dem literarischen ihre Schlachten geschlagen. Jene lehnt sich auf die aeltere lateinische Literatur, die auf dem Theater, in der Schule und in der gelehrten Forschung mehr und mehr den Charakter der Klassizitaet annimmt. Mit minderem Geschmack und staerkerer Parteitendenz, als die scipionische Epoche bewies, werden jetzt Ennius, Pacuvius und namentlich Plautus in den Himmel erhoben. Die Blaetter der Sibylle steigen im Preise, je weniger ihrer werden; die relative Nationalitaet und relative Produktivitaet der Dichter des sechsten Jahrhunderts wurde nie lebhafter empfunden als in dieser Epoche des ausgebildeten Epigonentums, die in der Literatur ebenso entschieden wie in der Politik zu dem Jahrhundert der Hannibalskaempfer hinaufsah als zu der goldenen, leider unwiederbringlich dahingegangenen Zeit. Freilich war in dieser Bewunderung der alten Klassiker ein guter Teil derselben Hohlheit und Heuchelei, die dem konservativen Wesen dieser Zeit ueberhaupt eigen sind, und die Zwischengaenger mangelten auch hier nicht. Cicero zum Beispiel, obwohl in der Prosa einer der Hauptvertreter der modernen Tendenz, verehrte dennoch die aeltere nationale Poesie ungefaehr mit demselben anbruechigen Respekt, welchen er der aristokratischen Verfassung und der Auguraldisziplin zollte; "der Patriotismus erfordert es", heisst es bei ihm, "lieber eine notorisch elende Uebersetzung des Sophokles zu lesen als das Original". Wenn also die moderne, der demokratischen Monarchie verwandte literarische Richtung selbst unter den rechtglaeubigen Enniusbewunderern stille Bekenner genug zaehlte, so fehlte es auch schon nicht an dreisteren Urteilern, die mit der einheimischen Literatur ebenso unsaeuberlich umgingen wie mit der senatorischen Politik. Man nahm nicht bloss die strenge Kritik der scipionischen Epoche wieder auf und liess den Terenz nur gelten, um Ennius und mehr noch die Ennianisten zu verdammen, sondern die juengere und verwegenere Welt ging weit darueber hinaus und wagte es schon, wenn auch nur noch in ketzerischer Auflehnung gegen die literarische Orthodoxie, den Plautus einen rohen Spassmacher, den Lucilius einen schlechten Verseschmied zu heissen. Statt auf die einheimische lehnt sich diese moderne Richtung vielmehr auf die neuere griechische Literatur oder den sogenannten Alexandrinismus. Es kann nicht umgangen werden, von diesem merkwuerdigen Wintergarten hellenischer Sprache und Kunst hier wenigstens so viel zu sagen, als fuer das Verstaendnis der roemischen Literatur dieser und der spaeteren Epochen erforderlich ist. Die alexandrinische Literatur ruht auf dem Untergang des reinen hellenischen Idioms, das seit der Zeit Alexanders des Grossen im Leben ersetzt ward durch einen verkommenen, zunaechst aus der Beruehrung des makedonischen Dialekts mit vielfachen griechischen und barbarischen Staemmen hervorgegangenen Jargon; oder genauer gesagt, die alexandrinische Literatur ist hervorgegangen aus dem Ruin der hellenischen Nation ueberhaupt, die, um die alexandrinische Weltmonarchie und das Reich des Hellenismus zu begruenden, in ihrer volkstuemlichen Individualitaet untergehen musste und unterging. Haette Alexanders Weltreich Bestand gehabt, so wuerde an die Stelle der ehemaligen nationalen und volkstuemlichen eine nur dem Namen nach hellenische, wesentlich denationalisierte und gewissermassen von oben herab ins Leben gerufene, aber allerdings die Welt beherrschende, kosmopolitische Literatur getreten sein; indes wie der Staat Alexanders mit seinem Tode aus den Fugen wich, gingen auch die Anfaenge der ihm entsprechenden Literatur rasch zugrunde. Die griechische Nation aber gehoerte darum nicht weniger mit allem, was sie gehabt, mit ihrer Volkstuemlichkeit, ihrer Sprache, ihrer Kunst, der Vergangenheit an. Nur in einem verhaeltnismaessig engen Kreis nicht von Gebildeten, die es als solche nicht mehr gab, sondern von Gelehrten wurde die griechische Literatur noch als tote gepflegt, ihr reicher Nachlass in wehmuetiger Freude oder trockener Gruebelei inventarisiert und auch wohl das lebendige Nachgefuehl oder die tote Gelehrsamkeit bis zu einer Scheinproduktivitaet gesteigert. Diese posthume Produktivitaet ist der sogenannte Alexandrinismus. Er ist wesentlich gleichartig derjenigen Gelehrtenliteratur, welche, abstrahierend von den lebendigen romanischen Nationalitaeten und ihren vulgaeren Idiomen, in einem philologisch gelehrten, kosmopolitischen Kreise als kuenstliche Nachbluete des untergegangenen Altertums waehrend des fuenfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts erwuchs; der Gegensatz zwischen dem klassischen und dem Vulgaergriechisch der Diadochenzeit ist wohl minder schroff, aber nicht eigentlich ein anderer als der zwischen dem Latein des Manutius und dem Italienischen Macchiavellis. Italien hatte bisher sich gegen den Alexandrinismus im wesentlichen ablehnend verhalten. Die relative Bluetezeit desselben ist die Zeit kurz vor und nach dem Ersten Punischen Krieg; dennoch schlossen Naevius, Ennius, Pacuvius und schloss ueberhaupt die gesamte nationalroemische Schriftstellerei bis hinab auf Varro und Lucretius in allen Zweigen poetischer Produktion, selbst das Lehrgedicht nicht ausgenommen, nicht an ihre griechischen Zeitgenossen oder juengsten Vorgaenger sich an, sondern ohne Ausnahme an Homer, Euripides, Menandros und die anderen Meister der lebendigen und volkstuemlichen griechischen Literatur. Die roemische Literatur ist niemals frisch und national gewesen; aber solange es ein roemisches Volk gab, griffen seine Schriftsteller instinktmaessig nach lebendigen und volkstuemlichen Mustern und kopierten, wenn auch nicht immer aufs beste noch die besten, doch wenigstens Originale. Die ersten roemischen Nachahmer - denn die geringen Anfaenge aus der marianischen Zeit koennen kaum mitgezaehlt werden - fand die nach Alexander entstandene griechische Literatur unter den Zeitgenossen Ciceros und Caesars; und nun griff der roemische Alexandrinismus mit reissender Schnelligkeit um sich. Zum Teil ging dies aus aeusserlichen Ursachen hervor. Die gesteigerte Beruehrung mit den Griechen, namentlich die haeufigen Reisen der Roemer in die hellenischen Landschaften und die Ansammlung griechischer Literaten in Rom, verschafften natuerlich der griechischen Tagesliteratur, den zu jener Zeit in Griechenland gangbaren epischen und elegischen Poesien, Epigrammen und milesischen Maerchen, auch unter den Italikern ein Publikum. Indem ferner die alexandrinische Poesie, wie frueher dargestellt ward, in dem italischen Jugendunterricht sich festsetzte, wirkte dies auf die lateinische Literatur um so mehr zurueck, als diese von der hellenischen Schulbildung zu allen Zeiten wesentlich abhaengig war und blieb. Es findet sich hier sogar eine unmittelbare Anknuepfung der neuroemischen an die neugriechische Literatur: der schon genannte Parthenios, einer der bekannteren alexandrinischen Elegiker, eroeffnete, es scheint um 700 (54), eine Literaturund Poesieschule in Rom, und es sind noch die Exzerpte vorhanden, in denen er Stoffe fuer lateinische erotisch-mythologische Elegien nach dem bekannten alexandrinischen Rezept einem seiner vornehmen Schueler an die Hand gab. Aber es waren keineswegs bloss diese zufaelligen Veranlassungen, die den roemischen Alexandrinismus ins Leben riefen; er war vielmehr ein vielleicht nicht erfreuliches, aber durchaus unvermeidliches Erzeugnis der politischen und nationalen Entwicklung Roms. Einerseits loeste, wie Hellas im Hellenismus, so jetzt Latium im Romanismus sich auf; die nationale Entwicklung Italiens ueberwuchs und zersprengte sich in ganz aehnlicher Weise in Caesars Mittelmeer - wie die hellenische in Alexanders Ostreich. Wenn andererseits das neue Reich darauf beruhte, dass die maechtigen Stroeme der griechischen und lateinischen Nationalitaet, nachdem sie Jahrtausende hindurch in parallelen Betten geflossen, nun endlich zusammenfielen, so musste auch die italische Literatur nicht bloss wie bisher an der griechischen ueberhaupt einen Halt suchen, sondern eben mit der griechischen Literatur der Gegenwart, das heisst mit dem Alexandrinismus sich ins Niveau setzen. Mit dem schulmaessigen Latein, der geschlossenen Klassikerzahl, dem exklusiven Kreise der klassikerlesenden "Urbanen" war die volkstuemliche lateinische Literatur tot und zu Ende; es entstand dafuer eine durchaus epigonenhafte, kuenstlich grossgezogene Reichsliteratur, die nicht auf einer bestimmten Volkstuemlichkeit ruhte, sondern in zweien Sprachen das allgemeine Evangelium der Humanitaet verkuendigte und geistig durchaus und bewusst von der hellenischen, sprachlich teils von dieser, teils von der altroemischen Volksliteratur abhing. Es war dies kein Fortschritt. Die Mittelmeermonarchie Caesars war wohl eine grossartige und, was mehr ist, eine notwendige Schoepfung; aber sie war von oben herab ins Leben gerufen und darum nichts in ihr zu finden von dem frischen Volksleben, von der uebersprudelnden Nationalkraft, wie sie juengeren, beschraenkteren, natuerlicheren Gemeinwesen eigen sind, wie noch der Staat Italien des sechsten Jahrhunderts sie hatte aufzeigen koennen. Der Untergang der italischen Volkstuemlichkeit, abgeschlossen in Caesars Schoepfung, brach der Literatur das Herzblatt aus. Wer ein Gefuehl hat fuer die innige Wahlverwandtschaft der Kunst und der Nationalitaet, der wird stets sich von Cicero und Horaz ab zurueck zu Cato und Lucretius wenden; und nur die, freilich auf diesem Gebiete verjaehrte, schulmeisterliche Auffassung der Geschichte wie der Literatur hat es vermocht, die mit der neuen Monarchie beginnende Kunstepoche vorzugsweise die goldene zu heissen. Aber wenn der roemisch-hellenische Alexandrinismus der caesarischen und augusteischen Zeit zurueckstehen muss hinter der, wie immer unvollkommenen, aelteren nationalen Literatur, so ist er andererseits dem Alexandrinismus der Diadochenzeit ebenso entschieden ueberlegen wie Caesars Dauerbau der ephemeren Schoepfung Alexanders. Es wird spaeter darzustellen sein, dass die augustische Literatur, verglichen mit der verwandten der Diadochenzeit, weit minder eine Philologenund weit mehr eine Reichsliteratur gewesen ist als diese und darum auch in den hoeheren Kreisen der Gesellschaft weit dauernder und weit allgemeiner als jemals der griechische Alexandrinismus gewirkt hat. Nirgends sah es truebseliger aus als in der Buehnenliteratur. Trauerspiel wie Lustspiel waren in der roemischen Nationalliteratur bereits vor der gegenwaertigen Epoche innerlich abgestorben. Neue Stuecke wurden nicht mehr gespielt. Dass noch in der sullanischen Zeit das Publikum dergleichen zu sehen erwartete, zeigen die dieser Zeit angehoerigen Wiederauffuehrungen Plautinischer Komoedien mit gewechselten Titeln und Personennamen, wobei die Direktion wohl hinzufuegte, dass es besser sei, ein gutes altes, als ein schlechtes neues Stueck zu sehen. Davon hatte man denn nicht weit zu der voelligen Einraeumung der Buehne an die toten Poeten, die wir in der ciceronischen Zeit finden und der der Alexandrinismus sich gar nicht widersetzte. Seine Produktivitaet auf diesem Gebiete war schlimmer als keine. Eine wirkliche Buehnendichtung hat die alexandrinische Literatur nie gekannt; nur das Afterdrama, das zunaechst zum Lesen, nicht zur Auffuehrung geschrieben ward, konnte durch sie in Italien eingebuergert werden, und bald fingen denn diese dramatischen Jamben auch an, in Rom ebenso wie in Alexandreia zu grassieren und namentlich das Trauerspielschreiben unter den stehenden Entwicklungskrankheiten zu figurieren. Welcher Art diese Produktionen waren, kann man ungefaehr danach bemessen, dass Quintus Cicero, um die Langeweile des gallischen Winterquartiers homoeopathisch zu vertreiben, in sechzehn Tagen vier Trauerspiele verfertigte. Einzig in dem "Lebensbild" oder dem Mimus verwuchs der letzte noch gruenende Trieb der nationalen Literatur, die Atellanenposse, mit den ethologischen Auslaeufern des griechischen Lustspiels, die der Alexandrinismus mit groesserer poetischer Kraft und besserem Erfolg als jeden anderen Zweig der Poesie kultivierte. Der Mimus ging hervor aus den seit langem ueblichen Charaktertaenzen zur Floete, die teils bei anderen Gelegenheiten, namentlich zur Unterhaltung der Gaeste waehrend der Tafel, teils besonders im Parterre des Theaters waehrend der Zwischenakte aufgefuehrt wurden. Es war nicht schwer, aus diesen Taenzen, bei denen die Rede wohl laengst gelegentlich zur Hilfe genommen ward, durch Einfuehrung einer geordneteren Fabel und eines regelrechten Dialogs kleine Komoedien zu machen, die jedoch von dem frueheren Lustspiel und selbst von der Posse sich doch dadurch noch wesentlich unterschieden, dass der Tanz und die von solchem Tanz unzertrennliche Laszivitaet hier fortfuhren, eine Hauptrolle zu spielen, und dass der Mimus, als nicht eigentlich auf den Brettern, sondern im Parterre zu Hause, jede szenische Idealisierung wie die Gesichtsmasken und die Theaterschuhe, beiseite warf und, was besonders wichtig war, die Frauenrollen auch von Frauen darstellen liess. Dieser neue Mimus, der zuerst um 672 (82) auf die hauptstaedtische Buehne gekommen zu sein scheint, verschlang bald die nationale Harlekinade, mit der er ja in den wesentlichsten Beziehungen zusammenfiel, und ward als das gewoehnliche Zwischenund namentlich Nachspiel neben den sonstigen Schauspielen verwendet ^4. Die Fabel war natuerlich noch gleichgueltiger, lockerer und toller als in der Harlekinade; wenn es nur bunt herging, so fragte das Publikum nicht, warum es lachte, und rechtete nicht mit dem Poeten, der, statt den Knoten zu loesen, ihn zerhieb. Die Sujets waren vorwiegend verliebter Art, meistens von der frechsten Sorte; gegen den Ehemann zum Beispiel nahmen Poet und Publikum ohne Ausnahme Partei und die poetische Gerechtigkeit bestand in der Verhoehnung der guten Sitte. Der kuenstlerische Reiz beruhte ganz wie bei der Atellane auf der Sittenmalerei des gemeinen und gemeinsten Lebens, wobei die laendlichen Bilder vor denen des hauptstaedtischen Lebens und Treibens zuruecktreten und der suesse Poebel von Rom, ganz wie in den gleichartigen griechischen Stuecken der von Alexandreia, aufgefordert wird, sein eigenes Konterfei zu beklatschen. Viele Stoffe sind dem Handwerkerleben entnommen: es erscheinen der auch hier unvermeidliche ’Walker’, dann ’Der Seiler’, ’Der Faerber, ’Der Salzmann’, ’Die Weberinnen’, ’Der Hundejunge’; andere Stuecke geben Charakterfiguren: ’Der Vergessliche’, ’Das Grossmaul’, ’Der Mann von 100000 Sesterzen’ ^5; oder Bilder des Auslandes: ’Die Etruskerin’, ’Die Gallier’, ’Der Kretenser’, ’Alexandreia’; oder Schilderungen von Volksfesten: ’Die Compitalien’, ’Die Saturnalien’, ’Anna Perenna’, ’Die warmen Baeder’; oder travestierte Mythologie: ’Die Fahrt in die Unterwelt’, ’Der Arverner See’. Treffende Schlagwoerter und kurze, leicht behaltund anwendbare Gemeinsprueche sind willkommen; aber auch jeder Unsinn hat von selber das Buergerrecht: in dieser verkehrten Welt wird Bacchus um Wasser, die Quellnymphe um Wein angegangen. Sogar von den auf dem roemischen Theater sonst so streng untersagten politischen Anspielungen finden in diesen Mimen sich einzelne Beispiele ^6. Was die metrische Form anlangt, so gaben sich diese Poeten, wie sie selber sagen, "nur maessige Muehe mit dem Versemass"; die Sprache stroemte selbst in den zur Veroeffentlichung redigierten Stuecken ueber von