Erstes Kapitel

Vorbereitung zum Folgenden

Die Laune eines Dichters, die Treue einer Buhlerin, und die Freundschaft eines Hippias, sind vielleicht die drei unzuverlaessigsten Dinge unter allen in der Welt; es waere denn, dass man die Gunst der Grossen fuer das Vierte halten wollte, welche gemeiniglich eben so leicht verloren als gewonnen wird, und mit den Gunstbezeugungen gewisser Nymphen noch diese aehnlichkeit hat, dass derjenige, welcher unvorsichtig genug gewesen ist davon zu kosten, einen kurzen Traum von Vergnuegen gemeiniglich mit langwierigen Schmerzen bezahlen muss.

Hippias nannte sich einen Freund der schoenen Danae, und wurde von ihr dafuer gehalten; eine Bekanntschaft von mehr als zwoelf Jahren hatte dieses beiden zur Gewohnheit gemacht. Hiezu kam noch die natuerliche Verwandtschaft, welche unter Leuten von Witz und feiner Lebens-Art obwaltet, die uebereinstimmung ihrer Denkungs-Art, und Neigungen; vielleicht auch die besondere Vorrechte, die er, der gemeinen Meinung nach, eine Zeit lang bei ihr genossen. Alles dieses hatte diese Art von Vertraulichkeit unter ihnen hervorgebracht, welche von den Weltleuten, aus einem Missverstande dessen sie sich nur nicht vermuten, fuer Freundschaft gehalten wird, und auch in der Tat alle Freundschaft, deren sie faehig sind, ausmacht; ob es gleich gemeiniglich eine bloss mechanische Folge zufaelliger Umstaende, und im Grunde nichts bessers als eine stillschweigende uebereinkommnis ist, einander so lange gewogen zu sein, als es einem oder dem andern Teil gelegen sein werde; und daher auch ordentlicher Weise keinen Augenblick laenger daurt, als bis sie auf irgend eine Probe, wobei sich die Eigenliebe einige Gewalt antun muesste, gesetzt werden wollte.

Die schoene Danae, deren Herz unendlich mal besser war als des Sophisten seines, ging inzwischen ganz aufrichtig zu Werke, indem sie in die vermeinte Freundschaft dieses Mannes nicht den mindesten Zweifel setzte. Es ist wahr, er hatte einen guten Teil von ihrer Hochachtung, und also zugleich von ihrem Vertrauen verloren, seitdem die Liebe so sonderbare Veraenderungen in ihrem Charakter gewuerkt hatte. Je mehr Agathon gewann, je mehr musste Hippias verlieren. Allein das war so natuerlich und kam so unvermerkt, dass sie sich dessen kaum, oder nur sehr undeutlich bewusst war; und vielleicht so wenig, dass sie, ohne die mindeste Besorgnis, er werde tiefer in ihr Herz hineinschauen als sie selbst, an nichts weniger dachte, als einige Vorsichtigkeit gegen ihn zu gebrauchen. Ein Beweis hievon ist, dass sie, anstatt ihm bei ihrem Liebhaber schlimme Dienste zu tun, sich vielmehr bei jedem Anlass bemuehete, ihn bei demselben in bessere Achtung zu setzen. Und dieses war ihr auch, bei der besondern Sorgfalt, womit der Sophist seit einiger Zeit ihre Bemuehung befoerderte, so wohl gelungen, dass Agathon anfing eine bessere Meinung von seinem Charakter zu fassen, und sich unvermerkt so viel Vertrauen von ihm abgewinnen liess, dass er kein Bedenken mehr trug, sich so gar ueber die Angelegenheiten seines Herzens in vertrauliche Unterredungen mit ihm einzulassen.