Vulgaerausdruecken und gemeinen Wortbildungen. Es ist, wie man sieht, der Mimus wesentlich nichts als die bisherige Posse; nur dass die Charaktermasken und die stehende Szenerie von Atella sowie das baeuerliche Gepraege wegfaellt und dafuer das hauptstaedtische Leben in seiner grenzenlosen Freiheit und Frechheit auf die Bretter kommt. Die meisten Stuecke dieser Art waren ohne Zweifel fluechtigster Natur und machten nicht Anspruch auf einen Platz in der Literatur; die Mimen aber des Laberius, voll drastischer Charakterzeichnung und sprachlich und metrisch in ihrer Art meisterlich behandelt, haben in derselben sich behauptet und auch der Geschichtschreiber muss es bedauern, dass es uns nicht mehr vergoennt ist, das Drama der republikanischen Agonie in Rom mit seinem grossen attischen Gegenbild zu vergleichen. ---------------------------------------------------- ^4 Dass der Mimus zu seiner Zeit an die Stelle der Atellane getreten sei, bezeugt Cicero (ad fam. 9 16); damit stimmt ueberein, dass die Mimen und Miminnen zuerst um die sullanische Zeit hervortreten (Rhet. Her. 1, 14, 24; 2, 13, 19; Atta com. 1 Ribbeck.; Plin. nat. 7, 48, 158; Plut. Sull. z. 36). Uebrigens wird die Bezeichnung mimus zuweilen ungenau von dem Komoeden ueberhaupt gebraucht. So war der bei der Apollonischen Festfeier 542/43 212/211 auftretende mimus (Festus v. salva res est; vgl. Cic. De orat. 2, 59, 242) offenbar nichts als ein Schauspieler der palliata, denn fuer wirkliche Mimen im spaetem Sinn ist in dieser Zeit in der roemischen Theaterentwicklung kein Raum. Zu dem Mimus der klassischen griechischen Zeit, prosaischen Dialogen, in denen Genrebilder, namentlich laendliche, dargestellt wurden, hat der roemische Mimus keine naehere Beziehung. ^5 Mit dem Besitz dieser Summe, wodurch man in die erste Stimmklasse eintritt und die Erbschaft dem Voconischen Gesetz unterworfen wird, ist die Grenze ueberschritten, welche die geringen (tenuiores) von den anstaendigen Leuten scheidet. Darum fleht auch der arme Klient Catulls (23, 26) die Goetter an, ihm zu diesem Vermoegen zu verhelfen. ^6 In Laberius’ ’Fahrt in die Unterwelt’ tritt allerlei Volk auf, das Wunder und Zeichen gesehen hat; dem einen ist ein Ehemann mit zwei Frauen erschienen, worauf der Nachbar meint, das sei ja noch aerger als das kuerzlich von einem Wahrsager erblickte Traumgesicht von sechs Aedilen. Naemlich Caesar wollte - nach dem Klatsch der Zeit - die Vielweiberei in Rom einfuehren (Suet. Caes. 82) und ernannte in der Tat statt vier Aedilen deren sechs. Man sieht auch hieraus, dass Laberius Narrenrecht zu ueben und Caesar Narrenfreiheit zu gestatten verstand. ---------------------------------------------------- Mit der Nichtigkeit der Buehnenliteratur Hand in Hand geht die Steigerung des Buehnenspiels und der Buehnenpracht. Dramatische Vorstellungen erhielten ihren regelmaessigen Platz im oeffentlichen Leben nicht bloss der Hauptstadt, sondern auch der Landstaedte; auch jene bekam nun endlich durch Pompeius ein stehendes Theater (699 55) und die kampanische Sitte, waehrend des in alter Zeit stets unter freiem Himmel stattfindenden Schauspiels zum Schutze der Spieler und der Zuschauer Segeldecken ueber das Theater zu spannen, fand ebenfalls jetzt Eingang in Rom (676 78). Wie derzeit in Griechenland nicht die mehr als blassen Siebengestirne der alexandrinischen Dramatiker, sondern das klassische Schauspiel, vor allem die Euripideische Tragoedie in reichster Entfaltung szenischer Mittel die Buehne behauptete, so wurden auch in Rom zu Ciceros Zeit vorzugsweise die Trauerspiele des Ennius, Pacuvius und Accius, die Lustspiele des Plautus gegeben. Wenn der letztere in der vorigen Periode durch den geschmackvolleren, aber an komischer Kraft freilich geringeren Terenz verdraengt worden war, so wirkten jetzt Roscius und Varro, das heisst das Theater und die Philologie zusammen, um ihm eine aehnliche Wiederaufstehung zu bereiten, wie sie Shakespeare durch Garrick und Johnson widerfuhr; und auch Plautus hatte dabei von der gesunkenen Empfaenglichkeit und der unruhigen Hast des durch die kurzen und lotterigen Possen verwoehnten Publikums zu leiden, so dass die Direktion die Laenge der Plautinischen Komoedien zu entschuldigen, ja vielleicht auch zu streichen und zu aendern sich genoetigt sah. Je beschraenkter das Repertoire war, desto mehr richtete sich sowohl die Taetigkeit des dirigierenden und exekutierenden Personals, als auch das Interesse des Publikums auf die szenische Darstellung der Stuecke. Kaum gab es in Rom ein eintraeglicheres Gewerbe als das des Schauspielers und der Taenzerin ersten Ranges. Das fuerstliche Vermoegen des tragischen Schauspielers Aesopus ward bereits erwaehnt; sein noch hoeher gefeierter Zeitgenosse Roscius schlug seine Jahreseinnahme auf 600000 Sesterzen (46000 Taler) an ^7 und die Taenzerin Dionysia die ihrige auf 200000 Sesterzen (15000 Taler). Daneben wandte man ungeheure Summen auf Dekorationen und Kostueme: gelegentlich schritten Zuege von sechshundert aufgeschirrten Maultieren ueber die Buehne und das troische Theaterheer ward dazu benutzt, um dem Publikum eine Musterkarte der von Pompeius in Asien besiegten Nationen vorzufuehren. Die den Vortrag der eingelegten Gesangstuecke begleitende Musik erlangte gleichfalls groessere und selbstaendigere Bedeutung; wie der Wind die Wellen, sagt Varro, so lenkt der kundige Floetenspieler die Gemueter der Zuhoerer mit jeder Abwandlung der Melodie. Sie gewoehnte sich, das Tempo rascher zu nehmen und noetigte dadurch den Schauspieler zu lebhafterer Aktion. Die musikalische und Buehnenkennerschaft entwickelte sich; der Habitue erkannte jedes Tonstueck an der ersten Note und wusste die Texte auswendig; jeder musikalische oder Rezitationsfehler ward streng von dem Publikum geruegt. Lebhaft erinnert das roemische Buehnenwesen der ciceronischen Zeit an das heutige franzoesische Theater. Wie den losen Tableaus der Tagesstuecke der roemische Mimus entspricht, fuer den wie fuer jene nichts zu gut und nichts zu schlecht war, so findet auch in beiden sich dasselbe traditionell klassische Trauerspiel und Lustspiel, die zu bewundern oder mindestens zu beklatschen der gebildete Mann von Rechts wegen verpflichtet ist. Der Menge wird Genuege getan, indem sie in der Posse sich selber wiederfindet, in dem Schauspiel den dekorativen Pomp anstaunt und den allgemeinen Eindruck einer idealen Welt empfaengt; der hoeher Gebildete kuemmert im Theater sich nicht um das Stueck, sondern einzig um die kuenstlerische Darstellung. Endlich die roemische Schauspielkunst selbst pendelte in ihren verschiedenen Sphaeren, aehnlich wie die franzoesische, zwischen der Chaumiere und dem Salon. Es war nichts Ungewoehnliches, dass die roemischen Taenzerinnen bei dem Finale das Obergewand abwarfen und dem Publikum einen Tanz im Hemde zum besten gaben; andererseits aber galt auch dem roemischen Talma als das hoechste Gesetz seiner Kunst nicht die Naturwahrheit, sondern das Ebenmass. -------------------------------------------------------- ^7 Vom Staat erhielt er fuer jeden Spieltag 1000 Denare (300 Taler) und ausserdem die Besoldung fuer seine Truppe. In spaeteren Jahren wies er fuer sich das Honorar zurueck. -------------------------------------------------------- In der rezitativen Poesie scheint es an metrischen Chroniken nach dem Muster der Ennianischen nicht gefehlt zu haben; aber sie duerften ausreichend kritisiert sein durch jenes artige Maedchengeluebde, von dem Catullus singt: der heiligen Venus, wenn sie den geliebten Mann von seiner boesen politischen Poesie ihr wieder zurueck in die Arme fuehre, das schlechteste der schlechten Heldengedichte zum Brandopfer darzubringen. In der Tat ist auf dem ganzen Gebiet der rezitativen Dichtung in dieser Epoche die aeltere nationalroemische Tendenz nur durch ein einziges namhaftes Werk vertreten, das aber auch zu den bedeutendsten dichterischen Erzeugnissen der roemischen Literatur ueberhaupt gehoert. Es ist das Lehrgedicht des Titus Lucretius Carus (655-699 99-55) ’Vom Wesen der Dinge’, dessen Verfasser, den besten Kreisen der roemischen Gesellschaft angehoerig, vom oeffentlichen Leben aber, sei es durch Kraenklichkeit, sei es durch Abneigung ferngehalten, kurz vor dem Ausbruch des Buergerkrieges im besten Mannesalter starb. Als Dichter knuepft er energisch an Ennius an und damit an die klassische griechische Literatur. Unwillig wendet er sich weg von dem "hohlen Hellenismus" seiner Zeit und bekennt sich mit ganzer Seele und vollem Herzen als den Schueler der "strengen Griechen", wie denn selbst des Thukydides heiliger Ernst in einem der bekanntesten Abschnitte dieser roemischen Dichtung keinen unwuerdigen Widerhall gefunden hat. Wie Ennius bei Epicharmos und Euhemeros seine Weisheit schoepft, so entlehnt Lucretius die Form seiner Darstellung dem Empedokles, "dem herrlichsten Schatz des gabenreichen sizilischen Eilands", und liest dem Stoffe nach "die goldenen Worte alle zusammen aus den Rollen des Epikuros", "welcher die anderen Weisen ueberstrahlt, wie die Sonne die Sterne verdunkelt". Wie Ennius verschmaeht auch Lucretius die der Poesie von dem Alexandrinismus aufgelastete mythologische Gelehrsamkeit und fordert nichts von seinem Leser als die Kenntnis der allgemein gelaeufigen Sagen ^8. Dem modernen Purismus zum Trotz, der die Fremdwoerter aus der Poesie auswies, setzt Lucretius, wie es Ennius getan, statt matten und undeutlichen Lateins lieber das bezeichnende griechische Wort. Die altroemische Alliteration, das Nichtineinandergreifen der Versund Satzeinschnitte und ueberhaupt die aeltere Redeund Dichtweise begegnen noch haeufig in Lucretius’ Rhythmen, und obwohl er den Vers melodischer behandelt als Ennius, so waelzen sich doch seine Hexameter nicht wie die der modernen Dichterschule zierlich huepfend gleich dem rieselnden Bache, sondern mit gewaltiger Langsamkeit gleich dem Strome fluessigen Goldes. Auch philosophisch und praktisch lehnt Lucretius durchaus an Ennius sich an, den einzigen einheimischen Dichter, den sein Gedicht feiert; das Glaubensbekenntnis des Saengers von Rudiae: Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt’ ich sonst und sag’ ich noch, Doch sie kuemmern keinesweges, mein’ ich, sich um der Menschen Los bezeichnet vollstaendig auch Lucretius’ religioesen Standpunkt und nicht mit Unrecht nennt er deshalb selbst sein Lied gleichsam die Fortsetzung dessen, Das uns Ennius sang, der des unverwelklichen Lorbeers Kranz zuerst mitbracht’ aus des Helikon lieblichem Haine, Dass Italiens Voelkern er strahl’ in glaenzender Glorie. --------------------------------------------------- ^8 Einzelne scheinbare Ausnahmen, wie das Weihrauchland Panchaea, sind daraus zu erklaeren, dass dies aus dem Reiseroman des Euhemeros vielleicht schon in die Ennianische Poesie, auf jeden Fall in die Gedichte des Lucius Manlius (Plin. nat. 10, 2, 4) uebergegangen und daher dem Publikum, fuer das Lucretius schrieb, wohlbekannt war. --------------------------------------------------- Noch einmal, zum letztenmal noch erklingt in Lucretius’ Gedicht der ganze Dichterstolz und der ganze Dichterernst des sechsten Jahrhunderts, in welchem, in den Bildern von dem furchtbaren Poener und dem herrlichen Scipiaden, die Anschauung des Dichters heimischer ist als in seiner eigenen gesunkenen Zeit ^9. Auch ihm klingt der eigene "aus dem reichen Gemuet anmutig quillende" Gesang den gemeinen Liedern gegenueber "wie gegen das Geschrei der Kraniche das kurze Lied des Schwanes"; auch ihm schwillt das Herz, den selbsterfundenen Melodien lauschend, von hoher Ehren Hoffnung - ebenwie Ennius den Menschen, denen er "das Feuerlied kredenzet aus der tiefen Brust", verbietet, an seinem, des unsterblichen Saengers Grabe zu trauern. ----------------------------------------------- ^9 Naiv erscheint dies in den kriegerischen Schilderungen, in denen die heerverderbenden Seestuerme, die die eigenen Leute zertretenden Elefantenscharen, also Bilder aus den Punischen Kriegen, erscheinen, als gehoerten sie der unmittelbaren Gegenwart an. Vgl. 2, 41; 5, 1226, 1303, 1339. ----------------------------------------------- Es ist ein seltsames Verhaengnis, dass dieses ungemeine, an urspruenglicher poetischer Begabung den meisten, wo nicht allen seinen Vorgaengern weit ueberlegene Talent in eine Zeit gefallen war, in der es selber sich fremd und verwaist fuehlte und infolgedessen in der wunderlichsten Weise sich im Stoffe vergriffen hat. Epikuros’ System, welches das All in einen grossen Atomenwirbel verwandelt und die Entstehung und das Ende der Welt sowie alle Probleme der Natur und des Lebens in rein mechanischer Weise abzuwickeln unternimmt, war wohl etwas weniger albern als die Mythenhistorisierung, wie Euhemeros und nach ihm Ennius sie versucht hatten; aber ein geistreiches und frisches System war es nicht, und die Aufgabe nun gar, diese mechanische Weltanschauung poetisch zu entwickeln, war von der Art, dass wohl nie ein Dichter an einen undankbareren Stoff Leben und Kunst verschwendet hat. Der philosophische Leser tadelt an dem Lucretischen Lehrgedicht die Weglassung der feineren Pointen des Systems, die Oberflaechlichkeit namentlich in der Darstellung der Kontroversen, die mangelhafte Gliederung, die haeufigen Wiederholungen mit ebensogutem Recht, wie der poetische an der rhythmisierten Mathematik sich aergert, die einen grossen Teil des Gedichtes geradezu unlesbar macht. Trotz dieser unglaublichen Maengel, denen jedes mittelmaessige Talent unvermeidlich haette erliegen muessen, durfte dieser Dichter mit Recht sich ruehmen, aus der poetischen Wildnis einen neuen Kranz davongetragen zu haben, wie die Musen noch keinen verliehen hatten; und es sind auch keineswegs bloss die gelegentlichen Gleichnisse und sonstigen eingelegten Schilderungen maechtiger Naturerscheinungen und maechtigerer Leidenschaften, die dem Dichter diesen Kranz erwarben. Die Genialitaet der Lebensanschauung wie der Poesie des Lucretius ruht auf seinem Unglauben, welcher mit der vollen Siegeskraft der Wahrheit und darum mit der vollen Lebendigkeit der Dichtung dem herrschenden Heucheloder Aberglauben gegenuebertrat und treten durfte. Als danieder er sah das Dasein liegen der Menschheit Jammervoll auf der Erd’, erdrueckt von der lastenden Gottfurcht, Die vom Himmelsgewoelb ihr Antlitz offenbarend, Schauerlich anzusehen, hinab auf die Sterblichen drohte, Wagt’ es ein griechischer Mann zuerst das sterbliche Auge Ihr entgegenzuheben, zuerst ihr entgegenzutreten; Und die mutige Macht des Gedankens siegte; gewaltig Trat hinaus er ueber die flammenden Schranken des Weltalls Und der verstaendige Geist durchschritt das unendliche Ganze. Also eiferte der Dichter, die Goetter zu stuerzen, wie Brutus die Koenige gestuerzt, und "die Natur von ihren strengen Herren zu erloesen". Aber nicht gegen Jovis altersschwachen Thron wurden diese Flammenworte geschleudert; ebenwie Ennius kaempft Lucretius praktisch vor allen Dingen gegen den wuesten Fremdund Aberglauben der Menge, den Kult der Grossen Mutter zum Beispiel und die kindische Blitzweisheit der Etrusker. Das Grauen und der Widerwille gegen die entsetzliche Welt ueberhaupt, in der und fuer die der Dichter schrieb, haben dies Gedicht eingegeben. Es wurde verfasst in jener hoffnungslosen Zeit, wo das Regiment der Oligarchie gestuerzt und das Caesars noch nicht aufgerichtet war, in den schwuelen Jahren, waehrend