Unsre Liebende verliefen sich also mit der sorglosesten Unvorsichtigkeit, welche sich Hippias nur wuenschen konnte, in die Fallstricke die er ihnen legte; und liessen sich nicht einfallen, dass er Absichten haben koenne, eine Verbindung wieder zu vernichten, die gewissermassen sein eigenes Werk war. Diese Sorglosigkeit koennte vielleicht desto tadelhafter scheinen, da beiden so wohl bekannt war, nach was fuer Grundsaetzen er lebte. Allein es ist eine Beobachtung, die man alle Tage zu machen Gelegenheit hat, dass edle Gemueter mit Leuten von dem Charakter unsers Sophisten betrogen werden muessen, sie moegen es angehen, wie sie wollen. Sie moegen die Denkens-Art dieser Leute noch so gut kennen, noch so viele Proben davon haben, dass derjenige, dessen Neigungen und Handlungen allein durch das Interesse seiner eigennuetzigen Leidenschaften bestimmt wird, keines rechtschaffenen Betragens faehig ist; es wird ihnen doch immer unmoeglich bleiben, alle Kruemmen und Falten seines Herzens so genau auszuforschen, dass nicht in irgend einer derselben noch eine geheime Schalkheit lauren sollte, deren man sich nicht versehen hatte, wenn sie endlich zum Vorschein koemmt. Agathon und Danae, zum Exempel, kannten den Hippias gut genug, um ueberzeugt zu sein, dass er sich, sobald sein Interesse dem Vorteil ihrer Liebe entgegenstuende, nicht einen Augenblick bedenken wuerde, die Pflichten der Freundschaft seinem Eigennutzen aufzuopfern. Denn was sind Pflichten fuer einen Hippias? Hingegen konnten sie nicht begreifen, was fuer einen Vorteil er darunter haben koennte, ihre Herzen zu trennen; und dieses machte sie sicher. In der Tat hatte er keinen; auch hatte er eigentlich die Absicht nicht sie zu trennen. Aber er hatte ein Interesse, ihnen einen Streich zu spielen, welcher, dem Charakter des Agathon nach, notwendig diese Wuerkung tun musste. Und das war es, woran sie nicht dachten.

Wir haben im vierten Buche dieser Geschichte die Absichten entdeckt, welche den Sophisten bewogen hatten, unsern Helden mit der schoenen Danae bekannt zu machen. Der Entwurf war wohl ausgesonnen, und haette, nach den Voraussetzungen, die dabei zum Grunde lagen, ohnmoeglich misslingen koennen, wenn man auf irgend eine Voraussetzung Rechnung machen duerfte, so bald sich die Liebe ins Spiel mischt. Dieses mal war es ihm gegangen, wie es gemeiniglich den Projektmachern geht; er hatte an alles gedacht, nur nicht an den einzigen Fall, der ihm seine Absichten vereitelte. Wie haette er auch glauben koennen, dass eine Danae faehig sein sollte, ihr Herz an einen Platonischen Liebhaber zu verlieren? Ein gleichgueltiger Philosoph wuerde darueber betroffen gewesen sein, ohne boese zu werden; aber es gibt sehr wenig gleichgueltige Philosophen. Hippias fand sich in seinen Erwartungen betrogen; seine Erwartungen gruendeten sich auf Schluesse; seine Schluesse auf seine Grundsaetze, und auf diese das ganze System seiner Ideen, welches (wie man weiss) bei einem Philosophen wenigstens die Haelfte seines geliebten Selbsts ausmacht. Wie haette er nicht boese werden sollen? Seine Eitelkeit fuehlte sich beleidiget. Agathon und Danae hatten die Gelegenheit dazu gegeben. Er wusste zwar wohl, dass sie keine Absicht ihn zu beleidigen dabei gehabt haben konnten; allein darum bekuemmert sich kein Hippias. Genug, dass sein Unwille gegruendet war; dass er einen Gegenstand haben musste; und dass ihm nicht zu zumuten war, sich ueber sich selbst zu erzuernen. Leute von seiner Art wuerden eher die halbe Welt untergehen sehen, eh sie sich nur gestehen wuerden, dass sie gefehlt haetten. Es war also natuerlich, dass er darauf bedacht war, sich durch das Vergnuegen der Rache fuer den Abgang desjenigen zu entschaedigen, welches er sich von der vermeinten und verhofften Bekehrung unsers Helden versprochen hatte.

Agathon liebte die schoene Danae, weil sie, selbst nachdem der aeusserste Grad der Bezauberung aufgehoert hatte, in seinen Augen noch immer das vollkommenste Geschoepfe war, das er kannte. Was fuer ein Geist! was fuer ein Herz! was fuer seltene Talente! welche Anmut in ihrem Umgang! was fuer eine Manchfaltigkeit von Vorzuegen und Reizungen! wie hochachtungswert musste sie das alles ihm machen! wie vorteilhaft war ihr die Erinnerung an jeden Augenblick, von dem ersten an, da er sie gesehen, bis zu demjenigen, da sie von sympathetischer Liebe ueberwaeltiget die seinige gluecklich gemacht hatte! Kurz alles was er von ihr wusste, war zu ihrem Vorteil, und von allem was seine Hochschaetzung haette schwaechen koennen, wusste er nichts.

Man kann sich leicht vorstellen, dass sie so unvorsichtig nicht gewesen sein werde, sich selbst zu verraten. Es ist wahr, sie hatte sich nicht entbrechen koennen, die vertraute Erzaehlung, welche er ihr von seinem Lebens-Lauf gemacht, mit Erzaehlung des ihrigen zu erwidern; aber wir zweifeln sehr, dass sie sich zu einer eben so gewissenhaften Vertraulichkeit verbunden gehalten habe. Und woher wissen wir auch, dass Agathon selbst, mit aller seiner Offenherzigkeit, keinen Umstand zurueck gehalten habe, von dem er vielleicht, wie ein guter Maler oder Dichter, vorausgesehen, dass er der schoenen Wuerkung des Ganzen hinderlich sein koennte. Wer ist uns Buerge dafuer, dass die verfuehrische Priesterin nicht mehr ueber ihn erhalten habe, als er eingestanden? Wenigstens hat einigen von unsern Lesern, (welche vielleicht vergessen haben, dass sie keine Agathons sind) die tiefe Gleichgueltigkeit etwas verdaechtig geschienen, worin ihn, bei einer gewissen Gelegenheit, Reizungen, die, ihrer Meinung nach, in seiner blossen Beschreibung schon verfuehren koennten, gelassen haben sollen. In der Tat; man mag so schuechtern oder so Platonisch sein als man will; eine schoene Frau, welche sich vorgenommen hat, die Macht ihrer Reizungen an uns zu pruefen, selbst von dem Gott der Liebe begeistert, und was noch schlimmer ist, eine Priesterin—in einer so belaurenden Stellung, mit so schwarzen Augen, mit einem so schoenen Busen—ist ganz unstreitig ein gefaehrlicher Anblick fuer einen jeden, der (wie Phryne sagt) keine Statue ist: Und die Poesie muesste die magischen Kraefte nicht haben, welche ihr von jeher zugeschrieben worden sind, wenn in einer solchen Situation das Lesen einer Szene, wie die Verfuehrung Jupiters durch den Guertel der Venus in der Iliade ist, den natuerlichen Wuerkungen eines damit so uebereinstimmenden Gegenstands, nicht eine verdoppelte Staerke haette geben sollen. Allein dem sei nun wie ihm wolle, so ist gewiss, dass Danae, in der Erzaehlung ihrer Geschichte mehr die Gesetze des Schoenen und Anstaendigen als die Pflichten einer genauen historischen Treue zu ihrem Augenmerk genommen, und sich kein Bedenken gemacht, bald einen Umstand zu verschoenern, bald einen andern gar wegzulassen, so oft es die besondere Absicht auf ihren Zuhoerer erfodern mochte. Denn fuer diesen allein, nicht fuer die Welt, erzaehlte sie; und sie konnte sich also durch die strengen Forderungen, welche die Letztere (wiewohl vergebens) an die Geschichtschreiber macht, nicht so sehr gebunden halten. Nicht, als ob sie ihm irgend eine hauptsaechliche Begebenheit ihres Lebens gaenzlich verschwiegen, oder ihn statt der wirklichen durch erdichtete hintergangen haette. Sie sagte ihm alles. Allein es gibt eine gewisse Kunst, dasjenige was einen widrigen Eindruck machen koennte, aus den Augen zu entfernen; es koemmt soviel auf die Wendung an; ein einziger kleiner Umstand gibt einer Begebenheit eine so verschiedene Gestalt von demjenigen, was sie ohne diesen kleinen Umstand gewesen waere; dass man ohne eine merkliche Veraenderung dessen was den Stoff der Erzaehlung ausmacht, tausend sehr bedeutende Treulosigkeiten an der historischen Wahrheit begehen kann. Eine Betrachtung, die uns (im Vorbeigehen zu sagen) die Geschichtschreiber ihres eignen werten Selbsts, keinen Xenophon noch Marcus Antoninus, ja selbst den offenherzigen Montaigne nicht ausgenommen, noch verdaechtiger macht, als irgend eine andre Klasse von Geschichtschreibern.