deren der Ausbruch des Buergerkrieges in langer peinlicher Spannung erwartet ward. Wenn man dem ungleichartigen und unruhigen Vortrag es anzufuehlen meint, dass der Dichter taeglich erwartete, den wuesten Laerm der Revolution ueber sich und sein Werk hereinbrechen zu sehen, so wird man auch bei seiner Anschauung der Menschen und der Dinge nicht vergessen duerfen, unter welchen Menschen und in Aussicht auf welche Dinge sie ihm entstand. War es doch in Hellas in der Epoche vor Alexander ein gangbares und von allen Besten tief empfundenes Wort, dass nicht geboren zu sein das Beste von allem, das naechstdem Beste aber sei zu sterben. Unter allen in der verwandten caesarischen Zeit einem zarten und poetisch organisierten Gemuet moeglichen Weltanschauungen war diese die edelste und die veredelndste, dass es eine Wohltat fuer den Menschen ist, erloest zu werden von dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und damit von der boesen die Menschen, gleichwie die Kinder die Angst im dunkeln Gemach, tueckisch beschleichenden Furcht vor dem Tode und vor den Goettern; dass, wie der Schlaf der Nacht erquicklicher ist als die Plage des Tages, so auch der Tod, das ewige Ausruhen von allem Hoffen und Fuerchten, besser ist als das Leben, wie denn auch die Goetter des Dichters selber nichts sind noch haben als die ewige selige Ruhe; dass die Hoellenstrafen nicht nach dem Leben den Menschen peinigen, sondern waehrend desselben in den wilden und rastlosen Leidenschaften des klopfenden Herzens; dass die Aufgabe des Menschen ist, seine Seele zum ruhigen Gleichmass zu stimmen, den Purpur nicht hoeher zu schaetzen als das warme Hauskleid, lieber unter den Gehorchenden zu verharren, als in das Getuemmel der Bewerber um das Herrenamt sich zu draengen, lieber am Bach im Grase zu liegen, als unter dem goldenen Plafond des Reichen dessen zahllose Schuesseln leeren zu helfen. Diese philosophisch-praktische Tendenz ist der eigentliche ideelle Kern des Lucretischen Lehrgedichts und durch alle oede physikalischer Demonstrationen nur verschuettet, nicht erdrueckt. Wesentlich auf ihr beruht dessen relative Weisheit und Wahrheit. Der Mann, der mit einer Ehrfurcht vor seinen grossen Vorgaengern, mit einem gewaltsamen Eifer, wie sie dies Jahrhundert sonst nicht kennt, solche Lehre gepredigt und sie mit musischem Zauber verklaert hat, darf zugleich ein guter Buerger und ein grosser Dichter genannt werden. Das Lehrgedicht vom Wesen der Dinge, wie vieles auch daran den Tadel herausfordert, ist eines der glaenzendsten Gestirne in den sternenarmen Raeumen der roemischen Literatur geblieben, und billig waehlte der groesste deutsche Sprachenmeister die Wiederlesbarmachung des Lucretischen Gedichts zu seiner letzten und meisterlichsten Arbeit. Lucretius, obwohl seine poetische Kraft wie seine Kunst schon von den gebildeten Zeitgenossen bewundert ward, blieb doch, Spaetling wie er war, ein Meister ohne Schueler. In der hellenischen Modedichtung dagegen fehlte es an Schuelern wenigstens nicht, die den alexandrinischen Meistern nachzueifern sich muehten. Mit richtigem Takt hatten die begabteren unter den alexandrinischen Poeten die groesseren Arbeiten und die reinen Dichtgattungen, das Drama, das Epos, die Lyrik, vermieden; ihre erfreulichsten Leistungen waren ihnen, aehnlich wie den neulateinischen Dichtern, in "kurzatmigen" Aufgaben gelungen und vorzugsweise in solchen, die auf den Grenzgebieten der Kunstgattungen, namentlich dem weiten, zwischen Erzaehlung und Lied in der Mitte liegenden sich bewegten. Lehrgedichte wurden vielfach geschrieben. Sehr beliebt waren ferner kleine heroisch-erotische Epen, vornehmlich aber eine diesem Altweibersommer der griechischen Poesie eigentuemliche und fuer ihre philologische Hippokrene charakteristische, gelehrte Liebeselegie, wobei der Dichter die Schilderung der eig
enen, vorwiegend sinnlichen Empfindungen mit epischen Fetzen aus dem griechischen Sagenkreis mehr oder minder willkuerlich durchflocht. Festlieder wurden fleissig und kuenstlich gezimmert; ueberhaupt waltete bei dem Mangel an freiwilliger poetischer Erfindung das Gelegenheitsgedicht vor und namentlich das Epigramm, worin die Alexandriner Vortreffliches geleistet haben. Die Duerftigkeit der Stoffe und die sprachliche und rhythmische Unfrische, die jeder nicht volkstuemlichen Literatur unvermeidlich anhaftet, suchte man moeglichst zu verstecken unter verzwickten Themen, geschraubten Wendungen, seltenen Woertern und kuenstlicher Versbehandlung, ueberhaupt dem ganzen Apparat philologischantiquarischer Gelehrsamkeit und technischer Gewandtheit. Dies war das Evangelium, das den roemischen Knaben dieser Zeit gepredigt ward, und sie kamen in hellen Haufen, um zu hoeren und auszuueben: schon um 700 (54) waren Euphorions Liebesgedichte und aehnliche alexandrinische Poesien die gewoehnliche Lektuere und die gewoehnlichen Deklamationsstuecke der gebildeten Jugend ^10. Die literarische Revolution war da; aber sie lieferte zunaechst mit seltenen Ausnahmen nur fruehreife oder unreife Fruechte. Die Zahl der "neumodischen Dichter" war Legion, aber die Poesie war rar und Apollo, wie immer, wenn es so gedrang am Parnasse hergeht, genoetigt, sehr kurzen Prozess zu machen. Die langen Gedichte taugten niemals etwas, die kurzen selten. Auch in diesem literarischen Zeitalter war die Tagespoesie zur Landplage geworden; es begegnete wohl, dass einem der Freund zum Hohn als Festtagsgeschenk einen Stoss schofler Verse frisch vom Buchhaendlerlager ins Haus schickte, deren Wert der zierliche Einband und das glatte Papier schon auf drei Schritte verriet. Ein eigentliches Publikum, in dem Sinne wie die volkstuemliche Literatur ein Publikum hat, fehlte den roemischen Alexandrinern so gut wie den hellenischen: es ist durchaus die Poesie der Clique oder vielmehr der Cliquen, deren Glieder eng zusammenhalten, dem Eindringling uebel mitspielen, unter sich die neuen Poesien vorlesen und kritisieren, auch wohl in ganz alexandrinischer Weise die gelungenen Produktionen wieder poetisch feiern und vielfach durch Cliquenlob einen falschen und ephemeren Ruhm erschwindeln. Ein namhafter und selbst in dieser neuen Richtung poetisch taetiger Lehrer der lateinischen Literatur, Valerius Cato, scheint ueber den angesehensten dieser Zirkel eine Art Schulpatronat ausgeuebt und ueber den relativen Wert der Poesien in letzter Instanz entschieden zu haben. Ihren griechischen Mustern gegenueber sind diese roemischen Poeten durchgaengig unfrei, zuweilen schuelerhaft abhaengig; die meisten ihrer Produkte werden nichts gewesen sein als die herben Fruechte einer im Lernen begriffenen und noch keineswegs als reif entlassenen Schuldichtung. Indem man in der Sprache und im Mass weit enger, als je die volkstuemliche lateinische Poesie es getan, an die griechischen Vorbilder sich anschmiegte, ward allerdings eine groessere sprachliche und metrische Korrektheit und Konsequenz erreicht; aber es geschah auf Kosten der Biegsamkeit und Fuelle des nationalen Idioms. Stofflich erhielten unter dem Einfluss teils der weichlichen Muster, teils der sittenlosen Zeit die erotischen Themen ein auffallendes, der Poesie wenig zutraegliches Uebergewicht; doch wurden auch die beliebten metrischen Kompendien der Griechen schon vielfach uebersetzt, so das astronomische des Aratos von Cicero und entweder am Ende dieser oder wahrscheinlicher am Anfang der folgenden Periode das geographische Lehrbuch des Eratosthenes von Publius Varro von der Aude und die physikalisch-medizinischen des Nikandros von Aemilius Macer. Es ist weder zu verwundern noch zu bedauern, dass von dieser zahllosen Dichterschar uns nur wenige Namen aufbehalten worden sind; und auch diese werden meistens nur genannt als Kuriositaeten oder als gewesene Groessen: so der Redner Quintus Hortensius mit seinen "fuenfhunderttausend Zeilen" langweiliger Schluepfrigkeit und der etwas haeufiger erwaehnte Laevius, dessen ’Liebesscherze’ nur durch ihre verwickelten Masse und manierierten Wendungen ein gewisses Interesse auf sich zogen. Nun gar das Kleinepos ’Smyrna’ des Gaius Helvius Cinna (+ 710? 44), so sehr es von der Clique angepriesen ward, traegt sowohl in dem Stoff, der geschlechtlichen Liebe der Tochter zu dem eigenen Vater, wie in der neunjaehrigen darauf verwandten Muehsal die schlimmsten Kennzeichen der Zeit an sich. Eine originelle und erfreuliche Ausnahme machen allein diejenigen Dichter dieser Schule, die es verstanden, mit der Sauberkeit und der Formgewandtheit derselben den in dem republikanischen und namentlich dem landstaedtischen Leben noch vorhandenen volkstuemlichen Gehalt zu verbinden. Es galt dies, um von Laberius und Varro hier zu schweigen, namentlich von den drei schon oben erwaehnten Poeten der republikanischen Opposition Marcus Furius Bibaculus (652-691 102-63), Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48) und Quintus Valerius Catullus (667 bis ca. 700 87-54). ---------------------------------------------------- ^10 "Freilich", sagt Cicero (Tusc. 3, 19, 45) in Beziehung auf Ennius, "wird der herrliche Dichter von unseren Euphorionrezitierern verachtet." "Ich bin gluecklich angelangt", schreibt derselbe an Atticus (7, 2 z. A.), "da uns von Epirus herueber der guenstige Nordwind wehte. Diesen Spondaicus kannst du, wenn du Lust hast, einem von den Neumodischen als dein eigen verkaufen" (ita belle nobis flavit ab Epiro lenissumus Onchesmites. Hunc spodeiazonta si cui voles t/o/n neoter/o/n pro tuo vendito). ---------------------------------------------------- Von den beiden ersten, deren Schriften untergegangen sind, koennen wir dies freilich nur mutmassen; ueber die Gedichte des Catullus steht auch uns noch ein Urteil zu. Auch er haengt in Stoff und Form ab von den Alexandrinern. Wir finden in seiner Sammlung Uebersetzungen von Stuecken des Kallimachos und nicht gerade von den recht guten, sondern von den recht schwierigen. Auch unter den Originalen begegnen gedrechselte Modepoesien, wie die ueberkuenstlichen Galliamben zum Lobe der Phrygischen Mutter; und selbst das sonst so schoene Gedicht von der Hochzeit der Thetis ist durch die echt alexandrinische Einschachtelung der Ariadneklage in das Hauptgedicht kuenstlerisch verdorben. Aber neben diesen Schulstuecken steht die melodische Klage der echten Elegie, steht das Festgedicht im vollen Schmuck individueller und fast dramatischer Durchfuehrung, steht vor allem die solideste Kleinmalerei gebildeter Geselligkeit, die anmutigen sehr ungenierten Maedchenabenteuer, davon das halbe Vergnuegen im Ausschwatzen und Poetisieren der Liebesgeheimnisse besteht, das liebe Leben der Jugend bei vollen Bechern und leeren Beuteln, die Reiseund die Dichterlust; die roemische und oefter noch die veronesische Stadtanekdote und der launige Scherz in dem vertrauten Zirkel der Freunde. Jedoch nicht bloss in die Saiten greift des Dichters Apoll, sondern er fuehrt auch den Bogen: der gefluegelte Pfeil des Spottes verschont weder den langweiligen Versemacher noch den sprachverderbenden Provinzialen, aber keinen trifft er oefter und schaerfer als die Gewaltigen, von denen der Freiheit des Volkes Gefahr droht. Die kurzzeiligen und kurzweiligen, oft von anmutigen Refrains belebten Masse sind von vollendeter Kunst und doch ohne die widerwaertige Glaette der Fabrik. Umeinander fuehren diese Gedichte in das Nilund in das Potal; aber in dem letzteren ist der Dichter unvergleichlich besser zu Hause. Seine Dichtungen ruhen wohl auf der alexandrinischen Kunst, aber doch auch auf dem buergerlichen, ja dem landstaedtischen Selbstgefuehl, auf dem Gegensatz von Verona zu Rom, auf dem Gegensatz des schlichten Munizipalen gegen die hochgeborenen, ihren geringen Freunden gewoehnlich uebel mitspielenden Herren vom Senat, wie er in Catulls Heimat, dem bluehenden und verhaeltnismaessig frischen Cisalpinischen Gallien, lebendiger noch als irgendwo anders empfunden werden mochte. In die schoensten seiner Lieder spielen die suessen Bilder vom Gardasee hinein und schwerlich haette in dieser Zeit ein Hauptstaedter ein Gedicht zu schreiben vermocht wie das tief empfundene auf des Bruders Tod oder das brave, echt buergerliche Festlied zu der Hochzeit des Manlius und der Arunculeia. Catullus, obwohl abhaengig von den alexandrinischen Meistern und mitten in der Modeund Cliquendichtung jener Zeit stehend, war doch nicht bloss ein guter Schueler unter vielen maessigen und schlechten, sondern seinen Meistern selbst um so viel ueberlegen, als der Buerger einer freien italischen Gemeinde mehr war als der kosmopolitische hellenische Literat. Eminente schoepferische Kraft und hohe poetische Intentionen darf man freilich bei ihm nicht suchen; er ist ein reichbegabter und anmutiger, aber kein grosser Poet, und seine Gedichte sind, wie er selbst sie nennt, nichts als "Scherze und Torheiten". Aber wenn nicht bloss die Zeitgenossen von diesen fluechtigen Liedchen elektrisiert wurden, sondern auch die Kunstkritiker der augustischen Zeit ihn neben Lucretius als den bedeutendsten Dichter dieser Epoche bezeichnen, so hatten die Zeitgenossen wie die Spaeteren vollkommen recht. Die lateinische Nation hat keinen zweiten Dichter hervorgebracht, in dem der kuenstlerische Gehalt und die kuenstlerische Form in so gleichmaessiger Vollendung wiedererscheinen wie bei Catullus; und in diesem Sinne ist Catullus’ Gedichtsammlung allerdings das Vollkommenste, was die lateinische Poesie ueberhaupt aufzuweisen vermag. Es beginnt endlich in dieser Epoche die Dichtung in prosaischer Form. Das bisher unwandelbar festgehaltene Gesetz der echten, naiven wie bewussten, Kunst, dass der poetische Stoff und die metrische Fassung sich einander bedingen, weicht der Vermischung und Truebung aller Kunstgattungen und Kunstformen, welche zu den bezeichnendsten Zuegen dieser Zeit gehoert. Zwar von Romanen ist noch weiter nichts anzufuehren, als dass der beruehmteste Geschichtschreiber dieser Epoche, Sisenna, sich nicht fuer zu gut hielt, die viel gelesenen Milesischen Erzaehlungen des Aristeides, schluepfrige Modenovellen der plattesten Sorte, ins Lateinische zu uebersetzen. Eine originellere und erfreulichere Erscheinung auf diesem zweifelhaften poetisch-prosaischen Grenzgebiet sind die aesthetischen Schriften Varros, der nicht bloss der bedeutendste Vertreter der lateinischen philologisch-historischen Forschung, sondern auch in der schoenen Literatur einer der fruchtbarsten und interessantesten Schriftsteller ist. Einem in der sabinischen Landschaft heimischen, dem roemischen Senat seit zweihundert Jahren angehoerigen Plebejergeschlechte entsprossen, streng in altertuemlicher Zucht und Ehrbarkeit erzogen ^11 und bereits am Anfang dieser Epoche ein reifer Mann, gehoerte Marcus Terentius Varro von Reate (638-727 116-27) politisch, wie sich von selbst versteht, der Verfassungspartei an und beteiligte sich ehrlich und energisch an ihrem Tun und Leiden. Er tat dies teils literarisch, indem er zum Beispiel die erste Koalition, das "dreikoepfige Ungeheuer" in Flugschriften bekaempfte, teils im ernsteren Kriege, wo wir ihn im Heere des Pompeius als Kommandanten des Jenseitigen Spaniens fanden. Als die Sache der Republik verloren war, ward Varro von seinem Ueberwinder zum Bibliothekar der neu zu schaffenden Bibliothek in der Hauptstadt bestimmt. Die Wirren der folgenden Zeit rissen den alten Mann noch einmal in ihren Strudel hinein, und erst siebzehn