Die schoene und kluge Danae hatte also ihrem Liebhaber weder ihre Erziehung in Aspasiens Hause, noch ihre Bekanntschaft mit dem Alcibiades, noch die glorreiche Liebe, welche sie dem Prinzen Cyrus eingefloesst hatte, verhalten. Alle diese, und viele andre nicht so schimmernde Stellen ihrer Geschichte machten ihr entweder Ehre, oder konnten doch mit der Geschicklichkeit, worin sie die zweite Aspasia war, auf eine solche Art erzaehlt werden, dass sie ihr Ehre machten. Allein was diejenigen Stellen betraf, an denen sie alle Kunst, die man auf ihre Verschoenerung wenden moechte, fuer verloren hielt; es sei nun, weil sie an sich selbst, oder in Beziehung auf den eigenen Geschmack unsers Helden, in keiner Art von Einkleidung, Wendung oder Licht gefallen konnten: ueber diese hatte sie klueglich beschlossen, sie mit gaenzlichem Stillschweigen zu bedecken; und daher kam es dann, dass unser Held noch immer in der Meinung stund, er selbst sei der erste gewesen, welchem sie sich durch Gunst-Bezeugungen von derjenigen Art, womit er von ihr ueberhaeuft worden war, verbindlich gemacht haette. Ein Irrtum, der nach seiner spitzfindigen Denkens-Art zu seinem Gluecke so notwendig war, dass ohne denselben alle Vollkommenheiten seiner Dame zu schwach gewesen waeren, ihn nur einen Augenblick in ihren Fesseln zu behalten. Ihm diesen Irrtum zu benehmen, war der schlimmste Streich, den man seiner Liebe und der schoenen Danae spielen konnte; und dieses zu tun, war das Mittel, wodurch der Sophist an beiden auf einmal eine Rache zu nehmen hoffte, deren blosse Vorstellung sein boshaftes Herz in Erzueckung setzte. Er laurte dazu nur auf eine bequeme Gelegenheit, und diese pflegt zu einem boesen Vorhaben selten zu entgehen.

Ob dieses letztere der Geschaeftigkeit irgend eines boesen Daemons zu zuschreiben sei, oder ob es daher komme, dass die Bosheit ihrer Natur nach eine lebhaftere Wuerksamkeit hervorbringt als die Guete; ist eine Frage, welche wir andern zu untersuchen ueberlassen. Es sei das eine oder das andere, so wuerde eine ganz natuerliche Folge dieser fast alltaeglichen Erfahrungs-Wahrheit sein, dass das Boese in einer immer wachsenden Progression zunehmen, und, wenigstens in dieser sublunarischen Welt, das Gute zuletzt gaenzlich verschlingen wuerde; wenn nicht aus einer eben so gemeinen Erfahrung richtig waere, dass die Bemuehungen der Boesen, so gluecklich sie auch in der Ausfuehrung sein moegen, doch gemeiniglich ihren eigentlichen Zweck verfehlen, und das Gute durch eben die Massregeln und Raenke, wodurch es haette gehindert werden sollen, weit besser befoerdern, als wenn sie sich ganz gleichgueltig dabei verhalten haetten.