Jahre nach Caesars Tode, im neunundachtzigsten seines wohlausgefuellten Lebens rief der Tod ihn ab. Die aesthetischen Schriften, die ihm einen Namen gemacht haben, waren kuerzere Aufsaetze, teils einfach prosaische ernsteren Inhalts, teils launige Schilderungen, deren prosaisches Grundwerk vielfach eingelegte Poesien durchwirken. Jenes sind die ’Philosophisch-historischen Abhandlungen’ (logistorici), dies die Menippischen Satiren. Beide schliessen nicht an lateinische Vorbilder sich an, namentlich die Varronische Satura keineswegs an die Lucilische; wie denn ueberhaupt die roemische Satura nicht eigentlich eine feste Kunstgattung, sondern nur negativ das bezeichnet, dass "das mannigfaltige Gedicht" zu keiner der anerkannten Kunstgattungen gezaehlt sein will und darum denn auch die Saturapoesie bei jedem begabten Poeten wieder einen andern und eigenartigen Charakter annimmt. Es war vielmehr die voralexandrinische griechische Philosophie, in der Varro die Muster fuer seine strengeren wie fuer seine leichteren aesthetischen Arbeiten fand: fuer die ernsteren Abhandlungen in den Dialogen des Herakleides von Herakleia am Schwarzen Meer (+ um 450 300), fuer die Satiren in den Schriften des Menippos von Gadara in Syrien (blueht um 475 280). Die Wahl war bezeichnend. Herakleides, als Schriftsteller angeregt durch Platons philosophische Gespraeche, hatte ueber deren glaenzende Form den wissenschaftlichen Inhalt gaenzlich aus den Augen verloren und die poetischfabulistische Einkleidung zur Hauptsache gemacht; er war ein angenehmer und vielgelesener Autor, aber nichts weniger als ein Philosoph. Menippos war es ebensowenig, sondern der echteste literarische Vertreter derjenigen Philosophie, deren Weisheit darin besteht, die Philosophie zu leugnen und die Philosophen zu verhoehnen, der Hundeweisheit des Diogenes; ein lustiger Meister ernsthafter Weisheit, bewies er in Exempeln und Schnurren, dass ausser dem rechtschaffenen Leben alles auf Erden und im Himmel eitel sei, nichts aber eitler als der Hader der sogenannten Weisen. Dies waren die rechten Muster fuer Varro, einen Mann voll altroemischen Unwillens ueber die erbaermliche Zeit und voll altroemischer Laune, dabei durchaus nicht ohne plastisches Talent, aber fuer alles, was nicht wie Bild und Tatsache aussah, sondern wie Begriff oder gar wie System, vollstaendig vernagelt und vielleicht den unphilosophischsten unter den unphilosophischen Roemern ^12. Allein Varro war kein unfreier Schueler. Die Anregung und im allgemeinen die Form entlehnte er von Herakleides und Mennippos; aber er war eine zu individuelle und zu entschieden roemische Natur, um nicht seine Nachschoepfungen wesentlich selbstaendig und national zu halten. Fuer seine ernsten Abhandlungen, in denen ein moralischer Satz oder sonst ein Gegenstand von allgemeinem Interesse behandelt ward, verschmaehte er in der Fabulierung an die Milesischen Maerchen zu streifen, wie Herakleides es getan, und so gar kinderhafte Geschichten wie die vom Abaris und von dem nach siebentaegigem Tode wieder zum Leben erwachenden Maedchen dem Leser aufzutischen. Nur selten entnahm er die Einkleidung den edleren Mythen der Griechen, wie in dem Aufsatz ’Orestes oder vom Wahnsinn’; regelmaessig gab ihm einen wuerdigeren Rahmen fuer seine Stoffe die Geschichte, namentlich die gleichzeitige vaterlaendische, wodurch diese Aufsaetze zugleich, wie sie auch heissen, ’Lobschriften’ wurden auf geachtete Roemer, vor allem auf die Koryphaeen der Verfassungspartei. So war die Abhandlung ’Vom Frieden’ zugleich eine Denkschrift auf Metellus Pius, den letzten in der glaenzenden Reihe der gluecklichen Feldherrn des Senats; die ’Von der Goetterverehrung’ zugleich bestimmt, das Andenken an den hochgeachteten Optimaten und Pontifex Gaius Curio zu bewahren; der Aufsatz ’Ueber das Schicksal’ knuepfte an Marius an, der ’Ueber die Geschichtschreibung’ an den ersten Historiker dieser Epoche, Sisenna, der ’Ueber die Anfaenge der roemischen Schaubuehne’ an den fuerstlichen Spielgeber Scaurus, der ’Ueber die Zahlen’ an den feingebildeten roemischen Bankier Atticus. Die beiden philosophisch-historischen Aufsaetze ’Laelius oder von der Freundschaft, ’Cato oder vom Alter’, welche Cicero, wahrscheinlich nach dem Muster der Varronischen, schrieb, moegen von Varros halb lehrhafter, halb erzaehlender Behandlung dieser Stoffe ungefaehr eine Vorstellung geben. ------------------------------------------------------ ^11 "Mir als Knaben", sagt er irgendwo, "genuegte ein einziger Flausrock und ein einziges Unterkleid, Schuhe ohne Struempfe, ein Pferd ohne Sattel; ein warmes Bad hatte ich nicht taeglich, ein Flussbad selten." Wegen seiner persoenlichen Tapferkeit erhielt er im Piratenkrieg, wo er eine Flottenabteilung fuehrte, den Schiffskranz. ^12 Etwas Kindischeres gibt es kaum als Varros Schema der saemtlichen Philosophien, das erstlich alle nicht die Beglueckung des Menschen als letztes Ziel aufstellenden Systeme kurzweg fuer nicht vorhanden erklaert und dann die Zahl der unter dieser Voraussetzung denkbaren Philosophien auf zweihundertachtundachtzig berechnet. Der tuechtige Mann war leider zu sehr Gelehrter um einzugestehen, dass er Philosoph weder sein koenne noch sein moege, und hat deshalb als solcher zeit seines Lebens zwischen Stoa, Pythagoreismus und Diogenismus einen nicht schoenen Eiertanz aufgefuehrt. ------------------------------------------------------ Ebenso originell in Form und Inhalt ward von Varro die Menippische Satire behandelt; die dreiste Mischung von Prosa und Versen ist dem griechischen Original fremd und der ganze geistige Inhalt von roemischer Eigentuemlichkeit, man moechte sagen von sabinischem Erdgeschmack durchdrungen. Auch diese Satiren behandeln, wie die philosophisch-historischen Aufsaetze, irgendein moralisches oder sonst fuer das groessere Publikum geeignetes Thema, wie dies schon einzelne Titel zeigen: ’Hercules’ Saeulen oder vom Ruhm’; ’Der Topf findet den Deckel oder von den Pflichten des Ehemanns’; ’Der Nachttopf hat sein Mass oder vom Zechen’; ’Papperlapapp oder von der Lobrede’. Die plastische Einkleidung, die auch hier nicht fehlen durfte, ist natuerlich der vaterlaendischen Geschichte nur selten entlehnt, wie in der Satire ’Serranus oder von den Wahlen’. Dagegen spielt die Diogenische Hundewelt wie billig eine grosse Rolle: es begegnen der Hund Gelehrter, der Hund Rhetor, der Ritter-Hund, der Wassertrinker-Hund, der Hundekatechismus und dergleichen mehr. Ferner wird die Mythologie zu komischen Zwecken in Kontribution gesetzt: wir finden einen ’Befreiten Prometheus’, einen ’Strohernen Aias’, einen ’Herkules Sokratiker’, einen ’Anderthalb Odysseus’, der nicht bloss zehn, sondern fuenfzehn Jahre in Irrfahrten sich umhergetrieben hat. Der dramatisch-novellistische Rahmen schimmert in einzelnen Stuecken, zum Beispiel im ’Befreiten Prometheus’, in dem ’Mann von sechzig Jahren’, im ’Fruehauf’ noch aus den Truemmern hervor; es scheint, dass Varro die Fabel haeufig, vielleicht regelmaessig als eigenes Erlebnis erzaehlte, wie zum Beispiel im ’Fruehauf’ die handelnden Personen zum Varro hingehen und ihm Vortrag halten, "da er als Buechermacher ihnen bekannt war". Ueber den poetischen Wert dieser Einkleidung ist uns ein sicheres Urteil nicht mehr gestattet; einzeln begegnen noch in unseren Truemmern allerliebste Schilderungen voll Witz und Lebendigkeit - so eroeffnet im ’Befreiten Prometheus’ der Heros nach Loesung seiner Fesseln eine Menschenfabrik, in welcher Goldschuh, der Reiche, sich ein Maedchen bestellt von Milch und feinstem Wachs, wie es die milesischen Bienen aus mannigfachen Blueten sammeln, ein Maedchen ohne Knochen und Sehnen, ohne Haut und Haar, rein und fein, schlank, glatt, zart, allerliebst. Der Lebensatem dieser Dichtung ist die Polemik - nicht so sehr die politische der Partei, wie Lucilius und Catullus sie uebten, sondern die allgemeine sittliche des strengen Alten gegen die zuegellose und verkehrte Jugend, des in seinen Klassikern lebenden Gelehrten gegen die lockere und schofle oder doch ihrer Tendenz nach verwerfliche moderne Poesie ^13, des guten Buergers von altem Schlag gegen das neue Rom, in dem der Markt, mit Varro zu reden, ein Schweinestall ist und Numa, wenn er auf seine Stadt den Blick wendet, keine Spur seiner weisen Satzungen mehr gewahrt. Varro tat in dem Verfassungskampf, was ihm Buergerpflicht schien; aber sein Herz war bei diesem Parteitreiben nicht - "warum", klagt er einmal, "riefet ihr mich aus meinem reinen Leben in den Rathausschmutz?" Er gehoerte der guten alten Zeit an, wo die Rede nach Zwiebeln und Knoblauch duftete, aber das Herz gesund war. Nur eine einzelne Seite dieser altvaeterischen Opposition gegen den Geist der neuen Zeit ist die Polemik gegen die Erbfeinde des echten Roemertums, die griechischen Weltweisen; aber es lag sowohl im Wesen der Hundephilosophie als in Varros Naturell, dass die menippische Geissel ganz besonders den Philosophen um die Ohren schwirrte und sie denn auch in angemessene Angst versetzte - nicht ohne Herzklopfen uebersandten die philosophischen Skribenten der Zeit dem "scharfen Mann" ihre neu erschienenen Traktate. Das Philosophieren ist wahrlich keine Kunst. Mit dem zehnten Teil der Muehe, womit der Herr den Sklaven zum Kunstbaecker erzieht, bildet er selbst sich zum Philosophen; freilich, wenn dann der Baecker und der Philosoph beide unter den Hammer kommen, geht der Kuchenkuenstler hundertmal teurer weg als der Weltweise. Sonderbare Leute, diese Philosophen! Der eine befiehlt, die Leichen in Honig beizusetzen - ein Glueck, dass man ihm nicht den Willen tut, wo bliebe sonst der Honigwein? Der andere meint, dass die Menschen wie die Kresse aus der Erde gewachsen sind. Der dritte hat einen Weltbohrer erfunden, durch den die Erde einst untergehen wird. -------------------------------------------------------- ^13 "Willst du etwa", schreibt er einmal, "die Redefiguren und Verse des Quintussklaven Clodius abgurgeln und ausrufen: O Geschick! o Schicksalsgeschick!" Anderswo: "Da der Quintussklave Clodius eine solche Anzahl von Komoedien ohne irgendeine Muse gemacht hat, sollte ich da nicht einmal ein einziges Buechlein mit Ennius zu reden ’fabrizieren’ koennen?" Dieser sonst nicht bekannte Clodius muss wohl ein schlechter Nachahmer des Terenz gewesen sein, da zumal jene ihm spoettisch heimgegebenen Worte: "O Geschick! o Schicksalsgeschick!" in einem Terenzischen Lustspiel sich wiederfinden. Die folgende Selbstvorstellung eines Poeten in Varros ’Esel beim Lautenspiel’: Schueler mich heisst man Pacuvs; er dann war des Ennius Schueler, Dieser der Musen; ich selbst nenne Pompilius mich koennte fueglich die Einleitung des Lucretius parodieren, dem Varro schon als abgesagter Feind des epikurischen Systems nicht geneigt gewesen sein kann und den er nie anfuehrt. -------------------------------------------------------- Gewiss, niemals hat ein Kranker etwas je getraeumt So toll, was nicht gelehrt schon haette ein Philosoph. Es ist spasshaft anzusehen, wie so ein Langbartder etymologisierende Stoiker ist gemeint - ein jedes Wort bedaechtig auf der Goldwaage waegt; aber nichts geht doch ueber den echten Philosophenzank - ein stoischer Faustkampf uebertrifft weit jede Athletenbalgerei. In der Satire ’Die Marcusstadt oder vom Regimente’, wo Marcus sich ein Wolkenkuckucksheim nach seinem Herzen schuf, erging es, ebenwie in dem attischen, dem Bauern gut, dem Philosophen aber uebel; der Schnell-durch-ein-Glied-Beweis (Celer-di?-enos-l/e/mmatos-logos), Antipatros, des Stoikers Sohn, schlaegt darin seinem Gegner, offenbar dem philosophischen Zweiglied (Dilemma), mit der Feldhacke den Schaedel ein. Mit dieser sittlich polemischen Tendenz und diesem Talent, einen kaustischen und pittoresken Ausdruck fuer sie zu finden, das, wie die dialogische Einkleidung der im achtzigsten Jahre geschriebenen Buecher vom Landbau beweist, bis in das hoechste Alter ihn nicht verliess, vereinigte sich auf das gluecklichste Varros unvergleichliche Kunde der nationalen Sitte und Sprache, die in den philologischen Schriften seines Greisenalters kollektaneenartig, hier aber in ihrer ganzen unmittelbaren Fuelle und Frische sich entfaltet. Varro war im besten und vollsten Sinne des Wortes ein Lokalgelehrter, der seine Nation in ihrer ehemaligen Eigentuemlichkeit und Abgeschlossenheit wie in ihrer modernen Verschliffenheit und Zerstreuung aus vieljaehriger eigener Anschauung kannte und seine unmittelbare Kenntnis der Landessitte und Landessprache durch die umfassendste Durchforschung der geschichtlichen und literarischen Archive ergaenzt und vertieft hatte. Was insofern an verstandesmaessiger Auffassung und Gelehrsamkeit in unserem Sinn ihm abging, das gewann die Anschauung und die in ihm lebendige Poesie. Er haschte weder nach antiquarischen Notizen noch nach seltenen veralteten oder poetischen Woertern ^14; aber er selbst war ein alter und altfraenkischer Mann und beinah ein Bauer, die Klassiker seiner Nation ihm liebe, langgewohnte Genossen; wie konnte es fehlen, dass von der Sitte der Vaeter, die er ueber alles liebte und vor allen kannte, gar vielerlei in seinen Schriften erzaehlt ward, und dass seine Rede ueberfloss von sprichwoertlichen griechischen und lateinischen Wendungen, von guten alten, in der sabinischen Umgangssprache bewahrten Woertern, von Ennianischen, Lucilischen, vor allem Plautinischen Reminiszenzen? Den Prosastil dieser aesthetischen Schriften aus Varros frueherer Zeit darf man sich nicht vorstellen nach dem seines im hohen Alter geschriebenen und wahrscheinlich im unfertigen Zustand veroeffentlichten sprachwissenschaftlichen Werkes, wo allerdings die Satzglieder am Faden der Relative aufgereiht werden wie die Drosseln an der Schnur; dass aber Varro grundsaetzlich die strenge Stilisierung und die attische Periodisierung verwarf, wurde frueher schon bemerkt, und seine aesthetischen Aufsaetze waren zwar ohne den gemeinen Schwulst und die falschen Flitter des Vulgarismus, aber in mehr lebendig gefuegten als wohl gegliederten Saetzen unklassisch und selbst schluderig geschrieben. Die eingelegten Poesien dagegen bewiesen nicht bloss, dass ihr Urheber die mannigfaltigsten Masse meisterlich wie nur einer der Modepoeten zu bilden verstand, sondern auch, dass er ein Recht hatte, denen sich zuzuzaehlen, welchen ein Gott es vergoennt hat, "die Sorgen aus dem Herzen zu bannen durch das Lied und die heilige Dichtkunst" ^15. Schule machte die Varronische Skizze so wenig wie das Lucretische Lehrgedicht; zu den allgemeineren Ursachen kam hier noch hinzu das durchaus individuelle Gepraege derselben, welches unzertrennlich war von dem hoeheren Alter, der Bauernhaftigkeit und selbst von der eigenartigen Gelehrsamkeit ihres Verfassers. Aber die Anmut und Laune vor allem der menippischen Satiren, welche an Zahl wie an Bedeutung Varros ernsteren Arbeiten weit ueberlegen gewesen zu sein scheinen, fesselte die Zeitgenossen sowohl wie diejenigen Spaeteren, die fuer Originalitaet und Volkstuemlichkeit Sinn hatten; und auch wir noch, denen es nicht mehr vergoennt ist, sie zu lesen, moegen aus den erhaltenen Bruchstuecken einigermassen es nachempfinden, dass der Schreiber "es verstand, zu lachen und mit Mass zu scherzen". Und schon als der letzte Hauch des scheidenden guten Geistes der alten Buergerzeit, als der juengste gruene Spross, den die volkstuemliche lateinische Poesie getrieben hat, verdienten es Varros Satiren, dass der Dichter in seinem poetischen Testament diese seine menippischen Kinder jedem empfahl, Dem da Romas liegt und Latiums Bluehen am Herzen, und sie behaupten denn auch einen ehrenvollen Platz in der Literatur wie in der Geschichte des italischen Volkes ^16. ---------------------------------------------- ^14 Er selbst sagt einmal treffend, dass er veraltete Woerter nicht besonders liebe, aber oefter brauche, poetische Woerter sehr liebe, aber nicht brauche. ^15 Die folgende Schilderung ist dem ’Marcussklaven’ entnommen: Auf einmal, um die Zeit der Mitternacht etwa, Als uns mit Feuerflammen weit und breit gestickt Der luftige Raum den Himmelssternenreigen wies, Umschleierte des Himmels goldenes Gewoelb Mit kuehlem Regenflor der raschen Wolken Zug, Hinab das Wasser schuettend auf die Sterblichen, Und schossen, los sich reissend von dem eisigen Pol, Die Wind’, heran, des Grossen Baeren tolle Brut, Fortfuehrend mit sich Ziegel, Zweig’ und Wetterwust. Doch wir, gestuerzt, schiffbruechig, gleich der Stoerche Schwarm, Die an zweizackigen Blitzes Glut die Fluegel sich Versengt, wir fielen traurig jaeh zur Erd’ hinab. In der ’Menschenstadt’ heisst es: Nicht wird frei dir die Brust durch Gold und Fuelle der Schaetze; Nicht dem Sterblichen nimmt von der Seele der persische Goldberg Sorg’ und Furcht, und auch der Saal nicht Crassus des Reichen. Aber auch leichtere Weise gelang dem Dichter. In ’Der Topf hat sein Mass’ stand folgender zierliche Lobspruch auf den Wein: Es bleibt der Wein fuer jedermann der beste Trank. Er ist das Mittel, das den Kranken macht gesund; Er ist der suesse Keimeplatz der Froehlichkeit, Er ist der Kitt, der Freundeskreis zusammenhaelt. Und in dem ’Weltbohrer’ schliesst der heimkehrende Wandersmann also seinen Zuruf an die Schiffer: Lasst schiessen die Zuegel dem leisesten Hauch, Bis dass uns des frischeren Windes Geleit Rueckfuehrt in die liebliche Heimat! ^16 Die Skizzen Varros haben eine so ungemeine historische und selbst poetische Bedeutsamkeit und sind doch infolge der truemmerhaften Gestalt, in der uns die Kunde davon zugekommen ist, so wenigen bekannt und so verdriesslich kennenzulernen, dass es wohl erlaubt sein wird, einige derselben hier mit der wenigen zur Lesbarkeit unumgaenglichen Restauration zu resuemieren. Die Satire ’Fruehauf’ schildert die laendliche Haushaltung. "Fruehauf ruft mit der Sonne zum Aufstehen und fuehrt selbst die Leute auf den Arbeitsplatz. Die Jungen machen selbst sich ihr Bett, das die Arbeit ihnen weich macht, und stellen sich selber Wasserkrug und Lampe dazu. Der Trank ist der klare frische Quell, die Kost Brot und als Zubrot Zwiebeln. In Haus und Feld gedeiht alles. Das Haus ist kein Kunstbau; aber der Architekt koennte Symmetrie daran lernen. Fuer den Acker wird gesorgt, dass er nicht unordentlich und wuest in Unsauberkeit und Vernachlaessigung verkomme; dafuer wehrt die dankbare Ceres den Schaden von der Frucht, dass die Schober hochgeschichtet das Herz des Landmannes erfreuen. Hier gilt noch das Gastrecht; willkommen ist, wer nur Muttermilch gesogen hat. Brotkammer und Weinfass und der Wurstvorrat am Hausbalken, Schluessel und Schloss sind dem Wandersmann dienstwillig, und hoch tuermen vor ihm die Speisen sich auf; zufrieden sitzt der gesaettigte Gast, nicht vornoch rueckwaerts schauend, nickend am Herde in der Kueche. Zum Lager wird der waermste doppelwollige Schafpelz fuer ihn ausgebreitet. Hier gehorcht man noch als guter Buerger dem gerechten Gesetz, das weder aus Missgunst Unschuldigen zu nahe tritt, noch aus Gunst Schuldigen verzeiht. Hier redet man nicht Boeses wider den Naechsten. Hier rekelt man nicht mit den Fuessen auf dem heiligen Herd, sondern ehrt die Goetter mit Andacht und mit Opfern, wirft dem Hausgeist sein Stueckchen Fleisch in das bestimmte Schuesselchen und geleitet, wenn der Hausherr stirbt, die Bahre mit demselben Gebet, mit welchem die des Vaters und des Grossvaters hinweggetragen wurde." In einer anderen Satire tritt ein "Lehrer der Alten auf, dessen die gesunkene Zeit dringender zu beduerfen scheint als des Jugendlehrers, und setzt auseinander, "wie einst alles in Rom keusch und fromm war und jetzt alles so ganz anders ist". "Truegt mich mein Auge oder sehe ich Sklaven in Waffen gegen ihre Herren? - Einst ward, wer zur Aushebung sich nicht stellte, von Staats wegen als Sklave in die Fremde verkauft; jetzt heisst [der Aristokratie, 2, 225; 3, 358; 4, 103 u. 330] der Zensor, der Feigheit und alles hingehen laesst, ein grosser Buerger und erntet Lob, dass er nicht darauf aus ist, sich durch Kraenkung der Mitbuerger einen Namen zu machen. - Einst liess der roemische Bauer sich alle Woche einmal den Bart scheren; jetzt kann der Ackersklave es nicht fein genug haben. - Einst sah man auf den Guetern einen Kornspeicher, der zehn Ernten fasste, geraeumige Keller fuer die Weinfaesser und entsprechende Keltern; jetzt haelt der Herr sich Pfauenherden und laesst seine Tueren mit afrikanischem Zypressenholz einlegen. - Einst drehte die Hausfrau mit der Hand die Spindel und hielt dabei den Topf auf dem Herd im Auge, damit der Brei nicht verbrenne; jetzt" - heisst es in einer andern Satire -"bettelt die Tochter den Vater um ein Pfund Edelsteine, das Weib den Mann um einen Scheffel Perlen an. - Einst war der Mann in der Brautnacht stumm und bloede; jetzt gibt die Frau sich dem ersten besten Kutscher preis. - Einst war der Kindersegen der Stolz des Weibes, jetzt, wenn der Mann sich Kinder wuenscht, antwortet sie: Weisst du nicht, was Ennius sagt?: Lieber will ich ja das Leben dreimal wagen in der Schlacht, Als ein einzig Mal gebaeren. - Einst war die Frau vollkommen zufrieden, wenn der Mann einoder zweimal im Jahre sie in dem ungepolsterten Wagen ueber Land fuhr"; jetzt - konnte er hinzusetzen (vgl. Cic. Mil. 21, 55) - schmollt die Frau, wenn der Mann ohne sie auf sein Landgut geht, und folgt der reisenden Dame das elegante griechische Bedientengesindel und die Kapelle nach auf die Villa." In einer Schrift der ernsteren Gattung ’Catus oder die Kinderzucht’ belehrt Varro den Freund, der ihn deswegen um Rat gefragt, nicht bloss ueber die Gottheiten, denen nach altem Brauch fuer der Kinder Wohl zu opfern war, sondern, hinweisend auf die verstaendigere Kindererziehung der Perser und auf seine eigene streng verlebte Jugend, warnt er vor ueberfuettern und ueberschlafen, vor suessem Brot und feiner Kost - die jungen Hunde, meint der Alte, werden jetzt verstaendiger genaehrt als die Kinder -, ebenso vor dem Besiebnen und Besegnen, das in Krankheitsfaellen so oft die Stelle des aerztlichen Rates vertrat. Er raet, die Maedchen zum Sticken anzuhalten, damit sie spaeter die Stickereien und Webereien richtig zu beurteilen verstaenden, und sie nicht zu frueh das Kinderkleid ablegen zu lassen; er warnt davor, die Knaben in die Fechterspiele zu fuehren, in denen frueh das Herz verhaertet und die Grausamkeit gelernt wird. In dem ’Mann von sechzig Jahren’ erscheint Varro als ein roemischer Epimenides, der, als zehnjaehriger Knabe eingeschlafen, nach einem halben Jahrhundert wiedererwacht. Er staunt darueber, statt seines glattgeschorenen Knabenkopfes ein altes Glatzhaupt wiederzufinden, mit haesslicher Schnauze und wuesten Borsten gleich dem Igel; mehr noch aber staunt er ueber das verwandelte Rom. Die lucrinischen Austern, sonst eine Hochzeitschuessel, sind jetzt ein Alltagsgericht; dafuer ruestet denn auch der bankrotte Schlemmer im stillen die Brandfackel. Wenn sonst der Vater dem Knaben vergab, so ist jetzt das Vergeben an den Knaben gekommen; das heisst, er vergibt dem Vater mit Gift. Der Wahlplatz ist zur Boerse geworden, der Kriminalprozess zur Goldgrube fuer die Geschworenen. Keinem Gesetze wird noch gehorcht, ausser dem einen, dass nichts fuer nichts gegeben wird. Alle Tugenden sind geschwunden; dafuer begruessen den Erwachten als neue Insassen die Gotteslaesterung, die Wortlosigkeit, die Geilheit. "O wehe dir, Marcus, ueber solchen Schlaf und solches Erwachen!" Die Skizze gleicht der catilinarischen Zeit, kurz nach welcher (um 697 57) sie der alte Mann geschrieben haben muss, und es lag eine Wahrheit in der bitteren Schlusswendung, wo der Marcus, gehoerig ausgescholten wegen seiner unzeitgemaessen Anklagen und antiquarischen Reminiszenzen, mit parodischer Anwendung einer uralten roemischen Sitte, als unnuetzer Greis auf die Bruecke geschleppt und in den Tiber gestuerzt wird. Es war allerdings fuer solche Maenner in Rom kein Platz mehr. ---------------------------------------------- Zu einer kritischen Geschichtschreibung in der Art, wie die Nationalgeschichte von den Attikern in ihrer klassischen Zeit, wie die Weltgeschichte von Polybios geschrieben ward, ist man in Rom eigentlich niemals gelangt. Selbst auf dem dafuer am meisten geeigneten Boden, in der Darstellung der gleichzeitigen und der juengst vergangenen Ereignisse, blieb es im ganzen bei mehr oder minder unzulaenglichen Versuchen; in der Epoche namentlich von Sulla bis auf Caesar wurden die nicht sehr bedeutenden Leistungen, welche die vorhergehende auf diesem Gebiet aufzuweisen hatte, die Arbeiten Antipaters und Asellios, kaum auch nur erreicht. Das einzige diesem Gebiete angehoerende namhafte Werk, das in der gegenwaertigen Epoche entstand, ist des Lucius Cornelius Sisenna (Praetor 676 78) Geschichte des Bundesgenossenund Buergerkrieges. Von ihr bezeugen die, welche sie lasen, dass sie an Lebendigkeit und Lesbarkeit die alten trockenen Chroniken weit uebertraf, dafuer aber in einem durchaus unreinen und selbst in das Kindische verfallenden Stil geschrieben war; wie denn auch die wenigen uebrigen Bruchstuecke eine kleinliche Detailmalerei des Graesslichen ^17 und eine Menge neugebildeter oder der Umgangssprache entnommener Woerter aufzeigen. Wenn noch hinzugefuegt wird, dass das Muster des Verfassers und sozusagen der einzige ihm gelaeufige griechische Historiker Kleitarchos war, der Verfasser einer zwischen Geschichte und Fiktion schwankenden Biographie Alexanders des Grossen in der Art des Halbromans, der den Namen des Curtius traegt, so wird man nicht anstehen, in Sisennas vielgeruehmtem Geschichtswerk nicht ein Erzeugnis echter historischer Kritik und Kunst zu erkennen, sondern den ersten roemischen Versuch in der bei den Griechen so beliebten Zwittergattung von Geschichte und Roman, welche das tatsaechliche Grundwerk durch erfundene Ausfuehrung lebendig und interessant machen moechte und es dadurch schal und unwahr macht; und es wird nicht ferner Verwunderung erregen demselben Sisenna auch als Uebersetzer griechischer Moderomane zu begegnen. ---------------------------------------------- ^17 "Die Unschuldigen", hiess es in einer Rede, "zitternd an allen Gliedern, schleppst du heraus und am hohen Uferrande des Flusses beim Morgengrauen (laessest du sie schlachten)." Solche ohne Muehe einer Taschenbuchsnovelle einzufuegende Phrasen begegnen mehrere. ---------------------------------------------- Dass es auf dem Gebiet der allgemeinen Stadtund gar der Weltchronik noch weit erbaermlicher aussah, lag in der Natur der Sache. Die steigende Regsamkeit der antiquarischen Forschung liess erwarten, dass aus Urkunden und sonstigen zuverlaessigen Quellen die gangbare Erzaehlung rektifiziert werden wuerde; allein diese Hoffnung erfuellte sich nicht. Je mehr und je tiefer man forschte, desto deutlicher trat es hervor, was es hiess, eine kritische Geschichte Roms schreiben. Schon die Schwierigkeiten, die der Forschung und Darstellung sich entgegenstellten, waren unermesslich; aber die bedenklichsten Hindernisse waren nicht die literarischer Art. Die konventionelle Urgeschichte Roms, wie sie jetzt seit wenigstens zehn Menschenaltern erzaehlt und geglaubt ward, war mit dem buergerlichen Leben der Nation aufs innigste zusammengewachsen; und doch musste bei jeder eingehenden und ehrlichen Forschung nicht bloss einzelnes hie und da modifiziert, sondern das ganze Gebaeude so gut umgeworfen werden wie die fraenkische Urgeschichte vom Koenig Pharamund und die britische vom Koenig Arthur. Ein konservativ gesinnter Forscher, wie zum Beispiel Varro war, konnte an dieses Werk nicht Hand legen wollen; und haette ein verwegener Freigeist sich dazu gefunden, so wuerde gegen diesen schlimmsten aller Revolutionaere, der der Verfassungspartei sogar ihre Vergangenheit zu nehmen Anstalt machte, von allen guten Buergern das "Kreuzige" erschollen sein. So fuehrte die philologische und antiquarische Forschung von der Geschichtschreibung mehr ab als zu ihr hin. Varro und die Einsichtigeren ueberhaupt gaben die Chronik als solche offenbar verloren; hoechstens dass man, wie Titus Pomponius Atticus tat, die Beamtenund Geschlechtsverzeichnisse in tabellarischer Anspruchslosigkeit zusammenstellte - ein Werk uebrigens, durch das die synchronistische griechisch-roemische Jahrzaehlung in der Weise, wie sie den Spaeteren konventionell feststand, zum Abschluss gefuehrt worden ist. Die Stadtchronikenfabrik stellte aber darum ihre Taetigkeit natuerlich nicht ein, sondern fuhr fort zu der grossen, von der Langenweile fuer die Langeweile geschriebenen Bibliothek ihre Beitraege so gut in Prosa wie in Versen zu liefern, ohne dass die Buchmacher, zum Teil bereits Freigelassene, um die eigentliche Forschung irgend sich bekuemmert haetten. Was uns von diesen Schriften genannt wird - erhalten ist keine derselben -, scheint nicht bloss durchaus untergeordneter Art, sondern grossenteils sogar von unlauterer Faelschung durchdrungen gewesen zu sein. Zwar die Chronik des Quintus Claudius Quadrigarius (um 676? 78) war in einem altmodischen, aber guten Stil geschrieben und befliss in der Darstellung der Fabelzeit sich wenigstens einer loeblichen Kuerze. Aber wenn Gaius Licinius Macer (+ als gewesener Praetor 688 66), des Dichters Calvus Vater und ein eifriger Demokrat, mehr als irgendein anderer Chronist auf Urkundenforschung und Kritik Anspruch machte, so sind seine "leinenen Buecher" und anderes ihm Eigentuemliche im hoechsten Grade verdaechtig und wird wahrscheinlich eine sehr umfassende und zum Teil in die spaeteren Annalisten uebergegangene Interpolation der gesamten Chronik zu demokratischtendenzioesen Zwecken auf ihn zurueckgehen. Valerius Antias endlich uebertraf in der Weitlaeufigkeit wie in der kindischen Fabulierung alle seine Vorgaenger. Die Zahlenluege war hier systematisch bis auf die gleichzeitige Geschichte herab durchgefuehrt und die Urgeschichte Roms aus dem Platten abermals ins Platte gearbeitet; wie denn zum Beispiel die Erzaehlung, in welcher Art der weise Numa nach Anweisung der Nymphe Egeria die Goetter Faunus und Picus mit Weine fing, und die schoene, von selbigem Numa hierauf mit Gott Jupiter gepflogene Unterhaltung allen Verehrern der sogenannten Sagengeschichte Roms nicht dringend genug empfohlen werden koennen, um womoeglich auch sie, versteht sich ihrem Kerne nach, zu glauben. Es waere ein Wunder gewesen, wenn die griechischen Novellenschreiber dieser Zeit solche fuer sie wie gemachte Stoffe sich haetten entgehen lassen. In der Tat fehlte es auch nicht an griechischen Literaten, welche die roemische Geschichte zu Romanen verarbeiteten: eine solche Schrift waren zum Beispiel des schon unter den in Rom lebenden griechischen Literaten erwaehnten Polyhistors Alexandros fuenf Buecher ’Ueber Rom’, ein widerwaertiges Gemisch abgestandener historischer Ueberlieferung und trivialer, vorwiegend erotischer Erfindung. Er vermutlich hat den Anfang dazu gemacht, das halbe Jahrtausend, welches mangelte, um Troias Untergang und Roms Entstehung in den durch die beiderseitigen Fabeln geforderten chronologischen Zusammenhang zu bringen, auszufuellen mit einer jener tatenlosen Koenigslisten, wie sie den aegyptischen und griechischen Chronisten leider gelaeufig waren; denn allem Anschein nach ist er es, der die Koenige Aventinus und Tiberinus und das albanische Silviergeschlecht in die Welt gesetzt hat, welche dann im einzelnen mit Namen, Regierungszeit und mehrerer Anschaulichkeit wegen auch einem Konterfei auszustatten die Folgezeit nicht versaeumte. So dringt von verschiedenen Seiten her der historische Roman der Griechen in die roemische Historiographie ein; und es ist mehr als wahrscheinlich, dass von dem, was man heute Tradition der roemischen Urzeit zu nennen gewohnt ist, nicht der kleinste Teil aus Quellen herruehrt von dem Schlage der ’Amadis von Gallien’ und der Fouqueschen Ritterromane - eine erbauliche Betrachtung wenigstens fuer diejenigen, die Sinn haben fuer den Humor der Geschichte und die Komik der noch in gewissen Zirkeln des neunzehnten Jahrhunderts fuer Koenig Numa gehegten Pietaet zu wuerdigen verstehen. Neu ein in die roemische Literatur tritt in dieser Epoche neben der Landesdie Universaloder, richtiger gesagt, die zusammengefasste roemisch-hellenische Geschichte. Cornelius Nepos aus Ticinum (ca. 650 - ca. 725 100-30) liefert zuerst eine allgemeine Chronik (herausgegeben vor 700 54) und eine nach gewissen Kategorien geordnete allgemeine Biographiensammlung politisch oder literarisch ausgezeichneter roemischer und griechischer oder doch in die roemische oder griechische Geschichte eingreifender Maenner. Diese Arbeiten schliessen an die Universalgeschichten sich an, wie sie die Griechen schon seit laengerer Zeit schrieben; und ebendiese griechischen Weltchroniken begannen jetzt auch, wie zum Beispiel die im Jahre 698 (56) abgeschlossene des Kastor, Schwiegersohns des galatischen Koenigs Deiotarus, die bisher von ihnen vernachlaessigte roemische Geschichte in ihren Kreis zu ziehen. Diese Arbeiten haben allerdings, ebenwie Polybios, versucht, an die Stelle der lokalen die Geschichte der Mittelmeerwelt zu setzen; aber was bei Polybios aus grossartig klarer Auffassung und tiefem geschichtlichen Sinn hervorging, ist in diesen Chroniken vielmehr das Produkt des praktischen Beduerfnisses fuer den Schulund den Selbstunterricht. Der kuenstlerischen Geschichtschreibung koennen diese Weltchroniken, Lehrbuecher fuer den Schulunterricht oder Handbuecher zum Nachschlagen, und die ganze damit zusammenhaengende, auch in lateinischer Sprache spaeterhin sehr weitschichtig gewordene Literatur kaum zugezaehlt werden; und namentlich Nepos selbst war ein reiner, weder durch Geist noch auch nur durch Planmaessigkeit ausgezeichneter Kompilator. Merkwuerdig und in hohem Grade charakteristisch ist die Historiographie dieser Zeit allerdings, aber freilich so unerfreulich wie die Zeit selbst. Das Ineinandergreifen der griechischen und der lateinischen Literatur tritt auf keinem Gebiet so deutlich hervor wie auf dem der Geschichte; hier setzen die beiderseitigen Literaturen in Stoff und Form am fruehesten sich ins gleiche und die einheitliche Auffassung der hellenisch-italischen Geschichte, mit der Polybios seiner Zeit vorangeeilt war, lernte jetzt bereits der griechische wie der roemische Knabe in der Schule. Allein wenn der Mittelmeerstaat einen Geschichtschreiber gefunden hatte, ehe er seiner selbst sich bewusst worden war, so stand jetzt, wo dies Bewusstsein sich eingestellt hatte, weder bei den Griechen noch bei den Roemern ein Mann auf, der ihm den rechten Ausdruck zu leihen vermochte. Eine roemische Geschichtschreibung, sagt Cicero, gibt es nicht; und soweit wir urteilen koennen, ist dies nicht mehr als die einfache Wahrheit. Die Forschung wendet von der Geschichtschreibung sich ab, die Geschichtschreibung von der Forschung; die historische Literatur schwankt zwischen dem Schulbuch und dem Roman. Alle reinen Kunstgattungen, Epos, Drama, Lyrik, Historie, sind nichtig in dieser nichtigen Welt; aber in keiner Gattung spiegelt doch der geistige Verfall der ciceronischen Zeit in so grauenvoller Klarheit sich wieder wie in ihrer Historiographie. Die kleine historische Literatur dieser Zeit weist dagegen unter vielen geringfuegigen und verschollenen Produktionen eine Schrift ersten Ranges auf: die Memoiren Caesars oder vielmehr der militaerische Rapport des demokratischen Generals an das Volk, von dem er seinen Auftrag erhalten hatte. Der vollendete und allein von dem Verfasser selbst veroeffentlichte Abschnitt, der die keltischen Feldzuege bis zum Jahre 702 (52) schildert, hat offenbar den Zweck, das formell verfassungswidrige Beginnen Caesars, ohne Auftrag der kompetenten Behoerde ein grosses Land zu erobern und zu diesem Ende sein Heer bestaendig zu vermehren, so gut wie moeglich vor dem Publikum zu rechtfertigen; es ward geschrieben und bekannt gemacht im Jahre 703 (51), als in Rom der Sturm gegen Caesar losbrach und er aufgefordert ward, sein Heer zu entlassen und sich zur Verantwortung zu stellen ^18. Der Verfasser dieser Rechtfertigungsschrift schreibt, wie er auch selber sagt, durchaus als Offizier und vermeidet es sorgfaeltig, die militaerische Berichterstattung auf die bedenklichen Gebiete der politischen Organisation und Administration zu erstrecken. Seine in der Form eines Militaerberichts entworfene Gelegenheitsund Parteischrift ist selber ein Stueck Geschichte wie die Bulletins Napoleons, aber ein Geschichtswerk im rechten Sinne des Wortes ist sie nicht und soll sie nicht sein; die Objektivitaet der Darstellung ist nicht die historische, sondern die des Beamten. Allein in dieser bescheidenen Gattung ist die Arbeit meisterlich und vollendet wie keine andere in der gesamten roemischen Literatur. Die Darstellung ist immer knapp und nie karg, immer schlicht und nie nachlaessig, immer von durchsichtiger Lebendigkeit und nie gespannt oder manieriert. Die Sprache ist vollkommen rein von Archaismen wie von Vulgarismen, der Typus der modernen Urbanitaet. Den Buechern vom Buergerkrieg meint man es anzufuehlen, dass der Verfasser den Krieg hatte vermeiden wollen und nicht vermeiden koennen, vielleicht auch, dass in Caesars Seele wie in jeder anderen die Zeit der Hoffnung eine reinere und frischere war als die der Erfuellung; aber ueber die Schrift vom Gallischen Krieg ist eine helle Heiterkeit, eine einfache Anmut ausgegossen, welche nicht minder einzig in der Literatur dastehen wie Caesar in der Geschichte. ------------------------------------------------ ^18 Dass die Schrift ueber den Gallischen Krieg auf einmal publiziert worden ist, hat man laengst vermutet; den bestimmten Beweis dafuer liefert die Erwaehnung der Gleichstellung der Boier und der Haeduer schon im ersten Buch (c. 28), waehrend doch die Boier noch im siebenten (c. 10) als zinspflichtige Untertanen der Haeduer vorkommen und offenbar erst wegen ihres Verhaltens und desjenigen der Haeduer in dem Kriege gegen Vercingetorix gleiches Recht mit ihren bisherigen Herren erhielten. Andererseits wird, wer die Geschichte der Zeit aufmerksam verfolgt, in der Aeusserung ueber die Milonische Krise (7, 6) den Beweis finden, dass die Schrift vor dem Ausbruch des Buergerkrieges publiziert ward; nicht weil Pompeius hier gelobt wird, sondern weil Caesar daselbst die Ausnahmegesetze vom Jahr 702 (52) billigt. Dies konnte und musste er tun, solange er ein friedliches Abkommen mit Pompeius herbeizufuehren suchte, nicht aber nach dem Bruch, wo er die aufgrund jener fuer ihn verletzenden Gesetze erfolgten Verurteilungen umstiess. Darum ist die Veroeffentlichung dieser Schrift mit vollem Recht in das Jahr 703 (51) gesetzt worden. Die Tendenz der Schrift erkennt man am deutlichsten in der bestaendigen, oft, am entschiedensten wohl bei der aquitanischen Expedition, nicht gluecklichen Motivierung jedes einzelnen Kriegsakts als einer nach Lage der Dinge unvermeidlichen Defensivmassregel. Dass die Gegner Caesars Angriffe auf die Kelten und Deutschen vor allem als unprovoziert tadelten, ist bekannt (Suet. Caes. 24). ------------------------------------------------ Verwandter Art sind die Briefwechsel von Staatsmaennern und Literaten dieser Zeit, die in der folgenden Epoche mit Sorgfalt gesammelt und veroeffentlicht wurden: so die Korrespondenz von Caesar selbst, von Cicero, Calvus und andern. Den eigentlich literarischen Leistungen koennen sie noch weniger beigezaehlt werden; aber fuer die geschichtliche wie fuer jede andere Forschung war diese Korrespondenzliteratur ein reiches Archiv und das treueste Spiegelbild einer Epoche, in der so viel wuerdiger Gehalt vergangener Zeiten und so viel Geist, Geschicklichkeit und Talent im kleinen Treiben sich verfluechtigte und verzettelte. Eine Journalistik in dem heutigen Sinn hat bei den Roemern niemals sich gebildet; die literarische Polemik blieb angewiesen auf die Broschuerenliteratur und daneben allenfalls auf die zu jener Zeit allgemein verbreitete Sitte die fuer das Publikum bestimmten Notizen an oeffentlichen Orten mit dem Pinsel oder dem Griffel anzuschreiben. Dagegen wurden untergeordnete Individuen dazu verwandt, fuer die abwesenden Vornehmen die Tagesvorfaelle und Stadtneuigkeiten aufzuzeichnen; auch fuer die sofortige Veroeffentlichung eines Auszugs aus den Senatsverhandlungen traf Caesar schon in seinem ersten Konsulat geeignete Massregeln. Aus den Privatjournalen jener roemischen Penny-a-liners und diesen offiziellen laufenden Berichten entstand eine Art von hauptstaedtischem Intelligenzblatt (acta diurna), in dem das Resuemee der vor dem Volke und im Senat verhandelten Geschaefte, ferner Geburten, Todesfaelle und dergleichen mehr verzeichnet wurden. Dasselbe wurde eine nicht unwichtige geschichtliche Quelle, blieb aber ohne eigentliche politische wie ohne literarische Bedeutung. Zu der historischen Nebenliteratur gehoert von Rechts wegen auch die Redeschriftstellerei. Die Rede, aufgezeichnet oder nicht, ist ihrer Natur nach ephemer und gehoert der Literatur nicht an; indes kann sie, wie der Bericht und der Brief, und sie noch leichter als diese, durch die Praegnanz des Moments und die Macht des Geistes, denen sie entspringt, eintreten unter die bleibenden Schaetze der nationalen Literatur. So spielten denn auch in Rom die Aufzeichnungen der vor der Buergerschaft oder den Geschworenen gehaltenen Reden politischen Inhalts nicht bloss seit langem eine grosse Rolle in dem oeffentlichen Leben, sondern es wurden auch die Reden namentlich des Gaius Gracchus mit Recht gezaehlt zu den klassischen roemischen Schriften. In dieser Epoche aber tritt hier nach allen Seiten hin eine seltsame Verwandlung ein. Die politische Redeschriftstellerei ist im Sinken wie die Staatsrede selbst. Die politische Rede fand, in Rom wie ueberhaupt in den alten Politien, ihren Hoehepunkt in den Verhandlungen vor der Buergerschaft: hier fesselten den Redner nicht, wie im Senat, kollegialische Ruecksichten und laestige Formen, nicht, wie in den Gerichtsreden, die der Politik an sich fremden Interessen der Anklage und Verteidigung; hier allein schwoll ihm das Herz hoch vor der ganzen, an seinen Lippen hangenden grossen und maechtigen roemischen Volksgemeinde. Allein damit war es nun vorbei. Nicht als haette es an Rednern gemangelt oder an der Veroeffentlichung der vor der Buergerschaft gehaltenen Reden; vielmehr ward die politische Schriftstellerei jetzt erst recht weitlaeufig und es fing an, zu den stehenden Tafelbeschwerden zu gehoeren, dass der Wirt die Gaeste durch Vorlesung seiner neuesten Reden inkommodierte. Auch Publius Clodius liess seine Volksreden als Broschueren ausgehen, ebenwie Gaius Gracchus; aber es ist nicht dasselbe, wenn zwei Maenner dasselbe tun. Die bedeutenderen Fuehrer selbst der Opposition, vor allem Caesar selbst, sprachen zu der Buergerschaft nicht oft und veroeffentlichten nicht mehr die vor ihr gehaltenen Reden; ja sie suchten zum Teil fuer ihre politischen Flugschriften sich eine andere Form als die hergebrachte der Contionen, in welcher Hinsicht namentlich die Lobund Tadelschriften auf Cato bemerkenswert sind. Es ist das wohl erklaerlich. Gaius Gracchus hatte zur Buergerschaft gesprochen; jetzt sprach man zu dem Poebel; und wie das Publikum, so die Rede. Kein Wunder, wenn der reputierliche politische Schriftsteller auch die Einkleidung vermied, als habe er seine Worte an die auf dem Markte der Hauptstadt versammelten Haufen gerichtet. Wenn also die Redeschriftstellerei in ihrer bisherigen literarischen und politischen Geltung in derselben Weise verfaellt, wie alle naturgemaess aus dem nationalen Leben entwickelten Zweige der Literatur, so beginnt zugleich eine seltsame nichtpolitische Plaedoyerliteratur. Bisher hatte man nichts davon gewusst, dass der Advokatenvortrag als solcher, ausser fuer die Richter und die Parteien, auch noch fuer Mitund Nachwelt zur literarischen Erbauung bestimmt sei; kein Sachwalter hatte seine Plaedoyers aufgezeichnet und veroeffentlicht, wofern dieselben nicht etwa zugleich politische Reden waren und insofern sich dazu eigneten, als Parteischriften verbreitet zu werden, und auch dies war nicht gerade haeufig geschehen. Noch Quintus Hortensius (640-704 114-50), in den ersten Jahren dieser Periode der gefeiertste roemische Advokat, veroeffentlichte nur wenige und wie es scheint nur die ganz oder halb politischen Reden. Erst sein Nachfolger in dem Prinzipat der roemischen Sachwalter, Marcus Tullius Cicero (648-711 106-43), war von Haus aus ebensosehr Schriftsteller wie Gerichtsredner; er publizierte seine Plaedoyers regelmaessig und auch dann, wenn sie nicht oder nur entfernt mit der Politik zusammenhingen. Dies ist nicht Fortschritt, sondern Unnatur und Verfall. Auch in Athen ist das Auftreten der nichtpolitischen Advokatenreden unter den Gattungen der Literatur ein Zeichen der Krankheit; und zwiefach ist es dies in Rom, das diese Missbildung nicht wie Athen aus dem ueberspannten rhetorischen Treiben mit einer gewissen Notwendigkeit erzeugt, sondern willkuerlich und im Widerspruch mit den besseren Traditionen der Nation dem Ausland abgeborgt hat. Dennoch kam diese neue Gattung rasch in Aufnahme, teils weil sie mit der aelteren politischen Redeschriftstellerei vielfach sich beruehrte und zusammenfloss, teils weil das unpoetische, rechthaberische, rhetorisierende Naturell der Roemer fuer den neuen Samen einen guenstigen Boden darbot, wie ja denn noch heute die Advokatenrede und selbst eine Art von Prozessliteratur in Italien etwas bedeutet. Also erwarb die von der Politik emanzipierte Redeschriftstellerei das Buergerrecht in der roemischen Literatenwelt durch Cicero. Wir haben dieses vielseitigen Mannes schon mehrfach gedenken muessen. Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht, hat er nacheinander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchen figuriert und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien, waren die Fragen, auf die es ankam, regelmaessig eben abgetan: so trat er im Prozess des Verres gegen die Senatsgerichte auf, als sie bereits beseitigt waren; so schwieg er bei der Verhandlung ueber das Gabinische und verfocht das Manilische Gesetz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits feststand, und so weiter. Gegen Scheinangriffe war er gewaltig und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt; eine ernstliche Sache ist nie, weder im guten noch im boesen, durch ihn entschieden worden und vor allem die Hinrichtung der Catilinarier hat er weit mehr geschehen lassen als selber bewirkt. In literarischer Hinsicht ist es bereits hervorgehoben worden, dass er der Schoepfer der modernen lateinischen Prosa war; auf seiner Stilistik ruht seine Bedeutung, und allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefuehl. Als Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebenso tief wie als Staatsmann. Er hat in den mannigfaltigsten Aufgaben sich versucht, in unendlichen Hexametern Marius’ Grossund seine eigenen Kleintaten besungen, mit seinen Reden den Demosthenes, mit seinen philosophischen Gespraechen den Platon aus dem Felde geschlagen und nur die Zeit hat ihm gefehlt, um auch den Thukydides zu ueberwinden. Er war in der Tat so durchaus Pfuscher, dass es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pfluegte. Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinne des Wortes, an Worten, wie er selber sagt, ueberreich, an Gedanken ueber alle Begriffe arm, gab es kein Fach, worin er nicht mit Hilfe weniger Buecher rasch einen lesbaren Aufsatz uebersetzend oder kompilierend hergestellt haette. Am treuesten gibt seine Korrespondenz sein Bild wieder. Man pflegt sie interessant und geistreich zu nennen: sie ist es auch, solange sie das hauptstaedtische oder Villenleben der vornehmen Welt widerspiegelt; aber wo der Schreiber auf sich selbst angewiesen ist, wie im Exil, in Kilikien und nach der Pharsalischen Schlacht, ist sie matt und leer, wie nur je die Seele eines aus seinen Kreisen verschlagenen Feuilletonisten. Dass ein solcher Staatsmann und ein solcher Literat auch als Mensch nicht anders sein konnte als von schwach ueberfirnisster Oberflaechlichkeit und Herzlosigkeit, ist kaum noch noetig zu sagen. Sollen wir den Redner noch schildern? Der grosse Schriftsteller ist doch auch ein grosser Mensch; und vor allem dem grossen Redner stroemt die Ueberzeugung und die Leidenschaft klarer und brausender aus den Tiefen der Brust hervor als den duerftigen vielen, die nur zaehlen und nicht sind. Cicero hatte keine Ueberzeugung und keine Leidenschaft; er war nichts als Advokat und kein guter Advokat. Er verstand es, seine Sacherzaehlung anekdotenhaft pikant vorzutragen, wenn nicht das Gefuehl, doch die Sentimentalitaet seiner Zuhoerer zu erregen und durch Witze oder Witzeleien meist persoenlicher Art das trockene Geschaeft der Rechtspflege zu erheitern; seine besseren Reden, wenngleich auch sie die freie Anmut und den sicheren Treff der vorzueglichsten Kompositionen dieser Art, zum Beispiel der Memoiren von Beaumarchais, bei weitem nicht erreichen, sind doch eine leichte und angenehme Lektuere. Werden aber schon die eben bezeichneten Vorzuege dem ernsten Richter als Vorzuege sehr zweifelhaften Wertes erscheinen, so muss der absolute Mangel politischen Sinnes in den staatsrechtlichen, juristischer Deduktion in den Gerichtsreden, der pflichtvergessene, die Sache stets ueber dem Anwalt aus den Augen verlierende Egoismus, die graessliche Gedankenoede jeden Leser der Ciceronischen Reden von Herz und Verstand empoeren. Wenn hier etwas wunderbar ist, so sind es wahrlich nicht die Reden, sondern die Bewunderung, die dieselben fanden. Mit Cicero wird jeder Unbefangene bald im reinen sein; der Ciceronianismus ist ein Problem, das in der Tat nicht eigentlich aufgeloest, sondern nur aufgehoben werden kann in dem groesseren Geheimnis der Menschennatur: der Sprache und der Wirkung der Sprache auf das Gemuet. Indem die edle lateinische Sprache, eben bevor sie als Volksidiom unterging, von jenem gewandten Stilisten noch einmal gleichsam zusammengefasst und in seinen weitlaeufigen Schriften niedergelegt ward, ging auf das unwuerdige Gefaess etwas ueber von der Gewalt, die die Sprache ausuebt, und von der Pietaet, die sie erweckt. Man besass einen grossen lateinischen Prosaiker; denn Caesar war, wie Napoleon, nur beilaeufig Schriftsteller. War es zu verwundern, dass man in Ermangelung eines solchen wenigstens den Genius der Sprache ehrte in dem grossen Stilisten? und dass, wie Cicero selbst, so auch Ciceros Leser sich gewoehnten zu fragen, nicht was, sondern wie er geschrieben? Gewohnheit und Schulmeisterei vollendeten dann, was die Macht der Sprache begonnen hatte. Ciceros Zeitgenossen uebrigens waren begreiflicherweise in dieser seltsamen Abgoetterei weit weniger befangen als viele der Spaeteren. Die Ciceronische Manier beherrschte wohl ein Menschenalter hindurch die roemische Advokatenwelt, so gut wie die noch weit schlechtere des Hortensius es getan; allein die bedeutendsten Maenner, zum Beispiel Caesar, hielten doch stets derselben sich fern, und unter der juengeren Generation regte bei allen frischen und lebendigen Talenten sich die entschiedenste Opposition gegen jene zwitterhafte und schwaechliche Redekunst. Man vermisste in Ciceros Sprache Knappheit und Strenge, in den Spaessen das Leben, in der Anordnung Klarheit und Gliederung, vor allen Dingen aber in der ganzen Beredsamkeit das Feuer, das den Redner macht. Statt der rhodischen Eklektiker fing man an, auf die echten Attiker, namentlich auf Lysias und Demosthenes zurueckzugehen und suchte eine kraeftigere und maennlichere Beredsamkeit in Rom einzubuergern. Dieser Richtung gehoerten an der feierliche, aber steife Marcus Iunius Brutus (669-712 85-42), die beiden politischen Parteigaenger Marcus Caelius Rufus (672-706 82-48) und Gaius Scribonius Curio (+ 705 49), beide als Redner voll Geist und Leben, der auch als Dichter bekannte Calvus (672-706 82-48), die literarische Koryphaee dieses juengeren Rednerkreises, und der ernste und gewissenhafte Gaius Asinius Pollio (678-757 76-4 n. Chr.). Unleugbar war in dieser juengeren Redeliteratur mehr Geschmack und mehr Geist als in der Hortensischen und Ciceronischen zusammengenommen; indes vermoegen wir nicht zu ermessen, wie weit unter den Stuermen der Revolution, die diesen ganzen reichbegabten Kreis mit einziger Ausnahme des Pollio rasch wegrafften, die besseren Keime noch zur Entwicklung gelangten. Die Zeit war ihnen allzu kurz gemessen. Die neue Monarchie begann damit, der Redefreiheit den Krieg zu machen und unterdrueckte die politische Rede bald ganz. Seitdem ward wohl noch die untergeordnete Gattung des reinen Advokatenplaedoyers in der Literatur festgehalten; aber die hoehere Redekunst und Redeliteratur, die d
urchaus ruht auf dem politischen Treiben, ging mit diesem selbst notwendig und fuer immer zu Grabe. Endlich entwickelt sich in der aesthetischen Literatur dieser Zeit die kuenstlerische Behandlung fachwissenschaftlicher Stoffe in der Form des stilisierten Dialogs, wie sie bei den Griechen sehr verbreitet und vereinzelt auch bereits frueher bei den Roemern vorgekommen war. Namentlich Cicero versuchte sich vielfach in der Darstellung rhetorischer und philosophischer Stoffe in dieser Form und in der Verschmelzung des Lehrbuchs mit dem Lesebuche. Seine Hauptschriften sind die ’Vom Redner’ (geschrieben 699 55), wozu die Geschichte der roemischen Beredsamkeit (der Dialog ’Brutus’, geschrieben 708 46) und andere kleinere rhetorische Aufsaetze ergaenzend hinzutreten, und die Schrift ’Vom Staat’ (geschrieben 700 54), womit die Schrift ’Von den Gesetzen’ (geschrieben 702? 52) nach Platonischem Muster in Verbindung gesetzt ist. Es sind keine grosse Kunstwerke, aber unzweifelhaft diejenigen Arbeiten, in denen die Vorzuege des Verfassers am meisten und seine Maengel am wenigsten hervortreten. Die rhetorischen Schriften erreichen bei weitem nicht die lehrhafte Strenge und begriffliche Schaerfe der dem Herennius gewidmeten Rhetorik, aber enthalten dafuer einen Schatz von praktischer Sachwaltererfahrung und Sachwalteranekdoten aller Art in leichter und geschmackvoller Darstellung und loesen in der Tat das Problem einer amuesanten Lehrschrift. Die Schrift vom Staat fuehrt in einem wunderlichen, geschichtlich-philosophischen Zwittergebilde den Grundgedanken durch, dass die bestehende Verfassung Roms wesentlich die von den Philosophen gesuchte ideale Staatsordnung sei; eine freilich eben so unphilosophische wie unhistorische, uebrigens auch nicht einmal dem Verfasser eigentuemliche Idee, die aber begreiflicherweise populaer ward und blieb. Das wissenschaftliche Grundwerk dieser rhetorischen und politischen Schriften Ciceros gehoert natuerlich durchaus den Griechen und auch vieles einzelne, zum Beispiel der grosse Schlusseffekt in der Schrift vom Staate, der Traum des Scipio, ist geradezu ihnen abgeborgt; doch kommt denselben insofern eine relative Originalitaet zu, als die Bearbeitung durchaus roemische Lokalfarbe zeigt und das staatliche Selbstgefuehl, zu dem der Roemer den Griechen gegenueber allerdings berechtigt war, den Verfasser sogar mit einer gewissen Selbstaendigkeit seinen griechischen Lehrmeistern entgegentreten liess. Auch die Gespraechsform Ciceros ist zwar weder die echte Fragedialektik der besten griechischen Kunstdialoge noch der echte Konversationston Diderots oder Lessings; aber die grossen Gruppen der um Crassus und Antonius sich versammelnden Advokaten und der aelteren und juengeren Staatsmaenner des Scipionischen Zirkels geben doch einen lebendigen und bedeutenden Rahmen, passende Anknuepfungen fuer geschichtliche Beziehungen und Anekdoten und geschickte Ruhepunkte fuer die wissenschaftliche Eroerterung. Der Stil ist ebenso durchgearbeitet und gefeilt wie in den bestgeschriebenen Reden und insofern erfreulicher als diese, als der Verfasser hier nicht oft einen vergeblichen Anlauf zum Pathos nimmt. Wenn diese philosophisch gefaerbten rhetorischen und politischen Schriften Ciceros nicht ohne Verdienst sind, so fiel dagegen der Kompilator vollstaendig durch, als er in der unfreiwilligen Musse seiner letzten Lebensjahre (709, 710 45, 44) sich an die eigentliche Philosophie machte und mit ebenso grosser Verdriesslichkeit wie Eilfertigkeit in ein paar Monaten eine philosophische Bibliothek zusammenschrieb. Das Rezept war sehr einfach. In roher Nachahmung der populaeren aristotelischen Schriften, in welchen die dialogische Form hauptsaechlich zur Entwicklung und Kritisierung der verschiedenen aelteren Systeme benutzt war, naehte Cicero die das gleiche Problem behandelnden epikureischen, stoischen und synkretistischen Schriften, wie sie ihm in die Hand kamen oder gegeben wurden, zu einem sogenannten Dialog aneinander, ohne von sich mehr dazu zu tun als teils irgendeine, aus der reichen Sammlung von Vorreden fuer kuenftige Werke, die er liegen hatte, dem neuen Buche vorgeschobene Einleitung, teils eine gewisse Popularisierung, indem er roemische Beispiele und Beziehungen einflocht, auch wohl auf ungehoerige, aber dem Schreiber wie dem Leser gelaeufigere Gegenstaende, in der Ethik zum Beispiel auf den rednerischen Anstand, abschweifte, teils diejenige Verhunzung, ohne welche ein weder zum philosophischen Denken noch auch nur zum philosophischen Wissen gelangter, schnell und dreist arbeitender Literat dialektische Gedankenreihen nicht reproduziert. Auf diesem Wege konnten denn freilich sehr schnell eine Menge dicker Buecher entstehen - "es sind Abschriften", schrieb der Verfasser selbst einem ueber seine Fruchtbarkeit verwunderten Freunde; "sie machen mir wenig Muehe, denn ich gebe nur die Worte dazu und die habe ich in Ueberfluss". Dagegen war denn weiter nichts zu sagen; wer aber in solchen Schreibereien klassische Produktionen sucht, dem kann man nur raten sich in literarischen Dingen eines schoenen Stillschweigens zu befleissigen. Unter den Wissenschaften herrschte reges Leben nur in einer einzigen: es war dies die lateinische Philologie. Das von Stilo angelegte Gebaeude sprachlicher und sachlicher Forschung innerhalb des latinischen Volksbereichs wurde vor allem von seinem Schueler Varro in der grossartigsten Weise ausgebaut. Es erschienen umfassende Durcharbeitungen des gesamten Sprachschatzes, namentlich Figulus’ weitschichtige grammatische Kommentarien und Varros grosses Werk ’Von der lateinischen Sprache’; grammatische und sprachgeschichtliche Monographien, wie Varros Schriften vom lateinischen Sprachgebrauch, ueber die Synonymen, ueber das Alter der Buchstaben, ueber die Entstehung der lateinischen Sprache; Scholien zu der aelteren Literatur, besonders zum Plautus; literargeschichtliche Arbeiten, Dichterbiographien, Untersuchungen ueber die aeltere Schaubuehne, ueber die szenische Teilung der Plautinischen Komoedien und ueber die Echtheit derselben. Die lateinische Realphilologie, welche die gesamte aeltere Geschichte und das aus der praktischen Jurisprudenz ausfallende Sakralrecht in ihren Kreis zog, wurde zusammengefasst in Varros fundamentalen und fuer alle Zeiten fundamental gebliebenen ’Altertuemern der menschlichen und der goettlichen Dinge’ (bekanntgemacht zwischen 687 und 709 67 und 45). Die erste Haelfte ’Von den menschlichen Dingen’ schilderte die Urzeit Roms, die Stadtund Landeinteilung, die Wissenschaft von den Jahren, Monaten und Tagen, endlich die oeffentlichen Handlungen daheim und im Kriege; in der zweiten Haelfte ’Von den goettlichen Dingen’ wurde die Staatstheologie, das Wesen und die Bedeutung der Sachverstaendigenkollegien, der heiligen Staetten, der religioesen Feste, der Opferund Weihgeschenke, endlich der Goetter selbst uebersichtlich entwickelt. Dazu kam ausser einer Anzahl von Monographien - zum Beispiel ueber die Herkunft des roemischen Volkes, ueber die aus Troia stammenden roemischen Geschlechter, ueber die Distrikte - als ein groesserer und selbstaendigerer Nachtrag die Schrift ’Vom Leben des roemischen Volkes’; ein merkwuerdiger Versuch einer roemischen Sittengeschichte, die ein Bild des haeuslichen finanziellen und Kulturzustandes in der Koenigs-, der ersten republikanischen, der hannibalischen und der juengsten Zeit entwarf. Diese Arbeiten Varros ruhen auf einer so vielseitigen und in ihrer Art so grossartigen empirischen Kenntnis der roemischen Welt und ihres hellenischen Grenzgebiets, wie sie nie weder vornoch nachher ein anderer Roemer besessen hat und zu der die lebendige Anschauung der Dinge und das Studium der Literatur gleichmaessig beigetragen haben; das Lob der Zeitgenossen war wohlverdient, dass Varro seine in ihrer eigenen Welt fremden Landsleute in der Heimat orientiert und die Roemer kennen gelehrt habe, wer und wo sie seien. Kritik aber und System wird man vergebens suchen. Die griechische Kunde scheint aus ziemlich trueben Quellen geflossen und es finden sich Spuren, dass auch in der roemischen der Schreiber von dem Einfluss des historischen Romans seiner Zeit nicht frei war. Der Stoff ist wohl in ein bequemes und symmetrisches Fachwerk eingereiht, aber methodisch weder gegliedert noch behandelt und bei allem Bestreben, Ueberlieferung und eigene Beobachtung harmonisch zu verarbeiten, sind doch Varros wissenschaftliche Arbeiten weder von einem gewissen Koehlerglauben gegenueber der Tradition noch von unpraktischer Scholastik freizusprechen ^19. Die Anlehnung an die griechische Philologie besteht mehr im Nachahmen der Maengel als der Vorzuege derselben, wie denn vor allem das Etymologisieren auf blossen Anklang hin sowohl bei Varro selbst wie bei den sonstigen Sprachgelehrten dieser Zeit sich in die reine Scharade und oft geradezu ins Alberne verlaeuft ^20. In ihrer empirischen Sicherheit und Fuelle wie auch in ihrer empirischen Unzulaenglichkeit und Unmethode erinnert die Varronische lebhaft an die englische Nationalphilologie und findet auch ebenwie diese ihren Mittelpunkt in dem Studium der aelteren Schaubuehne. Dass die monarchische Literatur im Gegensatz gegen diese sprachliche Empirie die Sprachregel entwickelte, ward bereits bemerkt. Es ist in hohem Grade bedeutsam, dass an der Spitze der modernen Grammatiker kein geringerer Mann steht als Caesar selbst, der in seiner Schrift ueber die Analogie (bekanntgemacht zwischen 696 und 704 68 und 50) es zuerst unternahm die freie Sprache unter die Gewalt des Gesetzes zu zwingen. -------------------------------------------------------- ^19 Ein merkwuerdiges Exempel ist in der Schrift von der Landwirtschaft die allgemeine Auseinandersetzung ueber das Vieh (2, 1), mit den neunmal neun Unterabteilungen der Viehzuchtlehre, mit der "unglaublichen" aber "wahren" Tatsache, dass die Stuten bei Olisipo (Lissabon) vom Winde befruchtet werden, ueberhaupt mit ihrem sonderbaren Gemenge philosophischer, historischer und landwirtschaftlicher Notizen. ^20 So leitet Varro facere her von facies, weil wer etwas macht, der Sache ein Ansehn gibt, volpes, den Fuchs, nach Stilo von volare pedibus als den Fliegefuss; Gaius Trebatius, ein philosophischer Jurist dieser Zeit, sacellum von sacra cella; Figulus frater von fere alter und so weiter. Dies Treiben, das nicht etwa vereinzelt, sondern als Hauptelement der philologischen Literatur dieser Zeit erscheint hat die groesste Aehnlichkeit mit der Weise, wie man bis vor kurzem Sprachvergleichung trieb, ehe die Einsicht in den Sprachenorganismus hier den Empirikern das Handwerk legte. -------------------------------------------------------- Neben dieser ungemeinen Regsamkeit auf dem Gebiet der Philologie faellt die geringe Taetigkeit in den uebrigen Wissenschaften auf. Was von Belang in der Philosophie erschien, wie Lucretius’ Darstellung des epikureischen Systems in dem poetischen Kinderkleide der vorsokratischen Philosophie und die besseren Schriften Ciceros, tat seine Wirkung und fand sein Publikum nicht durch, sondern trotz des philosophischen Inhalts einzig durch die aesthetische Form; die zahlreichen Uebersetzungen epikureischer Schriften und die pythagoreischen Arbeiten, wie Varros grosses Werk ueber die Elemente der Zahlen und das noch ausfuehrlichere des Figulus von den Goettern, hatten ohne Zweifel weder wissenschaftlichen noch formellen Wert. Auch in den Fachwissenschaften ist es schwach bestellt. Varros dialogisch geschriebene Buecher vom Landbau sind freilich methodischer als die seiner Vorgaenger Cato und Saserna, auf die denn auch mancher tadelnde Seitenblick faellt, dafuer aber im ganzen mehr aus der Schreibstube hervorgegangen als, wie jene aelteren Werke, aus der lebendigen Erfahrung. Von desselben sowie des Servius Sulpicius Rufus (Konsul 703 51) juristischen Arbeiten ist kaum etwas weiter zu sagen, als dass sie zu dem dialektischen und philologischen Aufputz der roemischen Jurisprudenz beigetragen haben. Weiter aber ist hier nichts zu nennen als etwa noch des Gaius Matius drei Buecher ueber Kochen, Einsalzen und Einmachen, unseres Wissens das aelteste roemische Kochbuch und als das Werk eines vornehmen Mannes allerdings eine bemerkenswerte Erscheinung. Dass Mathematik und Physik durch die gesteigerten hellenistischen und utilitarischen Tendenzen der Monarchie gefoerdert wurden, zeigt sich wohl in der steigenden Bedeutung derselben im Jugendunterricht und in einzelnen praktischen Anwendungen, wohin, ausser der Reform des Kalenders, etwa noch gezaehlt werden koennen das Aufkommen der Wandkarten in dieser Zeit; die verbesserte Technik des Schiffsbaus und der musikalischen Instrumente; Anlagen und Bauten wie das von Varro angegebene Vogelhaus, die von Caesars Ingenieuren ausgefuehrte Pfahlbruecke ueber den Rhein, sogar zwei halbkreisfoermige, zum Zusammenschieben eingerichtete, zuerst gesondert als zwei Theater, dann zusammen als Amphitheater benutzte Brettergerueste. Auslaendische Naturmerkwuerdigkeiten bei den Volksfesten oeffentlich zur Schau zu stellen war nicht ungewoehnlich; und die Schilderungen merkwuerdiger Tiere, die Caesar in seine Feldzugsberichte eingelegt hat, beweisen, dass ein Aristoteles, wenn er aufgetreten waere, seinen Fuersten wiederum gefunden haben wuerde. Was aber von literarischen Leistungen auf diesem Gebiet erwaehnt wird, haengt wesentlich an den Neupythagoreismus sich an; so des Figulus Zusammenstellung griechischer und barbarischer, d. h. aegyptischer Himmelsbeobachtungen und desselben Schriften von den Tieren, den Winden, den Geschlechtsteilen. Nachdem ueberhaupt die griechische Naturforschung von dem Aristotelischen Streben, im einzelnen das Gesetz zu finden, mehr und mehr zu der empirischen und meistens unkritischen Beobachtung des Aeusserlichen und Auffallenden in der Natur abgeirrt war, konnte die Naturwissenschaft, indem sie als mystische Naturphilosophie auftrat, statt aufzuklaeren und anzuregen, nur noch mehr verdummen und laehmen; und solchem Treiben gegenueber liess man es besser noch bei der Plattheit bewenden, welche Cicero als sokratische Weisheit vortraegt, dass die Naturforschung entweder nach Dingen sucht, die niemand wissen koenne, oder nach solchen, die niemand zu wissen brauche. Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf die Kunst, so zeigen auch hier sich dieselben unerfreulichen Erscheinungen, die das ganze geistige Leben dieser Periode erfuellen. Das Staatsbauwesen stockte in der Geldklemme der letzten Zeit der Republik so gut wie ganz. Von dem Bauluxus der Vornehmen Roms war bereits die Rede; die Architekten lernten infolgedessen den Marmor verschwenden - die farbigen Sorten wie der gelbe numidische (Giallo antico) und andere kamen in dieser Zeit in Aufnahme und auch die lunensischen (carrarischen) Marmorbrueche wurden jetzt zuerst benutzt - und fingen an, die Fussboeden der Zimmer mit Mosaik auszulegen, die Waende mit Marmorplatten zu taefeln oder auch den Stuck marmorartig zu bemalen - die ersten Anfaenge der spaeteren Zimmerwandmalerei. Die Kunst aber gewann nicht bei dieser verschwenderischen Pracht. In den bildenden Kuensten waren Kennerschaft und Sammelei in weiterem Zunehmen. Es war eine blosse Affektation catonischer Simplizitaet, wenn ein Advokat vor den Geschworenen von den Kunstwerken "eines gewissen Praxiteles" sprach; alles reiste und schaute und das Handwerk der Kunstciceronen oder, wie sie damals hiessen, der Exegeten, war keines von den schlechtesten. Auf alte Kunstwerke wurde foermlich Jagd gemacht - weniger freilich noch auf Statuen und Gemaelde, als nach der rohen Art roemischer Prachtwirtschaft auf kunstvolles Geraet und Zimmerund Tafeldekoration aller Art. Schon zu jener Zeit wuehlte man die alten griechischen Graeber von Capua und Korinth um wegen der Erzund Tongefaesse, die den Toten waren mit ins Grab gegeben worden. Fuer eine kleine Nippfigur von Bronze wurden 40000 (3000 Taler), fuer ein paar kostbare Teppiche 200000 Sesterzen (15000 Taler) bezahlt; eine gutgearbeitete kupferne Kochmaschine kam hoeher zu stehen als ein Landgut. Wie billig ward bei dieser barbarischen Kunstjagd der reiche Liebhaber von seinen Zutraegern haeufig geprellt: aber der oekonomische Ruin namentlich des an Kunstwerken ueberreichen Kleinasiens brachte auch manches wirklich alte und seltene Prachtstueck und Kunststueck auf den Markt und von Athen, Syrakus, Kyzikos, Pergamon, Chios, Samos und wie die alten Kunststaetten weiter hiessen, wanderte alles, was feil war und gar manches, was es nicht war, in die Palaeste und Villen der roemischen Grossen. Welche Kunstschaetze zum Beispiel das Haus des Lucullus barg, der freilich wohl nicht mit Unrecht beschuldigt wurde, sein artistisches Interesse auf Kosten seiner Feldherrnpflichten befriedigt zu haben, ward bereits erwaehnt. Die Kunstliebhaber draengten sich daselbst wie heutzutage in Villa Borghese und beklagten auch damals schon sich ueber die Verbannung der Kunstschaetze auf die Palaeste und Landhaeuser der vornehmen Herren, wo sie schwierig und nur nach besonders von dem Besitzer eingeholter Erlaubnis gesehen werden konnten. Die oeffentlichen Gebaeude dagegen fuellten sich keineswegs im Verhaeltnis mit beruehmten Werken griechischer Meister, und vielfach standen noch in den Tempeln der Hauptstadt nichts als die alten holzgeschnitzten Goetterbilder. Von Ausuebung der Kunst ist so gut wie gar nichts zu berichten; kaum wird aus dieser Zeit ein anderer roemischer Bildhauer oder Maler mit Namen genannt als ein gewisser Arellius, dessen Bilder reissend abgingen, nicht ihres kuenstlerischen Wertes wegen, sondern weil der arge Roue in den Bildern der Goettinnen getreue Konterfeie seiner jedesmaligen Maetressen lieferte. Die Bedeutung von Musik und Tanz stieg im oeffentlichen wie im haeuslichen Leben. Wie die Theatermusik und das Tanzstueck in der Buehnenentwicklung dieser Zeit zu selbstaendigerer Geltung gelangte, wurde bereits dargestellt; es kann noch hinzugefuegt werden, dass jetzt in Rom selbst auf der oeffentlichen Buehne schon sehr haeufig von griechischen Musikern, Taenzern und Deklamatoren Vorstellungen gegeben wurden, wie sie in Kleinasien und ueberhaupt in der ganzen hellenischen und hellenisierenden Welt ueblich waren ^21. Dazu kamen denn die Musikanten und Taenzerinnen, die bei Tafel und sonst auf Bestellung ihre Kuenste produzierten, und die in vornehmen Haeusern nicht mehr seltenen eigenen Kapellen von Saitenund Blasinstrumenten und Saengern. Dass aber auch die vornehme Welt selbst fleissig spielte und sang, beweist schon die Aufnahme der Musik in den Kreis der allgemein anerkannten Unterrichtsgegenstaende; und was das Tanzen anlangt, so wurde, um von den Frauen zu schweigen, selbst Konsularen es vorgehalten, dass sie im kleinen Zirkel sich mit Tanzvorstellungen produzierten. ------------------------------------------- ^21 Dergleichen "griechische Spiele" waren nicht bloss in den griechischen Staedten Italiens, namentlich in Neapel (Cic. Arch. 5, 10; Plut. Brut. 21), sondern jetzt schon auch in Rom sehr haeufig (Cic. ad. fam. 7, 1, 3; Att. 16, 5, 1; Suet. Caes. 39; Plut. Brut. 21). Wenn die bekannte Grabschrift der vierzehnjaehrigen Licinia Eucharis, die wahrscheinlich dem Ende dieser Epoche angehoert, dieses "wohlunterrichtete und in allen Kuensten von den Musen selbst unterwiesene Maedchen", in den Privatvorstellungen der vornehmen Haeuser als Taenzerin glaenzen und oeffentlich zuerst auf der griechischen Schaubuehne auftreten laesst (modo nobilium ludos decoravi choro, Et Graeca in scaena prima populo apparui), so kann dies wohl nur heissen, dass sie das erste Maedchen war, das auf der oeffentlichen griechischen Schaubuehne in Rom erschien, wie denn ueberhaupt erst in dieser Epoche die Frauenzimmer in Rom anfingen, oeffentlich aufzutreten. Diese "griechischen Spielen in Rom scheinen nicht eigentlich szenische gewesen zu sein, sondern vielmehr zu der Gattung der zusammengesetzten, zunaechst musikalisch-deklamatorischen Auffuehrungen gehoert zu haben, wie sie auch in Griechenland in spaeterer Zeit nicht selten vorkamen (F. G. Welcker, Die griechischen Tragoedien. Bonn 1839-41, S. 1277). Dahin fuehrt das Hervortreten des Floetenspiels bei Polybios (30, 13) des Tanzes in dem Berichte Suetons ueber die bei Caesars Spielen aufgefuehrten kleinasiatischen Waffentaenze und in der Grabschrift der Eucharis; auch die Beschreibung des Kitharoeden Her. Rhet. 4, 47, 60 (vgl. Vitr. 5, 7) wird solchen "griechischen Spielen" entnommen sein. Bezeichnend ist noch die Verbindung dieser Vorstellungen in Rom mit griechischen Athletenkaempfen (Polyb. a. a. O.; Liv. 39, 22). Dramatische Rezitationen waren von diesen Mischspielen keineswegs ausgeschlossen, wie denn unter den Spielern, die Lucius Anicius 587 (167) in Rom auftreten liess, ausdruecklich Tragoedien miterwaehnt werden; aber es wurden doch dabei nicht eigentlich Schauspiele aufgefuehrt, sondern vielmehr von einzelnen Kuenstlern entweder ganze Dramen oder wohl noch haeufiger Stuecke daraus deklamierend oder singend zur Floete vorgetragen. Das wird denn auch in Rom vorgekommen sein; aber allem Anschein nach war fuer das roemische Publikum die Hauptsache bei diesen griechischen Spielen Musik und Tanz, und die Texte moegen fuer sie wenig mehr bedeutet haben als heutzutage die der italienischen Oper fuer die Londoner und Pariser. Jene zusammengesetzten Spiele mit ihrem wuesten Potpourri eigneten sich auch weit besser fuer das roemische Publikum und namentlich fuer die Auffuehrungen in Privathaeusern als eigentlich szenische Auffuehrungen in griechischer Sprache; dass auch die letzteren in Rom vorgekommen sind, laesst sich nicht widerlegen, aber auch nicht beweisen. ------------------------------------------- Indes gegen das Ende dieser Periode zeigen mit der beginnenden Monarchie sich auch in der Kunst die Anfaenge einer besseren Zeit. Welchen gewaltigen Aufschwung das hauptstaedtische Bauwesen durch Caesar nahm und das Reichsbauwesen nehmen sollte, ist frueher erzaehlt worden. Sogar im Stempelschnitt der Muenzen erscheint um das Jahr 700 (54) eine bemerkenswerte Aenderung: das bis dahin groesstenteils rohe und nachlaessige Gepraege wird seitdem feiner und sorgsamer behandelt. Wir stehen am Ende der roemischen Republik. Wir sahen sie ein halbes Jahrtausend in Italien und in den Landschaften am Mittelmeer schalten; wir sahen sie nicht durch aeussere Gewalt, sondern durch inneren Verfall politisch und sittlich, religioes und literarisch zugrunde gehen und der neuen Monarchie Caesars Platz machen. Es war in der Welt, wie Caesar sie vorfand, viel edle Erbschaft vergangener Jahrhunderte und eine unendliche Fuelle von Pracht und Herrlichkeit, aber wenig Geist, noch weniger Geschmack und am wenigsten Freude im und am Leben. Wohl war es eine alte Welt; und auch Caesars genialer Patriotismus vermochte nicht, sie wieder jung zu machen. Die Morgenroete kehrt nicht wieder, bevor die Nacht voellig hereingebrochen ist. Aber doch kam mit ihm den vielgeplagten Voelkern am Mittelmeer nach schwuelem Mittag ein leidlicher Abend; und als sodann nach langer geschichtlicher Nacht der neue Voelkertag abermals anbrach und frische Nationen in freier Selbstbewegung nach neuen und hoeheren Zielen den Lauf begannen, da fanden sich manche darunter, in denen der von Caesar ausgestreute Same aufgegangen war und die ihm ihre nationale Individualitaet verdankten und verdanken.
Chicago: Theodor Mommsen, Roemische Geschichte, Von Theodor Mommsen— Volume 5 in Roemische Geschichte, Von Theodor Mommsen—Volume 5 Original Sources, accessed November 23, 2024, http://originalsources.com/Document.aspx?DocID=9JDC2ZF4QG4B9QE.
MLA: Mommsen, Theodor. Roemische Geschichte, Von Theodor Mommsen— Volume 5, in Roemische Geschichte, Von Theodor Mommsen—Volume 5, Original Sources. 23 Nov. 2024. http://originalsources.com/Document.aspx?DocID=9JDC2ZF4QG4B9QE.
Harvard: Mommsen, T, Roemische Geschichte, Von Theodor Mommsen— Volume 5. cited in , Roemische Geschichte, Von Theodor Mommsen—Volume 5. Original Sources, retrieved 23 November 2024, from http://originalsources.com/Document.aspx?DocID=9JDC2ZF4QG4B9QE.
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